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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend ; das Strafnachlassgesuch des Gottlieb Egg von Schlatt, Kts. Zürich, gewesenen Lokomotivführers der Uetlibergbahn.

(Vom 24. Mai 1876.)

Tit.

Mit Beschluß vom 15. Juni 1875 haben wir in Anwendung von Artikel 74 des Bundesgesezes über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853 die Gefährdung eines Eisenbahnzuges auf der Uetlibergbahn, welche am 18. Mai 1875 Vormittags 11 Uhr stattgefunden hatte, den Gerichten des Kantons Zürich zur Untersuchung und Beurtheilung überwiesen.

In Folge dessen erklärte das Bezirksgericht Zürich mit Urtheil vom 19. Juli 1875 den Lokomotivführer G ö t t l i c h Egg von Schlatt, Bezirks Winterthur, wegen Dienstpflichtverlezung im Sinne des Artikel 67 litt, b des erwähnten Bundesstrafgesezes, schuldig und verurtheilte ihn zu einer Woche Gefängnißstrafe, die indessen durch den Untersuchungsverhaft als erstanden erklärt wurde, und zu einer Buße von Fr. 100, sowie zur Bezahlung der Kosten.

Gegen dieses Urtheil ergriffen sowohl die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich als auch Gottlieb Egg selbst die Appellation,

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und unser Justiz- und Polizeidepartoment schloß sich der Appellation der Staatsanwaltschaft an. Die Appellationskammer des Obergerichtes des Kantons Zürich bestätigte jedoch am 4. September 1875 das erstinstanzliche Urtheil und verurtheilte den Gottlieb Egg auch noch zur Bezahlung der zweitinstanzlichen Kosten.

Der Verurtheilte konnte aber die Buße nichi bezahlen, weshalb sie gemäß Artikel 8 des Bundesstrafgesezes in Gefängnißstrafe umgewandelt werden mußte, wobei nach gesezlicher Vorschrift für je Fr. 5 Buße ein Tag G-efängniß zu rechnen war.

Als es sich jedoch um die Vollziehung dieser Gefängnißstrafe handelte, mußte diese Vollziehung verschoben werden, weil der Vertheidiger des Gottlieb Egg, Herr Nationalrath Forrer in Winterthur, erklärte, bei der Bundesversammlung ein Begnadigungsgesuch eingeben zu wollen. Herr Forrer gab diesem Vorsaze mit Eingabe vorn 17. März 1876 Folge. Indem wir dieselbe hiermit Ihrem Entscheide unterbreiten, fügen wir zugleich sämmtliche Akten bei und erstatten Ihnen im Weitern folgenden Bericht: Der Thatbestand ist in den beiden Urtheilem gestüzt auf die Akten wie folgt dargestellt: Gottlieb Egg sei am IS. Mai 1875 mit' dem um 11 Uhr Vormittags von der Station Uetliberg abgehenden Bahnzuge schon im Anfange zu schnell abgefahren und habe auf der Maschine überhaupt unrichtig manipulirt, so daß der Zug, nachdem er die kleine horizontale Ebene durchlaufen, auf der Berglinie (mit 7 und später mit 6 °/o Gefäll") in rasender Schnelligkeit herunter gefahren sei.

Egg sei unweit der Station Waldegg von der Maschine heruntergesprungen. Bald nachher habe der Zug durch angestrengte Thätigkeit der übrigen Bahnangestellten zum Stehen gebracht werden können. Von den 25--30 Passagieren sei Niemand beschädigt worden. Dagegen habe Egg, welcher besinnungslos am Bord gelegen, an Gehirnerschütterung leidend, in den Spital gebracht werden müssen. Bis den 28. Mai sei er im Spital und von da an bis zum 7. Juni 1875 in Untersuchungshaft geblieben.

Egg vertheidigte sich im Wesentlichen mit der Behauptung, daß er die Luftbremse angewendet habe, aber ohne Erfolg, weil die Schienen feucht gewesen und wegen Mangel an Sand keine Spannung habe hergestellt werden können. Es sei auch unmöglich gewesen, Contredampf zu geben, weil zu wenig Dampf im Kessel sich befunden habe. Die Angabe, daß er von der
Maschine gesprungen, sei unrichtig, vielmehr sei er von der Treppe der Lokomotive heruntergeschleudert worden, als er habe nachsehen, wollen, Bundesblatt. 28. Jahrg. Bd. II.

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ob die Räder schleifeu. Der Zug hätte niemals in eine so große Schnelligkeit gerathen können, wenn die Kondukteure auf den beiden Wagen schon bei der Abfahrt die Bremsen vorschriftsgemäß angezogen hätten.

Der Oberingenieur der Uetlibergbahn erklärte, daß bei richtiger Handhabung der Luftbremse der Zug unfehlbar hätte zum Stehen gebracht werden müssen. Die Luftbremsen seien wirksamer als Contredampf. Damit im Einklänge sprach sich auch das technische Inspektorat für die schweizerischen Eisenbahnen in einem Gutachten vom 17. Juni 1875 dahin aus, daß die an den Lokomotiven der Uetlibergbahn angebrachten Luftbremsen auch auf den Maximalgefällen dieser Bahn ausreichen, um die Räder dieser Maschine gänzKch zum Stillstand zu bringen.

Im Weitern bemerkte der Oberingenieur der Bahn, daß Egg allerdings kein Sand zur Verfügung gehabt habe. Der Gebrauch von solchem sei auch nicht nothwendig. Sand sei überhaupt ein unzuverläßiges Mittel.

Gegenüber der Behauptung des Gottlieb Egg, daß die beiden Kondukteure nicht gehörig gebremst haben, erklärte der Kondukteur Rudolf Huber, daß er die Bremse an seinem Wagen vor dem Gefalle noch früher als gewöhnlich angezogen habe, und auch der Zugführer Jakob Stöckli erklärte, daß er seine Bremse sofort angezogen, als er bemerkt habe, daß der Zug zu schnell vorgehe. Als der Lokomotivführer das Signal zum Bremsen gegeben, habe er -- Stöckli -- seine Bremse schon ziemlich stark angezogen gehabt.

Mit Bezug auf die übrigen Angaben des Egg ist hervorzuheben, daß das Obergericht von Zürich dahin sich ausgesprochen hat, es könne nach den Akten nicht bezweifelt werden, daß derselbe beim Abfahren von Anfang an zu schnell gefahren sei und daß aus diesem Grunde es unmöglich gewesen sei, den Zug zum Stehen zu bringen, bis er eine längere Streke in gefährlicher Schnelligkeit durchlaufen gehabt. Dieses Verfahren müsse als eine strafbare Nachläßigkeit betrachtet M'erden, da dem Angeklagten sehr wohl bekannt gewesen, welche Gefahren mit einem zu schnellen Fahren auf einer Streke mit so ausnahmsweise großem Gefalle verbunden seien. Zudem sei durch § 5 der gedrukten Instruktion den Lokomotivführern der Uetlibergbahn noch besonders eingeschärft, daß namentlich bei der Thalfahrt die vorgeschriebene Fahrgeschwindigkeit nicht überschritten werden dürfe.

Gegenüber dem Zeugniß des Heizers Frei, er habe gesehen, wie der Angeklagte, nachdem er auf die Treppe der Lokomotive

927 hinuntergestiegcn, von dort abgesprungen sei, nahm das Obergericht an, Frei könne sich in der Aufregung leicht geirrt und das plözliche Wegfliegen des Führers von der Lokomotive als ein absichtliches Wegspringen desselben angesehen haben-, im Zweifel müsse aber die dem Angeklagten günstigere Annahme dem Urtheil zu Grunde gelegt werden.

Der Vertheidiger des Gottlieb Egg stellt nun das Gesuch, die Bundesversammlung möchte diesem auf dem Wege der Gnade die Geldbuße und die Kosten, soweit leztere nicht in Baarauslagen bestehen, erlassen. Zur Begründung machte Herr Forrer geltend: Nach dem gegenwärtigen Stande der Technik sei die Anwendung von Sand immer noch das beste und sicherste Mittel, einen abwärts fahrenden Eisenbahnzug zum Stehen zu bringen. Für diese Behauptung dürfe das Gutachten der erfahrnen Techniker des eidgenössischen Eisenbahndepartementes angerufen werden. Egg habe auch wiederholt Sand verlangt, allein der Oberingenieur der Gesellschaft, Herr Tobler, habe den Gebrauch desselben verweigert.

Unmittelbar nach dem Unfälle aber seien die Sandbüchsen an den Lokomotiven der Uetlibergbahn gefüllt worden, wenn auch angeblich nur zu dem Zweke, ,,um den Führern jede Ausrede unmöglich zu machen.tt Der fragliche Zug sei zwar etwas zu schnell von der Station Uetliberg abgefahren, aber Egg habe in besonnenster Weise alle ihm zu Gebote gestandenen Sicherungsmittel angewendet. Es habe indeß nichts geholfen, da ihm das sicherste Mittel, das Sand, nicht zur Verfügung gestanden habe. Dazu komme noch, daß der Unfall in den ersten Tagen des Betriebes einer Bergbahn, also zu einer Zeit, wo noch Jedermann habe lernen müssen, vorgekommen sei, sowie daß am 18. Mai leichte Regenschauer die Schienen äußerst schlüpfrig gemacht haben.

Aus einem Berichte der Regierung von Zürich geht hervor, daß der Petent sich niemals in seiner Heimatgemeinde aufgehalten hat und bis zu seiner Anstellung bei der Uetlibergbahn in der Fremde gewesen ist. Im Uebrigen bemerkte die Regierung, sie möchte bezweifeln, ob das Maß der über den Petenten verhängten Strafe eine Begnadigung hinreichend zu begründen vermöchte.

Vielmehr dürfte ihres Erachtens in Berüksichtigung des wiederholt in der Bundesversammlung laut gewordenen Wunsches, es möchte mit den Strafandrohungen gegen Eisenbahngefährdung Ernst gemacht werden, und im Hinblik auf die große Gefahr, welcher durch das Benehmen des Egg eine bedeutende Anzahl von Personen ausgesezt gewesen, das Urtheil ein mildes genannt werden.

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Wir unsererseits schließen uns ganz dieser Ansicht der Regierung von Zürich an, und stellen den Antrag: es sei auf das Begnadigungsgesuch des Gottlieb Egg nicht einzutreten.

Genehmigen Sie, Tit., die erneuerte Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung.

Bern, den 24. Mai 1876.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schiess.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Fristverlängerung für die Wasserfallen- und die Waldenburgerbahn.

(Vom 30. Mai 1876.)

Tit.!

Durch die vom Kanton Basel-Landschaft am 15. Juli 1872 für die Eisenbahn von Liestal durch das Reigoldswylerthal bis zur Kantonsgrenze auf der Wasserfalle ertheilte Konzession wurde die schweizerische Centralbahn verpflichtet, die Bauarbeiten am Tunnel der Wasserfalle innerhalb 6 Monaten, von dem Tage an, wo die ganze Wasserfallenbahn vom Bunde genehmigt wäre, zu beginnen, und innerhalb 5 Jahren vom nämlichen Zeitpunkte an zu vollenden.

Die Fortsezung der Bahn, von der Grenze auf der Wasserfalle bis zum Anschluß an die Gäubahn bei Oensingen, -- ganz auf Solothurner Gebiet fallend --, wurde nicht mehr unter der Herrschaft des alten Eisenbahngesezes, sondern durch Bundesbeschluß vom 23. September 1873 konzedirt, und zwar mit folgenden Baufristen: Finanzausweis und Bauvorlagen bis 23. März 1874, Beginn der Erdarbeiten bis 31. Juli gleichen Jahres, Vollendung bis 31. März 1879.

Demnach war nur die Ausweisfrist für beide Kantonsgebiete gleich, wäre dagegen der basellandschaftliche Theil der Linie zirka 1/2 Jahr früher (bis 23. September 1878) zu vollenden gewesen, als der solothurnische.

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend ; das Strafnachlassgesuch des Gottlieb Egg von Schlatt, Kts. Zürich, gewesenen Lokomotivführers der Uetlibergbahn. (Vom 24. Mai 1876.)

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10.06.1876

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