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Bundesblatt

73. Jahrgang.

Bern, den 2. Februar 1921.

Band I.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr : 50 ßappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an die Buchdruckerei Stämpfli & de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundes Versammlung betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifs und die Beschränkung der Wareneinfuhr.

(Vom 24. Januar 1921.)

I.

In der Zeit der grossen wirtschaftlichen Störungen während des Krieges hat der Bundesrat auf Grund der ausserordentlichen Vollmachten Ausfuhrverbote erlassen für sämtliche Waren (Bundesratsbeschluss vom 30. August 1918). Die Beschränkung des Exportes war nötig, um die Versorgung des Inlandes zu angemessenen Preisen sicherzustellen. Die Eückkehr des Friedenszustandes ermöglichte nach und nach einen Abbau dieser Bestimmungen, so dass heute von 1164 Zollpositionen nur noch 63 unter Ausfuhrverbot stehen.

Dafür ist unserm Wirtschaftsleben eine andere Gefahr erstanden.

Der beispiellose Sturz der Valuta einer Eeihe der kriegführenden europäischen Staaten hat für unsere Produktion eine ganz neue Sachlage geschaffen. Zwar bestand der tiefe Kurs zum Teil schon während des Krieges; aber die kriegführenden Staaten waren trotzdem gezwungen, die Friedenswaren, die die Schweiz produzierte, abzunehmen, weil sie fast ihre ganze wirtschaftliche Tätigkeit auf den Krieg und seine Bedürfnisse eingestellt hatten.

Mit der Eückkehr der kriegführenden Staaten zur Friedenswirtschaft musste normalerweise wieder eine stärkere Konkurrenzierung unserer schweizerischen Produktion einsetzen. Darin liegt nichts Besonderes, und man hätte sich, wie vor dem Kriege, damit abfinden müssen. Aber nun kam das Moment der Valuta zur Auswirkung. In dem Masse, wie die betreffenden Länder für ihren Rohstoffbezug ebenfalls auf den Weltmarkt angewiesen sind, spielt diese Valutadifferenz allerdings keine so grosse Eolle. Für alle Produkte aber, die im Lande selbst ganz oder teilweise gewonnen werden können, bedeutet sie einen erheblichen Vorteil. Die Kaufkraft der beBundesblatt. 73. Jahrg. Bd. I.

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p

treffenden Währungen ist im Inlande heute noch ganz wesentlich höher, als ihrem Kurs entspricht. Das hat zur Folge, dass Arbeitslöhne und übrige .Unkosten der Produktion nicht entsprechend der Valutaentwertung gestiegen sind. Sie machen deshalb in der Eegel nur einen Bruchteil (%--1/s) der für die schweizerische Produktion in Betracht fallenden Kosten aus. Das ermöglicht unter sonst gleichen Verhältnissen in den valutaschwachen Staaten eine Produktion, deren Selbstkosten erheblich unter den unsrigen stehen.

Allerdings sollte normalerweise die Schweiz mit ihrer hohen Valuta einen gewissen Ausgleich beim Rohstoffbezug aus den valutaschwachen Staaten finden können. Infolge staatlicher Massnahmen der betreffenden Produktionsgebiete ist dies leider nicht der Fall, so dass zu den erhöhten Produktionsfaktoren, Arbeit und Unkosten noch der Nachteil der teureren Eoh- und Hülfsstoffe (Kohle, Eisen etc.) hinzukommt. So beträgt z. B. für Saar- und Förderkohlen der französische Inlandpreis nur 41,5 % des für die Schweiz ab Zeche gültigen Preises. Für Ruhrgrosskoks macht der deutsche Inlandpreis gar nur 24 % des bisherigen Schweizerpreises ab Zeche aus. Selbst für englische Förderkohlen beträgt der englische Selbstkostenpreis nur 48 % des Exportpreises. So war bis heute für unsere importierten Kohlen massgebend der Preis der amerikanischen Kohle, und diese Kohle wurde bis vor kurzem noch durch die hohen Frachtkosten bis nach Basel um 100 % des amerikanischen Inlandpreises verteuert.

Ähnliche, ebenso ungünstige Verhältnisse · bestehen für die schweizerische Industrie beim Bezug von Eisen.

Die Folgen dieser Verhältnisse machen sich nach zweifacher Richtung hin geltend: Die schweizerische Produktion wird verteuert und trotz der Hochwertigkeit ihrer Erzeugnisse auf dem Weltmarkt von der billigen Konkurrenz teilweise aus dem Felde geschlagen.

Der Absatz unserer Exportindustrie stockt. Sie ist mitten in einer schweren Krisis. Dazu gesellt sich eine zunehmende Verdrängung auch auf dem Inlandmarkt infolge der steigenden Überschwemmung des Landes mit billigen ausländischen Fabrikaten. Es braucht dazu gar keine Dumping-Handlungen des Auslandes; dieses ist infolge der geschilderten Valutaverhältnisse ganz natürlicherweise imstande, erheblich billiger nach der Schweiz zu offerieren. Unter dieser Gefährdung des Inlandmarktes
leiden nun auch diejenigen Industrien, die zum grossen Teil oder vorwiegend für den Inlandmarkt arbeiten. So hat die geschilderte Situation dazu geführt, dass heute in zunehmendem Masse eine schwere Absatzkrisis sowohl die Exportindustrie, als auch die für den schweizerischen Markt arbeitende Industrie trifft.

115

Kurz nach Friedensschluss, insbesondere aber zu Beginn des Jahres 1919, zeigten sich die ersten wesentlichen Verschärfungen in den verschiedenen Produktionszweigen. Deshalb beschäftigte sich auch die vom Volkswirtschaftsdepartement auf den 18. und 19. Februar 1919 einberufene W i r t s c h a f t s k o n f e r e n z mit der Frage der Einfuhrerschwerung. Aber schon in dieser Konferenz zeigten sich die grossen Gegensätze, die das Problem kennzeichnen und die eine Lösung ausserordentlich erschweren. Zur Prüfung der eingehenden Gesuche für Einfuhrbeschränkungen bestellte das Volkswirtschaftsdepartement eine spezielle Expertenkommission. In dieser sind Handel, Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft, die Konsumentenkreise und die in Betracht fallenden eidgenössischen Amtsstellen vertreten.

Die Schwierigkeiten in der ganzen Frage liegen zur Hauptsache in folgenden Momenten: a. Wir leiden heute unter einer allgemeinen, man möchte sagen universellen Pròduktionskrisis, hervorgerufen durch eine schon seit längerer Zeit dauernde Absatzstockung. Soweit auch die schweizerische Produktion unter dieser allgemeinen Weltkrisis leidet, kann ihr auch durch Einfuhrbeschränkungen nicht wesentlich geholfen werden.

b. Einfuhrbeschränkungen können ferner den eigentlichen Exportindustrien, die zum überwiegenden Teil auf die Ausfuhr angewiesen sind, keine nachhaltige Hilfe bringen. Wenn eine Exportindustrie allerdings noch in erheblichem Masse für den Inlandverbrauch arbeitet, kann für sie die Krisis durch Schutz des Inlandmarktes einigermassen gemildert werden. Aber gerade die Eücksicht auf die spezifischen Exportindustrien bedingt gewisse Schwierigkeiten der Einfuhrbeschränkung, die in den internationalen Handelsbeziehungen begründet sind. Wenn auch allgemein die Verhältnisse während des Krieges dazu geführt haben, dass von einzelnen Staaten mit Eücksicht auf die heimische Volkswirtschaft gewisse Modifikationen an den Bestimmungen der Handelsverträge (manchmal in sehr einseitiger Weise) vorgenommen wurden, muss wohl abgewogen werden, ob der beabsichtigte Schutz eines Gewerbes, das für den Inlandmarkt fabriziert, nicht zu teuer erkauft wird mit der Gefährdung einer Industrie, die auf den Export angewiesen ist.

c. Einfuhrbeschränkungen können eventuell den für die ganze Volkswirtschaft so ausserordentlich wichtigen Preisabbau
hemmen oder mindestens verlangsamen. Da nun jeder Produzent auch wieder für bestimmte Artikel Konsument ist, ergibt sich im einzelnen Fall manchmal ein fast unlösbarer Gegensatz der Interessen. Gelingt es

116 »nicht, zu einem fühlbaren Preisabbau zu kommen, so bedeutet das eine Steigerung der Löhne und Gehälter und damit eine weitere Erschwerung der Existenzbedingungen für die schweizerische Produktion. Allerdings steht diesem. Moment entgegen, dass auch der vornehmlich konsumierenden Bevölkerung nicht damit gedient ist, wichtige Bedarfsartikel relativ billig kaufen zu können, wenn anderseits die Arbeitslosigkeit in bedrohlichem Masse ansteigt.

d. Es ist nicht zu verkennen, dass während des Krieges, bedingt durch die ausserordentlichen Verhältnisse, eine Eeihe von neuen Industrien entstanden sind, die nur unter diesen besondern Bedingungen überhaupt leben konnten. Eine Eeihe anderer Gewerbe haben sich erweitert und ihre Produktion vermehrt. Es wird nach Rückkehr einigermassen normaler Verhältnisse nicht möglich sein, diese Steigerung der Industrialisierung durch Einfuhrbeschränkungen zu schützen. Ein gewisser Abbau und eine Umstellung wird, so schmerzlich das für die Betroffenen auch sein mag, nicht zu umgehen sein.

Während des Krieges war es ferner einer Eeihe von an und für sich wenig rentablen Betrieben möglich, mit Erfolg zu produzieren. Auch solche Betriebe können nicht künstlich am Leben erhalten werden.

.e. Die Anhänger der prinzipiellen Handelsfreiheit, die sich dabei gern auf die Eesolutionen der Finanzkonferenz in Brüssel berufen, halten einen künstlichen Eingriff des Staates in den internationalen Güteraustausch, wie ihn Einfuhrbeschränkungen darstellen, für verfehlt und für unwirksam. Nach ihrer Ansicht wird nur auf dem Boden des freien Handels eine Gesundung des durch den Krieg gestörten Wirtschaftslebens stattfinden können. Dabei wird aber vergessen, dass diese freie Konkurrenz nur heilsam sein kann unter einigermassen gleichen Bedingungen. Diese Voraussetzungen sind aber heute infolge der gestörten Valutaverhältnisse für die Produktionskosten nicht vorhanden, und die Lebensbedingungen unserer Produktion sind so erschwert, dass eine freie Konkurrenz nicht anders als ruinös wirken kann.

Alle diese erwähnten Momente veranlassten die Expertenkommission, bei der Prüfung der Gesuche um Beschränkung der Einfuhr äusserst zurückhaltend zu sein. Bei jedem Gesuch wurden die in Betracht fallenden Paktoren: Arbeitslosigkeit, Konkurrenzpreise des Auslandes, Preisniveau im Inland, Vergleich der
Einfuhrziffern mit dem normalen Friedensimport, wichtigste Konkurrenzgebiete etc., untersucht und gegeneinander abgewogen. Eine erste und einzige Einfuhrbeschränkung 'wurde im Dezember 1919 für die Möbel ausgesprochen. Arbeitslosigkeit bedrohte damals ein Gewerbe mit zirka 20,000 Arbeitern. Während das normale Monatskontingent im

,W7"'

.

117

Friedensjahr 1913 1440 q betrug, stieg es im letzten Quartal 1919 auf nicht weniger als 14,180 q aus Deutschland und Österreich. Das Volkswirtschaftsdepartement machte von der ihm im Bundesratsbeschluss eingeräumten Kompetenz Gebrauch, den Import nur im Eahmen des-Vorkriegskontingentes zu gestatten.

Es darf heute konstatiert werden, dass die Möbeleinfuhrbeschränkung gute Dienste leistete und imstande war, Arbeitslosigkeit in diesem Industriezweig in grösserem Umfange zu verhüten. Die nicht mehr ruinöse, aber immerhin noch fühlbare Konkurrenz des Auslandes verlor dadurch ihre preisregulierende Wirkung nicht.

Schien es eine Zeitlang, als ob mit einer gewissen Besserung gerechnet werden könne, so haben sich heute die Verhältnisse wieder entschieden zum schlechtem gewendet.

Arbeitslosigkeit ist auf weiten Gebieten des Wirtschaftslebens in erheblichem Masse vorhanden. Schon zu Beginn des letzten Jahres litten darunter die Uhrenindustrie und die Stickerei. Im März begannen Betriebsreduktionen in mehreren Pappenfabriken, im Juni kamen Einschränkungen in der Kamm- und Seidenhilfsindustrie, im Juli in den Vorwerken der Seidenbandindustrie. Im August griff die Krisis auf die Schuhindustrie über; im September erfolgten Arbeitszeitverkürzungen in der Feinspinnerei, Fein Weberei und Zwirnerei, Entlassungen in der Hutgeflechtfabrikation und in der Papierindustrie. Im Monat Oktober verschärfte sich die Krisis auf fast allen Gebieten. Der November brachte die gänzliche Betriebseinstellung mehrerer Pappenfabriken und Arbeitszeitverkürzungen in der Motorwagenindustrie. Stillegungen fanden auch in der Glasfabrikation statt. Seit Beginn des neuen Jahres hat sich die Krisis auf weitere Pfoduktionsgebiete übertragen und durchwegs ganz wesentlich verschärft.

So ergibt beispielsweise eine Zusammenstellung für die Papierindustrie bei einer Arbeiterzahl von 35ÛO pro 1919 unmittelbar bevorstehende Entlassungen für 2108 und bevorstehende Arbeitszeitreduktion für 835 Arbeiter.

Die vom Amt für Arbeitslosenfürsorge ermittelte Arbeitslosigkeit ergibt auf 10. Januar 1921 21,900 ganz und 53,500 teilweise Arbeitslose. Dabei ist wohl zu berücksichtigen, dass alle in Notstandsarbeiten" Beschäftigten nicht als Arbeitslose aufgeführt werden, trotzdem sie ihrem eigentlichen Beruf entfremdet sind. °

118 Die notleidenden Erwerbszweige und Industrien, die sich mit Gesuchen (im ganzen bis heute über 400) an das Volkswirtschaftsdepartement gewandt haben, vertreten bald sämtliche Produktionsgruppen. Das Volkswirtschaftsdepartement verfolgt seit langem alle Zollpositionen, bei denen ein besonderes Ansteigen der Einfuhr beobachtet wird. Die nachstehende Auswahl zeigt, welch beunruhigende Einfuhrziffern die ersten U Monate des Jahres 1920 für viele Positionen aufweisen im Vergleich zum letzten Normaljahr 1913.

arif-Nr.

Ware

240

Bauholz abgebunden Parkett Holzwaren aller Art, im allgemeinen Tarif nicht anderweitig genannt Bauschreinerwaren, glatt, roh .

Bauschreinerwaren, -andere Küfer- und Küblerwaren, ohne Eisenbeschläge .

. . . .

Küfer- und Küblerwaren, mit Eisenbeschlägen .

. . .

Einfuhr 1913

q

242 250 251 252 256« 256c

259 278 292 300 301 332 339 512 513 515 538 541 544 546 629 632

Schreinerwaren, Möbel und Möbelteile Korbmöbel aus Flechtweiden .

Graue Pappen .

. . . .

Zeitungsdruckpapier Anderes einfarbiges Druck-,Schreibund Zeichnungspapier Enveloppen, lose verpackt .

Garnhülsen aus Papier oder Pappe Korbflechterwaren ohne Gestell .

Korbflechterwaren aus geschälten Weiden Korbflechter waren, andere .

Baumwollene Strümpfe Seidene Strümpfe Wollene Strümpfe Kleidungsstücke für Herren und Knaben aus Baumwolle .

Schmirgel, roh; Carborundum. .

Schmirgelscheiben

2,876

1,621 18,767 3,794

1,015

Einfuhr 1920 ohne Dezember q 6,482 3,093

27,579

5,192 3,533

4,668

21,770

1,189

6,153

2,006

260

3,216 369

20,370 3,323

34,073 11,790

43,681

86,485 2,305

825 178 198

1,611 2,772-

2,177 138 1,204 39 398

3,515 294 1,743 250 1,259

1,281

3,594 2,443 6,694

°268 3,306

119 Tarif-Nr.

Ware

676 679 691

Feine Steinzeugwaren . . . .

Isolatoren aus Porzellan Hohlglas, aus schwarzem, braunem u n d grünem Glas . . . .

Hohlglas aus halbweissem Glas .

Rundeisen

. Einfuhr 1913 Q

504 14,022

Einfuhr 1920 ohne Dezember q

1,957 25,649

28,755 56,120 5,848 6,701 692 35,974 19,004 712 35,908 25,035 713 T) 10,849 45,287 Flacheisen .

716 17,422 65,481 717 n 35,868 7236 Eisen, gezogen oder kalt gewalzt 17,567 2,834 681 774 Drahtstiften .

. . .

1,412 704 784« Kassaschränke .

4,337 2,515 784ö Andere Eisenmöbel i 5 Alurniniumwaren, andere als tech867 626 1,620 nische 203. s 874 a Gold- und Silberschmiedwaten 139.8 7,554 3,004 885 Webstühle j 1,142 4,446 Strick- und Wirkmaschinen .

887 20,572 33,160 8936 Landwirtschaftliche Maschinen 106,507 M 6 Werkzeugmaschinen 38,670 7,660 1,784 905 Ökonomie- und Lastwagen .

1,982 3,202 Kinderwagen, Kinderschlitten .

910 44,227 4,586 9136 Automobile, ohne Lederüberzug .

6,008 68,108 9146 Automobile mit Lederüberzug.

27,566 919 Eisenbahnwagen für Güter 13,203 8,706 5,064 957 Klaviere 537 982 Parfümerien 258 2,063 983 1,201 n · 1141 20,980 44,305 Gewöhnliche Seifen 3,763 1142 2,156 Toiletteseifen 1152 465 605 Reiseartikel aus Leder . . . .

1,987 1153 898 Reiseartikel, andere Diese Auswahl will nicht bedeuten, dass die angeführten Positionen geschützt werden sollen. Im Einzelfall müssen die Verhältnisse und Produktionsbedingungen noch untersucht werden.

Sie will aber auch nicht sagen, dass nur diese Positionen ·schutzbedürftig seien. Eine Reihe weiterer Warenkategorien zeigen gerade in den letzten Monaten ein Ansteigen des Imports, das im höchsten Grade beunruhigend ist, und das ganze Produktionszweige in Gefahr

120 bringt, ohne dass der Gesarntimport 1920 gegenüber 1913 schon abnorme Dimensionen angenommen hätte.

Auch die Bewegung der Wertziffern des Aussenhandels zeigt deutlich die zwei Hauptgründe der gegenwärtigen Krisis: Vermehrte Einfuhr und verminderte Ausfuhr. Das geht aus nachstehenden Ziffern hervor: Import

Export

in Mili.

in Mili.

1919:

I. Quartal 579 461 II.

» 962 753 III.

» 995 1069 IV.

» 997 1015 1920: I. Quartal 1050 866 ' II.

» 1095 898 III.

>» 1069 820 Erste 11 Monate total 3985 3068 Die Passivität der schweizerischen Handelsbilanz beträgt darnach schon in den ersten 11 Monaten 917 Millionen Franken gegenüber nur 235 Millionen im Jahre 1919. Vor dem Kriege war die Passivität der schweizerischen Handelsbilanz im Jahre 1912 mit 621 Millionen am grössten. Das war aber zu einer Zeit, wo für die schweizerische Volkswirtschaft eine Eeihe von Einnahmen bestanden, die heute wegfallen. Da die Verhältnisse auch im Dezember 1920 die in den obigen Zahlen zum Ausdruck gebrachte Tendenz noch verschärfen werden, wird mit einer Passivität der schweizerischen Handelsbilanz für das ganze Jahr 1920 von zirka l Millarde Franken zu rechnen sein.

II.

, So präsentiert sich heute die Situation für die schweizerische Produktion folgendermassen : Die meisten Industriezweige sind nicht imstande, die Konkurrenz mit der Valutaware aufzunehmen. Sie sind dies auch nicht bei einem wesentlichen Preisabbau, denn das valutaschwache Ausland kann immer noch billiger liefern. Tatsache ist eben, dass diese Valutaware im allgemeinen gerade nur so viel billiger in die Schweiz verkauft wird, als nötig ist, um den schweizerischen Produzenten aus r dem Felde zu schlagen (10--15 %). Die Differenz steckt zum Teil der Fabrikant des Lieferungslandes, zum Teil der betreffende Staat in Form von Auslandzuschlägen ein. Nimmt also auch der schweizerische Produzent den letzten noch möglichen Preisabschlag vor und verkauft er ohne Gewinn, so ist es dem valutaschwachen Ausland ein Leichtes, immer noch wesentlich darunter zu gehen.

121 Die erste Folge dieser Zustände war in den meisten Fabrikationszweigen die Produktion auf Lager. Gewiss ist anfänglich vielfach der Fehler gemacht worden, nicht früh genug mit den Preisen auf das tiefstmögliche Mass herunterzugehen. Die Produktion auf Lager hat aber eine Grenze, namentlich heute, in der Zeit der Kreditanspannung und des teuren Geldes. Der Produktion auf Lager folgt die Zeit der Betriebseinschränkungen und der Arbeiterentlassungen, und damit kommt die Arbeitslosigkeit im grossen Massstabe. In diesem Stadium befinden wir uns h$ute.

Gewiss ist eines richtig : Eine endgültige Besserung und eine dauernde Heilung der Krisis können die Einfuhrbeschränkungen nicht bringen, und deshalb mögen wohl sehr oft die Hoffnungen der direkt Beteiligten mit Bezug auf diese Massnahme zu hoch geschraubt sein. Es ist für ein industriell hoch entwickeltes Land wie die Schweiz nicht möglich, sich dauernd gegenüber dem Ausland bis zu einem gewissen Grade abzuschliessen, Besserung kann nur ein allgemeiner Ausgleichsprozess in der gesamten Weltwirtschaft bringen.

Deshalb wird ein schwieriger Anpassungsprozess unvermeidlich sein. Er muss einerseits in einer Minderung der schweizerischen Produktionskosten und anderseits in einer Steigerung der ausländischen Gestehungskosten liegen. Letzteres wird die Folge sein entweder einer Valutabesserung der betreffenden Länder oder einer Senkung der Kaufkraft der betreffenden Währungen. Dieser Anpassungsprozess wird auch für die schweizerische Produktion Begleitumstände mit sich bringen, die an und für sich zu bedauern sind. Aber er bildet den einzigen Weg zur Wiederherstellung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes.

Der heutige Moment des wirtschaftlichen Übergangs erheischt nach unserer Ansicht ein Eingreifen des Staates. Als zu ergreifende Massnahmen kommen in Betracht: 1. Erhöhung der Einfuhrzölle, 2. Einfuhrbeschränkungen.

Die Einfuhrzölle werden auf Grundlage des Gebrauchstarifs erhoben, dessen Ansätze im Rahmen derjenigen des Generaltarifs festgesetzt oder durch Handelsverträge bestimmt werden. Der Warenwert hat bei der Festsetzung der Ansätze des Gebrauchstarifs selbstverständlich eine hervorragende Rolle gespielt, so dass sie den Charakter von spezifischen Zöllen, von stabilisierten Wertzöllen erhielten. Im Jahre 1912 betrug die mittlere Zollbelastung ungefähr
6,29 °/o des Wertes der eingeführten Waren. Seither haben jedoch die Handelswerte eine gewaltige Steigerung erfahren, während die Zollansätze gleichgeblieben sind, mit Aus-

122 nähme der durch Handelsverträge nicht gebundenen Positionen, die im Jahre 1920 eine geringe Erhöhung erfahren haben. Wir stehen somit heute vor der Tatsache, dass die Zollansätze durchschnittlich nur noch 3 °/o des Einfuhrwarenwertes ausmachen.

Zu dieser ersten Störung gesellte sich ein bisher noch nie gesehener Sturz der ausländischen Währungen, welcher für unsere «inheimische Produktion vollständig neue, ausserordentliche Verhältnisse schuf und den massigen Schutz, den ihr die Zölle vor dem Kriege verschafften, wirkungslos machte. Diese Verhältnisse benachteiligten die inländischen Produzenten in hohem Masse, indem sie die wirtschaftliche Wirkung der Einfuhrzölle stark verminderten, wenn nicht aufhoben, so dass die bestehenden Zollansätze im Grunde genommen zu statistischen Gebühren ohne ausgleichende Kraft geworden sind. Die Notwendigkeit, das tarifarische Gleichgewicht wieder herzustellen, zeigt sich in dringender Form.

Durch Beschluss vom 23. Juni 1920 haben Sie die Ansätze auf den nicht durch Handelsverträge gebundenen Positionen erhöht. Diese Erhöhung geschah in erster Linie nicht in der Absicht, das durch die Wertsteigerung gestörte Verhältnis wieder herzustellen, sondern sie verfolgte offensichtlich und hauptsächlich fiskalische Zwecke. Die wirtschaftliche Lage einerseits und die finanziellen Bedürfnisse anderseits verlangten jedoch schon zu jener Zeit gebieterisch eine allgemeine provisorische Erhöhung der Einfuhrzölle.

In Anbetracht der unsicheren wirtschaftlichen und handelspolitischen Lage und des Umstandes, dass wir gewillt waren, die noch zu Kraft bestehenden Handelsverträge genau zu beobachten, glaubten wir jedoch damals auf diese Massnahme verzichten zu sollen. Leider aber hat sich seither unter der Einwirkung der immer ungünstiger sich gestaltenden Verhältnisse die wirtschaftliehe Lage unseres Landes so verschlimmert, dass wirksamere Schutzmassnahmen sich in gebieterischer Weise aufdrängen. Die Ihnen vorgeschlagene Revision des Zolltarifs soll vor allem in gewissem Masse das tarifarische Gleichgewicht wieder herstellen; sie ist aber zugleich von wichtiger fiskalischer Bedeutung.

Allerdings scheint auf den ersten Blick die Totalrevision des Zolltarifs von 1902 die einfachste Lösung zu bedeuten, eine Revision, für welche die Vorarbeiten schon vor dem Krieg an die Hand genommen worden waren. Tatsächlich haben schon im Jahre 1914 Besprechungen' in Bezug auf die Vorbereitung der

123 Revision der Handelsverträge stattgefunden. Die Weltereignisse haben jedoch die weitere Entwicklung unterbrochen und die ausserordentlich unsichere wirtschaftliche Lage der Nachkriegszeit verhinderte die Wiederaufnahm» dieser Vorabeiten. Wir müssen uns fragen : ist ' bei der- gegenwärtigen Situation überhaupt die Durchführung einer Revision unseres Generalzolltarifs von Grund auf durchführbar ? Für denjenigen, welcher sich über die Wichtigkeit der gestellten Aufgabe, sowie über die Menge der zu lösenden verschiedenartigsten Fragen Rechenschaft geben kann, unterliegt es keinem Zweifel, dass es zur Durchführung einer Totalrevision des Generalzolltarifes bis zur Inkraftsetzung eines neuen Gebrauchstarifs längere Zeit bedarf. Es erscheint klar, dass auf diesem Wege dem dringenden Bedürfnis unserer Wirtschaft nicht entsprochen werden könnte, weil die Wirkung der zu treffenden Massnahmen zu spät einsetzen würde.

Der Bundesrat sucht deshalb von Ihnen um die Ermächtigung nach, sofort die notwendigen Massnahmen auf dem Wege der vorläufigen Revision des Zolltarifs treffen zu dürfen.

Mehrere Staaten, die sich in einer, der unsrigen ähnliehen, wenn auch nicht so kritischen Lage befanden, haben nicht gezögert, ihren Regierungen die notwendigen Kompetenzen zu erteilen, um diese instandzusetzen, unverzüglich die erforderlichen Massnahmen anzuordnen. Um die wirtschaftliche und fiskalische Wirkung der Zölle wieder herzustellen, haben unsere Nachbarstaaten, ungeachtet der bestehenden Handelsverträge, einseitig ihre Zolltarife erhöht, sei es durch Einführung von Zollzuschlägen, sei es durch Festsetzung von Erhöhungskoeffizienten. Wir beabsichtigen keineswegs, uns den eingegangenen handelsvertraglichen Verpflichtungen zu entziehen. In ähnlicher Weise wie das unsere Vertragsstaaten getan haben, wünschen wir aber, die Wirkung des Zolltarifs in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht soweit wieder herzustellen, wie sie beim Abschluss der Handelsverträge beabsichtigt und vorhanden war. Unsere Vertragsstaaten werden das umso eher verstehen, als sie selber seit langem von sich aus in ähnlicher Weise vorgegangen sind.

Auch abgesehen von den wirtschaftlichen Erwägungen hätten fiskalische Rücksichten, wie wir bereits wiederholt entwickelten, zu einer Erhöhung des Zolltarifs führen müssen. Da nun die ausserordentlich
schwierige wirtschaftliche Lage ein rascheres und ein etwas anderes Vorgehen nötig macht, als wir es vom fiskalischen Standpunkt aus ins Auge gefasst haben, und da anderseits doch eine getrennte und doppelte Aktion nicht denkbar ist, so gestatten wir uns, hier auch noch' einige Bemerkungen finan-

124

zieller Art zur Geltung kommen zu lassen. Die nachstehenden Ausführungen sollen beweisen, dass die von uns geplante vorläufige Zollerhöhung keineswegs etwa ein ungünstiges Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern herbeiführen wird.

Der durch Mehreinnahmen zu deckende jährliche Fehlbetrag der Staatsrechnung kann auf ungefähr 130 Millionen Franken veranschlagt werden. Trotz der zum Teil bereits durchgeführten finanziellen Massnahmen werden die Gemeinden und Kantone zusammen jährlich noch 70 Millionen Franken aufzubringen haben, um das finanzielle Gleichgewicht wieder herstellen zu können.

Es scheint uns ausserdem angezeigt, das Verhältnis zwischen den in der Schweiz erhobenen direkten und indirekten Abgaben zu beleuchten. Die durch das eidgenössische Finanzdepartement vorgenommenen Ermittlungen über die in der Periode von 1914 bis 1919 erhobenen Steuern ergeben folgendes Bild: Ertrag der Steuern 1914 bis 1919 Eidgenossenschaft, Kantone und Gemeinden.

Gemeinde-, kantonale und eidgenössische Steuern auf Vermögen und Einkommen.

Total Fr.

1914 1915 1916 1917 1918 1919

148,574,000 153,329,000 228,598,000 317,389,000 415,294,000 496.569,000 1,759,753,000

Auf den Kopf der Bevölkerung

Fr.

37. 14 38.34 57.15 79.34 103. 82 124. 14

Verbrauchssteuern, Regale etc.

Total Fr.

83,108,000 72,106,000 76,979,000 69,294,000 60,574,000 86,742,000 448,803,000

Auf den Kopl der Bevölkerung

Fr.

20.78 18.03 19.24 17. 32 15. 14 21.68

Total Fr.

231,682,000 225,435,000 305,577,000 386,683,000 475,868,000 583,311,000 2,208,556,000

Von einem Totalsteuerbetrag von 2200 Millionen Franken entfallen auf die direkten Steuern 1759 Millionen Franken, während die indirekten Abgaben in der gleichen Periode nur 448 Millionen Franken einbrachten. Mit andern Worten, die indirekten Abgaben haben kaum mehr als 20 % bzw. einen Fünftel des Totalbetrages der während der Kriegszeit erhobenen Steuern betragen. Dabei darf nicht ausser acht gelassen werden, dass in den Jahren 1916 bis 1920 ein grosser Teil der Einnahmen der Eidgenossenschaft aus den direkten Steuern durch die Kriegsgewinnsteuern eingebracht wurde.

126 Lässt man die Ergebnisse der Kriegsgewinnsteuer und anderer ähnlicher Massnahmen beiseite, so zeigt die finanzielle Lage der Eidgenossenschaft unter Zugrundelegung der bisherigen Steuerveranlagung folgendes Bild: 1. direkte, von der Eidgenossenschaft bezogene Steuern: a) Kriegssteuer Fr. 40 Millionen b) Stempelsteuer ,, 2 0 ,, 2. direkte, von den Kantonen bezogene Steuern ,, _ 145 ,, direkte, von den Gemeinden bezogene Steuern ,, 115 ,, Total Fr. 320 Millionen.

Dabei ist noch in Betracht zu ziehen, dass wie bereits erwähnt, die Kantone und Gemeinden, trotz der bedeutenden, von ihnen durch direkte Steuer erhobenen Beträge, immer noch ein jährliches Defizit von 70 Millionen Franken zu decken haben; Wenn wir auch annehmen, dass sich ungefähr die Hälfte dieser Summe, d. h. 35 Millionen Franken, durch Verminderung der Ausgaben, durch bessere Erträgnisse der Regiebetriebe und durch anders noch zu erschliessende Einnahmequellen, einbringen lassen dürfte, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass die direkten Steuern in Zukunft 35 Millionen Franken mehr abwerfen müssen.

Übrigens sind sowohl die Kantone als auch die Gemeinden im Begriffe, ihre Steuergesetze zum Zwecke einer Erhöhung der Erträge zu revidieren. Die Summe, die durch direkte Steuern aufgebracht werden muss, kann somit auf jährlich 355 Millionen Franken geschätzt werden, ohne die eidgenössische Couponsteuer, die ungefähr 20 Millionen Franken jährlich abwerfen soll. Ein diesbezüglicher Entwurf ist bereits in Ihren Händen.

Andernteils kann der Ertrag der von Kantonen und Eidgenossenschaft erhobenen indirekten Steuern einschliesslich die auf 100 Millionen Franken zu veranschlagenden Zolleinnahmen auf 120 Millionen Franken geschätzt werden. So ergibt sich bei einem Totalbetrag von 355 Millionen an direkten und 120 Millionen an indirekten Steuern ein Verhältnis zwischen direkten und indirekten Steuern von 3/* zu */*· Diese jährliche Einnahme von 120 Millionen stellt für die Schweiz eine ungefähre Belastung von Fr. 30 auf den Kopf der Bevölkerung dar. Es ergibt sich aus den Rechnungen der verschiedenen Staaten, dass die indirekten Steuern im Durchschnitt auf den Kopf der Bevölkerung ausmachen :

12G

Belgien . . . . e. . .

F r . 79.20 Frankreich ,, 195. 50 England ,, 189.15 Holland .,, 63.85 Schweden ,, 32. 10 Norwegen ,, 67.-- Dänemark ,, 85. 48 Im weitern ist es von Wichtigkeit, die Ansätze zu kennen, die heute den Betrag -von 350 Millionen Franken ergeben.

Wir werden den Teil des Einkommens oder des Verdienstes abzuschätzen suchen, den der Steuerpflichtige dem Fiskus abzuliefern hat. Es scheint uns indessen nicht notwendig, hier die vorn eidgenössischen Finanzdepartement erstellte Tabelle über die Steuerbelastung in allen wichtigen Städten der Schweiz zu reproduzieren, sondern es dürfte genügen, an Hand einiger Beispiele die Belastung des Steuerpflichtigen durch direkte Steuern in einigen der wichtigsten Städte darzustellen.

In Bern unterliegt das Verdiensteinkommen im Jahre 1920 folgenden Steueransätzen : Fr. 5,000 bezahlen . . . .

7,7 °/o, ,, 10,000 ,, . . . . 10,o°/o, ,, 20,000 ,, . . . . 12,8%.

Das Maximum der Steuerbelastung beträgt 15,9 %· Unter der Voraussetzung, dass die kantonalen und Gemeindesteuern nicht erhöht werden, werden diese Ansätze infolge der Erhebung der Kriegssteuer im Jahre 1921 auf 8, 11,6, 13,s und 20,9 °/o steigen.

Die dem Vermögen auferlegte Maximalbelastung wird sich in Zukunft, Kriegssteuer inbegrifien, bei einem kapitalisierten Zinsfuss von 5 % auf 49,9 °/o des Ertrages belaufen, sofern angenommen wird, dass'·weder Kantons- noch Gemeindesteuern eine Erhöhung erfahren. Eine solche Erhöhung dürfte nicht ausgeschlossen sein, da das Budget der Stadt Bern ein Defizit von 3,6 Millionen Franken vorsieht und dasjenige des Kantons ein solches von 10,25 Millionen Franken.

In Basel-Stadt hat der Grosse Rat soeben in dritter Lesung ein neues Steuergesetz angenommen, welches folgende Abgaben vorsieht : Es wird jährlich zu bezahlen sein : bei einem Einkommen von Fr. 10,000 . . . . Fr. 1,131 ,, ,, ,, ,, ,, 25,000 . . . . ,, 4,800 ,, ,, ,, ,, ,, 50,000 . . . . . 18,000

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Der Regierungsrat des Kantons Solothurn hat einen Entwurf zu einem Steuergesetz ausgearbeitet, welcher eine Höchstbelastung .

des Arbeitseinkommens mit 20°/o und eine solche von 45°/o auf dem arbeitslosen Einkommen vorsieht.

Im Kanton Aargau hat der Grosse Rat in erster Lesung einen Gesetzesentwurf bereinigt mit folgenden Höchstansätzen : 20 % für das Arbeitseinkommen und 30 °/o für das arbeitslose Einkommen. Diese Ansätze erhöhen sich auf 25 bzw. 42 °/o, sofern die Kriegssteuer dazu gerechnet wird.

In Lausanne belaufen sich die auf dem Vermögen zu entrichtenden Kantons- und Gemeindesteuern auf 30 °/o des Ertrages, mit Zurechnung der Kriegssteuer auf 42 °/o.

Bei unsern Aufstellungen haben wir weder die für Kultuszwecke erhobenen Steuern, noch die besondern Gebühren und Abgaben verschiedener Art in Rechnung gebracht.

Endlich darf nicht vergessen werden, dass die Voranschläge der Kantone und städtischen Gemeinden trotz der schweren Belastung der Steuerzahler noch erhebliche Defizite aufweisen. Die Voranschläge der sieben Städte Zürich, Bern, Luzern, St. Gallen, Lausanne, Neuenburg und Genf z. B. sehen für das Jahr 1920 ein Defizit von insgesamt 14,5 Millionen Franken vor. Das für 1921 berechnete Defizit beträgt immer noch 9 Millionen Franken.

Wenn man in Betracht zieht, dass die Defizite der Kantone und Gemeinden, die einen Totalbetrag von 60 Millionen Franken ausmachen, zum grossen Teil durch direkte Steuern gedeckt werden müssen, so werden die meisten Kantone und Gemeinden gezwungen sein, ihre Steueransätze zu erhöhen.

Die immer sich verschärfende wirtschaftliche Krisis wird ihre finanzielle Lage noch bedeutend verschlechtern, indem ihnen dadurch einerseits mehr Ausgaben erwachsen, während anderseits die Einnahmen zurückgehen dürften. Diese Krisis wird zweifellos auf die fiskalischen Einnahmen eine ungünstige Wirkung ausüben, indem sie die Steuerkraft der Industrie schwächt, und damit den Ertag der Gemeinde- und kantonalen Steuern nicht unerheblich beeinträchtigt.

Eine fiskalische Gesetzgebung, die auf solider sozialer Grundlage beruht, muss das Vermögen und das ein gewisses Mass überschreitende Arbeitseinkommen kräftig zur Besteuerung heranziehen. Aus den dargelegten Tatsachen und den daraus zu ziehenden Schlüssen ergibt sich aber auch, dass die Eidgenossenschaft einen grossen Teil des
Fehlbetrages von 130 Millionen Franken beförderlichst aus den indirekten Steuern herausschlagen muss, will sie das Gleichgewicht ihres Voranschlages wieder herstellen.

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Fügen wir noch bei, dass die Liquidation der verschiedenen Kriegsorganisationen, speziell des Ernährungsamtes, die während der Periode der Schwierigkeiten von so grossem Nutzen waren, ferner die Massnahmen zur Verbilligung der Lebenshaltung dem Staate Ausgaben verursachten, die uns die neuen Zolleinnahmen decken helfen sollen.

' Zu den Gründen wirtschaftlicher Art, die gebieterisch eine unverzügliche Revision unseres Zolltarifs erfordern, kommen also dringende Gründe fiskalischer Natur. Der Bundesrat schlägt Ihnen vor, es sei ihm die Lösung dieser dringenden und zugleich wichtigen Aufgabe zu übertragen durch Erteilung der grundsätzlichen Ermächtigung, die Zollansätze der heutigen wirtschaftlichen Situation anzupassen. In der Absicht, eine Verteuerung der Lebenshaltung tunlichst zu vermeiden, wird der Bundesrat sich beim Vollzug des zu erteilenden Auftrags von den in Art. 29 der Bundesverfassung niedergelegten Grundsätzen leiten lassen. Die Massnahmen, die vorübergehenden Charakter tragen sollen, bezwecken keineswegs eine Festigung der gegenwärtigen Preisbildung. Tatsächlich halten sich viele Preise heute noch in einer ausserordentlichen Höhe, weil sie durch die Spekulation in erheblichem Masse beeinflusst sind. Die Zollansätze auf den für die Industrie und die Landwirtschaft benötigten Rohstoffen und den hauptsächlichsten Bedarfsartikeln würden voraussichtlich nur eine unbedeutende Veränderung erfahren, indem die mittlere Grenze der Erhöhung grundsätzlich nur überschritten werden soll, einmal für die Luxuswaren, weil es an der Zeit ist, diese Artikel schärfer zu erfassen, und dann in denjenigen Fällen, wo die Bedürfnisse unserer nationalen Wirtschaft es erfordern.

Betrachten wir die Massnahmen, die anderswo auf diesem Gebiete getroffen wurden, so sehen wir, dass Frankreich durch Dekret seine Zollansätze mit dem Erhöhungskoeffizienten 3 als Mittel erhöht hat. Belgien ist diesem Beispiel gefolgt. Deutschland, Österreich und Italien haben als valutaschwache Länder die Wiederherstellung des fiskalischen Gleichgewichtes und den noch wichtigern wirtschaftlichen Schutz in der Forderung der Zahlung der Zölle in Gold gefunden. In der Tat war es für unsere Nachbarn im Süden und Norden viel vorteilhafter, die Parität des Kurses für die Zollzahlungen wieder herzustellen, indem eine Erhöhung durch dieses
Mittel viel wirksamer war als diejenige, die durch die Einführung von Zuschlagskoeffizienten nach französischem oder belgischem Muster hätte herbeigeführt werden können.

129 Angesichts dieser ganz veränderten Sachlage erscheint es uns nicht angezeigt, untätig zu bleiben und die alten, heute unwirksamen Zollansätze fernerhin beizubehalten. Wenn es auch nicht notwendig erscheint, allgemein so hohe Zollzuschläge vorzusehen, wie dies von Seiten unserer Nachbarn geschehen ist, so kann man sich der Tatsache doch nicht verschliessen, dass ein rasches Handeln sich gebieterisch aufdrängt.

III.

Die der heutigen Wirtschaftslage angepassten Zollsätze dürften imstande sein, für viele Erwerbszweige, industrielle, gewerbliche und landwirtschaftliche, den absolut notwendigen Schutz zu bringen, sodass weitere Massnahmen für den Augenblick nicht ergriffen werden müssen. Für diejenigen, unter normalen Verhältnissen lebensfähigen Produktionszweige aber, für die dieser Zollschutz infolge der Valutaverhältnisse den Euin nicht abzuwenden vermöchte, kämen ausnahmsweise und vorübergehend Einfuhrbeschränkungen, sei es durch Kontingentierung, sei es nötigenfalls durch temporäre Sperre, in Frage.

Das in der gleichen Richtung wirkende Möbeleinfuhrverbot wurde seinerzeit auf Grund der ausserordentlichen Vollmachten erlassen. Wir stehen heute auf dem Standpunkt, dass der grundsätzliche Entscheid nunmehr der Bundesversammlung zustehen muss.

Wir unterbreiten Ihnen deshalb als Beilage den Entwurf zu «inem Bundesbeschluss. Seine Hauptmomente sind kurz folgende: 1. Er überträgt die Kompetenz der Eegelung der Einfuhr bestimmter Warenkategorien dem Bundesrat. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind heute so beweglich und die Produktionsbedingungen können sich in den einzelnen Erwerbszweigen so rasch ändern, dass eine Bezeichnung dieser zu schützenden Produktionszweige wohl nicht in den Bundesbeschluss selber aufgenommen werden kann: Die Vorlage ist nach ihrem Wortlaut keineswegs etwa nur auf Produkte der Industrie und des Gewerbes beschränkt. Die Verhältnisse können aus gleichen oder ähnlichen Gründen auch einen Schutz gewisser landwirtschaftlicher Produkte erfordern. Unter diesen Voraussetzungen können die gleichen Schutzmassnahmen auch auf diese Zweige der nationalen Produktion ausgedehnt werden.

2. Der Bundesrat soll die Möglichkeit haben, Massregeln zu ergreifen, um die Inlandversorgung in den zu schützenden Waren zu angemessenen Preisen sicherzustellen. Es soll dadurch erreicht werden, dass im allgemeinen der Schutz einer bestimmten Produktion Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. I.

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zugleich mit einem Preisabbau auf den betreffenden Waren verbunden wird.

8. Die Durchführung der ganzen Massnahme bedingt natürlich einen gewissen Verwaltungsapparat. Es ist somit gegeben, dass für Einfuhrbewilligungen in Berücksichtigung des Preises und des Wertes der Waren angemessene Gebühren erhoben werden.

4. Die Dringlichkeit des vorgeschlagenen Bundesbeschlusses dürfte aus seiner ganzen Natur resultieren und deshalb nicht weiter zu begründen sein.

Wir stützen uns auch bei dieser Vorlage auf den Schlusssatz des Art. 29 der Bundesverfassung, der lautet: «Dem Bunde bleibt immerhin das Recht vorbehalten, unter ausserordentlichen Umständen, in Abweichung von vorstehenden Bestimmungen (des Art. 29) vorübergehend besondere Massnahmen zu treffen.» Die Verhältnisse sind heute für die schweizerische Produktion so ausserordentlich wie nie. Wenn irgend je, so sind deshalb wohl jetzt solche besondern Massnahmen gerechtfertigt. Die ganze Angelegenheit ist für die Schweiz zu einer Existenzfrage geworden, die ein längeres Hinausschieben nicht mehr erträgt.

Wir beehren uns deshalb, Ihnen die nachfolgenden Beschlussesentwürfe zur Annahme zu empfehlen und ersuchen Sie, angesichts der Dringlichkeit der Vorlagen, dieselben noch in dieser Session zu behandeln.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

Bern, den 24. Januar 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates.

Der Bundespräsident:

Schulthess.

Der Bundeskanzler : Steiger.

131 (Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

die vorläufige Abänderung des Zolltarifs.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf den Schlussatz des Art. 29 der schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 24. Januar 1921, beschliesst: Art. 1. Zum Zwecke der Anpassung des Zolltarifs an die heutige wirtschaftliche Lage wird der Bundesrat ermächtigt, im Sinne einer vorübergehenden Massnah m e die Zollansätze zu erhöhen und auf den bisher zollfreien Waren Zölle zu erheben.

Art. 2. Der gegenwärtige Beschluss wird als dringlich erklärt und tritt sofort in Kraft.

132 (Entwurf.

Bimdesbeschluflg betreffend

die Beschränkung der Wareneinfuhr.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf den Schlusssatz des Art. 29 der schweizerischen Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom.24. Januar 1921, beschliesst: Art. 1. Zur Vermeidung der Arbeitslosigkeit und zum Schütze der nationalen Produktion, soweit diese in ihren Lebensbedingungen bedroht ist, kann der Bundesrat im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse des Landes, ausnahmsweise und vorübergehend die Einfuhr bestimmter, von ihm zu bezeichnender Waren beschränken oder von einer Bewilligung abhängig erklären.

Art. 2. Setzt der Bundesrat, gestützt auf Art. l hiervor, Einfuhrbeschränkungen fest, so kann er zugleich das Notwendige anordnen, um in den betreffenden Waren die Inlandversorgung zu angemessenen Preisen, sei es durch Vereinbarung, durch Preisnormierung oder in anderer Weise, zu sichern.

Er kann für die Erteilung der Einfuhrbewilligungen, in Berücksichtigung des Preises und des Wertes der Waren, angemessene Gebühren festsetzen.

Art. 3. Der Bundesrat kann auf die Übertretung der in Ausführung dieses Beschlusses erlassenen Vorschriften Strafen festsetzen und sie mit Busse bis auf Fr. 10,000 oder mit Gefängnis bis auf 8 Monate bedrohen.

133

Beide Strafen können verbunden werden.

Die Verfolgung und Beurteilung der Übertretungen liegt den kantonalen Behörden ob, soweit der Bundesrat nicht einzelne Fälle an das Bundesstrafgericht überweist.

Der erste Abschnitt des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht vom '4. Februar 1853 findet Anwendung.

Art. 4. Der Bundesrat ist. mit dem Vollzuge dieses Bundesbesóhlusses beauftragt. Er wird die nötigen Ausführungsbeschlüsse erlassen.

Art. 5. Der gegenwärtige Beschluss wird als dringlich erklärt und tritt sofort in Kraft.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die vorläufige Abänderung des Zolltarifs und die Beschränkung der Wareneinfuhr. (Vom 24. Januar 1921.) I

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