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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren ,,Ausländerinitiative" : Begehren I betreffend Abänderung von Art. 44 der Bundesverfassung (Einbürgerungswesen), Begehren II betreffend Abänderung von Art. 70 der Bundesverfassung (Ausweisung wegen Gefährdung der Landessicherheit).

(Vom 6. Juni 1921.)

Die Bundesversammlung hat durch Bundesbeschluss vom 28. Januar 1921 das im März 1920 eingereichte Volksbegehren «Ausländerinitiative», das von 59,812 stimmberechtigten Schweizerbürgern gültig unterzeichnet worden ist, als zustande gekommen erklärt. Dabei wurde eine Zerlegung des Volksbegehrens in zwei Teile vorgenommen und bestimmt, dass diese Teile als Einzelbegehren (I und II) getrennt der Volksabstimmung zu unterbreiten seien.

Wir beehren uns, Ihnen anmit über dieses Volksbegehren Bericht zu erstatten.

Das Begehren I lautet: «Der Absatz 2 des Art. 44 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 wird aufgehoben und durch nachstehende Bestimmungen ersetzt : «Art. 44 bis . Ein Ausländer erlangt das Schweizerbürgerrecht durch die Erwerbung eines Gemeinde- und Kantonsbürgerrechts.

Er muss hierzu vorerst die Bewilligung des Bundesrates nachsuchen.

Diese darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer im Laufe der fünfzehn Jahre, die seinem Gesuche vorausgegangen sind, während wenigstens zwölf Jahren, wovon zwei Jahre unmittelbar vor der Einreichung des Gesuches, seinen tatsächlichen Wohnsitz in der Schweiz gehabt hat.

Diese Beschränkung gilt nicht für die Ehefrau, die von Eechts wegen das Bürgerrecht des Ehemannes erlangt, und für Kinder unter fünfzehn Jahren, wenn sie mit den Eltern eingebürgert werden.

«Eingebürgerte Ausländer, die in der Zeit vom zurückgelegten fünften Altersjahre bis zur Erlangung der Mündigkeit nicht während

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wenigstens zwölf Jahren ihren tatsächlichen Wohnsitz in der Schweiz gehabt haben, besitzen die Fähigkeit, in die politischen Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden gewählt zu werden, nicht; dagegen haben sie gleich den übrigen Schweizerbürgern das Eecht, zu stimmen und zu wählen. Der Bundesrat prüft und entscheidet bei Erteilung der Einbürgerungsbewilligung darüber, ob der Neubürger nach dieser Bestimmung in die politischen Behörden wählbar ist.

«Im übrigen werden die Bedingungen für die Erteilung des Schweizerbürgerrechts durch die Bundesgesetzgebung bestimmt.

Diese soll die Einbürgerung der in der Schweiz geborenen und aufgewachsenen Ausländer erleichtern; sie kann vorschreiben, dass solche Ausländer von Gesetzes wegen Schweizerbürger werden.

«Die Bundesgesetzgebung bestimmt ferner auch die Bedingungen, unter denen ein Schweizer zum Zwecke der Einbürgerung im Auslande auf sein Bürgerrecht verzichten kann.» -- Der Inhalt des vorstehenden Begehrens umfasst drei Postulate, die von uns einzeln zu prüfen sind: Erschwerung der Domizilbedingung, Ausschluss der Neubürger vom passiven Wahlrecht und Erwerb des Schweizerbürgerrechts von Gesetzes wegen.

1. Die Domizilbedingung. Als der Bundesrat im Juni 1876 den eidgenössischen Bäten erstmals den Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die Erteilung des Schweizerbürgerrechts vorlegte, schlug er vor, von dem Bewerber ein festes Domizil in unserm Lande von wenigstens einem Jahre als unerlässliche Voraussetzung zu fordern. Die Bundesversammlung hielt dieses Erfordernis für ungenügend und normierte in dem am 3. Juli 1876 erlassenen Einbürgerungsgesetz die dem Kandidaten aufzuerlegende Assimilationsfrist (die Wohnsitzbedingung) auf zwei Jahre. Bei der Eevision des Gesetzes im Jahre 1908 ging diese Bestimmung, ohne dass sie irgendwie erörtert wurde, in den neuen Gesetzestext (vom 25. Juni 1903) über.

Der grosse Andrang zu unserm Bürgerrecht, wie er sich aus der Krisis des Weltkrieges ergab, führte uns dazu, durch eine provisorische Verfügung vom 30. November 1917 das von dem Einbürgerungskandidaten nachzuweisende Domizil auf vier Jahre zu erhöhen und sodann durch Botschaft und Gesetzesentwurf vom 28. Juni 1919 Ihnen eine weitere Steigerung des Domizilerfordernisses auf sechs Jahre in Antrag zu bringen. Das aus diesem Entwurf hervorgegangene Bundesgesetz vom 26. Juni 1920, in Kraft seit 15. Oktober 1920, normiert die Wohnsitzbedingung wie folgt:

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«Die Bewilligung (zur Erwerbung des Schweizerbürgerrechts) wird nur an solche Bewerber erteilt, die in den letzten zwölf Jahren vor Einreichung des Gesuches während mindestens sechs Jahren auf Grund einer von der zuständigen Behörde erteilten Aufenthaltsoder Niederlassungsbewilligung tatsächlich in der Schweiz gewohnt haben.

«In der Schweiz geborene Ausländer, die bis zum erfüllten zwanzigsten Lebensjahre mindestens zehn Jahre in der Schweiz zugebracht haben, können die Bewilligung erhalten, wenn sie in den letzten fünf Jahren vor Einreichung des Gesuches mindestens drei Jahre in der Schweiz tatsächlich gewohnt haben.

«In jedem Falle muss der Gesuchsteller die letzten zwei Jahre vor Einreichung des Gesuches fortdauernd in der Schweiz gewohnt haben.» -- Die Gründe, welche eine Verschärfung der Wohnsitzbedingung bzw. eine Verlängerung der Assimilationsfrist notwendig erscheinen Hessen, finden sich in unserer Botschaft vom 28. Juni 1919 einlässlich erörtert und wir erlauben uns, hierauf zu verweisen.

Heute liegt nun die Präge vor, ob Gründe bestehen, welche es notwendig erscheinen lassen, die obligatorische Domizilfrist nach dem Vorschlage der Initianten auf 12 Jahre auszudehnen.

Wir durchgehen zunächst vergleichsweise die entsprechenden Gesetzesbestimmungen der ausserschweizerischen Staaten.

In Deutschland, Österreich und in Liechtenstein wird die Einbürgerung nicht an einen vorhergehenden Wohnsitz von bestimmter Dauer gebunden; die blosse Tatsache des effektiven Domizils gestattet dem Ausländer, sich um das Bürgerrecht zu bewerben.

Portugal verlangt einen vorausgehenden Wohnsitz von einjähriger Dauer. Einen zweijährigen Aufenthalt verlangen mehrere südamerikanische Staaten. Ein dreijähriger Wohnsitz wird verlangt von Finnland, Griechenland, Norwegen und Schweden; in Griechenland wird die Frist auf zwei Jahre reduziert, wenn es sich um Ausländer griechischen Stammes handelt.

Eine grosse Zahl von Staaten setzt den der Einbürgerung vorausgehenden Wohnsitz auf f ü n f Jahre fest, nämlich: Belgien, Dänemark, England, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Eussland, die Türkei, Ungarn und die Vereinigten Staaten von Nordamerika. Italien kennt neben der auf fünf Jahre lautenden Regel Ausnahmebestimmungen, die eine Verkürzung des geforderten Domizils gewähren: Ausländer, die sich um den Staat verdient gemacht oder eine Italienerin geehelicht haben, können schon nach dreijährigem Aufenthalt zur Einbürgerung gelangen. Reduktion auf ein Jahr tritt ein,

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wo es sich um Kandidaten handelt, welche der italienischen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes (jure soli) teilhaftig geworden wären, sofern sie dieselbe innerhalb der gesetzlichen Frist beansprucht hätten. Gewisse Bewerber sind von der Erfüllung jeglicher Domizilbedingung befreit : so Personen, die während wenigstens drei Jahren im Ausland in italienischem Staatsdienste gestanden oder sich durch ihre Leistungen das Königreich zu Dank verpflichtet haben oder die durch Spezialgesetz des Parlaments zu Bürgern erklärt werden. Auch die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten von Nordamerika sieht Erleichterungen vor, indem eine dreijährige Dienstleistung auf einem Schiffe, das unter der staatlichen Flagge fährt, oder eine einjährige Dienstleistung in der Armee zur Erwerbung der Staatsangehörigkeit genügen.

Einen vorausgehenden siebenjährigen Wohnsitz verlangt Serbien.

Zehn Jahre Domizil werden gefordert von Frankreich, Bulgarien, Bumänien und Spanien.

In Frankreich findet indessen eine Ermässigung auf dreijährige Aufenthaltsdauer statt, wenn der Bewerber vorgängig die «admission à domicile» nachgesucht und erhalten hat, die ihn hinsichtlich der privatrechtlichen Kompetenzen dem Franzosen gleichstellt. Falls der Bewerber eine Französin geheiratet oder sich um den Staat verdient gemacht hat, wird ein einjähriger Wohnsitz als genügend betrachtet.

Bulgarien hat eine analoge Eegelung getroffen. Der Gesuchsteller muss entweder während zehn Jahren ununterbrochen im Lande gewohnt haben oder beweisen, dass er nach Erlangung einer der französischen Gesetzgebung entsprechenden «admission à domicile» drei Jahre auf bulgarischem Gebiete zugebracht hat. Die Frist kann für Personen, welche dem Staate wichtige Dienste erwiesen haben, auf ein Jahr herabgesetzt werden.

In Spanien reduziert sich das Domizilerfordernis auf fünf Jahre, sofern der Bewerber eine Spanierin geehelicht oder dem Staate hervorragende Dienste geleistet hat.

In Bumänien wird die Erfüllung der Domizilbedingung den ·Kandidaten erlassen, die im Lande geboren und auferzogen worden sind, sowie auch denjenigen, die dem Lande grosse Dienste erwiesen haben oder die während eines Krieges in die rumänische Armee eingetreten sind.

Die vorstehende Übersicht zeigt, dass die Mehrheit der Staaten sich mit einer fünfjährigen Assimilationsfrist begnügt und dass auch diejenigen Staaten, die diese Frist auf zehn Jahre bemessen, zahl-

339 reiche Ausnahmefälle vorsehen, in welchen eine Verkürzung eintritt. Kein Staat geht über zehn Jahre hinaus. -- Was nun die schweizerischen Verhältnisse betrifft, so stellen wir fest, dass anlässlich der Beratung der Gesetzesnovelle vom 26. Juni 1920 in der Bundesversammlung von keiner Seite der Wunsch ausgesprochen worden ist, die Wohnsitzbedingung weiter als auf sechs Jahre zu erstrecken. Schon bei jenem Anlasse ist im Hinblick auf die angekündigte «Ausländerinitiative» betont worden, dass es sich nicht empfehle, nunmehr von einem Extrem ins andere zu verfallen und von zwei Jahren auf zwölf Jahre hinaufzugehen. Wir pflichten dieser Ansicht bei. Jeder Festsetzung einer bestimmten Naturalisationsfrist hängt naturgemäss eine gewisse Willkürlichkeit an, und wir möchten die Zahl von sechs Jahren keineswegs als unabänderlich hinstellen. Man mag auch wohl die Ansicht vertreten, dass die Wohnsitzdauer von sechs Jahren noch etwas erhöht werden dürfte, z. B.

auf acht Jahre, wie von der Expertenkommission vorgeschlagen wurde, die im Oktober 1919 in Montreux über die Neuorientierung der Einbürgerungsgesetzgebung beraten hat. Dagegen halten wir dafür, dass jedenfalls nicht über ein Erfordernis von zehn Jahren hinausgegangen werden sollte. Seit einem Jahrzehnt stehen in unserm Lande die Bestrebungen, welche die Sanierung der Überfremdung bezwecken, an der Tagesordnung; die Schweiz hat daher keinerlei Interesse, die Naturalisation der bei uns niedergelassenen Ausländer allzusehr zu erschweren und die Maximalgrenze dessen zu überschreiten, was in andern Staaten, deren Fremdenquote weit unter der unsrigen steht, als Vorbedingung für die Assimilation eines Einbürgerungskandidaten gefordert wird.

Es sei noch betont, dass unseres Erachtens die Normierung der Wohnsitzdauer für die Einbürgerungskandidaten nicht in die Bundesverfassung gehört, sondern -- wie bisher -- der Gesetzgebung zu überlassen ist. Die Überlastung unseres Grundgesetzes mit derartigen Details, die je nach Umständen dem Wechsel unterliegen können, sollte vermieden werden. Die Frage, ob die nunmehrige sechsjährige Dauer der Assimilationsfrist genüge, wird anlässlich der bevorstehenden Gesamtrevision des Einbürgerungsgesetzes erneut zu prüfen sein, und allfällige Wünsche auf Verlängerung der Frist werden sich alsdann geltend machen können; diese
Frist in der Verfassung festzulegen, halten wir nicht für angezeigt.

2. Ausschluss^der Neubürgerjpom passiven Wahlrecht. Die Initianten schlagen eine Verfassungsbestimmung vor, wonach naturalisierte Personen, die in der Zeit vom zurückgelegten fünften bis zum zurückgelegten zwanzigsten Altersjahre (Mündigkeit)

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nicht während wenigstens zwölf Jahren in der Schweiz gewohnt haben, in die politischen Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden nicht wählbar sind. Damit wären alle Neubürger, die erst nach Zurücklegung des achten Altersjahres in die Schweiz gekommen sind, zeitlebens von der Bekleidung eines politischen Amtes oder Mandates in Bund, Kanton und Gemeinde ausgeschlossen.

Sehen wir uns zunächst nach der Gesetzgebung der auswärtigen Staaten um, so zeigt sich, dass das ältere Recht eine Abstufung zwischen kleiner und grosser Naturalisation kannte, wobei nur die höhere Stufe die vollen staatsbürgerlichen Eechte verlieh. Eine solche Abstufung bestand in Italien unter der Herrschaft des codice civile bis 1912, indem die normale, sogenannte «kleine» Naturalisation dem Neubürger das aktive und passive Wahlrecht nur für die Gemeindeverwaltung verlieh, während zur Erteilung des aktiven und passiven Wahlrechts für das Parlament (grande naturalità) in jedem einzelnen Falle ein Spezialgesetz erforderlich war. Das italienische Einbürgerungsgesotz vom 18. Juni 1912 hat diese Unterscheidung fallen gelassen, so dass nunmehr jeder Naturalisierte sofort in den Besitz der vollen staatsbürgerlichen Kechte tritt.

Der Unterschied zwischen kleiner und grosser Naturalisation besteht heute noch fort in Belgien, wo der Neubürger erst durch die grosse Naturalisation in den Besitz des politischen aktiven und passiven Wahlrechts gelangt. Während die kleine Naturalisation nach fünfjährigem Wohnsitz gewährt wird, so bedarf es zur Erlangung der grossen Naturalisation einer Domizilfrist von zehn Jahren, die für Junggesellen und Witwer ohne Kinder auf fünfzehn Jahre erhöht wird.

Andere Staaten bestimmen für den naturalisierten Neubürger eine vorläufige Karenzzeit, binnen welcher er auf die Wahlfähigkeit für ein Parlamentsmandat keinen Anspruch hat: Österreich besass bis zur Eevolution des Jahres 1918 eine solche Karenzzeit von 3, Ungarn von 5 Jahren. Die französische Gesetzgebung gewährt das passive Wahlrecht zum .Parlament erst zehn Jahre nach erfolgter Naturalisation, sofern nicht im Einzelfalle durch Spezialgesetz eine Ausnahme statuiert wird. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika setzt die Wählbarkeit zum Repräsentantenhaus sieben Jahre nach der Naturalisation ein ; im weitern besteht die Einschränkung, dass ein
Naturalisierter niemals zum Präsidenten der Republik gewählt werden kann.

Was die Schweiz anbetrifft, so enthielt die Bundesverfassung von 1848 in Art. 64, Abs. 2, die Bestimmung: «Naturalisierte Schweizerbürger müssen seit wenigstens fünf Jahren das erworbene Bürgerrecht besitzen, um wahlfähig (in den Nationalrat) zu sein.» Diese

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Vorschrift wurde wiederholt in Art. 13, Abs. 2, des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen. Sie muss aber heute als aufgehoben gelten, da sie in den Art. 75 der Bundesverfassung von 1874, der die Wahlfähigkeit für den Nationalrat normiert, nicht hinübergenommen worden ist.

Wir haben Ihnen durch unsere Botschaft vom 9. November 1920 betreffend Eevision des Art. 44 der Bundesverfassung beantragt, jene Bestimmung der Bundesverfassung von 1848 wieder aufzunehmen in der verallgemeinerten Fassung: «Während der ersten fünf Jahre nach Erwerbung des Schweizerbürgerrechts sind die Eingebürgerten in die gesetzgebenden und vollziehenden Behörden der Eidgenossenschaft und der Kantone nicht wählbar.» Wenn wir eine solche zeitlich beschränkte Vorbereitungsfrist zur Ausübung politischer Mandate als im Literesse des Staates liegend erachten, können wir uns dagegen mit dem Vorschlage der Initianten unter keinen Umständen befreunden, der die Mehrzahl der Neubürger -- zirka 60 % --· zeitlebens von dem Eechte, einer «politischen» Behörde in Bund, Kanton oder Gemeinde anzugehören, ausschliessen würde. Es ist in den letzten Jahren vielfach betont worden, dass die günstige Stellung, welche die Niederlassungsverträge den in der Schweiz angesiedelten Ausländern einräumen, für letztere den Anreiz, sich in der Schweiz einzubürgern, vermindere und dass dieser Umstand mit zu den Ursachen der Überfremdung gehöre. Sollte man nun wirklich die von den Initianten beantragte Beschränkung der Wahlfähigkeit einführen, so würde der Anreiz, die Stellung als Ausländer aufzugeben und an dem politischen Leben unserer Demokratie teilzunehmen, bei einem gross'en Teil der in Betracht fallenden Kandidaten noch wesentlich abgeschwächt, und es müsste die Aussicht, niemals zu einer Ehrenstelle des Staates oder der Gemeinde aufrücken zu können, geradezu abschreckend wirken.

Aber auch vom Standpunkte unserer inneren staatlichen Struktur aus erscheint der Vorschlag der Initianten unannehmbar.

Die Unterscheidung der Staatsbürger in solche, welche wahlfähig, und solche, welche auf Lebenszeit wähl u n fähig sind, würde geradezu eine Kluft schaffen und die Nichtwahlfäbigen zu Bürgern mindern Hechtes stempeln. Ein solcher Einbruch in die Kechtsgleichheit wäre ein unzweifelhafter Bückschritt, welcher der
demokratischen Ausgestaltung unseres Staatswesens, dem Ergebnis einer hundertjährigen Entwicklung, ins Gesicht schlagen würde. Es müsste einen eigentümlichen Eindruck machen, wenn die Schweiz, die seit den dreissiger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch den freiheitlichen Ausbau ihres Verfassungsrechtes vorbildlich gewirkt hat, heute auf ein

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politisches Prohibitivsystem zurückgreifen würde, das den Stempel der Engherzigkeit, der Ängstlichkeit und des Misstrauens an der Stirne trägt. Wir können uns mit dieser Neuerung unter keinen Umständen befreunden und müssen sie des bestimmtesten ablehnen.

3. Der Erwerb des Schweizerbürgerrechts von Gesetzes wegen.

Wir haben in unserer Botschaft vom 9. November 1920 uns über die Einführung der Einbürgerung von Gesetzes wegen («kraft Gebietshoheit») einlässlich ausgesprochen und zu diesem Zwecke einen Verfassungstext in Vorschlag gebracht, der einerseits die Stellung normiert, welche den von Gesetzes wegen Eingebürgerten in unserm Staatsleben angewiesen würde, sowie anderseits auch unserm Volke die Gewissheit geben soll, dass die aus dieser Zwangseinbürgerung erwachsenden armenrechtlichen Kosten zum Teil vom Bunde übernommen würden. Wir halten es für unerlässlich, solche Bestimmungen in die V e r f a s s u n g aufzunehmen, da es sich hier um die Rechtsstellung von Staatsbürgern und des weitern um die Übernahme einer · grundsätzlichen Verpflichtung zu Lasten der Eidgenossenschaft handelt. Aus diesem Grunde geben wir dem von uns vorgeschlagenen Verfassungstext den Vorzug gegenüber dem allzu knappen Wortlaut des Initiativbegehrens, welcher die Tragweite der vorgesehenen Änderung im Ungewissen lässt.

Die von den Initianten vorgeschlagene Fassung des Art. 44 (bis) der Bundesverfassung erweist sich nach Vorstehendem einerseits als zu unbestimmt, soweit es die Einführung der Zwangseinbürgerung betrifft, und anderseits als zu weitgehend, soweit die Normierung der Assimilationsfrist (Domizilbedingung) in Betracht fällt; und sie erweist sich als völlig unannehmbar hinsichtlich der Beschränkung der politischen Eechte der Neubürger. Wir gelangen daher zu dem Schlüsse, Ihnen die A b l e h n u n g des Initiativbegehrens I zu beantragen.

Das Initiativbegehren ist in Form eines ausgearbeiteten Entwurfes gestellt. Wenn die Bundesversammlung sich für Ablehnung des Begehrens ausspricht, so hat sie zu wählen, ob sie für die Volksabstimmung einfach die Verwerfung beantragen oder ob sie dem Volke einen ausgearbeiteten Gegenentwurf vorlegen will. Es entsteht nun die. Frage, ob der der Bundesversammlung mit unserer Botschaft vom 9. November 1920 betreffend Eevision des Art. 44 der Bundesverfassung unterbreitete Entwurf dem Initiativbegehren als Gegenentwurf gegenübergestellt werden soll. Wir möchten diese Frage verneinen. Laut Art. 8 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892

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über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung haben die eidgenössischen Kate spätestens binnen Jahresfrist darüber Beschluss zu fassen, ob sie dem Initiativentwurf, so wie derselbe lautet, zustimmen oder nicht.

Als Beginn der einjährigen Frist wird nach bisheriger Praxis der Tag angenommen, an welchem der Bundesrat die Akten über den Eingang des Initiativbegehrens der Bundesversammlung zugehen lässt (Sah's, Bundesrecht II, Nr. 364). Im vorliegenden Falle hat diese Übermittlung am 20. August 1920 stattgefunden. Wollte man nun den von uns vorgeschlagenen Eevision sentwurf dem Initiativbegehren als Gegenentwurf gegenüberstellen, so hätte sich die Bundesversammlung hierüber -- d. h. auch über den Text des Gegenentwurfs -- bis zum 20. August 1921 schlüssig zu machen. Eine solche überstürzte Behandlung würde der ruhigen und umfassenden Beratung des für die Lösung der Fremdenfrage so wichtigen, schwierigen Stoffes entschieden Abbruch tun. Wir können dieses Vorgehen nicht befürworten. Um der Eevisionsarbeit eine sorgfältige Behandlung zu sichern, bleibt kein anderer Weg offen, als das Initiativbegehren ohne weiteres zur Ablehnung zu empfehlen und die Volksabstimmung hierüber anzuordnen. Sollte dasselbe zur Annahme gelangen, so müsste der Eevisionsentwurf unserer Botschaft vom 9. November 1920 dahinfallen, da alsdann den eidgenössischen Bäten lediglich noch die Aufgabe obliegen würde, die Einbürgerungsgesetzgebung auf Grund des angenommenen Verfassungsartikels abzu-.

ändern.

· Wir sind aus diesen Gründen der Ansicht, dass zunächst das vorliegende Initiativbegehren der Entscheidung zuzuführen sei, und stellen Ihnen den Antrag, Sie möchten in Anwendung des Art. 10 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend Eevision der Bundesverfassung beschliessen, das Initiativbegehren I sei abzulehnen und mit dem Antrag auf Verwerfung ohne einen Gegenentwurf der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten.

Das Begehren II lautet: Art. 70 der Bundesverfassung wird wie folgt abgeändert: «Der Bund hat das Eecht und die Pflicht, Ausländer, welche die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft oder die Wohlfahrt des Schweizervolkes gefährden, aus dem Gebiete der Schweiz wegzuweisen.

Als solche
Gefährdung gilt insbesondere die Teilnahme an verfassungswidrigen Umtrieben oder an politischen Unternehmungen, welche die guten Beziehungen der Schweiz zu auswärtigen Staaten

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zu stören geeignet sind, sowie auch eine wirtschaftliche Betätigung, die gegen Treu und Glauben im Verkehr verstösst und die allgemeinen Interessen der schweizerischen Volkswirtschaft verletzt.

Die Handhabung dieser Bestimmungen liegt dem Bundesrat ob.

Ausländer, deren Wegweisung in Frage kommt, sind ihm von den Polizeibehörden der Kantone durch Vermittlung der Bundesanwaltschaft zu melden.» Gegenüber Art. 70 der Bundesverfassung, der lautet: «Dem Bunde steht das Becht zu, Fremde, welche die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft gefährden, aus dem schweizerischen Gebiete wegzuweisen», enthält das Initiativbegehren folgende Neuerungen: 1. Es soll dem Bunde nicht nur das Eecht, sondern auch die Pflicht zur Ausweisung übertragen werden.

2. Als neuer Ausweisungsgrund wird die Gefährdung der Wohlfahrt des Schweizervolkes genannt.

8. Als eine Gefährdung, die die Ausweisung begründen soll, wird hervorgehoben: die Teilnahme an verfassungswidrigen Umtrieben oder an politischen Unternehmungen, welche die guten Beziehungen der Schweiz zu auswärtigen Staaten zu stören geeignet sind, sowie auch eine wirtschaftliche Betätigung, die gegen Treu und Glauben im Verkehr verstösst und die allgemeinen Interessen der schweizerischen Volkswirtschaft verletzt.

4. Es wird den Polizeibehörden der Kantone zur Pflicht gemacht, die Ausländer, deren Ausweisung in Frage kommt, dem Bundesrat zu melden.

Der Bundesrat ist mit den Neuerungen des Volksbegehrens durchaus einverstanden. Er kann es nur begrüssen, wenn ihm eine starke Handhabe zur Ausweisung gefährlicher Ausländer gegeben wird. Wir halten aber dafür, dass den Wünschen des Volksbegehrens schon durch die Anwendung des Art. 70 Bechnung getragen werden kann und sich die vorgeschlagene Partialrevision deshalb als überflüssig erweist.

Die Schaffung einer Pflicht zur Ausweisung ist unnötig und unzweckmässig. Der Bundesrat verfügt die Ausweisung, sobald die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Eines besondern Ansporns durch Auferlegung einer Pflicht zur Ausweisung bedarf es nicht.

Auch bei einer Pflicht zur Ausweisung müsste in jedem einzelnen Falle untersucht werden, ob die Voraussetzungen gegeben seien und ob die Wahrung des öffentlichen Staatsinteresses die Ausweisung verlangt. Mit der Aufnahme einer Pflicht würde nichts gewonnen.

345 Der Begriff der Gefährdung der innern und äussern Sicherheit ist kein starrer, sondern «in hohem Grade von den momentan bestehenden innern und äussern politischen Zuständen abhängig» (vgl. Bundesbl. 1879, II, 991). Die Wahrung des öffentlichen Staatsinteresses erfordert in aussergewöhnlichen Zeitlagen andere Massnahmen, als in ruhigen Zeiten. Der Bundesrat hat seit 1916 eine Eeihe von Ausländern, die durch ihr Verhalten die Versorgung des Landes mit Lebensmitteln und andern unentbehrlichen Bedarfsgegenständen störten und damit die durch die kriegswirtschaftlichen Notverordnungen ermöglichte Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Schweizervolkes gefährdeten, gestützt auf Art. 70 Bundesverfassung ausgewiesen. Art. 28 der Verordnung betreffend die Grenzpolizei und die Kontrolle der Ausländer vom 21. November 1917 und Art. 27 der revidierten Verordnung vom 17. November 1919 bestimmen ausdrücklich: «Die Landesverweisung der Ausländer gemäss Art. 70 Bundesverfassung wird durch den Bundesrat ausgesprochen. Ausländer, die durch ihr Verhalten die Versorgung des Landes mit Lebensmitteln und andern unentbehrlichen Bedarfsgegenständen stören, erschweren oder verhindern, sind dem Bundesrat zur Ausweisung bekanntzugeben.» Die eidgenössischen Eäte nahmen die Möglichkeit der Ausweisung von solchen Ausländern gestützt auf Art. 70 ohne weiteres als gegeben an, als der Nationalrat am 26. April und der Ständerat am 14. Juni 1918 beschlossen: «Der Bundesrat wird eingeladen, die bisherige Asylrechts- und Ausweisungspraxis in der Weise mit den heutigen Verhältnissen in Einklang zu bringen, dass jeder Ausländer, der sich an staatsfeindlichen politischen Manifestationen -- namentlich auch an solchen gegen die Armee und zu innerpolitischen Zwecken -- beteiligt oder gegen wirtschaftliche Kriegsmassnahmen der Landesbehörden verstösst, gemäss Art. 70 der Bundesverfassung ausgewiesen wird und dass der Art. 70 insbesondere auch zur Anwendung gelangt gegenüber fremden Deserteuren und Refraktären, die sich der gewährten Duldung unwürdig erweisen» (Bundesbl. 1919, I, 428). Ist demnach eine Ausweisung der die W o h l f a h r t des Schweizervolkes gefährdenden Ausländer nach der gegenwärtigen Verfassungsbestimmung möglich, so erübrigt sich die vom Initiativbegehren angestrebte Ergänzung, und zwar auch für die Zeit nach der
Aufhebung der gestützt auf die ausserordentlichen Vollmachten erlassenen Verordnung über die Kontrolle der Ausländer vom 17. November 1919.

Es sind übrigens seit längerer Zeit keine neuen Fälle von Kriegswucher zur Kenntnis der Behörden gelangt. Die schwerwiegendsten Gefährdungen der Wohlfahrt, die Anlass zum Volksbegehren gegeben haben, sind dahingefallen.

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Eine Ausdehnung der Ausweisungsvorschrift über die in der Kriegszeit in den ersten Jahren nach dem Waffenstillstand vorgekommenen Schädigungen und Gefährdungen der wirtschaftlichen Existenz des Schweizervolkes scheint uns schon deshalb nicht angezeigt zu sein, weil damit i.n die Fremdenpolizei der Kantone eingegriffen würde.

Wir erachten die Hervorhebung der Teilnahme an den erwähnten politischen Umtrieben und der wirtschaftlichen Schädigung als besondern A u s w e i s u n g s g r u n d nicht als notwendig. Nach der bisherigen Ausweisungspraxis steht es fest, dass derartige Umtriebe und Gefährdungen der wirtschaftlichen Existenz des Schweizervolkes zu einer Ausweisung führen müssen. Neben den im Volksbegehren hervorgehobenen Gründen gibt es noch viele Handlungen, die eine Ausweisung begründen können (vgl. Burckhardt, Kommentar, .S. 648). Die Voraussetzungen der politischen Ausweisung sind so .verschiedenartig, dass eine Aufzählung der Ausweisungsgründe nie erschöpfend sein kann.

Die vorgeschlagene Bestimmung über das Ausweisungsv e r f a h r e n enthält gegenüber dem Bundesgesetz vom 28. Juni 1889 betreffend die Bundesanwaltschaft, dem Bundesgesetz vom ·26. März 1914 über die Organisation der Bundes Verwaltung (Art. 31, Ziff. IV, 2 und 8) und dem Bundesratsbeschluss vom 17. November 1914 betreffend die Zuständigkeit der Departemente und der ihnen unterstellten Amtsstellen zur selbständigen Erledigung von Geschäften (Art. 19, Ziff. l und 2) keine Neuerungen, als die besondere Pflicht der kantonalen Polizeibehörden zur Meldung der gefährlichen Ausländer. Einzig wegen dieser Neuerung rechtfertigt sich die Partialrevision nicht, zumal es fraglich erscheint, ob eine solche Verfahrensbestimmung überhaupt in die Verfassung gehört.

Wir sind somit der Auffassung, dass den vorgeschlagenen Neuerungen in der Ausweisungspraxis Rechnung getragen werden kann ·.und dass deshalb die gewünschte Revision nicht notwendig ist. Wir beantragen deshalb N i c h t z u s t i m m u n g zum Begehren II und überlassen es der Bundesversammlung, ob sie gleichzeitig einen Verwerfungsantrag stellen will.

B e r n , den 6. Juni 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schulthess.

Der Bundeskanzler: Steiger.

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