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Bundesrathsbeschluss in

Sachen der Frau Maria Brun, geb. Stalder, wohnhaft in Winterthur, betreffend Verweigerung von Legitimationspapieren.

(Vom

2. Februar 1876.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen der Frau M a r i a B r u n geb. S t a l d e r , wohnhaft in Winterthur, betreffend Verweigerung von Legitimationspapieren, -- nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Mit Beschluß vom 27. Oktober 1875 wies die Regierung des Kantons Luzern die Beschwerde der Rekurrentin gegen die Verfügung des Gemeinderathes von Wolhausen vom 30. Juli gleichen Jahres, womit ihr die Ausstellung eines besondern Heimatscheines verweigert wurde, als unbegründet ab, einerseits weil nach § 111 des Organisationsgesezes die Beschwerde verspätet sei, und andererseits weil die Frau Brun als ungeschiedene Ehefrau des in Buholz, Gemeinde Ruswyl, wohnhaften Johann Brun, gemäß §§ 46 und 51 des bürgerlichen Gesezbuches verpflichtet sei, dem Wohnsize des leztern zu folgen, -- weil der Ehemann Brun die Einwilligung zur Ausstellung besonderer Schriften für seine Frau verweigere, und weil auch der Gemeinderath nach § 20 des Gesezes über FremdenBundesblatt. 28. Jahrg.

Bd. II.

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910 polizei und Niederlassung berechtigt sei, die Ausstellung eines Heimatscheines für Frau Brun zu verweigern, da sie noch für zwei unerwachsene Kinder zu sorgen habe. Diese gesezlichen Vorschriften des Kantons seien durch Art. 45 der Bundesverfassung nicht außer Kraft getreten.

H. Mit Eingabe vom 30. November 1875 rekurrirte Herr Rechtsagent Bleuler in Winterthur, als Bevollmächtigter der Frau Brun, an das Bundesgericht, welches jedoch diese Angelegenheit dem Bundesrathe überwies, als in dessen Kompetenz gehörend.

Der Rekurs stüzt sich wesentlich darauf, daß der Ehemann Brun von 1868 an in Folge gerichtlicher Strafurtheile sieben Jahre Freiheitsstrafe habe aushalten müssen, und daß derselbe nach seiner Freilassung weder um Frau, noch um die Kinder sich etwas bekümmert habe. Es sei unrichtig, daß die Frau Brun eigenmächtig sich vom Manne entfernt habe. Sie sei lange Zeit wegen des Mangels von Schriften hin und her gehezt worden. Jezt habe sie in Winterthur ein ersprießliches Arbeitsfeld gefunden. Nach Art. 45 der Bundesverfassung habe sie einen Anspruch auf freie Niederlassung. Sie könne dem Manne nicht folgen, weil er selbst nur Dienstknecht sei. Auch habe sie keine Lust, mit dem entlassenen Zuchthaussträfling zusammen zu leben. Sie werde sich scheiden lassen, sobald sie die Kosten bestreiten könne. Sie hoffe, daß die Chikanen ihres Mannes ihr nicht länger im Wege stehen, um die nöthigen Papiere zu erhalten.

HI. Die Regierung des Kantons Luzern stüzte den Antrag auf Abweisung des Rekurses wesentlich auf die gleichen Gründe, welche in ihrem Beschlüsse enthalten sind. Im Weitern wird eine neue Erklärung des Johann Brun produzirt, dahin gehend, daß er keine Einwilligung gebe für die Ausstellung eines besondern Heimatscheines an seine Frau. Endlich wird darauf hingewiesen, daß Frau Brun, obschon seit 4 Jahren von ihrem Ehemanne getrennt lebend, am 29. März 1875 in der Gebäranstalt zu Zürich auf dessen Rechnung ein Kind geboren habe. Durch die Ausfolgung von Heimatschriften würde dieser unsittliche Lebenswandel gefördert "werden.

InErwägung:

1) Es ist ein Grundsaz des gemeinen Rechtes und speziell auch des bürgerlichen Gesezes des Kantons Luzern, daß die Ehefrau dem Wohnsize ihres Ehemannes folgen müsse und den leztern ohne seine Einwilligung nicht verlassen dürfe. An dieser Regel des Zivilrechtes hat im Allgemeinen der Art. 45 der Bundesverfassung nichts geändert.

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2) So lange daher der Ehemann Stalder von diesem Rechte Gebrauch macht, können die Behörden des Kantons Luzern vom Bunde nicht verhalten werden, der Ehefrau durch Ausstellung eines Heimatscheines die Niederlassung außer dem Domizil des Mannes zu ermöglichen.

3) Diese Auffassung erleidet durch die Erklärung der Frau Brun, auf Trennung der Ehe klagen zu wollen, keine Aenderung, indem einzig die Behörden des Kantons Luzern zu der Entscheidung der Frage kompetent sind, ob ein zwischen Eheleuten eintretendes Scheidungsverfahren die Ehefrau berechtige, außer dem Domizil des Mannes zu leben, beschlossen: 1. Der Rekurs der Frau Marie Brun geb. Stalder ist abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der Regierung von Luzern für sich und' zuhanden des Gemeinderathes von Wolhausen, sowie dem Herrn Rechtsagenten Bleuler in Winterthur, als Anwalt und zuhanden der Rekurrentin, unter Rükschluß der Belegeakten, mitzutheilen.

B e r n , den 2. Februar 1876.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Ausfuhrzoll von Abfällen zur Papierfabrikation.

(Vom 19. April 1876.)

Tit.!

Obwohl eine Revision des Zolltarifs in Aussicht steht, haben wir nichts desto weniger bereits jezt schon die Aenderung eines Ansazes ins Auge gefaßt, weil die Durchführung desselben mit beständigen Schwierigkeiten verbunden ist; es betrifft dies den Ausfuhrzoll von Abfällen zur Papierfabrikation, wie: Lumpen, Makulatur, Abfallfäden der Spinnereien u. dergl. Dieses Material ist schon im Tarif von 1849 zum Schuze der inländischen Papierfabrikation mit einem Ausfuhrzoll von Fr. 2 vom Zentner belegt worden.

Der Festhaltung dieses Ansazes steht der Umstand entgegen, daß jene Abfälle im Preise bedeutend gesunken sind, sodaß ihr Absaz nach dem Auslande durch jenen Zoll von Fr. 2 unverhältnißmäßig erscheint und die Zollverwaltung mit Beschwerden überhäuft wird; im fernem, daß diese Abfälle in der Schweiz nicht mehr genügenden Absaz finden, seitdem die Verwendung von Stroh und Holzstoff zur Papierfabrikation an Ausdehnung zugenommen hat, überdies die Vervollkommnung der Verkehrsmittel die schweizerische Papierfabrikation in Stand sezt, den Rohstoff eben so billig vom Auslande zu beziehen. Hiezu kommt, daß die Baumwollspinnereien eine Menge Abfälle liefern, welche mehr und mehr zu

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Bundesrathsbeschluss in Sachen der Frau Maria Brun, geb. Stalder, wohnhaft in Winterthur, betreffend Verweigerung von Legitimationspapieren. (Vom 2. Februar 1876.)

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Jahr

1876

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2

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26

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

10.06.1876

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909-912

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10 009 135

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