#ST#

Schweizerisches Bundesblatt ^I. .Jahrgang. .II.

Nr. 32.

#ST#

8. .Juli 1859..

B erich t des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über den Konflikt zwischen St. Gallen und Graubünden, betreffend den Gerichtsstand in Vormundschafts- und Ehescheidungssachen.

(Vom 30. Juni 1859.)

Tit.!

Unterm 24. Juli 1856 haben Sie die Einladung an uns gerichtet, den gesezgebenden Räthen über die von der Regierung des Kantons . G x a u b ü . n d e n bei der Bundesversammlung anhängig gemachte Konfliktfrage, betreffend das Forum der Niedergelassenen in Ehe- und Vormundschaftsfachen, Bericht und Anträge vorzulegen.

Es ist .unzweifelhaft eine wichtige staatsrechtliche Frage , welche hier.

ihre Entscheidung finden soll. Sie mag so oder anders gelöst werden , so wird der Entscheid mit den in solchen Materien vermiedenen RechtsAnschauungen und bestehenden. Uebungen da und dort in der Schweiz nicht im Einklang stehen. -- Als Sie uns diese Angelegenheit zur BerichtErstattung überwiesen, war bereits ein gleicher Konflikt zwischen den Regierungen von Aargau und Neuenburg bei uns anhängig gemacht (die daherigen Akten sind zur Einsicht beigelegt). Erst vor wenigen Wochen ist der SchriftenWechsel über diesen Fall geschlossen worden, welchen wir aus den angedeuteten Gründen gerne zuerst abwarten wollten. Es wird dieser Umstand .die verzögerte Berichterstattung um so eher erklären, da sich inzwischen seine Uebelstände zeigten , welche eine baldige Entscheidung verlangten. Es scheint, solche Fragen , welche bei der verschiedenen Gesezgebung der Kantone häufig vorkommen müssen, werden meistens in Minne geregelt.

Nach diesen einleitenden Bemerkungen schreiten wir zur Berichterstat-

.tung über die Sache selbst.

Bundesblatt. Jahrg. XI.^ Bd. II.

11

134

A.

Die Gesezgebung des Kantons Gr a ub linden enthält die Bestino mung , daß in Ehescheidungsklagen das betreffende Gericht des Heimathsortes das kompetente sei. Hingegen huldigt das St. Gallische Gesez dem Texritorialgrundsaze und weist in Folge dessen Ehescheidungsklagen an sein.

Konsistorialgericht, ohne Unterschied, ob hiebet Kantons- Bü r g e r oder Kaut o n s - N i e d e r g e l a s s e n e in Frage stehen.

Aehnlich verhält es sich hinsichtlich des Vormundschafts- und Bevogtungswesens. ^luch hier hält St. Gallen an dem Territorialgrundsaze fest,.

d. h. es wendet seine bezüglichen Geseze ausnahmslos auf a l l e Kantonseinwohner an, während Graubünden lediglich die Heimathsbehörden der betreffenden Jndividnen als zuständig anerkennt.

Die Regierung des Kantons Graubünden, durch zwei Spezialfäll^ dazu veranlaßt , machte die St. Gallischen Behörden auf die Jnkonvenienzen und die Uebelftände aufmerkfam, welche aus der Anerkennung und^ Handhabung des Territorialgrundsazes in dieser Materie mit Nothwendigkeit hervorgehen müßten, und gieng dieselbe deßhalb um Berechtigung.

ihrer hieraus bezüglichen gesezlichen Bestimmungen an ; allein der hohe Stand St. Gallen beantwortete diefes .Begehreu Graubündens a..schlägig mit dem Bemerken, daß er sich durchaus nicht veranlaßt sehe, von^.

seinem bis dahin festgehaltenen Grundsaze abzugehen.

Da sich untex^ solchen Verhältnissen eine Verständigung nicht erzielen ließ , so sah stch Graubünden, auf Grund des Art. 74 Ziff. 16 der Bundesverfassung und unter Hinweisung auf die eidg. Konkordate vom 13. Juli 1822, betreffend vormnndschaftliche und Bevogtungsverhältnisse, und voni 6. Juli^

18.21 , betreffend Behandlung von Ehescheidungsfällen (ältere offiz..

Samnil. Bd. l1, S. 34 und 39) veranlaßt, die Jntervention der h. Bun..

desverfaminlung zur Erledigung diefes Konfliktes anzurufen, indem es folgende zwei Gesuche stellt: .

Jn erster Linie: ,,es möchte der Kanton St. Gallen pflichtig ext'tärt werden, bezüglich der Kompetenz in Ehescheidungs- und Vormund.^ schaftsverhältnissen bündnerifcher. im dortigen Kantone niedergelassener Angehörigen die Gefeze von Graubünden anzuerkennen.^ Jn z w e i t e r Linie: ,,es möchte der in den oben angeführten Konkordaten ausgestellte Grundsaz der Zuständigkeit der Heimathsbehörden i^ Ehescheidung^ und Vorniundschaftsverbältnissen für die ganze Eidgenossenschaft zum Geseze erhoben werden....

Sein Gesuch, refp. seinen Antrag unterstüzt der Kleine Rath des Kantons Graubünden durch folgende Auseinanderfezung : Zur Eingehung einer Ehe auch außerhalb des Kantons sei allemal die Genehmigung der Heiniathsbehörden erforderlich, und es könne deßhalb diese, einer richtigen Logik Folge gebend, auch nnr niit Zustimmung derfe.ber^ wieder getrennt werden. Aber auch aus rein praktischen Gründen müsse das Recht der Trennung einer Ehe nnr und ausschließlich der HeiInaths-

135 behörde der Betreffenden anheimgegeben werden, da gerade fie es sei, die am meisten berührt werde durch eine Aendernng des Status persona, u^id der man deßwegen auch nicht ziimnthen könne, in wirklich einzutretendem Falle als bloßer Zuschauer gewähren zu lassen. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend, sei auch jenes Konkordat vom 6. Juli 1821 zu Stande gekommen . das sich auf die Mehrzahl der Kantone erstreke. Da Granbünden im Fernern die Kompetenz des St. Gallischen Konsiftorialgerichts in solchen Fällen nicht anerkenne, so können von ihm dahin bezüglich ausgefällte Urtheile sehr oft gar nicht existent werden, weil die Exekution, die Folge eines Ehefcheidungsurtheils, meistens in der heimathlichen Gemeinde .' eintrete.

Sehnlich stehe das Verhältniß beim Vormundschaftswefen ; auch hier komme das nächste Jnteresse der Heimathsgemeinde zu, die überall da, wo die einzelnen Jndividuen nicht im Stande seien, selbst für fich und die Jhrigen zu sorgen. die Pflicht dieser Sorge in sich trage, während dex ^Niederlassungsgemeinde in solchen Fällen das. bequeme Mittel der AnsWeisung .zustehe. Bei einer. solchen Sachlage müsse es fast selbstverständlich sein , daß zu gewissenhafterer Erfüllung dieser ihrer Pflicht einer jeden Gemeinde das Recht auch ausschließlich zustehe, über das Vermögen ihrer Angehörigen, wo dieß nothwendig erscheine, prefervatorifche Anordnungen zu treffen und dürfe darin nur von ihrer legislativen Behörde beschränkt werden. St. Gallen könne zwar zur Befolgung dieses Grundfazes auf Grund des. oberwähnten Konkordates nicht weiter genöthigt werden, da es .nie zu demselben getreten sei; allein freundnachbarliche Riiksichten und dex Umstand, daß Graubünden den ausgesprochenen Grundsaz auch auf alle in seinem Gebiete wohnenden Angehörigen des Kantons St. Gallen^ anwende, sollten es dazu verpflichten. tleberdieß werde das einein jeden Danton ..inzweifelhaft zustehende Recht, Geseze betreffend den Status persona in Bezug auf Ehescheidungs.. und Voxniundschastsverhältniffe seiner Angehörigen, durch den von St. Gallen befolgten Territorialgrundsaz in seiner Unu.nschränktheit negirt , was nicht geduldet werden könne und dürse. Sollte die h. Bundesversammlung auf sein in erster Linie gestelltes Begehren nicht eingehen. in weichein Falle es sich übrigens fein ferneres Verhalten St. Gallen gegenüber
nach dieser Seite hin vorbehalte, so möge sie we-.

nigftens, woraus ..^ranbünden in zweiter Linie antrage, ze.^r Vermeidung weiterer Kollisionen in ähnlichen Fällen, ein für die ganze Schweiz gleichmäßig geltendes Gesez, betreffend Ehescheidu.^gs- und Vorniundschastsv.erhältnisse erlassen. Daß die Berechtigung hiezu bei der Bundesversammlung stehe, gehe unzweifelhaft daraus hervor , daß sie zur Regulirung staatsrechtlicher Verhältnisse zwischen^ Kanton und Kauton die einzig kompetente Behörde sei. Was den von St. Gallen angezogenen Art. 48 der Bundesverfassung anbelange, so komme derselbe im vorliegenden Falle gar nicht in ^Betracht, hingegen möchte vielmehr der Art. 53 hierin maßgebend sein. der jedem Schweizerbürger den verfassungsmäßigen Gerichtsstand garantire.

.136 Auf eine. sachbezügliche Vexnehmlassung St. Gallens sieht sich mit .Schreiben vom 2:5. August und 31. Dezember 1855 die Regierung Graubündens im Weitern zu sollenden Erörterungen veranlaßt : . Was das formelle Bedenken St. Gallens betreffe, so könne sie dasselbe ^durchaus nicht theilen; denn sie erachte es unter Hiuweisung aus Art. .'4.

Ziff. l 3, 16 und 17 der Bundesverfassung lediglich in der Kompetenz dex

B u n d e s v e r s a m m l u n g , über derartige Streitigkeiten zu entscheiden, und es komme dabei dem Bundesrathe nur eine begutachtende, vermittelnde Stellung zu, was j.edensfalls in Bezug auf das in zweiter Linie von Graubünden gestellte Begehren außer jedem Zweifel liege, wo es sich uin ein legislatives Vorgehen handle. Die Sache selbst ..betreffend , so möchte der Kleine ^ .Rath Graubündens seine beiden Anträge streng^aus einander gehalten wissen, als von einander in der Entscheidung ganz unabhängig, indem es sich sür.s Erste nur um speziell zwischen Graubünden und St. Gallen bestehende bezügliche Streitigkeiten, sür's Zweite .um eine a l l g e m e i n e V e r o r d . ^ nun g handle.

Wenn der h. Stand St. Gallen hinsichtlich des erstgestellten Antrages init den Worten: ,,wenn Bundesbestimmungen auf den Fall Anwendung leiden,^ anzudeuten scheine, als ob derselbe in der Bnndesverfassiing gar keine Berechtigung finde, so sehe er sich zu keinem weitern Daraufeingehen bemüßigt, da gleich daranf dieser selbst auf eine Reihe von Bundesverfassungsartikeln als maßgebend sich berufe. Es find dieß die Artikel 41, 42 Ziff. 4, ferner Art. 48, 49 und 53. Jndem nnn die graubündnerische Behörde ans jeden einzelnen dieser angezogenen Artikel der Bundesverfassung näher eingeht, k^.mmt sie zu dem Resultate, daß sämintliche, auf den vorliedenden Fall entweder gar keine Anwendung erleiden, oder gegen St. Gallen sprechen. Art. 41, der die Rechte der niedergelassenen Schweizerbürger gegenüber dem Niederlassungskantone und Orte feststellt, fage mit keinem Worte , daß der Niedergelassene sich in Bezug aus den Status persona den Gesezen des Niederlasfungskantons zu unterwerfen habe, da er lediglich das Verhalten vorzeichne, welches die Kantonsregierungen und Ortsbehörden im Vergleiche zü ihren Kantons- und Ortsbürgern, den Niedergelassenen gegenüber zu beobachten verpflichtet seien und gebiete, daß leztere jenen überall da gleichgestellt werden sollen, wo es sich nicht um Stimnirecht in Genieindeangelegenheiten . oder iim den Mitgenuß an Gemeinde- und Korporationsgütern handle. Da gerade hier, wo es doch am Pla.ze gewesen wäre, wenn nian die Bestimmung für zwekmäßig erachtet hätte, des von St. Gallen innegehaltenen Territorialgrundsazes ^..t keinem .^orte Erwähnung geschehe, so sei anzunehmen, daß man den^ben als
unzwekmäßig absichtlich übergangen habe ; es werde diese Annahme nur bestätigt, wenn man das zwischen den meisten Kantonen bestehende Konkordat in Erwägung ziehe.

.^rt. 42 fii.de auf den vorliegenden Fall deswegen keine Anwendung , weil er nur von der Ausübung der p o l i t i s c h e n Rechte der Niedergelassenen handle, und zwar auch nur von einein ,, .^önuen ..^ Wenn Art. 48 die Verpflichtung der Kantone ausspreche, alle Schweizerbürger in der Gesezgebung sowol als im ge-

137 .richtlichen Verfahren den Bürgern des eigenen Kantons gleich zu halten,.

so sei damit immer noch nicht die Kompetenzfrage zwischen Kanton un^ Kanton . in Bezug auf die Behandlung der Statusfragen erledigt. Es.

könne unter Gefezgebung hier nur der Komplex derjenigen Geseze verstan..

den werden , welche den Niedergelassenen, als solchen, gleich wie den Bürger beschlagen. niid dieser Artikel habe daher nur die Bedeutung, daß wenn^ ^die Rechtsverhältnisse eines Niedergelassenen in einem Kantone vor dessen.

^Gerichten. i h r e K o m p e t e n z h i e r i n a l s u n z w e i f e l h a f t v o r a u s . g e f e z t , in Frage kommen, dann für denselben der gleiche Gefezesmaßsta^ ^ angelegt werden foll, wie für den Bürger. ^ehr sei darin nicht au^gesprochen. und am wenigsten, daß bei streitiger Kompetenz ein Kanton be-^ rechtigt sei, einen Niedergelassenen ohne Rüksicht auf dessen Heiniathverhältniß wie einen Bürger zu behandeln. - Art. 49 gar^ntirt die Exekution der rechtskräftigen Eivilurtheile. die in einein Kantone gefällt sind,.

in der ganzen Schweiz. Unter was für Voransfezungen aber ist ein Ei-

^.ilurtheil rechtskräftig, fragt Graubünden, da der Artikel diese nothwendige

Voraussetzung gar nicht erwähnt^ Es führt an einem fingirten Beispiele durch, daß seines Dafürhaltens die granbünduerischen ^Gerichte gar nicht ^ngehaiten werden können , ein Entscheidungsurtheil als rechtskräftig anzuerkennen , das im Kanton St. Gallen von der jenseitigen Behörde ausgefällt wurde, gegeii deren Kompetenz der beklagte Theil Einwand erhob.

Das Verlangen des Art. 53 , daß niemand seinem versassungsmäßigen ^Richter entzogen werde, könne hier um so weniger normgebend sein, indem .gerade der Punkt. auf den es di^ßsalls ankomme, die Frage: wer ist im gegebeneu Falle der verfassungsmäßige Richter.^ in demselben gar nicht berührt werde.

Da der Wortlaut aller angeführten Artikel den zwischen G r a u b ü n den und St. G a l l e n schwebenden Koinpetenzkonslikt nicht weiter berühre,.

deren Sinn lediglich der sei, daß die Niedergelassenen ^.icht schlimmer behandelt werden follen als die Bürger, also mehr negativer als positiver Natur. so sei durch deren Eitirung für die Lösung der Streitsrage nichts gewonnen worden ; denn daß der Niedergelassene gezwungen werden könne, ^ie.bte, die er als Bürger eines andern ^anton^ genieße, auszugeben, was durch Annahme des St. Gallischen Griindgefezes nothwendig beding sei, liege weder im Wortlaute, noch viel weniger im Sinn und Geist der Bun^.esverfassung.

Gemäß .^irt. 5 gewährleiste der Bund den Kantonen die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger^ und nach ^srt^ 53 sotl ni^man^ seinem verfassungsmäßigen Richter entzogen werden. Diese Bestimmungen der Bundesverfassung wolle Graubünden gewahrt wissen gegen die ^ingriffe eines Nachbarkantons in seine. ans Gesez nnd Recht beruhenden Verordnungen über Eheftre^.tigkeiten und Vormundschaft^eihä^nisse. Es anerkenne vollkommen die wohlmeinende Gesinnung, die der Stand St. Gallen ^adnrch an den Tag lege, daß er die Bürger anderer Kantone gleich de.^ eigenen. unter die Obhut seiner Behörden und Gerichte nehme , giaube: ^aber, daß feine Angehörigen Bunter dem Schuze der einheimischen Geseze

138 und Behörden hinlänglich geborgen seien, und habe überdieß noch ein speBielles Staatsinteresse, das ihm zustehende Recht auch geltend zu machen..

Die von St. Gallen stark betonte Zwekmäßigkeitssfrage scheine ihm in .erster Linie hier nicht vorzuliegen, da es sich lediglich um eine S t a a t s r e c h t s f r a g e handle. Uebrigens verweise es auch nach dieser Seite hin, so .wie überhaupt. in der ganzen Angelegenheit, auf die in feiner ersten Einlage dießfalls angebrachten Erwägungen, die es durch die VernehInlassnng der jenseitigen Kantonsbehörde weder für entkräftet noch widerlegt ansehe.

Auf die Verwahrung der Regierung von St. Gallen eintretend , den .n zweiter Linie gestellten Antrag betreffend, fo glaubt fich der graubündiberische Kleine Rath nicht in der Lage, von der Kantonalsouveränetät irgend Etwas dem Bunde abzutreten, erachtet aber, daß die Bundesbehör.den. wenn sie in Bezug aus die in Frage liegenden Verhältnisse von Nie.dergelasseneu zu dein Niederlassungskanton für die Zukunft normgebende Bestimmungen ausstellen. keineswegs ihre durch die Bundesverfassung fest.gestellte Kompetenz überschreiten, sondern einzig dein Art. 74 Ziff. 3 gerecht werden.

Graubünden sei ebenfalls der Ansicht,. daß die Niederlassungsfreiheit nicht beschränkt werden dürfe. halte aber dafür, daß eine Ausdehnung der Niederlassungsbestimmungen im Sinne des h. Standes St. Gallen keineswegs zum Nuzen , sondern vielmehr zum Schaden und zur Last der Niedergelassenen gereichen würde.

B.

Die Regierung von St. Gallen ließ sich in ihrer Erwiderung auf .vorstehende Klage, nach Anerkennung des Streitobjektes und Rekapituliriing der von Seite Graubündens vorgebrachten Erwägungen, niit Schreiben vom.

^6. Juni 1855 und 27. Juni 1856 wie folgt vernehmen: Wenn bei der Eingehung von Ehen der Konsens der Heimathsbehörde verlangt werde, so habe dieß allerdings seinen natürlichen Grund. weil .die Frau das Bürgerrecht des Mannes erwerben soll und ihre Kinder, als .ehelich, auch dein Bürgerrechte des Mannes folgen sollen, was aber ohne Konsens der betreffenden Heimathsbehörden des Mannes nicht wohl inöglich wäre. Wollte indessen die Niederlassnngsbehörde die Konsequenzen ,..

die daraus folgten. und die Verantwortung übernehmen, so könnte Inair ....iner Heirathsbewilligiingsertheilung von ihrer Seite wohl nichts entgegenstellen. Ein anderes Verhältniß walte in E h e s c h e i d u n g s s a c h e n ; hier komme kein Bürgerrecht in Frage, fondern nur das persönliche Verhältniß der Ehegatten zu einander; von Gemeindinteressen. welche dabei in Bexüksichtigung fallen dürften, könne keine Rede sein. Die Konvenienz de.r Gemeinden dürfe nicht entscheiden über das, was in einzelnen gegebenen.

Streitfällen unter den Ehegatten. bezüglich des Ehekontraktes, so wie in.

.Betreff der Alimentation ihrer Kinder, geschweige rüksichtlich ihrer ökonomischen Jnteressen. Rechtens sei. Die ,,Natürlichkeit" des von Graubünden behaupteten Rechtsarundfazes , refp. dessen wohlthätige Folgen , ver-

139 ^nöge s i e nicht einzusehen, vielmehr erachte sie ein Festhalten daran als ^ie gute Ordnung störend und die staatliche Entwiklung hemmend.

Wenu bei Behandlung der Ehefälle nur einfach Gerechtigkeit zu walten ^abe, so geschehe dieß am sichersten nach den Grundsäzen und durch den .Richter, wo die Betreffenden seßhaft seien, und nie dürfen bei Rechtsfragen Jntereßrüksichten auch nur bestimmend in die Wagfchale fallen. Die Gesezesweisheit und Rechtshandhabung sei nicht an die Scholle der .Heimath gebunden, und sollte es deßwegen diese auch ruhig gewähren lassen , wenu ^ex Niederlaffungsort ihren Bürgern gleiche Rechte auch in Ehesachen zu^ kommen lasse, wie den seinigen. St. Gallen huldige aus voller UeberBeugung ihrer Richtigkeit und Zwekmäßigk.eit der Praxis dieses Grundfazes auch da, wo er .auf seine Angehörigen angewendet werde. Die Jnkon^..enienzen und Nachtheile, die bei Anwendung des von Graubünden festgehaltenen Prinzips sich ergeben , fallen beim Territorialgrundfaz gänzlich .weg und es resultire auch in dieser Hinficht der große Vorzug desselben.

Auch dem Sinn und Geist des neuen Bundes , namentlich mit Bezug auf

.die Artikel 41, 48, 49 und 53 sei die von ihm verteidigte Anficht viel

.entsprechender als die jenseitige.

Aehnlich wie bei Ehefcheidungssragen verhalte es sich mit den Vor^nundschaftssachen. Auch diese wolle St.^ Gallen aus dem Gesichtspunkte der Pflicht des Staates angesehen wissen, für diejenigen zu sorgen, die

^ieß selbst nicht können, und nicht mit Berechtigung kleinlicher Orts-

interessen. Die vorniundschaftliche Jurisdiktion, möge man diese als einen Ausfluß der Polizeigewalt ansehen, wie die Einen thun. oder wie Andere, ihr lediglich zivilrechtliche Natur beilegen, immerhin komme sie dein Richter .des Wohnortes zu, was auch, ganz abgesehen von^ dem unzweifelhaften .rechtlichen Gesichtspunkte, wesentlich in der Natur des Verhältnisfes selbst .begründet lie^e.

Es scheine daher, wenn Bundesbestimmungen auf den Fall Anwendung leiden, so seien es nur die Art. 42, Ziff. 4 und 48, und zwar in dem Sinne. daß durch dieselben den Wohnortsbehörden gexadezu die Pflicht zum Vorgehen in Vormundschaftssachen auferlegt werde, .ohne Unterschied., ob es Bürger oder bloß schweizerische Niedergelassene betreffe.

Nehme man nun an, daß durch die nene Bundesverfassung die ex.wähnten beiden Konkordate von den Jahren 1821 und 1822 außer Geltung gestellt worden seien , indem deren Jnhalt dureh dieselbe beschlagen sei , also ^as zweite Lemma des ^lrt. 6 der Uebergangsbestimmung darauf Anwen^ung erleide, so könne über die allgemeine Statthaftigkeit des von dex Regierung St. Gallens festgehaltenen Prinzips kaum ein Zweifel herrschen .

^enn etwas demselben Entgegengefeztes aus den zitirten Artikeln heraus zu .iuterpretiren., erscheine als eine Unmöglichkeit. Aber ganz entschieden stehe ^das Recht auf ihrer Seite, wenn man annehme, daß die Bundesverfassung ^ie. hier streitige Frage gar nicht berühre und also die mehrfach angeführten .Konkordate noch zu Kraft bestehen; denn in dem Falle können die BeKimmungen dieser Konkordate doch nur auf die betreffenden Kantone An-

140 wendung erleiden, wie die graubündnerischen Behörden dieß übrigens auch.

anerkennen und fich in dieser Beziehung lediglich auf das freundnachbarliehe^ Verhältniß von Kauton zu Kanton berufen. St. Gallen anerkenne gerr^ dieses freundnachbaxliche Verhältniß in seiner ganzen Ausdehnung, find....

aber, daß demselben nach seinem Prinzip mehr gedient sei, als dieß im Sinne Graubündens möglich wäre, und glaubt dadurch auch den Artikeln 41 und 48 der Bundesverfassung volle Genüge zu leisten und Anwendung zu^ verschaffen.

Gegen ein Eingehen auf das in zweiter Linie von Graubünden ge^ stellte Gesuch müßte es Verwahrung einlegen , weil dadurch die Mehrheit der Kantone der Minderheit ^ihr Gutfinden als Diktat aufdringen würden in Rüksicht eines Gegenstandes , . der bisher allseitig und .anerkanntermaßen^ dem Gebiete der Kantonalfouveränetät angehört habe. Auf solche Weisen könnte bald die Kantonalherrlichkeit in der Oberherrlichkeit des Bundes..

aufgehen. Den richtigen Sinn übrigens des Art. 74, Ziff. 14 der Bun-^ desverfassung glaube es allein darin zu finden, daß die Bundesversammlung die nähern Bestimmungen zu erlassen habe, welche znm Schuze dex^ freien Niederlassung und der dem Niedergelassenen garantirten Rechte nöthig^ sein niögen. Jn diesem Sinne sei auch das Gesez über die Niederlassungstaxen vom 10. Dezember 1849 erlassen worden.

Sollte früher odex^ später jedoch von einer weitexn Ausdehnung der Bundesgesezgebung übex das Niederlassungswesen die Rede sein, so könne dieß nach seinem Dafür.^ halten nur dahingehend gefchehen, daß die Freiheit der Niederlassung durch möglichste Nichtbelästigung derselben sowol seitens der Heimath, als seitens

der Niederlaffungsbehörden und durch möglichste Gleichhaltung der Nieder^

gelassenen in Allem, was politische und rechtliche Stellung heiße, durch-^ greifend geschüzt werde, damit der Schweizer überall im Vaterlande, wo er sich ansiedle, einen heimischen Boden finde, auf dem er nicht bloß ,,gewerben und gewirken^ könne, sondern sicher sei in Allem, was politisches.

Recht oder polizeiliche Behandlung, oder Schuz sür Person und Besiz betreffe.

Ein entgegengeseztes Vorgehen würde es als Versündigung an der kräftigen Entwiklung des neuen Bundes, an der innigern Verbrüderung und lebendigern Einigung des Landes ansehen. Mit Zuversicht^ erwarte man deßhalb dortseitig, daß^auch die zweite Linie des Gesuch^ als unstatthaft vou der Bundesversammlung werde abgelehnt werden. Jm Fernern werde angenommen, daß in allen solchen Fällen, ehe sie an di^ Bundesversammlung gewiesen werden, ein bundesräthlieher Entscheid vor^ angehe.

Jn der bereits angeführten zweiten Vernehmlassung St. Gallens vom..

27. Juni 1856 führt dieser h. Stand duplicando aus: Die Regierung von Graubünden habe ihre erste Eingabe in der.

Replik wesentlich modifizirt; denn einmal wolle diese j e z t die in den beiden Linien gestellten Anträge ,,streng getrennt wissen.., und sodann stelle sie n^i.mehr den Konfliktstreit als eine ,,Staatsrecht^frage^ hin, während sie i^ der ersten Eingabe die heimathliche Jurisdiktion wesentlich aus dem Stand^

punkte ihrer ,,Zwekmäßigkeit^ behufs Wahrung der heimathlicheu Gemeinde-^ Interessen forderte.

Mit der von Graubüuden gelieferten Jnterpretation der Bundesgesez.^ könne er sich nicht einverstanden erklären. Nirgends in der Bundesver-.

sassung sei ein Veto zu finden, das einem Kanton verbiete, auch in Ehe-.

scheidungs- und Vormundschaftssachen den Niedergelassenen gleich dem Bürger..^ zu behandeln. Hingegen sei dein Heimathskanton der Umfang seiner Kom-.

petenz nur auf seinem eigenen Gebiete garantirt, und da bei der Niederlassung in einem andern Kanton mit dem Niedergelassenen der Vollgenuf^ aller Rechte eines Bürgers mit einer einzigen Ausnahme übergehe auf di^ anderweitige Niederlassung, so folge daraus unbestreitbar, daß die Heimath die Einsprache in die Regulixung dieser Rechte für die Dauer de^ Niederlassung verliere; damit stehen auch sämmtliche Spezialbestimmungen.

der Bundesverfassung im Einklang. ^Artikel 3 garantire keine Souveränetä^ mit Uebergriffen auf ein anderes Gebiet. Artikel 5 garantire allerdings^.

den Bürgern ihre Rechte, aber einem Niedergelassenen wol nicht zur Ablehnung der Jurisdiktion des Niederlaffungskantons, zn.inal in Justiz- und^ Polizeifachen. Wenn dex Art. 41 ausdrüklich dem Niedergelassenen ,,alle^ Rechte^ des Bürgers sichere. und dabei nur eine einzige Aufnahme mache, so könne nian derselben nicht eine zweite und dann noch eine dritte oder jede^ andere beliebige Ausnahme beifügen, sondern unter jenem Ausdruk a l l e R e c h t e müssen eben die fämmtlichen. nicht ausgenommen begriffen sein,.

unter welchen der zivilrechtliehe und polizeiliche Schuz für Perfon und.

Familie wol obenan stehen. Zum Ueberflnsse komme noch Art. 42 hinzu, der von den p o l i t i s c h e n Rechten am Wohnorte besonders spreche, als^.

es noch klarer mache, daß unter dein Ausdruk a l l e R e c h t e im Art. 41 eben nicht bloß die politischen und die insbesondere angeführten Rechte.

verstanden seien. Auch der Umstand sei für die hier geführte Argumentation sprechend. daß die Ausübung^ dieser Rechte beim Bürger und Niedergelassenen die gleichen Bedingungen .oorausseze.

Artikel 43 schüze den^ Niedergelassenen gegen jedes Binden , Nachjagen oder Verfolgen von Seite des Heimathkantons. . Den Sinn des Art. 48 erkennen beide Regierunge...

darin, daß der Niederlassungskanton verpflichtet
fei, den Niedergelassenen.

in der Gesezgebung und im gerichtlichen Verfahren dem Bürger gleich z.^ halten. Es entstehe aber die Frage, auf welche R e c h t s m a t e r i e n sich.

diese Gleichheit erstreke, und in dem Punkte mache sich die Regierung Graubündens einer zu großen Engherzigkeit schuldig, indem sie sich sogar ^vox den Konsequenzen ihrer eigenen Annahme scheue. Graubünden gebe nämlich.

zu, daß sich die erwähnte Bestimmung des Art. 48 auf denjenigen Komplex von Gesezen beziehe. de.x für Bürger und Niedergelassene g l e i c h e Anwendung finde; über diefe Annahme hinaus komme es a...er nicht, bleibe^ also aus kaum betretenem Wege stehen, und doch sei es unzweifelhaft, daß..

hieher alle die Geseze gehören , welche das bürgerliche oder humane Zu..

sammensein und das tägliche Leben besehlagen, die Geseze namentlich,.

welche die persönlichen Rechte ^wie auch das Eigenthum schüzen und für^

142

.

^..en sorgen, der zur Sorge für sich selbst nicht befähigt sei. Zivi.l- und ^Polizeigesezgebung in ihrem ganzen Umfange gehören zweifellos hieher.

^Es fei die Redaktion fraglichen Artikels auch so klar gefaßt, daß hierüber ^aum eine andere Annahme Plaz finden könne. Hinsichtlich der von der .jenseitigen Behörde mit befonderm Nachdriik hervorgehobenen Statusfrage sei deren doppelte Seite wol aus einander zu halten. Alles das nämlich .hange lediglich von der Gefezgebung und Jurisdiktion des Heimathortes ab, was den status civitatis, d. h. das Orts- und Kantonsbürgerrecht selost bilde, so weit dieß nicht durch die Bundesverfassung beschränkt sei.

^Jede Frage dagegen, die nicht mehr das Bürgerrecht selbst betreffe, die .^ns privatrechtliche Personenrecht gehöre,^ finde nicht mit Notwendigkeit .am Bürgerorte ihre Erledigung, sondern vielmehr am Orte der Seß-

hastigkeit. Eben so müssen die Fragen über persönliche Selbständigkeit ^der Rechtsfähigkeit, sei es in politischer oder privatrechtlicher Hinsicht,

vom Geseze des Wohnorts abhangen. Anch die weitern Artikel 49, 50 und .53 stimmen mit dieser Ansicht überein; und wenn Art. 49 von der Voll.ziehbarkeit rechtskräftiger Zivilurtheile spreche , ohne die Bedingungen der .Rechtskraft und der Kompetenz zur Erlassung der Urtheile näher festznfezen, so liege darin nur eine scheinbare. Schwierigkeit, die zndeni durch die Be-

Stimmungen der Artikel 41 und 45, namentlich aber 50 leicht gelöst werde,

indem lezterer ausdrüklich besage: ,,Es gibt für p e r s ö n l i c h e Ansprachen deinen andern Gerichtsstand. als den des Wohnortes.... und der Ausdruk . p e r s ö n l i c h e Ansprachen im weitesten Sinne zu verstehen fei.

Auf seine Argumentationen gestüzt, die unzweifelhaft darthun: ,,mit ^.er Niederlassung in einem andern Kanton übergehe der Schweizerbürger, ^als solcher, in Allem, was nicht das Bürgerrecht am Heimathorte selbst .betreffe, namentlich aber in Allem, was privatrechtlicher oder polizeilicher ^der politischer Natur sei, in .die Jurisdiktion des Niederlassungskantons^ erwarte St. Gallen die Abweisung des in. erster Linie von Graubünden gestellten Begehrens.

Mit dem in zweiter Linie gestellten Gesuche werde auf die Erlassung^ Deines Gesezes angetragen. dessen Notwendigkeit oder auch nur Zwekinäßig^keit nicht einleuchte. - Wenn Iuan auch dem Bunde das Recht einräumen ..müßte, nach dieser Seite hin Verordnungen zu erlassen, so könnte er im ^vorliegenden Falle doch nur mit größter Vorficht von seiner Kompetenz ^Gebrauch machen, und wenn^ so sei nach der Natur der Sache vollkommen ^Raum zum Zweifel da , ob eine derartige allgemein rechtliche Norm im Sinne Granbündens ansfallen würde, was jedenfalls nicht anzunehmen sei, .wenn dabei der Sinn und Geist der Bundesverfassung zu Rathe gezogen ^verde. die doch wolle, daß die Schweizer ein Volk seien und eine n a t i o n a l e Entwikiung erhalten. Uebrigens fei die Regierung St. Gallens Vollkommen der Ueberzeugung , daß die h. Bundesversammlung auch in Dieses zweite Begehren Graubündens, als jedes stichhaltigen Grundes ent.behrend, nicht .eintreten werde. Sollte aber dennoch wider alles Erwarten ^Iuf das Gesuch eingetreten werden, und zwar in dem darin ausgesprochenem

143 Sinne , so müßte sie ihre Verwahrung gegen ein solches Vorgehen nu.^ Wiederholen.

So weit die Darstellung der beiden Kantonsregierungen.

^Jndein wir zur Beurtheilung. dieser entgegenstehenden Ansichten iibex^ehen . galten wir es für zwekmäßig , die im ersten Gesuch Graubündens ..ent^aitene Doppelsrage zu trennen, und die Vorinundschastsverhältnisse und .Ehescheidungssachen besonders zu bezahlen.

a. Vorrnuudfchastssacheu.

Die Gesezgebung der Kantone ist in dieser Rechtsinaterie , wie iIr.

^nancher andern verschieden.^ Während die Einen unbedingt an dem staatsrechtlich richtigen Grundsa..e festhatten , daß sich die Eivil^ und PolizeiGewalt des Staates von Rechtes wegen auch aus die Mitbürger. welche sich ^in Lande aufhalten^, und aus die im Lande liegenden Verinögensobjekte^ ...erstreke -- qnisq^id est in territorio, é^t de territorio --. und somit die ..Rechtsfähigkeit einer Person, das Alter der Volljährigkeit . der Vormundschast ...e. nach den Gesezendes Wohnortes sich richte, nehmen die Andern ...einen ganz andern Standpunkt ein und behaupten, die ^ Rechtsverhältnisse, ^welche den sogenannten .Status einer Person beschlagen, werden ^durch die ^Geseze des Heimathortes beherrscht, und fo könne auch das Vormundschafts.^vesen nur durch die Geseze des Heimathortes regulirt werden.

Diese leztere Ansicht beruht nicht aus dem gemeinen Recht. sondern ist eine Singularität, die sieh .vorzugsweise aus Konkordate stiizt,. was wol am .beßten beweist, daß es nicht a l l g e m e i n e s Recht ist, sonst hätte es keines.

.Konkordats bedurft.. Ein solches Konkordat wurde unterm l5. Juli 1822 Zwischen mehreren Kantonen abgeschlossen, welchem aber St. Gallen,. und ^vas bemerkt zu werden verdient, auch G r a u b ü n d e n nicht beigetreten .ist. Die Erklärungen dieser Kantone lauteten folgendermaßen : ,,St. Gallen ^tehnt d^s Konkordat ^ wird a.^er immer bereit fein, heimathlichen WaisenBehörden seiner Niedergelassenen Kenntniß von dem Veriuögenszustande ihrer hinter Vormundschaft stehenden Mitbürger zugehen zu lassen, und überhaupt ^edes mit den Gesezen des Kantons St. Gallen verträgliche und billige Begehren in vormundschaftlichen. und Bevogtigungsangelegenheiten zu be-

^..riiksichtigen....

,,Graubünden findet besonders den Axt. 4 des Konkordats mit den Einrichtungen und Grundsäzen seines .Kantons nicht vereinbar, wird jedoch

sehr gerne allfä.ligen Wünschen, rükfichtlich auf Mittheilung der vorniundgastlichen Rechnungen und auf Anzeige der Vogtsbestellungen entsprechen.^

Aus Grund des Konkordats kann also St. Gallen nicht angehalten ..werden . den Territoxialgrundsaz im Vorniundschastswesen aufzugeben, weil .

..Konkordate nur rür die kontrahirenden Theile maßgebend sind , nicht aber sür Kantone, weiche ihren ^Beitritt ausdrüklich versagt haben. Die Re^ierung von Graubüuden beansprucht übrigens dieses auch nicht. Es fällt

144 daher die Frage, ob nach Art. 6 der Uebergangsbestimmungen der Bu.^ desverfassung das Konkordat vom 15. Juli 1822 maßgebend sei, bei vor-.

waltender Frage als irrelevant weg.

Man muß also ganz abgesehen von dem allegirten Konkordate di^ Frage prüfen , ob St. Gallen nicht berechtigt sei , bündnerisehe, im dor.

tigen Kanton niedergelassene Angehörige vormnn^fchaftlich zu behandeln..

Einen Anhaltspunkt zu dieser Prüfung mnß vorzugsweise in den Bestini.^ mungen der Bundesverfassung gesucht werden , welche auch von den strei^ tenden Parteien in denjenigen Vorschriften angerufen wird, welche sie al.^ einschlägig betrachten.. Sehen wir die betreffenden Artikel etwas näher an...

Der Art. 3 erklärt die Kantone souverän, so weit die Souveräne^ .nicht durch die Bundesverfassung befchränkt ist, und refervirt ihnen aus..

drüklich alle Rechte, welche nicht der Bundesgewalt übertragen sind. Die.^ Kantone haben alfo das volle Recht, sich eine beliebige Gefezgebung zu.

geben, in fofern keine Bestimmungen aufgestellt werden, welche mit Bundes .

vorschriften in Widerspruch kommen. Jn dieser Materie enthält aber di.^ Bundesverfassung nichts, was das Recht der Kantone beschränkt, daher kann die Staatsgewalt exklusiv verfahren und Personen und Sachen innerhalb dem eigenen Gebiet ohne Ausnahme ihrer Botmäßigkeit unterwerfen.

Diese Glänze darf fie aber nicht^überfchreiten, und könnte daher Vermögen.

eines bevormundeten Nichtbürgers, das außerhalb der Kantonsinarken liegt,^.

keineswegs ihrer Verfügung unterwerfen. Der ..^rt. 5 gewährleistet den Kantonen sowol ihre Souveränetät inner den Schranken des Art. 3. als^ auch den Bürgern die verfassungsmäßigen Rechte. Wenn die Regierung von Graubünden gianbt, in diesem .^lrt^el einen Anhaltspunkt zu finden.

daß dortigen Bürgern das Recht vindizirt werden müsse, vor den einhei-.

mischen Behörden die Vormundschaftsverhäitnisse behandeln zu lassen , fe.^ übersieht sie den maßgebenden Gesichtspunkt. daß nämlich der .Bürger durch..

seine Niederlassung in .einem andern Kanton sich unter eine andere Jurisdiktion begeben hat, und somit das namliche Hoheitsrecht gegenüber dieser^ Person oder Sache nur von diesem Kanton und nicht von zweien zugleich^ ausgeübt werden kann.

Arr. 41 will, daß der Bürger und der Niedergelassene gleich behau-.

delt werden. Daraus folgt nun
allerdings nicht niit Nothwendigkeit, daß.

ein Kanton einem Niedergelassenen auch den vormundschaftlichen Schii^ müsse angedeihen lassen . sondern er kann sich dieser Sorge zu Gunsten des.

Heimathskantons begeben, wie es von Seite mehrerer Kantone in Folge..

gegenfeitiger llebereinkunft gefchieht, widrigenfalls tritt der Niedergelassene^ wie in die Rechte, so auch in die Pflichten des eigenen Bürgers ein, das^.

heißt. er hat stch der Gesezgebung des Niederlassungskantons zu unter^ werfen.

Art. 42 und 43 scheinen uns in keinem sachbezüglichen Zusammen-.

hang mit der zu entscheidenden Frage zu stehen, daher wir es nicht nöthi^..

erachten, auf die aus diesen Artikeln für und g e g e n abgeleiteten Fvlge^.

xungen näher einzutreten.

Auf den Art. 48 kann man sich nicht be.^

145 ^.ufen . weil es stch hier um eine Kompetenzsrage handelt, obiger Artikel ^ber die Kompetenz des Kantons immer voraussezt. St. Gallen braucht ^ch übrigens aus diesen Artikel nicht zu berufen, weil sein Standpunkt, der .territoriale, gemäß Art. 3 die Regel bildet und so lange zu Recht besteht , als nicht Beschränkungen von Seite des Bundes nachgewiesen wer^.den können. Da nun der Art. 48 weder nach seinem Zwek, noch feinem ^Jnhatt steh mit Kompetenzfragen befaßt , so ist er für den vorliegenden ^Gegenstand durchaus indifferent ; er beschränkt die Kantone nur in so weit, ..als er sie verpflichtet, in den Fällen. wo er zur Ausübung der Juris.Fiktion .auf Bürger anderer Kantone kompetent ist , nicht Ausnahmsgeseze .auf sie anzuwenden.

Art. 53 endlich wird jedenfalls mit Unrecht von der Regierung von ^Graubünden angerufen. Derselbe erklärt nur die Ausnahmsgeriehte als ^unzulässig, in welche Klasse aber die Behörden nicht gehören, die durch .die Verfassung oder Gesezgebung der Kantone für die Behandlung der Vor-

mundschaftsfälle aufgestellt find.

Aus diesen Betrachtungen geht für uns die Ansicht hervor, es sei Durchaus kein wesentlicher Anhaltspunkt vorhanden , den Kanton St. Gallen .anzuhalten, auf sein seit langer Zeit ausgeübtes Recht .der Unterwerfung ^er Niedergelassenen unter seine Vormundschaftsgewalt zu verzichten.

Dürfen wir uns, abgesehen vom bundesrechtlichen Standpunkt, noch .eine Bemerkung über die .^ünschbarkeit und Zwekmäßigkeit des einen oder andern Systems erlauben, so glauben wir, da^ für Kantone, welche viel Handel und Verkehr, und in Folge dessen auch eine starke Niederlassung auf ihrem Staatsgebiete haben, der Grundsaz der Zuständigkeit des Wohnorts viele Vorzüge hat. Bezüglich anderer Kantone, wo die berührten Verhältnisfe nicht vorhanden find, mag das forum originis vollkommen ge.nügen und sogar zwekmäßiger sein.

b.

^hescheidungssacheu.

Es mag auf den ersten Blik viel bedenklicher scheinen, auch die Klagen^ auf Ehescheidung durch die .Behörden des Wohnortes entscheiden zu lassen.

Bei näherer Prüfung zeigt sich aber , daß eben so gut, oder eben so wenig wie bei der Vormundschaft das forum domicilii zulässig ist. Ein unterm ^. Juli 1821 unter der Mehrheit der Kantone abgeschlossenes Konkordat bestimmt, daß in Fällen von gänzlicher Ehescheidung oder zeitweiser Treu.aung zwischen schweizerischen Niedergelassenen, und auch über die daraus hervorgehenden Fragen wegen Sondernng der Güter oder andern ökonomischen Verhältnissen oder Pflichten die kompetente richterliche Behörde des Heimathkantons des betreffenden Ehemannes zn entscheiden habe. Graubünden ist diesem Konkordat beigetreten ,. St. Gallen aber demselben, in konsequenter Festhaltung feines Territorialprinzips, fern geblieben, indem es .glaubte, die Aufstellung des Richters vom Wohnort würde dem .^Ansehen ..iner jeden Landesobrigkeit besser zusagen.

146 Wir begegnen also hier ganz der gleichen Rechtsfrage. wie .beim Vor^ mundschastswesen. Das Konkordat beweist, daß d.^s ausgestellte Prinzip nicht gemeines Recht .für alle Kantone ist, fondern daß diejenigen. di^ nicht beigetreten sind, ihre eigene Gesezgebung anwenden können. und a.^ imniex angewendet .haben. Man muß aber wol unterscheiden zwischen Einge.hung einer Ehe und der Ehescheidung. Obwol in ganz strenger. Durchsührung der Konseqnenzen des ge.e.einen Rechtes selbst die Schließung einer^ Ehe den Gesezen des Wohnstaates unter Uebernahme der Folgentragnng^ unterworfen sein würde, so haben doch sänimtliche Kantone stetssort a^ dein Grundsaz^ festgehalten , daß dieselbe von der Bewilligung der heimathlichen Behörden abhangen soll. Es ist dieses bei nnser.n bürgerlichen . Verhältnissen auch ganz natürlich. Durch die ....he erhält die Frau der..

Namen und das Bürgerrecht des Mannes . eben so die aus der Ehe entspringende Kinder; sie treten in die engen Verhältnisse, welche das Heiniathrecht begründet. Daher ist es auch ganz richt.g , daß alles, was dieses .Heiniathrecht selbst bildet. begründet oder auslöst, von der Jurisdiltion des Heimathortes abhangt. Durch die Ehescheidung wird aber das Verhältniß des heimatlichen Verbandes nicht berührt . fondern nur persönliche Verhältnisse zwischen den Eltern unter sich und den Kindern gegenüber, gleich wie ökonomische Fragen. z. B. über Unterftüziing, alfo.

alles Fragen, welche mit dem Status civitatis nichts geniein haben, und roie die Vormundschaftssachen in's privatrechtiiche Personenrecht oder in das Gebiet der Polizei gehören. Es finden daher au.^ die oben gemachten Erörterungen und Schlußfolgerungen hier ihre volle Anwendung, daß nän.lich Statusfragen im weitern Sinne nicht nothwendig unter die Jurisdiktion der heimatlichen Behörden gehören.

Jn nahem Zusammenhang mit dem ersten Gesuche Graubündens steht das in zweiter Linie gestellte Verlangen, es möchte de.r in den angeführten Konkordaten aufgestellte Grundfaz der Zuständigkeit der . Heimathbehörden in Ehescheidungs- und Voriuundfchaftsverhäitnissen für die ganze ^idgenossenschaft zum Geseze erhoben werden. Die Art und Weise , wie die .Regierung von Graubünden ihre ganze Argumentation führt. läßt durch.

bliken. daß es ihr nicht fo fast um die bloße Anwendung einer bestehenden Bundesvorschrift
zu thun ist, sondern daß sie vielmehr die Lösung einer staatsrechtlichen Frage auf grundsäzliche Weise wünfe^t, welche zivar in Konkordaten , denen aber mehrere Kantone nicht beigetreten sind , geregelt ist, nicht aber durch die Bundesverfassung, welche mehr negative als pofitive Anhaltspunkte bietet.

Es entsteht nun .vor Allem die Frage, ob die Bundesbehörden konipetent seien, ein solches Gesez zu erlassen. ..-- ...^ir möchten diese Frage eher verneinen, weil die Bundesverfassung zu wenig Anhaltspunkte bietet, nm sie bejahen zu können. Der schon erwähnte ^lrt. 3 erkiärt die Kantone für ^souverän. so weit ihre Souveränetät nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist.

Jn den folgenden Artikeln sind dann die Beschränkungen angeführt, wo den ^antonen ihre Hoheitsrechte zu Gunsten des Bundes

147^ .^

beschnitten sind ; aber nirgends findet sich eine Bestimmung, daß der Bund^ zur Regelung der internationalen Jurisdiktions-Angelegenheiten berufen sei..

Eine solche oder ähnliehe Vorschrift würde aber in der Verfassung eine Stelle gefunden haben , wenn . man in diefer Materie die Autonomie der Kantone unter die Bundeshoheit hätte stellen wollen. Hat doch die Bundesverfasfung in andern Punkten Vorschristen aufgestellt, welche auch nur durch Konkordate geregelt waren, z. B. über die freie Niederlassung, das.

Forum für verfönliche Ansprachen u. s. w.

Aber abgesehen von der^ Kompetenzfrage, vermögen wir die Wünschbarkeit und Notwendigkeit zu.

einer Maßregel von dieser tief umgreifenden Bedeutung nicht einzusehen.

.Es gibt noch eine ganze Menge anderer Fragen, bei welchen die Kanton^ von verschiedenen. Grundansichten ausgehen. z . B . bei der Testiriingssähig^ keit und den Erbrechtsverhältnissen u. s. w. Da die Schweiz ein Bun-^ desstaat Init bestimmter Abgrenzung der Bundes- und K^ntonalautoritä^ ist, so werden solche Ungleichheiten nicht zu vermeiden sein; denn die.

Rechtsanschauungen und Bedürfnisse in. den einzelnen Kantonen find ebe.^..

verschieden. So lange dadurch der Zwek des Bundes (Art. 2) nicht Scha.^ den leidet, ist dieser von keiner nachteiligen .^irknng. Uebrigens sind die^ Anstände nicht häusig, was ans dein Uinstande hervorgeht, daß seit dem.

Bestände der Bundesverfassung zwei einzige .Konflikt^ zur ^Kenntniß der Bundes^ehörden gelangt sind. Lasse man daher die Kantone auch ferner in diesen Materien frei gewähren: es ist weit besser, als durch Diktat^ von Oben alles nach e i n e m Maße regeln zu wollen.

Wir empfehlen Jhnen daher die Annahme folgenden Schlußan.^ trages : Es sei aiif das doppelte Gesuch der Regierung von Graubünden nicht weiter einzutreten.

Genehmigen Sie , Tit. , bei diesem Anlasse die erneuerte Verficht ..xung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 30. Juni 1859.

Jin Namen des schweiz. Bundesrathes , Der Bundespräsident. Stämpfli.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schieß..

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung über den Konflikt zwischen St.

Gallen und Graubünden, betreffend den Gerichtsstand in Vormundschafts- und Ehescheidungssachen. (Vom 30. Juni 1859.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1859

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

32

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

08.07.1859

Date Data Seite

133-147

Page Pagina Ref. No

10 002 801

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.