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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und dem Grossherzogthum Luxemburg.

(Vom 25. Februar 1876.)

Tit.!

Nachdem die Regierung des Großherzogthums Luxemburg dem Bundesrathe gegenüber den Wunsch ausgesprochen hatte, einen Auslieferungsvertrag abzuschließen, haben wir unsern Gesandten in Paris, Herrn Dr. Kern, mit den dießfälligen Verhandlungen und Vertragsabschluß beauftragt. Von Seite der luxemburgischen Regierung wurde Herr Jonas, Staatsrath und luxemburgischer Geschäftsträger in Paris, bevollmächtigt. Die beiden Unterhändler unterzeichneten den Vertragsentwurf den 10. Februar 1876 in Paris.

Auf dem Gebiete des Großherzogthums Luxemburg besteht zur Stunde noch das alte französische Strafgesezbuch von 1810 in Kraft; es wird aber in nächster Zukunft und beinahe textuell das belgische Strafgesez eingeführt werden. Aus diesem Grunde wurde für die Vertragsabfassung der Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Belgien vom 13. Mai 1874 als wesentliches Vorbild benüzt. Einige Modifikationen wurden den neuern Verträgen der Schweiz mit Portugal, Großbritannien, Frankreich und dem Deutschen Reiche entlehnt.

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Der Text des Vertrages bietet zu wenigen Bemerkungen Anlaß. Die Auslieferungspflicht tritt nur dann ein, wenn die Handlung, weßhalb die Verfolgung stattfindet, in dem Lande, das die Auslieferung zu bewilligen hat, ebenfalls strafbar ist. Dießfalls wurde lediglich die Redaktion des belgischen Vertrages ,,l'extradition ne pourra avoir lieucc in die Worte ,,n'est pas obligatoire que si le fait similaire est punissable dans le pays auquel la demande est adressée" umgewandelt.

Die politischen Verbrechen und Delicte sind vom Vortrage ausgeschlossen; ebenso die rein militärischen Vergehen, wie Desertion u. dgl., was durch den Schlußsaz des Art. 3: ,,!'extradition . . .

ne pourra avoir lieu pour aucun des crimes ou délits non prévus dans le présent traité", und zur größern Klarheit durch Einschiebung der Worte ,,ou purement militaires" in den Artikel 14 ausgedrükt wird.

Die provisorische Verhaftung kann zwischen den zuständigen Gerichts- und Polizeistellen der beiden Länder auf dem direkten Korrespondenzwege oder durch den Telegraphen auf Grundlage eines Verhaftungsbefehles verlangt werden. Das Auslieferungsbegehren zwischen den beiden Regierungen geschieht in der Regel ebenfalls durch direkte Korrespondenz; eventuell können die in Paris accreditirten diplomatischen Agenten für die Vermittlung in Anspruch genommen werden.

Der Bundesrath hat die Ehre, Ihnen, Tit., die Ratifikation des am 10. Februar 1876 mit dem Großherzogthum Luxemburg abgeschlossenen Auslieferungsvertrages und demnach die Annahme des nachfolgenden Besehlußentwurfes zu beantragen, wobei er gleichzeitig den Anlaß benuzt, Sie, Tit., seiner vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 25. Februar 1876.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schiess.

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(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

die Genehmigung des Auslieferungsvertrags zwischen der Schweiz und dem Grossherzogthum Luxemburg, vom 10. Februar 1876.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht des unterm 10. Februar 1876 von den beiderseitigen Bevollmächtigten in Paris abgeschlossenen Auslieferungsvertrages, sowie der bezüglichen Botschaft des Bundesrathes vom 25. gleichen Monats, beschließt: Art. l. Dem zwischen der Schweiz und dem Großherzogthum Luxemburg unterm 10. Februar 1876 in Paris abgeschlossenen Vertrage, betreffend gegenseitige Auslieferung von Verbrecher», wird hiemit die vorbehaltene Ratifikation ertheilt.

Art. 2. Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Auslieferungsvertrag zwischen

der Schweiz und dem Grossherzogthum Luxemburg.

Der Bundesrat h der schweizerischen Eidgenossenschaft und

'Seine Majestät der König der Niederlande, Grossherzog von Luxemburg, für Luxemburg, in der Absicht, einen Vertrag über die gegenseitige Auslieferung von Verbrechern abzuschließen, haben als ihre Bevollmächtigten, «rnannt : Der schweizerische Bundesrath, Herrn Johann Konrad K e r n , außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister der schweizerischen Eidgenossenschaft bei der französischen Republik, und Seine Majestät der König der Niederlande, Grossherzog von Luxemburg, Herrn J o n a s , Mitglied seines Staatsrathes für das Großherzogthum Luxemburg, seinen Geschäftsträger in Paris, GroßOffizier seines königlich-großherzoglichen Ordens der Eichenkrone, Kommandeur des nationalen Ordens der Ehrenlegion, welche, nach Auswechslung ihrer in gehöriger Form befundenen Vollmachten, über folgende Artikel sich vereinbart haben : A r t i k e l 1.

Der schweizerische Bundesrath und die Regierung des Großherzogthums Luxemburg verpflichten sich gegenseitig, auf das von einer der beiden Regierungen an die andere gestellte Begehren alle Individuen, mit Ausnahme der eigenen Angehörigen, auszuliefern, welche wegen eines der im folgenden Artikel aufgezählten Ver-

606 brechen oder Vergehen als Urheber oder Mitschuldige von dea kompetenten Behörden des andern Landes in Untersuchung gezogen oder verurtheilt worden sind, und die sich aus Luxemburg nach der Schweiz oder aus der Schweiz nach Luxemburg geflüchtet haben.

Artikel 2.

Die Verbrechen und Vergehen, wegen welcher die Auslieferung; stattfindet, sind: 1) Mord.

2) Verwandtenmord.

3) Kindesmord.

4) Vergiftung.

5) Todtschlag.

6) Abtreibung der Leibesfrucht.

7) Nothzucht.

8) Doppelehe und Vielweiberei.

9) Gewaltsamer Angriff auf die Schainhaftigkeit.

10) Ohne Gewalt verübter Angriff auf die Schamhaftigkeit minderjähriger Personen beiderlei Geschlechts unter dem Alter von.

14 Jahren, oder mit Hülfe solcher Personen.

11) Verlezung der Sittlichkeit durch gewerbsmäßige Förderung,.

Erleichterung und Begünstigung der Sittenlosigkeit oder Ausschweifung von Minderjährigen des einen oder andern Geschlechtes, selbst auch in dem Fall, wo es zur Befriedigung der Leidenschaften Anderer geschehen sollte.

12) Verlezung der Schamhaftigkeit durch Erregung öffentlichen.

Aergernisses.

13) Entführung von Minderjährigen.

14) Aussezung oder Verlassung von Kindern.

15) Wegnahme, Verheimlichung, Unterdrükung, Vertauschung oder Unterschiebung von Kindern.

16) Absichtliche Körperverlezung, die entweder den Tod, oder eine Krankheit, oder Arbeitsunfähigkeit bleibend oder während mehr als 20 Tagen, oder die eine Verstümmelung, Amputation oder Unbrauchbarkeit eines Gliedes, Erblindung, Verlust eines Auges, oder andere bleibende Gebrechen zur Folge .hatte.

17) Komplott zur Ausübung von Gesezübertretungen, die in, diesem Vertrage vorgesehen sind.

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18) Bedrohung von Personen oder Eigenthum die im Verbrechensgrade strafbar ist.

19) Erpressung.

20) Widerrechtlicher Angriff durch Privatpersonen auf die Unver lezlichkeit des Domizils und gesezwidriges Gefangennehmen oder Gefangenhalten von Personen.

21) Absichtliche Brandstiftung.

22) Diebstahl und Unterschlagung; Erpressung von Unterschriften, oder von Schriftstüken, welche eine Verpflichtung, Verfügung oder Entlastung enthalten oder bewirken.

23) Betrug und ähnliche Prellereien.

24) Vertrauensmißbrauch; die Wegnahme, Unterschlagung oder Zerstörung von sequestrirten Gegenständen.

25) Amtsmißbrauch und Unterschlagung durch öffentliche Beamte; Bestechung von Beamten oder von Schiedsrichtern.

26) Unterschlagung von Briefen oder Verlezung des Briefgeheimnisses.

27) Gerichtliche Verleumdung.

28) Münzfälschung, Inbegriffen das Nachahmen und die Fälschung von Münzen, das Ausgeben und Inverkehrsezen von nachgemachten oder gefälschten Münzen; Nachahmung oder Fälschung von Bankscheinen, Rentenscheinen, oder vom Werth papieren, welche von dem Staate, oder mit Ermächtigung des Staates von Korporationen, Gesellschaften oder Privaten ausgegeben werden. Nachahmung oder Fälschung von Staatssiegeln und aller Stempel, Kontrolstempeln und Marken, welche durch die betreffenden Regierungen mit öffentlicher Glaubwürdigkeit versehen worden und für irgend welchen öffentlichen Dienst bestimmt sind. Gebrauch von nachgeahmten und gefälschten Siegeln, Stempeln, Kontrolstempeln und Marken, und der Mißbrauch ächter Siegel, Stempel, Kontroistempel und Marken.

29) Nachahmung oder Fälschung von Staatspapieren, von öffentlichen oder privaten Wertpapieren, Gebrauch, Ausgabe oder Inverkehrsezen solcher nachgsahmter oder gefälschter Staatspapiere, Urkunden, Billete oder Werthschriften. Schriftenfälschung und Gebrauch von gefälschten Papieren.

30) Falsches Zeugniß und falsche Erklärungen von Experten und Uebersezern. Verleitung von Zeugen, Uebersezern. oder Experten zu falschen Angaben.

31) Meineid.

608 32) Betrügerischer Bankerott.

33) In strafbarer Absicht verübte Zerstörung oder Beschädigungvon Bisenbahnen oder Telegraphenlinien.

34) Jede Zerstörung oder Beschädigung von beweglichem oder unbeweglichem Eigenthum.

35) Vergiftung von Hausthieren oder von Fischen in Teichen, Fischweihem oder Behältern.

36) Verheimlichung von Gegenständen, die Jemand behufs Begünstigung einer der im gegenwärtigen Vertrage aufgezählten Gesezübertretungen erhalten hat.

In den vorstehenden Begriffsbezeichnungen ist der Versuch von allen Handlungen Inbegriffen, welche durch die Gesezgebung beider kontrahirenden Länder als Verbrechen oder Vergehen bestraft werden.

Wegen korrcktioneller Handlungen, oder für Vergehen soll die Auslieferung in den hier oben aufgezählten Fällen stattfinden, sofern die nach kontradiktorischem Verfahren oder durch Contumazurtheil ausgesprochene Strafe wenigstens zwei Monate Gefängniß beträgt, -- Verfolgte oder Angeklagte dagegen werden nur ausgeliefert, wenn in demjenigen Lande, welches die Auslieferung verlangt, die eingeklagte Handlung im Maximum mit einer Gefängnißstrafe von wenigstens zwei Jahren oder mit einer gleich schweren Strafe betlroht ist.

In allen Fällen, handle es sich um Verbrechen oder Vergehen, ist die Auslieferung nur dann obligatorisch, wenn die gleiche Handlung in demjenigen Lande, an welches das Auslieferungsbegehren gerichtet wird, ebenfalls strafbar ist.

A r t i k e l 3.

Die politischen Verbrechen und Vergehen sind von dem gegenwärtigen Vertrage ausgeschlossen.

« Es ist ausdrüklich festgesezt, daß ein Individuum, dessen Auslieferung gewährt worden ist, in keinem Falle weder wegen irgend eines seiner Auslieferung vorangegangenen politischen Vergehens, noch wegen einer Handlung, die mit einem solchen Vergehen konnex ist, verfolgt oder bestraft werden darf.

Ebenso darf Niemand wegen irgend eines in der gegenwärtigen Uebereinkunft nicht vorgesehenen Verbrechens oder Vergehens verfolgt oder bestraft werden.

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A r t i k e l 4.

Die provisorische Verhaftung soll stattfinden auf eine durch die Post oder durch den Telegraphen gemachte direkte Anzeige, daß ein Verhaftsbefehl bestehe.

Die kompetente Gerichts- oder Verwaltungsbehörde des einen Staates kann diese Anzeige an die entsprechende Behörde des andern Landes richten. Die angesprochene Behörde soll ohne Verzug die Verhaftung und alle Verhöre und Nachforschungen anordnen, welche geeignet sind, die Identität der Person oder die Beweise für die eingeklagte Handlung festzustellen.

Die provisorische Verhaftung soll in der Form und nach den Regeln vollzogen werden, welche die Gesezgebung des Landes, an welches jenes Ansuchen gestellt worden ist, vorschreibt; sie soll aber aufhören, wenn nach drei Wochen, von dem Moment der Vollziehung an gerechnet, die hierum angegangene Regierung nicht Mittheilung von einem der im Artikel 6 erwähnten Aktenstüke erhalten hat.

Wenn die Auslieferung stattzufinden hat, so wird der angesprochene Staat dem die Auslieferung verlangenden Staate, auf dessen Begehren, die nöthige Zeit gestatten, um von fremden Regierungen die Bewilligung zum Durchtransporte des auszuliefernden Individuums über ihr Gebiet auswirken zu können. Sobald diese Bewilligung erlangt ist, wird er das verdächtige, angeklagte oder verurtheilte Individuum an der Grenze seines Landes dem verfolgenden Staate zur Verfügung stellen und diesem Tag und Ort anzeigen, an welchem die Uebergabe bewerkstelligt werden kann.

A r t i k e l 5.

Das Auslieferungsbegehren selbst wird mit einem einfachen schriftlichen Gesuche von der einen Regierung direkt durch die Post an die andere geschikt.

Im Falle diplomatische Vermittelung nöthig erscheinen sollte, so können hiefür die Gesandtschaften der beiden kontrahirenden Theile bei der französischen Regierung in Anspruch genommen, oder es kann auch jeder andere gleichartige Weg gewählt werden.

A r t i k e l 6.

Die Auslieferung wird bewilligt, entweder auf die Beibringung eines Urtheiles oder eines Erkenntnisses der Gerichtskammer (Chambre du Conseil), oder eines Entscheides der Anklagekammer, oder einer kriminalrechtlichen oder zuchtpolizeilichen, von dem.

610 kompetenten Richter oder der kompetenten Behörde erlassenen Verfügung, wodurch das angeschuldigte oder angeklagte Individuum förmlich und gesezmäßig dem Strafrichter überwiesen wird. Diese Akten müssen in Original oder in amtlich beglaubigter Abschrift in der durch die Gesezgebung des Staates, der die Auslieferung verlangt, vorgeschriebenen Form ausgestellt sein.

Die Auslieferung wird ebenfalls bewilligt gestüzt auf die Vorlage des von der kompetenten auswärtigen Behörde ausgestellten Verhaftsbefehles, oder einer andern Urkunde von gleicher Bedeutung, vorausgesezt, daß diese Aktenstüke die Handlung, wegen welcher sie ausgestellt wurden, genau beschreiben.

Diese Aktenstüke sollen von einer Abschrift des auf die eingeklagte Handlung anwendbaren Gesezes begleitet sein, und soweit möglich von dem Signalement des reklamirten Individuums.

Wenn über die Frage Zweifel entsteht, ob das Verbrechen oder Vergehen, welches Gegenstand der Verfolgung ist, unter die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages falle, so werden nähere Aufschlüsse verlangt, nach deren Prüfung die Regierung, an welche das Auslieferungsbegehren gerichtet ist, darüber entscheidet, ob demselben Folge zu geben sei.

A r t i k e l 7.

Wenn eine Auslieferung stattfindet, so sollen alle sequestrirten Gegenstände, welche geeignet sind, das Verbrechen oder Vergehen zu konstatiren, sowie diejenigen Gegenstände, welche von einem Diebstahl herrühren, dem reklamirenden Staate übergeben werden, gleichviel, ob die Auslieferung stattfinden kann, oder ob sie unmöglich geworden, weil der Angeklagte oder Verurtheilte gestorben ist oder entweichen konnte. Gleichermaßen sollen alle Gegenstände ausgeliefert werden, die der Angeklagte in dem Lande, in das er sich geflüchtet, verstekt oder in Verwahrung gegeben hätte, und die später aufgefunden werden soliteli.

Immerhin bleiben die Rechte vorbehalten, welche dritte, an der Untersuchung nicht betheiligte Personen, auf die in diesem Artikel erwähnten Gegenstände erworben haben könnten.

A r t i k e l 8.

Wenn das Individuum, dessen Auslieferung verlangt wird, in dem Lande, wohin es sich geflüchtet hat, wegen einer dort verübten strafbaren Handlung verfolgt oder verurtheilt ist, so kann seine Auslieferung verschoben werden, bis die Untersuchung nieder-

611 geschlagen, oder bis der Angeklagte freigesprochen, oder aus der Untersuchung entlassen ist, oder bis er seine Strafe ausgestanden hat.

Ist dieses Individuum in dem gleichen Lande wegen privatrechtlichen Verbindlichkeiten, die es gegenüber von Privatpersonen eingegangen hat, verfolgt oder verhaftet, so soll dessen Auslieferung dennoch stattfinden; es bleibt aber der geschädigten Partei vorbehalten, ihre Rechte vor der zuständigen Behörde geltend zu machen.

A r t i k e l 9.

Wenn der Verurtheilte oder Angeschuldigte den beiden Vertragsstaaten fremd ist, so kann die angesprochene Regierung diejenigen Bemerkungen anhören, welche die heimatliche Regierung des in Frage stehenden Individuums gegen die Auslieferung zu machen haben könnte.

Dem Staate, bei welchem die Auslieferung verlangt wurde, steht es frei, den Angeklagten an die Regierung des Landes, in welchem die strafbare Handlung verübt wurde, oder an die Regierung der Heimat auszuliefern, vorausgesezt, daß die leztere sich ·verpflichte, den Angeklagten den Gerichten zu überweisen.

Im Falle das gleiche- Individuum von zwei Staaten wegen verschiedener Verbrechen oder Vergehen reklamirt wird, so entscheidet die angesprochene Regierung, indem sie dabei die Schwere der eingeklagten Handlung in Betracht zieht, oder die vergleichsweise Leichtigkeit, womit der Angeschuldigte, wenn nöthig, vom einen Lande an das andere übergeben werden kann, um nach ein,ander auf die Anklagen zu antworten.

A r t i k e l 10.

Die Auslieferung findet nicht statt, wenn seit der eingeklagten ^Handlung, oder seit dem lezten Untersuchungsakte, oder seit der 'Verurtheilung, nach der Gesezgebung des Landes, in welches der Angeklagte sich geflüchtet hat, die Verjährung der Strafe oder der .Anklage eingetreten ist. Auch kann die Auslieferung verweigert werden, wenn das von einer der beiden Regierungen reklanrirte Individum im anderen Staate wegen der gleichen Anklage, für welche die Auslieferung verlangt wird, bereits in Untersuchung gezogen und von der Anschuldigung freigesprochen worden ist, oder wenn es dort noch unter Anklage stehen oder schon verur.iheilt sein sollte.

612 A r t i k e l 11.

Das ausgelieferte Individuum kann für keine andere Gesezesverlezung verfolgt oder gerichtlich beurtheilt werden, als für diejenige, welche die Auslieferung begründet hat, wenn nicht dasselbe ausdrüklich und freiwillig seine Zustimmung gegeben hat und der Regierung, welche die Auslieferung bewilligte, nicht davon Mittheilung gemacht wurde, oder wenn die strafbare Handlung im Vertrage nicht enthalten sein sollte, sofern nicht vorher die Einwilligung der Regierung, welche die Auslieferung bewilligt hat, ausgewirkt ·worden ist.

A r t i k e l 12.

Die Kosten, welche durch die Verhaftung, die Gefangenhaltung, ciie Ueberwachung, die Verpflegung und den Transport der Ausgelieferten, wie auch durch den Transport der im Art. 7 des gegenwärtigen Vertrages erwähnten Gegenstände bis an den Ort, wo die Uebergabe stattfinden soll, entstehen, fallen demjenigen der beiden Steaten zur Last, auf dessen Gebiet die Ausgelieferten verhaftet worden sind.

Die Transport- und andern Kosten auf dem Gebiete zwischenliegender Staaten werden von dem die Auslieferung verlangenden Staate getragen, gestüzt auf die vorzulegenden Belege.

A r t i k e l 13.

Der Durchtransport über schweizerisches oder luxemburgisches Gebiet eines Individuums, das keinem der beiden Staaten angehört-, aber von einer andern Regierung ausgeliefert worden ist, wird bewilligt auf eine direkte Anfrage, welche von der schweizerischen Regierung derjenigen von Luxemburg oder umgekehrt mit der Post zugeschikt werden kann, und auf einfache Vorlage in Original oder authentischer Ausfertigung eines der im Art. 6 erwähnten Aktenstüke, voriiusgesezt, daß die Handlung, wegen welcher die Auslieferung stattfindet, im gegenwärtigen Vertrage Inbegriffen sei und nicht unter die Bestimmungen der Artikel 3 und 10 falle.

Der Transport wird auf dem schnellsten Wege ausgeführt, unter der Leitung von Polizeiagenten des angesprochenen Staates und auf Kosten der reklamirenden Regierung. Der nachsuchende Staat vergütet einzig die Transportkosten, welche von der angesprochenen Regierung nach dem reduzirten Tarif, mit dem sie begünstigt sein mag, an die Gesellschaften bezahlt worden sind, und auf Vorwels der Belegeakten.

öl3 A r t i k e l 14.

Wenn im Verlaufe eines Strafverfahrens, welches nicht politischer oder rein militärischer Natur ist, eine der beiden Regierungen die Abhörung von Zeugen, die in dem andern Staate wohnen, oder die Vornahme irgend einer andern Untersuchungshandlung als nöthig erachtet, so wird zu diesem Zweke von der kompetenten schweizerischen Behörde an den kompetenten Beamten in Luxemburg oder umgekehrt ein Rogatorium (Requisitorial) direkt mit der Post überschikt, und es wird ihm ohne Verzug nach den gesezlichen Formen des Landes, wo die Untersuchungshandlungen stattfinden, Vollziehung verschafft.

Die beidseitigen Regierungen verzichten auf jede Rükforderung der Kosten, welche aus der Vollziehung eines solchen Rogatoriums erwachsen, sofern es sich nicht um Ausgaben für Kriminal-, Handels- oder gerichtlich-medizinische Expertisen handelt.

Ebenso kann keinerlei Ersazforderung gemacht werden für Kosten von gerichtlichen Maßnahmen, die von Beamten des einen oder andern Staates freiwillig angeordnet worden sind, zum Zweke der Verfolgung oder der Feststellung von strafbaren Handlungen, die auf dem Gebiete ihrer Staaten von einem Bürger des andern kontrahirenden Staates, oder auch im Allgemeinen von einem Fremden verübt worden sind, welche nachher in ihrer Heimat gerichtlich verfolgt werden.

A r t i k e l 15.

Wenn in Strafsachen nicht politischer Natur die amtliche Zustellung eines Untersuchungsaktes oder eines Urtheils an eine auf dem Gebiete eines der beiden Staaten wohnende Person der kompetenten Behörde des andern Staates nothwendig erscheint, so wird das Aktenstük direkt mit der Post der kompetenten Behörde am Wohnorte der Person, für welche es bestimmt ist, überschikt, und die Kundmachung an die betreffende Person selbst nach den üblichen Formen des Landes vollzogen. Das Original, mit dem Beweise der Notifikation, wird an die Behörde, welche dasselbe ausgestellt hat, überschikt, versehen mit dem Visum des mit der Kundmachung beauftragten Beamten, und es wird diese Kundmachung den gleichen Werth haben, als wenn sie in dem Staate vollzogen worden wäre, von welchem das Aktenstük oder das Urtheil herkommt.

614 A r t i k e l 16.

Wenn in einer nicht politischen Strafuntersuchung das persönliche Eriächeinen eines Zeugen nothwendig erscheint, so soll die Regierung des Landes, in welchem er wohnt, denselben anhalten, der an ihn erlassenen Vorladung Folge zu geben. Falls der Zeuge erscheinen will, so werden ihm die Kosten der Reise und des Aufenthaltes, von seinem Wohnorte an gerechnet, vergütet nach den in dem Lande, wo die Abhörung stattfinden soll, in Kraft bestehenden Tarifen und Verordnungen.

Kein Zeuge, welchem Lande er immer angehöre, der in einem -der beiden Länder zitirt worden ist, und freiwillig vor dem Richter des andern Landes erscheint, darf weder für frühere kriminelle oder korrektioneile Handlungen oder Verurtheilungen, noch unter dem Vorwande der Mitschuld in dem Prozesse, in welchem er als Zeuge erscheint, verhaftet oder gerichtlich verfolgt werden.

A r t i k e l 17.

Wenn im Laufe des in einem der beiden Länder eingeleiteten Strafverfahrens die Konfrontation eines im andern Lande gefangenen Verbrechers, oder die Beibringung von Beweisstükeu oder gerichtlicher Akten als nüzlich betrachtet wird, so ist, wenn es sich um Beweismittel oder um gerichtliche Aktenstüke handelt, das bezügliche Begehren mit der Post von der einen an die andere Regierung, oder direkt von der kompetenten schweizerischen Behörde an den kompetenten Magistraten in Luxemburg, oder umgekehrt, zu übersenden. Es wird diesem Begehren Folge gegeben, insofern ihm keine besondern Umstände entgegenstehen, und unter der Verpflichtung, die Verbrecher und Schriftstüke wieder zurükzusenden.

Die vertragschließenden Regierungen verzichten auf jede Ersazforderung' der Kosten, welche durch den Transport und die Rüksendung der zu konfrontirenden Verbrecher und durch die Versen-dung und Rükstellung der Beweisstüke und anderer Dokumente auf ihrem Gebiete verursacht werden.

Die Kosten des Transites durch zwischenliegende Gebiete fallen zu Lasten des requirirenden Staates.

A r t i k e l 18.

Der gegenwärtige Vertrag wird der Ratifikation der gesezgebendeu Behörden der beiden Länder unterstellt, und es sollen

615 die Ratifikationen so bald als möglich in Paris ausgewechselt werden.

Der Vertrag tritt in Kraft mit demjenigen Zeitpunkte, welcher in dem Protokoll über die Auswechslung der Ratifikationen festgestellt wird, und kann von den kontrahirenden Staaten jederzeit gekündet werden, immerhin in der Meinung, daß die Kündigung erst ein .Jahr nach ihrer Notifikation wirksam sein soll.

D e s s e n zur U r k u n d e haben die beiderseitigen Bevollmächtigten den vorstehenden Vertrag unterzeichnet und demselben ihr Wappensiegel beigedrükt.

So geschehen in P a r i s den zehnten Februar 1876.

o

(L. S.) (Sig.) Kern.

(L. S.) (Sig.) M. Jonas.

Bundesblatt. 28. Jahrg. Bd.I.

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616

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend Fristverlängerung für die Dampfomnibuseisenbah Zürich-Höngg.

(Vom 10. März 1876.)

Tit.!

Durch Beschluß vom 18. März v. J. haben Sie den Herren Gebrüder Brunner in Winterthur die Konzession für eine Dampfomnibuseisenbahn von Zürich nach Höngg ertheilt und folgende Ausweis- und Bautermine angesezt: 18. März 1876 für die Einreichung der technischen und finanziellen Vorlagen; 1. April 1876 für den Beginn der Erdarbeiten und 1. April 1877 für die Betriebseröffuung.

Mit Eingabe vom 2. d. Mts. stellen die Konzessionäre das Gesuch, daß die erstgenannte Frist um 12 Monate möchte erstrekt werden. Unzweifelhaft soll sich nach ihrer Meinung die Verlängerung auch auf die beiden andern Fristen erstreken. Sie bringen zur Begründung vor: Nach dem Finanzplan der Unternehmer sollen die betheiligten Landgemeinden und der Besizer der ,,Waid" 1/3 der Anlagekosten oder Fr. 180,000 übernehmen. Die bisher gepflogenen Unterhandlungen haben dieses Resultat noch nicht ganz erreicht; doch dürfte im Laufe des Jahres eine bessere Wendung eintreten, da auch die Stadtgemeinde Zürich sich für

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und dem Grossherzogthum Luxemburg. (Vom 25. Februar 1876.)

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18.03.1876

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602-616

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