#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

XXI. Jahrgang. ll.

Nr. 28.

#ST#

17. Juli 1869.

Bericht des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend den Aufenthalt einer minderjährigen Juliana Spillmann im Danton St. fallen.

(Vom 8. Juli 1869.)

Tit. l Mit Schreiben vom 6. Februar 186..) machte die Regierung des .Sautons Z u g folgenden Konflikt mit der Regierung des Kantons St. G a l l e n bei uns anhängig : Mit Ansaug September 1868 habe die minderjährige, 1853 geborne, Juliana .Spillmann von Zug von ihrem Anwalte (Vormund) die Bewilligung erhalten , für vierzehn Tage zu ihrer Schwester

Antonia Bernet, geb. Spillmann, in Veterzell, Kts. St. Gallen, in

^ die Ferien zu gehen. Gleichzeitig habe das Waisenamt auf den Antrag des Anwaltes beschlossen , es habe die Juliana Spillmann den zweiten Sekundarschulkurs an der Mädchensehnle in Zng zu vollenden, und für das Schuljahr 1868/6..) in das Tochternpensionat einzutreten. Die genannte Frau Bernet weigere sich aber , im Einverständnis mit den andern Geschwistern , die Schwester Juliaua nach Zug zu entlassen.

Sie, die Regierung von Zug , habe desshalb die Vermittlung der Regierung von St. Galleu angerusen . allein diese habe lediglich die von den Geschwistern Spillmann ihr vorgebrachten Gründe mitgetheilt

Bundesblatl. Jhrg.XXI. Bd. II.

40

544 und die Hosfnung ausgesprochen, dass man nach Kenntnissuahme der.^ selben von der verlangten Heimsendung der Juliana abstehen werde..

Jm Einverständnisse mit dem Stadtrathe verlaugte daher die Regierung von Zug Deinen prinzipiellen Entscheid über die staatsrechtliche Frage, öb die Re^ernn^ von St. fallen kompetent sei , die Juliana ...^pillmann der waisenamtlichen Aussicht ^u entziehen, u...d stellte das Gesuch,.

es mochte diese Frage verneinend entschieden und die Regierung von St. Galleu angehalten werden, der Juliana Spillmann den Aufenthalt.

im dortigen Danton zu entziehen und dieselbe nach Zug zu schiken.

Jn rechtlicher Begehung machte die Regierung des Kantons Zu^ geltend, dass der Regierung des Kautons St. Galleu kein Recht zustehe,.

in diese Angelegenheit sich einzumischen. Wenn die Geschwister Spi.l.l..

^ manu mit der Schlussnahme des Waisenamtes von ^ug nicht einverstanden seieu, so haben sie gemäss ^ 72 der zugerischen Versassnug und^ -er .^ 1^0 .^ 1^ .^ dortigen Familieureehtes Besehwerde bei der^ Regierung des Kantons Zng ^u führen^, welche als .^bervormuudschastsbehorde in lezter Jnstanz zu entscheiden berufen und auch dazu nur allein.

berechtigt sei. Jm speziellen Falle lege das Waisenamt von ^ug be^ sondern Werth ^daraus , dass Juliaua Spillmann ihre Schulbildung in ^ug ^um Abschlnss briuge, unter unmittelbarer Aussieht des Anwaltes.

bleibe und nicht vorzeitig in einer auswärtigen Wirthschast verwendet^ und der Koutrole ^es Waisenamtes endogen werde.

Wir ermangelten nicht , die Regieruug des Kantons St. Gallen über diese Beschwerde anzuhoren. Jn ihrer Antwort vom 17. Februar 1869 hielt dieselbe au ihrer Weigerung , dem Begehren von Zug zu entsprechen, fest. Sie begründete diese Weigerung wesentlich damit, dass.

der Kanton St. Gallen vermoge seiner Souveränität berechtigt sei, seder Berson , die ihm gefalle , deu Aufenthalt zu gestatten , und dass im ^pezialfalle keine Gründe bestehen , ihn hierin ^u beschränken , indem nicht oberpoli^eiliche Gründe , wie z. B. bei politischen Flüchtlingen, eine Wegweisung oder Jnternirnug nothig macheu und hier auch nicht der ^all einer Auslieferung vorliege. Der Umstand, dass die in ^rage..

liegende Verso.. unter Vormuudschast stehe , koune die Souveräuitäts^ rechte des Kautons ^t. Galleu nicht schwächen, da eiu privatives Ver^..
hältuiss in Kollision mit staatsrechtlichen Grundsätzen den leztern untergeordnet sei. Uebrigens sei die Verfügung, womit der Juliaua Spillmanu Aufen halt und Schuz im Kauton St. Galleu geboten^ werde,.

wohlbegrüudet und beruhe aus dem einstimmigen Willen der nächsten Blutsverwandten derselben, aus einem ärztlichen Besuude und aus^dex eigenen Willeuserklärung der Juliaua Spillmann selbst.

Raeh näherer Brüsung dieser Angelegenheit konnten wir den Standpunkt der Regierung vou .^t. Gallen nicht theilen , und sprachen uns dem gemäss iu unserer Antwort vom 27. März 1869 dahin aus :

545 Die Vormundschaft, ihrer Ratur nach ein eivilrechtliches ^erhältniss, involpire für den Vormund das Recht , für den Mündel den Wohnfiz zu Bestimmen, und ^.s könne diesem zweifellosen Rechte weder durch den jedenfalls unfreien Willen des Bevogteten, noch durch die Wünsche anderer Versoneu irgend ein .Eintrag geschehen.

Die Verfügungen kompetenter Vormundschaftsbehörden ^habeu Anspruch aus gleiche Berüksichtigu..g und auf den nämlichen Sch.^, .der in Art. 49 der Bundesverfassung vorgesehen sei.

Nachdem nun die rechtlich durchaus ^üstandige Vormuudschaftsbehorde in Zug a^s der Rükkehr der Tochter Spillmanu beharre, so müssen auch wir finden, es stehe einem andern Staate das Recht nicht ^u, deit Mündel der legitimen Behorde vorzuenthalten. Wir sprachen daher der Regierung von ^t. Gallen gegenüber die ^offnnng ans, dass sie nicht weiter anstehen werde, dem Begehren der Regierung von ^ug Rechnung zu tragen und die Spil.lmaun in ihre Heimat zuzuweisen.

Die Verwandten der ledern veranlassen jedoch die Regierung

von

St. Gallen mit Schreiben vom 1..). April 186..), auf diese Angelegenheit

^urük^ukommen und an uns das Gesuch zu stellen , es möchte der gefähx.deten Gesundheit der Spillmann Rechnung getragen und leztere nicht geuothigt werden , uach Zug zurukzukehren , wo sie in ein Kloster gebracht und als Vusserin behandelt würde, wodurch sie, die im Stadium der Entwicklung begrissen, dem ^amilienübel der Lungenschwindsucht verfallen und in den Zustand der Unheilbarkeit gelangen könnte, während der jezige ländliche Aufenthalt bei angemessener Beschäftigung auf ihre

korperliehe Entwiklung einen auffallend wohlthatigen l^insluss geübt

ha^e. Damit wur^e eventuell das Gesuch verbuuden, dass der Juliana Spillmann wenigstens bis den.1. Oktober laufenden ^Jahres der Aufeuthalt im Kanton St. Gallen gestattet werden möchte, .da sie daun mit ärztlicher Zustimmung zur Erlernung der srau^osischen .Sprache in eine passende Anstalt oder lieber in eine gute ^amilie untergebracht werden konnte.

Die Regierung von Zug wurde auch .über dieses Gesuch angehort .

allein in der Antwort vom 5. Mai 186..) trat sie ans keine Konzession ein , sondern verlangte , dass die Regieruug von .^t. Galleu angewiesen werde, deu hierseitigen Vesehluss vom 27. März ohne weitere Zögerung zu vollziehen. Die Regierung von Zug betrachtete diese Angelegenheit

als definitiv entschieden und fand es überflüssig, in die Motiviruug des

neuen Gesuches einzutreten. Dabei bemerkte sie indess, dass nun bei der eingetretenen Ver^gexnug von einer Unterbringung der Juliauua Spillmann iu das Zuge.^sehe Töchternpensionat behuss Vollendung des ^ekuudarkurses keine Rede mehr sein konne ; das ^Waisenamt behalte sich aber vor, betreffend anderweitige Versorgung derselben die geeigneten Schlussnahmen zu fassen , gegen welche dann seinerzeit, falls sie nicht genehm

546 sein sollen , auf dem gesezliehen Wege bei der Regierung , als Obervoxmundschaftsbehor.de, Besehwerde eingelegt werden möge.

Da die Regierung von St. Gallen in ihrem Gesuche um Abanderung unsers Beschlusses vom 27. März bloss praktische Gründe vorzubringen im Falle war , also mit dem Brinzipe desselben einverstanden zu sein schien, so fanden wir uns nicht in der Lage, auf eine Abändexung desselben einzutreten, zumal jene bloss praktischen Gründe nicht unserer Vrüfung unterliegen konnten. Wir beschränkten uns daher am 10. Mai

abhin darauf , der Regierung von St. Gallen lediglich Kenntniss zu ^.eben von der Entschliessung der Regierung von Zug und jene einzuladen, dasür besorgt zu sein, dass die .^eimkehr der Juliana Spillmann ohne fernere Zogerung stattfinde.

Die Geschwister Spillmann wollten aber anch dieser Einladung sich ..icht fügen, sondern liessen^ uns durch die Regierung von St. Gallen unterm 26. Mai 1869 anzeigen, dass sie gegen unsere Schlussnahme an die Bundesversammlung rekurriren. Wir konnten jedoch diesen Rekurs nicht annehmen , weil diese Angelegenheit nicht von den Geschwistern Spillmann anhängig gemacht wurde , sondern bis anhin zwischen den Regierungen von Zug und St. Gallen verhandelt wurde , also eine Intervention von Vrivaten nicht statthast war.

Jn Folge dessen sah sich nun^.die Regierung von St. Gallen selbst ^eranlasst, gegen unsere Schlussnahme vom 27. März abhin an die .Bundesversammlung zu rekurriren und diesen Rekurs mit Memoire vom 18. Juni 1869 zu begründen. Die Regierung von Zug, welcher hievon Mittheilung gemacht wurde, erwiderte mit Sehreiben, datirt vom 30. Jnnt, dass sie lediglich aus die Erörterungen in ihren srühern Eingaben sich beziehe.

Die Regierung von ^t. Gallen erklärte in ihrer Eingabe, dass sie den Rekurs ergreife, um zu verhüten, dass nicht staatsrechtliche Grundsäze, denen sie niemals beistimmen konnte, stillschweigend Anerkennung finden. .^ie sehe von den thatsächlichen Verhältnissen ab und konftatire lediglich, dass nicht blosse ^Lauue oder Unfreundlichkeit einem Mitstande gegeuüber sie hiezn veranlasse, sondern gewichtige und humane Gründe.

Sie führte nun die in ihrer ersten Eingabe geltend gemachten Gesichtspunkte weiter aus und widerlegte im Fernern , dass hier der Art. 49 der Bundesverfassung Blaz greife , indem die Verfügungen von Vor-

mun.^schaftsbehorden nicht den gerichtlichen Zivilurtheileu gleichgestellt

werdeu konuen. Bei den Verhandlungen der Kommission, welche den Entwurf der Bundesversassuug vorbexathen habe . sei auch an nichts anderes gedacht worden, als an Entscheide gerichtlicher Jnstanzen in ^orderungssachen. (Verhandlungsprotokoll, Seite 146.)

547 Wir beschränken uns daraus, einfach aus die Erwägungen hinzuweisen, welche wir unserer Entscheidung vom 27. März 18l....) zu Grunde gelegt haben. Es ka.^n nicht Sache der Buudesbehorden sein, zu untersuchen, ob die heimatliehen Vormundschastsbehorden oder Verwandte in einem andern Kanton besser besähigt. oder gewillt seien, das Rothige für das korperliehe und geistige Gedeihen einer minderjährigen Bexson vorzukehren. Wir halten uns an die prinzipielle Frage und stellen die Behauptung aus, dass der Kanton ^t. Gallen keinen Rechtstitel befize, die Juliane Spillmann den heimatlichen Behorden vorzuenthalten.

Durch die von dem Kauton

St. Gallen eingeschlagene Bra^.is

würde^ nicht bloss die v^ormundschastliehe Thätigkeit und Autorität der kantonalen Vormundschastsbehorden machtlos , sondern es müsste konse^ueuterweise auch die elterliche Gewalt wirkungslos werden, sobald ein Kind mit oder ohne seinen Willen sich aus dem Boden eines dritten Kantons befinden würde. ^ Bisanhin war es vielmehr unter den Kantonen Uebung , dass ste in Vormundschastssachen einander hilfreiche Hand boten, und selbst unter fremden Staaten, die nicht in einem so engen Verbanne unter einander stehen, wie die Kantone der Schweiz, befolgt ^man diese Regel.

Wir glauben daher, die Bundesversammlung sollte sich unschwer entschliessen l.onnen, die Ansichten des Bundesrathes zu theilen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung uuserer vollkommensten Hochachtung.

B e r n , den 8. Juli 1869.

Jm Ramen des schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

.^elti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Schiel.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend den Aufenthalt einer minderjährigen Juliana Spillmann im Kanton St. Gallen. (Vom 8. Juli 1869.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1869

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

28

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.07.1869

Date Data Seite

543-547

Page Pagina Ref. No

10 006 200

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.