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Bericht der

ständeräthlichen Commission betreffend die Gewährleistung der Verfassungen von Luzern, Thurgau und Zürich.

(Vom 9. Juli 1869.)

Tit..

Die Abäuderungen der im Jahr 1863 erlasseneu Staatsversassung des Kantons Luzern vom 15. Februar , und die neuen Verfassungen der Kantone Thurgau vom 27. Januar und Zürich vom 31. März, siud von Jhxer kommission an der Hand des Art. 6 der Bundesverfassung geprüft worden, welcher die Bedingungen enthalt, unter denen der Bund die notwendige Gewährleistung der kantonalen Verfassungen übernimmt.

Treten wir ans diese Bedingungen und zwar in der umgekehrten in Art. 6 der Bundesversassuug enthaltenen Reihensolge ein, so haben wir zuerst die Frage zn berühren , o b d i e s e n e n e n V e r s a s sungen, wenn die absolute Mehrheit der Bürger e s v e r l a n g t , r e v i d i r t w e r d e n k ö n n e n . D i e Abänderungen der Luzerner Versassuug enthalten in den §§ 5 und 6 hierüber neue , die srühern §§ 32 und 35 modifizireude Bestimmungen , ohne indessen das entscheidende Brinzip , dass die Versassung revidirt werden kann , wann die Mehrheit der stimmfähigen Einwohner --- jeue nicht gezählt, welche sich vor der Abstimmung beim Gemeindrathspräsidenten schriftlich entschuldigt haben -.- es verlangt. Spricht sich die Mehrheit des Volkes sür die Revision aus, so hat der Grosse Rath einen Versassungsrath einzubexusen. Rach der Verfassung von Thurgau, § 59, kann die Revision im Ganzen oder theilweise aus dem Wege der Gesetzgebuug oder kraft des dem Volke eingeräumten Vorschlagsrechtes ange-

946 bahnt werden. Jm ledern Falle hat dasselbe gleichzeitig z.... entscheiden, ob die Revision dem Grossen Rathe oder einem besondern Verfassungsrathe zu übertragen sei. Sehnliche Bestimmungen enthält die Versassung von Zürich, Art. 65, mit dem Unterschiede immerhin, dass wenn die Revision aus dem Wege der sogenannten Volksinitiative beschlossen wird, sofort die Renwahl des Kan..onsra..hes stattzufinden und dieser die Revision an die Hand zu nehmen hat. Jn den § 1 und 2 der Thnrgauer Verfassung ist überd.ess no.h ausdrücklich vorgeschrieben , einmal dass bei allen Volksabstimmungen die absolute Mehrheit der Stimmenden entscheide und dass sich das tl.urgauische Volk seine Verfassung selbst gebe, und in Art. 30 der Zürcher Verfassung, dass alle Verfassungsänderungen der Volksabstimmung zu unterstellen seien und bei derselben die absolute Mehrheit der bejahenden und verneinenden Stimmen entscheide.

Uebergehend zu der Frage, ob die neuen Verfassungen . p o m V o l k e a n g e n o m m e n w o r d e n s e i e n , ist zunächst zu berichten, dass sich am 18. April l. J. über diejenige des Kantons Zürich von 64,737 Stimmberechtigten 58,896 ausgesprochen, und von den letztern 35,458 die neue Verfassung angenommen haben. Jm Kanton Thnrgau nahmen an der am 28. Februar l. J. staltgesnndenen Abstimmung von

eirea 22,000 Stimmfähigen 18,522 an der Abstimmung Theil und haben vou diesen 11,781 die ueue Verfassung angenommen. Jm Kauton Luzern fand die Abstimmung am 14. März l. J. statt und es be-

theiligten sieh an derselben vou 27,259 stimmfähigen nur 13,370, und haben von den letztern nur 8994 ihr Votnm für Annahme der neuen Verfassung abgegeben.

Obschon sonach sich nur in. Kanton Zürich eine unzweifelhafte Mehrheit der Stimmberechtigten für Annahme ergeben haben , so leidet es doch keinen Zweifel , dass nicht aueh die Abänderungen der Luzerner Verfassung und die Thurgauische Verfassung als durch das Volk dieser Kautoue angenommen zn betrachten seien.

Was die erstexn betrifft, so sehreibt der Art. 37 der vom Bnnd gewährleisteten Verfassung von 1863 vor, dass wenn die vom Grossen Rathe vorgeschlagenen Abänderungen (und um solehe handelt es sieh im vorliegenden Falle) nieht die Stimmen der a b s o l u t e n M e h r h e i t d e r i n d e n G e m e i n d e v e r s a m m l u n g e u a n w e s e n d e n Bürger e r h a l t e n , die Verfassung unverändert in Kraft verbleibe. Was die Thurgauische Verfassung anbelangt, so schreibt Art. 97 der bisher in Kraft gestandenen vou 1849 vor, dass wenn die Mehrheit der s t i m m e n d e n Kauto..seiu.vohuer die revidirte Verfassung angenommen haben, diese in Krast trete.

Eiue weitere Bedingung des Art. 6 unserer Bundesverfassung besteht darin, dass die Kantousverfassnugeu d i e A u s ü b u n g d e r polit i s c h e n R e c h t e nach r e p u b l i k a n i s c h e n repräsentativen o d e r d e m o k r a t i s c h e n --- F o r m e n s i c h e r n .

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Obgleich die sämmtlicheu drei Vorlagen in dieser Hinsicht zu keinerlei Beanstandung Veranlassung geben, so lohnt es sich doch vielleicht --- der wenigstens theilweisen Neuheit der aufgenommeneu Grundsätze wegen --diese letztern noch etwas naher ins Auge zu fassen.

1.. Die Volksabstimmung (Referendum).

Bekanntlich bestand, abgesehen von den nach rein demokratischen Formen perwalteten sog. Landsgemeind-Kantonen, das Referendum schon früher in den Kantonen G r a n b ü n d e n und Wallis. Jn der Verfassung des erstgenannten von 1854 findet es nach Art. 5 und 6 in den Worten Ausdruck: ,,Der Trosse Rath bildet..... die beratschlagende Behorde, über die dem Volk zur Genehmigung vorzulegenden Verfassungsbestimmungen , Geseze und Staatsverträge. .. Er erlässt au die Kreise die Aufragen über Annahme oder Richtannahme der von ihm beschlossenen und dem Volke vorzulegenden Rekapitulationspuukte, klassiert die darüber eingehenden Mehren durch Znsammentragung sämmtlieher abgegebenen Stimmen .und veröffentlicht das Ergebniss derselben." - Die Verfassung des Kantons W a l l i s von 1844 enthielt im Art. 71 folgeude Vorschrift : ^Les lois, les capitulations milices et les décrets de huance et de naturalisation seront rélerés anx assemblées primaires et ne seront exécutoires qu'après avoir été adoptes par la muorile des citoyens qui auront pris part a la vol.ation... Jn der Verfassung von 1852 leistete jedoch Wallis auf dieses ausgedehnte Referendum Verzicht und hielt ein solches nur noch für Versafsu..gssragen, Abänderung der Grundtagen des Finanzsystems und .Erhohuug des Steueransatzes ansrecht.

Waadt führte 1845 (Art. 21 der Verfassung) eiue Art Reserendum ein , indem der Grosse Ral.h von sich aus oder auf Begehren

von 8000 Bürgern alle beliebigen Vorschläge an die Abstimmung der

Gemeiudeversammlungen bringen konnte; B e r u 1846 (Art. 6 der Verfassung) , indem durch die Geseze Gegenstände an die Abftimmuug der politischen Versammlnngeu der Gemeindsbezirke gebracht werden konnten. Das reine. Referendum führte Schwyz 1848 gleichzeitig mit Abschaffung der L.andsge.neinde durch Vorbehalt der Genehmigung der Geseze durch die Kreisgemeinden ein. Die Versassung von R e u e n b u r g von 1858 sehreibt vor (Art. 3.)), dass alle Anleihen oder finanziellen Verpflichtungen, welche Fr. 500,000 übersteigen, der Ratifikation des Volkes unterstellt werden müssen. Die Verfassung von Waadt von

1861 fügte den Bestimmungen derjenigen von 1845 bei (Axt. 28 und

49), dass die Vermehrung der Staatsschuld um mehr als eine Million Franken durch Anleihen oder finanzielle Verpflichtungen während einer Legislaturperiode von vier Jahren der Genehmigung der Gemeindeversammlungen unterbreitet werden müssen. Endlich bestimmt die Ver-

948 fassung von B a s e l - L a n d f c h a f t von 1863 (Art. 46), dass je im Frühjahr und Herbst Geseze , allgemein verbindliche Beschlüsse des Landrathes und Verträge der Genehmigung der Gemeindeversammlungen zu unterstellen sind.

Was nun unsere in Frage liegenden neuen Verfassungen anbelangt,.

so beschränkt .Ludern eine allgemeine Abstimmung über Geseze, Staatsvertrage und Finanzdekrete, welche eine einmalige ausserordentliche Ausgabe von Fr. 200,000 oder eine jährliche von Fr. 20,000 veranlassen, auf den Fall, dass ein Drittheil der fämmtlichen Mitglieder des Grossen Rathes es verlangt, oder dass es von 4000 Bürgern begehrt, oder endlich vom Grossen Rath überhaupt beschlossen wird. Thurgan und Zürich ordnen dagegen, wie Basel-Landschaft , regelmässige Abstimmungen im Früh- und Spätjahr an : über alle Geseze und Eoneordate, über finanBielle Beschlüsse ; Thurgau , wenn eine einmalige Ausgabe von wenig-

stens Fr. 50,000 oder eine jährliche von wenigstens Fr. 10,000 ; Zürich, wenn eine einmalige Ausgabe von wenigstens Fr. 250,000 , oder eine

jährliche pon Fr. 20,000 veranlasst wird, und endlich über alle Schlussnahmen , welche der Grosse Rath überhaupt an die Entscheidung des Volkes bringen will. Jn Thurgau ist die Abstimmung obligatorisch

und es kann derselben eine Berathung vorausgehen, in Luzern und .Zürich ist sie nicht obligatorisch, doch müssen an derselben im erstern Danton wenigstens 13,000 Bürger Theil genommen haben, und wird im ledern die Betheiligung bei der Abstimmung als eine allgemeine Bürgerpflicht erklärt , die Abstimmung selbst aber mittelst Stimmurnen , also ohne vorausgehende Berathung, vorgenommen.

2. Das Vorschlagsrecht (Jnitiative).

Ein solches kannte in beschränktem Masse schon die Verfassung des Kantons Zug von 1814, welche den Gemeinden und Gemeiudräthen das Recht einräumte, Vorschläge aus Erlassung neuer oder Abänderung bestehender Geseze au den Kantonsrath einzureichen, der darüber au den dreifachen Landrath, als die eigentliche gesetzgebende Behorde , Anträge zu stellen hatte. Jm Jahr 1845 hat, wie bereits erwähut, die Verfassung des Kautons Waadt die Bestimmung eingeführt und im Jahr 1846 durch ein besonderes Gesetz .sur l'exercice de la souveraineté

du peuple näher entwickelt, nach welchem 8000 Aktipbürger die Ab-

stimmung des Volkes über alle beliebigen Vorschläge verlangen und veranlassen konnen. Jm Jahr 1861 wurde diese Berechtigung an das Begehren von nur noch 6000 Aktivbürgern geknüpft.

Die Abänderungen der Luzeruer-Verfassung enthalten hierüber nichts.

Die Thnrgauische Verfassung sehreibt vor, dass 2500 Bürger den Erlass eines neuen , die Aufhebung oder Abänderung eines bestehenden

949 Gesezes oder Beschlusses verlangen konnen. der Trosse Rath darüber zu berathen und das Ergebniss seiner Berathung der Volksabstimmung zu unterbreiten hat.

Rach der Züxcher'sehen Verfassung ist das Begehren auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung eines Gesezes oder Beschlusses , wenn es von einem Einzelnen oder einer Behorde gestellt und von einem Dritttheil der Mitglieder des Kantousrathes unterstützt wird, an den Entscheid des Volkes zu bangen. Der gleiche Entscheid ist einzuholen, wenn 5000 Stimmberechtigte ein solches Begehren stellen und der Kantonsrath nicht von sich aus entsprechen will.

...... Abberufung.

Das Abberufungsrecht des Grossen Rathes, das schon in den Artikeln 6 und 22 der Verfassung des Kantons Bern von 1846 enthalten ist, findet sich auch in den Versassungen der Kantone Lnzern und Thurgau. Jm erstern bedarf es des Begehrens von 5000 stimmsähigeu Bürgern, um über die Frage eiue allgemeine Abstimmung zu veranlassen.

Wird dieselbe durch die absolute Mehrheit der stimmfähigen Ein-

wohner bejaht , so muß zu einer Neubestellung des Grossen Rathes und durch diesen auch des Regierungsrathes geschritten werden. Jm

Kanton Tl.urgan ist ebenfalls die Anzahl von 5000 Stimmberechtigten

erforderlich, um eiue allgemeine Abstimmung über Abberusung des Grossen oder des Regierungsrathes zu veranlassen. Es geuügt jedoch für die Abberufuug selbst die absolute Mehrheit der Stimmenden. Die Verfassung von Zürich kennt das Abberusungsreeht nicht.

4. Die Wahl der Regierung.

Die Bestellung der Regierung durch das Volk ist in Genf 1847 und in Basel-Landschast l 863 eingeführt worden, und wird nun anch in den Versassungen von Thurgau und Zürich vorgeschrieben. Diese letztern haben überdiess auch die Erneuerung der Mitglieder des Ständerathes der unmittelbaren Volkswahl vorbehalten.

5. Volkswirtschaftliche Aufgabe de... Staates.

Auch in Bezug auf diese Vunkte enthalten bereits ältere Versassungen Anklänge, so diejenige von Solothurn von 1856, welche (Art. 48) vorschreibt : ,,Der Staat hat das Kreditwesen zu heben und zn schützen; er sorgt namentlich für die Errichtung einer unter seiner Aussicht stehenden Hypothekar- und .Leihbauk und hat dazu, so viel in seiner Stellung liegt, mitzuwirken." Jn den Verfassungen von Thurgau und Zürich.

finden sich über dieses Eapitel besondere Abschnitte, jedoch mit wesent-

950 lieh verschiedener Tragweite. Beide rufen der Errichtung von Kantonal.banken zur Hebung des Kreditwesens und stellen Staatshülfe für Eisenbahnbauten in Aussieht , Thurgau immerhin mit ausdrücklichem Vorbehalt der Möglichkeit und der vorhandenen Kräfte. Thurgau rust uur der Staatsbetheiligung für Unterbringung armer, unheilbarer Kranken, wähxend Zürich ausreichendere Beihülfe des Staates für das Armenwesen in verschiedener Richtung in Aussaht stellt. Thurgau sichert der Landwirthschast, dem Handel und Gewerbe und der Obsorge sür Wol..l und Gesundheit der arbeitenden Klassen den Schutz und die Förderung des

Staates zu. Zürich will die Entwicklung des aus Selbsthülse beruhen-

den Genossenschastswesens erleichtern und aus dem Wege der Gesetzgebung die zum Schule der Arbeiter nothigen Bestimmungen erlassen.

Thurgau erklärt die Kantonseinwohner u. nach Verhältuiss ihrer oko-

nomischen Hülfsmittel pslichtig, au die allgemeinen Bedürsnisse der Staats-

Bürger beizutragen, stellt Jnve..tarisation des Vermogens und Bestrafung der Vermogensverheimlichung in Aussicht und weist die Gesetzgebung au, den Bezng der indirekten Abgaben zu regeln. Zürich schreibt grundsätzlich die progression der Vermögens- und Einkommenssteuer, iusoweit sie vom Staate in Anspruch genommen werden , vor , von denen die erstere den doppelten, die ledere den sünssachen Betrag des einfachen Steueransatzes erreichen konnen , stellt eine progressive Erbschaftssteuer und Forschriften zu genauer Ermittlung der Steuerkraft in Aussieht ; erklärt das geringe Vermogeu arbeitsunfähiger Bersouen und den zum Leben unbedingt nothwendigen Betrag des Einkomn.ens steuerfrei, verbietet die Einführung neuer Steuern aus den.. Kousum, sehreibt die sosorlige Verminderung der Satzabgabe vor und führt hinwider einen massigen , auf alle Stimmberechtigten glei.hmässig zu verlegenden Beitrag an die ofsentliehen Lasten ein.

Die hier hervorgehobenen Vunkte mogen genügen, die Eigenthümlichkeiten der vorliegenden Verfassungen in eiuigeu der wesentlichsten Begehungen, den Zusammenhang einzelner derselben mit im sehweizerisehen Staatsrechte bereits bekannten, in andern Kantonsverfassungen eingeführten formen und die ganz neuen Dispositionen einigermassen zu eharakterisiren und den Beweis zu leisten, dass in allen, vorzüglich aber iu denjenigen vou Thurgau und Zürich, dem Bestreben , das Staatswesen so viel als moglich zu demokratisiren , aller Vorschub geleistet worden ist. Eine eingehendere Critik erlauben wir uus nicht, da ja uusere Ausgabe im Grnude nur darin besteht, zu untersuchen, ob diese Verfassungen die eidgeuossisehe Gewähr erlangen konuen.

Zu diesem Zweck haben wir endlich noch zu berichten, ob die Versafsnngen nichts d e n V o r s c h r i f t e n der B u u d e s v e r f a s s n n g Zuw i d e r l a u s e n de s e n t h a l t e n , und diese Frage führt uns noch auf

einige Spezialitäten.

951 Die zum grossten Theil noch in Kraft verbleibende .Luzerner-Verfassung von 1863 enthält in einer Reihe von Artikeln Bestimmungen, nach welchen die Fähigkeit zur Bekleiduug gewisser Aemter und die Stimmfähigkeit in den Versammlungen der politischen Gemeinden vom

Besitze eines bestimmten Vermögens abhängig gemacht ist. Obgleich in

dem diese Verfassung gewährleistenden Bundesbeschluße vom 25. Juli 1863 diese Bestimmungen mit Ansührung der betreffenden Artikel, untex Bezugnahme a..s Art. 4 der Bundesverfassung, welcher alle Schwerer vor dem Geseze gleich erklärt, als von der Gewährleistung ausdrücklich ausgeschlossen bereits bezeichnet sind , glaubte die Kommission , da bei der stattgefundenen Revisiou diese Artikel nicht auch geändert worden sind, in dem gegenwärtigen Berichte doch ausdrücklich daran erinnern zu sollen , dass ste auch in Zukunft einer Gewährleistung des Bundes nicht theilhaftig sein werden.

Ueber den Sinn des neueu, den § 28 der alten Verfassung theilweise abändernden Art. 3 der Luzerner Abänderungen war die Eommission nicht ganz im Klaren. Derselbe schreibt vor : .,Um jedoch in der Wohngemeinde, beziehungsweise Wahlkreise, stimmen zu konnen , muss der betretende Stimmfähige sich ausweisen, w e n i g s t e n s d r e i Mon a t e l a n g unmittelbar vor der fraglichen kantonalen Wahl oder Abftimmuug iu der Gemeinde , beziehungsweise Wahlkreise , gewohnt zu haben. " Jft er a..s einer andern Gemeinde des Kantons eingezogen, so kann er während jener Zeit sein Stimmrecht an dem srühern Wohnorte ausüben. Man fragte sich : wie es sich verhalte, weun ein Luzerner Bürger aus einem andern Kauton oder ans dem Ausland in seine Heimatgemeinde oder iu eine andere Gemeinde des Heimatkautons einziehe : ob er auch iu diesem Falle erst dann stimmberechtigt werde, nachdem er seinen Wohnsitz iu derselben weuigsteus drei Monate lang besessen habe. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung müsste die Frage durchaus bejaht werden. Judessen scheint die Meinung obzuwalten, dass in dem vorausgesehen Falle der neu eiuziehende Luzerner Bürger vom Augenblicke seines Einzuges au iu die aktivbürgerlichen Rechte trete, weil die frag li eh e Zeitbestimmung lediglich zu dem Zwecke aufgestellt worden sei, um das Unwesen der sogenannten Wahlknechte, d. h. der momentanen Uebersiedlung von Stimmberechtigten von einem Wahlkreis in deu andern . um in diesem eine künstliche Mehrheit zu erzielen , sur die Zukunft unmöglich zu machen. Sollte übrigens der Art. 3 einfach nach seinem Wortlaut aufgefasst und demnach auch auf von Aussen her einziehende .Luzernerbürger. angewendet werden, so konnte er schon aus dem Grunde wohl keine Anfechtung erleiden, weil eine ähnlich lautende Bestimmung der Versassnug des Kantons Waadt von 1861 unbeau-

standet geblieben ist. Jn Art. 24 derselbeu heißt es uämlich. in Ueber-

Einstimmung mit Art. 17 der Verfassung von 1845: dass eine Bedingung

952 der Ausübung der aktivbüxgerlichen Rechte für den Waadtländer darin bestehe: etre domicilié dans le Canton depuis trois mois. Zudem ist man hier darüber durchaus im Klaren, dass der von Aussen einziehende Waadtländer auch in seiner Heimatgemeinde jene Rechte nieht ausüben kann , wenn er nicht vorher während drei Monaten im Kanton wohnhast gewesen ist.

Was die Verfassung des Kantons Thnrgau anbelangt , so glaubt der Bundesrath wegen der in Art. 25 derselben enthaltenen Beftimn.uug: ,,Jeder Kantonsbürger und jeder im Kanton w o h n e n d e Schweizerbürger ist militärpflichtig," einen Vorbehalt machen zu sollen, und zwar mit Rücksieht zunächst aus Art. 144 der eidgenössischen Militärorgauisation und der schweizerischen Militärgesetzgebung überhaupt, und sodann weil ähnliche Vorbehalte bei Genehmigung der Versassnngen von Freiburg von 1857 , von Basel-Stadt von 1858 und von Obwalden von 1867 gemacht worden seien. Art. 144 der schwererischen Militärorganisation von 1850 sehreibt vor : ,,Jn der Regel soll der Wehrpflichtige in dem Kanton Dienste leisten, in welchem er niedergelassen ist. Ausnahmsweise kann einer mit Bewilligung der Behorde des Kantons , in dem er niedergelassen ist , in einem andern Kantone Dienste thun. Ju dieser Beziehung sind namentlich solche zu berücksichtigen, die nächst der Grenze ihres Heimatl.antons niedergelassen sind.

Die Bewilligung, in einem andern Kantone Dienste zu thun, kann nieht verweigert werden , wenn der Pflichtige bereits einer Waffe angehort, die der Kanton, in welchem er niedergelassen ist, nieht besitzt." --- Daraus ist gesolgert worden, dass Bestimmungeu, wie die angeführte derThnrgauer Verfassung ans die in andern Kantonen wohnenden Bürger, so wie auf Schweizer, welche blosse Aufenthalter siud , nicht angewendet werden konnen. Es seheint uus indessen ein besonderer Vorbehalt doch kaum nothig zu sein. Einmal ist man diesfalls schon sehr ungleich verfahren.

Die Verfassung des Kautous St. Gallen von 1861, welche genau die gleichen Worte enthält, wie diejenige von Obwalden : ,,Jeder Kautonsbürger und jeder im Kanton niedergelassene Schweizer ist wehrpflichtig," erhielt die Gewährleistung ohne einen diessälligen Vorbehalt, indem man sich begnügte, im Eommissionalberichte anzudeuten, dass es sich von selber verstehe, dass der betretende Artikel der Verfassung nur nach Massgabe der Bundesvorschristen angewendet werden konne. Ebenso veranlasse die Bestimmung der Verfassung von Aargau von 1852, Art. 22 :

,,Sämmtliche Einwohner des Kantons sind wehrpflichtig," keinen be-

sondern Vorbehalt. Sodann seheinen die Vorschristen der Bnndesverfassung wirklich vollkommen zu genügen , um aller irrigen Auwenduug von vorneherein vorzubeugen, indem Art. 20 der Bundesverfassung in Zisf. 1 vorsehreibt: ,,Ein Bundesgesetz bestimmt die allgemeine Organisation des Bundesheeres," und iu Ziff. 4 : .,Die Militärverordnungen

.)53 der Kantone dürfen nichts enthalten, was der eidgenössischen Militärorganisation und den den Kantonen obliegenden bundesmässigen Ver-

pslichtungen entgegen ist und müssen zu diessäliiger Vrüfung dem Bundesrathe vorgelegt werden. Was endlich den Art. 58 der Verfassung von Zürich betrifft: ,,Das Gesetz bestimmt die Zahl, die Organisation, die Kompetenz und das Versahren der Gerichte," so hat schon die bezügliche Botschaft des Bundesrathes ausmerksam gemacht , dass durch diese der Gesetzgebung vorbehaltene Organisation der Rechtspflege keine Bestimmungen getroffen werden dürfen , durch welche denjenigen Rechten zu nahe getreten würde, die in der Bundesversassung und Gesetzgebung den

Bürgern gewährleistet sind.

Die Eommission ist sonach der Anficht, es dürften die Verfassung...Änderungen des Kantons .Ludern , so wie die neuen Versassungen von Thurgau und Zürich ohne weitern Vorbehalt gewährleistet werden und

stellt daher den Antrag: Es sei,

in Betracht, daß die Abänderung , resp. die betreffende Verfassung, nichts enthält , was mit der Bundesverfassung im Widerspruch steht , und dass dieselbe von dem Volke des Kantons . . . . . . . . . . angenommen worden ist, zu beschlossen : 1. Der Abänderung der Staatsversassung des Kantons .Luzern von 1863, wie sie am 17. Hornung vom Grossen Rath beschlossen und am 14. März l. J. in der Volksabstimmung angenommen worden ist; 2. der Verfassung des eidgenössischen Standes Thurgau, wie sie vom Verfassungsrath .am 27. Januar erlassen und am 28. Februar l. J.

in der Volksabstimmung angenommen worden .

3. der Verfassung des eidgenössischen Standes Zürich , wie sie vom Verfassnngsrath am 31. März erlassen und am 18. April l.

in der Volksabstimmung angenommen worden ist ,

wird die Gewährleistung des Bundes ertheilt.

Bern, den 9. Juli 1869.

Ramens der Eommission, Der Berichterstatter:

Aepli.

J.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der ständeräthlichen Commission betreffend die Gewährleistung der Verfassungen von Luzern, Thurgau und Zürich. (Vom 9. Juli 1869.)

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11.09.1869

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945-953

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10 006 260

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