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zu 575 Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Bundesratsbeschluss vom 28. Dezember 1920 betreffend Abänderung der Verordnung über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen.

(Vom 17. Januar 1921.)

Durch Beschluss vom 28. Dezember 1920 haben wir der Verordnung vom 20. Februar 1918 betreffend die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen einige neue Bestimmungen beigefügt. Zu diesen Ergänzungen wurden wir veranlasst einerseits durch die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer Ausdehnung des Anwendungsbereiches jener Verordnung, anderseits durch einige in der bisherigen Anwendung derselben zutage getretene Mängel, deren Beseitigung uns möglich und wünschbar schien. Wir beehren uns, Ihnen gemäss Ziffer l des Bundesbeschlusses vom 3. April .1919 betreffend Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates über den Ergänzungsbeschluss Bericht zu erstatten.

I.

Von den Nachwirkungen des Krieges ist es insbesondere die enorme Entwertung der Valuten mehrerer ehemals kriegführender Länder, die auch das wirtschaftliche Gleichgewicht in unserem Lande mehr und mehr störend beeinflusst. Unter den Währungssorgen leiden in immer zunehmendem Masse namentlich in den Grenzzonen des Landes domizilierte Bankinstitute, die grosse Guthaben im Ausland besitzen. Durch die Entwertung solcher Aktiven 'werden auch vor dem Krieg durchaus solide und blühende, einwandfrei geleitete Banken in eine schwierige, oft unhaltbare Lage versetzt. Die Valutakrisis äussert sich, je nach der Besonderheit der Geschäftszweige, in verschiedener Weise. Einerseits erleidet der Gläubiger auf den eingehenden auswärtigen

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Guthaben schwere Verluste, wenn er sich für die Kursdifferenz nicht versichert hat; zahlreiche auswärtige Guthaben sind aber gegenwärtig schwer oder gar nicht einzubringen, und der Gläubiger kann auf ihre Flüssigmachung auch dann nicht zählen, wenn ihm dank der Goldklausel oder einer Kurssicherung eine Einbusse erspart bliebe. Anderseits hat der hohe Stand der schweizerischen Valuta einen vermehrten Rückfluss von Ausländern angelegter Gelder in das valutaschwache Ausland zur Folge-, solche Massenrückzüge können einen so erheblichen Umfang annehmen, dass die Banken, welchen keine entsprechenden Einnahmen zufliessen, aus Mangel an flüssigen Mitteln ihnen nicht mehr zu genügen vermögen.

Abhilfe aus den durch die^Währungskrisis verursachten Verlegenheiten könnte auf verschiedenen Wegen versucht werden.

Es lässt sich einmal daran denken, durch Kündigung von Guthaben die eigenen Mittel soweit erforderlich flüssig zu machen.

Für die hauptsächlich in Betracht fallenden Hypothekenbanken würde es sich also darum handeln, im Lande selbst in grösserem Umfang Hypotheken zu kündigen. Indessen erfordert dieses Verfahren angesichts der in der Regel langfristigen Anlage der Hypotheken Zeit; es lässt sich damit nicht von heute auf morgen Geld beschaffen. Abgesehen von dieser Schwierigkeit wäre aber die Kündigung zahlreicher Hypotheken bei der ohnehin schon sehr gespannten Lage des Hypothekenmarktes volkswirtschaftlich bedenklich. Es ist bekannt, dass heute Hypotheken nur noch mit Mühe placiert werden können. Sollten die Hypothekenbanken selbst zur Kündigung von Hypotheken in grossem Unifang gezwungen werden, so muss man sich fragen, ob und wo diese untergebracht werden könnten, ob insbesondere die übrigen Banken zu ihrer Aufnahme fähig wären. Wir erinnern an die am 17. Dezember 1920 im Nationalrat gestellte Interpellation Seiler, die lautet: ,,Ist dem Bundesrat bekannt, dass die Kündigungen auf Hypothekardarlehen einen bedrohlichen Umfang annehmen, und was gedenkt er'zu tun, um ein Weitergreifen der Kündigungen zu verhindern und stabilere Verhältnisse auf dem Hypothekarmarkt herbeizufuhren ?"· Die Folge zahlreicher Kündiguogen von seiten der Hypothekenbanken wäre eine überstürzte Liquidation derselben, deren nachteilige Rückwirkungen nicht ausbleiben könnten.

In zweiter Linie könnte daran gedacht werden, den bedrängten Instituten von dritter Seite Mittel zuzuführen, sei es durch Darlehen unter Belehnung illiquider Forderungen, sei es

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durch Zession von solchen. Allein auch dieses Verfahren verspricht keinen Erfolg wegen der allgemeinen Geldknappheit. Die Banken wären schwerlich in der Lage, solche Guthaben zu übernehmen oder zu belehnen, und auch das private Kapital würde sich solchen Anlagen nicht zuwenden.

Diese Situation weist auf die Hilfe durch rechtliche Massnahmen als einzig möglichen Ausweg hin. In dieser Hinsicht bietet die geltende Rechtsordnung wieder verschiedene Möglichkeiten.

Am nächsten liegt der allgemeine Nachlassvertrag, der dem insolventen Schuldner zur Vermeidung des Konkurses offen steht.

Er ist jedoch insofern nicht das geeignete Mittel, als die von der Währungsentwertung betroffenen Banken in der Regel nicht eines Forderungsnachlasses, sondern bloss einer Stundung bedürfen.

Zudem ist das Nachlassverl'ahren für den hier zu erreichenden Zweck zu einschneidend, es ergreift das ganze Geschäft und lahmt es durch die notwendige Bestellung eines Sachwalters, deidie Geschäftsführung überwacht. Die Einleitung eines Nachlassverfahrens bedeutet für eine Bank den Beginn der Liquidation ; ·es sollte aber versucht werden, durch eine vorläufige Schonung die betroffenen Institute in den Stand zu setzen, die Krise zu überdauern.

Der Rechtsstillstand, dessen Voraussetzungen gemäss Art. 62 SchKG allenfalls als gegeben erachtet werden könnten, ist nicht auf einzelne notleidende Schuldner zugeschnitten, er muss für ·bestimmte Gebiete oder Teile der Bevölkerung beschlossen werden.

Übrigens würde er durch Erschütterung des Landeskredits wohl mehr schaden als nützen.

Ein der Valutakrisis speziell Rechnung tragender Erlass ·besteht schon im Bundesratsbeschluss vom 26. Dezember 1919 betreffend die Folgen der Währungsentwertungen für Aktiengesellschaften .und Genossenschaften. Art. 7 dieses Beschlusses sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine durch die Gerichte auszusprechende Stundung falliger Kapitalbeträge bis längstens 31. Dezember 1924 vor. Dieses Verfahren kann gute Dienste leisten, aber es weist bestimmte Nachteile auf und wird das Ziel, die Erhaltung des Schuldners, nicht immer erreichen. Es ist .schon insofern etwas unbefriedigend, als die Stundung den Gläubigern durch Richterspruch auferlegt werden muss, während eine Lösung womöglich unter Mitwirkung der Gläubiger durch ihre Zustimmung gefunden werden sollte. Die Stundung ergreift alle .Forderungen ohne Rücksicht auf ihre Natur und kann damit z. B.

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die Gläubiger von Spar- oder Kontokorrentguthaben, die auf derea .jederzeitige Ablösbarkeit rechnen durften, in Verlegenheit bringen ; durch eine solche unterschiedslos allen Gläubigern zugemutete Stundung wird jede Bank sich ihren Kredit untergraben. Die für den Fall der Stundung vorgesehenen sichernden Massnahmen werden zudem leicht zu einer die nötige Bewegungsfreiheit einer Bank in ihrer Geschäftsführung hindernden Bevormundung führen.

Schliesslich liegt die Gefahr nahe, dass die Ende 1924 auf einmal eintretende Fälligkeit sämtlicher gestundeter Forderungen den Schuldner plötzlich einem Andrang von Verpflichtungen aussetze, dem er vielleicht nicht gewachsen ist.

Diese Mängel können vermieden werden, wenn und soweit die Verordnung vom 20. Februar 1918 betreffend die Gläübigergemeinschaft bei Anleihensobligationen sich als anwendbar erweist.

Hier wird durch die Bildung von Gläubigergemeinschaften, die mit einfacher oder qualifizierter Mehrheit ihre Beschlüsse zu fassen haben, der Wille der Gläubiger selbst ohne richterlichen Zwang ausgeübt. Das Verfahren ermöglicht die blosse Stundung von Kapitalien bei voller Zinszahlung, sogar unter Erhöhung eines niedrigen Zinsfusses. Namentlich aber kann die Stundung auf langfristig angelegte Gelder beschränkt und dem Schuldner im übrigen Bewegungsfreiheit gelassen werden, was für eine Bank, die weiter betrieben werden soll, notwendig erscheint.

Es wäre demnach zweckmässig, wenn die rechtliche Hilfe auch für die unter Währungsschwierigkeiten leidenden Banken auf Grund der Gläubigergemeinschaft gefunden werden könnte.

Da zeigt sich aber die Schwierigkeit, dass die Verordnung vom 20. Februar 1918 ihrem Wortlaut nach nur auf Anleihensobligationen zur Anwendung kommen kann, nicht auch auf einzeln ausgegebene Kassaobligationen oder Kassascheine. Diese letztern können aber, allein oder neben Anleihensobligationen, einen bedeutenden Teil der Verpflichtungen einer Bank ausmachen, dergestalt, dass die Möglichkeit der Erstreckung der in der nächsten Zeit eintretenden Fälligkeit solcher Titel zur Bedingung der Erhaltung des Unternehmens werden kann. Wohl alle Banken haben aber Kassaobligationen oder Kassascheine ausgegeben. Bestehen daneben keine Anleihensobligationen, so ist nach der Verordnung von 1918 dem Schuldner die Bildung von Gläubigergemeinschaften
versagt. Aber auch wenn beide Arten von Obligationen nebeneinander ausgegeben worden sind, wird dem Schuldner die Anrufung der Verordnung gegenüber den Anleihensgläubigern kaum möglich sein, denn letztere werden schwerlich

49 einwilligen, Stundungen oder andere Opfer auf sich zu nehmen, während die Gläubiger von Kassaobligationen ungeschmälert in ihren Rechten bleiben.

Ist nun denkbar, die Kassaobligationen gesetzgeberisch den Anleihensobligationen gleich zu behandeln und auch die Gläubiger der erstem zu einer Gemeinschaft zusammenzuschliessen, die befugt ist, durch Mehrheitsbeschluss auch einzelnen sich widersetzenden Gläubigern gegenüber verbindliche Verfügungen über ihre Rechte zu treffen, insbesondere in Hinsicht auf eine Notlage des Schuldners? Juristisch lässt sich dies nicht ohne weiteres begründen. Die Kassaobligationen oder Kassascheine bilden nicht, wie die Anleihensobligationen, gleichartige Teile einer durch einheitlichen Akt (die Anleihensemission) geschaffenen Verpflichtung.

Die einzelnen Titel werden, der Nachfrage entsprechend, gesondert und zu beliebiger Zeit ausgegeben ; sie variieren in der Höhe desKapitalbetrages, im Zinsfuss, in der Kündbarkeit und Fälligkeit des Kapitals und meist auch in- den Verfallterminen der Zinscoupons. Diese rechtlichen Verschiedenheiten erschweren die Annahme oder Bildung von Gemeinschaften der Titelgläubiger.

Anderseits ist darauf hinzuweisen, dass nach unserm Recht auch die Gläubiger eines in Obligationen eingeteilten Anleihens in der Regel keine einheitliche Vertretung besitzen, sondern ihre Rechte dem Schuldner gegenüber selbständig geltend machen, solange kein Verfahren nach der Verordnung eingeleitet ist. Auch wonach Gesetz (Art. l der Verordnung) oder auf Grund der Anleihensbedingungen eine Gläubigergemeinschaft besteht, wird sie nur praktisch, sobald der Schuldner den Gläubigern Vorschläge auf Abänderung des Vertragsinhaltes unterbreitet.

Massgebend für die Zusammenfassung der Gläubiger zu einer mit bestimmten Kompetenzen ausgestatteten Gemeinschaft ist nicht sowohl die juristische Einheit und Übereinstimmung ihrer Ansprüche, als vielmehr ihr gemeinsames und gleichartiges Interesse, Nur dieses rechtfertigt die Möglichkeit der Majorisierung einer Minderheit. Der Gesetzgeber darf von der Vermutung ausgehen, dass eine von der (meist qualifizierten) Mehrheit der Gläubiger gebilligte Massregel dem wirklichen und gleichen Interesse aller, auch der widerstrebenden Gläubiger, entspreche. Diese Vermutung trifft nicht mehr zu, sobald die Interessen der einzelnen
Gläubiger voneinander abweichen. Alsdann dürfen nicht einzelne Gläubiger von der Mehrheit überstimmt werden; die Bildung von Gemeinschaften ist nur soweit denkbar, als die Einzelinteressen nicht zu sehr differieren, und innerhalb solcher Gemeinschaften hat jede

so Gruppe von Gläubigern mit übereinstimmenden Interessen die Mehrheit gesondert für sich zu ermitteln.

Nach diesen Kriterien können ohne Zweifel nicht sämtliche Gläubiger einer notleidenden Bank zur Bildung von Gemeinschaften herangezogen werden. Auszuscheiden haben jedenfalls die Spareinleger und die Kontokorrentgläubiger. Bei ihnen fehlt jegliche Stabilität in der Höhe des Guthabens ; die Ausübung des Stimmrechts nach Massgabe der gerade am Tage der Gläubigerversammlung vorhandenen Forderung wäre kompliziert und gewissermassen willkürlich. Wichtiger noch ist, dass es sich dabei um Gelder handelt, die der Bank jederzeit sofort oder auf kurze Frist kündbar übergeben werden. Dadurch stellen sich diese Gläubiger hinsichtlich der Natur ihrer Forderungen in Gegensatz zu den Obligationären, und zwar den Anleihensgläubigern sowohl wie den Gläubigern von Kassaobligationen (Kassascheinen). Diese letztern haben mit den Anleihensgläubigern gemeinsam die feste Anlage auf längere Dauer -- man wird vielleicht als Minimum ·die Anlage auf mehr als ein Jahr bezeichnen dürfen -- und in abgerundeten, wenn auch nicht einheitlichen Beträgen. Es ist -ohne weiteres klar, dass diese Titelinhaber nicht mit den Spareinlegern und den Kontokorrentgläubigern auf eine Stufe gestellt und zur gemeinsamen Wahrung ihrer eben verschiedenartigen Interessen vereinigt werden können.

Dagegen gehören, wirtschaftlich betrachtet, die Gläubiger von Kassaobligationen oder Kassascheinen zur Kategorie der Anleihensgläubiger. Wie diese besitzen sie in ihren Titeln eine feste Anlage, die wiederum ihr gemeinsames Interesse daran begründet, den Geschäftsbetrieb des Schuldners wo möglich aufrechterhalten au sehen, jedenfalls einer plötzlichen Liquidation die allmähliche Verwertung zweifelhafter, der Erholung fähiger Aktiven des Schuldners vorzuziehen. Gewisse abweichende Modalitäten in der Rechtsstellung der einzelnen Gläubiger hindern die Bildung einer Gemeinschaft nicht. Zunächst gilt dies von der ungleichen Höhe des Kapitalbetrages; denn in der Gemeinschaft kommt jedem Gläubiger Stimmrecht nach dem Verhältnis des von ihm vertretenen Kapitals zu (Art. 15, 16 und 17 der Verordnung). Die Verschiedenheit der Zinsfälligkeitstermine sodann ist von untergeordneter Bedeutung und kann übersehen werden. Schwerer wiegen die Abweichungen in der Kündbarkeit
und Fälligkeit des Kapitals sowie in der Höhe des Zinsfusses, als Faktoren, die in der Tat eine ungleiche Rechtsstellung der Titelgläubiger schaffen.

.Soweit aber die Verschiedenheit der Fälligkeiten und des Zins-

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fusses eine Gleichstellung nicht gestattet, erscheint dennoch der Gemeinschaftsgedanke nicht ausgeschlossen angesichts des, möglicherweise für alle Obligationengläubiger vorhandenen höhern^ jenen Ungleichheiten übergeordneten Interesses an der Erhaltung und Erholung des Schuldners. Alsdann dient eine gemeinsame Wahrung dieses Interesses auch den Gläubigern. Nur muss in der Gemeinschaft dieser Gläubiger der Grundsatz preisgegeben werden, dass jede beschlossene Massregel alle Gläubiger gleichmassig trifft (Art. 4, Abs. l, der Verordnung); vielmehr muss dann eine verschiedene Behandlung insoweit zulässig sein, als die ungleiche Rechtsstellung sie rechtfertigt und erheischt.

Diesen Erwägungen entspringen die Ziffern I und II unseres Beschlusses vom 28. Dezember 1920, durch welche wir die Gläubigergemeinschaftsverordnung im Sinne ihrer Ausdehnung auf Kassaobligationen und Kassascheine ergänzt haben. Diese erweiterte Anwendung halten wir speziell mit Rücksicht auf die unverschuldet schwierige Lage der Banken mit ausgedehntem Geschäftsbetrieb im Ausland für geboten.

Ob vom Ausgeber der Ausdruck .,,Kassaobligation", ,,Kassaschein1''1 oder z. B. nur ,,Obligation"1 gewählt wird, ist natürlich nicht entscheidend; es kommt auf die im Vorstehenden umschriebene Natur der Obligation an. Nicht betroffen werden von den neuen Vorschriften die Gläubiger von Spareinlagen und Kontokorrentguthaben sowie allfällig anderer ganz kurzfristiger Guthaben. Diese Gläubiger kann der Schuldner, der sich seine Kassaobligationen oder Kassascheine stunden lassen will, vorweg befriedigen, sofern begründete Aussicht vorhanden ist, dass auch jene Gläubiger später gedeckt werden können, sofern also die vorgängige Befriedigung der erstem nicht die Gefahr einer Begünstigung in sich schliesst; die Möglichkeit der paulianischen Anfechtung (Art. 288 SchKG) muss dem Schuldner in dieser Hinsicht zur Richtschnur dienen. Erlaubt sie ihm überhaupt keine Zahlungen an einzelne Gläubiger mehr, so kann auch von der Bildung einer Gläubigergemeinschaft nicht die -Rede sein.

Kassaobligationen des Bundes, der Kantone oder von Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts unterstehen nach wie vor dem Art. 31 der Verordnung ; die Ausdehnung der Gläubigergemeinschaft auf sie kann also nur insofern Platz greifen, als das massgebende öffentliche
Recht es anordnet.

II.

Da wir einmal an der Revision der Verordnung vom 20. Februar 1918 waren, benutzten wir die Gelegenheit, zwei weitere Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. I.

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52 Mängel derselben zu beseitigen. Der eine besteht im Fehlen einer vorläufigen Stundung zugunsten des Schuldners, der die Gläubigergemeinschaft einberuft. Die Beschlüsse derselben sollen alle Gläubiger in gleicher Lage treffen. Ist einmal da» Verfahren eingeleitet, so sollen nicht einzelne rücksichtslose Gläubiger vorweg volle Zahlung erwirken oder den Schuldner in den Konkurs stürzen können; der Zweck des Verfahrens würde damit vereitelt. Der Schuldner muss deshalb vorläufig durch Stundung aller Forderungen für so lange geschützt werden, bis die Gläubiger. Versammlung beschlossen hat. Es ist, wie die Praxis bereits erwiesen hat, eine Lücke der Verordnung, dass sie keine dahingehende Vorschrift aufweist. Wir haben sie in einem neuen Art. 8bis eingefügt.

Die Interimsstundung verhindert nur Zwangsvollstreckungsmassnahmen, sie berührt nicht die Fälligkeit der Forderungen.

Sie schützt den Schuldner, ohne ihn zu binden gegenüber denjenigen Gläubigern, deren Rechtsverhältnis nicht durch seinen Vorschlag neu geregelt wird. Er kann also unter Berücksichtigung der Verhältnisse und der Natur der Forderungen einzelne Gläubiger (^wie Spareinleger, Kontokorrentgläubiger) befriedigen, wiederum unter Vorbehalt und bis zur Grenze der paulianischen Anfechtbarkeit. Damit die Stundung dem Schuldner nicht zürn Fallstrick werde, ist ausdrücklich beigefügt, dass sie keine den Konkurs begründende Zahlungseinstellung im Sinne des Art. 190, Ziffer 2, SchKG darstellt.

Anderseits gilt es zu verhüten, dass der Schuldner die Stundung missbraucht, um durch wiederholte Einleitung des Verfahrens die Gläubiger hinzuhalten ; er kann das Verfahren binnen Jahresfrist nur einmal anrufen.

III.

Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Bildung des Gläubigermehrs, wenn zufolge Emission verschiedener Anleihen durch denselben Schuldner mehrere Gläubigergemeinschaften nebeneinander bestehen. Art. 16 der Verordnung verlangt für eine Reihe von Beschlüssen -- und gerade für die praktisch wichtigsten -- die Zustimmung der Vertreter von mindestens drei Vierteln des im Umlauf befindlichen Kapitals. Keine besondere Regel stellt die Verordnung auf für den Fall einer Mehrzahl von Gläubigergemeinschaften. In jeder Gemeinschaft war demnach bisher eine unter Art. 16 fallende Massregel nur dann angenommen, wenn sie die Dreiviertelsmehrheit der Gemeinschaft erreichte, für die sie vorgeschlagen wurde.

53 Nun wird aber bei einer Mehrheit von Gläubigergemeinschaften der Schuldner häufig seine Vorschläge den Gemeinschaften in dem Sinne unterbreiten, dass die Gültigkeit jeder einzelnen Massregel davon abhängen soll, daas auch alle übrigen Gemeinschaften die ihnen vorgeschlagenen Massregeln annehmen, dass also sämtliche Vorschläge zustande kommen. Dieser gegenseitige Vorbehalt wird sogar die Regel bilden, da gewöhnlich die Verwerfung auch nur eines Vorschlages den Schuldner ausserstande setzen wird, die übrigen, angenommenen Vorschläge zu erfüllen.

Verwirft nun eine einzige, vielleicht kleine Gemeinschaft den ihr gemachten Vorschlag, weil mehr als ein Viertel ihres Umlaufkapitals nicht zustimmt, so bringt sie damit zugleich alle übrigen Vorschläge zu Fall, mögen diese auch in ihren Gemeinschaften überall angenommen sein. Eine kleine Gläubigergruppe kann demnach durch ihre Opposition die Sanierung des ganzen Unternehmens vereiteln.

Diese unbefriedigende Konsequenz hat uns bewogen, in einem neuen Art. 16bis das zum Zustandekommen der gegenseitig voneinander abhängig gemachten Vorschläge bei einer Mehrheit von Gemeinschaften erforderliche Quorum besonders festzusetzen.

Die neue Bestimmung zieht die Dreiviertelsmehrheit auch für die Gesamtheit des im Umlauf befindlichen Kapitals aller Gemeinschaften zusammengenommen in Betracht, verzichtet dagegen auf sie in einer Minderheit der Gemeinschaften selbst, die Y4 der Zahl derselben nicht übersteigen darf. Danach gelten alle Vorschläge als angenommen, wenn drei Viertel des Gesamtkapitals den für sie gemachten Vorschlägen zustimmen (lit. a) und diese Mehrheit sich zugleich so auf die einzelnen Gemeinschaften verteilt, dass 3/4 derselben ihre Vorschläge mit der nach Art. 16 nötigen Dreiviertelsmehrheit annehmen (lit. ö). Bei dieser Ordnung wäre indessen denkbar, dass eine einzelne, schlechter behandelte und darum nicht zustimmende Gemeinschaft durch die übrigen, an ihrem Schicksal nicht interessierten Gläubiger majorisiert werden könnte. Wir haben daher zum Schutz solcher Minderheiten das .weitere Erfordernis beigefügt, dass in jeder Gemeinschaft wenigstens die einfache Summenmehrheit dem Vorschlag zustimmen muss (lit. c). Damit wird die Garantie geschaffen, dass keiner Gläubigergruppe eine offenbar unbillige, mit den übrigen Vorschlägen nicht in Einklang zu bringende Massregel aufgezwungen werden kann.

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Wir beantragen Ihnen, gemäss Ziffer l, Absatz 3, des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 unsern Beschluss vom 28. Dezember 1920 als weiter in Kraft bleibend zu erklären.

B e r n , den 17. Januar 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schulthess.

Der Bundeskanzler: :

Steiger.

Beilage.

Bundesratsbeschluss betreffend

Abänderung der Verordnung über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen.

(Vom 28. Dezember 1920.)

Der schweizerische Bundesrat, gestützt auf den zweiten Absatz von Ziffer I des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates, beschliesst: Die Verordnung vom 20. Februar 1918 betreffend die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen*) wird abgeändert wie folgt: 1.

Nach Art. l wird folgender Art. 1bis eingefügt: ,,Eine Gemeinschaft im Sinne von Art. l bilden auch die Gläubiger der Kassaobligationen und Kassascheine, die von einem Schuldner, der in der Schweiz Wohnsitz oder geschäftliche Niederlassung hat, bis zur Einberufung der Gläubigerversammlung ausgegeben worden sind.

Die Bestimmungen dieser Verordnung finden auf solche Gemeinschaften entsprechende Anwendung."

*) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXIV, S. 231.

55 II.

Zwischen Absatz l und 2 des Art. 4 wird folgender neuer Absatz eingefügt: ,,Bei der Gemeinschaft der Gläubiger von Kassaobligationen und Kassascheinen ist eine auf die ungleiche Rechtsstellung Rücksicht nehmende verschiedene Behandlung der Gläubiger zulässig.'1

m.

Nach Art. 8 wird folgender Art. 8bis eingefügt: ,,Vom Zeitpunkt der Publikation der Einladung zur Gläubigerversammlung im Schweizerischen Handelsamtsblatt an bis zur Beurkundung des Beschlusses der Gläubigergemeinschaft gemäss Art. 20 sind die fälligen Guthaben gestundet. Die Massregel gilt nicht als Zahlungseinstellung im Sinne von Art. 190, Ziffer 2, SchKG.

Das in der Verordnung und im vorliegenden Bundesratsbeschluss vorgesehene Verfahren kann binnen Jahresfrist nur einmal angerufen werden."

IV.

Nach Art. 16 wird folgender Art. 16bi8 eingefügt: ,,Bei einer Mehrheit von Gläubigergemeinschaften kann der Schuldner gleichzeitig eine oder mehrere der in Art. 16 vorgesehenen Massregeln den Gemeinschaften unter dem Vorbehalte unterbreiten, dass die Gültigkeit jeder Massregel von der Annahme der übrigen Massregeln abhängig ist.

In diesem Falle gelten alle Vorschläge als angenommen, 1. wenn sie die Zustimmung der Vertreter von mindestens 3 /4 des im Umlauf befindlichen Kapitals aller dieser Gläubigergemeinschaften zusammen gefunden haben, 2. wenn sie ferner von 3/4 der Gemeinschaften nach Art. 16 angenommen worden sind und 3. wenn in jeder übrigen Gemeinschaft die Vertreter von mindestens der einfachen Mehrheit des im Umlauf befindlichen Kapitals zugestimmt haben."

V.

Dieser Bundesratsbeschluss tritt am l. Januar 1921 in Kraft.

B e r n , den 28. Dezember 1920.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler : Steiger.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Bundesratsbeschluss vom 28. Dezember 1920 betreffend Abänderung der Verordnung über die Gläubigergemeinschaft bei Anleihensobligationen. (Vom 17. Januar 1921.)

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