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Schweizerisches Bundesblatt.

VIII. Iabrg. H.

Nr. 43.

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16. Augnst 1866.

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Minderheit der ständeräthlichen Kommission, betreffend die Einführung der eidg. Maß- und Gerichtsordnung.

(Vom 12. Juli 1856.)

Tit.

Die Minderheit der Kommission kann das Gewicht der von der Mehrheit geltend gemachten Gründe nicht verkennen; ste hätte Anstand genommen, fie anzugreifen oder deren Tragweite zu schwächen, wenn es sich hier um eine höchst bedeutungsvolle, für den Augenblik dringende Frage handeln würde, oder die für das Vaterland Folgen von höchster Wich-

tigkeit haben könnte.

Allein, da die Lösung der vorliegenden Frage von nur untergeord-

neter Bedeutung sür die Schweiz ist und da im Verzuge keine Gefahr liegt,

so macht sich die Minderheit kein Bedenken, die Diskusston anzuregen; sie wird jedoch hier nicht aus den Grund dieser so viel besprochenen Frage eintreten , sondern sie glaubt in dieser Hinsicht sich aus den vom 30. Juli 1851 datirten Bericht der Minderheit der vom Nationalrathe süx die Priisung des Entwurfes zu einem Geseze über Maß und Gewicht ernannten Kommission berusen zu können ; fie beschränkt stch auf die von einigen Kantoueu angeregte Frage, betreffend die Verschiebung der Einführung dieses Gesezes.

Bevor aber die Minderheit auf diesen besondern Punkt näher eingeht, muß sie noch einen der Hauptgründe der Mehrheit, den dieselbe aus der Bundesverfassung hexgeleitet hat, einer kurzen Prüfung unterwerfen.

Dem Wortlaute nach fcheint die Bundesverfassung sich der Annahme jedes nicht auf den Grundlagen des Konkordats beruhenden Systems zu widersezeu. Der Geist der Verfassung aber tritt einer solchen Auslegung entgegen ; und iu der That darf nicht angenommen werden , daß die Versassung dem Fortschritte habe Schranken sezen und den Bund verhindern wollen, ein System, das von ihm als gut und zwekentspxechend anerkannt

Bundesblatt. Jahrg. VIII. Bd. II.

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^18 wixd , anzunehmen , und zwar gexade aus dem Grunde , weil es nicht auf das Konkordatsf^stem bafirt ist. Neiu , so darf die Verfassung nicht aus^ gelegt werden; sondern die natürlichste und deu Vorgängen entsprechendste

Deutung ist die, daß der sachbezügliche Artikel der Verfassung eine Art

von Kompromiß ist , der durch die Verhältnisse , welche zur Zeit der Redaktion der Bundesverfassung bestanden, bedingt wurde. Die Einen befürchteten die Annahme des französisch metrischen Systems, die Andern die Adoption eines Systems, das mit denjenigen der größern Länder Deutschlands mehr in Uebereinstimmung wäre. Alle aber befürchteten, daß, wenn der Bundesversammlung volle Freiheit gelassen würde, diese sich zu bald auf Neuerungen in einer Sache werfen möchte, welche mit den Gewohnheiten der Bevölkerung in so enger Beziehung steht.

Wenn, wie wir glauben, dieß der Zwek der Verfassung war, so ist derselbe vollkommen erreicht worden. Man ist hier mit weiser Langsamkeit vorgeschritten ; man hat die Sache lange besprochen und den Meinungen Zeit gelassen , fich zu äußern ; man diskutirte die Sache , um dadurch die Leute zu belehren. Die Verfassung verlangte nicht, daß sofort ein Gesez ubex Maß und Gewicht gemacht würde, fondern sie gestattete, daß dasselbe erst im Falle wohl erkanntex Nothwendigkeit von der ganzen Schweiz angenommen werden müsse. Wenn nun nach gemachten Erfahrungen der Bund findet, daß ein anderes als das Konkordatssvstem für Maß und Gewicht seinen Bedürfnissen besser entspreche, so dürfte er es annehmen, ohne sich dem Vorwurfe der Verfassungsvexlezung auszusezen. Jst dieses wirklich die Absicht der Verfassung, so verliert auch der Grund der Mehrheit viel von seinem Gewichte, wenn ex nicht ganz dahin fällt.

Ein anderer Grund, dem die Kommissionsmehrheit große Bedeutung beimißt, ist der, daß die Einheit iu Maß und Gewicht stets um so nothwendiger werde, je mehr die Verkehrserleichterungen zunehmen. Die Minderheit legt diesem Umband.. wenig Werth bei, indem die Beziehungen zwischen deu Völkern und den Kantonen, mit Rüksieht auf Maß und Gewicht, sich auf eiue geringe Zahl von Personen beschränken ; die Beziehungen zwischeu den einzelnen Jndividuen erftreken sich auf einen sehr beschränkten

Kxeis, und es ist für den einen Theil der Schweiz ziemlich gleichgültig,

ob man im andern das Land nach Ruthen , Klaftern oder Schuhen messe, so wie ob man das Holz nach Klaftern oder Steren (Kubikmetern) verkaufe (qu'on vende 1e hois au ^o.^le , à 1a toise ou au st.^.e) ; es liegt hier kein dringendes Bedürfniß nach Einheit vor.

Seit dem Erscheinen des Gefezentwnrfes , der angenommen wurde, haben sich Manche für eine durchgreifendere Aenderung ausgesprochen und gewünscht , ^ daß , da nun doch das alte System abgeändert werden müsse, man sich an dasjenige eines g r o ß e n Landes anschließe, nämlich au das, welches von den Gelehrten als das auf der festesten Grundlage beruhende anerkannt wird, zumal dessen sämmtliche Theile mit dem Ganzen übereinstimmen. Mehrere Kantone haben fich in gleichem Sinne ausges^rochen. Seit der Annahme des Gesezes haben einige Gxo^e Räthe deu

319 Wunsch geäußert, daß die für die definitive Einführung des Gesezes auberaumte Frist verlängert werde, und sie haben ihre Wünsche der Bundesversammlung einreichen lassen. Jezt, bei der Annäherung des Zeitpunktes, wo jenes Gesez in Kraft treten soll, stellen sie das ausdxükliche Begehreu um Verschiebung der Vollziehung des genannten Gesezes. Die Umstände, welche sich nicht leicht durch Beschlüsse und Verordnungen der Menschen lenken lassen, sondern unaufhaltbar ihren Weg verfolgen, unterstüzen die Jhnen eingereichten Begehren.

Seit der Annahme des Bundesgesezes ist eine Thatsache zu Tage getreten, welche man vor einigen Jahren nicht voraussehen konnte. An den zu London und Paris stattgehabten großen Jndustrieausstel.lungen, an denen die ganze Welt sich betheiligte, war auch die Wissenschaft vertreten. Man hat gesehen, wie mehrere Länder sich ernstlich mit einer allgemeinen Aenderung der Maß^ und Gewichtss^steme beschäftigen; das m e t r i s c h e D e z i m a l s t e m F r a n e r e i ch s scheint überall Anerkennung zu finden und man darf behaupten, daß wir uns am Vorabende einer großen , aber friedlichen Umwälzung befinden , welche die Beziehungen der Völker zu einander tiefgreifend verändern. Wenn die unser Land umgebenden Staaten zur Annahme eines gleichmäßigen Systems sich vereinigten, so würde die Schweiz in dem Wirbel mit sortgerissen und müßte ^nothgedrungen ein System wieder abändern , das erst vor Kurzem eingeführt wurde.

Unter solchen Umständen erscheint das Gesuch mehrerer Kantone um Verschiebung der obligatorischen Vollziehung des genannten Gesezes und um Beibehaltung des status quo als ganz natürlich und gerechtfertigt.

Die Minderheit glaubt dargethan zu haben, daß die Verfassung der Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes der Dinge, selbst für eine unbestimmte Zeit, nicht widerstrebe ; sie glaubt gleichfalls bewiesen zu haben, daß für die Schweiz das obligatorische Jnkrafttreten des Bundesgesezes auf den l. Januar 185.^ keine Notwendigkeit sei und daß man damit wohl noch einige Jahre zuwarten dürfe. Sie fügt noch bei , daß ein Fortbestehenlassen des status quo vorzuziehen sei, so lange man nicht wisse, was in den Ländern geschehen werde, die ebenfalls ihre Maß- und Gewichtss^steme abzuändern im Begriffe stehen.

Sie ist der Anficht, daß diese Gründe, verbnuden mit denjenigen,
den die Kantone , welche um eine Verschiebung eingekommen sind , vorgebracht haben, hinreichend zu Gunsten des an Sie gestellten Begehrens sprechen.

Die Minderheit beehrt sich demzufolge, an den Ständerath den Antrag zu stellen: er möge dem Gesuche der Kantone T essi n, W a a d t , Neuenbuxg und Genf entsprechen.

Bern, den l 2. Juli .l 856.

Die Minderheit der Kommission..

^. Briatte.

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Bericht der Minderheit der ständeräthlichen Kommission, betreffend die Einführung der eidg. Maß- und Gewichtsordnung. (Vom 12. Juli 1856.)

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16.08.1856

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