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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Rekurse von Kantonen und Gemeinden gegen den Bundesratsbeschluß vom 10. August 1900, betreffend Einreihung der Linien Palezieux-Lyß, Freiburg-Payerne-Yverdon, Solothurn-Lyß, Solothurn-Herzogenbuchsee, ZofingenSuhr-Aarau, Wettingen - Suhr, Brugg-Hendschikon, Glarus-Linthal und Cadenazzo - Locarno unter die Nebenbahnen.

(Vom 12. Februar 1901.)

Tit.

In Ausführung des Art. l, AI. 2, des am 15. April 1900 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über Bau und Betrieb- der schweizerischen Nebenbahnen vom 21. Dezember 1899 haben wir.

mit Beschluß vom 10. August abbin diejenigen bestehenden oder in Bau begriffenen Bahnen und Bahnstrecken bezeichnet, welche als Nebenbahnen zu betrachten sind.

; Gegen diesen Entscheid wurden auf Grund des Art. l, AI. 3, des erwähnten Gesetzes für folgende Bahnlinien, beziehungsweise Bahnstrecken der Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen : Netz der Jura-Simplon-Bahn : a. Palezieux-Lyß, b. Freiburg-Payerne-Yverdon.

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Nets der Ceniralbahn (inkl. Aargauische SüdbahnJ: c.

d.

e.

f.

Solothurn-Lyß, Solothurn-Herzogenbuchsee, Zofingen-Aarau, Brugg-Hendschikon.

Nets der Nordosfbahn :

y. Wettingen-Suhr, h. Glarus-Linthal.

Nets der Gotthardbahn : i. Cadenazzo-Locarno.

Die bezüglichen Rekurse lassen sich wie folgt ssusammenstellen : Rekurranten.

Linlen.

Datum.

1. Kanton Waadt . . .

a, b 18. Sept./13. Okt. 1900.

a, b 6. November 1900.

2. . ,, Freiburg . . .

3 . ., Bern . . . . a, c, d 3. November 1900.

4. Gemeinden Lyß, Buren a, c 3. November 1900.

und S o l o t h u r n . . . .

5. Kanton bezw. Gemeinde Solothurn d 9. November 1900.

e, f, g 9. November 1900.

6. Kanton Aargau h 22./2T. November 1900.

7. Kanton Glarus . . .

8. Kanton Tessin . . .

i 9. November 1900.

. Zur Unterstützung der Rekurse ad l, 2 und 3 sind ferner im Laufe des Monats Dezember eine größere Anzahl (214) gleichlautender, an Sie gerichteter und von den an den betrefiendeti Linien interessierten bernischen, freiburgischen und waadtländischen Gemeinden unterschriebener Petitionen eingelaufen.

Die sämtlichen Rekurse.l--8 sind innerhalb des im Nebeahahngesetz anberaumten Termins von drei Monaten angemeldet worden, .so daß gegen dieselben in formeller Beziehung nichts einzuwenden ist.

.

.

.

. .

271 In Bezug auf die Begründung der fraglichen Rekurse und Petitionen erlauben wir uns zunächst auf diese mehr oder weniger ausführlichen Aktenstücke selbst zu verweisen und uns an dieser Stelle damit zu begnügen, die darin entwickelten Hauptgründe folgendermaßen zu resümieren.

In sämtlichen Rekursen wird vor allem die Aufregung und die Unzufriedenheit hervorgehoben, welche sich der Bevölkerung der interessierten Gegenden nach Bekanntwerden Unseres Beschlusses vom 10. August bemächtigt haben soll. Die Einreihung der erwähnten Linien unter die Nebenbahnen werde allgemein als eine ,,Degradation14 derselben betrachtet, welche mit der geschichtlichen Entstehung und Entwicklung der fraglichen Eisenbahnen nicht in Einklang stehe und befürchten lasse, daß dadurch nicht nur die großen finanziellen Opfer der beteiligten Landesteile«, und die auf den mit Begeisterung angenommenen Rückkauf der schweizerischen Eisenbahnen durch den Bund gegründeten Hoffnungen für dieselben verloren gehen, sondern auch die künftigen Bestrebungen in Bezug auf Verbesserung der vorhandenen Kommunikationsmittel von vorneherein gelähmt würden.

Der Bundesratsbeschluß sei als die Folge einer unrichtigen.

Interpretation des Art. l des Nebenbahngesetzes zu betrachten, weil die in Frage stehenden Linien nicht ausschließlich dem Lokal v erkehr dienen, sondern einen Teil des großen Durchgang: verkehrs für Personen und Güter vermitteln. Diese Linien wiesen zum Teil eine bedeutende Länge auf und bildeten die Verbindung1 von ganzen Gegenden mit den übrigen Landesteilen. Wenn ihr Verkehr bis jetzt infolge von Konkurrenzverhältnissen und Betriebsanordnungen der großen Bahngesellschaften und namentlich wegen mangelhafter Fahrplauverbindungen nicht den erwarteten Grad der Entwicklung habe erreichen können, so sei doch immerhin nicht zu übersehen, daß derselbe trotzdem schon jetzt stetig zunehme und jedenfalls nach erfolgtem Rückkauf größere Dimensionen annehmen werde, namentlich wenn die fraglichen Bahnen zum Zweck der Entlastung paralleler Hauptlinien benutzt, oder durch:neue Anschlüsse an Wichtigkeit zunehmen würden. Geringe Rentabilität dürfe auch nicht als maßgebender Grund für die Einreihung unter die Nebenbahnen geltend gemacht werden. Für den Bundesrat hätten vielmehr zunächst die Interessen der Industrie und des allgemeinen Wohles
bedeutender Landesteile bei seinem Entscheide leitend sein sollen und es hätte auch zu diesem Zwecke die vorgängige Anhörung der interessierten Kanr tonsregierungen stattfinden sollen. ;

V

272 Zu betonen sei ferner, daß die Rekurslinien s. Z. sämtlich in Bezug auf Unter- und Oberbau nach den Normen für Hauptlinien erstellt worden und daß deren Steigungs-, Richtungs- und Längenverhältnisse meistens nicht ungünstiger seien als diejenigen von parallelen Hauptbahnen. Die Benützung schwererer Lokomotiven und Einhaltung größerer Geschwindigkeiten sei daher auf denselben möglich, zumal der Unterhalt der betreffenden Linien ein befriedigender sei.

Die Rekurrenten stützen sich ferner auf die Angaben unserer Botschaft vom 5. März 1897 betreffend Entwurf eines Bundesgesetzes über Bau und Betrieb der schweizerischen Nebenbahnen, um den Beweis zu erbringen, daß die Gewährung der in diesem Gesetz vorgesehenen Bau- und Betriebserleichterungen bei den in Frage stehenden Linien unter Umständen zu ganz unzulässigen Verschlechterungen des bisherigen Verkekrs, ja Gefahrdung der Sicherheit führen könnte. Durch die Klassifikation als Nebenbahn werde offenbar die angestrebte Verbesserung der Verhältnisse einer Linie in Frage gestellt.

Ähnliche Befürchtungen werden von einigen Rekurrenteu in Bezug auf die Folgen der im Gesetze gewährten thunlichsten Freiheit in Bezug auf die Tarifbildung innert den konzessionsgemäßen Grenzen gehegt.

Neben der obigen allgemeinen Begründung der Rekurse gegen unsern Beschluß vom 10. August wird namentlich seitens der Regierungen von Glarus und Tessin noch die Unvereinbarkeit dieses Entscheides mit den für die fraglichen Linien bestehenden Konzessionen und der Entwicklungsgeschichte derselben betont.

Nach eingehender Prüfung der oben skizzierten Rekurse beehren wir uns, dieselben wie folgt zu beantworten.

Daß unser Entscheid vom 10. August 1900 nicht in allen Landeskreisen mit Zufriedenheit aufgenommen worden ist, erscheint einigermaßen begreiflich. Wir halten aber dafür, daß die eingelaufenen Rekurse, abgesehen von den in denselben enthaltenen augenscheinlichen Übertreibungen zunächst auf einer unrichtigen Auslegung dieses Beschlusses in Bezug auf dessen Begründung und Folgen beruhen, und daß dieselben nach besserer Aufklärung der Rekurrenten über die Tragweite unserer Verfügung in der Hauptsache nicht aufrecht erhalten werden könnten.

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273Was zuerst die B e g r ü n d u n g u n s e r e s B e s c h l u s s e s anbetrifft, so hatten wir uns bei der Bezeichnung der Nebenbahnen auf Grund der Bestimmungen des neuen Gesetzes vom 21. Dezember 1899 nicht mit der Frage der Entstehung der betreffenden Bahnen, noch mit derjenigen der für dieselben gebrachten finanziellen Opfer zu befassen, sondern vor allem die g e g e n w ä r t i g e n V e r h ä l t n i s s e und die Bedeutung dieser Linien zu berücksichtigen. Mit ändern Worten, es haben als Nebenbahnen solche Linien bezeichnet werden müssen, welche schoa j e t z t zweifellos den Charakter von Nebenlinien tragen und dementsprechend betrieben werden. Zu dieser einfachen Konstatierung des heutigen Thatbestandes war aber offenbar eine übrigens im Gesetze selbst nicht vorgeschriebene vorgängige Anhörung der interessierten Kantonsregierungen kaum nötig und es kann dabei auch von einer ,,Degradation"1 der Rekurslinien im Ernste nicht gesprochen werden.

Daß die betreffenden Linien s. Z. nach den Normen für Hauptlinien erstellt worden sind, ist nach der Definition des Art. l des Nebenbahngesetzes für die Einreihung unter die Hauptoder Nebenbahnen nicht ausschlaggebend, um so weniger, als jenes Vorgehen bei einzelnen derselben auf Konkurrenzrücksichten und nicht auf ein eigentliches inneres Bedürfnis zurückzuführen ist. Zu den baulichen Erfordernissen einer Hauptbahn gehören übrigens nicht nur solider Unter- und Oberbau, sondern, der weitere Ausbau in Bezug auf Gestaltung der Stationsanlagen, der Signale u. s. w. Dieser Ausbau fehlt aber gegenwärtig auf'' den.Rekurslinien und es könnten auf diesen letzteren ohne denselben, sowie ohne Verstärkung des O'berbaues keine schwereren.

Lokomotiven unter Einhaltung größerer Geschwindigkeiten verkehren.

Auch kann aus dem Umstand, daß die Rekurslinien je einem der 5 schweizerischen Hauptnetze angehören, kein Recht für dieselben gefolgert werden, ohne weiteres den Hauptbahnen zugeteilt zu werden. Wie bereits in unserer Botschaft vom 5. Mär/.

1897 erwähnt, ist nicht die Firma der Gesellschaft das Maßgebende, sondern die Verhältnisse bei den einzelnen Linien. Es wäre somit eine Ausscheidung nicht richtig, welche die Linie Herzogenbuchsee-Solothurn gleich behandeln würde wie die Linie Aarau-Bern, weil zufällig beide von der nämlichen Bahnunternehmung, der
Centralbahn, betrieben werden. Übrigens stempelt der Umstand, daß die Rekurslinien, wie von den Potenten selbst angeführt wird, zur Entlastung paralleler Hauptlinien dienen,.

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dieselben gerade als Hülfsliuien und nicht als Hauptbahnen. Alle Linieu der gegenwärtigen 5 größern Netze von vornherein als Hauptbahnen zu bezeichnen, würde auch die Bundesbahn Verwaltung voraussichtlich für den Anfang zu stark belasten, indem Begehren betreffend Verwendung besseren Rollmaterials, Vermehrung und Beschleunigung der Züge, Führung von Schnellzügen u. s. w. dann nicht lange würden auf sich warten lassen, und zwar ohne Rücksichtnahme darauf, ob diese Verbesserungen der bestehenden Verhältnissen angemessen seien oder einem wirklichen Bedürfnisse entsprechen. Damit soll aber selbstverständlich keineswegs gesagt sein, daß wenu ein solches Bedürfnis sich wirklich fühlbar machen wird, die betreffenden Verbesserungen nicht auch bei Nebenbahnen angebracht oder diese letzteren dann im Sinne des AI. 5 von Art. l des Nebenbahngesetzes als Hauptbahnen erklärt werden könnten.

Wie oben bereits gesagt und abgesehen von den soeben entwickelten allgemeinen Gesichtspunkten, bewegt sich unser Entscheid ganz im Rahmen des Gesetzes, denn keine der in Betracht kommenden Linien vermittelt gegenwärtig einen g r o ß e n Durchgangsverkehr für Personen und Güter, was damit zusammenhängt, daß diese Bahnen zum größten Teil erst der letzten Bauperiode des schweizerischen Bahnnetzes angehören und zur Bedienung weniger wichtiger Routen, deren Endpunkte bereits mittelst früher erstellter Hauptverkehrslinien mit einander verbunden waren, gebaut wurden. Jedenfalls tragen an diesem geringen Verkehr nicht allein Konkurrenzverhältnisse oder Interessenkombinationen der Bahngesellschaften die Schuld, sondern es muß derselbe eher davon herrühren, daß diese Linien in der That hauptsächlich Lokalbedürfnissen zu dienen haben.

Was zuerst die ß r o y e t h a l l i n i e n anbetrifft, so ist nicht zu übersehen, daß dieselben den beiden Hauptverbindungslinien der Central- mit der Westschweiz über Bern und Nenenburg parallel laufen und die Bedeutung der letztern wohl nie erreichen können. Gegenwärtig genügt für den Dienst der Broyethallinien eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Zügen mit nicht über 50 km. Fahrgeschwindigkeit. Ob dieselben vielleicht später mehr als jetzt für den Gütertransitverkehr werden herangezogen werden können, läßt sich zur Zeit nicht beurteilen, zumal sie infolge des projektierten Ausbaues der Linie Bern-Lausanne auf doppelspurigen Betrieb an Bedeutung für den Warendurchgangsverkehr eher verlieren als gewinnen könnten.

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. Das nämliche läßt sich, und zwar mit noch mehr Recht, sagen von den Linien Lyß-Solothure und HerzogenbuchseeS-o l o t h u r n. Dieselben vermitteln keinen großen Durchgangsverkehr weder für Personen noch für Güter. Derselbe wird wohl auch noch in Zukunft über Olten-Bern und Olten-Solothurn-Biel geführt werden. Nur bei großem Güterandrang erhalten diese Linien einen Teil des durchgehenden Güterverkehrs.

Auch bei den Linien Z o f i n g e n - S u h r - A a r a u u n d W e t t i n g e n - S u h r liegen ähnliche Verhältnisse vor, indem der Durchgangsverkehr über die doppelspurige Linie Baden-BruggAarau-Olten geführt wird. Jene Linien weisen allerdings einen guten Lokal verkehr auf: damit ist aber ihre Leistungsfähigkeit, namentlich diejenige der Strecke Wettingen-Suhr, für den großen Güterverkehr erschöpft, und die Steigungen bis auf 14 °/o<>) die eine sehr große Zugskraft erfordern, machen es unwirtschaftlich, ihr vom Transitverkehr mehr als gerade notwendig zuzuweisen.

Ohne die Vorteile der Linie B r u g g - H e n d s c h i k o n als Glied der kürzesten Bahnverbindung Basel-Gotthard zu verkennen, muß doch konstatiert werden, daß diese Vorteile gegenwärtig gar nicht ausgenützt werden und die Linie zur Zeit durchaus den Charakter einer Nebenbahn trägt. Falls sie später, d. h. nach Durchführung der Verstaatlichung, ihrem ursprünglichen Zwecke gemäß als Abkürzungslinie für den großen Durchgangsverkehr Basel-Gotthard benutzt werden sollte, so wird dann zu prüfen sein, ob diese Bahnstrecke nicht den Hauptbahnen zuzuteilen wäre.

Abgesehen davon, daß der Rekurs der Glarner Regierung selbst anerkennt, daß die Linie G l a r u s - L i n t h a l nie eine Transitlinie sein wird, zeigen die Rentabilitätsziffern dieser Linie, daß dieselbe von allen Linien der Nordostbahn die verkehrsärmste ist und richtigerweise unter die Nebenbahnen eingereiht werden muß; der Umstand allein, daß dieselbe industriellen Interessen zu dienen hat, kann ihr nicht den Charakter einer Hauptbahn verleihen.

In Bezug auf die Teilstrecke C a d e n a z z o - L o c a r n o der Xrotthardbahn steht fest, daß sie gegenwärtig vorzugsweise dem Lokalverkehr dient und nur einen minimen Anteil am großen internationalen Durchgangsverkehr hat, für welchen die beiden Linien über Chiasso und Luino hauptsächlich bestimmt sind. Die jetzige Betriebsart
dieser Linie entspricht desgleichen vor allem diesem Lokalcharakter ; die Züge verkehren nur zwischen Bellinzona und: Locamo, ihre Geschwindigkeit übersteigt nicht ; 50 km.

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pro Stunde, und die Verwendung der schwereren Lokomotiven der Gotthardbahn, sowie von Vorspann ist auf derselben nicht gestattet. Der Einwand der Tessiner Regierung betreffend Unvereinbarkeit der Klassifikation als Nebenbahn mit den das ganze Netz der Gotthardbahn als ein unteilbares Ganzes behandelnden Verträgen und Konzessionen der Gotthardbahn ist als nicht zutreffend zu betrachten, indem auch die bisherige einfache Betriebsart nicht als eine Verletzung der Konzessionsbedingungen augesehen worden ist. Immerhin wird die Linie Cadenazzo-Locarno jederzeit bei veränderten Verhältnissen, wie z. B. beim Bau voa neuen wichtigen Anschlußlinien ab Locamo, im Sinne von Alinea 5 des Art. l des Nebenbahngesetzes als Hauptbahn erklärt werden können.

Aus den obigen Angaben über den Verkehr auf diesen Linien scheint uns mit aller Klarheit hervorzugehen, daß unser Beschluß betreffend Einreihung derselben unter die Nebenbahnen vollauf gerechtfertigt nnd jedenfalls ebenso begründet ist als der gleiche Entscheid bezüglich einer Anzahl anderer, dem Netze der fünf Hauptbahnen nicht angehörenden Bahnlinien, wie z. B. der Emmenthalbahn, der Thunerseebahn, der Südostbahn, der Burgdorf-Thun-Bahn u. s. w., deren Verkehr ebenso wichtig ist als derjenige der in Frage stehenden Rekurslinien.

Auf die Frage der T r a g w e i t e und der F o l g e n unseres.

Beschlusses vom 10. August übergehend, halten wir dafür, daß die Auslegung desselben durch die Rekurrenten eine irrtümliche sei und die daraus abgeleiteten Befürchtungen für den künftigen Betrieb der Rekurslinien offenbar durchaus der Begründung entbehren. Das Nebenbahnengesetz bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß bei entstehendem Bedürfnis die nötigen Betriebsverbesserungen nicht ebensogut auf einer Nebenbahn als auf einer Hauptbahn durch die betreibende Verwaltung eingeführt oder von der Aufsichtsbehörde verlangt werden können. Die bloße Einreihung einer Linie zu den Nebenbahnen kann daher nicht von vornherein als eine Gefährdung der Interessen der beteiligten Landesgegend oder als eine Veranlassung zu einer Verschlechterung des Betriebes dieser Linie bezeichnet werden. Eine solche Verschlechterung des Betriebes gegenüber d e m s t a t u s q u o i s t n i c h t in A u s s i c h t g e n o m m e n u n d d a r f i m a l l g e m e i n e n als a u s g e s c h l o s s e n b e -

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277 a e i c h n e t w e r d e n . Selbstredend darf auch die Zuteilung zu den Nebenbahnen von der Erfüllung der in Kraft stehenden Konzessionsbedingungen einer jeden Linie in keiner Weise entbinden und es enthält der Art. 2 des Nebenbahnengesetzes ausdrücklich die Vorschrift, daß für die Nebenbahnen die Bestimmungen des Bundesgesetzes über Bau und Betrieb der Eisenbahnen vom 23. Dezember 1872 und alle ändern für die schweizerischen Eisenbahnen erlassenen Bundcsgesetze gelten, soweit nicht im neuen Gesetz abweichende Vorschriften aufgestellt sind.

Diese letzteren Vorschriften beziehen sich nun in der Hauptsache auf neu zu erstellende Linien und bleiben wirkungslos für die schon bestehenden Nebenbahnen. Auch ist nicht zu übersehen, daß dieselben eher den Charakter von allgemeinen Wegleitungen tragen als von absoluten, in jedem Fall anwendbaren .Normen und daß den Bundesbehörden das Recht zusteht, die Artikel des Nebenbahnengesetzes in jedem einzelnen Falle unter Berücksichtigung der bestehenden Verhältnisse und der obwaltenden wirklichen Betriebsbedürfnisse nach ihrem Ermessen zur Anwendung zu bringen. Die durch das Gesetz bezweckten Erleichterungen zu gunsten der Bahnverwaltungen sind übrigens .zum kleinern Teil solcher Natur, daß sie die Dienstorganisation im Hinblick auf die Befriedigung der berechtigten Ansprüche des Publikums in ungünstigem Sinne beeinflussen könnte. Das trifft zu für die Entschädigung für Posttransporte, den Beitrag der Hauptbahnen an Unter- und Überführungen von Straßen und Wegen behufs Vermeidung von Niveaukreuzungen, die Limitierung des Beitrages für Mitbenutzung von Bahnhöfen und die Erleichterungen in Bezug auf die Anwendung des Arbeits- und des Rechnungsgesetzes u. s. w. Was die übrigen Begünstigungen "baulicher oder betriebstechnischer Natur anbelangt, wie z. B.

weniger solide Bauausführung, Beschränkung der Stationen auf das allernotwendigste, Weglassen der Einfriedigungen, größere Einfachheit des Betriebsmaterials und weniger komfortable Wageneinrichtungen, Einschränkung der Überwachung der Bahnübergänge und des Bahnwärterdienstes u. s. w., so Hegt es auf der Hand, daß die Aufsichtsbehörde keineswegs eine Verschlechterung /der auf den Rekurslinien bisher bestehenden Verhältnisse wird zulassen können, sondern im Gegenteil nach und nach die nötig ^erscheinenden
Verbesserungen von Fall zu Fall anordnen wird.

Die gleiche Bemerkung gilt für die Aufstellung der Fahrpläne für die Rekurslinien, und es werden auch hier die Aufsichtsbehörden, bezw. die Bahnverwaltungen den bezüglichen als beBundesblatt. 53. Jahrg. Bd. I.

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rechtigt anerkannten Wünschen der interessierten Bevölkerung Rechnung tragen müssen.

In Bezug auf die Tarifbildung der Nebenbahnen hat der Bundesrat i n n e r t d e n k o n z e s s i o n s g e m ä ß e n G r e n z e n thunlichste Freiheit zu gewähren. Aus dieser Vorschrift folgt mit Bestimmtheit, daß denselben höhere Taxen als die in den Konzessionen im Maximum vorgesehenen nicht bewilligt werden dürfen. Für die Linien der künftigen Bundesbahnen treten an Stelle der Konzessionen die Bestimmungen des Bundesgesetzes betreffend das Tarifwesen der schweizerischen Bundesbahnen.

Daraus ergiebt sich, daß auch für die als Nebenbahnen erklärten Strecken der Bundesbahnen die Maximalsätze des Tarifgesetzes und dessen übrige Bestimmungen verbindlich sein werden. Es ist somit ausgeschlossen, daß diese Linien bezüglich des Tarifwesens ungünstiger behandelt werden als die übrigen Linien des künftigen Bundesbahnnetzes. Wir nehmen daher keinen Anstand, die Erklärung abzugeben, daß auch die als Nebenbahnen bezeichneten Linien der Bundesbahnen und damit die von denselben bedienten Landesgegenden alle Vorteile des Bundesgesetzes über das Tarifwesen der Bundesbahnen genießen werden.

Zum Schlüsse verweisen wir nochmals auf die Bestimmung im Art. l, Alinea o, des Nebenbahnengesetzes, wonach bei veränderten Verhältnissen nach Anhörung der Konzessionäre und der Kantone eine Nebenbahn zur Hauptbahn oder eine Hauptbahn zur Nebenbahn erklärt werden kann.

Wir glauben nun in vorstehendem zur Genüge dargethan zu haben, daß die Befürchtungen der Rekurrenten in Bezug auf die Folgen der Zuteilung der Rekurslinien zu den Nebenbahnen gegenstandslos sind, so daß die zum Ausdruck gekommene Aufregung und Unzufriedenheit in den betreffenden Landesteilen bei gebührender Würdigung der obigen Autklärungen sich legen, bezw. verschwinden sollten.

Aus den im vorstehenden Berichte in aller Kürze dargelegten Gründen glauben wir, an unsern nach reiflicher Überlegung und möglichst objektiver Berücksichtigung der sämtlichen in Betracht kommenden lokalen und allgemeinen Interessen gefaßten Beschluß vom 10. August 1900 festhalten zu sollen und beehren uns, Ihnen die Abweisung der gegen denselben eingelaufenen Rekurse zu beantragen.

279 Wir benutzen diesen Anlaß zur wiederholten Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 12. Februar

1901.

Im Namen des Schweiz, ßundesrates, Der Bundespräsident: Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

S

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Rekurse von Kantonen und Gemeinden gegen den Bundesratsbeschluß vom 10. August 1900, betreffend Einreihung der Linien Palézieux-Lyß, Freiburg-Payerne-Yverdon, Solothurn-Lyß, SolothurnHerzogen...

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13.02.1901

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269-279

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