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Die vereinigte Bundesversammlung hat am 15. Dezember 1921 folgende Wahlen vorgenommen : Bundespräsident für 1922: Herr Robert H a a b , von Wädenswil, bisher Vizepräsident des Bundesrates.

Vizepräsident des Bundesrates für 1922: Herr Karl S c h e u r er, von Erlach.

In der Sitzung vom 21. Dezember hielt Herr Nationalratspräsident Dr. Klöti zu Ehren des in Genf verstorbenen Kollegen, Herrn Nationalrat Emile N i c o l e t, folgenden Nachruf: Heute morgen um 5 Uhr ist unser Kollege, Herr Nationalrat Emile N i c o l e t in Genf, gestorben nach einer langen Krankheit, die er mit der gefassten Ruhe ertrug, die das Wesen seiner Natur ausmachte.

Als Schalenmacher von La Chaux-de-Fonds in Genf eingewandert, hat er sich am neuen Wohnort während 18 Jahren mit Hingebung im Dienste der Organisationen des Proletariats beschäftigt. Begabt, hochherzig und begeistert, war er überall dabei, wo es eine Organisation oder ein Werk für die Arbeiter zu unterstützen galt. Bald wirkt er für das Volkshaus, bald für die Zeitung Le Peuple, dann wieder für den Konsumverein, die Arbeiterunion oder die sozialistische Partei. Überall steht er in der vordersten Reihe, gewinnt die Zuneigung und pflanzt Vertrauen. Er wird der Vertreter der Arbeiterschaft im Stadtrat von Plainpalais, im Genfer Grossen Rat, im Nationalrat, im Gemeinderat von Plainpalais. Für die Sache der Arbeiterschaft arbeitet er die sozialen Gesetzentwürfe aus und verteidigt sie.

In einigen Tagen wird -- um nur dieses Beispiel zu nennen -- das Genfer Gesetz über die Schülerversicherung, dessen Seele er war, in Kraft treten.

In seiner Uneigennützigkeit und Hingebung hat er der Sache der Arbeiterschaft seine ganze Zeit geopfert und 'halbe Nächte hindurch gearbeitet, ohne Schonung seiner Gesundheit, ohne Wahrnehmung eigener Interessen. In den Stunden gewerkschaftlicher Kämpfe nahm man seine Kräfte im Übermass in Anspruch.

Er war überall dabei, ging den Verantwortlichkeiten nie aus

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dem Wege, feuerte den Mut der andern an und war ein Warner gegen alle Irrtümer und Missbräuche.

Seine Hingebung, Treue und Disziplin hat er besonders bei den politischen Kämpfen des Jahres 1918, namentlich während des Generalstreiks, bewährt. Selbst Gegner aller Gewalttätigkeit, war er in jenen aufgeregten Stunden das Opfer der politischen Leidenschaft, wurde misshandelt und geschlagen. Schon damals war er erschöpft und aufgebraucht. Die Tuberkulose griff um sich, und er führte gegen die unerbittliche Krankheit ein neues Kampfesdasein.

Je grössere Fortschritte die Krankheit machte, um so eifriger widmete sich Emile Nicolet seiner sozialen und sozialistischen Aufgabe. Auch die politischen Gegner verneigten sich schliesslich vor diesem edlen Charakter.

Wie Tausenden von Proletariern, war es ihm nicht möglich, rechtzeitig und gründlich der zehrenden Krankheit zu wehren.

Den verspäteten Aufenthalten in der Bergluft zum Trotz vollendete das erbarmungslose Leiden sein Werk. Nur die unerschrockene Seele schien den untergrabenen Körper noch aufrechtzuerhalten.

Jetzt ist er verschieden. Es bleibt aber die Gewissheit, dass Sie alle ihm ein gutes Andenken bewahren werden.

Im Ständerat hielt Herr Präsident Dr. Räber folgenden Nachruf : Gestern ist in Genf Herr Nationalrat Emile N i c o l e t im Alter von 42 Jahren gestorben. Seit einiger Zeit war sein Zustand so besorgniserregend, dass schon zweimal die irrige Nachricht von seinem Tode gemeldet worden war, wie der nun Verstorbene noch mit demselben gerungen. Das dritte Mal sollte die Nachricht leider sich bewahrheiten.

Als Bürger von Les Ponts, Kanton Neuenburg, geboren, ist der Verstorbene in La Chaux-de-Fonds aufgewachsen, von wo er nach Genf übergesiedelt ist. Dort war er als Schalenmacher tätig.

Das brachte ihn mit der sozialistischen Arbeiterbewegung in Verbindung, der er in den verschiedensten Stellungen diente, im VolkskauSj in der- Presse, im Konsumverein.

Als Vertreter der sozialistischen Arbeiterschaft wirkte er im Stadtrat von Plainpalais, im Genfer Grossen Rate und im Nationalrat. Auf kantonalem Boden war er der Verfasser sozialer Gesetzesentwürfe; namentlich hat er am Genfer Gesetz über die Schülerversicherung bestimmend mitgearbeitet.

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Der Sprechende hatte nicht die Ehre, den Dahingeschiedenen persönlich zu kennen, so dass es ihm nicht vergönnt ist, persönliche Züge gebührend hervorzuheben. Aber aus kompetentem Munde ist seine unermüdliche Arbeit, die Hingebung und Uneigennützigkeit im Dienste der von ihm mit Feuereifer vertretenen politischen und gewerkschaftlichen Bestrebungen anerkannt worden.

Als Arbeitersekretär stand der Verstorbene mitten in den politischen und gewerkschaftlichen Bewegungen, eine Stellung, welche schonungslos die höchsten körperlichen und geistigen Anforderungen erhebt. Wie ungestüm und vielfach masslos sind die Ansprüche, die der Arbeiterführer befriedigen soll, und welche Energie und welche Charakterfestigkeit braucht es, will der Führer nicht bald der Geführte werden.

Herrn Nicolet blieb bis ans Ende das Vertrauen seiner Wähler erhalten. Aber er hat dabei seine ohnehin schwache Gesundheit zum Opfer gebracht. Fast bis zum Erlöschen seiner Kräfte ist ·er totkrank selbst im Ratssaal noch auf seinem Posten verblieben, urn zu kämpfen für das, was er für gut und recht hielt.

Es wird behauptet, dass der Verstorbene, selber der Gewalttätigkeit abhold, im. unseligen Generalstreik vom November 1918 körperlicher Misshandlung ausgesetzt gewesen sei und dass dies «ndgültig seine Gesundheit erschüttert habe. Es ist eben der Fluch der bösen Tat, dass sie in der Leidenschaft keine Grenzen mehr kennt und blindwütend überall ihre Opfer sich holt. An unserm Geiste ziehen auch die vielen braven Soldaten vorüber, die in Ausübung ihrer Pflicht in den Novembertagen 1918 dahin.gerafft worden sind. Wir neigen in Trauer uns vor ihnen allen.

In einer Zeit höchster politischer Spannung und Kämpfe ist Herr Nationalrat Nicolet dahingeschieden. Vor der Majestät des 'Todes senken sich alle Waffen. Wir werden Nationalrat Nicolet, der sich für seine Überzeugung geopfert, ein ehrendes Andenken bewahren.

Ich bitte Sie, sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Sitzen zu erheben.

Die Session ist am 23. Dezember 1921 geschlossen worden und soll am 23. Januar 1922 fortgesetzt werden.

Die Übersicht der Verhandlungen wird nächstens dem Bundesblatte beigelegt werden.

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28.12.1921

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