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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Entschädigungsbegehren des Johannes Jenni, Ennenda.

(Vom 22. November 1901.)

Tit.

Mit Eingabe vom 23. September 1901 rekurriert Johannes Jenni, Fabrikhandlanger in Ennenda, gegen unsere Entscheide vom 19. April und 30. August dieses Jahres, mit welchen wir sein Entschädigungsbegehren abgewiesen haben. In dieser Eingabe besteht der Rekurrent darauf, daß er im Militärdienst infolge des Abfeuerns eines Schusses durch einen Dienstkameraden eine Verletzung des Trommelfelles des rechten Ohres erlitten habe, aus der ihm ein bleibender Nachteil am Gehör entstanden sei.

Wir beehren uns, Ihnen über diesen Fall hiermit Bericht und Antrag zu unterbreiten.

Nach den Angaben des Rekurrenten hat sich der Vorfall am letzten Diensttage des Wiederholungskurses des Bataillons Nr. 85, dem Jenni als Soldat angehört, zugetragen. Das Abfeuern des Schusses soll nahe am rechten Ohr Jennis erfolgt sein. Dieser meldete sich nicht beim Bataillonsarzte, sondern ließ erst am Tage nach der Entlassung sein Ohr durch Herrn Dr. Schönemann in Glarus untersuchen. Letzterer fand nichts Besonderes an demselben und beruhigte den Patienten, der dann auch bis um das Neujahr 1901 herum nichts mehr an dem Ohr bemerkte. Zu Bundesblatt. 53. Jahrg. Bd. IV.

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1002 dieser Zeit aber trat eine Eiterung an demselben auf und' am 6. Januar 1901 konsultierte Jenni Herrn Dr. von Tscharner in Glarus, der dem Oberfeldarzte von dem Falle Mitteilung machte.

Obsehon der Zusammenhang dieser Ohreiterung mit einem im Dienste erlittenen Trauma nicht als erwiesen gelten konnte, verabfolgte der Oberfeldarzt dem Jenni doch einen Krankenpaß, damit er in den Kantonsspital Glarus eintreten konnte, gleichzeitig lehnte aber der Oberfeldarzt allfallige Ansprüche des Patienten au die Militärversicherung gestützt auf Art. 5, Ziffer 4, der bezüglichen Vorschriften von vornherein ab.

Der Eintritt Jennis in den Spital erfolgte am 10. Januar 1901. Am 28. Januar wurde der Oberfeldarzt vom Spitalarzte Herrn Dr. Fritzsche benachrichtigt, daß das Ohr Jennis bis auf eine kleine Perforation geheilt sei und daß der Patient, dessen Hörvermögen auf dem verletzten Ohr stark gelitten habe, entlassen werden könnte. Der Oberfeldarzt ließ dem Jenni mitteilen , daß er nur auf eine geringe Entschädigung rechnen dürfe und daß es am besten für ihn wäre, nichts unversucht zu lassen, um sein Hörvermögen soweit möglich zu verbessern. Der Oberfeldarzt erklärte sich bereit, ihn bei dem Ohrenspecialisten Herrn Dr. Rohrer in Zürich in Behandlung treten zu lassen.

Jenni erklärte hierauf, daß er mit dem Spitalsold von 80 Cts.

seine Familie nicht ernähren und sich daher nicht eher nach Zürich begeben könne, bis er reichlicher entschädigt werde. Der Oberfeldarzt sicherte ihm dann eine tägliche Zulage von Fr. 2. 50 zum Spitalsold zu, worauf Jenni sich am 4. Februar 1901 bereit erklärte, sich nach Zürich in die Behandlung des Herrn Dr. Rohrer zu begeben ; am 7. Februar, als der Oberfeldarzt gerade dessen Zusage zur Aufnahme des Patienten erhalten hatte, trat aber Jenni gegen den Rat und den Willen des Arztes aus dem Kantonsspital Glarus aus und begab sich nach Hause. Als Grund seines Austrittes gab er an, daß sein Fabrikherr im Begriffe sei, seine Stelle neu zu besetzen. Schon am 14. Februar 1901 ließ dann Jenni durch den Regierungsrat des Kantons Glarus ein Pensionsgesuch an den Bundesrat einreichen. Dieses Gesuch lehnten wir durch Beschluß vom 26. Februar 1901 ab mit der Begründung, daß von einer Pensionierung nicht die Rede sein könne, bevor nicht alle Mittel, das Hörvermögen Jennis zu verbessern, erschöpft
seien. Auf diesen Beschluß hin entschloß sich Jenni endlich, sich in specialistische Behandlung nach Zürich zu begeben ; am 28. März 1901 wurde er zum erstenmal von Herrn Dr. Rohrer untersucht. Dieser konstatierte eine chronische, eitrige Entzün-

1003 düng der rechten Trommelhöhle mit Perforation des Trommelfelles und fötidem Ausfluß. Das Gehör war stark reduziert. Im Nasenrachenraum fanden sich hochgradige Veränderungen und am hintern Ende der Nasenscheidewand flügeiförmige Seitenauswüchse nach links und rechts. Aber schon in zehn Tagen gelang es Herrn Rohrer, den fötiden Ausfluß zum Verschwinden und die Perforation des Trommelfelles zur Vernarbung zu bringen. Durch galvanokaustische Operationen wurde der rechte untere Nasengang geöffnet und die entzündlichen Prozesse im Nasenrachenraum ihrer Heilung entgegengeführt. Die alten Veränderungen, die im Ohr des Patienten bestanden, wie die Rigidität des Ambos und die Anheftung des Hammers, konnten dagegen begreiflicherweise nicht mehr gehoben werden ; sie tragen nach ärztlicher Ansicht auch die Schuld daran, daß das Hörvermögen Jennis nicht besser hergestellt werden konnte. Als dieser am 6. April aus der Behandlung des Herrn Dr. Rohrer trat, hörte er mit dem rechten Ohr Flüsterstimme auf 30 cm., laute Sprache auf l1/! bis 2 Meter.

Nachdem auf diese Weise das für Jenni günstige Resultat der Behandlung erreicht war, konnte an die Entschädigungsfrage herangetreten werden.

Wie schon erwähnt, ist dem Oberfeldarzt von Anfang an der Zusammenhang der Ohreiterung Jennis" mit der von diesem bezeichneten Ursache zweifelhaft erschienen. In seinem Gutachten sprach sich dann Herr Dr. Rohrer über die Frage nach der Entstehung der Eiterung wie folgt aus: ,,Das Gehörleiden des rechten Ohres hat mit großer Wahrscheinlichkeit schon vor dem angeblichen Unfall durch Schuß neben dem Ohr (18. IX. 1900) bestanden, denn die großen Veränderungen am Nasenrachenraum sind mit absoluter Sicherheit als krankhafte Störungen zu bezeichnen, die schon Jahre lang, ja von Jugend auf bestanden haben. So muß ich die fast vollkommene Verschließung des rechten untern Nasenganges durch die Infraktion der Nasenscheidewand und die Cristabildung in Verbindung mit der Hypertrophie der hintern Muschelenden als unmittelbare Ursache der Eiterung in der rechten Trommelhöhle bezeichnen, die, dem Patienten bewußt oder unbewußt, schon vor dem September 1900 bestanden haben kann. Ist aber damals durch den Schuß in der Nähe des Ohres eine Trommelfellruptur entstanden, so muß das Trommelfell vorher schon degeneriert und stellenweise atrophiert gewesen sein, wie auch eine Trommelfellruptur an und für sich zu keiner Mittelohr-

1004 eiterung Anlaß giebt, wohl aber bei Veränderungen im Nasenrachenraum von pyogenen Bakterien durch die Tuba Eustachii infiziert werden kann."

Hierzu bemerkt der Oberfeldarzt: ,,Diese Ausführungen lassen keinen Zweifel übrig an der Thatsache, daß, wenn überhaupt der von Jenni inkriminierte Schuß an seiner Ohreiterung die Schuld trug, dies nur eine accidentelle und nebensächliche war. indem die Hauptschuld an einer schon bestehenden Eiterung des innern Ohres lag. Unsere Erfahrungen bestätigen übrigens vollkommen die Ansicht des Herrn Dr. Rohrer ; in allen Fällen,. in welchen Perforationen des Trommelfells durch in der Nähe des Ohres abgefeuerte Schüsse vorkommen, und sie sind nicht gar selten, liegen alte, zur Ruptur disponierende Veränderungen des Trommelfells vor; Eiterungen als Folge solcher Rupturen, insofern nicht schon vorher eitrige Prozesse im Ohre vorhanden waren, kann ich mich nicht erinnern gesehen zu haben.a Wenn also auch die Annahme zugelassen- wird, der fragliche Schuß habe die Ruptur des Trommelfells von Jennis rechtem Ohr bewirkt, so hat der Bund doch damit schon seine Pflicht gethan, daß er Jenni bis zum Eintritt der vollständigen Heilung der Perforation behandeln ließ. Gestützt auf diese Erwägungen haben wir durch Beschluß vom 19. April das Pensionsgesuch Jennis zum ersten Mal als unbegründet abgewiesen, ihm aber für die Zeit, die er im Spital zugebracht hat, eine Soldzulage von Fr. 100 bewilligt.

Am 30. Mai stellte Jenni das Ansuchen, es möchte dieser Beschluß in Wiedererwägung gezogen ·werden. Er brachte zwei, ärztliche Zeugnisse bei, das eine ist ausgestellt von Herrn Dr.

Spieler in Mitlödi, dem Hausarzte Jennis, das andere von Herrn Dr. Fritzsche, Spitalarzt in Glarus. Beide Zeugnisse sollten beweisen, daß das Hörvermögen Jennis vor dem September 1900 normal gewesen sei. Jenni behauptete sodann, daß seine Erwerbsfähigkeit durch die Herabsetzung des Hörvermögens auf dem rechten Ohr gelitten habe.

Herr Dr. Spieler erklärte, daß er bei Jenni nie Schwerhörigkeit konstatiert habe. Abgesehen davon, daß einseitige Schwerhörigkeit kein auffälliges Leiden ist, kam dieser Erklärung des Herrn Dr. Spieler keine weitere Bedeutung zu, da nie behauptet worden ist,' Jenni habe vor dem angeblichen Unfall schlecht gehört; wohl'aber ist von anderer ebenfalls ärztlicher Seite die

1005 Behauptung aufgestellt worden, die Ohreiterung, welche die jetzt bestehende Schwerhörigkeit herbeiführte, dürfe als die Folge alter entzündlicher Prozesse und einer angeborenen Abnormität in der Bildung der Nasenscheidewand angesehen werden.

Herr Dr. Fritzsche machte geltend, daß der Beweis nicht erbracht sei, die Ohreiterung Jennis habe nur als Folge der durch Herrn Dr. Rohrer konstatierten anormalen Zustände auftreten können ; er hält aber die Frage, ob Jennis Gehörleiden thatsächlich die Folge einer Verletzung im Militärdienste sei, für eine offene. Bemerkenswert ist das Zugeständnis, daß der Beweis dieses Zusammenhanges sich nicht erbringen lasse, weil ,,Jenni in der ersten Zeit nach der Verletzung nicht ärztlich beobachtet wurde und der jetzige Befund nichts Charakteristisches bietet für die Entstehung des Leidens durch eine Verletzung".

In Anbetracht, daß diese Zeugnisse kein neues Licht in die Angelegenheit gebracht haben und von Jenni keine nähern Angaben gemacht worden sind über die Erwerbsschädigung, die ihm erwachsen sein soll, haben wir es durch Schlußnahme vom 30. August 1901 abgelehnt, auf unsern abweisenden Entscheid vom 19. April zurückzukommen. Wir bemerken, daß die eidg.

Pensionskommission, der der Fall zur Beurteilung vorgelegt wurde, sich einstimmig gegen das Gesuch ausgesprochen hatte.

In der vorliegenden Rekursschrift wurde nicht mehr versucht, für den Zusammenhang der Ohreiterung Jennis mit dem von ihm angeschuldigten dienstlichen Trauma Beweise beizubringen, und bezüglich des ihm erwachsenen Schadens wird nur auf seine durch die einseitige Schwerhörigkeit entstandene Minderwertigkeit auf dem Arbeitsmarkt hingewiesen und damit das Pensionsgesuch begründet.

In Zusammenfassung obiger Ausführungen stellen wir fest: 1. Es ist sehr zweifelhaft, ob die Eiterung des rechten Ohres Jennis, wegen der er am 8. Januar 1901 sich zum Arzte begab, thatsächlich auf das von ihm angeschuldigte Trauma, das fast vier Monate vorher auf sein Ohr gewirkt haben soll, zurückgeführt werden kann.

2. Aber auch angenommen, es hätte ein Kausalnexus zwischen Trauma und Ohreiterung bestanden, so steht nach fachmännischem Urteile nichtsdestoweniger fest, daß letztere nie zu Stande gekommen wäre, wenn nicht schon eitrige Prozesse im Ohr bestanden hätten.

1006 3. Hätte sich Jenni rechtzeitig in ärztliche Pflege begeben, so dürfte sich das Resultat seiner Behandlung wesentlich besser gestaltet haben. Es ist uns allerdings nicht bekannt, wann sein rechtes Ohr anfing, schwerere Erkrankungssymptome zu zeigen, sein Verhalten im Kantonsspital Glarus läßt aber darauf schließen, daß es ihm nicht daran gelegen war, eilig in ärztliche Behandlung zu treten, es machte vielmehr den Eindruck, als sei es ihm hauptsächlich um eine Entschädigung zu thun.

Angesichts dieser Sachlage kommen wir neuerdings zu dem Schlüsse, daß Jenni keinen Anspruch auf eine andere Entschädigung hat als auf die ihm seiner Zeit bewilligte Soldzulage von Fr. 100 und die Heilung seiner Ohreiterung auf Kosten des Bundes.

Anspruch auf eine Pension hat er um so weniger, als er wegen Schwerhörigkeit nicht ausgemustert worden, sondern trotz seines Ohrenleidens Soldat geblieben ist. Nach Art. 8, Ziffer 4, des Pensionsgesetzes muß ferner eine Störung des Erwerbs, d. h.

der Arbeitsfähigkeit und nicht der Erwcrbsfähigkeit im Sinne der Ausführungen der Rekursschrift vorhanden sein, um die Pensionsberechtigung zu begründen. Jenni hat aber nie nachgewiesen, daß ihm der Arbeitslohn vom Fabrikherrn heruntergesetzt und er dadurch in seinem Erwerb beeinträchtigt worden sei. Es fehlen also alle Voraussetzungen für die Pensionierung.

Gestützt hierauf beehren wir uns, Ihnen zu beantragen, es sei der ablehnende Standpunkt, den der Bundesrat durch seine Entscheide vom 19. April und 30. August gegenüber dem Pensionsbegehren Jennis eingenommen hat, festzuhalten und demgemäß der Rekurs des Johannes Jenni in Ennenda abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 22. November 1901.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Entschädigungsbegehren des Johannes Jenni, Ennenda. (Vom 22. November 1901.)

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27.11.1901

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