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Schweizerisches Bundesblatt XXI. Jahrgang HI.

Nr. 52.

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30. .-.Dezember 1869.

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Minderheit der nationalräthlichen kommission, betreffend die Alpenbahnkonzessionen (St. Gotthard und Splügen).

(Vom 21. Oktober 1869.)

Tit.!

©äs noch gegenwärtig geltende Eisenbahngese-, vom Jahr 1852 hat ben ©nindsaz ausgesprochen, bafi der -.Bau und SBetrteb ber Eisenbahnen in die Kompetenz der Kantone falle ober der Vcivntinbustrte überlassen werben korn.e. Mit anbeni Worten : es hat ber ..Bund ausdrüklich darauf veräichtet, Eisenbahnen aus feine Rechnung zu .bauen und zu 6etreiben. ..Da... cinjige Recht, das er sich vorbehalten hat, besteht darin, die Erstellung uoit Eiseubahnen 311 verhutben., welche den militärischen Ji.tcresseu ber ©chweij schaden könnten. Jm Uebrigeu hat die Eidgeuossenschast einfach barüber 511 wachen, bass bie Privaten uitb bie Kautone, welche ben 93au von Eisenbahnen unternehmen, bie ..ßorjehtisten be8 über bieje Materie erlasfeiten ©esqes beobachten. Rtemals sah man aber b.8 jejt die (Stbgenossenschaft eine Eiseu.,>ah..unternel)mu..g selbst an Honb nehmen und in dieser eigonschast osfiäielt ouftreton.

©ie -Slpeutahnsrage hat bem ..Bundesrathe 5111« Vorwaude gedient, um von ben -Bestimmungen bes ©ejejes vom Jahr 1852 abzugehen und vou sich aus ein ueues (Staatsrecht ausänstellen. Man muss ihm die ©eïechtigfeit wibersahreu lassen,, bass er bie Sache offen und ohne seine -.Sunbeeblatt. gahrg. XXI. SSd. III.

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692 Absichten zn verhehlen betreibt. Schon in der legten Session horte man den Bundespräsidenten Welti erklären, dass angesichts einer internationalen .Linie, wie die Gotthardbahn , die Eidgenossenschaft sich nicht mit der passiven Rolle begnügen konne, welche ihr das Eisenbahngesez anweist, vielmehr habe sie direkte zu intervenire^., die Sache selbst an Hand zu nehmen und nothigensalls die Erstellung von Konkurrenzbahnen zu verhindern, ungeachtet der im bestehenden Geseze enthaltenen ausdrükiichen Sanktionirung des Grundsazes des freien Eisenbahnbaues. Man hat sogar versucht, den eidgenössischen Räthen die Genehmigung der Konzession einer Splügenbahn zu entziehen, welche Genehmigung doch eine Sache des Rechtes ist, oder zum Mindesten that man Alles, was man konnte, ^ um dieselbe mogliehst lange zu verzogern.

Heute nun ersieht man aus den vom Bundesrathe mitgetheilten Aktenstüken, dass seine Abgeordneten zur internationalen Konferenz den im Monat Juli vom Bundespräsideuten bezeichneten Weg getreulich besolgf haben. Durchgeht man die Verhandlungen dieser Konferenz, liest mau den Vertrag mit Jtalien, fasst man die Stellung ins Ange, welche der Bundesrath dabei einnahm, und die Rolle, welche er die Eidgenossens.hast spielen lässt, so konnte man uumoglich aus den Gedanken kommen, es bestehe noch ein Gesez, welches vorschreibt, dass der Eisenbahnbau ausschließlich der Brivatindnstrie und den Kantoueu überlassen, nicht aber Sache ^der Eidgeuosseusehast ist.

Bei allen diesen ^Verhandlungen spielte der Bundesrath immer die Rolle einer kontrahirenden Bartei und niemals diejenige eines Vermittlers. ^ Die Eidgenossenschast ist es , welche sich gegenüber den andern Staaten engagirt. Weder die Kantone noch die dermaligen EisenbahnGesellschaften stehen als Barteien da . welche die dem Unternehmen zn.^ gesagte Subvention von 20 Millionen einzubezahlen haben. sondern als solche figurixt die S c h w e i z ; aus die Bnndeskasse werden Zahlungsmandate gezogen werden. Die Eidgen osseuschast ist es, welche sich dahin verpflichtet, dass bei Basel eine Rheinbrüke erstellt werde ; kommt diese Stipulation uieht zum Vollzuge, so wird man sich weder au den Kanton Basel noch an die Eentralbahngesellschaft, sondern an die Eidgenossensehaft zu halten haben. Ebenso ist es.^ie Eidgenossenschast, .vel.he Ramens des Kautons Tessin
. der hiebei noch gar nicht begrüsst worden, dasür garantit , dass dieser souveräne Staat die Linie von Magadino bis an die italienische Grenze kon^edire^ werde, während er diese Linie

bis jezt nicht kon^edirt hat und stetsfort berechtigt ist , dies ^.. ver-

weigeru. Die Eidgenossenschaft ist es, welche sich verantwortlieh erklärt für die Verzogerungeu des Baues aus schweizerischem Gebiete, welche die Organisation der Eiseubahnzüge , ihre Koinzidenz mit den Bahnen Deutschlands und Jtaliens aus sich uimmt , knrz, in dieser ganzen AnGelegenheit lässt der Bundesrath, bei seinen Verträgen mit den Raehbar-

. 693 staaten, die Eidgenossenschaft in der Weise intervenire^ dass sie den Bau.

und den Betrieb der Gotthardbahn auf ihre eigene Rechnung übernimmt.

Die Versammluug wird es begreiflich finden , dass es unmöglich

ist , angesichts aller dieser Tatsachen Stillschweigen zu beobachten.

Wenigstens muss^ der Bundesrath wissen , dass Niemand sich ü.^er die Tragweite der Revolution täuscht , welche .man in unserm Staatsreehte einzuführen sucht .^ es müssen die ausdrüklichsten Vorbehalte geltend gemacht werden für den Zeitpunkt, wo man den Kammern zumuthen wird, diese Revolution zu sauktioniren.

Zwar wird der Bundesrath anführen , er habe nur mit Rüksicht ^ aus die Form und die Bequemlichkeit gegenüber den andern kontrahirenden Staaten die Eidgenossenschaft eine solche Rolle spielen lassen . im Grunde aber werde uiehts oder wenig in den gegenseitigen Attributionen der Kantone und der Bundesgewalt in Eisenbahndingen geändert werden. Man wird sagen , man behalte sich vor, die Verträge vor ihrer definitiven Ratifikation in jedem Detailpunkte durch die betreffenden Kantone gutheissen ^u lassen, so dass gegenüber Europa die Eidgenossenschaft als Bauübernehmeriu der Gotthardbahn dastehe, während in Wirktiehkeit, wie dies das Gesez vom Jahr 1852 will, die interessirteu Kantone dieselbe bauen werden. Es ist in. der That moglich. dass man in dieser Weise ^vorgehen wird, und man hätte Mühe, ^n glauben, dass,

wenn der Bundesrath diese Absicht nicht hätte, er die Kühnheit gehabt

haben würde, den Räthen Aktenstüke mittheilen, welche, wenn wortlich genommen, sich als eine uuuuterbroeheue Reihe von Gesezesverlezungen und von Fusstritten a^ualifi^iren würden , die mau dem Staatsrechte applizirt. Dessen ungeachtet bleibt es wahr, dass selbst unter dieser beruhigenderen ^orm ausgefasst,^die Haltung des Bundesrathes eine Gefahr für die ^uknnst involvirt, besonders wenn man sie zusammenhält mit den von mehreren Seiten laut eiugestandenen Absichten , mit dem Geseze vom Jahr 18^2 eiu Ende ^u machen und die Eisenbahnunteruehmungen unter die uubedingte Kompetenz der Eidgenossenschast zu bringen. Man will die Geister mit diesem Gedanken vertrant machen^ man behält sieh vor, zu zeigen, dass wegen augeblieher Richtanwendbarkeit des gegenwärtigen Gesezes bei internationalen Unternehmungen, dasselbe.

aneh nach Jnnen nicht mel^r zu gelten habe. Offenbar ist dies ein Versuchsballon, welcher für später noch weitere verspricht.

Es scheint übrigens, dass wenn es je einen Fall gibt, wo man die ^Weisheit der Bestimmungen des Gesezes von 1852 würdigen kann, derselbe gerade da vorliegt, wo es sich um den Bau von internationalen Eisenbahnen handelt ; hier vor Allem sollte darauf Bedacht genommen werdeu, dass die Eidgenossenschaft nicht, in der Eigenschast als Ration, gegenüber andern europäischen Rationen Verpflichtungen übernehme, deren strikte ^Einhaltung eine Quelle von Konflikten und einen beständigen

^4 Vorwand zu diplomatischen Jnterventionen und Reklamationen abgeben konnte.

Eben hier sollten alle kontrahirenden Staaten es wohl wissen , dass in der Schweiz die Eisenbahnen der ^Brivatindustrie über^ ^ lassen sind, und dass die Eidgenossenschaft in Bezug ans dieselben nnx ein Recht der Oberanssicht und der Oberhoheit besizt. Mehrere vom Bundesrath übernommeue Verpflichtungen sind sehr gewichtig . es ist ^u bedauern, dass jedes Mal, wo diesfäl.lige Konflikte entstehen sollten, die

Eidgenossenschaft direkte. in's Spiel kommt. Dadurch wird aus dieselbe

muthwilliger und ungerechter Weise eine Verantwortlichkeit gewälzt, welche der Regel nach nicht anf fie fallen sollte.

Gewiss durfte der Bundesrath in einer so wichtigen ^rage nicht ^ eine passive Rolle spielen. Es handelt sich nm eine Linie, welche militäxiseh wichtig und von einer immensen Bedeutung für die Zukunft der Schweiz ist. Der Bundesrath hatte nicht nnr das Recht, sondern die Bflicht, von allen Unterhandlungen sich uuterrichtet zu ^halten , sieh dabei vertreten zu lassen und sogar die Leitung derselben zu übernehmen.

Aber zwischen dieser Haltung und derjenigen, .welche er eingenommen hat oder vielmehr die Schweiz einnehmen liess, liegt ein Abgrund. er .

konnte interoeniren, ohne sich an die Stelle der Kantone ^u^en. Run hat er aber im vorliegenden Falle ganz besonders, gegenüber den andern europäischen Staaten, den Gruudsaz ausgestellt, dass in Eisenbahnsachen keine Kantone mehr e^.istiren, sondern nur noch die Eidgenossenschaft.

Sollte mau etwa sagen , diefe Stellung sei eine aufgenothigte ; Rorddeutsehlaud, Württemberg, das Grossherzogthum Baden, Jtalien hätten nnr unter dieser Bedingung unterhandeln wollen^ Man kann dies

unmöglich unbedingt zugeben, jedenfalls hat der Bundesrath gan^ das Aus-

sehen, als habe er sich eine gelinde Gewalt authnu lassen und nicht stark dafür geimpft, die Gruudsä^e unseres Staatsrechts geltend zu machen. Ex konnte wohl alle Grundlagen des Vertrages vereinbaren , er konnte am besten durch eine kousultirende Umfrage feststellen, unter welchen Bedingungeu die Ueberschreitnug der Alpen ermöglicht werden konnte . er hat z. B. mit andern Staaten gefunden, der Gotthard.sei gegenwärtig diejenige Bahn, welche am meisten ^Ehaneen biete ^ die angestellte^Rachfrage zeigte, dass man stch u.it einer Subvention von 83 Milliouen beguügen konne.. er hielt dafür, die interessierten Schweizerkantone und Gesellschaften dürsten streng genommen eine ^umme von 20 Millionen übernehmen, mit einem Worte. er unternahm mit den andern .Staaten eine gründliche Vorarbeit, welche als ernstliehe Grundlage der Diskussion dienen konnte. Alles dies ist in der Ordnung . aber nach Vollendung dieser Ausarbeitung musste er vor Allem dieselbe durch die Kautone ratifi^ireu lassen, was nicht fehr sch.wer gewesen wäre, und erst daun, wenn diejenigen , welche schliesslich zu banen und zn bezahlen haben , einverstanden gewesen wären, durste der Vertrag uuter^eiehnet und den Räthen

^)5 mitgetheilt werden. Es ist begreiflich , dass die andern Staaten nicht mit jedem Danton besonders verhandeln wollten ; insofern musste der Bundesrath dazwischentreten und selbst die Grundlagen einer Uebereinkunst vorbereiten. Aber er durste diese nicht unterzeichnen, indem er, wie dies geschehen ist , die kontrahirenden Parteien über die Kompetenz der Eidgenossenschaft irreführte, er durste nicht austreten als berechtigt, eine Eisenbahn im Ramen der Eidgenossenschaft zu bauen, da man doch wusste . dass der leztern dieses Recht nicht ^ukommt . sondern durch die jezt geltenden Geseze versagt ist.

Die porausgehenden Betrachtungen sind durchaus unabhängig von der Frage der Gotthardbahn an und sur sieh. Wenn die ^orderex dieser grossartigeü Unternehmung dahin gelangen, die zu ihrer Verwirkliehung erforderlichen finanziellen Mittel herbeizuschaffen , so werden sie ihren Zwek erreichen . ob man nun die durch das Eisenbahngesez sanktionirten staatsrechtlichen Grundsäze ausrecht erhalte oder aushebe. Sind dagegen die materiellen Umstände ^ihnen ungünstig , so kann ihnen die

Verlegung des Gesezes von 1852 nichts helsen. Vom Gesichtspunkte

der moralischen Unterstüzung und der Sympathien der sehweizerisehen Bevölkerung kann dagegen das Gotthardunternehmen nur dabei gewinnen, wenn die Bundesbehorden sieh der Zuhülsenahme ausuahmsweiser Bestimmungen enthalten und aus dem strikten Boden der Verfassung und der Geseze verbleiben.

B e r n , den 21. Oktober 1869.

^. ^errin.

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Bericht der Minderheit der nationalräthlichen Kommission, betreffend die Alpenbahnkonzessionen (St. Gotthard und Splügen). (Vom 21. Oktober 1869.)

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