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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zum Gesezentwurf, betreffend den Erwerb des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe.

(Vom 2. Juni 1876.)

Tit.!

Dem nachfolgenden Gesezentwurfe dient als Grundlage der Art. 44, Lemma 2 der Bundesverfassung, welcher lautet: ,,Die Bedingungen für die Ertheilung des Bürgerrechts an Ausländer, sowie diejenigen, unter welchen ein Schweizer zum Zweke der Erwerbung eines ausländischen Bürgerrechtes auf sein Bürgerrecht verzichten kann, werden durch die Bundesgesezgebung geordnet."

Dieser Verfassungsartikel ist das Produkt vielfacher Erfahrungen, welche nachgewiesen haben, daß die frühere Bestimmung (Art. 43 der Verfassung von 1848), wonach kein Kanton einem Ausländer das Bürgerrecht ertheilen durfte, wenn er nicht aus dem frühern Staatsverbande entlassen war, durchaus ungenügend war. Der Fremde, welcher sich in der Schweiz naturalisiren lassen wollte, war an die Gemeinde und an den Kanton gewiesen, welche ihrerseits eine derartige Aufnahme lediglich von ihrem Interessenstandpuukte aus und nach ihrem Gutfinden behandelten. Obwohl mit dem Gemeindeund Kantonsbürgerrechte kraft der Bundesverfassung auch die schweizerische Nationalität erworben wurde, und obwohl nach

898 der Gestaltung der konkreten Verhältnisse und Motive in der großen Mehrzahl der Fälle gerade dem leztern Faktor das Hauptgewicht zufiel, weil daraus der Anspruch auf Schuz gegenüber dem Auslande abgeleitet wurde, besaßen die Organe des Bundes absolut kein Mitwirkungsreeht bei der Naturalisation des Fremden. Erst nachdem dieselbe in Rechtskraft getreten war, und sie bei Anlaß eines Konfliktes mit einem auswärtigen Staate zur Kenntniß des Bundesrathes gelangte, konnte er an der Hand der negativen Bestimmung des Art. 43, Lemma 2 der 1848er Verfassung, die überdies als in ihrem strikten Wortlaute nicht auf alle Fälle passend in der Bundespraxis gemildert und abgeschwächt wurde (vergi. Ullmer- B. II, Nr. 828 und 829), gegen eine vollendete Thatsache einschreiten. Abgesehen davon, daß eine derartige der Begründung des Bürgerrechts nachfolgende Einmischung an und für sich schon auf vielfache Schwierigkeiten stößt, befand sich der Bundesrath entweder in der unangenehmen Lage, zwischen einem auswärtigen Staate und dein Schweizerkantone oder dessen Bürger entscheiden zu müssen, oder er konuto seinen Reklamationen im Auslande auf Anerkennung des schweizerischen Bürgerrechtes keinen Nachdruk verleihen, und sah sich häufig genug unangenehmen Abweisungen ausgesezt.

In neuerer Zeit haben sich in der angeführten Richtung die Konflikte bedenklich vermehrt. Die Gesezgebungen mancher Staaten, welche z. B. die Ehescheidung ausschließen, oder die Scheidungsgründe beschränken, oder erschwerende Formalitäten und lange Fristen aufstellen u. dgl., veranlagen häufig genug ihre Angehörigen, sich zeitweilig zu expatriiren und anderswo sich einzubürgern, um im fremden Lande ein Vorhaben ausführen zu können, dem sich das heimatliche Recht entgegenstellt. In noch hölierm Maße ist diu Militärpflicht die Quelle solcher Auswanderungen. Französische und seit der Umgestaltung Deutschlands noch mehr deutsche Familien suchen fürihre dem Militärpflichtsalter entgegenrükenden Söhne in der Schweiz das Bürgerrecht zu erwerben. Es liegt auf der Hand, daß in allen diesen Fällen keineswegs die Absicht, Schweizer zu werden, und unserin Lande fortan als Bürger anzugehören, zu Grunde liegt, vielmehr ein bequemes Auskunftsmittel benüzt wird, um sich einer staatlichen Verpflichtung in der Heimat zu entziehen, und daß in der Regel solche
Neubürger der Schweiz wieder den Rüken zukehren, sobald ihre Privatinteressen es erheischen und sie es ohne Gefahr thun können. Was gewinnt nun unser Land von solchen Bürgerzuschüssen anderes, als ärgerliche Konflikte mit den Nachbarstaaten, deren Austragung auf den Rüken des Bundes fallt.

Leider ist es nicht minder wahr, daß in einzelnen Kantonen bei der Bürgeraufnahme eine Willfährigkeit Plaz gegriffen hat.

899 welche mit der Würde des Schweizerbürgerrechtes wenig im Einklänge steht, und allzusehr den Charakter der Geldspekulation hervorkehrt. Diese bedauerlichen Erscheinungen blieben dem Auslande nicht unbekannt, und haben nicht verfehlt, das Ansehen des schweizerischen Bürgerrechtes zu untergraben und die Aktion des Bundesrathes für Anerkennung desselben außerordentlich zu erschweren. Es bestehen z. B. Urtheile französicher Gerichte, welche die Erwerbung eines ausländischen Bürgerrechts durch einen Franzosen wegen der Vermuthung, daß sie zum Zwek, sich den Verpflichtungen des Gesezes zu entziehen, stattgefunden habe, als in fraudem legis geschehen erklären, was der Anwendung des französischen Rechtes nicht im Mindesten derogiren könne. Da ohnehin schon die Verschiedenheit der Gesezgebung, z. B. die französische Bestimmung, daß der minderjährige Sohn eines Franzosen, der sich auswärts naturalisirt, doch gegenüber dem ursprünglichen Heimatstaate militärpflichtig verbleibt, während umgekehrt bis jezt nach schweizerischem Rechte der minderjährige Sohn dem Bürgerrecht des Vaters folgt, die natürliche Veranlaßung für vielfache Konflikte bot, so ist doppelt beklagenswert!!, daß man schweizerischerseits weitere Anstände hervorrief, die überdies nicht geeignet sind, der schweizerischen Auffassung als Empfehlung zu dienen. Der Bundesrath ist dadurch momentan verhindert worden, Verhandlungen bei der französischen Regierung zum Zweke der so sehr wünschenswerthen Regulirung der oben angedeuteten Differenzen neuerdings anzuregen.

Alle diese Uebelstände wurden bereits bei Anlaß der Revision der Bundesverfassung lebhaft gefühlt und betont. Die neue Verfassung (und zwar in beiden Vorlagen übereinstimmend) löste die schwebende Frage nicht definitiv, sondern überwies sie zur nähern Ordnung an die Gesezgebung, und zwar in. doppelter Richtung, einmal um die Bedingungen der E r w e r b u n g des Schweizorbürgerrechtes durch Ausländer aufzustellen, und sodann um die Bedingungen des V erz ich ts auf dasselbe durch Inländer zu bezeichnen.

Da der neue Verfassungstext die frühere, wenn auch so schwache Bedingung, nicht mehr wiederholt und deßhalb zur Zeit die Einbürgerung schrankenlos den Kantonen überlassen wird, so ist die gesezgeberische Ausführung des Artikel 43 ein um so dringenderes Bedürfniß.

Hinsichtlich des Erwerbes
des Bürgerrechtes gehen wir in dem Gesezesentwurf, den wir Ihnen, Tit., vorzulegen die Ehre haben, von dem Grundgedanken aus, daß das schweizerische Bürgerrecht dreifacher Natur ist, sich nemlich auf die Gemeinde, den Kanton und den Bund bezieht, und daß allen diesen Interessenten bei der Begründung desselben ein Mitwirkungsrecht eingeräumt werden müsse.

900 "Wir schieben die Thätigkeit des Bundes im Gegensaze zu dem frühern Systeme in den Vordergrund, weil ihn der Beziehung zum Auslandehalber die A b l ö s u n g des Bewerbers vom früheren auswärtigen Staatsverbande am meisten, ja ausschließlich berührt. Erst nachdem diese erfolgt ist, beginnt die Konstituirung des n e u e n Verhältnisses, welche der Gemeinde und dem Kantone zufällt. Ist es also schon logisch richtiger, die Mitwirkung des Bundes auf den Zeitpunkt zu verlegen, wo seine Interessen im Spiele stehen, so spricht auch die Zwekmäßigkeit für das vorgeschlagene Verfahren. Bürgeraufnahmen, welche geeignet sind, dem Gesammtlande Konflikte und Verlegenheiten zu bereiten, und deren Charakter der Lokalbehörde leicht entgehen kann, wird von vornherein der Riegel gestoßen und damit vielfachen Bemühungen, Unkosten, Mißvergnügen und Enttäuschungen der Faden abgeschnitten. Im Weitem ist die Bundesbehörde im Falle, mit Hülfe ihrer diplomatischen und konsularischen Agenten genaue Kenntniß über den Specialfall sich zu verschaffen und allfällige Schwierigkeiten zu beseitigen.

Die Fassung des Gesezes schließt nicht aus, daß der Bewerber sein Gesuch bei der Kantonsregierung zuhanden des Bundesrathes einreicht. Dem Ermessen des leztcrn bleibt es auch anheimgestellt, ob er im Specialfalle von der Kantonsregierung ein Gutachten verlangen will oder nicht.

Wir halten es für angemessen, die Erwerbung des schweizerischen Bürgerrechtes mit einigen Garantien für ihre Ernsthaftigkeit zu umgeben und namentlich zu verlangen, daß der Petent sich in der Schweiz thatsächlich ansiedle. Es wird ein f e s t e s D o m i z i l von wenigstens einem Jahre gefordert. Diese Zeitfrist bleibt zwar hinter den Vorschriften der meisten kantonalen Gesezgebungen zurük, allein sie drükt nur das Minimum dessen aus, was gefordert werden soll. Der kantonale Gesezgeber kann in dieser Richtung weiter gehen, wie überhaupt nach erhaltener Bewilligung des Bundesrathes, alle weitern Bedingungen für den Erwerb des Gemeindeund Kantonsbürgerrechtes den Kantonen ungeschmälert vorbehalten bleiben, was zur Beseitigung allfälliger Mißverständnisse hier ausdrüklich bemerkt sein soll.

Die Frist von einem Jahr Aufenthalt erstrekt sich auf das ganze schweizerische Gebiet, während die kantonalen Fristen gewöhnlich nur^den Aufenthalt im betreffenden Kantone
berüksichtigen.

Wie weit soll sich die Naturalisation innerhalb der Familie des Bewerbers erstreken? Unzweifelhaft folgt ihm seine Ehefrau im neuen Bürgerrechte. Nach schweizerischem Rechte soll das Gleiche auch bei sämmtlichen minderjährigen Kindern der Fall sein. Das französische Gesez dagegen behandelt die minder-

901 jährigen Kinder eines im Auslande naturalisirten Franzosen troz dieses Faktums als französische Bürger und unterwirft sie dem Militärdienste im Lande. Entziehen sie sich demselben und betreten sie das französische Gebiet, so werden sie als Refraktärs vor die Gerichte gestellt und bestraft. In Deutschland wird gegenüber Söhnen, welche nach zurükgelegtem 17. Altersjahre mit ihren Eltern auswandern wollen, und sich aus den Umständen ergibt, daß sie der Militärpflicht sich zu entziehen beabsichtigen, die Bewilligung zur Auswanderung verweigert. Die Auswanderung wird zwar nicht verhindert, und es tritt auch keine gerichtliche Verfolgung und Bestrafung ein ; allein wenn Dienstpflichtige während der Zeit ihrer Dienstpflicht in die frühere Heimat zurükkehren, und sich daselbst wieder niederlassen wollen, werden sie ausgewiesen, wenn sie auch inzwischen die Nationalität in einem andern Staate erworben haben. In der soeben ausgeführten Verschiedenheit der Gesezgebungen liegt nun die Quelle der meisten Konflikte. Die Vorsicht gebietet deßhalb, im Spezialfalle die Verhältnisse jedes einzelnen Kindes zu prüfen, und die Aufnahme in das Bürgerrecht nur insoweit zu bewilligen, als auch in Beziehung auf die Kinder der frühere Staatsverband als gelöst erscheint.

Die Gültigkeit der Dauer der bundesräthlichen Bewilligung wird auf zwei Jahre beschränkt, immerhin in der Meinung, daß dieselbe, wenn die Umstände es gestatten, wieder neuerdings ertheilt werden kann.

Der zweite Theil des Gesezentwurfes beschlägt den V e r z i c h t auf das schweizerische Bürgerrecht. Es hätte uns sehr wünschenswerth geschienen , diese Materie erschöpfend behandeln und über alle Fälle des V e r l u s t e s des schweizerischen Bürgerrechtes gemeingültige Regeln aufstellen zu können. Die Gesezgebungen der meisten Staaten knüpfen an gewisse Thatsachen, z. B.

die Naturalisation in einem fremden Staate oder den langen Aufenthalt im Auslande ohne Intention der Rükkehr u. dgl., den Verlust der bisherigen Nationalität von Gesezes wegen. Der i n n e r l i c h aufgehobene Verband zum ehemaligen Heimatlande wird in legaler Form auch rechtlich beseitigt; dieses Verfahren erspart den betreffenden Staaten die unangenehme Lage, sich in Momenten der Verlegenheiten unter dem Titel früherer Staatsangehörigkeit und Abstammung um Schuz und Hülfe angesprochen
zu sehen, während die gleichen Leute sich Generationen hindurch um ihre angebliche Heimat nicht im Mindesten bekümmert haben. Allein die schweizerische Bundesverfassung stellte sich bekanntlich mit vollem Bewußtsein auf einen abweichenden Gesichtspunkt und beschränkte das Gesezgcbungsrecht des Bundes auf die Fälle, wo ein Schweizer z u m

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Z w e k e d e r E r w e r b u n g eines a u s l ä n d i s c h e n r e c h t e s auf sein Bürgerrecht verzichten will.

Bürger-

Bei dieser Einschränkung liegen im Wesentlichen folgende Fragen zur Lösung vor: 1) Wer ist zum Verzieht berechtigt?

2) Auf wen erstrekt sich die Wirkung des Verzichts?

3) Wer soll über allfällige Streitigkeiten entscheiden ?

4) Wer soll die Entlassung aus dem schweizerischen Staats- und Gemeindeverband ertheilen, die Bundes- oder die kantonale Behörde?

Ad 1. Daß der Verzichtende handlungsfähig sein müsse, ist unbestritten. Dagegen gehen die Meinungen sehr auseinander, ob die Handlungsfähigkeit sich nach den Gesezen der frühern Heimat oder desjenigen Landes richten müsse, dem der Verzichtende jczt und fortan angehört. Unter Herbeiziehung der weitem für die Gültigkeit des Verzichtes notwendigen Bedingungen, daß der Potent das Bürgerrecht eines andern Staates bereits erworben habe oder dasselbe ihm zugesichert sei, und daß er in der Schweiz kein Domizil mehr besize, somit der persönliche Verband des Austretenden mit seinem frühern Heimatsstaate rechtlich und faktisch vollständig gelöst ist, hält es der Bundesrath für folgerichtig, daß die Frage der Handlungsfähigkeit nach dem Rechte des neuen Staates entschieden werde. Diese Lösung schneidet alle Komplikationen mit dem Icztern ab, der, nachdem er den frühem Schweizer als seinen Bürger aufgenommen hat, als seine Befugniß beanspruchen kann, die privatrechtliche Stellung des neuen Bürgers zu reguliren. Gegenüber Staaten, mit denen Verträge bezüglich der Freiheit von Handel und Wandel, Gleichstellung im Rechte u. dgl. bestehen, können wir uns der Anerkennung dieses Anspruches kaum entziehen. Auf der andern Seite wollen wir nicht bestreiten , daß oft Privatinteres.sen von schweizerischen Angehörigen, die in Vormundschafts-, Verwaltungs-, Erbrechtsverhältnissen, in der Gefahr der Rükkehr eines verarmten Ausgewanderten beruhen u. s. w., hier im Spiele stehen und die Anwendung des schweizerischen Rechtes befürwoi'teu. Konkret läuft die Frage in der Regel darauf hinaus, ob das Vermögen herausgegeben werden müsse oder nicht. Wenn wir aber überhaupt das Recht der freien Auswanderung anerkennen, können wir nicht gleichzeitig unsere Bürger der Mittel hiezu berauben und sollen also die Konsequenz mit in den Kauf nehmen.

903 Ad 2. Noch schwieriger ist die zweite Frage, auf wen die Wirkung des Verzichts sich erstreken soll. Sobald man nämlich diese Wirkung über die Person des Verzichtenden hinaus ausdehnen will, so steht es in seiner Gewalt, beliebig über Frau und Kinder zu verfügen, sie ihrer Heimat, allen Schuzes und aller Hülfe, welche sie in dieser Heimat finden könnten, zu berauben. Umgekehrt entstehen ebenfalls große Schwierigkeiten und Uebelstände, wenn die Nationalität einer Familie sich spaltet und damit alle Rechtsverhältnisse in derselben unsicher werden.

Nach unserm Erachten soll zum Mindesten die Ehefrau unbedingt der Nationalität des Ehemannes folgen. Geschieht die Auswanderung gegen ihren Willen und nimmt sie an derselben keinen Antheil, so wird sie in der Regel auch das eheliche Band zu lösen trachten und auf diesem Wege für ihr eigenes Interesse sorgen.

Dagegen können für die minderjährigen Kinder, ähnlich wie bei der Aufnahme in das Bürgerrecht, Ausnahmen gemacht werden.

Leben und verbleiben sie mit dem auswandernden Vater in gemeinsamer Haushaltung, so folgen sie seiner Nationalität ; allein das wechselvolle Leben kann es auch anders erheischen, weßhalb in Beziehung auf die Kinder nicht für alle Fälle die Regel starr festgehalten werden soll.

Die Härten, welche allfällig aus dem Dispositionsrechte des Familienvaters über die Nationalität von Frau und Kindern in einzelnen Fällen erwachsen könnten, werden durch den Vorbehalt des Rüktrittes (Art, 8) gemildert.

Ad 3. Die Entscheidung über Konflikte betreffend die Gültigkeit eines Verzichts wird in die Hände des Bundesgerichts gelegt.

Dergleichen Streitigkeiten spielen in der Regel zwischen dem Bürger und den Kantonal- und Kommunalbehörden; leztere sind mindestens indirekt dabei betheiligt. Das Bundesgericht befindet sich den widerstreitenden Interessen gegenüber in völlig unparteiischer Stellung. Auch haben Konflikte über die Anwendung fremden oder einheimischen Rechtes einen internationalen Charakter. Es scheint deßhalb passend, dieselben, wie die Streitigkeiten über Anwendung der Staatsverträge, dem Bundesgerichte zuzuweisen.

Ad 4. Da bei der Entlassung aus dem bisherigen Bürger und Staatsverband die Beziehungen der Gemeinde und des Kantons im Vordergrunde stehen, diejenigen des Bundes dagegen erst in zweiter Linie in Betracht fallen, glaubten wir das u m g e k e h r t e

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Verfahren von dem, was für die Aufnahme in das schweizerische Bürgerrecht angeordnet ist, für die Entlassung eintreten lassen und die Formalitäten derselben den kompetenten Behörden des Kantons überlassen zu müssen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 2. Juni 1876.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes.

Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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(Entwurf)

Bundesgesez betreffend

die Ertheilung des Schweizerbürgerrechtes und den Verzicht auf dasselbe.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g d e r s c h w e i z e r i s c h e n Eidgenossenschaft, in Ausführung des Art. 44 der Bundesverfassung; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom beschließt:

I. Ton der Ertheilung des Schweizerbürgerreclits.

Art. 1. Wenn ein Ausländer das Schweizerbürgerrecht zu erwerben wünscht, so hat er hiefür in erster Linie vom Bundesrathe eine Bewilligung zur Erwerbung eines schweizerischen Kantons- und Gemeindebürgerrechtes zu verlangen.

Im Falle, daß ein Kanton oder eine Gemeinde einem Ausländer das Bürgerrecht schenkungsweise ertheilen will, ist die Bewilligung dazu durch die betreffende Kantonsregierung bei dem Bundesrathe ebenfalls nachzusuchen.

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Art. 2. Der Bundesrath wird die Bewilligung nur an solche Bewerber ertheilen, 1) welche vom Zeitpunkte der Bewerbung an gerechnet seit wenigstens einem Jahre in der Schweiz ihren ordentlichen Wohnsiz gehabt haben; 2) deren Verhältnisse gegenüber dern bisherigen Heimatstaate für den Fall der Entsprechung so gelöst sind, daß anzunehmen ist, es werden aus der Aufnahme derselben in den schweizerischen Staatsverband keine Konflikte entstehen.

Art. 3. Die Naturalisation erstrekt sich auf die Ehefrau und die minderjährigen Kinder des Bewerbers, soweit für leztere nicht mit Rüksicht auf Art. 2, Ziff. 2 eine ausdrükliche Ausnahme gemacht wird.

Art. 4. Jede Ertheilung des Orts- und Kantonsbürgerrechts an Ausländer ohne die vorherige Bewilligung des Bundesrathes ist ungiltig.

Hinwieder ist das Schweizerbürgerrecht erst dann erworben, wenn zu jener Bewilligung des Bundesrathes der Erwerb eines Orts- und Kantonsbürgerrechts gemäß den Bestimmungen der betreffenden Kantonalgesezgebung hinzugekommen ist.

Die bundesräthliche Bewilligung erlischt nach Ablauf von zwei Jahren seit ihrer Ausstellung.

u. Vom Verzichte auf das SchweizerMrgerrecht.

Art. 5. Ein Schweizerbürger kann auf sein Bürgerrecht verzichten, insofern er a. nach den Gesezen des Landes, in welchem er wohnt, handlungsfähig ist; b. das Bürgerrecht eines andern Staates bereits erworben hat, oder dasselbe ihm zugesichert ist; c. er in der Schweiz kein Domizil mehr besizt.

907 Art. 6. Die Verzichtserklärung ist schriftlich der Kantonsregierung einzureichen und von derselben der betreffenden Gemeindebehörde für sich und zuhanden der Betheiligten mit Festsezung einer Frist von längstens 4 Wochen für allfällige Einsprachen zur Kenntniß zu bringen.

Streitigkeiten über die Zuläßigkeit eines Verzichtes werden vom Bundesgerichte gemäß Art. 61 bis 63 des Gesezes über die Organisation der Bundesrechtspflege entschieden.

Art. 7, Sind die im Artikel 5 genannten Bedingungen erfüllt, und liegt eine Einsprache nicht vor, oder ist dieselbe gerichtlich abgewiesen, so spricht die Behörde, welche hiezu niich den kantonalen Gesezen befugt ist, die Entlassung aus dem Kantons- und Gemeindebürgerrecht aus.

Die Entlassung, welche auch den Verlust des Schweizerbürgerrechtes in sich schließt, erfolgt mit der Zustellung der Entlassungsurkunde an den Verzichtenden.

Sie erstrekt sich auch auf die Ehefrau und die minderjährigen Kinder, insofern nicht für die lezteren ausdrükliche Ausnahmen gemacht werden.

Art. 8. Die Witwe, sowie diejenigen Kinder eines entlassenen Schweizerbürgers, welche zur Zeit der Entlassung noch minderjährig waren, sind berechtigt, bei dem Bundesrathe die Wiederaufnahme in das Schweizerbürgerrecht zu verlangen. Diese Berechtigung erlischt für die Kinder fünf Jahre nach erlangter Volljährigkeit.

Der Bundesrath wird die Wiederaufnahme aussprechen, wenn die Bedingungen erfüllt sind, welche Art. 2$ Ziff. 2 dieses Gesezes für die Bewerbung um das Bürgerrecht aufstellt und der Bewerber in der Schweiz wohnt.

Durch die Wiederaufnahme in das Schweizerbürgerrecht,, welche mit der Zustellung der darüber errichteten Urkunde erfolgt, wird auch das frühere Kanlons- und Gemeindebürgerrecht von Gesezes wegen erworben.

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III.

Schlussbestimmungen.

Art. 9. Alle mit diesem Geseze im Widerspruch stehenden Bestimmungen der Gesezgebung des Bundes und der Kantone sind aufgehoben.

Art. 10. Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesezes vom 14. Brachmonat 1874, betreffend Volksabstimmung über Bundesgeseze und Bundesbeschlüsse, die Bekanntmachung dieses Gesezes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusezen.

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Bundesrathsbeschluss in

Sachen der Frau Maria Brun, geb. Stalder, wohnhaft in Winterthur, betreffend Verweigerung von Legitimationspapieren.

(Vom

2. Februar 1876.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen der Frau M a r i a B r u n geb. S t a l d e r , wohnhaft in Winterthur, betreffend Verweigerung von Legitimationspapieren, -- nach angehörtem Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus sich ergeben: I. Mit Beschluß vom 27. Oktober 1875 wies die Regierung des Kantons Luzern die Beschwerde der Rekurrentin gegen die Verfügung des Gemeinderathes von Wolhausen vom 30. Juli gleichen Jahres, womit ihr die Ausstellung eines besondern Heimatscheines verweigert wurde, als unbegründet ab, einerseits weil nach § 111 des Organisationsgesezes die Beschwerde verspätet sei, und andererseits weil die Frau Brun als ungeschiedene Ehefrau des in Buholz, Gemeinde Ruswyl, wohnhaften Johann Brun, gemäß §§ 46 und 51 des bürgerlichen Gesezbuches verpflichtet sei, dem Wohnsize des leztern zu folgen, -- weil der Ehemann Brun die Einwilligung zur Ausstellung besonderer Schriften für seine Frau verweigere, und weil auch der Gemeinderath nach § 20 des Gesezes über FremdenBundesblatt. 28. Jahrg.

Bd. II.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zum Gesezentwurf, betreffend den Erwerb des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe. (Vom 2.

Juni 1876.)

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Jahr

1876

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2

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26

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

10.06.1876

Date Data Seite

897-909

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10 009 134

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