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Bundesblatt

73. Jahrgang.

Bern, den 20. Juli 1921.

Band m.

Erscheint wöchentlich. Preis SO Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr".

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifes gemäss Bundesbeschluss vom 18. Februar 1921.

(Vom 15. Juli 1921.)

I.

Durch den Bundesbeschluss vorn 18. Februar 1921 betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifés haben Sie uns ermächtigt, die Ansätze des Zolltarifés unter Beachtung der Bestimmung von Art. 29, Ziffer l, lit. a--c, der Bundesverfassung im Sinne einer vorübergehenden Massnahme der wirtschaftlichen Lage anzupassen und die neuen Ansätze in dem uns geeignet erscheinenden Zeitpunkte in Kraft zu setzen. Gemäss Art. 2 des erwähnten Beschlusses haben wir der Bundesversammlung jeweilen Bericht zu erstatten über die auf Grund des Beschlusses getroffenen Massnahmen.

In der Anlage überreichen wir Ihnen den Bundesratsbeschluss vom 8. Juni 1921, durch welchen wir einen neuen Gebrauchszolltarif festgesetzt haben, und beehren uns, Ihnen über die leitenden Grundsätze einige Ausführungen zu unterbreiten. Dabei erscheint es von vornherein als ausgeschlossen, dass wir uns über die einzelnen Zollansätze aussprechen, da dies viel zu weit führen und offenbar auch gar nicht in Ihrem Willen liegen würde.

II.

Die hauptsächlichsten Gründe, die uns bewogen, Ihnen den Vorschlag zu unterbreiten, den Bundesrat zur vorläufigen Abänderung des Zolltarifés zu ermächtigen, sind in unserer Botschaft vom 24. Januar 1921 niedergelegt. Schon damals war die wirtschaftliche Lage eine derartige, dass eine rasche Revision der Zollansätze sich aufdrängte, und wenn wir Urnen den ausserordentlichen Weg der Festsetzung des Zolltarifés durch den Bundesrat vorschlugen, vors so hat die seitherige Entwicklung dieses Vorgehen noch in erhöhtem Masse Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. III.

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gerechtfertigt. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten haben sich in den letzten vier Monaten, also seit dem Erlass des Bundesbeschlusses, noch ganz wesentlich verschärft. Die Arbeitslosigkeit in Industrie und Gewerbe ist eine chronische geworden, und noch sieht man kein Ende ab. Immer noch und in erhöhtem Masse werden wir in unserm Export durch die Entwertung der fremden Valuten, zum Teil aber auch durch Massnahmen der andern Staaten gehindert, während das Ausland die an und für sich natürliche Tendenz hat, uns mit seinen Waren zu überschwemmen. Irgendeine Änderung dieser Verhältnisse im Sinne einer Besserung ist für die nächste Zeit leider nicht zu erwarten.

Auch das Ausland ist an eine Eevision seiner Tarife herangetreten. Bekanntlich 'ging die erste Initiative zur Kündigung der Handelsverträge nicht etwa von uns aus. Auf einzelne Zollerhöhungen des Auslandes folgten vollständige Revisionen der Zolltarife, die zum Teil bereits in Wirksamkeit getreten sind. Dabei ist zu beobachten, dass auch andere Länder mit Bücksicht auf die Dringlichkeit des Problems den Weg der ordentlichen Gesetzgebung verlassen haben, indem sie die neuen Zolltarife durch blosse Erlasse der Regierungen aufstellten. Immer mehr sind wir davon überzeugt, dass im jetzigen Zeitpunkte nur ein rasches Handeln am Platze war und dass der Weg, den wir Ihnen vorschlugen, der einzig gangbare war. Wir haben keineswegs die Meinung, überall das Richtige getroffen zu haben, allein ein Zolltarif, der dieses Prädikat verdient, wird wohl nie geschaffen werden.

Was die Vorarbeiten für den vorliegenden Tarif betrifft, so wurde zunächst im Dezember 1920 eine allgemeine Enquete veranstaltet und sodann eine Expertenkommission, bestehend aus den Herren Nationalrat Dr. Frey, Präsident des Vorortes des Schweizerischen Handels- und Industrievereins, Nationalrat Mosimann, Präsident der Zollkommission des Nationalrates, Prof. Dr. Laur, Direktor des schweizerischen Bauernverbandes, Dr. Eichmann, Chef der Handelsabteilung, Oberzolldirektor Gassmann und Dr. Wetter, Generalsekretär des Volkswirtschaftsdepartementes, eingesetzt.

Die Antworten auf die Enquete liefen in grosser Zahl ein. Nach sorgfältiger Sichtung und Beratung der Eingaben, die nach Hunderten zählten, schritt die Kommission zur Aufstellung eines ersten Entwurfes, sodann in zahlreichen Sitzungen
zur mündlichen Einvernahme von Vertretern von verschiedenen Erwerbsgruppen der Industrie, des Gewerbes und der Landwirtschaft. Sie hörte Produzenten und Konsumenten an. Die Verhandlungen vor der Kommission zwischen den Parteien führten vielfach zu einem Ausgleich der divergierenden Interessen.

739 Die Kommission stellte sodann einen zweiten definitiven Entwurf auf, der dann noch vom Bundesrat in einer Beihe von gemeinsamen Sitzungen mit der Expertenkommission gründlich besprochen und geprüft wurde. Wir wollten so allen Mitgliedern des Bundesrates Gelegenheit geben, durch direkten Kontakt mit der Kommission, der die Vorarbeit übertragen war, sich tunlichst zu unterrichten und ihre Anregungen vorzubringen. Wir dürfen wohl feststellen, dass der ganze Tarif mit aller Umsicht und Gründlichkeit aufgestellt worden ist.

Wir haben auch noch erwogen, ob der vorliegende Entwurf vor seiner Annahme durch den Bundesrat einer weitern grossen Kommission unterbreitet werden sollte, in die dann auch Vertreter der Zolltarifkommission der Eäte berufen worden wären. Dringende praktische Erwägungen haben uris abgehalten, diesen Weg zu wählen, indem dadurch eine neue wesentliche, nach Monaten zählende Verzögerung eingetreten wäre, die unter allen Umständen vermieden werden musste.

III.

Der bisherige, in verschiedener Hinsicht etwas veraltete Zolltarif wurde am 10. Oktober 1902 von der Bundesversammlung zum Beschluss erhoben und in der Folge vom Volke angenommen. Durch die Handelsverträge mit Deutschland, Italien, Österreich-Ungarn, Frankreich, Spanien und Serbien erfuhren die meisten ohnehin sehr bescheidenen Ansätze eine bedeutende Herabsetzung. Bis Ende 1917 waren die meisten Positionen durch Verträge gebunden. Schon 1913 wurde eine Enquete eingeleitet, um einen neuen Generaltarif als Vorbereitung für den Abschluss neuer Handelsverträge aufzustellen.

Diese Vorarbeiten gelangten jedoch durch den Kriegsausbruch zum Stillstand. Während der Zolltarif von 1902 ein sogenannter Generaltarif war, der nur zur Anwendung gelangen sollte, wo nicht Handelsverträge niedrigere Ansätze vorsahen, so ist der von uns aufgestellte Tarif als ein Gebrauchstarif anzusehen, d. h. er kommt in dieser Form zur direkten Anwendung und ist als Minimal tarif gedacht, dessen Anwendung allen Ländern zugestanden werden soll, die uns in billiger Weise behandeln und uns insbesondere die Meistbegünstigung gewähren. Gegenüber Ländern, mit denen wir in Schwierigkeiten und Konflikte kämen, musste sich der Bundesrat vorbehalten, andere Zollansätze aufzustellen und zur Anwendung zu bringen. Es lässt sich nun allerdings voraussehen, dass wir mit
einer ganzen Beihe von Staaten in Besprechungen eintreten werden, zunächst einmal über die provisorische Begelung unserer Handelsbeziehungen, später vielleicht auch in eigentliche Verhandlungen. Dabei würde nicht von vornherein ausgeschlossen sein, dass gegen entsprechende Kon-

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Zessionen die eine oder andere Position unseres Tarifs etwas ermässigt würde, allein es soll dies die seltene Ausnahme sein. Trotz der vorgenommenen Erhöhung sind auch unsere jetzigen Ansätze keineswegs übersetzt und vielfach bescheidener als diejenigen anderer Staaten.

IV.

Wie wir schon eingangs betonten, liegt der Ausgangspunkt der vorliegenden Revision in wirtschaftlichen Erwägungen. Es handelte sich darum, wie selbst der Bundesbeschluss sagt, die Ansätze des Zolltarifs im Sinne einer vorübergehenden Massnahme der wirtschaftlichen Lage anzupassen. Die fiskalischen Erwägungen sind somit sekundäre und hätten wohl nie dazu geführt, dass der Bundesrat durch einen dringlichen Bundesbeschluss mit der Aufstellung eines Zolltarifes betraut worden wäre.

Art. 29 der Bundesverfassung, auf den im Bundesbeschluss verwiesen wird, schreibt vor, dass bei den Eingangszöllen die für die inländische Industrie und die Landwirtschaft erforderlichen Stoffe und ebenso die zum nötigen Lebensbedarf erforderlichen Gegenstände möglichst gering zu taxieren seien und dass diese Grundsätze -- wenn nicht zwingende Gründe entgegenstehen -- auch bei Abschlüssen von Handelsverträgen mit dem Ausland zu befolgen seien. Der Natur der Sache nach konnte ja die Verfassung keine genauen Vorschriften aufstellen, sie musste es den Behörden überlassen, im Zeitpunkte des Erlasses der Vorschriften je nach den Umständen zu handeln. Deshalb schreibt sie vor, dass die erwähnten Waren und Gegenstände ((möglichst» gering zu taxieren seien. Diese Möglichkeit richtet sich natürlich im einzelnen Falle nach den Verhältnissen und nach den höhern, wir dürfen sagen teilweise höchsten Eücksichten, die uns im Hinblick auf die wirtschaftlichen und dadurch auch auf die politischen Verhältnisse des Landes leiten müssen. Wenn die Verfassung noch beifügt, dass auch bei Abschliessung von Handelsverträgen diese Grundsätze zu befolgen seien, «wenn nicht zwingende Gründe entgegenstehen», so beweist dies, dass man sich dazumal schon Bechenschaft gab, dass eben zwingende Gründe ein Abweichen von der Tendenz notwendig machen können, wie sie in Ziff. l, lit. a und b, der Verfassung niedergelegt ist. · Welches sind nun diese grundlegenden Erwägungen, denen schliesslich zu allen Zeiten eine jede gewissenhafte und um die höchsten Güter des Landes besorgte Behörde wird folgen müssen?

Eine Zolltarifgesetzgebung hat sich den jeweiligen Bedürfnissen des wirtschaftlichen Lebens und der wirtschaftlichen Lage anzupassen.

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Sie soll die Produktion in den verschiedenen Erwerbszweigen, Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft fördern und zwischen den verschiedenen Interessen einen billigen Ausgleich suchen. Die Lösung, die gesucht werden muss, lässt sich nicht in einer starren Formel ausdrücken. Sie muss sich vielmehr den jeweiligen Verhältnissen und Anforderungen in weitestem Masse anpassen.

Nun haben sich seit der Aufstellung des frühern Zolltarifes tiefgehende Änderungen vollzogen. Die Warenwerte sind trotz erheblichen neuerlichen Eeduktionen gestiegen, und sie dürften, soweit sich die Dinge heute überblicken lassen, wohl kaum wieder auf das frühere Mass zurückgehen. Die Produktionsbedingungen in den verschiedenen Ländern haben sich durch eine Erscheinung, die wir gewöhnlich die Entwertung der Währungen nennen, die aber tatsächlich in der Differenz der innern und der äussern Kaufkraft begründet ist, verschoben und sind für einzelne Länder günstiger und andere relativ viel ungünstigere geworden. Die Verarmung und Verschuldung einzelner Länder macht es unmöglich, einen halbwegs normalen Absatz zu finden, und staatliche Massnahmen, die eigentlich nichts anderes als die Folgen der gekennzeichneten Verhältnisse sind, greifen störend in die internationalen Handelsbeziehungen ein. Dazu kommt die Unsicherheit der Lage, die es verbietet, einzelne wichtige Produktionszweige des Landes, auf die man in kritischen Zeiten angewiesen ist, zugrunde gehen zu lassen, und endlich die gewaltigen Kapitalverluste, die jedes und speziell auch unser Land erlitten hat. Ziehen wir schliesslich noch die verheerenden Wirkungen der grossen und teuren Warenvorräte, die gerade bei uns liegen und gewaltige Verluste zur Folge haben, in Betracht, so dürften die wesentlichen Gründe dargelegt sein, die die heutige wirtschaftliche Krise verursachen und die äusserlich in einem Eückgang, ja in einem Ausbleiben der Rendite der Betriebe und im Wegfall der Arbeitsgelegenheit zum Ausdruck kommen, ohne dass in vielen Gebieten ein Preisrückgang eine erhebliche Erleichterung bringen würde.

In dieser Situation haben wir vor allem aus die Aufrechthaltung der Produktion zu fördern. Wir können nicht untätig mitansehen, wie auf dem Gebiete von Industrie und Gewerbe ein Betrieb nach dem andern seine Tore schliesst und seine Angestellten und Arbeiter entlassen muss. Wir
können aber auch nicht zugeben, dass die landwirtschaftliche Produktion zufolge der momentanen Verhältnisse zugrunde geht, weil dadurch nicht bloss den darin beschäftigten Personen, sondern dem ganzen Lande ein unersetzlicher Schaden entstünde. Man wendet ein, dass alle solchen Massregeln den Interessen der Exportindvistrie nicht dienen und deren Lage

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eher zu erschweren geeignet seien. Es ist ohne weiteres zuzugeben, dass der Exportindustrie nur durch den Absatz im Auslande geholfen werden kann. Immerhin arbeiten viele, ja die meisten Exportin-, dustrien zugleich auch noch für das Inland, und endlich besteht, allgemein genommen, gerade zufolge des Eückganges der Produktion für das Ausland ein um so dringenderes Bedürfnis, nicht auch die Produktion für das Inland dem Euin entgegengehen zu lassen und so das Heer der Unbeschäftigten noch zu vermehren und den Euin weiterer Betriebe eintreten zu lassen. Dabei gilt es natürlich Mass zu halten und die Arbeitsbedingungen der Exportindustrien nicht in der Weise ungünstig zu beeinflussen, dass dadurch ihre Konkurrenzfähigkeit leidet. Diese Erwägung haben wir keineswegs ausser acht gelassen, wir werden auf diesen Punkt zurückkommen.

Unzulässig erschien es von vornherein, alle Zölle auf Lebensmittel, soweit sie unsere landwirtschaftliche Produktion zu schützen geeignet sind, zu verpönen. Der Grundsatz der Gleichberechtigung aller Bürger und aller Berufsstände führt dazu, dass die Interessen der landwirtschaftlichen Produktion gerade so gut gewahrt werden müssen wie diejenigen der Industrie und der übrigen Gewerbe. Damit dienen wir sicherlich auch den wirklichen Landesinteressen.

Der bisherige Gebrauchstarif enthielt vielfach Ansätze, die sehr tief waren; zum Teil belastete er die Einfuhr gewisser Waren überhaupt nicht. Die Folge ist, dass die neuen Zölle auf solchen Positionen, auch wenn sie bescheiden sind, öfters ein Vielfaches der bisherigen darstellen. Es wäre aber falsch, wollte man den neuen Zolltarif eines Landes, das sich bisher durch besonders niedrige Ansätze ausgezeichnet hat, an einem Koeffizienten messen. Dieses Vorgehen, die Einführung eines blossen Koeffizienten, mag dort angemessen sein, wo bisher schon allgemein erhebliche Zölle bezogen worden sind.

Bei uns muss eine freiere Gestaltung Platz greifen. Gerade so wenig kann die Bemessung der Zölle schlechthin nach dem Werte der Waren richtig erscheinen, denn die Eücksicht auf den Schutz einer inländischen Produktion kann gerade dazu führen, einen Zoll um so höher zu stellen, je tiefer der ausländische Wert einer zu importierenden Ware sich bemisst.

Wir gingen somit bei der Grosszahl der Positionen von dem Wunsche aus, die schweizerische
Produktion in bescheidener Weise, und soweit dies die Eücksichtnahme auf die Konsumenten erlaubte, zu schützen. Indessen muss man sich durchaus klar sein : Die heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse sind so aussorordentliche und anormale, dass auch dieser Zolltarif ein Ausgleich zwischen den schweizerischen und ausländischen Produktionsbedingungen in wenigen

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Punkten zu bieten vermag. Andere Massregeln, seien es Einfuhrbeschränkungen, Kontingentierungen oder besondere Valutazuschläge, scheinen auch fürderhin notwendig, soll nicht eine ganze Reihe von Zweigen unserer nationalen Produktion zugrunde gehen.

Es ist hier nicht der Ort, uns im einzelnen über diese Verhältnisse auszusprechen, wir wollten nur gerade gegenüber dem Vorwurf, der neue Zolltarif gehe zu weit, feststellen, dass er auch in seiner heutigen Form allein ein ungenügendes wirtschaftliches Instrument darstellt.

Neben den wirtschaftlichen Erwägungen durften wir selbstverständlich auch die fiskalischen nicht vollständig vergessen. Die Zolleinnahmen sind nach dem Wortlaut und Willen unserer Verfassung eine der wesentlichsten Einnahmequellen des Bundes. Unter diesem Gesichtspunkte wurden auf allgemeinen Bedarfsartikeln ganz bescheidene Fiskalzölle eingeführt. Wenn z. B. in der Kategorie des Getreides der Zoll verschiedener Sorten von 30 Eappen per 100 auf 60 Eappen erhöht worden ist, so bedeutet diese Massnahme nicht den mindesten Schutz und, wirtschaftlich genommen, könnte auf diese Erhöhung ohne weiteres verzichtet werden. Ebenso wurden Kohle und andere Roh- und Hilfsstoffe aus fiskalischen Rücksichten mit sehr bescheidenen Erhöhungen bedacht. Die daraus sich ergebende Belastung wird vom Konsum nicht verspürt werden. Anderseits haben diese Ansätze zur Folge, dass auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, in denen vielleicht die Importe in manchen Waren zurückgehen, eine gewisse Stabilität der Zolleinnahmen eher aufrechterhalten werden kann. Der Zoll auf Benzin von Fr. 10 auf 100 kg scheint uns eine durchaus gerechtfertigte Abgabe zu bedeuten und ist geeignet, dem Bunde eine nicht" ganz unerhebliche Einnahme zu sichern. Wir sehen aber vor, dass das Benzin zu industrieller Verwendung gegen Revers zu dem Satze von Fr. l eingeführt werden kann.

Die nachstehende Tabelle, welche von dem Geldwert der Einfuhr im Jahre 1920 ausgeht, gibt eine Übersicht der Zollbelastung in % des Wertes. Sie zeigt, dass trotz der grossen Schwierigkeiten wir bemüht waren, den Grundsätzen der Verfassung nachzuleben und dass insbesondere bei den Rohstoffen die Belastung eine äusserst bescheidene ist und dass auch bei den Lebensrnitteln der grösste Teil nur sehr bescheiden belastet ist. Diese Tabelle gibt wertvolle
Anhaltspunkte ; wir möchten aber nicht ermangeln, zu betonen, dass vom wirtschaftlichen Standpunkte aus der Einfuhrwert, wie wir bereits erwähnten, nicht in erster Linie den Faktor für die Bemessung der Zollansätze bilden kann.

744 Es werden belastet

mit weniger als 1 % des Wertes 2,9% des Wertes 4,9°/o des Wertes 9,«%> des Wertes 10 und mehr °/o des Wertes Total

Rohstoffe 1,320,053,000 118,326,000 48,902,000 95,593,000

Alkoholische Getränke und Tabak

Lebensrnittel

-- -- --

276,264,000 231,415,000 172,398,000 2,153,000 170,629,000

Fabrikate 259,481,000 267,210,000 121,077,000 443,030,000

3,206,000

221,039,000

89,724,000

402,318,000

1,586,080,000

223,192,000

940,430,000

1,493,118,000

(Geldwert der Einfuhr im Jahre 1920.)

V.

Über einzelne Gruppen von -wirtschaftlichen Zollansätzen gestatten wir uns noch die folgenden Ausführungen: Was zunächst die Zölle auf Fabrikaten betrifft, so könnte natürlich nur eine ganz eingehende Darlegung über die vielen Hunderte von Positionen Aufschluss geben, und dabei müssten die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Ansätzen erörtert werden. Wir erinnern an die Folge, welche eine Erhöhung des Zolles auf einer Ware mit sich bringt, die für eine Industrie als Halbfabrikat in Betracht kommt. Überall wurde diesen Bückwirkungen Eechnung getragen und die richtige Eelation zwischen den Zöllen auf den verschiedenen Verarbeitungsgraden hergestellt, wie sie sich z. B. in Eohbaumwolle, Garnen, Eohgeweben und veredelten Geweben darstellen. Besonders sei in diesem Zusammenhang noch erwähnt, dass Ansätze, welche die Halbfabrikate für die Stickereiindustrie betreffen, mit grosser Vorsicht behandelt worden sind.

Am intensivsten wird sich die öffentliche Meinung wahrscheinlich speziell mit den Landwirtschafts- und Lebensmittelzöllen befassen. Wir haben bereits erwähnt, dass eine ganze Gruppe landwirtschaftlicher Produkte, nämlich die sämtlichen Getreidesorten, ungeschützt bleiben und lediglich mit bescheidenen Fiskalzöllen belegt sind. Dagegen schien es unmöglich und nicht im Landesinteresse liegend, die Landwirtschaft im Hinblick auf andere ihrer Produkte schlechthin ihrem Schicksal und dem Kampfe mit der ausländischen Konkurrenz zu überlassen. Die Schweiz konnte den Krieg wirtschaftlich überhaupt nur mit Hilfe ihrer Landwirtschaft ertragen. Diese hat die ganze Bevölkerung nicht nur genügend mit milchwirtschaftlichen Produkten versorgt, sondern auch die nötige Menge an Fleisch aufgebracht und in manchen Jahren die fast ausschliessliche Versor-

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gung mit Hackfrüchten, insbesondere Kartoffeln, auf sich genommen. Dabei waren die Preisvorschriften und die Eingriffe in die Wirtschaft nirgends so intensiv und weitgehend als in der Landwirtschaft, die heute noch ihre volle Freiheit nicht zurückerhalten hat.

In der letzten Zeit sind auf vielen landwirtschaftlichen Produkten gewaltige Preisrückgänge eingetreten. Schlachtvieh galt im Jahre 1919 noch das Kilo Lebendgewicht zirka Fr. 5--6; heute ist ein Bückgang um mehr als 50 % eingetreten. Schweine galten Fr. 6--8 das Kilo Lebendgewicht, heute sind sie, obwohl aus seuchenpolizeilichen Gründen der Import vollständig verboten ist, um Fr. 2. 50 das Kilo Lebendgewicht kaum verkäuflich. Richtig ist, dass die Fleischpreise für die Konsumenten dem Rückgange der Viehpreise nicht gefolgt sind und sie auch dem Preise des eingeführten Fleisches nicht entsprechen. Der Bundesrat behält sich Massregeln in dieser Richtung vor. Nach Ansicht sachverständiger Kreise steht ein weiterer Rückgang der Viehpreise in Aussicht. Die Schweiz steht auch hier in Konkurrenz mit valutaschwachen Ländern, wie z. B. Jugoslavien, und ferner mit einer ganzen Reihe von Ländern, in denen die Währung sehr erheblich unter der Parität steht. Unter solchen Umständen war es eine wirtschaftliche Notwendigkeit, auf Schlachtvieh und animalischen Nahrungsmitteln gewisse erhöhte Zölle einzuführen.

Die für die Bemessung dieser Zölle massgebende Position ist dor Zoll für Schlachtochsen, der von Fr. 27 auf Fr. 80 erhöht, somit rund verdreifacht worden ist. Dieser Zoll macht auf das Kilo Lebendgewicht, da der Schlachtochse mit 600 Kilo veranschlagt werden kann, einen Betrag von zirka 13 Cts. aus. Auf das Kilo Fleischgewicht berechnet, steht die Belastung unter 25 Cts. und die Mehrbelastung gegenüber bisher beläuft sich höchstens auf 15--16 Cts. Für den Konsum fällt namentlich angesichts der Preise, die heute noch gefordert werden, eine solche Mehrbelastung kaum in Betracht; sie beträgt auf das Kilo Fleisch, welches heute noch zu einem Preise von teilweise über Fr. 5 verkauft wird, durchschnittlich nicht mehr als zirka 3 %. Die Landwirtschaft macht auch geltend, dass in der gegenwärtigen Lage diese Zölle für ihren Schutz nicht genügend seien. Der Konsument aber hat sich in den verflossenen Jahren leider an ganz andere Aufschläge gewöhnen müssen
und gewöhnt, als hier in Frage stehen. Etwas höher wurden die Fleischzölle bemessen. Sie stellen in ihrem Mehrbetrage gegenüber den Viehzöllen nicht etwa einen Schutz der Landwirtschaft dar, sondern einen solchen des Metzger gowerbes, und verdanken ihre Festsetzung der Erwägung, dass, soweit sanitätspolizeiliche Rücksichten es gestatten, statt Fleisch lebendiges Vieh eingeführt werden soll, weil die Schlachtung in der Schweiz eine zuverlässigere Kontrolle gestattet und weil sie uns zu-

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gleich die Nebenprodukte, namentlich die Häute, zuführt. E er Bundesrat behält sich vor, in Zeiten, in denen infolge sanitätspolizeilicher Vorschriften die Einfuhr von lebendigem Vieh nicht statthaft erscheint und die Bedürfnisse des Konsumenten es erheischen, die Fleischzölle dem Zoll des lebendigen Viehs entsprechend zu reduzieren.

Ein wichtiger Zweig unserer landwirtschaftlichen Produktion ist die Schweinemast, an der eine Menge kleine Bauern speziell beteiligt sind. Mit ihr hängt die Verwertung der Schotte zusammen, und die Erfahrung der letzten Zeit hat gezeigt, dass unser Land in der Lage ist, den gesamten Bedarf an Schweinefleisch zu decken. Nur so erklärt es sich, dass heute trotz des absoluten Einfuhrverbotes der Preis für lebende Schweine 25 % tiefer steht als im Februar dieses Jahres und auf ungefähr 1/» des Preises zurückgegangen ist, der noch im Jahre 1919 bezahlt werden musste. Wenn wir schliesslich Fleischwaren mit gewissen Zöllen belegten, so gingen wir dabei von der Erwägung aus, dass solche auch in der Schweiz und überdies unter sicherer Kontrolle hergestellt werden können. Man wird gut tun, die Wirkung aller dieser Zölle nicht zu übertreiben. « Es erscheint als ausgeschlossen, dass ihre Einführung auf 1. Juli 1921 eine Erhöhung der Fleischpreise zur Folge haben werden, ja wir haben allen Grund zur Annahme, dass auch der Preis dieses wichtigen Lebensmittels sich eher nach unten entwickeln wird. Der Bundesrat wird auch alles tun, was in seiner Macht liegt, um zu verhindern, dass durch übermässige Zwischengewinne das Fleisch verteuert wird.

Er ist indessen in dieser Beziehung im wesentlichen auf die Unterstützung der kantonalen und Gemeindebehörden angewiesen.

Aus den Kreisen der weinbautreibenden Bevölkerung, speziell auch der romanischen Schweiz, wurde mit grösster Entschiedenheit auf die Notwendigkeit einer kräftigen Erhöhung der Weinzölle hingewiesen. Die Produktionskosten des schweizerischen Weinbaues sind insbesondere infolge der Erhöhung der Löhne gewaltig gestiegen.

Überlassen wir ihn seinem Schicksal, so wird er zugrunde gehen und eine grosse Zahl der alteingesessenen, mit Grund und Boden verbundenen Bevölkerung wird um eine Arbeitsgelegenheit gebracht, die auch ihrer Art nach wohl zu den schönsten gehört, die die schweizerische Urproduktion bieten kann. Die Folgen
eines Euins des Weinbaues wären unübersehbare. Ganze Gegenden und Tausende von Familien würden davon betroffen und grosse · Strecken Landes ihrer Kultur entzogen, die für eine andere Produktionsweise nicht geeignet wären. Und das soll der Staat zugeben, der seit Jahren mit grossen Opfern die Weinberge gegen die Reblaus zu schützen sich bestrebt? Anderseits erscheint der Wein als ein nicht absolut notwendiges Genussmittel, so dass es auch durchaus gerechtfertigt

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ist, seine Konsumenten zur Tragung der öffentlichen Lasten herbeizuziehen. Manche befürworten eine Weinsteuer; sie wird am einfachsten ohne Kosten an der Grenze bezogen.

Diese Erwägungen haben uns dazu geführt, eine wesentliche Erhöhung der Weinzölle eintreten zu lassen. Wir haben den Zoll aber auch nach dem Alkoholgrad abgestuft und diejenigen Weine, die bestimmt sind, dem Verschneiden anderer Weine zu dienen, mit einem höhern Zoll belegt. Diese verschiedene Verzollung wird zugleich den Organen der Lebensmittelpolizei gestatten, eine intensivere Kontrolle über das Verschneiden, Vermengen und Strecken der Weine, wie es gelegentlich an einzelnen Orten betrieben wird, auszuüben.

Ziehen wir die grosse Differenz in Betracht, die zwischen dem Preise des Weines und dem Abgabepreis an das Publikum z. B. in Wirtschaften besteht, so wird man zugeben müssen, dass eine Mehrbelastung von 10--15 Ep. pro Liter, wie sie sich zwischen unsern Ansätzen und andern Vorschlägen ergibt, für den Konsumenten kaum spürbar ist. Von Seiten der Gegner der Weinzölle wird vielfach darauf hingewiesen, dass sich unser nunmehrige Zoll in einem Missverhältnis zum Preise des Weines befinde. Dabei wird vergessen, dass gerade der oft durch Valutaverhältnisse besonders billige Weinpreis des Auslandes für unsere Produktion einen intensiveren Zollschutz notwendig macht, ohne dass dieser für den Konsumenten unerträglich wird.

Im allgemeinen muss man sich Bechenschaft geben, dass die Produktenpreise in der Landwirtschaft eines Landes wie das unsrige, die fast ausschliesslich aus Klein- und Mittelbetrieben besteht, in denen der Eigentümer mit seiner Familie selbst arbeitet, nichts anderes bedeuten als eine Form des Lohnes. Berechnet man diesen anhand der heutigen Produktionsbedingungen, so fällt er bescheiden aus.

Die guten Zeiten unserer Landwirtschaft sind vorbei ; neue Schwierigkeiten beginnen. Dass übrigens die Existenzbedingungen unserer Bauern nie glänzende waren und es vorab heute nicht sind, beweist der Zug nach der Stadt, der nie aufgehört hat und auch heute noch weiter andauert.

VI.

Wir sind uns durchaus bewusst, dass der neue Zolltarif vorab einmal der Kritik rufen wird. Niemand wird wohl recht befriedigt sein, fast jeder würde irgendwelche Ansätze gerne anders geordnet sehen. Allein die Dinge stellen sich eben für diejenigen, die berufen sind, die allgemeinen Landesinteressen und damit die aller Berufs- und Erwerbsstände wahrzunehmen, sehr oft wesentlich anders dar als für den einzelnen, der die Dinge unwillkürlich und in besten Treuen unter seinem Gesichtswinkel beurteilt. Eine eingehende und objektive Prüfung wird sicherlich dazu führen, dass

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auch diejenigen, die im ersten Momente das von uns geschaffene Werk zu verurteilen versucht sind, nach kürzer Zeit etwas gerechter urteilen und sich von den Schwierigkeiten der Schaffung eines Zolltarifes, insbesondere in der heutigen Zeit, Eechenschaft geben. Wir haben das Bewusstsein, nach eingehender, sachlicher Prüfung und nach dem Eate bewährter Sachverständiger, unter Berücksichtigung der Dinge, wie sie sich gerade in den letzten Monaten entwickelten, gehandelt zu haben. Der vorliegende Tarif wird kein universelles Heilmittel sein, allein er wird nach unserer Überzeugung für unsere nationale Produktion vorteilhaft wirken, die Lebenshaltung nicht wesentlich belasten und insbesondere dazu beitragen, dass die Arbeitsgelegenheit nicht immer mehr schwindet. Eine reine Konsumentenpolitik, die alles dem Käufer nur billigst anzubieten bestrebt ist, dient den Konsumenten nur zum Schein, denn jeder ist an der Produktion beteiligt, aus ihr fliesst in letzter Linie jedes Einkommen.

Wenn unsere Produktion zugrunde geht und Saläre und Löhne dicht mehr bezahlen kann, dann ist schliesslich der Konsument auch nicht mehr in der Lage, etwas zu kaufen, und die erhofften tiefem Preise helfen ihm nicht.

Was den finanziellen Ertrag des neuen Zolltarifes betrifft, so verzichten wir für heute darauf, eine Berechnung darüber aufzustellen.

Infolge der Krise und der veränderten Verhältnisse überhaupt haben sich die Einfuhrmengen teilweise schon erheblich verschoben und weitere Verschiebungen werden vermutlich eintreten. Unter solchen Verhältnissen kann eine zuverlässige Bechnung nicht aufgestellt werden. Es gilt zunächst, die weitere wirtschaftliche Entwicklung abzuwarten. Wir behalten uns vor, eventuell später auf diesen Punkt zurückzukommen.

Wir möchten diese kurze Berichterstattung nicht schliessen, ohne der Kommission, die die Arbeiten für den neuen Tarif geleitet hat, den wohlverdienten Dank für ihre grosse und gewissenhafte Arbeit auszusprechen.

Wir schliessen mit dem Antrag, Sie möchten von diesem Berichte und dem beigelegten Zolltarif Kenntnis nehmen.

Bern, den 15. Juli 1921.

Namens des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Schulthess.

Der Bundeskanzler: Steiger.

Beilage : Zolltarif, BRB vom 8. Juni 1921.

(Gesetzsammlung Nr. 27 vom 15. Juni 1921.)

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifes gemäss Bundesbeschluss vom 18. Februar 1921. (Vom 15. Juli 1921.)

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