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II. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Begnadigungsgesuche (Sommersession 1921).

(Vom 13. Mai 1921.)

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten, Ihnen über folgende Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen: 61. Ernst Fritzsch, 1885, deutscher Staatsangehöriger, Kaufmann, Lörrach.

62. Cecilia Fritzsch-Rosenblatt, 1880, Ehefrau des Ernst, früher in Basel-Stadt.

(Schiebereien mit Silbergeld.)

Durch Urteile des Polizeigerichtspräsidenten und des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 24. Dezember 1920/ 19. Januar 1921 wurden Ernst Fritzsch zu Fr. 900 Busse und Konfiskation der bei ihm vorgefundenen Fünffrankenstücke im Betrage von Fr. 215, Cecilia Fritzsch zu Fr. 50 Busse verurteilt, beide gemäss Art. 3 des Bundesratsbeschlusses betreffend das Verbot der Einfuhr von silbernen Fünffrankenstücken der lateinischen Münzunion vom 4. Oktober 1920.

Aus den beigelegten Administrativakten ergibt sich ausserdem, dass Ernst Fritzsch nachträglich mit Beschluss des Eegierungsrates des Kantons Basel-Stadt vom 19. Februar 1921 gemäss Art. 27, Abs. 2, und Art. 28 der bundesrätlichen Verordnung über die Kontrolle der Ausländer vom 17. November 1919 auf die Dauer von fünf Jahren aus dem Gebiete der Eidgenossenschaft ausgewiesen wurde, welcher Beschluss die Ehefrau mitbetraf.

Ernst Fritzsch verbrachte am 20. Dezember letzten Jahres Fr. 500 in belgischen Fünffrankenstücken und am 22. Dezember weitere Fr. 1115 in die Schweiz. Vorher hatte er bereits Fr. 700 durch einen Arbeiter aus Lörrach in die Schweiz schmuggeln lassen.

Frau Fritzsch wechselte die Fr. 700 in Noten um.

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Die Eheleute Fritzsch ersuchen in getrennten längern Eingaben um Erlass der Busse von Fr. 900. Die Eheleute lebten, nach den Gesuchsanbringen, in Basel von 1911--1914, die Ehefrau überdies ununterbrochen bis zur Ausweisung. Ernst Fritzsch machte auf deutscher Seite den Krieg mit und wurde im November 1918 entlassen. Die Einreise sei ihm mit dem Hinweis auf die bestehende Arbeitslosigkeit verweigert worden. Die Ehefrau habe sich in den sechs Jahren kümmerlich durchgerungen, jedoch die Ersparnisse aufbrauchen und die Möbel verkaufen müssen, was ihn alles dazu gebracht habe, auf irgendeine Art zu Geld zu kommen. Von den Fr. 900 seien zudem Fr. 500 nicht sein Eigentum gewesen.

Die Ehefrau schildert in nahegehender Weise ihre Verhältnisse und ersucht in eindringlichen Worten, die Fr. 900 zu erlassen.

Auch sie spricht von einer Schuld von Fr. 500 und bittet, ihr zu ermöglichen, die Schweiz ebenso ehrlich zu verlassen, wie sie sie vor zwanzig Jahren betreten habe.

Das Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt sieht ausdrücklich davon ab, zu der Begnadigungsangelegenheit besonders Stellung zu nehmen und verweist im übrigen auf die Ausweisungsakten.

Das eidgenössische Finanzdepartement (Kassen- und Kechnungswesen) hält dafür, die Busse von Fr. 900 möge auf erstes Zusehen hin im Verhältnis zu dem konfiszierten Silberbetrag sehr hoch erscheinen.

Nachdem jedoch festgestellt sei, dass Fritzsch am 22. Dezember 1920 im ganzen Fr. 1115 in Silber eingeschmuggelt habe, wovon im Zeitpunkt der Verhaftung bereits Fr. 900 in Noten umgewechselt waren,, müsse die ausgesprochene Busse als angemessen bezeichnet werden.

Strafverschärfend wirke, dass Fritzsch den Silberschmuggel gewerbsmassig betrieben und jedenfalls auch wiederholt das Banknotenausfuhrverbot übertreten habe. Danach wird Abweisung beantragt.

Die Begnadigungsbehörde bat sich lediglich mit der Frage eines, allfälligen, ganzen oder teilweisen Erlasses der Bussen zu befassen.

Nicht weiter zu überprüfen ist, ob die administrativ ausgesprocheneLandesverweisung gerechtfertigt war. Wir halten nun abschliessend ebenfalls dafür, die Bussen von Fr, 900 und Fr. 50 seien an sich als angemessen zu bezeichnen. Anderseits darf aber heute in Betracht gezogen werden, dass die Eheleute Fritzsch von den Ereignissen der letzten Jahre schwer heimgesucht wurden und dass
insbesondere die Ehefrau keinen schlechten Eindruck erweckt. Sie befand sich.

erbrachtermassen in ärmlichen Verhältnissen. Unter diesen Umständen möchten wir berücksichtigen, dass die administrative Ausweisung eine awar begreifliche, aber zugleich, namentlich für Fraui

169 Fritzsch, eine bittere Massnahme ist. Wir beantragen deshalb, bezüglich der Folgen aus der gerichtlichen Verurteilung in gewissem Umfang Gnade für Eecht gelten zu lassen und die eine Busse von Fr. 50 ganz zu erlassen, die andere von Fr. 900 bis zu Fr. 600 zu ermässigen, d. h. den Eheleuten aus den bei Fritzsch beschlagnahmten Fr. 900 ein Drittel zurückzuerstatten.

Antrag: Brlass der Busse von Fr. 50, Herabsetzung der Busse von Fr. 900 um Fr. 800.

63. Eduard Beck, geb. 1862, Landwirt, Schupfart (Aargau).

(Massnahmen zur Brotversorgung.)

Eduard Beck wurde durch Urteile des Bezirksgerichts Eheinfelden vom 9. Januar und vom 18. März 1919 zu je 14 Tagen Gefängnis und je Fr. 300 Busse verurteilt.

Das erste Urteil erging wegen Verheimlichung von Korn und Vortäuschung von Minderertrag der Ernte 1918, das zweite, weil sich ausserdem ergab, dass Beck im Juni 1918 anlässlich der Erhebung zur Feststellung der Getreidemengen zwei Säcke Weizen aus dem Jahre 1917 verheimlicht und in der Folge wiederholt Getreide der Ernte 1918 gebrochen und dem Vieh verfüttert hatte.

Beck reichte , in getrenntem Verfahren, beiden Verurteilungen gegenüber Begnadigungsgesuche ein. Für die damaligen bundesrätlichen Abweisungsanträge, die von der Bundesversammlung gutgeh ei ssen wurden, nehmen wir Bezug auf den Antrag 82 im III. Bericht vom 6. Mai 1919 für die Sommersession und den Antrag 8 im Bericht vom 9. August 1919 für die Herbstsession (Bundesbl.

1919, II, 185 und IV, 410).

In Betracht kamen schwere Verfehlungen gegen kriegswirtschaftliche Erlasse. Insbesondere wiederholen wir, dass der urteilende Eichter zu einem der Begnadigungsgesuche bemerkte, das Verhalten Becks habe in seiner Wohngemeinde die allgemeine Drohung gezeitigt, es künftig ebenso zu halten, wenn Beck nicht das Handwerk gelegt werde.

Die Abweisung erfolgte in beiden Fällen in der Meinung, die Berücksichtigung der geltend gemachten Krankheit könne den kantonalen Strafvollzugsbehörden überlassen werden. Dies ist bis heute, wie die Administrativakten ergeben, derart geschehen, dass Beck durch einen Amtsarzt von Zeit zu Zeit untersucht wurde, worauf die kantonale Staatsanwaltschaft sich jeweils gestützt auf

170 den ärztlichen Befund veranlasst sah, den Strafvollzug bis auf weiteres zu verschieben. Am 15. September 1920 stellte sie dem Verurteilten anheim, mit Bücksicht auf seinen Gesundheitszustand nochmals um Begnadigung zu ersuchen, da die Angelegenheit irgendwie erledigt werden sollte.

Zu diesem in der Folge von Beck eingereichten Wiedererwägungsgesuch ist heute Stellung zu nehmen. Beck schreibt, sein kranker Zustand habe sich inzwischen noch verschlimmert. Man möge ihn unter diesen Umständen nunmehr begnadigen. Die Bundesversammlung dürfe dies um so eher tun, als der Kanton Aargau seitdem ein Gesetz über den bedingten Straferlass in Vollzug gesetzt habe, das gewiss auch Beck zugute gekommen wäre, hätten die Verurteilungen nicht früher stattgefunden. Nach dem beigelegten Arztzeugnis leidet Beck an Gelenkrheumatismus, an Lungenerweiterung, hochgradiger Arteriosklerosis und Herzerweiterung nebst Degeneration des Herzmuskels.

Zwecks Vorbereitung des bundesrätlichen Antrages wurde die Justizdirektion des Kantons Aargau ersucht, mitzuteilen, wie in der Praxis der kantonalen Strafvollzugsbehörden vorgegangen werde, wenn ein Verurteilter krankheitshalber erweislich "nicht straferstehungsfähig sei. Die Antwort ging dahin, dass sich die Strafvollzugsbehörden in derartigen Fällen nicht als zuständig betrachten, von sich aus den Fall zu erledigen, d. h. die Strafe nicht zu vollziehen.

Derartige Fälle werden vielmehr ins Begnadigungsverfahren verwiesen. Zur vorliegenden Sache bemerkt die aargauische Justizdirektion, Beck würde gestützt auf die ärztlichen Zeugnisse von der kantonalen Begnadigungsbehörde zweifellos begnadigt.

Es ist hier der Ort, an Art. 197 des Bundesstrafprozesses zu erinnern, der den Aufschub der Strafe unter anderm vorschreibt, wenn wegen Krankheit das Urteil nicht ohne Gefahr für den Verurteilten vollzogen werden kann. Die eidgenössische Begnadigungspraxis hat diese Bestimmung in den letzten Jahren bei der Erledigung von Begnadigungsgesuchen mehrfach herangezogen, eine Begnadigung abgelehnt und die Angelegenheit im einzelnen Fall den Strafvollzugsbehörden überwiesen. Damit wurde einerseits zum Ausdruck gebracht, dass nicht jede leichthin vorgeschützte Krankheit zur Begnadigung führen könne, und anderseits, dass der Vollzug einer Strafe bei wirklich vorhandener Gefahr unterbleiben
solle. Nachteilig ist bei diesem Vorgehen, dass die Angelegenheit ihre Erledigung erst mit der Verjährung der Straf Vollstreckung findet, indem bis zu diesem Zeitpunkt die Strafe zu vollziehen wäre, sobald der Verurteilte straferstehungsfähig ist. Der Strafvollzug ist derart Jahre hindurch

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In der Schwebe ; insbesondere wird erforderlich, den Verurteilten -- ·wie es Beck gegenüber der Fall war -- von Zeit zu Zeit ärztlich.

Tintersuchen zu lassen. In Strafsachen, die nicht gemäss dem Bundes^strafprozess durchgeführt, sondern an die Kantone delegiert werden, findet Art. 197 zudem höchstens analoge Anwendung, und eine -weitere Frage ist, wie sich diese Bestimmung verhält zu den eidgenössischen Strafsachen, in denen, wie im Falle Beck, der Strafvollzug der Ausübung nach gänzlich Sache der Kantone ist.

Weiterhin ergibt die Begnadigungspraxis, dass geltend gemachte Krankheit zweifellos bei vielen Gesuchstellern im Verein mit andern Kommiserationsgründen die Begnadigung herbeiführte, ein Ergebnis, das dem Gedanken der Billigkeit gewiss durchaus gerecht wird.

Unter diesen Umständen wird die Auffassung nahegelegt, dass es wohl richtig ist, wenn sich die Bundesversammlung und die mit der Vorbereitung der Begnadigungssachen betrauten Behörden keineswegs auf eine einzige Möglichkeit beschränken, sondern entsprechend dem Wesen der Begnadigung von Fall zu Fall die Lösung bevorzugen, die als den vorhandenen Umständen angemessen erscheint. Es ist in diesem Sinne zu verstehen, wenn wir heute als weitere Möglichkeit die gnadenweise Umwandlung von Gefängnisstrafen in Bussen in Erwägung ziehen. Es gibt unseres Erachtens Verurteilungen und Gesuchsteller, die es schwer machen, ohne weiteres ein für allemal deshalb auf den Strafvollzug zu verzichten, weil der Gesuchsteller Krankheit geltend macht und nachweist. Im einen Falle wird vielleicht Abweisung erfolgen unter Zusicberung von zeitweiligem Strafaufschub, in einem andern dagegen es naheliegen, auf den Vollzug einer Freiheitsstrafe gänzlich zu verzichten und an ihre Stelle eine angemessene Busse zu setzen. Nachdem die Bundesversammlung die Möglichkeit gnadenweiser Umwandlung von Freiheitsstrafen in Bussen grundsätzlich bejaht hat, haben wir keine Bedenken, diese Begnadigungsart, je nach den in Betracht kommenden Verumständungen, auch wegen vorhandener Krankheit eines Gesuchstellers zur Geltung zu bringen.

Dementsprechend beantragen wir, im Falle Beck die beiden Gefängnisstrafen von je 14 Tagen in Fr. 400 Busse umzuwandeln.

Beek, der die zwei Bussen von je Fr. 800 bezahlt hat, würde derart Fr. 1000 zu leisten haben. Diese Busse erachten wir nach der
Aktenlage nicht als übersetzt, umgekehrt bringt sie zum Ausdruck, dass das verwerfliche Verhalten Becks nachhaltig geahndet bleiben soll.

Beck wurde anlässlich der frühern Begnadigungsverfahren als äusserst interessierter Mann bezeichnet, der sich nie Euhe gönne und nie genug erwerben könne. Eine Erhöhung der Busse dürfte demnach ihre Wirkung nicht verfehlen.

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A n t r a g : Umwandlung der beiden Gefängnisstrafen in Fr. 400> Busse.

64. Arnold Rössel, geb. 1889, Wirt, Tramelan-dessus (Kt. Bern)..

(Fremden-, Wirtschafts- und Lebensmittelpolizei.)

Arnold Eossel wurde am 26. März 1920 vom Gerichtspräsidenten von Courtelary verurteilt zu Fr. 70 Busse. In Betracht kommen Zuwiderhandlungen gegen die Verordnung über die Kontrolle der Ausländer vom 17. November 1919, das Lebensmittelpolizeigesetz vom 8. Dezember 1905 in Verbindung mit der Fleischschauverordnung und kantonale Bestimmungen über Wirtschaftspolizei. Der Busse von Fr. 70, die Gesamtstrafe ist, liegen eidgenössische Strafbestimmungen zugrunde.

Eossel, der im März 1920 zu wirten begann, obschon ihm dasPatent noch nicht erteilt war, kam den Bestimmungen über die Fremdenkontrolle in Gasthöfen nicht nach, überwirtete an einem Samstagabend und übertrat ausserdem die Fleischschauvorschriften, indem er von auswärts geliefertes Fleisch und das bezügliche Zeugnisdem Fleischschauer des Ortes nicht vorwies.

In der von Eossel eingereichten Eingabe wird ersucht, die Verurteilung aufzuheben, da ein schuldhaftes Verhalten Eossel nicht zur Last falle. Diesbezüglich wird jedoch einzig Bezug genommen auf das stattgefundene Wirten vorgängig der Patentübertragung. Der Gesuchsteller glaubt, es könnte von Einfluss sein, ob die Strafanzeigeerst nach Eintreffen des Patentes erfolgt sei. Er macht ferner geltend,, das Gesuch um Patentübertragung am 1. März der Ortsbehörde eingereicht zu haben, somit vorgängig der Wirtschaftsübernahme vom 6. März.

· Letzteres wird bestätigt vom Ortsgemeinderat, der das Begnadigungsgesuch empfiehlt. Dagegen beantragt Abweisung der Begierungsstatthalter des Amtsbezirkes, der mit Eecht darauf verweist, dass die Verurteilung ausserdem erging wegen drei weitern Übertretungen, und dass nach kantonalem Wirtschaftspolizeirecht Eossel das Gesuch um Patentübertragung mindestens 14 Tage vor Übernahme des Wirtschaftsbetriebes hätte einreichen sollen.

Da in Wirklichkeit keine Begnadigungsgründe vorliegen, beantragen wir Abweisung.

Antrag : Abweisung.

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"85. Isaak Rebhuhn, Beisender, Ennet-Baden (Kt. Aargau).

(Patenttaxen der Handelsreisenden.)

Isaak Bebhuhn nahm ein Eventualurteil des Gerichtspräsidenten ^on Wangen vom 10. Februar 1921 an, wonach Bebhuhn gestützt .·auf Art. 4 des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden vom 24. Juni 1892 in Verbindung mit der zudienenden Vollziehungsverordnung vom 29. November 1912 zu Fr. 20 verurteilt wurde.

Bebhuhn nahm am 7. Februar 1921 in Wangen a. Aare Bestellungen auf, wobei er lediglich eine Ausweiskarte besass, deren Gültigkeitsdauer abgelaufen war.

Er ersucht um Erlass der Busse. Die Ausweiskarte habe er am 12. Februar 1920 gelöst und gemeint, diese sei gültig bis zum 12. Februar 1921. Er reise erst seit kurzer Zeit und kenne die Bestimmungen über die Patenttaxen noch wenig. In Wangen habe er damals nichts .ahnend sogar einen Polizisten um Auskunft über den Weg zu Kunden /gefragt. Man möge berücksichtigen, dass er in der Uhrenindustrie sein ganzes Vermögen verloren habe und nur aus Not und um die Familie zu erhalten, Handelsreisender geworden sei.

Die Handelsabteilung des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes (Dienst für Patenttaxen) hebt demgegenüber hervor, ·dass auf den Ausweiskarten das Jahr der Gültigkeit angegeben ist.

~Es war demnach nicht nötig, dass Bebhuhn im Gesetz «ganz bewandert» war, um die Ungültigkeit der Karte im Jahre 1921 zu «erkennen.

Bebhuhn, der Ausländer ist, hatte nach Berichten der Fremdenpolizei das Land auf 1. Mai 1921 zu verlassen. Entsprechend den Anträgen des Gemeinderates Ennet-Baden und des Dienstes für -Patenttaxen beantragen wir Abweisung.

A n t r a g : Abweisung.

66. Samuel Herren, geb. 1845, Landwirt, Bärfischenhaus, Neuenegg (Kt. Bern).

67. Hermann Pethoud, geb. 1904, Handlanger, Couvet (Kt. Neuenburg).

-68. Robert Rieder, geb. 1886, Uhrenmachei-, Grenchen (Kt. Solothurn).

«9. Adolf Müller, geb. 1905, Taglöhner, Laupersdorf (Kt. Solothurn).

(Jagd und Vogelschutz.)

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Gestützt auf das Bundesgesetz über Jagd und Vogelschutz: vom 24. Juni 1904 und zu dienende Vollziehungserlasse wurden verurteilt : 66. Samuel Herren, verurteilt am 1. Dezember 1920 vom Gerichtspräsidenten von Laupen in Anwendung von Art. 21, Ziff. 5, bt. a, zu Fr. 40 Busse.

Samuel Herren schoss im Oktober letzten Jahres in der Au von Laupen-Gümmenen auf einen Fasanen, trotzdem die Fasanenjagd in jenem Gebiet nicht offen stand.

Er ersucht um Erlass der Busse und bringt zunächst an, übersehen zu haben, dass die kantonale Verordnung den Abschuss von Fasanen nur in einem beschränkten Gebiet gestattete. Er habe letztes Jahr das 55. Patent gelöst, sei wegen Jagdfrevels nie bestraft worden und empfinde es schwer, in seinen alten Tagen noch gebüssfc zu werden. Beigefügt wird, Herren habe vor Jahren in jenem Gebiet zu Jagdzwecken aus dem Ausland bezogene Fasanen ausgesetzt.

Der Kegierungsstatthalter von Laupen hält dafür, das Gesuch sollte grundsätzlich abgewiesen werden. Herren sei zahlungsfähig und die Busse für ihn keine besondere Belastung. Die bernische Forstdirektion bemerkt zu ihrem Abweisungsantrag, die Organe der Jagdpolizei würden durch eine allzu weitherzige Handhabung des Begnadigungswesens völlig entmutigt. Ebenso beantragt Abweisung die kantonale Polizeidirektion. Wir übernehmen diese Anträge.

67. Hermann Pethoud, verurteilt am 10. März 1921 vom Präsidenten der Vormundschaftsbehörde des Val-de-Travers in Anwendung von Art. 6, lit. a, und 21, Ziffer l, zu Fr. 500 Busse.

Pethoud brachte in einem Walde zu Jagdzwecken eine Flinte als Selbstschussvorrichtung an.

Für den Minderjährigen ersucht der Vater, die Busse wesentlich . zu ermässigen. Dem Sechzehneinhalbjährigen gehöre eine Strafe; man möge ihm aber seine Jugendlichkeit, den geringen Verdienst und sein sonst unbescholtenes Wesen zugute halten. Die Fr. 500 könnte er unter keinen Umständen aufbringen.

In den Akten befindet sich ein Leumundszeugnis, ausgestellt vom Pfarrer, der Hermann Pethoud letztes Jahr konfirmierte, und ein weiteres, herrührend von seinem ehemaligen Lehrer.

Wir beantragen Herabsetzung der Busse von Fr. 500 bis zu Fr. 50. Es geschieht dies unter Hinweis auf die Jugendlichkeit des Gebüssten und die für ihn günstigen Zeugnisse. Die eidgenössische

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Inspektion für Forstwesen, Jagd und Fischerei beantragt Herabsetzung bis zu Fr. 100. Der Entscheid für die eine oder andere Lösung ist Ermessenssache.

68. Robert Bieder, verurteilt am 28. Juni. 1920 vom. Amtsgericht Solothurn-Lebern in Anwendung von Art. 21, Ziffer 5, lit. a, zu Fr. 40 Busse, durch Beschluss des Begierungsrates des Kantons Solothurn am 4. Februar 1921 umgewandelt in 8 Tag& Gefängnis.

Bieder war mit einem andern angezeigt wegen öfteren Jagens ohne Berechtigung. Er gab zu, Wildtauben erlegt zu haben.

Der Verurteilte schreibt, er sei arbeitslos und könne die Busse zurzeit nicht aufbringen. Jedoch bemühe er sich, seinen Verpflichtungen sobald wie möglich nachzukommen.

Einzelheiten über Bieder berichtet der Armenpfleger von Grenchen. Bieder hat vier Kinder, die Ehefrau steht zudem erneut vor der Niederkunft. Da das Familienhaupt ohne Arbeit ist, wird die Familie von der Orts- und Heimatgemeinde unterstützt. Beigefügt wird,.

Bieder hätte sich früher gewiss in jeder Beziehung besser aufführen dürfen. In den letzten Monaten befinde er sich jedoch im Zeichen des Aufstiegs; so sei er einem Abstinenzverein beigetreten. Man möge Bieder unter diesen Umständen die Umwandlungshaft gänzlich erlassen.

Bieder wurde in den Jahren 1919 und 1920 mehrmals zu Gefängnis verurteilt, so wegen Unterschlagung, Betrugs, Gemeindebelästigung und wegen Nichtentrichtung des Militärpflichtersatzes.

Dem vorliegenden Straffalle gegenüber ist festzustellen, dass Bieder eine Busse von Fr. 40 heute nicht bezahlen kann. Der Vollzug der Umwandlungshaft, zu deren Verbüssung Bieder bereits aufgefordert wurde, erscheint nach den vorhandenen Verhältnissen zweifellos als eine Massnahme, die wenig befriedigen würde. Wir möchten diesbezüglich berücksichtigen, dass Bieder sich in letzter Zeit besser stellt, und beantragen, die Umwandlungshaft unter Auferlegung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt zu erlassen. Sollte Bieder neuerdings verurteilt werden müssen, so wäre erbracht, dass der Ausspruch der bedingten Begnadigung ihn keineswegs nachhaltig zu beeinflussen vermochte. Der Vollzug der Umwandlungshaft wäre dann, angesichts seiner Vorstrafen, keine besondere Härte mehr.

69. Adolf Müller, verurteilt am 24. Januar 1921 vom Amtsgericht von Baisthal in Anwendung der Art. 21, Ziffer 3, lit. o, und 23, Ziffer 3, zu Fr. 40 Busse.

Müller stellte in einem Walde zu Jagdzwecken eine Falle.

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Namens der Eltern des noch Minderjährigen wird ersucht, Busse und Kosten zu erlassen. Der Bestrafte sei ein kränklicher Bursche. Sowohl er wie die Eltern seien ausserstande, die Busse Aufzubringen, so dass ihre Umwandlung in Haft bevorstehe. Laut .beigelegtem Arztzeugnis stand Müller wegen chronischen BrustKatarrhs und allgemeiner Schwäche im ganzen letzten Jahr in ärztlicher Behandlung.

Nach einem Bericht des Ammanns der Einwohnergemeinde lebt die Familie Müller in ärmlichen Verhältnissen. In einem anderweitigen Bericht wird der bestrafte Bursche als Taugenichts bezeichnet, der den Eltern den Gehorsam verweigere, worüber sich der Vater schon wiederholt beklagt habe.

Die eidgenössische Inspektion für Porstwesen, Jagd und Fischerei verweist auf die Urteilserwägungen, die zeigen, dass die Jugend des Angeschuldigten bereits Anlass gab, von der Möglichkeit des Art. 23, ;Ziffer 3, des Jagdgesetzes Gebrauch zu machen und in der Strafausmessung unter das Minimum der Busse zu gehen. Da Müller als arbeitsscheuer Taugenichts bezeichnet werde, könne einer Ermässigung der Busse bis zur Hälfte lediglich zugestimmt werden mit Bücksicht auf die Armut der Eltern, die voraussichtlich für die Entrichtung .der Busse aufkommen müssten.

Müller sachte sich aus der vorliegenden Angelegenheit derart ^herauszureden, dass er fälschlicherweise seinen Jüngern Bruder als Täter darstellte. Sein Verhalten bestätigt demnach die Bichtigkeit ·der ihm zuteil werdenden anderweitigen Beurteilung. Wir beantragen im Falle Pethoud hiervor Herabsetzung der Busse bis Fr. 50. Es scheint uns nun, die Busse von Fr. 40 sollte, an jenem Antrag gemessen, bei Müller belassen werden. Dagegen beantragen wir, für den Fall, dass es infolge Unerhältlichkeit der Busse zur Umwandlung in Freiheitsstrafe kommen sollte, die Umwandlungshaft unter Auferlegung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt zu erlassen. Es ist denkbar, dass Müller derart in seiner Aufführung beeinflusst werden kann.

Anträge : Abweisung bei Herren, Herabsetzung der Busse bis Fr. 50 bei Pethoud, bedingter Erlass der Umwandlungshaft bei Bieder und Müller, bei beiden Auferlegung einer Probezeit von zwei Jahren.

70. Johann Huber, geb. 1894, früher Handlanger, nun Flickschuster, Hägglingen (Kt. Aargau).

71. Constant Hänni, geb. 1885, Uhrenmacher, Genf, Rue Grenus 8.

(Militärpflichtersatz.)

Wegen schuldhafter Nichtentrichtung des Militärpflichtersatzes sind in Anwendung des Bundesgesetzes vom 29. März 1901 betreffend

177 Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz verurteilt worden: 70. Johann Huber, verurteilt am 81. August 1918 vom Bezirksgericht Bremgarten zu 6 Tagen Gefängnis, die Militärsteuer von Fr. 30. 30 für 1917 betreffend.

Einem ersten Begnadigungsgesuch Johann Hubers wurde von der Bundesversammlung entsprechend dem bundesrätlichen Antrag teilweise entsprochen und die Gefängnisstrafe von 6 bis zu 2 Tagen ermässigt (zu vergleichen Antrag 18 des I. Berichtes vom 7. November 1919, Bundesbl. 1919, V, 347).

Der Verfasser des heute zu behandelnden Gesuches gebt an dieser Tatsache vorbei und stellt neuerdings das Gesuch um Erlass der sechs Tage Gefängnis. In Wirklichkeit ist zu überprüfen, ob es bei dem frühern Entscheid der Begnadigungsbehörde sein Bewenden haben soll, oder ob wiedererwägungsweise die zwei Tage Gefängnis ebenfalls zu erlassen sind. Die Gesuchsanbringen enthalten in der Hauptsache eine Schilderung der Krankheitsgeschichte Hubers, der in der Tat im Jahre 1920 monatelang in Spitalbehandlung war und dem das linke Bein über dem Knie entfernt werden musste.

Das Bezirksgericht Bremgarten empfiehlt nunmehr, entgegen seinem frühern Antrag, die Gefängnisstrafe gänzlich zu erlassen, und wir halten dafür, diesem Antrag sollte heute beigepflichtet werden. Es handelt sich nicht mehr darum, auf die Frage zurück·zukommen, ob Huber in den Jahren 1917 und 1918 den Militärpflichtersatz schuldhaft nicht entrichtete, sondern um die Würdigung -seiner heutigen Verhältnisse. Diese haben sich zweifellos im letzten Jahre verschlimmert, der junge Mann hat Schweres hinter sich, ist zum Krüppel geworden, lebt in ärmlichen Verhältnissen und wird ·sich fortan nur mit Mühe durchbringen. Wir verweisen diesbezüglich auch auf die Vernehmlassung des Gemeindeammannes von Hägglingen vom 23. Dezember 1920.

Der Strafvollzug konnte 1920 angesichts der andauernden Krankheit Hubers längere Zeit nicht durchgeführt werden und rechtfertigte sich in der Folge nach den in Betracht kommenden persönlichen Verhältnissen des Gesuchstellers überhaupt nicht mehr. Im Hinblick auf den Zustand Hubers sind ihm die noch geschuldeten Militäristeuerbeträge bereits erlassen worden.

71. Constant Hänni, verurteilt am 6. Februar 1920 vom Gerichtspräsidenten von Biel zu 4 Tagen Gefängnis und 6 Monaten Wirtshausverbot, die Militärsteuer von Fr. 45 für 1919 betreffend.

.Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. III.

1:2

178 Hänni hatte am 31. Januar 1920 eine Teilzahlung von Fr. 82 geleistet, jedoch den Eichter hiervon nicht benachrichtigt. Am 6. Februar erging die Verurteilung, am 1. März leistete er den Eestbetrag von Fr. 18.

Für den Verurteilten -wird gestützt auf diese Tatsachen um Erlass der Freiheitsstrafe ersucht.

Die eingeholten Vernehmlassungen der kantonalen Behörden lauten verschieden. Abweisung beantragen der Gemeinderat von Biel, ebenso, gestützt auf einen ausführlichen Polizeibericht vom 24. März, der Eegierungsstatthalterdes Amtsbezirkes und die kantonale Polizeidirektion. Da Hänni im Herbst 1919 Biel verliess und seitdem in Genf niedergelassen ist, wurden auch in Genf Erhebungen veranlasst. Der Polizeidirektor von Genf hält, gestützt auf einen beigegebenen Bericht der Genfer Polizei, seinerseits dafür, dass die Begnadigung naheliege.

Wir verweisen für Einzelheiten auf die verschiedenen Berichte und stellen zusammenfassend folgendes fest: Hänni verzog sich im Herbste 1919 aus Biel, ohne seine Verpflichtungen gegenüber dem Staate geregelt zu haben. Ausser der Militärsteuer für 1919 war er (und ist es noch heute) an Steuern für die Jahre 1916---1919 insgesamt Fr. 372. 20 schuldig. Nach dem Polizeibericht vom 24. März war er öfters ein «Blaumacher» und soll bei solchen Anlässen das Geld unnütz verbraucht haben. Es ist deshalb sehr verständlich, dass die bernischen Behörden dem Begnadigungsgesuch nicht wohlwollend gegenüberstehen. Anderseits ist aber, da das Begnadigungsverfahren sich mit der Verurteilung wegen schuldhafter Nichtentrichtung des Militärpflichtersatzes zu befassen hat, doch festzuhalten, dass Hänni in Wirklichkeit rund 2/3 des geschuldeten Betrages vorgängig der Verurteilung entrichtet hatte. Unter diesen Umständen möchten wir, da Hänni anderweitig nicht bestraft ist und der Genfer Polizeibericht vom 22. April nicht ungünstig lautet, es ermöglichen, dass im Begnadigungswege seine heutigen Verhältnisse Berücksichtigung finden. Hänni war im Jahre 1920 andauernd krank und zeitweise in Spitalbehandlung. Er ist zurzeit arbeitslos und verschuldet.

Er sollte für die Frau und drei Kinder aufkommen. Seine heutige Aufführung gibt zu Klagen nicht Anlass. Was die Art der vorzunehmenden Begnadigung anbetrifft, sind wir hinwiederum der Meinung, Hänni sollte lediglich bedingt begnadigt werden. Diesbezüglich
sei noch beigefügt, dass er zurzeit den Militärpflichtersatz für 1920 noch nicht beglichen hat. Nach den neuesten polizeilichen Erbebungen ist jedoch anzunehmen, dass der Eichter in einem allfälligen Strafverfahren zu einem Freispruch gelangen würde.

179 Wir beantragen, die Gefängnisstrafe zu erlassen, unter der Bedingung, dass Hänni, die Militärsteuer für die Jahre 1920 bis und mit 1924 betreffend, nicht neuerdings wegen schuldhafter Nichtentrichtung verurteilt werde.

A n t r ä g e : Bei Huber gänzlicher Erlass, bei Hänni bedingte Begnadigung im Sinne unserer Ausführungen.

72. Walter Welcher, geb. 1894, 73. Friedrich Haas, geb. 1896, Aargau).

74. Ludwig Wächter, geb. 1886, berg), Schlosserstrasse 23.

75. Hans Röthlisberger, geb. 1893,

Architekt, Baden (Kt. Aargau).

Fabrikarbeiter, Wettingen (Kt.

Monteur, Weingarten (WürttemLandwirt, Walkringen (Kt. Bern).

(Fremdenpolizei.)

Gestützt auf die Verordnung über die Kontrolle der Ausländer vom 17. November 1919 (A. S. n. F. XXXV, 939) wurden verurteilt: 72. Walter Melcher, verurteilt am 2. November 1920 vom Bezirksgericht Baden, in Anwendung der Art. 20 und 27, zu 2 Tagen Gefängnis und Landesverweisung auf die Dauer von 5 Jahren.

Melcher gelangte Ende Juni 1920 mit einem falschen, auf den Namen Hans Wulf lautenden Pass über Basel in die Schweiz. Am 2. September 1920 stellte er an die Einwohnerkontrolle Baden ein Gesuch um Verlängerung des Aufenthaltes um zwei Monate und unterzeichnete neuerdings mit Hans Wulf. In der Folge kam ein auf diese Personalien ausgestelltes amtliches Schreiben als unbestellbar zurück, worauf die Verwendung falscher Ausweispapiere und eines falschen Namens durch Melcher zur Entdeckung gelangte.

Melcher ersucht um Erlass von Freiheitsstrafe und Landesverweisung. Er habe sich im Krieg ein schweres Lungenleiden zugezogen. Ein Aufenthalt in der Schweiz sei dringlich geboten gewesen. Melcher habe jedoch befürchtet, eine Einreisebewilligung überhaupt nicht oder dann für seine gefährdete Gesundheit zu spät zu erhalten. Die Verwendung des falschen Passes sei ein Akt der Verzweiflung. In unserm Lande bringe er sich durch ehrliche Arbeit durch. Die Gesundheit bessere sich zusehends; immerhin habe ihm die winterliche Witterung zugesetzt, so dass er in diesem Zustand unser Land nicht verlassen sollte. Sein Arbeitgeber könne ihn auch weiterhin gut brauchen.

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Der Gerichtspräsident von Baden schreibt, der Gesuchsteller dürfte angesichts seines Lungenleidens begnadigt werden. Dasselbe beantragt die Zentralstelle für Fremdenpolizei.

Demgegenüber ist zunächst festzustellen, dass die Gesuchsanbringen in wesentlichen Punkten den Akten widersprechen. Vor dem Bezirksgericht Baden führte Melcher aus, er sei in einer Diebstahlsangelegenheit vor das Gericht seiner Heimat geladen. In die Schweiz verzog er sich auf den Bat seines Anwalts, nachdem er Alteisen, das ein Familienangehöriger gestohlen hatte, weiter verkauft und sich überdies, um jenes Familienglied zu schonen, angeblich als Täter des Diebstahls bekannt hatte. Wegen der Diebstahlsangelegenheit befürchtete er, keinen Pass zu erhalten, und beging in der Folge die hier in Betracht kommenden Verfehlungen. Es ist weiterhin zu bemerken, dass Melcher zu Kurzwecken einreiste, während er in Wirklichkeit seit langem in einem Arbeitsverhältnis steht. Unter diesen Umständen gelangen wir abschliessend dazu, von dem Antrag auf gänzliche Begnadigung abzusehen." Mit Rücksicht auf sein Lungenleiden mag ihm die Freiheitsstrafe erlassen werden. Im weitern soll es genügen, dass sein zur Erholung erwirkter Aufenthalt bis nach Erledigung des Begnadigungsgesuches die Dauer eines Jahres erreicht haben wird. Der Vollzug der Landesverweisung ist iri jenem Zeitpunkt geboten, weil es, namentlich angesichts unserer Arbeitsverhältnisse, aber auch nach der Art, wie .Melcher in unser Land gelangte, nicht angehen kann, dass er auch weiterhin hier verbleibt.

73. Friedrich Haas, verurteilt am 14. September 1920 vom Bezirksgericht Baden zu 6 Tagen Gefängnis und Fr. 30 Busse.

Haas machte als deutscher Staatsangehöriger den Krieg mit und wurde Anfang 1919 entlassen. Von Singen aus reichte er wiederholt Gesuche um Einreise in die Schweiz ein, welche jedoch abgewiesen wurden. In der Folge überschritt er trotzdem die Grenze, erstmals am 81. März 1920, ein zweites Mal am 11. Mai letzten Jahres, und begab sich nach Wettingen zu seiner Mutter, die sich dort mit einem Schweizer verheiratet hatte. Er fand dann Arbeit als Fabrikarbeiter und ist, mit befristetem Aufenthalt bis 31. August 1921, noch heute in. Wettingen.

Für Haas wird um Erlass oder doch Herabsetzung der Gefängnisstrafe ersucht. Er sei allerdings zu Unrecht eingereist. Es handle sich
aber um besondere Verhältnisse, indem er in unserm Lande geboren und aufgewachsen sei. Die Mutter habe beständig hier gelebt, sei zudem durch Heirat Schweizerin geworden, heute verwitwet und auf den Verdienst des Sohnes angewiesen.

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Der Gerichtspräsident von Baden hält dafür, dem Gesuchsteller dürfte die Gefängnisstrafe erlassen werden, wenn die im Begnadigungsgesuch gegebene Darstellung zutreffe. Die Zentralstelle für Fremdenpolizei beantragt Begnadigung.

Die vorliegende Angelegenheit wird in ein neues Licht gerückt durch den Hinweis auf eine Vorstrafe des Gesuchstellers aus dem Jahre 1914. Haas wurde damals vom Obergericht des Kantons Zürich wegen Diebstahls KM 4 Monaten Gefängnis und nachherigen 5 Jahren Landesverweisung verurteilt. In jenen Akten, die von der Bundesanwaltschaft zur Behandlung der Begnadigungssache ebenfalls herangezogen wurden, befindet sich eine psychiatrische Begutachtung, die für Haas wenig günstig lautet, indem sie ihn unter anderm als unsteten, arbeitsscheuen Gesellen dartut. Die damalige Landesverweisung bezweckte aus guten Gründen, Haas aus dem Lande zu entfernen, und die im Jahre 1920 erzwungene Wiedereinreise erhält dadurch eine besondere Bedeutung.

Anderseits verschafft ein Bericht des Gemeinderates von Wettingen vom 28. April 1921 den Eindruck, Haas befleissige sich heute eines geregelten Lebens. Er wird als s.olid bezeichnet, Nachteiliges über ihn sei nicht bekannt. Die Mutter ist Zeitungsverkäuferin.

Da ihr Verdienst nicht ausreicht, ist sie auf die Unterstützung des ältesten Sohnes angewiesen. Ein zwanzigjähriger Sohn ist blind, ein Knabe besucht noch die Schule.

Nach dem Bericht des Gemeinderates von Wettingen würde Haas seinen Arbeitsplatz in Baden bei sechstägiger Abwesenheit voraussichtlich verlieren. Mit Kücksicht auf die Familienverhältnisse und da er die Angehörigen wesentlich unterstützt, beantragen wir Herabsetzung der Gefängnisstrafe bis zu einem Tag. Beigefügt sei, dass diese Erledigung der Begnadigungssache Haas die endgültige Eegelung seines Aufenthaltverhältnisses nicht berührt.

74. Ludwig Wächter, verurteilt am 18. November 1920 vom Gerichtspräsidenten von Brugg zu Fr. 40 Busse.

Wächter hat anlässlich eines Aufenthaltes in Brugg die polizeiliche Anmeldung unterlassen.

In dem Gesuch um Erlass der Busse wird gesagt, Wächter sei von seiner Firma in die Schweiz geschickt worden, um als Monteur eine nach Brugg gelieferte Maschine wieder in Ordnung zu bringen.

Er sei in den Kriegsjahren nie in die Schweiz gereist und mit den einschlägigen Bestimmungen wenig vertraut gewesen. In Brugg habe er sich bei privater Seite nach den zu erfüllenden Förmlichkeiten erkundigt und die Antwort erhalten, die polizeiliche An-

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meidung erfolge durch den Hotelinhaber. Unter diesen Umständen möge man die Unterlassung der persönlichen Anmeldung entschuldigen.

Der Gerichtspräsident von Brugg erklärt, gegen eine Begnadigung keinen Einspruch zu erheben. Die Zentralstelle für Fremdenpolizei beantragt Abweisung.

Die Akten ergeben, dass den beteiligten Hotelinhaber ein Verschulden trifft, auch erscheinen die Gesuchsanbringen als glaubwürdig. Da erschwerende Umstände fehlen, kann eine teilweise Begnadigung befürwortet werden. Abschliessend beantragen wir, die Busse bis zu Fr. 20 zu ermässigen. Dieser Antrag entspricht dem abgenommenen Depositum.

75. Hans Eöthlisberger, verurteilt am 29. Oktober 1920 vom Gerichtspräsidenten von Schlosswil zu Fr. 20 Busse.

Eöthlisberger, der in seiner Familie ein Wienerkind aufgenommen hatte, hielt dieses längere Zeit in der Schweiz zurück, obschon ihm drei Gesuche um Aufenthaltsverlängerung abgewiesen wurden.

Er ersucht um Erlass der Busse und versichert, sein Verhalten sei nicht auf Böswilligkeit zurückzuführen, sondern auf sein Mitleid mit dem Knaben. Er habe es nicht über das Herz gebracht, den lebensfrohen Knaben, der die Zuneigung der ganzen Familie erworden habe, ins alte Elend zurückzuschicken.

Die Polizeidirektion des Kantons Bern und die eidgenössische Zentralstelle für Fremdenpolizei beantragen Abweisung. Sie betonen die Widersetzlichkeit Eöthlisbergers und die Notwendigkeit, dass die Fürsorgemassnahmen gegenüber Auslandkindern geordnet durchgeführt werden müssen.

Dieser Standpunkt ist begründet, weshalb die Durchführung des Strafverfahrens gerechtfertigt war. Mit Eücksicht auf die wohltätige Absicht Eöthlisbergers möchten wir jedoch trotzdem Gnade für Eecht ergehen lassen und stellen abschliessend den Antrag, die Busse zu erlassen.

A n t r ä g e : Bei Melcher Erlass der 2 Tage Gefängnis unter Belassung der Landesverweisung, bei Haas Herabsetzung der Gefängnisstrafe bis zu einem Tag, bei Wächter Herabsetzung der Busse bis Fr. 20, bei Eöthlisberger gänzlicher Erlass der Busse.

76. Emil Piquerez, geb. 1888, Industrieller, St. Ursanne (Bern).

(Fabrikpolizei.)

Emil Piquerez wurde am 4. Mai 1918 von der I. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Bern gestützt auf das Bundesgesetz

183 vom 23. März 1877 betreffend die Arbeit in den Fabriken, den Bundesratsbeschluss vom 30. Oktober 1917 (A. S. n. F. XXXIII, 897) und ein zudienendes Kreisschreiben der bernischen Eegierung verurteilt zu 5 Tagen Gefängnis und Fr. 500 Busse. Die hiergegen beim Bundesgericht erhobene Kassationsbeschwerde wurde am 12. Juli 1918 abgewiesen.

Piquerez beschäftigte Anfang 1918 ohne Ermächtigung Arbeiter in seiner Munitionsfabrik über die gesetzliche Zeit, liess des Abends Frauen arbeiten und ebenso Kinder unter 14 Jahren.

Für Piquerez wird um gänzliche Begnadigung oder doch Erlass der Freiheitsstrafe ersucht. Die den Bundesbehörden übermittelte Eingabe vom 17. November 1920 wird als Wiedergabe eines Gesuches bezeichnet, das am 17. Oktober 1918 gestellt worden sei, von dem aber die Bundesverwaltung laut der in Betracht kommenden Eegistratur keine Kenntnis erhalten hat. Der Verfasser des Gesuches will die Widerhandlungen nicht bestreiten, glaubt jedoch eine Eeihe Gründe geltend machen zu können, die für Piquerez sprechen. Bezüglich der über die gesetzliche Zeit beschäftigten Arbeiter wird gesagt, die ausserhalb von St. Ursanne Wohnenden seien um &y2 Uhr abends ohne Zugsverbindungen gewesen. Diese hätten geradezu gewünscht, länger beschäftigt zu werden, um die Abfahrtszeit der Züge nicht im ungenügenden Wartsaal oder in Wirtschaftsräumen abwarten zu müssen. Dasselbe soll hinsichtlich der abendlichen Beschäftigung von Frauen gelten. Die Kinder sodann seien lediglich verwendet worden zum Zählen und Verpacken kleiner Munitionsbestandteile, somit zu einer wenig beschwerlichen Tätigkeit. Diese Kinder hätten zudem auf ausdrückliches Begehren der Eltern Verwendung gefunden. -Die Mütter hätten sie oft ohne Wissen des Arbeitgebers zur Aushilfe mitgenommen. Weiterhin wird geltend gemacht, das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken und der zudienende Bundesratsbeschluss seien in den einzelnen Kantonen in verschiedenem Masse zur Anwendung gelangt. Schliesslich wird neuerdings angebracht, Emil Piquerez sei in Wirklichkeit nicht der Inhaber der Fabrik, sondern seine Mutter. Es sei eine Ungerechtigkeit, dass er nunmehr herhalten müsse. Für weitere Einzelheiten verweisen wir auf das Gesuch selbst.

In den Akten befinden sich eine Eeihe von Mitberichton. Der Gemeinderat von St. Ursanne schreibt, Emil Piquerez
sei ein ehrenwerter Industrieller, dessen Gesuch warm empfohlen werden könne.

Der Eegierungsstatthalter von Pruntrut befürwortet den Erlass der Freiheitsstrafe unter Belassung der Busse. Die Direktion des Innern des Kantons Bern kann mit Eücksicht auf die zahlreichen

184 von der Leitung der Usine Thécla in den Jahren 1916 und 1917 begangenen Widerhandlungen das Begnadigungsgesuch materiell nicht empfehlen, doch dürften die seither eingetretenen äusserst ungünstigen Betriebsverhältnisse dafür sprechen, Milde walten zu lassen.

Von eidgenössischen Behörden nimmt zunächst Stellung der Fabrikinspektor des II. Kreises. Diese Behörde hat in der vorliegenden Sache gegenüber dem erstinstanzlichen Entscheid, wonach Piquerez lediglich mit Fr. 150 gebüsst wurde, die Appellation erwirkt. Der Fabrikinspektor schreibt, wenn das Begnadigungsgesuch zur Zeit des Hochbetriebes in der Munitionsindustrie zur Behandlung gelangt wäre, so hätte er rundweg beantragt, an der erkannten Strafe festzuhalten. Heute sei dies anders. Die Fabrik Thécla leide jetzt unter den Zeitverhältnissen gleich andern und es rechtfertige sich Piquerez gegenüber der Vollzug der Freiheitsstrafe angesichts der vorhandenen Verzögerung nicht mehr. Piquerez habe zudem genügend erfahren, dass er nicht unbehelligt gegen das Gesetz handeln könne.

Die erhaltene Lehre dürfte genügen. -- Der Chef der Abteilung für Industrie und Gewerbe, sowie das Generalsekretariat des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes schliessen sich dieser Stellungnahme an.

Den Gesuchsanbringen gegenüber stellt die Bundesanwaltschaft in erster Linie fest, dass sie eine blosse Wiederholung früherer Verteidigungsschriften sind. Was bezüglich der Zugsverbindungen gesagt wird, mag in gewissem Umfang zugetroffen haben, kann aber die Beschäftigung von Leuten bis um Mitternacht offensichtlich nicht rechtfertigen. Auch die Verwendung von Kindern wird hiervon nicht berührt. Der Ausspruch einer Gefängnisstrafe ist im vorliegenden Falle verständlich, wenn man bezüglich des Gesuchstellers den Auszug aus dem Zentralstrafenregister überprüft : Wegen Widerhandlungen gegen die Fabrikpolizei wurde Emil Piquerez bestraft am 14. Juli 1916 zu Fr. 25 Busse, am 13. April 1917 zu Fr. 40, am 16. November zu Fr. 70, am 18. Januar 1918 zu Fr. 80. Dass weitere Bussenurteile zwecklos gewesen wären, ist nicht wohl zu bestreiten.

Der Eegierungsrat des Kantons Bern betont in seinem Kreisschreiben zur Ausführung des Bundesratsbeschlusses vom 80. Oktober 1917: «Fabriken, die grösstenteils oder ausschliesslich Kriegsmaterial für fremden Bedarf herstellen, können zu
diesem Zwecke weder vom Begierungsstatthalter noch vom Begierungsrate eine Bewilligung für Überzeit-, Nacht- oder Sonntagsarbeit erhalten. Diese Fabriken müssen daher ohne Ausnahme vom 1. Dezember 1917 an die zehnstündige Arbeitszeit einführen, die unter keinen Umständen überschritten werden darf.» Es ist klar, dass eine derartige Vorschrift, die gewisse Privatinteressen empfindlich treffen musste, schwerem

185 Widerstand ausgesetzt war und -- sollte sie nicht wirkungslos werden -- unumgänglich machte, dass in krassen Fällen scharf eingeschritten wurde. Es zeigt sich hier dasselbe wie in Ausfuhrschmuggelsachen: die Schwierigkeit, einer notwendig gewordenen Gesetzgebung Nachachtung zu verschaffen, zwang zu Strafen, die vom Verurteilten als solche empfunden werden mussten. Der Bundesrat hat sich nun in frühern Begnadigungssachen mehrfach von der Auffassung leiten lassen, der blosse Ablauf einer gewissen Zeit könne nicht veranlassen, einem an sich nicht anfechtbaren Urteil ohne zwingende Gründe die Wirkung zu nehmen, und die Begnadigungsbehörde hat derartige Anträge geschützt. In Sachen Held (zu vergleichen Antrag 88 des II.

Berichtes vom 14. Mai 1920, Bundesbl. 1920, III, 31) wurde ausgeführt, Held habe geglaubt, aus seinen gewiss misslichen Verhältnissen das Eecht ableiten zu können, sich über die staatlichen Ausfuhrverbote hinwegzusetzen. Wie verhängnisvoll ein derartiges Verhalten, verallgemeinert gedacht, für die Eechtsordnung sein müsste, liege auf der Hand. Es sei nicht schwer, auszudenken, wohin es in den Jahren der Kriegswirtschaft geführt hätte, wenn jeder Bürger in Abwägung der allgemeinen und persönlichen Interessen der Anschauung gehuldigt hätte, die Held zur Last falle. Die Bundesanwaltschaft hält dafür, derselbe Massstab habe auch Emil Piquerez gegenüber zur Anwendung zu gelangen.

Innerhalb dieser Auffassung ist es jedoch zulässig, den Besonderheiten des Falles Piquerez Eechnung zu tragen. Insbesondere ist zuzugeben, dass der Strafvollzug erst in einem reichlich späten Zeitpunkt zur Durchführung gelangen wird. Es ist richtig, dass die Verbüssung einer Gefängnisstrafe von fünf Tagen heute bezüglich der in Betracht kommenden Zuwiderhandlungen eine härtere Strafe bedeutet, als wenn der Strafvollzug dem rechtskräftigen Urteil sofort gefolgt wäre. Diesbezüglich möchten wir nun dem Gesuchsteller gegenüber berücksichtigen, dass der Strafaufschub erfolgte im Anschluss an das vom Verteidiger des Piquerez am 15. Juni 1918 angekündigte Begnadigungsgesuch. Nach diesem Schreiben ist dargetan, dass Piquerez jedenfalls die Einreichung eines Begnadigungsgesuches angeordnet hatte, weshalb der Umstand, dass die vom Verteidiger, wie er sagt, im Oktober 1918 der Post übergebene Eingabe den Behörden nicht
zu Kenntnis kam, die Stellung des Verurteilten selbst nicht verschlechtern soll. Da zudem die Möglichkeit der Gesuchseinreichung im Oktober 1918 besteht und wir in dubio die dem Gesuchsteller günstigere Möglichkeit in Betracht ziehen, so ist zu sagen, dass der Strafvollzug infolge des Begnadigungsgesuches unterblieb, d. h. ohne dass Piquerez die Verzögerung durch ungehöriges Verhalten veranlasst natte. Es ist weiterhin richtig, dass

186 die Zeitverhältnisse der Industrie und dem Unternehmen, in dem sich Piquerez betätigt, ungünstig sind. Schliesslich müssen die verschiedenen amtlichen Mitberichte, die sogar für den gänzlichen Erlass der Freiheitsstrafe sprechen, ernstlich in Erwägung gezogen werden.

Aus diesen Gründen beantragen wir Herabsetzung der Gefängnisstrafe bis zu einem Tag.

Beigefügt sei, dass die Bundesanwaltschaft auch die Möglichkeit einer bedingten Begnadigung überprüfte, jedoch davon absah im Hinblick auf die unumstösslich erwiesenen, fortgesetzten Verfehlungen des Gesuchstellers gegen die Fabrikpolizei und die diesbezüglich vorhandenen Vorstrafen. Ebensowenig könnte unseres Erachtens die Umwandlung der Gefängnisstrafe in Busse befriedigen.

A n t r a g : Herabsetzung der Gefängnisstrafe bis zu einem Tag, Abweisung hinsichtlich der Busse.

77. Johanna Troxler-Brüstle, geb. 1868, Händlerin, Zürich, Badenerstrasse 142.

78. Lebrecht Keller, geb. 1862, Landwirt, Altishausen (Thurgau).

79. Joseî Anton Enzler, geb. 1877, Händler, Speicher (Appenzell A.-Eh.).

80. Johann Berglas, geb. 1885, Händler, Schaffhausen.

(Ausfuhrschmuggel.)

Gestützt auf den Bundesratsbeschluss betreffend Bestrafung der Widerhandlungen gegen das Ausfuhrverbot vom 30. Juni 1917 (A. S. n. F. XXXIII, 459) oder 12. April 1918 (A. S. n. F. XXXIV, 467) wurden verurteilt: 77. Frau Johanna Troxler am 26. Oktober 1920 vom Obergericht des Kantons Thurgau zu 4 Monaten Gefängnis, abzüglich 2 Monate Sicherheitshaft und Fr. 4000 Busse; 78. Lebrecht Keller am 29. Januar 1919 vom Bezirksgericht Kreuzungen zu Fr. 1000 Busse.

Frau Troxler und Lebrecht Keller wurden mit 22 andern in erster Instanz verurteilt. Beide appellierten, Keller zog jedoch in der Folge die Appellation zurück. Frau Troxler gegenüber erging am 4. Oktober 1919 ein erster Entscheid des thurgauischen Obergerichts, der das Strafmass bestätigte, worauf Frau Troxler beim Bundesgericht Kassationsbeschwerde einreichte. Diese wurde am 12. März 1920 gutgeheissen. In seinem neuen Urteil vom 26. Oktober 1920 erklärte das thurgauische Obergericht die Eekurrentin --

187 statt wie früher in allen Fällen der Täterschaft -- in drei Fällen nur der Gehilfenschaft schuldig, verurteilte Frau Troxler jedoch zu denselben Strafen wie im frühern Urteil. Eine erneute Kassationsbeschwerde wies das Bundesgericht am 1. Februar 1921 ab.

Frau Troxler überbrachte oder lieferte in der zweiten Hälfte 1917 und anfangs 1918 zu Schmuggelzwecken im Auftrage des Karl Waiser dem Johann Kiefl in Kurzrickenbach 1500--2000 m Gummiband im Werte von ca. Fr. 1000; im Auftrage desselben Waiser an Frau Scherb in Emmishofen 2000 m Gummiband und 200 Gummisauger im Gesamtwert von Fr. 1100; im Auftrage der Frau Waiser der Marie Essers 300 m Gummiband im Werte von Fr. 850. Ferner überbrachte Frau Troxler dem Johann Kiefl 2682 Sternchen Nähfaden im Werte von Fr. 170 und verschaffte ihm 12 kg Vanille im Werte von Fr. 1200, wovon sie 4 kg mit einem gewissen Lehmann zusammen überbrachte, 8 kg durch diesen allein überbringen liess.

Schliesslich kaufte Frau Troxler von dem notorischen Berufsschmuggler Dr. Berther in Zürich 800 Stück Gummisauger und überbrachte sie der Frau Scherb nach Emmishofen, von wo sie dann geschmuggelt wurden.

Lebrecht Keller war tätig als Glied in der Warenzuführung, indem er in Weinfelden bei Rutishauser Waren abholte und sie teils direkt, teils durch Hans Kiefl, Sohn, in das Haus des Johann Kiefl, Vater, nach Kurzrickenbach überführte, von wo aus dann der Schmuggel stattfand.

Für Frau Troxler wird ersucht, den Rest der Gefängnisstrafe und einen Teil der ausgesprochenen Busse im Gnadenwege zu erlassen. Die Anbringen nehmen zunächst Bezug auf den Gang des Strafverfahrens. Die Strafe von 4 Monaten Gefängnis und Fr. 4000 Busse wird als drakonisch bezeichnet und soll namentlich im Vergleich zu dein mitbeteiligten Rutishauser, der einzig mit Fr. 300 gebüsst wurde, viel zu hart sein. Dieser Unterschied im Strafmass lasse sich auch dann kaum erklären, wenn feststände, dass die Gesuchstellerin den thurgauischen Richtern als regsame und raffinierte Schmugglerin bekannt gewesen wäre, wie im obergerichtlichen. Urteil gesagt werde. Tatsächlich sei sie ausser in diesem Falle von keiner Gerichtsbehörde verurteilt, auch sei ihr «offizieller» Leumund nicht schlecht. Die Gesuchstellerin sei eine betagte Frau. In ihrem Alter zwei weitere Monate ins Gefängnis zu müssen, sei weit drückender,
als wenn es sich um eine junge Person handelte. Auch die Busse von Fr. 4000 nebst-Fr. 1000 Wertersatz und den Kosten sei eine drückende Last. Diesbezüglich drohe der Gesuehstellerin die Umwandlung in Gefängnis, da sie vermögenslos sei. In diesem Zusammenhang wird

188 erinnert an den Ausgang der Begnadigungssache Florin und schliesslich ausgeführt, der Strafvollzug werde in eine Zeit fallen, da die Verfehlungen schon lange der Vergangenheit angehören. Nachdem die Gerichtspraxis derartigen zeitlichen Verhältnissen in andern Fällen Eechnung getragen habe, dürfe dies die Begnadigungsbehörde ihrerseits in ganz besonderer Weise tun.

In den Akten befindet sich eine persönliche Eingabe der Frau Troxler an die Oberzolldirektion. Frai Troxler betont, seit der zweimonatlichen Sicherheitshaft sei sie nicht mehr rückfällig geworden.

Jene Haft habe ihr gesundheitlich geschadet und man möge ihr nunmehr eine erneute entehrende Inhaftierung ersparen. Die Busse von Fr. 4000 könne sie nicht aufbringen, da die Familie heute ohne Vermögen sei.

Die Oberzolldirektion spricht sich entschieden gegen eine Begnadigung aus. Die Familie Troxler müsse mit Bezug auf die Betätigung im Schmuggel als Ganzes genommen werden. Auch Frau Troxler habe als beharrliche Schmugglerin zu gelten. Wir fügen bei, dass ein vom Sohne Max Troxler eingereichtes Begnadigungsgesuch, das den Erlass einer Gefängnisstrafe von einer Woche und einer Busse von Fr. 200 bezweckte, in der Dezembersession 1920 abgewiesen wurde, soweit darauf nach dem Stande des Strafvollzuges noch einzutreten war (Antrag 133 des 2. Berichtes vom 19. November 1920, Bundesbl. 1920, V, 139).

Im Anschluss hieran bemerken wir, dass die mitverurteilten Eheleute Kutishauser, insbesondere der Ehemann, auf dessen Bestrafung der Verfasser des vorliegenden Gesuches hinweist, zu milde beurteilt wurden. Es kam ihnen, wie die Urteilserwägungen des thurgauischen Obergerichts ergeben, zugute, dass der Gerichtshof infolge fehlender Appellation der Staatsanwaltschaft und des Verbotes einer reformatio in peius auf die Strafausmessung in diesen zwei Fällen nicht zurückkommen konnte. Anderseits ist aber zu betonen, dass die Verurteilung der Frau Troxler durchaus im Einklang steht mit dem Strafmass, das gegenüber den weitern Beteiligten zur Anwendung gelangte. Wir verweisen insbesondere darauf, dass zwei Gefängnisstrafen von je einem Jahr und sogar eine dreijährige Gefängnisstrafe erkannt wurden. Es kennzeichnet dies die «gewaltige Schmugglerorganisation», wie sich die Urteilserwägungen ausdrücken.

Dass die heute rechtskräftige Verurteilung der Frau
Troxler an sich dem Strafmasse nach eidgenössisches Eecht nicht verletzt, zeigt der Entscheid des Bundesgerichts vom 1. Februar 1921, wie denn überhaupt in den beiden Kassationsverfahren in der Hauptsache lediglich die formale Qualifikation der eingeklagten Handlungen, d. h. die

189 Abgrenzung von Täterschaft und Gehilfenschaft zur Erörterung stand.

Abschliessend beantragen wir bezüglich der Busse ohne weiteres Abweisung, da die Vermögensverhältnisse der Gesuchstellerin, wie ein zollamtlicher Bericht ergibt, keineswegs abgeklärt sind. Aber auch hinsichtlich der Gefängnisstrafe sehen wir von einem Herabsetzungsantrage ab, indem uns genügende Kommiserationsgründe zu fehlen scheinen. Insbesondere haben wir keinen Anlass, auf die Darlegungen des thurgauischen Obergerichtes zurückzukommen, wonach Frau Troxler das Schmugglerhandwerk berufsmässig und mit ausserordentlicher Eegsamkeit betrieb. Das Alter der Frau Troxler, die heute 53jährig ist, ist unseres Erachtens eher geeignet, gegen die Begnadigung einzunehmen, indem nach den in Betracht kommenden Verhältnissen jedenfalls von vorneherein die Berufung auf Uner- · fahrenheit, mangelnde Einsicht und dergleichen ausgeschlossen ist.

Zu dem Begnadigungsgesuch Lebrecht Kellers, der ratenweise Fr. 700 abbezahlt hat und heute mit Bücksicht auf seine Verhältnisse und unter Berufung auf sein Geständnis in der Untersuchung um Erlass der verbleibenden Fr. 300 Busse und Fr. 42 Kosten ersucht, schreibt die Oberzolldirektion, Keller habe mit den Ratenzahlungen seinen guten Willen gezeigt, die Verfehlungen zu sühnen.

Es ist richtig, dass er gleich zu Anfang der Untersuchung ein umfassendes Geständnis ablegte. Nach einem Bericht der Gemeindebehörde ist Keller stetsfort in bedrängter Lage.

Mit der Oberzolldirektion und entsprechend der Stellungnahme des Gemeindeammans beantragen wir, die verbleibenden Fr. 300 zu erlassen. Zu den Kosten ist nicht Stellung zu nehmen.

79. Josef Anton Enzler, verurteilt am 6./14. Januar 1919 vom Bezirksgericht Unterrheintal zu 3 Monaten Gefängnis, Fr. 1000 Busse und solidarischer Haftbarkeit für die Bussen Mitbeteiligter bis zum Betrage von Fr. 6000.

Enzler hatte den Auftrag übernommen, 500 kg Garn im Werte von Fr. 11,950 über die Grenze nach Österreich zu schaffen. Zu diesem Zwecke dingte er eine Anzahl Mithelfer, die insbesondere die in einem Wirtshaus in Stad liegende Ware hätten an den Bodensee verbringen sollen. Enzler selbst fuhr mit einer Gondel von Bregenz heran, wurde aber bei der Landung festgenommen.

Enzler ersucht um Erlass von Solidarhaft und Wertersatz. Er sei in den beiden Straffällen, in die
er verwickelt gewesen, nur als Schmugglerknecht tätig geworden. Die Ware sei nicht sein Eigentum gewesen, auch habe er in dem hiervor angeführten Fall Fr. 300 ein-

190 gebüsst, da die Mithelfer von ihm Geld bezogen hätten. Enzler nimmt ausserdem Bezug auf die Beschlagnahme von Geld, das bei einer Verhaftung auf ihm vorgefunden wurde und auf gewisse anderweitige Verurteilungen, die er als rechtsirrtümlich erklärt. Heute möge man ihm mit Kücksicht auf die schweren Familienverhältnisse und den geschwächten Gesundheitszustand entgegenkommen.

Aus dem Bericht der Oberzolldirektion ergibt sich, dass Enzler im Jahre 1917 vom eidgenössischen Zolldepartement wegen Schmuggels mit Fr. 1500 gebüsst und, solidarisch mit andern, zu Fr. 3855 Wertersatz verhalten wurde. Damals wurden ihm als Hinterlage Fr. 3000 abgenommen. Dieser Betrag und die Enzler später bei einer Verhaftung abgenommene Summe von Fr. 1644.15 wurden zur Verrechnung der Forderungen aus den Entscheiden betreffend Ausfuhrschmuggel verwendet. Das Gesuch Enzlers ist heute dahin zu berichtigen, dass er aus Solidarhaft einzig noch für einen Bussenrest von Fr. 1000 aufkommen müsste. Die Oberzolldirektion hält dafür, Enzler sei nach seinem Vorleben von vorneherein einer Begnadigung unwürdig. Sollte der ausstehende Betrag nicht erhältlich sein, so werde er abgeschrieben, aber von einer. Begnadigung sollte abgesehen werden.

Laut Vorstrafenbericht vom 8. Mai 1921 ist Enzler 23mal vorbestraft, zum Teil mit erheblichen Gefängnisstrafen. Seine Familie vernachlässigt er. Er gilt als verkommener Mensch. Wir beantragen ebenfalls, Enzler abzuweisen und die Erledigung der Angelegenheit den Zollbehörden zu überlassen.

80. Johann Berglas, am 10. Oktober 1918 von der Oberzolldirektion mit Fr. 500 gebüsst, unter Auferlegung von Fr. 376. 20 als solidarische Wertersatzpflicht.

Berglas verkaufte in seinem damaligen Kramladen zu Schmuggelzwecken Schokolade in einem Gesamtbetrage von etwas über Fr. 1000.

Einem ersten Begnadigungsgesuch wurde von der Bundesversammlung in der Sommersession 1919 antragsgemäss dahin entsprochen, dass die Busse von Fr. 500 um die noch ausstehenden Fr. 200 ermässigt wurde (zu vgl. Antrag 126 des IV. Berichtes vom 2. Juni 1919, Bundesbl. 1919, III, 451). Heute ersucht Berglas um Erlass eines verbleibenden Wertersatzanteiles von Fr. 110. Er schreibt, seit seiner Entlassung als Angestellter der Dampfbootverwaltung Schaffhausen lange stellenlos gewesen zu sein.

Der Bericht der Oberzolldirektion ergibt, dass Berglas seit der Erledigung seines ersten Begnadigungsgesuches den eigenen Wert-

191 ersatzanteil von Fr. 125. 40 und ausserdem an Wertersatz aus Solidarhaft Fr. 140 bezahlt hat. Er hätte noch Fr. 110. 80 zu leisten.

Da als richtig bezeichnet wird, dass Berglas längere Zeit ohne regelmässige Beschäftigung war und die Kosten des Haushaltes von der Ehefrau, die Damenschneiderin ist, gedeckt werden mussten, da ferner erbracht ist, dass Berglas seinen Verpflichtungen nach Möglichkeit nachkam, beantragen wir mit der Oberzolldirektion, die Bestsumme von Fr. 110. 80 zu erlassen.

Anträge: Bei Frau Troxler Abweisung, bei Keller Erlass der Kestbusse, bei Enzler Abweisung, bei Berglas Erlass des verbleibenden Wertersatzes.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 13. Mai 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schulthess.

Der Bundeskanzler: Steiger.

-«SS---

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

II. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Begnadigungsgesuche (Sommersession 1921). (Vom 13. Mai 1921.)

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