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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung des Beschlusses vom 1. J u n i / 4 . September 1921 über eine teilweise Aenderung der Verfassung des Kantons St. Gallen vom 16. November 1890 betreffend die Organisation der Kirchgemeinden.

(Vom 4. November 1921.)

In der Volksabstimmung vom 4. September 1921 haben die Stimmberechtigten des Kantons St. Gallen mit 21,900 gegen 17,296 Stimmen einen ihnen vorgelegten Beschluss des Grossen Rates vom 1. Juni 1921 über teilweise Änderung der Kantonsverfassung betreffend die Organisation der Kirchgemeinden angenommen, lautend : ,,Der katholische und der evangelische Konfessionsteil können in ihrer Organisation, unter Sanktion des Grossen Rates, für die Wahl der Beamten und Behörden, sowie für die Organisation grösserer Kirchgemeinden Bestimmungen aufstellen, die von den Vorschriften der Art. 76, 82 und 90, Abs. 2, der Kantonsverfassung abweichen."

Mit Zuschrift vom 27. September 1921 sucht nunmehr der Regierungsrat des Kantons St. Gallen die eidgenössische Gewährleistung dieses Beschlusses nach.

Die Art. 76, 82 und 90, Abs. 2, der Verfassung des Kantons St. Gallen vom 16. November 1890 (Sammlung der Bundes- und Kantonsverfassungen S. 683 ff.), von welchen nach dem Beschlüsse vom 1. Juni/4. September 1921 bei der Wahl der Beamten und Behörden, sowie bei der Feststellung der Organisation grösserer Kirchgemeinden abgewichen werden darf, haben folgenden Wortlaut: Art. 76, Die Kirchgemeinden wählen zur Besorgung ihrer ökonomischen Angelegenheiten einen Kirchenverwaltungsrat von mindestens drei Mitgliedern.

908 Art. 82. Bei Vornahme der übrigen Gemeindewahlen beschliesst dio Wählerschaft, ob sie die Wahlen in offener oder geheimer Abstimmung vornehmen wolle. Im letzteren Falle hat sie sich zugleich darüber zu entscheiden, ob die Wahlen mittels der Wahlurnen vorgenommen werden sollen.

Art. 90, Abs. 2. Die Ortsverwaltungsräte und aus ihnen deren Präsidenten werden durch die stimmfähigen Ortsbürger, die Kirchenverwaltungsräte und Schulräte und aus ihnen deren Präsidenten durch die stimmfähigen Bürger der Kirch- und Schuigemeinden gewählt.

Über die Gründe, welche zu dieser Verfassungsrevision führten, ist der am 22. November 1919 vom Regierungsrate an den Grossen Rat des Kantons St. Gallen gerichteten Botschaft folgendes zu entnehmen : Die Kantonsverfassung vom 16. November 1890 enthalte über die Organisation der Gemeinden verschiedene Detailvorschriften, die aus der alten Verfassung in die neue herübergenommen worden seien, indessen wohl besser der Gesetzgebung überlassen worden wären. Schon am 24. November 1911 seien jene Bestimmungen, soweit sie die politischen und die Schulgemeinden beschlugen, einer Revision unterzogen worden, in erster Linie, um die Vereinigung der politischen Gemeinden St. Gallen, Tablât und Straubenzell durchzuführen, sodann aber auch, um eine den heutigen Anforderungen entsprechende Organisation anderer grösserer politischer und Schulgemeinden zu ermöglichen (vgl. Bundesbl. 1912, I, 609 ff.). Die Bestimmungen der Verfassung (Art. 76, 82, 90, Abs. 2) hätten sich aber auch hinsichtlich der Kirchgemeinden als zu wenig elastisch erwiesen.

Veränderungen in den Gemeindeverhältnissen, wie sie das Anwachsen der Bevölkerung mit sich bringe, Hessen auch für die Kirchgemeinden da und dort die Vergrösserung oder Verschmelzung als notwendig erscheinen. Indessen stünden die Art. 76, 82 und 90, Abs. 2, der Kantonsverfassung der Organisation und administrativen Ordnung grösserer Kirchgemeinden hindernd im Wege. Speziell im Umfange der politischen Gemeinde St. Gallen mache sich das Bedürfnis nach einer Zusammenlegung und Neuordnung der Kirchgemeinden geltend. Der katholische Administrationsrat habe denn auch bereits den Entwurf einer einheitlichen Organisation der Kirchgemeinden innerhalb der Grenzen der politischen Gemeinde St. Gallen ausgearbeitet. Zur Durchführung dieses Projektes sei aber
die Revision der erwähnten Verfassungsartikel notwendig. Es sei ohne weiteres einleuchtend, dass eine derart grosse Kirchgemeinde, wie diejenige der Stadt St. Gallen,

909 schon mangels des erforderlichen grossen Lokals nicht, wie Art. 82 der Verfassung es verlange, zu einer offenen Bürgerversammlung zusammentreten könne, um jeweilen zu beschliessen, ob sie ihre Behörde offen oder geheim wählen wolle. Ebenso sei ein einheitlicher Kirchenverwaltungsrat mit einem aus dessen Mitte gewählten Präsidenten (Art. 82 und 90, Abs. 2, KV) nicht das richtige Organ, um eine solche Kirchgemeinde sachgemäss verwalten zu können. Die Gründe, welche im Jahre 1911 zu einer Revision der Verfassungsbestimmungen über die Wahlen der Behörden und über die Organisation der politischen und der .Schulgemeinden geführt hätten, lägen auch vor hinsichtlich der Kirchgemeinden; es erscheine daher als billig, auch ihnen durch eine Verfassungsrevision zu ermöglichen, sich den veränderten Verhältnissen entsprechend einzurichten. Die Ausführung der neuen Verfassungsbestimmung sei den konfessionellen Organisationen zu überlassen, entsprechend der Vorschrift von Art. 144 des Gesetzes vom 9. Mai 1867 betreffend die Organisation der Gemeinden und Bezirke, lautend : ,,Die Festsetzung der Organisation der Kirchgemeinden, deren Bestand und Umfang, sowie die Bestimmung über Verwaltung und Besorgung der Fonds und Stiftungsgüter derselben ist, unter der Aufsicht und Sanktion des Staates, Sache der betreffenden Konfessionsteile und ihrer Oberbehörden a .

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, befasst sich die vorliegende Verfassungsrevision mit Fragen rein organisatorischer Natur, die in den meisten Kantonen nicht in der Verfassung, sondern in den Gemeinde- oder Kirchengesetzen geordnet werden. Vom Standpunkte der Bundesverfassung aus können gegen die Verfassungsänderung zweifellos Einwendungen nicht erhoben werden.

Wir beantragen Ihnen daher, dem Beschlüsse vom 1. Juni/ 4. September 1921 über eine teilweise Änderung der Verfassung des Kantons St.. Gallen vom 16. November 1890 betreffend die Organisation der Kirchgemeinden die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

B e r n , den 4. November 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, D e r B u n d e s p r ä s i d e n t : Schulthess.

Der Bundeskanzler: Steiger.

910 (Entwurf.)

Btmdesbeschluss betreffend

die Gewährleistung des Beschlusses vom 1. Juni/4. September 1921 über eine teilweise Änderung der Verfassung des Kantons St. Gallen vom 16. November 1890 betreffend die Organisation der Kirchgemeinden.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 4. November 1921 betreffend die Gewährleistung des Beschlusses vom 1. Juni / 4. September 1921 über eine teilweise Änderung der Verfassung des Kantons St. Gallen vom 16. November 1890 betreffend die Organisation der Kirchgemeinden; in Erwägung, dass die neue Verfassungsbestimmung, deren Gewährleistung nachgesucht wird, nichts der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthält, beschliesst: 1. Dem Beschlüsse vom 1. Juni / 4. September 1921 über eine teilweise Änderung der Verfassung des Kantons St. Gallen vom 16. November 1890 betreffend die Organisation der Kirchgemeinden wird die eidgenössische Gewährleistung erteilt.

2. Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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