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Bericht der

ständeräthlichen Kommission über die Ratifikation von Zusatzartikeln zur genfer Konvention vom 22. August 1864.

(Vom. 14. Dezember 1868.)

Tit. l Es gehort unstreitig zu den schonsten Erscheinungen der europäischen Eivilisatiou unserer Zeit, dass der durch Bildung, Gesittuug , Politik und industriellen Verkehr zum Bewußtsein erwachte Sozialismus der Völker in den Fragen der Eabiuette über Krieg und frieden das Ansehen eiuer tribunizischeu Gewalt erlaugt hat , und dass ihrerseits die Regierungen, in deren Hand die Würfel des Krieges und des Friedens liegen, der Stimme dieser Gewalt ihre Rücksieht bereits nicht mehr versagen konnen.

Als einen Lorbeer dieser Thatsache müssen wir denn die Humanität begrüssen , welche , wenn das Geschick entzweiten Volkern und Staaten die Prüfung eines Krieges auserlegt , die blutige Gewalthandlung nur

aus die Aktion der Kämpfenden selbst und die Entscheidung ihres Kampfes

beschränkt, und den gefallenen oder kampfunfähig gewordenen Feind als Rcs sacra .behandelt und ihm den Schutz menschlicher Vietät angedeihen

lässt, ihn mit dem Oelzweige der Versohnung deckt.

Dieser Humauität verdankt die am 22. Angnst 1864 von neun europäischen Staaten in Genf abgeschlossene Uebereinkunst zur VerBesserung des Mooses der im Kriege verwundeten Militärs ihre Entstehung.

Seither sind dieser Uebereinkunst sämmtliehe europäische Staaten beigetreten, und sie ist dadurch einer der ruhmvollsten Titel des europäischen Volkerrechtes geworden.

1.^0 Jhre Bestimmungen haben aber damals nur den Landkrieg in Absieht genommen. Werden diese noch auf den Seekrieg ausgedehnt, so ist die Hoffnung vorhanden , dass ihr auch die aussereuropäisehen Staaten beitreten.

Die Schweiz, obschon in ihrer heutigen Reutralitätsstellung nicht mehr, wie vormals, unter den gesürchteten Kriegsmächten Europas , ist gleichwohl bei dieser Uebereiukuuft in erster Linie, und, wie kein anderer Kontrahent, selbst mit ihrem Rationalgefühl interessirt. Jhr war dabei unter den glückliehen Auspizien des ^rn. General Düfour von Ansang an die Jnitiative beschieden. Die Schweiz wurde mit der Ehre ausgezeichnet, dass die kontrahirenden Mächte das erhabene Denkmal der Humanität des Krieges anf unserem der Neutralität geweihten Boden und unter der Präsidial^Leitung des ersten Abgeordneten der Republik errichteten.

Diese Jnitiative und die .Anerkennung , welche derselben zu Theil geworden ist, legen der Eidgenossenschaft die ^Pflicht aus, nach Massgabe der ihr gewordenen Stellung die Jdee jenes Denkmales auf dem Wege weiterer heilsamer Entwicklung zu fordern und sie auf ihrer Mission um die Welt, wie der verehrte General Düfour ^ihre Zukunft augurirte, zu unterstützen.

Die Ersüllung dieser Pflicht tritt mit der Botschaft des Bundesrathes vom 2. Dezember d. J. , welche Sie Jhrer Kommission zur Begutachtung zugewiesen haben, an die eidgenossischen Räthe heran.

Die Ersahrungen nämlich, welche im denkwürdigen deutschen Kriege von 1866 gemacht wurden, sodann verschiedene lautgewordene Wünsche der kompetentesten Militärärzte , und endlich die internationalen Konferenzeu der Hülfsvereine für Blessirte, bei Anlass der Pariser Ausstellung vom Jahr 1867, bei welcher auch das ^anitätsmaterial in einer besondern Abtheiluug vertreten war , wiesen aus mehrfache Mäugel der Genfer Konvention von 1864 hin, die sowohl den Jnhalt der Konvention als auch die Fassung einzelner Artikel derselben betrasen.

Die internationalen Konferenzen der Hülssvereine bei der Pariser Ausstellung nahmen daher die ^rage über die Revision der Konvention in einlässliche Berathuug, und einigten sich aus die in der Botschast des Bundesrathes ^eite 2-3 angesührten zwöls Punkte, welche wenigstens als ^usa^artikel zur Konvention von den Mächten vereinbart werden mochten.

Die in jenen Punkten ausgesprochenen Wünsche wurden von der Konferenz der Hülfsvereiue den Regierungen zur Keuntniss gebracht, um von denselben die Geneigtheit zur Abäuderuug der Konvention zu ver.nehmen.

181 Bereitwillig gingen die meisten Regierungen sofort aus die gemachte Anregung ein und sandten .Abgeordnete zu der diesssälligen Besprechung nach Varis. Bei derselben war die Schweiz durch den Hrn. Oberseld...rzt Dr. Lehmaün und den Hrn. Divisionsarzt Dr. Briere vertreten.

Es wurden von dieser Variser Konferenz neun Artikel, mit Einschlug des Seekrieges, fir^irt , nach denen die Konvention ^theils abgeändert, theils vervollständigt werden möchten.

gleichzeitig erhielt das internationale Komite in Genf von der Konferenz den Austrag, den schweizerischen Bundesrath anzufragen, ob

er geneigt sei, in der wichtigen Angelegenheit neuerdings die Jnitiative

zu ergreifen, indem er die Regieruugen der kouventionirten Staaten einladen würde, Bevollmächtigte zur Revision der Uebereinkunst von 1864 aus der Grundlage der von der Bariser Konserenz formulirten Wünsche zu bezeichnen.

Der Buudesrath glaubte , abgesehen pon der Wünschbarkeit dex angeregten Revision, um so eher aus das Ansuchen eingehen zu sollen, als ihm bereits, auf die erste^ Anregung der Hülssvereine an der pariser Ausstellung , die italienische Regierung durch ihren Gesandten den Wunsch ans eine abermalige Jnitiative der Schweiz in der Augelegenheit, namentlich mit Rücksicht aus den ...Seekrieg, zu erkeunen gegeben hatte , und er nun nach weiteren Erkundigungen auch zu der UeberBeugung gelangte, dass ebenfalls bei andern Vertragsstaaten Geneigtheit vorhanden sei , nicht nur die für den Landkrieg vereinbarte.. Grundsätze ^..m .^ehul^e der Verwundeten auf den Seekrieg auszudehnen , sondern möglicher Weise selbst noch zu^ weitern Verständigungen Hand zu bieten.

Aus eine daherige Einladung des Bundesrathes vom 12. August d. J. traten daher am 5. .Oktober in der Stadt Gens die Bevollmächligten von Baden, Bauern, Belgien, Dänemark, England, ^raukreich, Jtalien , Holland, Rorddeutschland , Schweden und Norwegen, Türkei , Wurtemberg und der Schweiz zu einer zweiten Konferenz zusammen.

Hessen, Vortngal, Rom^ und Russland verzichteten aus eine Ab-

ordnung . Griechenland entschuldigte die seinerseitige Unmöglichkeit der Theilnahme ; von Spanien blieb die Einladnng ohne Antwort.

Die Schweiz war, wie im Jahr 1864, wieder durch die Herren General D ü s o u r , Gustav Mo.^ier, Präsident des internationalen Komites, und Oberfeldarzt Dr. ^ e h m a u n repräsentirt.

.Laut Protokoll übertrug die Konferenz durch Reklamation die Ehre des Vorsitzes dem Hrn. General D ü s o u r , unter Beiordnung seiner beiden Kollegen.

Nachdem die Konserenz grundsät^ich beschlossen hatte, die Konvention ^von 1864 intakt bestehen zu lassen, und da ferner nur acht Staaten

182 Vollmacht gegeben hatten , einen neuen diplomatischen Akt zu unterzeichnen , während die übrigen blos ein Projekt - ..Pr.^et d'articles additionnels^ --^ berathen und unterzeichnet wissen wollten ; so wurde ein vom internationalen .domite bearbeitetes ,,Enoncé de quelques idées à e^mmer^ , welches in zwols Artikeln die den Regierungen s. Z.

mitgetheilten Wünsche der Hülfsvereine au der Pariser Ausstellung enthielt, zur Grundlage der Verhaudlungen genommen.

Die Verhaudlungen dauerten bis zum 20. Oktober, wo das der Botschaft des Bundesrathes beigegebene Brosekt von 15 Zugartikeln ^ur Konvention von 1864 von sämmtlichen Repräsentanten unterzeichnet und mit diesem Akt die Konferenz geschlossen wurde.

Durch die 5 ersten Artikel dieser Rachtragskonvention werden einzelne Bestimmungen der Konvention von 1864 theils näher präzisirt, theils materiell vervollständigt. Die übrigen von der Bariser Konferenz der Hülssvereine angeregten Bnnkte wurden von den Bevollmächtigten, weil.

entweder uuthunlich oder nicht nothweudig, theils einstimme, theils mit entschiedener Mehrheit abgelehnt.

Dagegen wurde ^ in den Artikeln 6 bis 15 eine ^ho.hst wichtige Erweiterung der Konvention von 1864 adoptirt, indem dur^.h dieselben die Wohlthaten der le^teren auch aus die Marine, beziehungsweise den Seekrieg ausgedehnt ist. Es leuchtet ein, dass die besondern Verhältnisse des Seekrieges die Kouserenz in erhohtem Masse in Anspruch nehmen mussteu, um gegenüber mehrsach erhobenen Schwierigkeiten dennoch auch hier eine allseitige Verständigung zu erzielen.

Sowohl die Rachtragsartikel betreffend den .Landkrieg , al.s der ganz neue Abschnitt betreffend die Verwundeten im Seekriege sind in der Botschaft des Bundesrathes des Rähern erortert und begründet.

Jhre Kommission will dort Gesagtes nicht wiederholen, sondern beschränkt sich einfach daraus , mit Besriedigung die .^hatsache ^u eonstatiren, dass die vorliegende Rachtragsartikel von demselben Geiste der Humanität durchweht sind, dem die Kouvention von 1864 ihre Entstehung verdankt.

Dabei hat die Kommission mit Vergnügen den Akten entnommen, wie sehr auch bei Aulass dieser .^weiten Konserenz die Repräsentanten der Eidgenossenschaft, und vorab das verehrte Präsidium , sodaun das interuationale Komite und die Behordeu von Gens sich um die Sache der Humanität und die Ehre des Vaterlandes verdient gemacht haben.

Die Kommission ersüllt eine Bflicht, und ist diesssalls auch der Znstim-

mung Jhrer Behorde gewiss, wenn sie dafür in ihren Bericht den Ausdruck der Anerkennung und des Dankes niederlegt.

Schließlich ist Jhrer Kommission noch die vertrauliche Mittheilung geworden, dass möglicher Weise von der einen oder andern Seite der hohen Kontrahenten in der Angelegenheit noeh weiter gehende Wünsche

1^3 im Sinn und Geist der Humanität und der vereinbarten Verträge angeregt werden ..dürsten. Für diesen Fall glaubt die Kommission, es sollte der Bundesrath ermächtigt werden , solche Anregungen von sieh aus zu würdigen und nach Befinden , ohne abermalige Einholung der Ratifikation der gesetzgebenden Räthe, zu den weiter vereinbarten Bestimmunge^. den Beitritt im Ramen der Eidgenossenschaft zu erklären.

Die Kommission empfiehlt Jhnen daher zur Genehmigung folgenden Beschluss^Autrag ^) : Die Bundesversammlung der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 2. ^Dezember

1868,

besehliesst: Art. 1. Der Bundesrath wird ermächtigt, den unterm 20. Okt.

1868 zu ...^eus entworfenen Zusähen zur Konvention vom 22. August 1864 zur Verbesserung des Mooses der im Kriege verwundeten Militärs seine Zustimmung zu ertheilen.

A r t . 2. Ebenso wird der Bundesrath ermächtigt, für den ^al.l dass von den Kontrahenten noch weitere Bestimmungen im Sinn und

Gelder Konventionen vom 22. August 1864 und 20. Oktober 1868

vereiubart würden , au.h diesen im Ramen der Eidgenossenschast die Zustimmung zu ertheilen.

B e r n , am 14. Dezember 1868.

Die Kommission : .^l. Heller, Berichterstatter.

Turrettiui.

.Hermann.

Lo.v.

Lnsser.

^ Angenommen ^Ständerath 14. Dezember, .^a..l...naIrath 2l. Dezember,^.

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Bericht der ständeräthlichen Kommission über die Ratifikation von Zusatzartikeln zur Genfer Konvention vom 22. August 1864. (Vom. 14. Dezember 1868.)

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1869

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06.02.1869

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