205

# S T #

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das in der Motion der Herren Nationalrat Steiger (St. Gallen) und Mitunterzeichner, vom 20. Dezember 1894, enthaltene Begehren um Revision des Art. 32bis der Bundesverfassung.

(Vom 15. März 1901.}

Tit.

Am 4. Juni 1895 haben Sie eine von Herrn Nationalrat Steiger (St. Gallen) und 17 Mitunterzeichnern eingebrachte Motion folgenden Inhalts erheblich erklärt : ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu untersuchen und darüber Bericht und Antrag vorzulegen, ob nicht in Art. 32bis, Absatz 2, der Bundesverfassung das steuerfreie Verkaufsminimum nicht gebrannter geistiger Getränke von 2 auf 10 Liter zu erhöhen, bezw. der Schlußsatz des Absatz 2 dahin abzuändern sei: ,,,,Jedoch bleiben hierbei in betreff des Betriebes von Wirtschaften ,,,,und des Klein Verkaufs von Quantitäten unter 10 Litern die den ,,,,Kantonen nach Art. 31 zustehenden Kompetenzen vorbehalten.""

Das in der Motion liegende Begehren nach Hinaufsetzung des steuerfreien Verkaufsminimums nicht gebrannter geistiger Getränke

206

zeigte sich schon bei der Erheblicherklärung des Anzuges als ein, wenn auch zunächst dem Schöße der schweizerischen Wirtevereine entsprungenes, doch von breitern amtlichen und Volkskreisen getragenes. Denn außer der Petition des schweizerischen Wirtevereins (vom 21. Dezember 1893) lag im Zeitpunkte, als die Motion im Nationalrate zur Behandlung kam, schon eine gleichartige Eingabe der ökonomischen und gemeinnützigen Gesellschaft des Kantons Bern (vom 16. März 1895) in unsero Händen. Nebstdem war die Revisionsfrage um dieselbe Zeit auch in mehreren Kantonsräten, wie in denjenigen von Waadt, Zürich und Bern, zur Sprache gekommen, und die dort laut gewordenen Wünsche hatten, namentlich soweit es die erstgenannte Behörde betrifft, durch deren Staatsrat bei uns Ausdruck erhalten.

Materiell geht das Begehren der Motion auf Aufhebung oder wenigstens auf eine bedeutende Einschränkung einer Maßregel, die seiner Zeit sowohl vom Bundesrate als der nationalrätlichen Kommission (vgl. Bundesbl. 1884, IV, 472 ff. und 1885, I, 453 ff.)

als eines der wichtigsten Mittel zur Beseitigung der Schnapspest bezeichnet wurde, indem sie dazu dienen sollte, dem Volke an Stelle des durch Verteuerung schwieriger erhältLich gemachten Branntweins die weniger schädlichen gegorenen geistigen Getränke zu billigem Preise nahe zu bringen.

In Würdigung dieser suchten wir uns denn vor Kantone einläßlich über die sprechenden Thatsacheu zu Erlaß zweier Kreisseh rei ben

zweifachen Wichtigkeit des Begehrens allem bei den Regierungen sämtlicher für und gegen die Tendenz der Motion uuterrichten. Dies geschah durch den vom 21. Januar 1896 und 27. Mai 1898.

In dem erstem ersuchten wir die Kantonsregierungen um die Kundgebung ihrer Anschauungen über die Wiinschbarkeit der in der Motion angeregten Änderungen, sowohl nach der allgemeinen Seite der Frage hin, als mit Bezug auf die handels- und gewerbepolizeilichen und die fiskalischen Gesichtspunkte, welche bei der Angelegenheit in Betracht kommen.

Zum Erlaß des zweiten Kreisschreibens sah sich unser Departement des Innern bewogen, nachdem ihm durch unsern Beschluß vom 2. November 1897 die weitere Behandlung der Angelegenheit und die Vertretung derselben vor den eidgenössischen Räten war zugewiesen worden. Dieses Cirkular entsprang dem Bedürfnis einer Vervollständigung des Aktenmaterials; es erschien nämlich notwendig, zu ermitteln, einerseits in welchem Maße sich seit dem

207

Inkrafttreten des Art. 32bls der Bundesverfassung (den 22. Dezember 1885) der Verkauf nicht gebrannter geistiger Getränke entwickelt habe, und anderseits welche Erfahrungen die Kantonsregierungen bei dieser Gestaltung des Verkaufs gemacht haben. Dieselben wurden daher zunächst um Aufstellung und Einsendung statistischer Übersichten ersucht über 1. die patentierten Wirtschaften; 2. die patentierten Klein Verkaufsstellen nicht gebrannter geistiger Getränke und 3. die Großverkaufsgeschäfte solcher Getränke, d. h. die Verkaufsstellen nicht gebrannter geistiger Getränke in Massen von zwei Liter und mehr.

Diese Darstellungen sollten die Jahre 1887 bis 1897 umfassen.

Im weitern wurden die Kantonsregierungen um die Beantwortung folgender Fragen angegangen : 1. Welche Patentgebühren bezieht Ihr Kanton von den Wirtschaften uud den staatlich autorisierten Kleinverkaufsstellen nicht gebrannter geistiger Getränke?

2. Sind im Verlaufe der oben bezeichneten elf Jahre gegen die Großverkaufsgeschäfte nicht gebrannter geistiger Getränke (sogenannte Zweiliterwirtschaften) Klagen laut geworden wegen schlechter Ware oder sonstiger Mängel -- unhygieinische Verhältnisse der Aufbewahrungslokale etc. ?

Eventuell, wie wurde ihnen entgegenzuwirken gesucht und welches Resultat hatten die daherigen Maßnahmen?

3. Welche Wahrnehmungen haben Sie überhaupt in Bezug auf die Thätigkeit dieser Verkaufsstellen (Zweiliterwirtschaften) gemacht (unlautere Konkurrenz, Zu- oder Abnahme des Konsums der in Frage kommenden Getränke, eventuelle ökonomische, gesundheitliche und sittliche Folgen)?

Leider müssen wir gestehen, daß uns, namentlich in statistischer Richtung, die gewünschte Auskunft nur von dem kleinern Teil der Regierungen in derjenigen Vollständigkeit geworden ist, wie die Wichtigkeit der zu lösenden Motionsfrage sie erwarten ließe. Dagegen können wir zugeben, daló die große Verschiedenheit der Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse in den Kantonen es den Regierungen schwer, ja oft sogar unmöglich macht, über gewisse Erscheinungen stetsfort Rechenschaft geben zu können. Dies gilt namentlich von dem in der vorliegenden Angelegenheit wichtigsten

208 Punkt: der Frage nach der Vermehrung der sogenannten /weiliterwirtschaften, und zwar deshalb, weil letztere gerade durch die Verfassungsvorschrift des Art. 32bis in gewissem Maße vor jeglicher Kontrolle geschützt sind. Dessenungeachtet aber gewährt uns das erlangte Berichtmaterial die notwendige Grundlage, um dem uns gewordenen Auftrage gerecht werden zu können.

Wir erlauben uns nun, zunächst die

Kundgebungen der Kantone auf unsere erste, allgemeine Anfrage vom 2J. Januar 1896 dem wesentlichen Inhalt folgen zu lassen.

nach

Sehr lebhaft sprachen sich voi' allen die Regierungen von Zürich, Bern, Luzern und Freiburg für die Motion aus. Die Rückäußerungen der drei letztern sind so einläßlich gehallen, daß sie annähernd alles zum Ausdrucke bringen, was für jene geltend gemacht werden kann. Wir sehen uns deshalb bewogen, diese Antworten in ihrem ganzen Inhalte hier wiederzugeben: Die Regierung des Kantons Bern sagt: Sowohl die drei amtlichen kantonalen Lebensmittelinspektoren als 24 Regierungsstatthalter sprechen sich sehr entschieden für die von der Motion Steiger beabsichtigte Revision aus, während 3 Regierungsstatthalter sich zu derselben neutral und 3 ablehnend verhalten. Als Gründe für dieselbe wird nicht etwa allein die Unbilligkeit geltend gemacht, welche darin bestehe, daß die patentierten Wirte mit hohen Gebühren belastet sind, die Verkäufer von Wein in Quantitäten von zwei Liter an, trotz einem oft sehr großen Absatz, steuerfrei ausgehen, sondern es wird namentlich konstatiert, daß durch diesen freien und nicht kontrollierbaren Verkauf in breiten Volksschichten, vornehmlich der Landbevölkerung, eine Förderung der Trunksucht und eine schwere Schädigung der guten Sitte und Ordnung, des Familienglücks und der Kindererziehung verursacht, werden.

Wir nehmen unsererseits keinen Anstand, zu erklären, daß.

die Rücksicht auf die den patentierten Wirten durch den freien Weinverkauf geschaffene Konkurrenz uns nicht zur Befürwortung* einer Revision des Art. 32bi8 der Bundesverfassung bewegen könnte, wenn der freie Zweiliterverkauf nicht größere Schäden im Gefolgehätte. Wenn letzterer wirklich dazu dienen würde, der unbemit-

209 teilen Bevölkerung einen guten und gesunden Wein ohne Wirtshausbesuch zu billigem Preise zu verschaffen, so wäre ja damit gerade der Zweck der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung im allgemeinen und des Art. 32bi8 der Bundesverfassung insbesondere erreicht. Eine Abnahme des Branntweingenusses ist auch thatsächlich eingetreten, wozu außer der einschneidendsten Maßregel, der Beseitigung der zahlreichen im ganzen Lande zerstreuten kleinen Brennereien und der Verteuerung des Branntweins, auch der Art. 32bis mit seinem billigen Weinverkauf das Seinige beigetragen hat. Im fernem liegt der Gedanke nahe, daß die Wirte der ihnen durch die Weinverkäufer gemachten Konkurrenz wirksamer hätten die Spitze bieten können, wenn sie selbst zur Abgabe von gutem und billigem Wein über die Gasse sich entschlossen hätten; jedoch wird dieser Bemerkung sofort und nicht unbegründeterweise entgegengehalten, daß eben die Qualität der von den Weinverkäufern mindern Ranges ins Volk geworfenen Weine es einem ehrlichen Wirte unmöglich mache, ihnen auf diesem Wege zu folgen.

Dem verminderten Branntweingenuß steht nun aber unstreitigin vielen Volksschichten eine maßlose Weinsäuferei gegenüber, deren Folgen für die Familien nicht weniger verderblich sind..

Was früher die überall im Lande zerstreuten Brennereien thaten,, das besorgen jetzt die in kleinen Weilern und einzelstehenden Häusern errichteten Wein v erkaufe; sie verleiten ihre Nachbarschaft nicht allein zu unnützen Ausgaben, sondern verursachen nur zu häufig heimliche Trinkgelage bis in alle Stunden der Nacht, die bei unsern ländlichen Verhältnissen sich dem Auge der Polizei leicht entziehen können. Die Berichte unserer Regierungsstatthalter, sowie die Beobachtungen vieler patriotischer Bürger bestätigen diese betrübende Erscheinung in unzweifelhafter AVeise ; auch verweisen wir in Bezug hierauf auf die Broschüre unseres Lebensmittelinspektors Dr. Tschumi : ,,Die Zweiliterwirtschaftena. Unter den bezeichneten Verhältnissen ist auch eine sanitarische Kontrolle der an solchen Stellen abgegebenen Getränke nicht durchführbar.

Zwar ist nach dem bernischen Wirtschaftsgesetz jeder sogenannte Großhändler, d. h. Verkäufer von nicht gebrannten geistigen Getränken von 2 Liter an, gehalten, sich in die Kontrolle des Regierungsstatthalters eintragen zu lassen, damit die Polizei
von ihrem Vorhandensein Kenntnis erhalte; gleichwohl entgehen ihrer manche dieser Aufsicht, und hält einmal die Gesundheitspolizei Nachschau, so ist der Getränkevorrat meistens so gering, daß auch eine Beanstandung desselben keine Sicherheit dafür bietet, daß nicht vorBundesblatt. 53. Jahrg. Bd. II.

14

210

und nachher beliebig schlechtes Getränke daselbst zum Verkauf gelange. Bekanntlich ist es mit der Thätigkeit der Gemeindepolizei in ländlichen Gegenden überhaupt nicht am besten bestellt; kantonale Beamte aber können nur in längern Zwischenräumen ihre Nachsehauen vornehmen.

Bine Einschränkung des steuerfreien Verkaufs von Wein auf die Q u a n t i t ä t von m i n d e s t e n s 10 L i t e r (einige unserer Regierungsstatthalter beantragen 15 bis 20 Liter) würde unseres Erachtens den geschilderten Übels t ä n d e n zum g r ö ß t e n T e i l e a b h e l f e n und hierdurch zahlreiche Familien vor Verlotterung bewahren, ohne die guten Absiebten des Art. 32bis preiszugeben. Denn durch die Erteilung von Patenten für den Kleinverkauf, d. h. in Quantitäten unter den beantragten 10 Litern, würde da, wo ein wirkliches Bedürfnis danach vorhanden ist, speci eli in bevölkerten Ortschaften mit einer mehr oder minder zahlreichen Arbeiterbevölkerung, die Möglichkeit zum Ankauf von guten und billigen nicht gebrannten Getränken, Wein oder Bier, fortbestehen. In Ortschaften und Städten der genannten Art werden schon jetzt in unserm Kanton viele derartige Patente für den Verkauf von Wein und Bier in Quantitäten unter 2 Liter von Konsumvereinen und ändern Lebensmittelhandlungen gelöst, da sie bloß mit einer jährlichen Gebühr von Fr. 50--100 belegt sind, und leisten unstreitig der Bevölkerung gute Dienste. Diese Patente werden aber nur an durchaus gut beleumdete, von den Gemeinde- und Bezirksbehörden empfohlene Personen ausgestellt, und es ist sowohl eine sanitarische als -allgemein polizeiliche Kontrolle dieser Geschäfte möglich, was bei den steuerfreien Zweiliterhandlungen, wie oben ausgeführt, nicht der Fall ist. Würde nun für jeden Verkauf unter 10 Liter die Lösung eines Patentes vorgeschrieben, so würden die meisten der zur Zeit als ,,Großhändler"- geltenden Zweiliterverkäufer ihr Geschäft einstellen, weil sie die Eigenschaften zur Erlangung eines Kleinverkaufspatentes nicht besitzen ; die übrigen aber, die es lösen würden, ständen dann unter genauer polizeilicher Aufsicht und müßten bei vorkommenden Mißbräuchen den Verlust ihres Patentes gewärtigen.

Schließlich m ö c h t e n wir a b e r d i e s e E i n s c h r ä n k u n g des steuerfreien Verkaufs von nicht gebrannten g e i s t i g e n G e t r ä n k e n a n d e
n Vor b e h al t k n ü p f e n , d a ß sie auf Weinbauern, die ihr eigenes Gewächs verk a u f e n , k e i n e A n w e n d u n g f i n d e n s o l l e . Unsere Wirtschaftsgesetzgebung gestattete von jeher dem Weinbauern den Ver-

211 kauf seines Gewächses über die Gasse in beliebig kleinen Quanti-, täten ohne Bezahlung einer Patentgebithr, und es haben sich von daher keine Übelstände geltend gemacht. Es sind auch nicht die "Weinbaugegenden, in welchen das von uns beklagte Unwesen der Zweiliterverkaufsstellen sich breit macht.

I n Z u s a m m e n f a s s u n g des A n g e b r a c h t e n b e e h r e n wir uns, Ihnen unsere volle und e n t s c h i e d e n e Zus t i m m u n g z u d e r M o t i o n S t e i g e r und M i t u n t e r z e i c h n e r , auszusprechen, mit dem W u n s c h e , es m ö c h t e den eidgenössischen Räten eine Vorlage im Sinne ders e l b e n u n t e r b r e i t e t w e r d en.

Luzern (Schreiben vom 27. März 1896). In Beantwortung Ihres Kreisschreibens vom 21. Januar abhin betreffend die Motion der Herren Steiger und Mitunterzeichner, beehren wir uns, Ihnen mitzuteilen, daß wir die A b ä n d e r u n g des Art. 32b.is, Absatz 2, der B u n d e s v e r f a s s u n g im Sinne der Herren Motionssteiler begrüßen würden.

Was in erster Linie die volkswirtschaftliche Seite der Frage anbelangt so muß konstatiert werden, daß durch die gegenwärtige Gesetzesvorschrift, wonach das steuerfreie Verkaufsminimum nicht gebrannter geistiger Getränke auf zwei Liter festgesetzt wird, der Alkoholgenuß in den weitesten Kreisen der Bevölkerung in hohem Grade gefördert wurde. Die Zahl der Verkaufsstellen billiger Weine hat sich ins ungemessene vermehrt, wodurch die Gelegenheit und die Anregung, sich solche Getränke zu verschaffen, in bedenklicher Weise erhöht wurden. Thatsächlich führen gegenwärtig in unserem Kanton fast alle Spezerei- und Drogueriegeschäfte neben den übrigen Artikeln auch Weine. Speciell in dem sowohl in der Stadt wie auf dem Lande sich geltend machenden Konkurrenzkampfe zwischen Konsumvereinen und Spezereihändlern wurde der Wein zum eigentlichen Kampfmittel gewählt. Man überbot sich in Offerten von billigen Weinen und verbindet mit denselben eine oft ins maßlose übertriebene Reklame. Die Folge ist, daß der Weinkonsum speciell in den untern Schichten der Bevölkerung sich ungemein vermehrt. Die Folgen dieser Thatsache liegen klar zu Tage. Wenn sich auch nicht leugnen läßt, daß die Zunahme des Weinkonsums eine kleine Reduktion des Branntweinverbrauches herbeigeführt hat, so muß anderseits doch konstatiert werden, daß die Erhöhung des Weinkonsums als ein volkswirtschaftlicher Sehaden zu bezeichnen ist. In einer großen

212 Zahl von Arbeiterfamilien hat der "Wein die Milch fast ganz verdrängt, und da, wo früher zu den Zwischenmahlzeiten Kaffee, Milch oder Most verabfolgt wurde, hat der Wein diese Getränke vielfach beseitigt, und leider gilt dies nicht bloß bezüglich der Erwachsenen, sondern auch bezüglich der Kinder. Auch diesen letztern wird die Milch häufig entzogen und durch Wein ersetzt.

Viele Kinder, welche die Volksschulen besuchen, erhalten statt der Milch schon am Morgen Wein. Unsere Polizei- und Untersuchungsbehörden sind häufig im Falle, konstatieren zu müssen, daß sogar ganz kleine Kinder fortgesetzt mit Wein ,,genährt" werden. So ergab sich jüngst in einem Untersuchungsfalle, daß zwei- bis dreijährigen Kindern jeden Tag wiederholt bestimmte Quantitäten Wein verabfolgt wurden. Bequemlichkeit und die vielfach verbreitete Meinung, daß der Wein für jedermann ein Stärkungsmittel sei, mögen diese Übelstände wesentlich gefördert haben. N e b e n der in den letzten Jahren eingetretenen P r e i s r e d u k t i o n d e r W e i n e , s p e c i e l l d e r d u r c h ihren starken A l k o h o l gehalt im ü b r i g e n erst recht g e f ä h r l i c h e n i t a l i e nischen Weine, muß unseres Erachtens die Vermehrung des Weinkonsums wesentlich auf den Umstand z u r ü c k g e f ü h r t w e r d e n , daß das s t e u e r f r e i e V e r k a u f s m i n i m u m z u r Z e i t z u n i e d r i g f e s t g e s e t z t ist.

Eine Erhöhung dieses letztern wird einmal die Zahl der Verkaufsstellen vermindern und zum ändern auch für einen großen Teil der Bevölkerung die Möglichkeit der Weinbeschaffung erschweren.

Der Vorteil, der in volkswirtschaftlicher Hinsicht darin liegt, daß der B r a n n t w e i n g e n u ß durch den vergrößerten Weinkonsum etwas eingedämmt wird, wird wesentlich aufgewogen durch die Nachteile, welche in dem ins Übermaß v e r m e h r t e n Konsum von Weinen mit hohem Alkoholgehalt liegen.

Was die gewerbepolizeiliche Seite der Frage anbelangt, so ist es Thatsache, daß bisanhin eine zuverlässige Kontrolle über die Beobachtung der Gesetzesvorschriften betreffend den Verkauf nicht gebrannter geistiger Getränke unter 2 Litern nicht durchgeführt werden konnte. Zahlreiche Verkaufsstellen nehmen auf das gesetzliche Minimum keine Rücksicht und verkaufen den Wein in allen Quantitäten (auch unter 2 Litern). Namentlich
geschieht dies gegenüber regelmäßigen Abnehmern, die ihre Einkäufe nicht bar bezahlen, sondern ins sogenannte Kundenbüchlein eintragen lassen. Solehe beziehen Wein in Quantitäten von 1/g und l Liter, während allerdings die Eintragung in das Kundenbüchlein jeweilen

213 erst erfolgt, wenn die Quantität von 2 Litern wieder erreicht ist.

Wir hatten wiederholt unsere Polizeiorgane zur strengen Überwachung dieses Getränkekleinhandels aufgefordert, und es sind auch zahlreiche Vorzeigungen und Bestrafungen erfolgt. Immerhin ist es sehr schwierig, den Nachweis bezüglich derartiger Gesetzesübertretungen zu erstellen, indem die Käufer aus naheliegenden Gründen mit den Verkäufern gemeinsame Sache machen.

Auch der kantonale Wirteverein hat in wiederholten Eingaben sich darüber beschwert, daß das Wirtschaftsgewerbe durch diesen steuerfreien Verkauf in Quantitäten unter 2 Litern schwer geschädigt werde. Speciell beklagte sich der genannte Verein auch darüber, daß durch diese Gesetzesvorschrift den Kosthäusern und den gegenwärtig in so großer Zahl vorhandenen sogenannten italienischen Küchen ermöglicht werde, gleich einem Wirte Getränke abzugeben, ohne eine Patenttaxe bezahlen zu müssen.

Wir sind der Meinung, daß eine Erhöhung des steuerfreien Verkaufssminimums auf 10 Liter zweifelsohne diese Gesetzesübertretungen erschweren und die polizeiliche Kontrolle über die Beobachtung der daherigen Vorschriften erleichtern wird.

Wir haben bei vorstehenden Ausführungen nur vom Weinverkaufe gesprochen, weil für unsere Verhältnisse wesentlich nur dieser in Betracht kommt. Der Verkauf anderer nicht gebrannter geistiger Getränke von Seiten von Nichtwirten hat bisanhin keine größerh Dimensionen angenommen.

Indem wir zum Schluß uns nochmals dahin aussprechen, daß uns die von den Herren Steiger und Konsorten angeregten Änderungen sowohl vom volkswirtschaftlichen als gewerbepolizeilichen Staudpunkte aus als wünschbar erscheinen, und auch keine wesentlich fiskalischen Gründe die Durchführung dieser Änderungen als unthunlich erscheinen lassen, benutzen wir etc.

Der Staatsrat von Freiburg (Schreiben vom 25. Februar 1896) sagt folgendes : Unser altes Gesetz über die Wirtschaften von 1864 setzte das Minimum des frei erklärten Großverkaufs für Wein, Most und Bier auf 25 Maß. Die neuen, 1885 aufgestellten Bestimmungen der Bundesverfassung haben in Bezug hierauf eine wichtige Änderung gebracht, indem sie den Verkauf nicht gebrannter geistiger Getränke im Maße von zwei Litern und mehr als frei erklärten.

214 , " Der .Zweck dieser Neuerung war der, den Branntweingenuß ·zu bekämpfen. Man dachte mit Recht, durch die Herabsetzung des Preises des Weines den Konsumenten zu veranlassen, dieses .Getränk allen ändern der Gesundheit gefährlichen Spirituosen vof. zuziehen. Um zu diesem Ziele zu gelangen, glaubte man es der armen Klasse, unter welcher der Schnaps die größten Verheerungen anrichtete, ermöglichen zu sollen, sich Wein zu verschaffen, ohne zu einem mit Abgaben belasteten Kleinverkäufergehen zu müssen, 'der den Betrag dieser Abgaben wieder auf seine Waren schlagen muß. Man gab sich auch der Meinung hin, man würde die Familienhande stärken, wenn man dem Arbeiter einen Wein zur Verfügung stellte, der wohlfeiler wäre, als er ihn beim Wirte oder einem ändern Kleinverkäufer sich verschaffen könnte. Die Erreichung dieses doppelten Zweckes wäre gewiß die lobenswerteste Sache gewesen.

Wir besitzen jetzt eine zehnjährige Erfahrung und wir dürfen uns fragen, ob das Ziel, das man verfolgte, wirklich erreicht ·worden sei. Im Zeitpunkte des Inkrafttretens der Verfassungsbestimmungen von 1885 hatte der Wein einen hohen Preis und dies verursachte ohne Zweifel eine Ausbreitung des Mißbrauches des Branntweins. Seither ist der Preis des Weines gesunken, aber man könnte nicht sagen, daß dies die Folge jener Verfassungsbestimmungen wäre. Diese Erscheinung rührt von ändern Ursachen her, wie von der Reichlichkeit der inländischen Weinernte und von dem Bestreben der weinbauenden Nachbarstaaten, sich Abzugskanäle für ihr Produkt in unser Land zu eröffnen.

Man hat also durch die Freigabe des Verkaufs des Weines von zwei Litern an das vorgesteckte Ziel, d. h. den Preisrückgang jenes Getränkes nicht erreicht.

Man hatte aber weiter die Absicht, den Arbeiter aus der Wirtschaft zu entfernen und ihn im Schöße seiner Familie zurückzuhalten, wo er den Wein mit den Seinen trinken könnte. Dieser Zweck ist jedoch ebensowenig erreicht worden als der erste. Der Arbeiter bleibt nicht mehr zu Hause als früher ; denn außer dem Getränk sucht er in der Wirtschaft Zerstreuung, Gesellschaft, Unterhaltung, Neuigkeiten, den Umgang mit Freunden u. dgl.

In unserm Kanton ist das letztere Ziel nicht nur nicht erreicht worden, sondern die Freiheit des Verkaufes von zwei Litern an hat die beklagenswertesten Folgen herbeigeführt.

In zahlreichen Ortschaften trifft man eine oder zwei Gewürzkrämereien an, in denen ein sogenannter Großverkauf von Wein

215 betrieben wird.. Diese Verkaufsstellen unterliegen keiner ändern Aufsicht als derjenigen des Kantonschemikers in Bezug auf die Unschädlichkeit des Getränkes für die Gesundheit. Hier wird zu allen Nacht- und Tagesstunden verkauft, an Feiertagen sowohl als an Werktagen. Man verabfolgt Getränke an Unterstüzte, an Kinder und an solche, denen das Wirtshaus verboten ist, nicht weniger als an solche, die eigenen Rechtes sind. Zwei oder drei junge Leute thun sich zusammen, um zwei oder drei Liter Wein zu kaufen, und gehen dann damit auf nächtliche Besuche. Oft wird auch von derartigen Großhändlern unter zwei Litern verkauft; es ist jedoch schwer, solche Widerhandlungen festzustellen. Die Klagen über derartige Übertretungen in unsern Landbezirken sind sehr zahlreich und unser Große Rat hat sich schon wiederholt damit beschäftigt. Wir mußten uns aber vor dem Texte der Bundesverfassung beugen.

Eine neue vor unserm Großen Rate hängende Petition sagt, daß die öffentlichen Wirtschaften zur vorgeschriebenen Stunde geschlossen werden, daß die Wirtshausbesucher aber, wenn sie finden, daß es noch zu früh sei, um nach Hause zu gehen, sich in jene der Polizeiaufsicht nicht unterstellten Verkaufsgeschäfte begeben, um dort den größten Teil der Nacht zuzubringen.

Angesichts dessen zögern wir nicht, Ihnen, Herr Bundespräsdent, Herren Bundesräte, zu sagen, daß die Motion des Herrtì Nationalrat Steiger in unserm Kanton einer allseitigen Zustimmung begegnet ist.

Sie haben uns eingeladen, solche von der allgemeinen Seite als mit Bezug auf die handels- und gewerbepolizeilichen und die fiskalischen Gesichtspunkte zu prüfen.

Die letztern zwei sind unseres Erachtens von untergeordneter Bedeutung und müssen vor dem moralischen Gesichtspunkte zurücktreten. Vom Standpunkte der Handels- und Gewerbepolizei aus vermögen wir kein Hindernis zu erblicken, das sich der Erhöhung des Großverkaufs nicht gebrannter geistiger Getränke auf 10 Liter entgegenstellte. Der Vorteil des Fiskus ist ebensowenig von maßgebender Bedeutung; es hieße jedenfalls eine schlimme Politik treiben, wenn man ihn mit der Wohlfahrt des Volkes in Widerspruch setzen wollte.

Sie bemerken in Ihrem Kreisschreiben vom 21. Januar, daß die Motion in das Gebiet der kantonalen Polizei- und Steuerhoheit eingreife. Wir müssen gestehen, daß wir die Bedeutung dieser Bemerkung nicht recht begreifen. Unter der gegenwärtigen Ver-

216

fassung sind die Kantone befugt, den Kleinverkauf von weniger als zwei Litern unter Bestimmungen zu stellen. Die Motion des Herrn Steiger entreißt den Kantonen dieses Recht nicht, vielmehr will sie die Kantonalsouveränität auf das Maß von 10 Litern ausdehnen. Wir können beifügen, daß sie den Kantonen nicht eine Verbindlichkeit auferlegt, sondern ihnen eine Befugnis einräumt, von der sie nach ihrem Belieben Gebrauch machen können, sei es in der Richtung auf die Polizei oder auf das Steuerwesen.

Zusammenfassend sagen wir, daß man im Jahre 1885, von den besten Absichten geleitet, einen Irrtum begangen hat; daß die Maßregel nicht die erhofften Wirkungen gehabt, sondern Mißbräuche erzeugt hat, die man nicht voraussah. Es ist daher ratsam, den Irrtum einzugestehen und auf den Punkt zurückzukommen. Dies ist unsere Anschauungsweise, mit der, wir sind überzeugt, unsere ganze Bevölkerung übereinstimmt. Sie wollen sie als eine uns vom ausschließlichen Wunsche nach Wahrung der Interessen unseres Landes eingegebene aufnehmen.

In kürzerer Weise sprechen sich der Hotion zustimmend aus die Regierungen von Uri, Obwalden, Nidwaiden, Soloihurn, Baselstadt, Tessin und Waadt.

Der Regierungsrat von Solothurn erklärt, daß er auch damit einverstanden wäre, wenn die von den Motionsstellern angeregte Grenze von 10 Litern noch weiter und sogar bis auf 40 Liter hinaufgerückt würde.

Der Regierungsrat von Baselstadt bemerkt folgendes: Die Förderung des Kleinverkaufs von Wein und Bier sollte dazu dienen, dem Schnapskonsum entgegenzutreten und so den Alkoholismus in seiner schädlichsten Gestalt zu bekämpfen. Der Kleinverkauf hat nun aber derart zugenommen, daß er seinerseits den Alkoholismus fördert, und es ist daher im öffentlichen Interesse, wenn man ihn nicht unbeschränkt anwachsen läßt. Auch wenn man sich auf den gewiß richtigen Standpunkt stellt, daß man die nicht gebrannten geistigen Getränke dem Konsum zugänglich machen soll, um dem Schnapskonsum möglichst entgegenzutreten, so muß man doch sagen, daß durch den Art. 3x?bi8 der Bundesverfassung die Grenze allzu eng gesogen ist. Das Quantum von 2 Litern ist so Idein, daß eine Unterscheidung zwischen dem steuerfreuen und steuerpflichtigen Betrieb in WirTtliclikeit sehr schwierig und eine ivirlcsame Kontrolle des letztern kaum durchführbar ist. Darum werden auch alle Bemühungen der Kantone, das allzu große Überhandnehmen

217

der Kleinverkaufsstellen durch strengere Bestimmungen, wie Aufstellung der Bedürfnisfrage, Verschärfung der persönlichen und lokalen Requisite, ohne erhebliche Wirkung bleiben, solange nicht das steuerfreie Minimum so erhöht wird, daß der ganze wirkliche Kleinverkauf gesetzlich geregelt werden kann.

Wir halten daher die Tendenz der erwähnten Motion für durchaus gerechtfertigt und gestatten uns, daran zu erinnern, daß wir schon im Jahre Ì 884, als wir Gelegenheit hatten, den Entwurf der revidierten Artikel der Bundesverfassung zu begutachten, uns in diesem Sinne ausgesprochen haben.

Der Staatsrat des Kantons Waadt beschränkte sich darauf, auf den uns mit Schreiben vom 17. Mai 1895 unterbreiteten Beschluß des Großen Rates dieses Kantons (Vom 5. Mai 1895) zu verweisen, der dahin geht, daß er, der Staatsrat, bei uns Schritte thun möge, damit eine Revision des Art. 32bis der Bundesverfassung in dem Sinne vorgenommen werde, daß der freie Verkauf nicht gebrannter geistiger Getränke erst in Quantitäten von 15 Litern gestattet werde.

Unter den

Kundgebungen gegen das Begehren der Motion springt vor allen diejenige des Regierungsrates des Kantons Aargau (vom 24. April 1896) hervor, die in systematischer Anordnung beinahe alle gegnerischen Gründe vorbringt. Wir fühlen uns daher bewegen, auch diese Eingabe vollständig zu reproduzieren. Sie lautet : Bei der Wichtigkeit der vorliegenden Frage hielt es unsere Finanzdirektion, der wir die Angelegenheit zur Vorbehandlung zugewiesen haben, geboten, vorerst die Ansichten weiterer Kreise einzuholen, und es wurden die Bezirksämter, die Kulturgesellschaften, die aargauische Weinbaugesellschaft und der aargauische Wirteverein um ihre Meinungsäußerungen ersucht. Die Antworten, welche eingelangt sind, lassen deutlich erkennen, wie sehr die Anschauungen über die Zweckmäßigkeit der durch die Motion Steiger angeregten Änderungen auseinandergehen, und zwar nicht nur dort, wo mehr oder weniger persönliche Interessen mitspielen, sondern auch in jenen Kreisen, wo einzig nur der Standpunkt der Volkswohlfahrt als für die Beurteilung der Frage maßgebend vorausgesetzt werden darf.

Um daher die Tragweite der angeregten Änderung des Alkoholartikels richtig zu bemessen und gehörig zu würdigen, ist es nötig,

2Ì8 die hauptsächlichsten Gründe, welche für und gegen eine Revision sprechen, der Reihe nach näher zu betrachten und gegeneinander abzuwägen, was nachstehend, wie es von Ihnen gewünscht wird, ·vom allgemeinen, vom handels- und gewerbspolizeilichen und vom fiskalischen Gesichtepunkte aus geschehen soll.

I. Allgemeiner (politischer, humanitärer)

Standpunkt.

Aus den Botschaften des Bundesrates und den Kommissions berichten der eidgenössischen Räte zur Alkoholgesetzgebung geht deutlich hervor, daß diese hauptsächlich den Zweck haben sollte, den Branntweinkonsum einzudämmen, und zwar einerseits durch Erhöhung der Besteuerung der gebrannten Wasser, durch Monopolisierung und Kontingentierung der Fabrikation der gefährlichen Alkoholsorten und anderseits durch Verbilligung der gegorenen Getränke Wein, Bier und Most. Die Verbilligung wurde durch die Aufhebung der Ohmgelder und anderer kantonalen Steuern auf Wein und Bier, namentlich aber durch die Schaffung eines steuerfreien Kleinhandels in diesen Getränken zu erzielen gesucht. Die einfache Aufhebung der Ohmgelder und Fabrikationsgebühren wäre nur denjenigen zu gute gekommen, welche geistige Getränke faßweise einzukellern in der Lage sind, nicht aber auch dem kleinern Manne, welcher nur bescheidene Mengen auf einmal kaufen und in seiner Wohnung aufbewahren kann. Dieser wäre für seinen Bedarf nach wie vor auf das Wirtshaus oder den abgabenbelasteten Kleinhändler angewiesen geblieben und hätte damit im Preise der Ware nicht nur Steuern, sondern auch einen Teil der Kosten des Wirtschaftsbetriebes zu tragen gehabt.

Um dem vorzubeugen, verbot die Verfassungsnovelle von 1885 für die Zukunft den Bezug aller Specialsteuern auf den Handel mit Wein und Bier, soweit er sich in Mengen von mehr als zwei Litern abwickelt.

Nachdem der Detailverkauf von Wein auf diese Weise erleichtert war, vermehrte sich die Zahl der Verkaufsstellen vielerorts ungemein rasch, namentlich waren es die Konsumvereine und Spezereiläden, welche nunmehr auch den Weinverkauf in ihren Geschäftskreis zogen. Die Absicht des Alkoholartikels, dem kleinen Mann ein billiges Getränk zu verschaffen, wurde dadurch über Erwarten erreicht. Allein gleichzeitig mit dieser Wohlthat traten auch Übelstände auf, welche diese wieder in Frage stellten, und diese Übelstände sind es, welche den Anstoß y.ur Abänderung des Alkoholartikels durch Erhöhung des steuerfreien Verkaufsminimums

219

gegeben haben. Die Klagen welche gegen die sogenannten ,,Zweir literwirtschaftento, wie die Detail Verkaufsstellen im Volksmünd heißen, erhoben worden, gehen namentlich dahin, daß sie den Getränkekonsum in beängstigender Weise vermehrt haben und ·Weine höchst zweifelhafter Qualität in Absatz bringen; daß sie ; ferner der Winkelwirtschaft Vorschub leisten und an Stelle der Schnapspest die eben so schlimme Weinpest erzeugt haben. Namentlich sind es' die Untersuchungsbeamten, welche sich ungünstig ·über die Folgen des steuerfreien unkontrollierbaren Detail Verkaufs von Wein aussprechen. Einzelne gehen so weit, daß.sie die Zu?

nähme der Delikte geradezu der neuen Ordnung zuschreiben. Es wird auch namentlich von dieser Seite darauf aufmerksam gemacht, daß die Verkaufserleichterung nicht einzig nur dazu benutzt werde, um dem armen Arbeiter, der kein größereres Quantum auf einmal anzuschaffen vermag, oder dem geeignete Orte zur Aufbewahrung und ebenso Geschirre fehlen, die Anschaffung kleinerer Quantitäten zu billigern Preisen zu ermöglichen, als er sie in Wirtschaften beziehen kann, sondern es komme vielfach eine Benützung vor, die schädlich ist. Zwei, drei und mehr Personen thun sich zusammen und lassen aus den Zweiliterwirtschaften Wein oder Bier kommen und halten an einem bestimmten Stelldichein Gelage ab, die sich der öffentlichen Kontrolle entziehen, und da wird gewöhnlich deswegen mehr konsumiert, weil die Bezüge billiger zu stehen kommen. Die Verkäufer unterstützen diese Anlässe. Solche Zusammenkünfte und Gelage sind schlimmer als der Wirtschaftsbesuch. Unter sich müssen die Teilnehmer sich weniger Zwang anthun, als dies in Wirtschaften der Fall ist.

Eltern, Pflegeeltern und Lehrmeister kommen gewöhnlich zu spät dahinter. Auch Anlaß zu Übertretung bietet diese Einrichtung. Schon mâcher Verkäufer ist versucht worden, den Kindern Trinkgeschirr zu überlassen und ihnen zu gestatten, das gekaufte Getränk im Verkaufslokal zu konsumieren. Die Erleichterung der Beschaffung von Wein zu billigem Preise habe ferner den großen Nachteil, daß solches Getränk vielfach ohne Bedürfnis für Frau und Kind ins Haus gebracht werde und dort den Trunk in der Familie fördere. Es komme auch vor, daß Leute, über welche das Wirtshausverbot verhängt ist, sich diese Einrichtung zu nutze machen und sich zum Hohne der Behörden
sogar auf offener Straße betrinken.

Es l ä ß t sich n i c h t b e s t r e i t e n , daß diese Klagen über die Mißstände, welche der erleichterte Kleinv e r k a u f v o n Wein v e r u r s a c h t hat, s c h w e r w i e g e n d

220 sind u n d dazu f ü h r e n m ü ß t e n , d e r Motion S t e i g e r v o r b e h a l t l o s b e i z u s t i m m e n , w e n n m a n sich e i n f a c h auf den S t a n d p u n k t stellte, daß jene Förderung des Konsums geistiger Getränke, bestehen sie nun aus B r a n n t w e i n o d e r Wein, im I n t e r e s s e der Volkswohlf a h r t z u b e k ä m p f e n sei. A l l e i n d i e s e n S t a n d p u n k t hat die G e s e t z g e b u n g in der S c h w e i z , so sehr er im W u n s c h e der T e m p e r e n z f r e u n d e liegt, nie eingenommen, sondern sie hat immer der U n e n t b e h r l i c h keit der geistigen G e t r ä n k e R e c h n u n g getragen und sich d a m i t b e g n ü g t , d i e g e f ä h r l i c h e m S o r t e n , w i e den Branntwein, durch die weniger gefährlichen, wie W e i n , B i e r und Most, zu v e r d r ä n g e n , und daß dies durch den Alkoholartikel der Bundesverfassung nicht gelungen sei, wagen selbst die heftigsten Gegner der Zweiliterwirtschaften nicht in Abrede zu stellen. Es w ü r d e s i c h d a h e r nur fragen, ob es nicht möglich wäre, die u n l e u g b a r e n Übelstände des erleichterten K l e i n v e r k a u f s , namentl i c h von W e i n , obgleich in den Klagen ohne Zweifel auch Übertreibungen mitlaufen und vereinzelte Ausnahmen zu sehr verallgemeinert werden, zu u n t e r d r ü c k e n , o h n e daß die Wohlt h a t e n d e s s e l b e n w i e d e r p r e i s g e g e b e n w e r d e n . Denn d a s i s t k l a r , d a ß m i t d e r E r s c h w e r u n g d e s Kleinverkaufs im Sinne der Motion der ganzen A l k o h o l gesetzgebung die beste Stütze w e g g e n o m m e n würde.

Bevor man dies thut, sollte man sich zweimal besinnen. Denn bei der Unbeliebtheit des Alkoholmonopols im Volke ist es kaum ratsam, durch eine Verfassungsrevision daran zu rütteln, weil die Revisionsbewegung sehr leicht in ein Fahrwasser geraten könnte, welches das Monopol überhaupt wegschwemmt, ganz abgesehen davon, daß bei der großen Popularität, deren sich der erleichterte Kleinverkauf von Wein, Bier und Most bei der großen Masse erfreut, eine Änderung im Sinne der Motion in der Volksabstimmung kaum belieben würde.

Die gleichen Gründe, welche den Gesetzgeber bei Einführung des Alkoholmonopols bestimmten, das V e r k a u f s m i n i m u m für Wein, Most und Bier auf zwei L i
t e r h e r a b z u s e t z e n , sind h e u t e immer noch v o r h a n d e n . Der Ankauf nicht gebrannter geistiger Getränke sollte erleichtert und der Branntweinkonsum erschwert, beziehungsweise reduciert werden. S o l l t e nun das V e r k a u f s m i n i m u m von Wein, Most und Bier auf zehn Liter e r h ö h t

221

werden, so ist der w e n i g bemittelte Arbeiter oder der L a n d w i r t g e z w u n g e n , B e z ü g e in kleineren Quantit ä t e n z u viel t e u r e r m P r e i s e a u s d e n W i r t s c h a f t e n zu holen. D u r c h eine solche M a ß r e g e l w ü r d e sicherlich e i n e m g r ö ß e r n Branntweinkonsum gerufen.

Allerdings behaupten die Motionssteiler nach den stenogragraphischen Verhandlungen des Nationalrates, daß ihr Antrag durchaus nicht die Meinung habe, als dürften inskünftig die Detaillisten nicht unter zehn Liter verkaufen, sondern es sei einzig beabsichtigt, den Kantonsregierungen die Kompetenz einzuräumen, den Detailverkauf unter zehn Litern so zu behandeln und zu besteuern wie den Wirtschaftsbetrieb. Es ist a b e r e i n l e u c h t e n d , daß, w e n n e i n m a l d e r a r t i g e K o m p e t e n z e n eing e r ä u m t w e r d e n , d i e b i s h e r i g e n u n b e s t r i t t e n e n Vorteile des Z w e i l i t e r v e r k a u f s verloren gehen, indem dann nichts die K a n t o n e h i n d e r n k a n n , den Kleinverkauf außerhalb der Wirtschaften unter zehn L i t e r n ganz zu v e r u n m ö g l i c h e n .

II. Handels- und gewerbepolizeüicher Standpunkt.

Durch den erleichterten Kleinverkauf von Wein, Bier und Most sind die Wirte in ihrem Gewerbe beeinträchtigt worden; sie sind es denn auch hauptsächlich, welche die Agitation gegen die Zweiliterwirtschaft führen und die Motion Steiger aufs lebhafteste befürworten. Von ihrem Standpunkte aus ist ihre Haltung nur zu begreiflich. Die Zweilitergeschäfte haben den Vorteil, daß sie ohne Patent, ohne Getränkeabgabe und ohne Kontrolle frei verkaufen können. Dieses Privilegium ist eine schwere Beeinträchtigung der patentierten Wirte und patentierten Kleinverkäufer.

E s z i e m t s i c h a u c h n i c h t g u t , d a ß a u f d e r e i n e n Seite durch die Gesetzgebung, um d e m R u f e nachEindämmung der Überwucherung der Wirtschaften gerecht zu w e r d e n , schärfere A n f o r d e r u n g e n an die Wirte u n d d i e W i r t s c h a f t s l o k a l i t ä t e n u n d e r h ö h t e Abgaben beschlossen und die Bewilligung zur Errichtung von neuen Wirts chaften an die Bedürfnisfrage geknüpft werden, während man anderseits gleichzeitig die Zahl der Zweiliterwirtschaften ohne irgend welche K o n t r o l l e b e l i e b i g a n w a c h s e n läßt. Auch ist nicht einzusehen, warum die Wirte denjenigen Wein, welchen sie in Quantitäten von mindestens zwei Litern über die Gasse verkaufen, durch

222 die Getränkabgabe versteuern, die Detaillisten aber, die Gleiches thun, steuerfrei bleiben sollen. Es l i e g t h i e r o f f e n b a r e i n e höchst unb'illige B e h a n d l u n g vor.

Die bessern Elemente unter den Wirten halten es -für absolut geboten, -daß, um ein solides, seiner gesellschaftlichen und kulturellen Aufgabe genügendes Wirtschaftsgewerbe zu erhalten, dasselbe gegen die ungesunde Konkurrenz durch patent- und kontrollfreie Kleinverkaufsstellen von der Art der Zweiliterwirtschaften, welche mit ihrer häufig minderwertigen, schlechten Ware gleiches Unheil wie die patentierten Spelunken anrichten, geschützt werden müsse.

Diese Forderung hat unbestritten eine gewisse Berechtigung; allein sie läßt sich durchführen, ohne daß die Verbilligung der Getränke im Klein verkauf preisgegeben wird, und zwar indem man das Getränk der Kleinverkäufer kontrolliert, den Kleinverkauf an ein Patent knüpft und polizeilich überwachen läßt. Allerdings würden die Wirte lieber eine gehörige Besteuerung der Zweiliterwirtschaften wünschen ; a l l e i n i h r e I n t e r e s s e n m ü s s e n sich g e g e n ü b e r d e m W o h l f a h r t s i n t e r e s s e , das in der Verbilligung des K l e i n v e r k a u f s liegt, unterordnen.

Was schließlich den Einfluß der angeregten Abänderung des Alkoholartikels auf die einheimische Weinproduktion betrifft, so halten sich die Gründe für und gegen das, Gleichgewicht. Die Erleichterung des Kleinverkaufs von Wein hat die Einfuhr der billigen fremden Weine, namentlich italienischer, spanischer und tirolischer Weine bedeutend gefördert und damit auch die Preise des einheimischen Weines herabgedrückt, anderseits kömmt der Zweiliterverkauf dem Produzenten namentlich dort sehr gelogen Und erleichtert ihm den Absatz, wo er inmitten einer Arbeiterbevölkerung sein Domizil hat. In obst- und weinreichen Gegenden, wo Industrie sich findet, würden daher Produzenten wie Konsumenten, die Erhöhung des Verkaufsminimums von zwei auf zehn Liter eher als einen Nachteil, statt einen Vorteil empfinden.

III. Der fislialische Simidpurikt.

Die Besteuerung geistiger Getränke ist in allen Staaten eine beliebte Steuerform. Sieht man von der Besteuerung des Branntweins ab, so ist durch die Gesetzgebung in der Schweiz gegenwärtig nur das Getränk besteuert,, welches im Wirtschaftsbetrieb zum Ausschank gelangt oder über die Gasse verkauft wird, und der Getränkverkauf außer der Wirtschaft unter zwei Liter. Sonst ist aller und

223 jeder Verkauf über zwei Liter als Ireies Gewerbe Steuer- und abgabenfrei. Es ist klar, daß die Kantone bei den stets wachsenden Ausgaben die wenigen Gebiete, wo sie indirekte Steuern erheben können, nach Möglichkeit auszunützen bestrebt sein müssen.

In Beziehung auf die Getränke kommen, da der Kleinverkauf unter zwei Liter nicht bedeutend ist, wenn man vom Branntwein absieht, einzig die Wirtschaften in Betracht. Wird diesen durch die unbeschränkte abgabenfreie Konkurrenz der Zwei literwirtschaften das Erwerbsgebiet beschränkt, so werden sie für den Staat weniger steuerergiebig. Insofern bedeutet die durch den Alkoholartikel eingeführte Erleichterung des Kleinverkaufs eine fiskalische Einbuße der Kantone, oder kann wenigstens, wenn die Zweiliterwirtschaften sich ohne Ende vermehren, eine solche zur Folge haben, während umgekehrt die Erhöhung des Verkaufsminimums auf zehn Liter nicht nur die Wirtschaften steuerfähiger machen, sondern auch den Kantonen vermehrte Einnahmen bringen würde, da es ihnen dann gestattet wäre, nicht nur den Verkauf unter zwei Litern, sondern bis auf zehn Liter der Besteuerung zu unterwerfen. S o b a l d a b e r de r K l e i n v e r k a u f u n t e r zehn Litern einer starken Besteuerung unterworfen wird, so wird die V e r b i l l i g u n g des K l e i n v e r k a u f s illusorisch, weil der V e r k ä u f e r die Abgaben auf den P r e i s schlägt. D e r Z w e c k d e s A l k o h o l a r t i k e l s w ü r d e damit rein illusorisch.

Nach den gepflogenen Erörterungen g e l a n g e n w i r zu f o l genden Schlüssen: ' 1. Die M o t i o n S t e i g e r ist a b z u l e h n e n .

2. Die in Art. 32bls der Bundesverfassung gewährleistete Freiheit des Handels mit Wein, Bier und Most ist nicht nur bezüglich der Sanitätspolizei, sondern im weitern auch in der R i c h tung zu beschränken: a. daß der gewerbsmäßige Ankauf und Verkauf dieser Genußmittel nur von gut beleumdeten Personen betrieben werden darf; b. daß diesen Händlern der Verkauf über eine bestimmte Abendstunde hinaus, sowie zum Genuß an Ort und Stelle untersagt ist, und c. daß gesetzwidrige Handlungen dieser Verkäufer mit dem Verlust der Berechtigung zur Ausübung dieses Gewerbes geahndet werden können.

224 In der ablehnenden Haltung gegen das Motionsbegehren schließen sich in ihren Rückäußerungen auf unser Keeissclireiben vom 21. Januar 1896 dem, Regierungsrate von Aargau an die Regierungen von Scliwyz, Glarus, Basellandschaft, Schaffhausen, Appeneell A.-Rh., St. Gallen, Graubünden, TJiurgau, Wallis, Neuenburg und Genf.

Schwyz und Schaffhausen erklären sich gegen das Motionsbegehren hauptsächlich aus dem Grunde, weil sie befürchten, es werde durch Hinaufsetzung des freien Verkaufsminimums auf 10 Liter den Selbstproduzenten verunmöglicht werden, ihre Produkte (Most und Wein) wie bisher abzusetzen.

Diese Befürchtung teilen auch Waliis und Neuenburg; abgesehen hiervon halten beide dafür, daß eine scharfe Lebensmittelpolizei genügen könnte, um die Zweiliterwirtschaften einer hinreichenden Kontrolle zu unterwerfen. Neuenburg fürchtet weiter, es möchte aus der Durchführung der vorgeschlagenen Maßregel für die Großverkaufsgeschäfte eine viel größere Versuchung zur Übertretung der Verkaufsgrenze entstehen; ebenso werde eine "Wiederkehr des frühern unmäßigen Schnapsgenusses stattfinden.

Glarus und Graubünden stehen dem Motionsbegehren gleichgültig, d. h. ablehnend gegenüber, weil in beiden Kantonen das Wirtschaftswesen nicht sowohl Staats- als Gemeindesache ist; beide Kantone kennen keine staatlichen Wirtschaftspatente; immerhin fürchtet Glarus, wie einige andere Kantone, daß durch die Hinaufsetzung des freien Verkaufsminimums der Arbeiterbevölkcrung die billigste Bezugsquelle von Wein, Most etc. verschlossen werde, während dieser Verkauf bisher von den Spezereihandlungen, Konsumvereinen u. s. w. immer unbeschränkt ausgeübt worden sei.

Basellandschaft erinnert daran, daß gegen die weitgehende Freigebung des Verkaufs nicht gebrannter geistiger Getränke schon vor dem Erlaß der Verfassungsnovelle von 1885 Bedenken erhoben worden seien. Diese Bedenken habe auch er, der Regierungsrat von Baselland, geteilt und dafür gesprochen, das steuerfreie Verkaufsminimum auf 5 Liter zu setzen. Die Behörde giebt nun zu, daß einige Übelstände eingetreten seien ; sie könnte der Motion denn auch zustimmen, wenn es sich bloß um die Revision eines Bundesgesetzes oder Bundesbeschlusses handelte, da aber eine Partialrevision der Bundesverfassung, also eine Volksabstimmung vor sich gehen müßte, das Volk aber den fortwährenden teilweisen Verfassungsänderungen abgeneigt ist, glaube sie sich für einstweiliges Fortbestehen des jetzigen Zustandes aussprechen zu

225 wollen, und zwar um so mehr, als die gegenwärtige Bewegung gegen die Zweiliterwirtschaften hauptsächlich von den Wirten ausgehe, die über eine Benachteiligung durch diese Verkaufsstellen klagen. Das Begehren der Wirte könne jedoch für die Behörden, die das Wohl Aller zu berücksichtigen haben, nicht maßgebend sein. Übrigens sei gegenüber den Klagen der Wirte nicht zu vergessen, daß diese seiner Zeit aus der Aufhebung der Ohmgelder und der Einschränkung der Zahl der Wirtschaften einen wesentlichen Vorteil gezogen haben. Wünschenswert aber wäre, daß entweder der Bund Vorschriften über die Kontrolle der nicht patentierten Verkäufer von Wem und Hier erließe oder die Kantone zu deren l'irlaß ermächtigte.

Appenzell A.-Rh. und Thurgau erklären sich gegen das Motionsbegehren, weil sie keine schlimmen Wirkungen des jetzigen Zustandes verspürt haben ; Thurgau wünscht bloß eine^scharfe Lebensmittelkontrolle.

St. Gallen lehnt ab, weil die Mehrheit seiner Gemeinderäte und Bezirksämter sich gegen das Motionsbegehren ausgesprochen haben. Diese begründen die ablehnende Haltung vielfach damit, daß für Durchführung des letztern eine Verfassungsrevision notwendig wäre, für welche die Präge nicht wichtig genug erscheine.

Auch biete die Verordnung über die Lebensmittelpolizei für den Kanton beruhigende Garantie gegen Schädigungen in gesundheitlicher Beziehung.

Genf hält dafür, daß seine der Bundesverfassung angepaßte Gesetzgebung über den Verkauf geistiger Getränke den Bedürfnissen entspreche ; eine Verschärfung der Kontrolle könnte viele Leute in Verlegenheit bringen, ohne Vorteil für den Kampf gegen den Alkoholismus.

Eine u n e n t s c h i e d e n e Stellung scheinen die Kantone Zug und Appenzell l.-Rh. einzunehmen. E r s t er er erklärt, eine reservierte Haltung einnehmen '/M müssen, und gelangt nach Darlegung der auf seinem Gebiete herrschenden Verhältnisse dazu, .,sich eher gegen die Motion auszusprechena.

Appenzell l.-Rh. befürchtet von der vorgeschlagenen Neuerunggerade das Gegenteil von dein, was die Motionssteiler hoffen, nämlich die Entstehung eines förmlichen Weinhandels en miniature in den Konsumläden, zum Nachteil des geregelten und polizeilich kontrollierten Wirtschaftsbetriebes, dessen Schutz die Motion wolle.

ßuadesblatt. 53. Jahrg. Bd. il.

15

226

In betreff der jetzigen Vorschriften über das Verkaufsminimuni nicht gebrannter geistiger Getränke habe die Regierung noch keine schlimmen Erfahrungen machen müssen. ,,Sollte aber", erklärt die Behörde schließlich, .^eine Anzahl anderer Kantone oder gaidie Mehrheit ^derselben gegenteilige Erfahrungen gemacht haben und deshalb der Motion Steiger und Genossen zustimmen, können wir vom allgemein eidgenössischen Standpunkte aus uns denselben ivolil anschließend Dies ist im wesentlichen, was die Kantone auf unsere Aufrage über ihre Stellung im allgemeinen zu der Motion der Herreu Steiger und Genossen geäußert haben. Gehen wir nun über su der Darler/ung dessen, was sie auf das Kreisschreiben unseres Departements des Innern vom 27. Mai 1898 geantwortet liabcn, das neben einigen statistischen Mitteilungen speciell Auskunft darüber wünschte, ob und welche Klagen während der Jahre 1887 bis 1897 gegen die Großverkaufsgeschäfte nicht gebrannter geistiger Getränke wegen schlechter Ware und sonstiger Mängel laut geworden seien, und was sie überhaupt in Bezug auf die Thätigkeit jener Verkaufsstellen für Wahrnehmungen gemacbt haben.

Hierüber läßt sich der Regierungsrat von Zürich durch Sc.hreiben vom 9. Juni dieses Jahres folgendermaßen vernehmen: Da sogenannte Zweüiterwirtschaften im Kanton Zürich nie existierten und auch heute noch nicht existieren, so fällt für uns die Beantwortung der Fragen 2 und 3 weg. Besondere Klagen gegen den Handel mit nicht gebrannten geistigen Getränken überhaupt sind in den bezeichneten 11 Jahren nicht laut geworden. Die Berichte des Kantonschemikers über die 11 Jahro zeigen, daß von untersuchten Proben bald mehr, bald weniger beanstandet werden mußten. Eine Verschlechterung der in den Handel gebrachten Getränke während der 11 Jahre läßt sich aboi' nicht erkennen. Im Jahre 1896 war zwar die Zahl der beanstandeten Bierproben unverhältnismäßig größer als in früheren Jahren; die Beanstandung erfolgte in den meisten Fällen wegen ungenügender Vergärung. Diese Erscheinung hat jedoch ihren Grund darin, daß durch die Verordnung betreffend Bierausschank und Bierdruckapparate, vom 30. März 1895, Zusammensetzung und Vergärungsgrad der Getränke, die unter der Bezeichnung vlBiera in den Handel gebracht werden dürfen, festgesetzt wurde. Es wäre auch unrichtig, anzunehmen, es hätte im Kanton Zürich der Kleinverkauf, der ein freies Gewerbe war, etwa diejenige Stelle eingenommen wie in ändern Kantonen der Zweiliterverkauf. Denn

227 bis kurz vor dem Jahre 1896 hatte auch der Kleinverkauf geistiger Getränke .nur einen ganz bescheidenen Umfang. Im Jahre 1890 berichteten z. B. die örtlichen Gesundheitsbehörden der Sanitätsdirektion, die ihnen aufgegeben hatte, speciell den Kleinverkauf geistiger Getränke zu kontrollieren und über ihre Beobachtungen Bericht zu erstatten, daß ein Kleinverkauf sozusagen nicht vorhand sei. Erst in den folgenden Jahren scheint derselbe, und namentlich der Flaschenbierhandel, sich allmählich eingebürgert zu haben, was dann die Veranlassung dazu gab, durch das Wirtschafts-gesetz vom 31. Mai 1896 (hauptsächlich auf Anregung der Wirte) den Kleinverkauf von einer staatlichen Bewilligung und der Entrichtung einer Abgabe abhängig zu machen.

Daß der Konsum nicht gebrannter geistiger Getränke in den 11 Jahren erheblich gestiegen ist, steht außer Zweifel. Es fehlt uns aber das erforderliche Material, um die Steigerung des Konsums zahlenmäßig auch nur annähernd g e n a u b e r e c h n e n zu k ö n n e n . Jedoch ist diese Steigerung des Konsums nicht eine Folge des Art. 32bis der Bundesverfassung, da derselbe für den Handel mit geistigen Getränken in unserm Kanton keine Erleichterung brachte und überhaupt für unsern Kanton bis in die jüngste Zeit ohne Bedeutung war.

In neuerer Z e i t s i n d n u n a b e r die n ä m l i c h e n K l a g e n , wie in ä n d e r n K a n t o n e n gegen den Zweiliterverkauf i n u n s e r m K a n t o n g e g e n d e n p a t e n t p f l i c h t i g e n Kl ein v e r k a u f lau t g e w o r d e n . Es wird geklagt über eine starke Vermehrung des Konsums, übermäßigen Alkoholgenuß innerhalb der Familie, namentlich seitens der Frauen und Kinder, sowie auf den Bau- und Arbeitsplätzen seitens der Arbeiter. Wenn auch viele Übertreibungen dabei unterlaufen mögen, so scheinen doch Maßnahmen, welche den Genuß geistiger Getränke etwas erschweren, am Platze zu sein. Wir sind denn auch bereits durch Postulat des Kantonsrates vom 13. November 1899 eingeladen worden, die Frage zu prüfen, durch welche Maßnahmen der durch den Kleinverkauf, namentlich durch den Flaschenbierhandel, geförderte Alkoholismus wirksam bekämpft -werden könne, und hierüber Bericht und Antrag vorzulegen.

Ebenso werden zur Zeit Unterschriften gesammelt zur Einreichung eines Initiativbegehrens auf Revision unseres
Wirtschaftsgesetzes in dem Sinne, daß der Kleinverkauf geistiger Getränke wesentlich erschwert werde (Bedürfnisklausel, erhöhte Patentgebühren u. s. w.).

D u r c h diese Gestaltung der V e r h ä l t n i s s e g e w i n n t d e r A r t . 32 bis A b s a t z 2 , a u c h f ü r u n s e r n K a n t o n a n

228

B e d e u t u n g : d e n n es l i e g t die Ge l'a h r n a h e , - d a ß d i e Erschwerung des Kleinverkaufs durch kantonale Vorschriften den Z w e i l i t e r v e r k a u f auch bei uns beleben und statt einer M i n d e r u n g des Alkoholkonsums eine V e r m e h r u n g desselben h e r b e i f ü h r e n würde.

2. Bern (Schreiben vom 16. Mai 1900). Der Regierungsrat verweist auf seinen hiervor reproduzierten Bericht vom Juli 1897.

3. Luzern. 2. Die Klagen gegen die sogenannten Zweiliterverkaufsstellen sind nicht selten ; zwar weniger wegen unhygieinischer Verhältnisse der Aufbewahrungsräume als vielmehr wegen geringer und schlechter Ware. Die Leute, welche sich mit dem sogenannten Zweilitervertrieb befassen, sind großenteils Krämer und Private, die wenig oder nichts von gegorenen Getränken und deren Behandlung verstehen und öfters noch sogar hinsichtlich der persönlichen Requisite zu wünschen übrig lassen. Diese Detailliste», die von heute auf morgen eine Getränkehandlung aufthun können, kaufen meistens billige, unhaltbare Weine, welche bei Temperaturwechsel oder durch andere Einflüsse leicht umschlagen und schlecht werden. Die Ware wird zu geringen Preisen abgegeben und namentlich von der Arbeiterbevölkerung gekauft und konsumiert. Es ist klar, daß diese Konsumenten dadurch in materieller und gesundheitlicher Hinsicht geschädigt werden.

Die Ortsgesundheitsbehörden schreiten wohl da und dort gegen den Vertrieb von schlechten Getränken ein; allein nicht mit ausreichendem Erfolge.

·i. Die große Gelegenheit zum Einkaufe und das intensive Augebot geistiger Getränke zu den niedrigsten Preisen haben den Konsuni besonders von Wein und Bier in hohem Maße gesteigert.

Der Genuß solcher Getränke ist in die Familie sowohl der Arheiter- als der bäuerlichen Bevölkerung -eingedrungen, welcher Umstand im Verein mit der großen Zahl der Wirtschaften zum Übergenusse führen muß. Hierzu wird noch gelteud gemacht, dass die Erleichterung des Freihandels mit nicht gebrannten geistigen Getränken den Konsum von Branntwein keineswegs vermindert habe.

Unlauterer Wettbewerb kann die Art und Weise genannt werden, wie diese Zweiliterwirtschaften die Geschäfte betreiben, mittelst Reklame, geringer Ware und niedriger Preise. Die Klagen hierüber seitens der patentierten Verkäufer sind allgemein.

Die weit überwiegende Mehrzahl der Gemeindebehörden unseres Kantons geht in der Ansicht einig, daß die gegenwärtigen Zustände,

229 d. h. dio Belassimg des steuerfreien Verkaufsminimunis nicht gebrannter geistiger Getränke auf zwei Litern, dem Alkoholismus den weitesten Vorschuh leiste und insbesondere den untern Schichten der Bevölkerung in ökonomischer, gesundheitlicher und sittlicher Beziehung zum großen Nachteile gereiche. Eine Erhöhung des freien Verkaufsmindestmaßes solcher Genußmittel würde im Interesse der Volkswohlfahrt allseitig begrüßt werden.

4. Uri (Schreiben vom 22. Mai 1900). Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß auch in unserm Kanton bei den sogenannten Großverkaufsgeschäften nicht gebrannter geistiger Getränke Mißstände bestehen in Bezug auf geringwertige Ware, sanitätswidrige Verhältnisse der Aufbewahrungslokale etc. und daß hierüber schon wiederholt Klagen laut geworden sind. In der Mehrzahl der Gemeinden bestehen patentierte Kleinverkaufsstellen und vielleicht noch zahlreicher sind die Weinverkäufer, die nach außen nur über zwei Liter Wein verkaufen, in That und Wahrheit aber in allen, auch den kleinsten Quantitäten handeln. Selbstverständlich schadet dies den patentierten Wirtschaften und Getränkeverkäufern, was von dieser Seite nicht selten zu Klagen führt. Aber auch bei Innehaltung des Literquanturns fühlen sich die Wirte und Getränkeverkäufer noch beeinträchtigt, weil ein Doppelliter des billigsten Weines keine große Ausgabe verursacht und man denselben vom ersten besten Negotianten beziehen kann, während der eigentliche Wirt trotz Erwerbssteuer und Wirtschaftspatenttaxe das Nachsehen hat.

Den wesentlichen Faktor, der uns in Festhaltung des bereits im frühem Schreiben an den Bundesrat eingenommenen Standpunkt veranlaßt, uns gegen den Zweiliterhandel auszusprechen, bildet die erfahrungsgemäße Thatsache, daß der Verbrauch der geistigen Getränke dadurch überhaupt vermehrt wird. Je günstiger sich die Gelegenheit gestaltet, desto mehr weichen die Bedenken, desto eher wird zugegriffen.

5. Schwyz. Dei1 Regienmgsrat erklärt außer stände zu sein, sieh auf die gestellten Fragen zu äußern.

6. Obwalden (Schreiben vom 25. Mai 1900). Kleinverkaufsstellen nicht gebrannter geistiger Getränke kennt unsere Gesetzgebung n i c h t ; geistige Getränke unter zwei Litern dürfen überhaupt nur patentierte Wirte ausschenken. Gebrannte und nicht gebrannte Getränke werden da gleich behandelt.

Über die Großhandlungen in geistigen Getränken im eigentlichen Sinne des Wortes läßt sich wenig sagen, weil unser Kanton

230

solcher Geschäfte sozusagen keine besitzt. Dagegen existieret! in einzelnen Gemeinden mehr oder weniger sogenannter Großhandlungsgeschäfte im uneigentlichen Sinne des Wortes, welche einige hundert Liter billigen Italien'erweiu einkaufen und ihn dann in Quantitäten von zwei und mehr Litern abzusetzen suchen. Eine Kontrolle hierüber, besteht nicht, weil dieser Handel als ,,Großhandel1'- nicht patentiert sein muß, sich deshalb der Kognition der Behörden entzieht. Auch zeigen diese Geschäfte so viel ^^rechsel im Entstehen und Eingehen, daß ihre Existenz oft nur zufällig zur Kenntnis der Behörden gelangt, wenn und sofern gegen dieselben etwa wegen Wirtens, d. h. Abgabe von Getränken unter zwei Litern Klage geführt wird.

Wegen schlechter Ware oder aus hygieinischen Gründen wurde gegen die sogenannten Groß Verkaufsgeschäfte bis jetzt nie geklagt.

Wohl ist richtig, daß die Mehrzahl derselben sich darauf beschänkt, ein Quantum möglichst billigen Italienerweins zu beziehen, um denselben alsdann wieder möglichst billig zu veräußern. Dagegen ist die Wirksamkeit dieser Weinhandlungen volkswirtschaftlich eine schlimme. Die Möglichkeit, einerseits Wein schon in Quantitäten von zwei Litern abzugeben, anderseits ihn auch außerhalb von Wirtschaften schon von zwei Litern an zu beziehen, führt natürlich eine ziemlich starke und zwar unnötige Vermehrung des Konsums nach sich. Und was noch schlimmer ist, diese Zweilitergeschäfte arten gar oft in eine Art Winkelwirtschaft aus. Zum Genüsse an Ort und Stelle sollen diese Händler gar keine Getränke abgeben, weil ja das faktisch und praktisch gleichbedeutend mit Wirten wäre. Das geschieht aber trotzdem häufig und wir kamen schon öfter in den Fall, gegen solch ungesetzliches Wirten einzuschreiten. Wir hoffen daher des entschiedenen, daß mit einer wesentlichen Erhöhung des freien Verkaufsminimums in diesen ungesunden Verhältnissen eher Besserung eintrete. Mit Recht beschweren sich daher auch die patentierten und unter öffentlicher Kontrolle stehenden Wirte über die illoyale Konkurrenz dieser Zweilitergeschäfte und verlangen durchwegs, daß diesem Treiben entgegengetreten werde. Und in der That, für die patentierten Wirte, welche anfangs ihr Geschäft als Wirtschaft teuer kaufen müssen und welche dann noch in der Form der Patentgebühren ziemlich hohe Abgaben zu zahlen haben,
erscheint es doppelt hart, diesetaxfreie, billige und zudem kontrollfreie Konkurrenz dulden zu müssen. Wir stehen daher nicht an, zu betonen, daß diese Zweilitergeschäfte volkswirtschaftlich geradezu verderblich wirken.

231 7. Nidwaiden. Unser Gesetz kennt keine patentierten Kleinverkauf'sstellen nicht gebrannter geistiger Getränke.

Gegen Großverkaufsgeschäfte nicht gebrannter geistiger Getränke sind keinerlei Klagen eingegangen.

8. Glarus. Klagen gegen Großverkaufsgeschäfte sind in den Jahren 1887/97 nur ganz wenige eingegangen und solche beim Poli/eigericht verzoigt und es ist das Untersuchungsergebnis im kantonalen Amtsblatt publiziert worden.

Besondere Wahrnehmungen in Bezug auf die Thätigkeit dieser Verkaufsstellen haben wir bis jetzt noch keine gemacht.

9. Zug (Schreiben vom 10. Mai 1700). Auf Frage 2 des Kreisschreibens vom 27. Mai 1898 ist zu antworten, daß uns bestimmt formulierte Klagen wegen schlechter Ware oder hygieiriisch ungünstiger Aufbewahrungslokule der Getränke nicht bekannt geworden sind. Gegen letztere würden solche überhaupt kaum angezeigt sein, da für richtige und gesundheitlich zuträgliche Keller für die Getränke die Verkäufer schon aus eigenstem Interesse in befriedigender Weise sorgen.

Es werden, wie behauptet wird, Getränkeverkaufsstellen dazu mißbraucht, um die Getränke gleich an Ort und Stelle, oder heimlich und im Übermaß zu Hause zu konsumieren. Eine Gefahr nach der einen oder ändern Richtung hin wird sich nicht in Abrede stellen lassen. Eine Verhandlung, die kürzlich in unserm Kantonsrate stattgefunden, scheint das zu bestätigen, indem da besonders auf diese Schattenseite hingewiesen wurde, welche den Verkaufsstellen von geistigen Getränken über die Gasse anhafte.

Wir wollen nicht unterlassen, auf zwei Momente hinzuweisen, die uns aller Beachtung wert erscheinen. Es betrifft dies einerseits den starken Alkoholgehalt, den die importierten wohlfeilen Italienerweine mit sich führen, was sie vom hygieinischcn Standpunkte aus weniger empfehlenswert macht, dann den Umstand, daß die Zahl der Verkaufsstellen für Detailverkauf von Spirituosen und Getränken über die Gasse in erheblicher Zunahme begriffen ist.

Ließ sich, wie in unserm Schreiben vom 2. Juli 1896 bemerkt war, die /ahi dieser Kleinverkaufspatente damals durch die Eisenbahrihauten, die eine Menge italienischer Arbeiter in den Kanton brachten, welche den Bedarf an Getränken bei derartigen Verkaufsstellen deckten, einigermaßen entschuldigen, mindestens begreifen, so kann dieser Grund heute erheblich weniger mehr in Betracht fallen, wahrend umgekehrt die Zahl der patentierten Kleinverkaufsstellen zugenommen hat.

232 Unser Kantonsrat hatte jüngst Veranlassung, zur vorwürtigen Frage vorläufig Stellung zu nehmen. Von einem Motionär wurde nämlich der Erlaß eines Gesetzes betreffend den Kleinverkauf' über die Gasse verlangt, und zwar zum ausgesprochenen Zwecke, die, bestehenden Kleinverkaufsstellen thunlichst zu beschränken und die Bewilligung solcher, wie bei den Wirtschaften, von der Bedürfnisfrage abhängig zu machen. Die Motion wurde erheblich erklärt und der Regierungsrat mit Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfos betraut. Was in Sachen geschehen wird, bleibt abzuwarten. Dagegen läßt sich nicht in Abrede stellen, daß vom ethischen und volkswirtschaftlichen Standpunkte aus nur gewünscht werden kann, es möchte die Motion zum angestrebten Ziele führen, wenn auch nicht verschwiegen werden soll, daß die Anregung den Kreisen der zugerischen Wirte entstammt, die das Überhandnehmen der Kleinverkaufsstellen als ihren Berufsinteressen wenig förderlich erachten.

10. Freiburg (Schreiben vom 5. Oktober 1898). Wir haben keine gegen die Großhändler (Weinhändler) gerichtete Klagen erhalten und auch nicht gegen Träger der Patente der Klasse II (Klein verkauf geistiger Getränke über die Gasse), die ausschließlich in den Städten vorkommen. Dagegen haben sich zahlreiche Klagen erhoben gegen die Verkaufsstellen (über die Gasse) auf dorn Lande, und seit 1895 sahen wir uns veranlaßt, diese durch den Kantonschemiker untersuchen zu lassen. Aus den von diesem Beamten in der Folge unserer Polizeidirektion erstatteten Berichten, und namentlich aus dem mit Bezug auf Ihr Cirkular vom JO. August 1898, geht, hervor, daß zahlreiche Klagen gegen jene Stellen laut geworden sind.

Die Inspektionen des Kantonschemikers richteten sich sowohl auf die Qualität der feilgebotenen Ware als auf den Zustand der Lokale, in denen diese aufbewahrt wird.

Abgesehen von einigen zu gunsten der Verkaufsstellen in den Städten zu machenden Ausnahmen steht der Beamte nicht an, zu bestätigen, daß die durch die derartigen Stellen dem Publikum angebotene Ware minderer Qualität ist. Beinahe überall sind es nur fremde, d. h. spanische und italienische Weine, die, für geringes Geld eingekauft, wieder zu einem Preise abgesetzt werden, der, wiewohl nicht hoch, doch zu der Qualität der Ware in keinem Verhältnis steht. Diese Weine enthalten im allgemeinen nicht
gesundheitsschädliche Substanzen, sind aber sehr schwach an Alkoholgehalt und sehr schlecht besorgt.

Die Gewurzkrämer auf dem Lande, bei denen die meisten dieser Weinverkaufsstellen zu finden sind, haben wenig Hiilfs-

233 mitte], besitzen nicht geeignete Lokale und verstehen sicJi iii der Regel nicht auf die Behandlung der Weine. Meistens liegen ihre Weine neben ändern Fässern, die Petrol, Öl etc. enthalten, in Hintermagazinen, kleinen, düstern, niedern Räumen, ohne Luft, oder sogar der Sonne ausgesetzt; infolgedessen verderben die Weine und werden leicht zu Essig. Die Kundsame dieser Stellen besteht besonders aus unbemittelten Leuten und aus jungem Volk, das nur darauf sieht, viel Wein zu wohlfeilem Preise zu erhalten, ohne nach der Güte zu fragen.

Wie Sie aus der Ihnen gegebenen Statistik entnehmen können, vermehren sich diese Verkaufsstellen von Jahr zu Jahr. Wir haben selbst in Erfahrung bringen müssen, daß mehrere derselben sich bis jetzt jeglicher Besteuerung zu entziehen wußten aus Unachtsamkeit der Gemeinderäte, die sie den Kantonsbehörden hätten angeben sollen.

Im weitern führt der Staatsrat aus. daß es eine große Zahl heimlicher Verkaufsstellen gebe, die weder Patente besitzen noch in den Steuerregistern erscheinen. Dieselben liegen in Privatliäusern, wo auch gebrannte Getränke verkauft werden. Gegen diese geheimen Verkaufsstellen erfolgen alljährlich, ohne daß sich deren Ziffer verminderte, zahlreiche gerichtliche Anzeigen und Bestrafungen. Die Zahl derartige]- Anzeigen belief sich: 1887 auf S>2; 1888: 102; 1889: 116; 1890: 242; 1891: 182; 1892: 132; 1893: 122; 1894: 196: 1895: 119; 1896: 109; 1897: 153.

Wir haben, sagt der Staatsrat weiter, diesen Erscheinungen durch eine strengere Polizeiaufsicht entgegenzuwirken gesucht, sowie durch eine strenge Anwendung des Gesetzes, durch Vermittlung der Presse und die Thätigkeit der Temperenzgesellschaften. In der Folge wurden einige Gefäße schlechten und gefälschten Weines konfisciert und ihr Inhalt auf die Straße geschüttet.

Anderseits haben wir in unser Gesetz über die Wirtschaften vom 28. September 1888 gewisse auf die Einschränkung der öffentlichen Wirtschaften zielende Bestimmungen eingerückt; allein die Vermehrung der Weinverkaufsstellen, welche die durch Art. 32bi" gewährte Freiheit hervorruft, hat uns zu neuen Konzessionen im Kampfe gegen die übeln Folgen des freien Verkaufs gezwungen.

Der Große Rat hat uns auch mehrmals eingeladen, die Besteuerung dieser Verkaufsstellen zu erhöhen : angesichts des Textes jenes Verfassungsartikels haben wir uns dazu aber nicht als kompetent erachtet.

234

Als Antwort auf die zweite Frage führt der Staatsrat aus.

wie das Übel des starken Genusses alkoholischer Getränke infolge der Vermehrung der Verkaufsstelleu von Jahr zu Jahr zunehme, was auch aus den Ziffern der Einfuhr geistiger Getränke hervorgehe ; daß jene Verkaufsstellen den ungünstigsten Einfluß auf die ärmere Klasse ausüben und wie die Staatsbehörde einen mühsamen, meistens fruchtlosen Kampf gegen die schlimmen Folgen der durch den Art. 32bis der Bundesverfassung geschaffenen Freiheit führe.

Der Staatsrat schließt seinen Bericht mit dem dringenden Wunsche, daß gewisse Polizei Vorschriften gegen die Freiverkaufwstellen über die Gasse aufgestellt werden möchten. Mit Bezug hierauf erklärt er sich nicht nur mit der Motion der Herren Steiger und Genossen einverstanden, sondern wünschte noch weiter zu gehen in der Weise, daß er verlangt, es seien in Absatz 2 des Art. 32bis die Worte ,,noch ändern Beschränkungen als denjenigen welche zum Schütze vor gefälschten oder gesundheitsschädlichen Getränken notwendig sind'- zu streichen.

11. Solothurn. Der Regierungsrat hatte bis zu Abfassung dieses Berichtes keine Antwort auf das Kreischrciben unseres Departements des Innern eingesandt.

12. Baselstadt. Anstatt einer Rückäußerung auf die zwei Fragen hat der Regierungsrat eine Botschaft (Ratschlag) riebst dem Entwurf zu einer Novelle zu dem Wirtschaftsgesetz von 1887, welche sich namentlich mit dem Kleinverkauf geistiger Getränke beschäftigt, eingeschickt und die Bemerkung daran geknüpft, daf.i.

wenn diese vom 26. Mai 1898 datierte Novelle in der anbegehrten Volksabstimmung verworfen werden sollte, ihm die Annahme dei' Motion der Herren Steiger und Genossen als sehr wünschbar erscheine.

Diese Vorlage ist in der Volksabstimmung vorn 3. September 1898 wirklich verworfen worden.

13. Basellandschaft (Schreiben vom 18. Juni 1898). Da die Verkaufsstellen von 2 Litern und darüber einer Kontrolle nicht unterliegen, können wir darüber, wie hoch sich deren Zahl in den einzelnen Jahren belaufen hat, keine Angaben machen; wir wissen nur soviel, daß seit Anfang des Jahres 1896, wo ebenfalls eine Zählung stattgefunden hat, eine Zunahme von ca. 40 /u konstatieren ist. lu unserm Berichte vom 17. Februar 1896 an Ihr Departement haben wir uns in einläßlicher Weise über die Zweiliterwirtschaften ausgesprochen und wir erachten das dort Ge-

·235sagte auch heute noch im großen und ganzen für zutreffend. Immerhin soll nicht in Abrede gestellt werden, daß infolge der erheblichen Zunahme der Verkaufsstellen manchenorts nunmehr zuviel Gelegenheit zum Bezüge alkoholischer Getränke geboten ist, so daß man heute mehr als noch vor ein paar Jahren, und zwar nicht bloß von Wirten, sondern auch von unbeteiligter Seite, Klagen über diese unbeschränkte Abgabefreiheit hört.

Wir stehen deshalb nicht cm, zu erklären, daß wir heute eine llevision des betreffenden Vcrfassunysartilcels befürworten können; immerhin jedoch nur im Sinne einer Erhöhung des Minimums bis auf 6 Liter ) ivobei dann zugleich den Kantonen ein Kontrollrecht gegenüber den Abgabestellen soll eingeräumt werden.

In einem späteren Schreiben vom 13. Januar 1900 erklärt .sich der Regierungsrat von Basel-Landschaft auf eine Eingabe des Gemeinderates von Binningen nochmals für Einschränkung des /wei lite r Verkaufs, d. h. für Berücksichtigung des Motionsbegehrenn.

14. Schaffhausen (Schreiben vom 18. Oktober 1898). Mit Bezug auf die unter 2 gestellte Frage müssen wir berichten, daßin unserem Kanton sogenannte Zweiliterwirtschaften weniger bekannt sind. Der Bezug von Wein und Bier in Quantitäten liber 2 Liter geschieht zum grüssten Teil von patentierten Klein Verkaufsstellen, eventuell den eigentlichen Wirtschaften, beziehungsweise Bierbrauereien, oder dann in Gebinden von eigentlichen Grossisten, über welch letztere uns Klagen nicht eingegangen sind betreffend Lieferung schlechter Ware oder sonstiger hygieinischer Verhältnisse der Aufbewahrungsorte.

Infolge dieser Verhältnisse konnten auch in Bezug auf die Thätigkeit solcher Wahrnehmungen nicht gemacht werden über unlautere Konkurrenz, ökonomische oder gesundheitliche oder sittliche Folgen.

Da irgend eine Kontrolle mit Bezug auf das Quantum des Konsums im herwärtigen Kanton nicht besteht, ist es auch nicht möglich, mit Bestimmtheit Angaben darüber zu machen, ob der Konsum ab- oder zugenommen hat. Es ist das letztere anzunehmen und auch aus der Vermehrung der Verkaufsstellen überhaupt zu schließen.

Mit Bezug auf die Vermehrung der Wirtschaften ist im ülirigen zu bemerken, daß eine solche irn wesentlichen nur in den mit Industrie versehenen Gemeinden eingetreten ist.

15. Appenzell A.-Rh. (Schreiben vom 2. Juli 1898). Es ist zu konstatieren, daß die Zahl der Wein Verkaufsgeschäfte sich im

236

letzten Jahrzehnt erheblich vermehrt und daß die Konkurrenz sich verschärft hat. Das gilt sowohl von den eigentlichen Weinhandlungen (Großverkaufsgeschäften) als auch von den kleinen Wein Verkaufsgeschäften, welche in der Regel ein Nebengeschäft der Konsumvereine und Spezereiwarenhandlungen bilden. Auch die Bierhandlungen haben im Zeitraum des letzten Decenniums eine Vermehrung erfahren.

Patentgebühren werden im Kanton Appenzell A.-Rh. auch ·von Wirtschaften nicht erhoben ; dagegen ist der Betrieb solcher der regierungsrätlichen Bewilligung und der amtlichen Aufsicht unterstellt. Über die Thätigkeit der Wirtschaften und kleinern Weinverkaufsgeschäfte üben dieOrtsgesundheitskommissionenKontrolle und wir können auf Grund der bezüglichen Berichterstattungen, welche Jahr für Jahr in unsern Rechenschaftsberichten niedergelegt werrden, feststellen, daß Klagen von Belang gegen solche Geschäfte nie laut werden.

Unsere Wahrnehmungen über die kleineren Weinverkaul'sgeschäfte sind nicht ungünstig. Thatsache ist, daß die eigentlichen Weinhandlungen sich mit Abgabe kleiner Quantitäten (bis 2 Liter) ·nicht befassen und dem kleinen Manne nicht zugänglich sind, und Thatsache ist, daß der kleine Mann erheblich billiger bedient wird, wenn er seinen allfälligen Bedarf nicht beim Wirt, sondern beim Kleinverkaufsgeschäft deckt.

16. Appenzell l.-Rh. (Schreiben vom 18. Mai 1900). Klagen gegen die Großverkaufsgeschäfte nichtgebrannter geistiger Getränke wegen schlechter Ware u. s. w. sind uns keine bekannt geworden und es waren die Aufsichtsbehörden deshalb nicht in der Lage, Maßnahmen treffen zu müssen. Nur ist zu bemerken, daß auch diese Geschäfte der Kontrolle der Lebensmittelpolizei unterstellt sind und sich der periodisch vorzunehmenden Untersuchung der Getränke zu unterziehen haben.

Nach gemachten Erfahrungen besteht für die Zweiliterwirtschaften die große Versuchung, auch unter dem zulässigen Minimum Quantitäten nichtgebrannter geistiger Getränke an ihre Kunden abzugeben. Solche Gesetzesübertretungen sind nun äußerst schwer kontrollierbar und wirken in der Weise schädlich, daß der Getränkekonsum und damit auch der Alkoholismus vermehrt und befördert wird und anderseits zu Klagen der bestehenden Wirtschaften wegen unberechtigter Konkurrenz Anlaß gibt.

17. St. Gallen (Schreiben vom 31. Dezember 1900) teilt mit, daß Verkaufsstellen nicht gebrannter geistiger Getränke in Maßen

23T vou 2 Liter und mehr, wie solche irn Kanton Bern zu treffen sind',, in demjenigen vou St. Gallen nicht bestehen. Neben den patentierten Wirtschaften und Kleinverkaufsstellen existiere in diesem Kanton lediglich eine große Anzahl in kleinerem und größerem Umfange betriebener Weinhandlungen, Bierbrauereien und Mostereien, die nicht unter amtlicher Kontrolle stehen und die daher, ohne irgendwelche Gebühr zu entrichten, auf Bestellung hin an Wirte,.

Wiederverkäufer und Private Getränke in der Regel in Quantitäten von weit über 2 und 10 Liter verkaufen. Über diese Großverkaufsgeschäfte, für welche die Bezeichnung Zweiliterwirtschaftenvollständig unzutreffend wäre, seien der Regierung nie Klage» zugekommen, die Veranlassung zu amtlichem Einschreiten hätten geben können.

Dagegen beklagt sich der Bericht des Regierungsrates über Mißstände, die sich im Kleinverkauf nicht gebrannter geistiger Getränke, namentlich im Verkauf von Flaschenbier, fühlbar machen..

Da diese Übelstände den Verkauf von Quantitäten unter zwei Liter betreffen und es in der Macht des Kantons liegt, hiergegen einzuschreiten, fallen die daherigen Ausführungen für die Motionsfrage außer Betracht.

18. Graubünden (Schreiben vom 6. September 1898). Der Kleine Rat teilt mit, daß er nicht in der Lage sei, die gewünschten statistischen Aufschlüsse zu erteilen, weil der Kanton Graubünden k e i n W i r t s c h a f t s g e s e t z b e s i t z t , sondern erst im Begriffe ist, ein solches zu erlassen. Da nun zur Zeit einsolches Gesetz fehlt und die Behörde auch nicht weiß, ob und wann das Volk ein solches annehmen werde, so sehe sie sich n i c h t veranlaßt, für eine Abänderung der Bundesverfassung im Sinne der Motion Steiger einzutreten.

19. Aargau. Der Regierungsrat wiederholt in seinen) Schreiben, vom 9. Februar 1900 im wesentlichen, was er schon in seiner Antwort vom 24. April 1896 auf unser Kreisschreiben vom 23. Januardesselben Jahres angebracht hat.

20. Thurgau (Schreiben vom 6. Juni 1898). K l e i n v e r k a u f s p a t o n t e für den Ausschank nichtgebrannter Wasser k e n n t das thurgauische Wirtschaftsgesetz nicht und über die G r o ß v e r k a u f s g e s c h ä f t e fehlt d e r Regierung j e d e K o n t r o l l e , weil die Lösung eiaes Patentes für den Betrieb eines solchen Geschäfts nicht gefordert wird.

In den Jahren, in denen die Weinernte qualitativ geringausfiel, kam allerdings vor, daß sowohl von Weinhändlern als von

238 Wirten der Wein durch Wasser- und Zuckerzusatz und Mischung mit fremden Weinen zu verbessern gesucht wurde. Soweit diese Produkte nicht als gesundheitsschädlich erfunden werden, wird gegen den Ausschank keine Einsprache erhoben, sofern derselbe unter der richtigen Bezeichnung, d. h. als künstlich bereitetes Getränk erfolgt. Das im Jahre 1890 erlassene Gesetz über die öffentliche Gesundheitspflege und die Lebensmittelpolizei stellt für jede Municipalgemeinde eine Gesundheitskommission auf, welche spcciell auf die Lebens- und GenuSmittel und deren allfiillige Fälschung ein wachsames Auge au richten hat. Fälschung von Lebens- und Genußmitteln durch Beimischung gesundheitsschädlicher oder solcher Stoffe, durch welche jene verschlechtert oder in ihrem Werte verringert werden, werden strafgerichtlich verfolgt, während der Verkauf von nicht gesundheitsschädlichen, aber künstlich bereiteten Lebensrnitteln -- ohne sie als solche zu bezeichnen -- mit einer Polizeibuße von Fr. 10--200 belegt wird.

Auch in Bezug auf die Wirtschaftslokale, die Verkaufslokale von Lebens- und Genußmitteln wie über Verhältnisse, welche mit der Gesundheit des Volkes in Beziehung stehen, stellt das Gesetz ein Aufsichtsrecht der Behörden auf. Klagen über zahlreiche und erhebliche Mißstände, speciell im Wirtschaftsbetricbe sind uns als Aufsichtsbehörde nicht zur Kenntnis gelangt, so daß wir die Zustände im allgemeinen als befriedigend anerkennen dürfen.

Am 3. März 1896 hat der Regierungsrat von Thurgau die Frage, ob er die in der Motion Steiger und Genossen angeregten Änderungen in Art. 32 der Bundesverfassung als wünschbar erachte, v e r n e i n t .

D u r c h S c h r e i b e n vom 19. J a n u a r 1900 s a g t die Behörde nun: U n s e r e s e i t h e r i g e n E r f a h r u n g e n h a b e n u n s jedoch die Ü b e r z e u g u n g beigebracht, daß der d u r c h j e n e M o t i o n b e a b s i c h t i g t e Z w e c k e i n guter u n d daher z u u n t e r s t ü t z e n sei.

Durch die immer mehr sich ausbreitenden Konsumvereine ist zwischen diesen und den Spezereigeschäften ein Konkurrenzkampf entstanden, in welchem alle Lebensbedürfnisse dem Publikum an möglichst billigen Preisen angetragen werden. Leider haben diese Verkaufsstellen auch den Verkauf geistiger und zwar auch nichtgebrannter Getränke in den Bereich ihrer Geschäftsthätigkeit einbezogen, so daß Konsumvereine und Spezereihändler in den öffentlichen Blättern den Verkauf solcher von über 2 Liter anbieten.

239

Von diesen Offerten wird auch in der arbeitenden Klasse ausgiebig Gebrauch gemacht, zumal die Preise sehr niedrig gehalten sind.

Der Flaschenbierhandel sodann nimmt Dimensionen an, dass man selbst auf dem Lande täglich und zu öftern Malen Fuhrwerken der Bierdepots begegnet. In jüngster Zeit wurde uns brieflich mitgeteilt, daß ein großes Brauereigeschäft beabsichtige, da und dort im Kanton Bierablagen zu errichten, in welchen Bier in Quantitäten von 2 Litern ab verkauft werden soll. Es ist einleuchtend, daß diese gebotenen Gelegenheiten, in kleinen Quantitäten sich geistige Getränke mehr, als zuträglich ist, verschaffen zu können, benützt werden, wodurch erfahrungsgemäß ein größerer Konsum in den Familien veranlaßt wird. Speciell will man die Beobachtung gemacht haben, daß in Abwesenheit des Familienvaters bei der Arbeit von den Familienangehörigen geistige Getränke geholt und konsumiert werden, was nicht nur eine ökonomische Einbuße bedeutet, sondern gesundheitsschädlich und demoralisierend wirken muß. Wir g l a u b e n , daß d e r G e n u ß g e i s t i g er G e t r ä n k e in d e n W i r t s h ä u s e r n , wenn auch diesem selbst mehr als wünschenswert, gehuldigt wird, diesem unkontrollierbaren Kauf in den Verkaufsläden und K o n s u m in der Familie selbst noch v o r z u z i e h e n ist, indem es den Behörden an der Hand der gesundheits- und anderer polizeilicher Vorschriften eher möglich ist, gegen Mißbrauch und Unordnung einzuschreiten.

W i r m ü s s e n d a h e r d i e M i t t e l b e g r ü ß e n , d i e geeignet scheinen, solchen Übelständen zu steuern, wozu o h n e Zweifel di e Er h ö h u n g des Quantums, über w e l c h e s d e n K a n t o n e n d e r E r l a ß p o l i z e i l i c h e r Bes c h r ä n k u n g e n g e s t a t t e t , ist, v o n z w e i a u f z e h n o d e r n o c h in eh r L i t e r g e h ö r t .

21. Tessin (Schreiben vom 17. September 1898).

Wir sind nicht im stände, die Zahl der Zweiliterverkaufsstell anzugeben, da uns die statistischen Mitteilungen hierüber fehlen. Wir wissen auch nicht, ob dieselben sich gegenseitig eine unlautere Konkurrenz machen und ob ihre Zahl im Zunehmen oder Abnehmen begriffen ist 5 soviel uns scheint, bleibt der Verbrauch geistiger Getränke gleich. Wenn sich auch bei uns Erscheinungen zeigen, die vom ökonomischen, hygieinischen oder moralischen
Gesichtspunkte dem Mißbrauch geistiger Getränke zugemessen werden müssen, so erblicken wir sie im allgemeinen stets bei Personen, welche sich außerhalb des Kantons aufgehalten haben und bei

240 ihrer Zurückkunft die Gewohnheit des Trinkens beibehalten oder die Folgen derselben zu leiden bekommen.

22. Waadt (Schreiben vom 3. Juni 1898). Es ist uns nicht möglich, Ihnen die Zahl der Häuser anzugeben, welche in den Jahren 1887 bis 1897 nicht gebrannte geistige Getränke in Quantitäten von 2 und mehr Litern verkauft haben, d. h. die EngrosHandlungen. Wir besitzen hierüber keine Angaben. Unseres Wissens giebt es in unserem Kanton keine Zweiliterwirtschaften Wir können Ihnen also auf die Fragen 2 und 3 Ihres Cirkulars keine Antwort geben.

23. WalliS (Schreiben vom 11. Juni 1898). Es giebt in unserem Kanton keine Weinverkaufsstellen, die in Quantitäten von 2 Litern über die Gasse verkaufen: wir haben somit auch keine Klagen in dieser Richtung anzubringen. Der einzige Verkauf über die Gasse, den wir im Kanton Wallis kennen, ist derjenige der Rebenbesitzer, die ihren selbstgepflanzten Wein verkaufen. Dieser Handel ist keiner Abgabe unterworfen und es ist uns absolut kein Mißbrauch dieses geduldeten Verkaufes angezeigt worden.

Da wir keine Zweiliterwirtschaften besitzen, haben wir nichts auf die unter Ziff. 3 Ihres Cirkulars stehenden Fragen zu antworten.

Wir halten indessen dafür, daß der Weinverkauf über die Gasse in Maßen von zwei Litern und mehr nicht als freier Grosshandel sondern als Detailverkauf betrachtet werden sollte, der denn auch nur auf eine Bewilligung des Stautes oder der Gemeinden hin gestattet und allen gesetzlichen Vorschriften über die Wirtschaften unterworfen sein sollte.

Der Grosshandel sollte nicht in Quantitäten unter 30 oder sogar 40 Litern abgeben dürfen.

24. Neuenburg. Der Staatsrat verweist auf das, was er in seiner Autwort vom 13. März 1898 auf unser Kreisschreiben vom 21. Januar 1896 angebracht habe.

25. Genf (Schreiben vom 25. Oktober 1900). Über die Thätigkeit der Stellen, die nicht gebraunte geistige Getränke in Maßen von 2 Litern und mehr verkaufen, und die Vermehrung des Konsums alkoholischer Getränke fehlen uns die statistischen Daten, so daß wir uns nicht darüber aussprechen können. Indessen müssen wir die Thatsache anerkennen, daß gegen die Detailverkäufer nicht gebrannter alkoholischer Getränke bei den Polizeibehörden häufig Klagen wegen Ausschenkens an Ort und Stelle erhoben wurden. Jedoch haben sich diese, dank einer strengen

241 Aufsicht und zahlreicher Verurteilungen der Fehlbaren zu Bußen, nunmehr vermindert.

Dies im wesentlichen die Äußerungen der Kantone über ihr Verhältnis zur Motionsfrage. Scheiden wir sie nach denselben in motionsfreundliche und motionsfeindliche, so stellen sich 15 Kantone und Halbkantone unter erstere und 10 unter letztere.

Zu den der Motion z u s t i m m e n d e n gehören die Kantone Zürich, Bern, Luzern, Uri, Obwalden, Nidwaiden, Freiburg, Solothurn, Baselstadt, Baselland, Thurgau, Tessin, Waadt und, vermöge seiner besondern Erklärung, Appenzell I.-Bh. Nach seiner letzten Äußerung gehört hierzu auch Wallis.

Bloß grundsätzlich stimmt der Motion zu Baselland, welches eine Erhöhung des freien Verkaufsminimums auf bloß 5 Liter wünscht; Waadt dagegen mit einigen ändern Kantonen wünscht eine Erhöhung auf 15 oder mehr Liter.

A b l e h n e n d gegen die Motion verhalten sich die Kantone Schwyz, Glarus, Schaff'hausen, Appenzell A.-Rh., St. Gallen, Graubünden, Aargau, Neuenburg und Genf und zu diesen ist noch zu zählen Zug, dessen Regierung sich unentschieden ausgesprochen hat.

Beiläufig sei bemerkt, daß die der Motion zustimmenden Kantone eine Bevölkerung von rund 2,284,300 repräsentieren und diejenigen, die sich gegen die Motion aussprechen, eine solche von rund 1,028,300.

Sehen wir einstweilen von diesem Verhältnis ab und suchen ein Bild des Vertriebes nicht gebrannter geistiger Getränke aus dem uns gewordenen statistischen Material zu gewinnen.

Tabelle l giebt Auskunft über die Entwicklung der patentierten Wirtschaften. Tabelle 2 über die patentierten Kleinverkaufsstellen dicht gebrannter geistiger Getränke. Tabelle 3 über die von den verschiedenen Wirtschaften und Verkaufsstellen zu entrichtenden Patentgebühren ; Tabelle 4 endlich enthält eine Übersicht über die Weineinfuhr (in Fässern) seit 1887 aus den für die Schweiz hauptsächlich in Betracht kommenden Nachbarstaaten.

Der Tabelle 2 ist eine Übersicht über die Entwicklung der Verkaufsstellen nicht gebrannter geistiger Getränke in Massen von 2 Litern und mehr (Zweiliterwirtschaften) beigefügt. Das hierüber erlangte Material ist leider nicht umfassend ; es haben uns nur die Regierungen von Bern, Luzern, Zug, Freiburg und Aargau Angaben machen können. Die Zusammenstellung läßt aber schon Bundesblatt. 53. Jahrg. Bd. II.

16

242 einen Schluß auf die Vermehrung jener Stellen in den übrigen Kantonen mit ähnlichen Verhältnissen zu.

Vergleicht man die Ziffern dieser Zweiliterverkaufsstellen mit denjenigen der patentierten Wirtschaften und den patentierten Kleinverkaufsstellen nicht gebrannter geistiger Getränke, so springt sofort die rasche Vermehrung der erstem in die Augen ; während nämlich letztere zwei an Zahl beinahe konstant bleiben oder nur in geringem Maße wachsen, haben jene während der 11 Jahre in auffallender Weise zugenommen. Eine Beleuchtung erhält dieses Wachstum auch durch die unten an der Tabelle beigesetzte Zahl der im Handelsregister eingetragenen Großhandlungen mit Wein im Kanton Zürich.

(Zu bemerken ist, daß der ausnahmsweise Rückgang der Zahl der Zweiliterwirtschaften vom Jahre 1894 auf 1895 im Kanton Bern dem neuen, auf 1. Januar des letztern Jahres in Kraft getretenen Wirtschaftsgesetz zuzuschreiben ist, welches einige einschränkende Bestimmungen aufgestellt hat. Dies hinderte indessen nicht, daß jene Verkaufsstellen von 1895 an rasch wieder zunahmen.")

Bedenkt man nun, daß die Verkaufsstellen in Quantitäten von 2 Litern und darüber, die in den Kantonen Bern, Luzern und Zug schon halb so zahlreich geworden sind wie die patentierten Wirtschaften, ihre Ware wohlfeiler abgeben müssen, als es die Wirtschaften thun, wenn sie neben diesen bestehen wollen, und daß sie trotzdem auch noch einen möglichst großen Profit herausschlagen wollen, so gerät man mit Notwendigkeit auf den Schluß, daß es billigere, d. h. an Qualität nachstehende Getränkesorten sein müssen, die da ihren Absatz finden.

Der von einer Reihe Kantonsregierungen gegen die Mehrzahl der Zweiliterverkaufsstellen erhobene Vorwurf, daß sie ihre Kundschaft statt mit ordentlichem Getränk mit minderwertiger Ware bedienen und dadurch, abgesehen von dem Vorschub, den sie der Trunksucht leisten, schädlich wirken, erhält aus diesem Umstände seine Bestätigung. Namentlich erhält auch die Angabe mehrerer Regierungen, daß jene Verkaufsstellen hauptsächlich die billigen italienischen und spanischen Weine absetzen, durch die angeschlossene Tabelle über die Weineinfuhr eine bestätigende Beleuchtung.

Das rasche und ununterbrochene Anwachsen derselben Verkaufsstellen mit seinen Folgen zeigt deutlich, daß ihre Begründung im Jahre 1885 ein gesetzgeberischer Fehler war.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das in der Motion der Herren Nationalrat Steiger (St. Gallen) und Mitunterzeichner, vom 20. Dezember 1894, enthaltene Begehren um Revision des Art. 32bis der Bundesverfassung. (Vom 15. Mä...

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1901

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

12

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

20.03.1901

Date Data Seite

205-242

Page Pagina Ref. No

10 019 550

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.