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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Rekurseingabe des Regierungsrates des Kantons Baselstadt gegen die Entscheide des Bundesrates vom 24. Juli 1900 und vom 16. März 1900, betreffend den Umbau des Centralbahnhofes.

(Vom 2. Dezember 1901.)

Tit.

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:

Der Regierungsrat des Kantons Baselstadt reichte der Bundesversammlung unterm 24. Juni 1901 einen vom 10. gleichen Monats datierten Rekurs ein gegen die Entscheide des Bundesrates vom 24. Juli 1900, betreffend die Überführung der Bruderholzstraße über den Centralbahnhof Basel, und vom 16. März 1900, betreffend die Beseitigung der Passerelle über den Centralbahnhof an der Solothurnerstraße in Basel. Das Rekursbegehren lautet bezüglich des erstgenannten Entscheides (S. 16): ,,Sie wollen den hohen Bundesrat anweisen, es sei die Bahnverwaltung anzuhalten, an die Kosten der Verlegung der Nauenstraße und der Verlegung der Überführungsbrücke einen angemessenen Beitrag zu leisten und mit dem Regierungsrat des Kantons Baselstadt hierüber ein definitives Abkommen zu treffen", und mit Bezug auf den Entscheid betreffend die Passerelle an der Solothurnerstaße (S. 21) : ,,Sie möchten dem hohen Bundesrat den Auftrag erteilen, er wolle in Aufhebung seines Entscheides vom 16. März 1900 die Bahn-

1203 Verwaltung anweisen, an Stelle der jetzigen Passerelle im Personenbahnhof Basel in der Verlängerung der Solothurnerstraße eine neue, den veränderten Niveauverhältnissen angepaßte zu erstellen". Der Rekurs stützt sich auf Art. 85, Ziffer. 11, der Bundesverfassung, welcher der Bundesversammlung die Oberaufsicht über idie Bundes Verwaltung überbindet (S. 4).

Die Frage, wie diese Verfassungsbestimmung zu interpretieren sei, wurde von uns schon wiederholt behandelt; den letzten Anlaß dazu bot der Rekurs der Zürcher Behörden betreffend den Vergleich in Sachen der Erstellung der Hauptreparaturwerkstätten der Nordostbahn. In unserem Berichte vom 28. März 1901 (Bundesbl. 1901, II, 829) sagten wir hierüber folgendes: ,,Wenn Art. 85 der Bundesverfassung unter andern Befugnissen .der Bundesversammlung in Ziffer 11 die Oberaufsicht über die eidgenössische Verwaltung und Rechtspflege aufführt, so ergiebt sich daraus nur die allgemeine Befugnis der eidgenössischen Räte, über alle Verwaltungsmaßnahmen der Exekutive, des Bundesrates und seiner Organe, wie über die Thätigkeit der richterlichen Behörden Prüfung walten zu lassen, den hierzu erforderlichen Aufschluß zu verlangen, je nachdem Zustimmung oder Mißbilligung auszusprechen, und, wenn sie es für nötig erachtet, Maßnahmen zu treffen, um Mißbräuchen abzuhelfen. Allein in letzterer Beziehung ist die Bundesversammlung auf den Weg der Gesetzgebung angewiesen, und es ginge zu weit, wenn man aus dem . a l l g e m e i n e n , durch jene Verfassungsbestimmung statuierten A u f s i c h t s r e c h t e der Bundesversammlung, d. h. abgesehen von dea Fällen, wo sie als Rekursinstanz speciell bezeichnet ist, nun auch das ßecht derselben herleiten wollte, im einzelnen Falle direkt in die Verwaltung oder Rechtsprechung einzugreifen, sei es durch Aufhebung oder Änderung von Verfügungen oder Entscheiden, welche die betreffenden Verwaltungs- oder Gerichtsbehörden innert den Schranken ihrer verfassungs- und gesetzmäßigen Kompetenz getroffen haben, sei es durch Erteilen verbindlicher Weisungen u. dgl.

Ganz besonders aber muß der von den Beschwerdeführern jener Verfassungsbestimmung gegebenen Auslegung des entschiedensten entgegengetreten werden, als ob Private oder Kantons-, beziehungsweise Gemeindebehörden auf die Bestimmung sich berufen könnten, um vor der Bundesversammlung
administrative oder richterliehe Entscheidungen anzufechten. Ein solch weitgehendes allgemeines Rekursrecht zu statuieren, das notwendig jede ersprießliche Verwaltung oder Justiz hätte in Frage stellen

1204 oder doch in unerträglicher Weise hemmen müssen, lag bei Aufstellung fraglicher Verfassungsbestimmung ferne, und es darf daher jener Sinn nicht in dieselbe hineininterpretiert werden."

Wir sind auch heute noch dieser Ansicht und müssen uns mit aller Bestimmtheit gegen die Auslegung wenden, welche die Regierung des Kantons Baselstadt der erwähnten Verfassungsbestimmung geben will. Denn es macht offenbar keinen Unterschied, ob man der Bundesversammlung im einzelnen Falle zumute, direkt eine Verfügung zu treffen, oder dem Bundesrat eine ,,Anweisung" oder einen ,,Auftrag" zu erteilen ; der Zweck bleibt im einen wie im andern Falle derselbe, nämlich : eine Verfügung, die der Bundesrat innerhalb seiner Kompetenz erlassen hat, aufziiheben.

Da die Rekurseingabe sich lediglich auf den Art. 85 der Bundesverfassung beruft, so könnten wir uns auf die vorstehenden Ausführungen beschränken. Wir legen indessen Wert darauf, auch an Hand des Eisenbahngesetzes nachzuweisen, daß ein Rekurs an die Bundesversammlung gegen Verfügungen des Bundesrates, welche sich auf Eisenbahnbauten beziehen, unzulässig ist. Dies ergiebt sich einerseits aus dem Art. 39 des Bundesgesetzes über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen auf dem Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft, vom 23. Dezember 1872, wonach die Bundesversammlung nur die in den Art. l, 3, 4, 10, 13, 14 (Absatz 3) und 28 bezeichneten Kompetenzen auszuüben hat, anderseits aus den beiden ersten Absätzen des Art. 14, verglichen mit dem dritten Absatz. Während hier, d. h. gegenüber Beschlüssen des Bundesrates, durch welche eine Bahngesellschaft zur Ausführung von Verbesserungen angehalten werden soll, der Rekurs an die Bundesversammlung ausdrücklich vorbehalten wird, bezeichnen die beiden ersten Alineas den Bundesrat ohne weiteres als diejenige Behörde, welche die Baupläne genehmigt und den Kantonsregierungen Gelegenheit giebt, ihre Interessen bezüglich des Tracés, der Gestaltung der Wegübergänge etc. geltend zu machen. Daraus, daß hier von der Möglichkeit eines Rekurses an die Bundesversammlung nichts gesagt wird, während im folgenden Alinea davon die Rede ist, muß geschlossen werden, der Gesetzgeber habe eben einen solchen Rekurs in den Fällen des ersten und des zweiten Alineas nicht zulassen wollen.

Wir wollen unsern Bericht nicht schließen, ohne noch daran
erinnert zu haben, daß die Bundesversammlung selbst unserer Ansicht schon wiederholt beigepflichtet hat. So ist sie, um nur die beiden neuesten Fälle anzuführen, sowohl auf den Rekurs

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der Regierung des Kantons St. Gallen gegen die Schlußnahme des Bundesrates vom 16. Februar 1892, betreffend die einspurige Anlage des Albistunnels, als auf das Rekursbegehren der Gemeinde Herrliberg, betreffend die Stationsanlage Herrliberg, wegen Inkompetenz nicht eingetreten. (Übersicht der Verhandlungen der Bundesversammlung als Beilage zu Nr. 29 des Bundesblattes vom 13. Juli 1892, Traktandum 41, r und s.)

Wir beantragen demnach, auf die Rekurseingabe des Regierungsrates des K a n t o n s Baselstadt, vom 10. J u n i 1901, w e g e n I n k o m p e t e n z n i c h t e i n zutreten.

Für den Fall, daß Sie beschließen sollten, dennoch auf den Rekurs einzutreten, behalten wird uns vor, in einem weiteren Berichte die Gründe zu erläutern, welche auch die m a t e r i e l l e Abweisung verlangen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 2. Dezember 1901.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Vizepräsident: Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

-Ä-O-ig-

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Rekurseingabe des Regierungsrates des Kantons Baselstadt gegen die Entscheide des Bundesrates vom 24. Juli 1900 und vom 16. März 1900, betreffend den Umbau des Centralbahnhofes. (Vom 2.

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04.12.1901

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