#ST#

447

1475 Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Motion Robert Schmid betreffend die Revision der Haager Übereinkunft über die Ehescheidung und die Trennung von Tisch und Bett vom 12. Juni 1902.

(Vom 3. Oktober 1921.)

In seiner Sitzung vom 24. Juni 1919 hat der Nationalrat eine Motion Eobert Schmid erheblich erklärt, die folgendermassen lautet : «Der Bundesrat wird eingeladen, eine Änderung der Haager Übereinkunft vom 12. Juni 1902 betreffend die Ehescheidung und die Trennung von Tisch und Bett in dem Sinne anzustreben, dass künftig die Ehe einer Schweizerin mit einem Ausländer geschieden werden kann, auch wenn die Scheidung nur nach schweizerischem Recht zulässig ist, jedenfalls dann, wenn die Ehe in der Schweiz geschlossen wurde und die Schweizerin das Schweizerbürgerrecht wieder erlangt hat.» Wir beehren uns, Ihnen darüber folgenden Bericht zu erstatten : Die vorliegende Motion ist offenbar durch die -- nunmehr vom Bundesgerichte sanktionierte -- Praxis der schweizerischen Gerichte veranlasst worden, wonach die Scheidung der zwischen einem italienischen Staatsangehörigen und einer Schweizerbürgerin abgeschlossenen Ehe nicht ausgesprochen werden darf, und zwar auch dann nicht, wenn die Ehe bereits getrennt worden ist und. die Ehefrau gestützt auf diese Trennung gemäss Art. 10, lit. &, des Bundesgesetzes betreffend die Erwerbung des Schweizerbürgerrechtes und den Verzicht auf dasselbe, vom 25. Juni 1903, die Wiedereinbürgerung erwirkt hat (vgl. Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 31. März 1915 in Sachen Ginghello, Schweizerische Juristenzeitung, Band 12, Seite 32 f. Urteil des Bundesgerichts vom 6. Dezember 1917 in Sachen Arnaboldi, BGE 43 II Nr. 73). Die Begründung des für die Streitfrage entscheidenden bundesgerichtlichen Urteils in Sachen Arnaboldi geht von Art. 8 der Haager Übereinkunft vom 12. Juni 1902 betreffend die Ehescheidung und die Trennung von Tisch und Bett aus, der dahin lautet, dass, sofern die

448

Ehegatten nicht dieselbe Staatsangehörigkeit haben, ihr letztes gemeinsames Gesetz als das Gesetz des Heimatstaates im Sinne der übrigen Bestimmungen der Übereinkunft anzusehen ist. Daraus folge -- wird ausgeführt --, dass eine Schweizerin von einem Ausländer nicht geschieden werden könne, wenn sie während der Ehe dem gleichen Staate angehört habe wie ihr Ehemann und das Eecht dieses Staates die Scheidung nicht kenne. Diese Unterwerfung von im Inland wohnenden Schweizern unter fremdes Eecht, die als stossend empfunden werden möge, erkläre sich aus der Absicht der Konvention, zu vermeiden, dass durch einen einseitigen Wechsel der Nationalität doch dem einen Ehegatten die Scheidung ermöglicht werden solle, die nach dem frühem, für beide Ehegatten gemeinsamen Eechte nicht zr lässig war. Die Gutheissung der von der Klägerin in der Schweiz anhängig gemachten Klage ohne Eücksicht auf das Heimatrecht des andern Ehegatten würde dazu führen, dass für diesen in seiner Heimat die Ehe fortbestünde, während es doch das Ziel der Konvention sei, solche Verschiedenheiten in der Bechtsstellung der Ehegatten zu vermeiden. Gegen diese, auf einem positiven Eechtssatz der Konvention beruhende Einschränkung der Anwendung des Heimatrechtes auf Schweizerbürger im Inlande könne auch der interne «ordre public» der Schweiz, d. h. eine absolut zwingende, entgegenstehende schweizerische Norm nicht angerufen werden. Dies sei zwar nicht schon deswegen der Fall, weil die Anwendung des ausländischen Eechtes aus einem Staatsvertrage folge, denn auch gegenüber den Bestimmungen von Staatsverträgen sei im Einzelfall die Berufung auf den internen ordre public als Ausnahme gerechtfertigt, sofern es sich um allgemeine Staatsvertragsnormen handle.

Wenn aber, wie hier, der Staatsvertrag selber in einem besonders genannten Einzelfall die Anwendung des ausländischen Eechtes ausdrücklich verlange, so werde dadurch der schweizerische ordre public einschränkend umschrieben mit der Folge, dass der schweizerische Eichter die Anwendung des ausländischen Eechtes nicht mit der Begründung ablehnen könne, dass es nach- seiner Auffassung dem öffentlichen Wohle widerspreche, indem sonst die Bestimmung des Staatsvertrages in ihr Gegenteil verkehrt würde. Dieses Urteil ist überzeugend begründet; es konnte gemäss der Konvention nicht anders entschieden
werden. Übrigens nahmen zu der Zeit, wo Frankreich der Konvention angehörte, auch die französische Doktrin und Praxis den nämlichen Standpunkt ein wie das Bundesgericht, und lehnten es gestützt auf Art. 8 der Konvention ab, die Scheidung einer Ehe zwischen einem Italiener und einer wieder eingebürgerten Französin auszusprechen (vgl. Journ. dr. int. pr. hg. von Clunet 1911, Seite 588 f.; 1912 Seite 189. Travers: La Convention de la Haye

449 relative au divorce Nr. 207). Nach deutschem Eecht ergibt sich diese Lösung für einen demjenigen des Falles Arnaboldi analogen Tatbestand, ohne dass Art. 8 der Übereinkunft herangezogen werden muss; denn nach Art. 17 des Einführungsgesetzes zum bürgerlichen Gesetzbuche sind für die Scheidung der Ehe die Gesetze des Staates massgebend, dem der Ehemann zur Zeit der Klage angehört. Von diesem Grundsatze wird nur in dem Spezialfalle eine Ausnahme gemacht, wo beide Ehegatten Reichsangehörige waren, zur Zeit der Klageanhebung aber die Eeichsangehörigkeit des Ehemannes erloschen ist, während die Ehefrau nach wie vor die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, indem unter dieser Voraussetzung das deutsche Eecht Anwendung findet (Art. 17, Abs. 3, EG z. BGB).

Die Motion richtet sich denn auch nicht gegen die angeführten Urteile als solche, sondern gegen die Konvention selbst. Und zwar soll diese nicht nur in dem Sinne abgeändert werden, dass künftig in dem Falle Arnaboldi analogen Fällen die Ehescheidung wird ausgesprochen werden können; denn das Hauptbegehren der Motion geht weiter, nämlich dahin, dass die Scheidung stets dann als zulässig zu erklären, d. h. auf das schweizerische Eecht abzustellen sei, wenn eine Schweizerin sich mit einem Angehörigen eines Staates verehelicht hat, dessen Eecht die Ehescheidung nicht anerkennt. Nur eventuell nimmt der Motionär den Standpunkt ein, dass in solchen Fällen jedenfalls dann auf Scheidung soll erkannt werden können, wenn die Ehe in der Schweiz abgeschlossen worden ist und die Ehefrau das infolge der Verehelichung erloschene Schweizerbürgerrecht wieder erworben hat. Dabei ist jedoch vorab zu bemerken, dass der Um-' stand, ob die Ehe in der Schweiz oder in Italien oder in einem dritten Staate abgeschlossen worden ist, mit Bezug auf die Wirkungen der Ehe, namentlich das für deren Beurteilung massgebende Eecht, ohne jede rechtliche Bedeutung ist; denn wo immer eine Schweizerin sich mit einem Italiener verehelicht haben mag, so wird hinsichtlich der Wirkungen der Ehe stets das italienische Eecht Anwendung finden; das Eecht des Ortes, wo die Verehelichung erfolgte, fällt nur für die Formen des Eheabschlusses in Betracht. Demnach ist der Passus der Motion «wenn die Ehe in der Schweiz abgeschlossen worden ist» rechtlich unerheblich und braucht daher weiter nicht beachtet
zu werden. Was sodann die Motion im übrigen betrifft, so erscheint eine Abänderung der Konvention in dem vom Motionär vorgeschlagenen Sinne von vornherein als ausgeschlossen; denn mit Eücksicht darauf; dass es sich bei den Haager Übereinkünften nicht um Verträge zwischen zwei einzelnen Staaten, sondern um Kollektiv vertrage handelt, ist für eine besondere Eechtsstellung der schweizerischen Staatsangehörigen allein kein Eaum; es muss daher jeden-

450 falls der in der Motion enthaltene Abänderungsvorschlag in allgemeiner und für alle Konventionsstaaten gültiger Weise gefasst werden, etwa in dem Sinne, dass die zwischen Angehörigen verschiedener Staaten abgeschlossene Ehe soll geschieden werden können, sofern nur das Eecht des Staates die Scheidung zulässt, dem die Ehefrau vor der Verehelichung angehört hat, dies jedenfalls dann, wenn die Ehefrau ini Zeitpunkte der Klageanhebung wiederum die Staatsangehörigkeit ihres Heimatstaates besitzt.

Indessen erhebt sich hier sofort eine Frage. Wie verhält es sich, wenn der Ehemann zur Zeit der Klage einem Staate angehört, deidie Auflösbarkeit der Ehe anerkennt, das Eecht der Ehefrau diese dagegen verbietet? Solche Fälle sind sehr wohl denkbar. Wir verweisen in dieser Beziehung auf den dem Urteile des Bundesgerichtes vom 3. März 1909 in Sachen Eizzi zugrunde liegenden Tatbestand (BGE 35 I Nr. 67). In diesem Falle hatte ein italienischer Staatsangehöriger sich mit einer Schweizerbürgerin verehelicht. Die Ehe wurde in der Folge nach italienischem Eechte getrennt. Später erwarb der Ehemann das Schweizerbürgerrecht; die Naturalisation erstreckte sich jedoch nicht auf die getrennt lebende Ehefrau; vielmehr behielt diese die durch den Eheabschluss erworbene italienische Staatsangehörigkeit bei (Art. 3 BG betreffend die Erwerbung des Schweizerbürgerrechtes und den Verzicht auf dasselbe vom 25. Juni 1903). Die vom Ehemanne nach erfolgter Naturalisation an seinem Wohnsitze Bellinzona erhobene Ehescheidungsklage wurde vom Appellationsgencht des Kantons Tessin mit Urteil vom 21. September 1908 als unzulässig von der Hand gewiesen, mit der Begründung, dass das italienische Eecht, welches gemäss Art. 8 der Haager Übereinkunft als letztes gemeinsames Eecht zur Anwendung komme, der Ehescheidung die Anerkennung versage (vgl. Eep. Giur. patr. Bd. 41, S. 905). Das Bundesgericht konnte sich in der Sache selbst nicht aussprechen,' weil der Kläger statt der Berufung die staatsrechtliche Beschwerde ergriffen hatte; es hätte aber auch nicht anders entscheiden können, als das Appellationsgericht es getan hatte, weil die von diesem vertretene Auffassung überhaupt die einzig mögliche ist (vgl. in diesem Sinne auch die französische Praxis: Journ. dr. int.

pr. 1908, S. 1129, 1908, S. 1130). Aber auch nach dem vom Motionär
gestellten Antrag zur Abänderung der Konvention könnte in dem soeben erwähnten Falle Eizzi die Scheidung nicht ausgesprochen werden, will doch der Motionär das Eecht des Staates als massgebend erklären, dem die Ehefrau angehört; dieses d. h. in casu das italienische Eecht aber kennt die Scheidung nicht. Ein irgendwie stichhaltiger Grund, den Tatbestand des Falles Eizzi rechtlich anders zu behandeln als den Tatbestand des Falles Arnaboldi, liegt nun aber

451 zweifellos nicht vor; ini Gegenteil ist schlechterdings nicht einzusehen, weshalb die Ehegatten, deren letztes gemeinsames Gesetz die Ehescheidung verbietet, sollen geschieden werden können, wenn das Eecht, dem die Ehefrau zur Zeit der Klage untersteht, die Scheidung zulässt, nicht aber dann, wenn der Ehemann das Bürgerrecht eines Staates erworben hat, nach dessen Eecht die Ehe aufgelöst werden kann, die Ehefrau aber weiterhin dem die Scheidung verbietenden Eechte unterworfen bleibt. Will man sich nicht dem Vorwürfe der mangelnden Folgerichtigkeit aussetzen, so müsste der Wortlaut der Motion in der Weise abgeändert werden, dass sie beide Fälle deckt und demnach nichts darauf ankommen kann, ob in dein Falle der verschiedenen Staatsangehörigkeit der Ehegatten das Eecht des Ehemannes oder dasjenige der Ehefrau die Scheidung als zulässig bzw. unzulässig erklärt. Alsdann hätte der Wortlaut der Motion dahin zu lauten: 1. dass im Falle, wo die Ehegatten vor der Verehelichung nicht dem nämlichen Staate angehörten, die Ehe soll geschieden werden können, wenn das Heimatrecht der Ehefrau die Scheidung gestattet, 2. dass im Falle des Wechsels der Staatsangehörigkeit nur eines Ehegatten während des Bestehens der Ehe die Scheidung soll ausgesprochen werden können, sofern nur eines der beiden Eechte -- sei es dasjenige des Ehemannes, sei es dasjenige der Ehefrau -- die Lösung der Ehe dem Bande nach als statthaft betrachtet. Mit dieser Formulierung würde indessen nicht nur Art. S der Konvention eliminiert, sondern diese selbst aus den Angeln gehoben; denn jeder Angriff auf Art. 8 läuft auf eine Bekämpfung des Art. l hinaus und richtet sich mithin gegen die Grundlagen der Konvention (vgl. Bettelheim, Das internationale Eherecht nach den Haager Konventionen, in der Zeitschrift für internationales Privatund Strafrecht, Bd. 17, S. 597 ff. bes. S. 634). Hierbei fällt in Betracht, dass Wesen und Zweck der Konvention in der Lösung des Konfliktes verschiedener Ehegesetzgebungen durch eine ausgleichende Kollisionsnorm bestehen. Diese ausgleichende Norm liegt darin, dass bei der Entscheidung von Ehescheidungsklagen neben dem Gesetze des Ortes der Klage grundsätzlich auf das Heimatrecht der Ehegatten abgestellt werden soll, d. h. auf dasjenige Eecht, nach dem während der Dauer der Ehe deren persönliche und vermögensrechtliche
Folgen sich beurteilten und das aus diesem Grunde allen andern etwa noch in Betracht fallenden Eechtsordnungen gegenüber den Vorzug verdient (vgl. Art. l der Übereinkunft).

Hieraus erhellt, dass Art. 8 lediglich eine Konsequenz des in Art. l ausgesprochenen Grundsatzes bildet; denn mit Eücksicht darauf, dass im Falle der verschiedenen Staatsangehörigkeit zur Zeit der Klage ein beiden Ehegatten gemeinsames Heimatrecht nicht mehr

452

vorhanden ist, so soll ihr letztes gemeinsames Eecht als ihr Heimatrecht gelten, weil dieses Eecht vermutlich während der längsten Zeit die Ehe beherrscht hat. Dieser Grundsatz wird aber durch die Motion über Bord geworfen, indem danach nicht das die Ehe beherrschende Eecht, sondern das die Auflösung der Ehe quoad vinculum gestattende Eecht massgebend sein soll. Von einer ausgleichenden Kollisionsnorm kann hier nicht mehr die Eede sein, weil unter diesen Umständen der Konflikt -- auch in den Fällen von Art. l -- ganz einseitig zugunsten des die Scheidung anerkennenden Eechtes gelöst wird, was für diejenigen Staaten, welche der Ehescheidung ablehnend gegenüberstehen, schlechterdings unannehmbar wäre. Will die Schweiz Art. 8 der Konvention nicht mehr gelten lassen, so desavouiert sie damit auch Art. 1. Die Konsequenz davon aber ist, .dass sie den Eücktritt von-der Konvention erklären rnuss, weil sie danach die Grundprinzipien derselben nicht mehr anerkennen zu können glaubt.

Bevor man sich indessen zu diesem Schritte entschliesst, erscheint es als angezeigt, die Frage zu prüfen, was damit gewonnen wäre, in erster Linie, ob bei einem konventionslosen Zustande in den erwähnten Fällen Arnaboldi und Eizzi, auf welche die Motion zugeschnitten ist, ein schweizerisches Gericht auf Scheidung erkennen dürfte. Es ist nun allerdings richtig, dass das Bundesgericht vor dem Inkrafttreten der Konvention- zu verschiedenen Malen die Ehe zwischen einer Schweizerin und dem Angehörigen eines Staates, dessen Ehegesetzgebung auf der Unlösbarkeit der Ehe beruht, geschieden hat mit der Begründung, dass in allen von den schweizerischen Gerichten zu beurteilenden Ehesachen das Gesetz des Klageortes, mit andern Worten das schweizerische Gesetz anzuwenden sei (BGE 8 Nr. 112 Erw. 2; 26, I, Nr. 38; 27, I, Nr. 29 Erw. 2). An dieser Praxis ist auch nach dem Inkrafttreten der Konvention festgehalten worden, sofern der Beklagte einem. Staate angehörte, welcher der Übereinkunft nicht beigetreten ist. Diese Lösung ruft indessen ernstlichen Bedenken angesichts der Konsequenzen, die ein solches Urteil in sich trägt; denn trotz der vom schweizerischen Eichter ausgesprochenen Scheidung bleibt die Ehe nach dem Eechte des Beklagten nach wie vor zu Eecht bestehen; geht einer der «geschiedenen» Ehegatten eine neue Ehe ein, so macht er sich
nach diesem Eechte der Bigamie schuldig. Zugunsten der vom Bundesgerichte vertretenen Ansicht kann allerdings angeführt werden, dass sich dadurch das vom schweizerischen Standpunkte aus stossende Eesultat vermeiden lässt, welches sich aus der Anwendung von Art. 8 ergibt und das darin besteht, dass einem Schweizerbürger durch ein schweizerisches Gericht infolge der Anwendung ausländischen

453

Eechtes ein ihm nach den schweizerischen Gesetzen zustehendes Recht, nämlich das Eecht auf Ehescheidung, vorenthalten werden muss. Allein anderseits ist zu bedenken, dass als ebenso stossend empfunden werden muss, wenn dem ausländischen Beklagten infolge der während der Dauer der Ehe erfolgten Naturalisierung des Klägers die Scheidung aufgezwungen wird, gemäss den Normen einer Rechtsordnung, der er nie unterworfen war, während doch der Kläger in der Regel dem -- die Scheidung verbietenden -- Rechte des Beklagten unterstand bis zu der gewöhnlich auf eine Trennung sich stützenden Naturalisation, welche das Auseinanderfallen der Staatsangehörigkeit der Ehegatten bewirkt und den Konflikt begründet. Danach entspricht es den Grundsätzen des internationalen Privatrechtes weit mehr, wenn die Scheidungsklage nach dem letzten gerneinsamen Rechte entschieden wird, also einem Rechte, dem einmal beide Ehegatten unterworfen gewesen sind, statt nach dem Rechte, das nur der eine der Ehegatten infolge der Naturalisierung erworben hat, zumal wenn noch die Unmöglichkeit der Vollstreckung eines ausschliesslich auf das Recht des Klägers abstellenden Urteils im Staate des Beklagten in Betracht gezogen wird. Aus diesen Gründen hat die in der französischen Doktrin und Praxis herrschende Meinung schon vor dem Inkrafttreten der Konvention das in Art. 8 niedergelegte Prinzip als für die Scheidung von Ehegatten massgebend erklärt, welche zur Zeit der Klage nicht die gleiche Staatsangehörigkeit besassen (Journ. dr. int. priv. 1892, S. 662; 1894, S. 120; 1897,.

S. 333; 1899, S. 350; 1900, S. 955. Weiss: Traité de droit international privé, Bd. Ili, S. 697 ff. Perroud: Des conséquences d'un changement de la loi personnelle. Journ. dr. int. pr. 1905, S. 292 ff.).

Dièse Praxis ist zu der Zeit, wo die Konvention in Frankreich in Geltung stand, gegenüber den Angehörigen von Staaten befolgt worden, die der Konvention nicht beigetreten sind (vgl. z. B. Journ.

dr. int. pr. 1908, S. 1129); auch heute, nachdem Frankreich von der Konvention zurückgetreten ist, wird an ihr festgehalten, mit der Begründung, dass die in Art. 8 kodifizierte Kollisionsnorm allein «conforme aux principes généraux du droit international» sei (Journ.

dr. int. pr. 1918, S. 206 ff.). Die den erwähnten bundesgerichtlichen Urteilen zugrunde liegende Auffassung
mag denjenigen befriedigen, dem es in erster Linie darauf ankommt, das Prinzip der Auflösbarkeit der Ehe durchzusetzen. Allein bei der Lösung von Konflikten zwischen verschiedenen Rechtsordnungen darf der Richter nicht ohne weiteres zugunsten des Gesetzes entscheiden, das mit den einheimischen Anschauungen am besten harmoniert, sondern er hat sich von objektiven Erwägungen leiten zu lassen. Er darf die ausländische Rechtsordnung, deren Anwendung in Frage kommen kann, nur

454

daraufhin überprüfen, ob sie allenfalls mit déni ordre public im Widerspruche stehe. Wenn wir auch zugeben, dass die Unlösbarkeit der Ehe der bei uns geltenden Eechtsanschauung nicht entspricht, ginge es doch wohl zu weit, zu sagen, dass sie unsern ordre public verletze. Dies darf für das schweizerische Bechi um so unbedenklicher angenommen werden, als nach der soeben erwähnten französischen Praxis die Anwendung eines die Scheidung verbietenden Rechtes als mit dem französischen ordre public vereinbar betrachtet wird, obschon die französische Rechtsprechung dem internen ordre public eine Ausdehnung gibt, wie dies sonst nirgends geschieht und weshalb Frankreich sich veranlasst gesehen hat, von der Konvention zurückzutreten (vgl. die Note vom 12. November 1913, durch welche die Kündigung notifiziert wird, abgedruckt bei Valloton : Le divorce et la séparation de corps en droit international privé, S. 227 ff., ferner den anonymen Aufsatz : La dénonciation des Conventions de la Haye, in der Revue dr. int. pr. 1914, S. 364 ff., Beer: Die französische Kündigung der Haager Familienrechtskonventionen, in der Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht, Bd. 25, S. 355). Ergibt sich demnach, dass auch ohne das Bestehen der Übereinkunft die Fälle Arnaboldi und Rizzi nach allgemeinen Grundsätzen des internationalen Privatrechts so entschieden werden müssten, wie sie in Anwendung von Art. 8 der Konvention entschieden worden sind, so lässt sich der vom Motionär verfolgte Zweck auch durch die Kündigung der Übereinkunft seitens der Schweiz nicht erreichen.

Selbst wenn übrigens angenommen werden wollte, die erwähnte Praxis des Bundesgerichtes, die ausschliesslich avf das schweizerische Recht abstellt, sei richtig, so dass der Rücktritt von der Konvention in den vom Motionär ins Auge gefassten konkreten Fällen die Ehescheidung ermöglichen würde, so läge unseres Erachtens darin kein Grund, die Übereinkunft zu kündigen. Wir betrachten es heute freilich nicht als unsere Aufgabe, die Frage der Kündigung grundsätzlich zu erörtern. Immerhin gestatten wir uns, darauf hinzuweisen, dass die Scheidungskonvention bis heute zweifellos mehr Vorteile als Nachteile gezeitigt hat, und zwar sowohl für die Ausländer in der Schweiz, als für die Schweizer im Auslande; jedenfalls ist uns ausser der in der vorliegenden Motion
enthaltenen Kritik nichts bekannt geworden, was für die Kündigung sprechen würde. Im Gegenteil hat sich beispielsweise im Verhältnis zu Frankreich der konventionslose Zustand -- der zur Folge hat, dass ausschliesslich auf Art. I g ff.

N und A abgestellt werden muss -- als äusserst unangenehm und unbefriedigend fühlbar gemacht; denn obschon sowohl das schweizerische als das französische Recht die Ehescheidung anerkennen, können heute in der Schweiz domizilierte französische Ehegatten

455 durch die schweizerischen Gerichte nicht geschieden werden, weil der Nachweis dafür fehlt, dass die französischen Gerichte für die Scheidung von in der Schweiz wohnhaften Franzosen den schweizerischen Gerichtsstand anerkennen (Urteil des Bundesgerichts in Sachen Motard, BGE 43, II, Nr. 42), während unter der Herrschaft der Konvention die Scheidung ohne weiteres möglich war. Der Eücktritt brächte es mit sich, dass sowohl die Schweiz als die übrigen Staaten im Verhältnis zur Schweiz auf ihr internes internationales Privatrecht abstellen müssten. Die Folge davon wäre aber nicht nur eine Verschlechterung der Eechtsstellung der Ausländer in der Schweiz, sondern auch der Schweizer im Auslande. So hat denn auch in Frankreich schon bald nach der Kündigung eine Bewegung eingesetzt, welche den Wiedereintritt in die Konvention verlangt (vgl. Travers: De la remise en vigueur en France des Conventions de la Haye, Journ. dr. int. pr. 1915, S. 792 ff.). Unter diesen Umständen erschiene es uns als verfehlt, die in der Konvention niedergelegten Prinzipien fallen zu lassen aus dem einzigen Grunde, weil sie in den -- äusserst seltenen -- Fällen der verschiedenen Staatsangehörigkeit der Ehegatten zu nicht allseitig befriedigenden Eesultaten führen. Es wird auf dem Gebiete des internationalen Privatrechtes nie gelingen, Normen zu schaffen, welche alle Konflikte zu beseitigen vermögen, vielmehr werden stets Härten in besonders gearteten Fällen in den Kauf genommen werden müssen. Diese Härten werden aber auch in den Kauf genommen werden können, wenn sich für die Mehrzahl der Fälle eine befriedigende Lösung finden lässt.

Wenn wir uns gegen die Kündigung aussprechen, so geschieht dies nicht zuletzt auch aus der allgemeinen Erwägung, dass nicht die Zertrümmerung, sondern der Ausbau der internationalen Eechtsordnung unser Ziel sein soll, deren Anfänge die Haager Familienrechtskonventionen bilden. Aus diesen Gründen beehren wir uns, Ihnen zu beantragen, es sei der Angelegenheit keine weitere Folge zu geben.

Genehmigen Sie, sehr geehrte Herren, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

B e r n , den S.Oktober 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Schulthess.

Der Bundeskanzler :

Steiger.

Bundesblatt.

73. Jahrg. Bd. IV.

32

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Motion Robert Schmid betreffend die Revision der Haager Übereinkunft über die Ehescheidung und die Trennung von Tisch und Bett vom 12. Juni 1902. (Vom 3. Oktober 1921.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1921

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

41

Cahier Numero Geschäftsnummer

1475

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

12.10.1921

Date Data Seite

447-455

Page Pagina Ref. No

10 028 094

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.