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Schweizerisches Bundesblatt.

VIIL Iahrg. IL

Nr. 68.

27. Dezember 1856

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Frt.

E i n rü k n n g s g e b ü .,r per Zeile 15 Eent. - Inserate sind srankirt an die Expedition einzusenden.

Druk nnd Expedition der Stämpflischen Bnchdrnkerei (G. .Hünerwadel) in Bern.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung in der Ange....

legenheit des Kantons Neuenburg.

(Vom 26. Dezember 1856.)

Tit.

Als Sie in der Sizung vom 26. September abhin die Angelegenheit des Kantons Neuenburg zum ersten Mal zu behandeln berufen waren, gieng ihre Schlußnahme unter Anderm auch dahin: Das vom Bundesrathe in dieser Angelegenheit beobachtete Verfahren wird gutgeheißen und der Bundesrath eingeladen, auf der von ihm eingeschlagenen Bahn fortzuwandeln. Jn unferer Botschaft vom 23. September haben wir de..

Standpunkt, von dem aus allfällige diplomatische Verhandlungen zu pflegen sein möchten, dahin bezeichnet, daß dieselben die vollständige Unabhängigkeit des Kantons Neuenburg von jedem auswärtigen Verbande zum Endziel haben müßten. Durch die eben angeführte Schlußnahme gaben Sie, Tit., Jhre Uebereinstimmung mit der eben dargelegten Ansicht zu erkennen, und wir mußten daher darin eine Aufmunterung erbliken, das bis jezt beobachtete Verfahren zur Richtschnur unsers ferneren Vorgehens zu machen.

Erlauben Sie nun, daß wir in eine nähere Schilderung der seit dem September gepflogenen Verhandlungen eingehen, und daß wir die geschichtlichen Momente der Neuenburgersrage Jhrem geistigen Auge vorüberführen.

Schon am 30. September machte die französische Gesandtschaft unser...

Präsidium die mündliche Eröffnung , sie fei von ihrem Souveräne beauftragt, den Wunsch anszudrüken, daß die Neuenburger-Gefangenen sofort in Freiheit gesezt werden möchten. Wenn diesem Wunsche entsprochen werde, so glaube der Kaiser der Franzosen, der für die Schweiz die günstigsten

Bunde sblatt. Jahrg. VIII. Bd. II.

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742 Gefinnungen hege, zur gliikliehen Lösung dex Frage auf der bevorstehenden Konferenz der Großmächte beitragen zu können. Jm entgegengesehen Falle aber stünden der Schweiz wirklich ernstliche Verwirrungen bevor. Preußer..

sinne auf Rüstungen; die übrigen deutschen Mächte dürsten sich einig finden, Preußen zu untexstüzen und ihm den Durchmarsch zu gestatten, so daß binnen Kurzem eine ansehnliche Txuppenmacht an der Gxänze stehen könnte.

Es wurde der Gesandtschaft ebenfalls mündlich erwidert, dex Bundesrath anerkenne die theilnehmenden Gesinnungen des Kaisers dex Franzoseu süx die Schweiz und ex würdige sie in vollstem Maße. Er sei bereit, den gesezgebenden Räthen eine Amnestie dex Neuenburgex - Jnsuxgenten voxzuschlagen, sofern gleichzeitig eine Lösung dex Hauptfrage im Sinne der Unabhängigkeit Neuenburgs von jedem auswärtigen Verbande als gesichert betrachtet werden könne. Auf Vorschläge in diesem Sinue werde der Bundesrath , so viel an ihm liege , keinen Anstand nehmen , einzugehen , und ex werde Sr. Majestät dem Kaiser verbunden sein, wenn ex in dieser Richtung füx die Schweiz seine guten Dienste eintreten lassen wolle.

Auch von den Gesandtschaften Rußlands und Oesterxeichs wurde die sofortige und bedingungslose Freilassung der Jnsuxgeuten vom 3. September bevorwortet. Wir konnten aber auch diesen diplomatischen Vextxetexn keine andere Erwiderung geben , als diejenige , welche wir , wie eben gemeldet, der französischen Gesandtschaft hatten zu Theil wexdeu lassen.

Von einer andexn Seite war die Gesandtschaft Jhrer Brittischen Majefiät veranlaßt, ihre Dazwischenkunst eintreten zu lassen und ihre freundschastlichen Bemühungen der Eidgenossenschaft anzubieten. Der brittische Gesandte nämlich wünschte im Namen seiner Regierung zu vernehmen, ob die Anstände zwischen der Schweiz und Preußen wegen Neuenbuxgs nicht durch die beiden Mächte Frankreich und England geschlichtet werden könuten, indem von diesen Mächten beiden Parteien g l e i c h z e i t i g die Bed.ngungen eröffnet würden , unter denen die Angelegenheit aus ehrenhafte Weise beigelegt werden könnte.

Für den Fall dex Bejahung möchte dex Bundesrath die Bedingungen, die ex anzunehmen geneigt wäre, näher präzifixen. Hiexaus wurde , und zwax ebenfalls am 3. Oktober, der Gesandtschaft exwidext, der Bundesxath sei bereit, Eröffnungen in der
Neuenburgerfrage entgegen zunehmen, sofern dieselben die vollständige Unabhängigkeit des Kantons Neuenburg von jedem auswärtigen Verbande zur Grundlage. haben. Sobald diese Grundlage als gesichert erscheine, werde er auch keinen Anhand nehmen, den gesezgebenden Räthen eine Amnestixung dex Neuenburger-Jnsurgeuten vorzuschlagen. Ex werde der brittischen Regierung verbunden sein , wenn die selbe süx eine Lösung dex Frage in diesem Sinne ihre guten Dienste eintreten lassen wolle.

Da schon in der Eröffnung der französischen Gesandtschaft darauf hingedeutet wurde , daß die Neuenburger-Angelegenheit auf dem bevorstehenden Kongresse der Mächte wegen des Fxiedensvextxags vom 30.. März

743 abhin zur Sprache kommen dürfe, so ließen wir sowol bei Frankreich als bei England die Anficht geltend machen, daß, wenn wirklich die Angelegenheit von Neuenburg aus dem Kongresse verhandelt werden solle, alsdann auch die Schweiz für diesen Gegenstand vertreten sein müsse, und dieß um so mehr, als ihre Gegenpartei ohnehin an den Konferenzen Antheil nehmen und der Eidgenossenschaft nicht zugemuthet werden könne, iu dieser Frage Beschlüsse als bindend anzuerkennen , welche ohne ihre Mitwirknng gefaßt worden wären.

Eine bestimmte Rükäußerung nach dieser Richtung ist zwar nicht erfolgt; doch wurde von dem französischen Ministerium zu erkennen gegeben, daß das herwärtige Verlangen, um Vertretung der Schweiz sehr natürlich gefunden werde und daß von Seite Frankreichs diesem .Begehren kein Hin-.

derniß entgegenstehen dürste.

Noch im Laufe des Oktobers schien die Angelegenheit in ein für die Schweiz günstigeres Stadium treten zu wollen, und zwar in Folge der sehr anerkennenswerten Bemühungen der englischen Regierung. Am 25. des genannten Monats nämlich stel.te die brittische Gesandtschaft die Anfrage , ob der Bundesrath die sofortige Freilassung der Gefangenen in Neuenburg zugeben würde, wenn der König von Preußen konfidentiell an Frankreich und England die Zusicherung ertheilte, daß er unter folgenden Bedingungen auf die Svuoeränetätsrechte von Neuenburg verzichten 1) er würde den Titel eines Fürsten von Neuenburg fortführen; 2) er bliebe im Befize seines Privateigentums im Kanton Neuenburg ;

3) es fänden fetne Eingriffe statt gegen gewisse religiöse und mi.dthä-

tige Stiftungen, an denen der König ein größeres Jnteresse nehme.

Unsere Erwiderung auf diese Verbalnote erfolgte am 29. Oktober.

Wir verdanktem zunächst der britischen Regierung ihre Bemühungen in der Neuenburgerfrage und ihre dabei an den Tag gelegten freundschaftlichen Gesinnungen für die Schweiz. Wir erklärten uns, nachdem sich die von uns darüber angefragte Regierung von Neuenbnrg in zustimmender Weise ausgesprochen hatte , so weit es von uns abhange , bereit, die von der englischen Regierung angedeuteten Punkte als Grundlagen einer Unterhandlung und einer Ausgleichung mit dem König von Preußen anzunehmen.

^ Zur nähern Orieutirung der brittischen Regierung waren wir dann aber noch veranlaßt, folgende Bemerkungen beizufügen: 1) Nach der bestimmten Erklärung der Regierung von Neuenburg besize der König von Preußen im Kantvn Neuenburg ihres Wissens kein Privatvermögen. Soll.e solches wirklich vorhanden sein, so würde es, wie jedes andere Privateigentum, respektirt werden.

Domänen, Gefalle und Einkünfte, die der König in der Eigenschaft als L a n d e s h e r r besessen, könnten aber nicht unter deu Begriff von Privatvermögen fallen.

UIn allen Mißverständnissen vorzubeugen, erscheine es als wünschenswerth, daß, wenn eine Ausgleichung zu Stande komme, das dem König

al.lfällig zugehörende Privatvermögen speziell bezeichnet werde.

2) Als mildthätige oder religiöse Stiftungen bezeichne die .Regierung von Neuenburg vorzüglich die ans Vergabungen von Privatpersonen eutfiandenen Stiftungen , Pourtalès , de Meuron , de Pury u. s. w. Daß diese und alle ähnlichen Jufiitute heilig geachtet werden Rollen , darüber sei die Regierung von Neuenburg mit dem Bundesrathe vollkommen einverstanden und gerne wolle man Hand bieten, dem König von Preußen hierüber alle Beruhigung zu gewähren.

Eine dahin gehende Garantie sollte jedoch -- um auch hier die Emanzipation Neuenbuxgs von jedem auswärtigen Einflusse zu erreichen einzig und allein von der Eidgeuossenschaft übernommen werden.

Endlich wurde noch beigefügt, es sollten, um allen Mißverständnissen vorzubeugen , in den Vertragsartikeln diejenigen religiösen und mildthätigen Stiftungen speziell bezeichnet werden, welche unter jene Garantie zu fallen hätten.

Diese für die Schweiz fo wohlgemeinten Vermittlungsanträge hatten jedoch keinen Erfolg , indem die englische Regierung später fand , daß es besser sei, dieselben in Berlin nicht zu eröffnen, da die vorauszusehende Ablehnung der Unterhandlungen der Schweiz nur schaden würde.

Jn der Hoffnung , daß Frankreich und England dadurch eher zu einem g e m e i n s c h a f t l i c h e n Vorschlage vermocht werden könnten, glaubten auch wir, auf der Eröffnung obiger Vorschläge an Preußen durch die Vermittlung Englands nicht bestehen zu sollen, und dieß um so weniger, als die ganze Angelegenheit bereits wieder in eine andere Phase getreten war.

Es hatte sich nämlich Se. Majestät der Kaiser der Franzosen unterm 24. Oktober dire.t an den Herrn General Dusour in Genf gewendet, in der sehr verdaukenswerthen Absicht, nochmals auf die ernste Lage aufmerk-

sam zu machen, in welcher sich die Schweiz befinde, und gleichzeitig wünschte

der Kaiser die Mitwirkung des Generals , um die bevorstehenden Schwierigkeiten und Gefahren zu beseitigen. Es wurde ferner ausgeführt, der König von Preußen gestehe der Schweiz das Recht nicht zu, die Verfaß sung Neuenburgs ohne seine Zustimmung abzuändern, und er sehe es daher als einen Ehrenpunkt au , diejenigen zu unterstüzen , welche die alte Ordnung herzustellen versucht haben. Namentlich sei der König durch den Gedanken, daß seine Anhänger verurtheilt werden sollen , so gereizt , daß er seine Rechte mit Waffengewalt geltend machen und sich an den deutschen Bund wenden wolle, um für seine Truppen den Durchpaß gestattet zu ergalten. Der Kaiser se.. nun bereit, Preußen von einer Truppensendung abzuhalten, und ex getraue sich, die Neuenburgerfrage ans eine .nx die Schweiz ehrende Weise zu lösen, wenn hinwieder diese leztere gut..u Willen und Vertragen in den. Kaiser zeige. Der Kaisex habe bis jezt den könig von Preußen abgehet....., die Befreiung der Neuenburgs Gesange.nen direkt vom Bundesrathe zu verlangen, weil ein Abschlag voraussicht..ich wäre und sodanu eine Ausgleichung nicht mehr möglich sein würde.

Wenn aber die Schweiz auf den Antrag des Kaisers, die Gefangenen los.geben und dadurch gleichsam das Schmal Neuenburgs in seine Hände legen.

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wollte , so würde die Schwierigkeit wol sich lösen , ohne der Schweiz in ihrem Nationalgefühl zu nahe zu treten. Wenn dagegen die Schweiz diese Vorschläge verwerse und auf den gegebenen Rath nicht achte , so werde auch der Kaiser sich mit der Frage nicht weiter beschäftigen können und werde eventuell der Ausstellung einer Armee im Großherzogthum Baden kein Hinderniss entgegen sezen.

Diese durch Herrn General Dufour uns mitgetheilt Eröffnung des Kaisers fchien eine durch den ehrenwertheu General selbst als außerordentlicher Gesandter mündlich zu überbringende Antwort zu erfordern.

Wir erachteten, es sei diese Form der sicherste Ausdruk unserer vollkommenen Anerkennung der wohlwollenden Gesinnungen, welche Se. Majestät der Kaiser der Franzosen in dieser Angelegenheit gegen die Schweig

bethätigt hatte, theils schien es uns das Mittel, über den Standpunkt,

welchen die Schweiz einnehmen müsse , weitere und einläßlichere Erläuterungen zu geben.

Dieser schwierigen Misston unterzog sich ans unfern Wunsch Herr Dufour mit gewohntem Patriotismus; und der verehrte General hat den ihm gewordenen Auftrag in eben so gewissenhafter, wie anerkennenswerthex Weise ausgeführt. Die dem Herrn General mitgegebene Jnstruktion gieng im Wesentlichen dahin: Der Herr General werde dem Kaiser vor Allem zu erkennen geben,.

daß der Bundesrath die Theilnahme für die Schweiz , so wie die Bemühungen für die Lösung der Neuenburgersrage vollständig würdige und Seiner Majestät dafür verbunden sich erachte.

Der Bundesrath bedaure aber, den Wünschen des Kaifers für sofortige Freilassung der Gefangenen nicht entsprechen zu können; vielmehr müsse er anf denjenigen Grundlagen beharren , welche er in jüngster Zeit auf die Jnitiative Englands hin dem britischen Kabinete mitgetheilt und auch der französischen Regierung zur Kenntniß gebracht habe.

Zur Begründung dieser Ansicht wären folgende Gesichtspunkte hervorzugeben : Selbst angenommen , der König von Preußen habe Rechtsansprüche auf Neuenburg, so habe die Schweiz ebenfalls Rechte , namentlich gegenüber den Urhebern der jüngsten Jnfurrektion. Von ihr verlangen , daß sie die Amnestie ausfpreche, o h n e gleichzeitig von dem König von Preußen eine Kompensation zugesichert zu erhalten, hieße so viel, als die Stellung der beiden Parteien zum Nachtheile der Schweiz verkennen und von der leztern verlangen, daß sie auf die Jurisdiktion über Handlungen, die auf ihrem Gebiete begangen wurden, mithin auf ihre Souveränetät, Verzicht leiste.

Wenn der König von Preußen feine Ehre in der Frage betheiligt finde, so sei nicht zu übersehen, daß auch die Schweiz ihre Ehre und ihre Achtung vor der Welt zu wahren habe. Nicht sie verschulde die Ursache, welche die Aenderungen von 1848 herbeigeführt haben; nicht sie könne verantwortlich gemacht werden für das jüngste sträfli.che Unternehmen gegen

746 die bestehende Ordnung der Dinge im Kanton Neuenburg und in der Eidgenossenschast. Von ihr verlangen, daß fie die Folgen dex strafbaren That verwische, ohne gleichzeitig ein entsprechendes Aequivalent zu erhalten, hieße von vornherein fie eines Unrechtes und einer Schuld bezichtigen und dasjenige, was ihr später geboten würde, nur als eine Gnade zu empfangen.

Eine solche Zumuthung sei um so weniger statthaft, als der König von Preußen die Amnestie als ein Recht verlange und fein Begehren mit Drohungen verbinde, wie denn das vertrauliche preußische Zirkular an die deutschen Bundesstaaten (vom 29. September) bereits von ernsten Maßregeln spreche für den Fall, daß dem Begehren um Freilassung der Gefangenen nicht entsprochen würde.

, Bei solcher Sachlage würde eine Amnestie ohne Gegenleistung vor aller Welt nicht mehr als ein freiwilliger und großn.üthiger Akt, sondern uur als eine Handlung dex Furcht erscheinen.

Der Bundesrath vertraue vollständig den Versicherungen des Kaisers, daß er, im Falle einer sofortigen Freilassung der Gefangenen für eine Lösung der Frage im Jnteresse dex Schweiz sich bethätigen wolle. Allein Grund zu Mißtrauen gegen die Absichten des Königs von Preußen gebe ihm das bereits erwähnte Kreisfchreiben Preußens an die deutschen Staateu, worin die Freilassung der Gefangenen unzweideutig nur als eine erste Eroberung oder Konzession bezeichnet werde. Mit Recht frage sich die Schweiz , welches dann ihr.. Stellung sein würde , wenn nach geschehener Freilassung ein Verzicht aus die beanspruchten Rechte nicht erfolgeu oder wenn der König denselben nur unter Bedingungen aussprecheu wollte, welche für die Schweiz unannehmbar und allzulästig wären, oder wenn der König vou Preußen auch nachher einfach bei dem status ab ante beharren würde, um spätere günstigexe Konstellationen in Europa abzuwarten.

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Wenn gegen eine vorausgehende Amnestirung dex Gefangenen ein Verzicht oder eine Ausgleichung im Jnteresse der Schweiz in Aussicht gestellt werde, so ^ müsse die Eidgenossenschaft vorerst wissen, unter welch' näherer Bedingung eiu solder Verzicht erfolgen solle. Als Grundideen, die für Ausgleichung maßgebend fein könnten, wurden bezeichnet: keine Vorbehalte. welche irgend eine Abhängigkeit nach Außen in sich schließen, und keine Vorbehalte , welche irgend eine Beschränkung der Gesezgebung
und Verwaltung im Jnnern enthielten.

Wir betonten sodann ferner, daß wir zum Voraus wissen müßten, ob der König von Preußen eine Geldfrage an das Ausgleichungsprojekt knüpfen werde, und welche; ob in der Amnestiefrage neben dem Strafnachlasse auch ein Nachlaß der Kosten und Entschädigung inbegriffen sein soll, und in welchem Umfange.

Es schien um so notwendiger, hierauf speziell hinzuweisen, weil an jedem der bezeichneten und ähnlichen Punkte die Unterhandlung später scheitern und der Kö. ig davon Anlaß nehmen könnte, einen Verzicht odex

747 ...ine Ausgleichung abzulehnen; deshalb erschien es für die Schweiz unbe.dingt nöthig , über diese Konditionen zum Voraus in's Reine zu kommen, .wenn ste nicht Gefahr laufen wolle, nach ertheilter Amnestie einfach von

dem guten Willen der Gegenpartei abhängig zu sein.

Ein Verzicht auf solche bestimmt zu bezeichnende Grundlagen müßte aber entweder vom König vou Preußen gleichzeitig mit der hier auszusprechenden Amnestie offiziell ausgesprochen, oder es müßte wenigstens dieWenige Zusicherung und Garantie dafür ertheilt werden, welche in deu jüngsten Mittheilungen an das englische und französische Kabinet verlangt worden seien, oder endlich müßten Zusicherungen und Garantien von analogem Werthe gewährt werden. Ohne eine solche Basis wäre es für deu Bundesrath unmöglich, eiuen Amnestieantrag vor die gesezgebenden Räthe

zu bringen; ihm würde dafür jede politische und rechtliche Begründung sehlen. ein solcher Autrag würde ohne Zweifel bei der in der lezten Session zu Tage getretenen entschlossenen und einmüthigen Stimmung der Räthe, welche zu schwächen die neuen preußischen Aktenstüke nicht geeignet wären, sicher mit aller Entschiedenheit abgelehnt werden.

Die wohlwollende und für die Achtung, sowol gegen die Schweiz als

ihren außerordentlichen Abgeordneten zeugende Aufnahme, welche Herr General Dnfour bei Seiner Majestät gefunden, ist Jhneu, Tit., aus öffentlichen Blättern bekannt. Durch die vielseitigen Bemühungen unfers Gesandten wurden sodann in mehreren Unterredungen gewisse Punkte aus dem Wege geräumt, welche seither die Schwierigkeiten wesentlich zu erhöhen drohten.

Jn Konferenzen mit deu französischen und englischen Herren Ministern wurde vorläufig verabredet, daß als entsprechende Gegenleistung gegen eine vorläufige Amnestie die Trennung Neuenburgs von jedem auswärtigen .Verbande zwar nicht garantirt, aber von Frankreich und England verlangt werden sollte, weßhalb eine Verzichtleistung von Seite des Königs vou Preußen als ziemlich gesichert angesehen werden könnte.

. Zu einem solchen gemeinschaftlichen Vorgehen gegenüber der Schweiz glaubte aber das englische .Kabinet aus später folgenden Gründen nicht Hand bieten zu können, und so fchien es, als ob das in den Konferenzen besprochene Projekt nicht verwirklicht werden sollte, oder wenigstens nicht so, wie es ursprünglich aufgefaßt worden war.

Einmal aber so weit mit den Verhandlungen gekommen, glaubten .wir, ohne der Schweiz zu nahe zu treten, noch einen weitern Schritt im Sinne des Entgegenkommens thun zu dürfen. Sie erinnern sich, Herr Präsident, Herren National- und Ständeräthe! daß in der dem außerordentlichen Abgeordneten ertheilten Jnstruktion davon die Rede war, daß wenn die Garantien, welche in unfern Mitteilungen an das englische und französische Kabinet verlangt worden waren, nicht erhältlich fein würden, alsdann auf Zuficherungen und Garantien von analogem Werthe eingegangen werden dürfte.

Mit Rüksicht hierauf ermächtigten wir unfern Abgeordneten, fich

748 auf die dxitte Modalität von Assurances . d'une valeur analogue einzulassen.

Dabei bemerkten wir, daß wir einen großen Werth darauf legen müßten, daß beide Mächte, England und Frankreich, ubereinstimmeud handeln und daß eine Zusage nicht bloß von einer dex beiden Mächte erfolgen würde. Die Note selbst sollte nach unserer Anficht nicht eine Forderung oder Empfehluug der Amnestie enthalten, sondern fie sollte hieriu ganz das Recht dex freien und unabhängigen Entschließung der Schweiz anerkennen, indem etwa gesagt würde, wenn die Schweiz die Gefangenen frei lasse. so machen fich England und Frankreich anheischig, auf eine Vexzichtleistung des Königs von Preußen hinzuwirken. Die Zusage vou bloßen bons offices im Allgemeinen. können nicht genügen. Es Rollte mindefiens gesorgt werden , daß Frankreich und England für das Zustandekommen einer Ausgleichung sich anheischig machteu, wodurch dex von dex Schweiz angestrebte Zwek: allseitige Anerkennung der Unabhängigkeit Neuenbuxgs erreicht würde, und wodurch dex Schweiz keine Bedingungen auserlegt würden, die mit ihrex Ehre nicht vextxäglich wären.

Würde Pxeußen zu einer solchen Ausgleichung nicht Hand bieten, so sollten England und Frankreich erklären, fich nicht weiter durch das Lon...doner Protokoll für gebunden zu erachten , und einen Angriss Preußens gegen die Schweiz wegen seiner Ansprüche aus Neuenburg überhaupt eiu

einseitiges, seindseliges Vorgehen gegen die Eidgenossenschaft nicht zugeben zu wollen.

Jn diesen Umrissen wurde die Jnfiruktion näher erweitert, wobei es jedoch dem Herrn Abgeordneten unbenommen blieb, eventuell auch andere Formen zu wählen oder anzunehmen.

Wir theilen Jhnen dieß hauptsächlich in der Absicht mit, um Jhnen den Beweis zu liefern, daß wir unsererseits durch allzuängliche Bedenken uns den Weg zu einer Ausgleichung nicht verschließen wollten, sondern daß wir vielmehr bereit waren, bis zur Gxänze desjenigen vorzugehen, was wir glaubten, vor Jhnen und vor dem ganzen Schweizervolke verantworten zu können.

Wix gaben auch damals, nämlich unterm 17. November, noch die seierliche Erklärung ab, daß wix zu jedem Arrangement Hand zu bieten bereit seien, das znr Erreichung unfers Zwekes, nämlich A n e r k e n n u n g der Unabhängigkeit Neuenbuxgs zu sichern geeignet sei, sobald dieß untex Formen und auf eine Weise geschehen könne, welche der Würde und Ehre der Schweiz nicht zu nahe trete.

Sowol unser außerordentliche Abgeordnete , als unser Bändige Miuistex in Paris war eifrig bemüht, in der Hauptsache eine Uebereinstimmung zwischen dem englischen und französischen Kabinete zu erzielen. Die Erreichung .dieses Zwekes schien aber schon aus dem Grunde unwahrscheinlich, weil England in dem wesentlichen Punkte von Frankreich abwich, daß es eine voxgängige und bedingungslose Freilassung dex Gefangeneu weder je bevoxwortet hatte, noch bevoxwoxten wollte. Schon untere

749 17. November wurde uns von unserm diplomatischen Vertreter in Paris die Mittheilung gemacht, daß, wenn der König von Preußen aueh disponirt sei, auf feine Ansprüche zu verzichten, es schwer halten werde, eine solche Zusage zwei Mächten gegenüber zu erwirken , auch sei zu bezweifeln , daß der König dazu gebracht werden könne, seine Bedingungen so kategorisch zu sormuliren, wie fie von der Schweiz verlangt werden müßten.

Unsererseits glaubten wir darauf dringen zu sollen, daß, wenn der Kaiser auch eine Verzichtleistung des Königs von Preußen nicht förmlich und offiziell garantiren könne, doch wenigstens England und Frankreich den Rüktritt vvm Londoner Protokoll für den Fall aussprechen möchten, daß der König von Preußen sich für die Rathfchläge der Mächte unzugänglich erweisen würde.

Wir werden sofort auf das endliche Resultat aller dieser Unterhandlungen in Paris zurükkommen. Mittlerweile aber müssen wir Jhneu von einer andern Episode in diesem weitläufigen Konflikte Kenutniß geben.

Der königlich preußische außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister bei der Eidgenossenschaft verlangte und erhielt unterm 19. November eine Audienz bei dem Herrn Bundespräsidenten , und eröffnete im

Auftrage seines Königs mündlich so ziemlich wörtlich Folgendes .

Der König verlange vorgängige und bedingungslose Freilassung Gefangenen in Neuenburg, worunter Sicherstellung ihrer Personen ihres Eigenthums verstanden werde. Sei dieß geschehen , so erkläre der König zu Unterhandlungen bereit. Derselbe hoffe um so eher auf süllung des Begehrens, als er durch Nichtverfolgung seiner Rechte

dex und sich Erseit

1848 eine große Mäßigung bewiesen habe; würde nicht entsprochen, so

müßte der König sich weitere Entschließungen vorbehalten.

Zu einer schriftlichen Ertheilung dieser Eröffnung erklärte sich der Herr Gesandte nicht befügt.

Am gleichen Tage hatten fich auch die Gesandtschaften von Oesterreich, Bauern und Baden eingefunden, um im Austrage ihrer Regierungen die Eröffnung der .preußischen Gesandtschaft zu unterftüzen.

Am 2l. November bevollmächtigten wir unser Präsidium, dem könig1ich preußischen Gesandten auf seine Eröffnung vom l 9. ebenfalls mündlich zu erwidern : Der Bundesrath könne in das vom König von Preußen gestellte Begehreu einer vorgängigen und bedingungslosen Freilassung der Gefangeneu nicht eingehen. Jm Uebrigen sei dex Bundesrath ebenfalls bereit, zur friedlichen Lösung des auf Neuenburg bezüglichen Konfliktes in UnterHandlung zu treten.

Jm Weitern wurde das Präsidium beaustragt, den in Bern residirenden diplomatischen Vertretern der übrigen deutschen Bundesstaaten iu gleicher Form, d. h. mündlieh, von obigem Bescheide Kenntniß zu geben und dabei zu bemerken, daß der Bundesrath die freundnachbarlichen Gefinnungen, welche der deutsche Bundestag bei seiner Eröffnung habe aus-

750 dxiiken lassen, vollständig würdige und daß der schweizerische Bundesrath in der obschwebenden Frage von denselben Gesinnungen beseelt sei.

Wir sezen unsere Berichterstattung nunmehr damit fort, daß wix Jhnen von dem endlichen Resultate der Unterhandlungen in Paris Kenntniß geben, mit dem Bemerken, daß mittlerweile der Herr General Dusoux von seiner Sendung wieder zurükgekehrt war. Die französische Gesandtschaft theilte uns eine Note des kaiserlichen Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten vom 26. November mit, in welcher die wohlwollende Gesinnuug des Kaisers gegen die Schweiz auf's Neue bestätigt, dagegen aber nochmals und zwar dringend die Freilassung der Neuenbuxger-Gefangenen anbegehrt wurde. Wüxde, so fuhr die Note fort, die schweizerische Bundesversammlung, gestüzt auf ihre Souveränetät , diesem Wunsche entgegen kommen und die Loslassung der Gefangenen aussprechen, so wäre der Kaiser bereit, sein Möglichstes zu thun (fera tous ses efforts), um eine Beilegung der Neuenburgerdifferenz herbeizuführen, welche den Zwek hätte, daß der König von Preußen aus die Rechte Verzicht leisten würde, die ihm durch die Traktate aus dieses Füxstenthum und auf die Grafschaft Valang.n zuerkannt seien. Diese der Schweiz angeratheue Maßnahme wäre nach der Anficht des kaiserlichen Ministeriums ein Beweis freundschaftlichen Entgegenkommens und enthielte nichts, was die Würde der Eidgenossenschaft vexlezen könnte. Die Details der Ausgleichung wären nach dem Dafürhalten des Ministeriums leicht zu ermitteln und es würde nicht schwer halten, die Lösung- des Konfliktes mit den wahren Jnteressen beider Parteien zu vereinbaren.

Bevor wir unsexe Erwiderung auf diese Eröffnung folgen lassen, müssen wir Jhnen Kenntniß geben von einem Auszuge aus einer Depesche Lord Elarandons an den britischen Gesandten in der Schweiz vom 25.

Nnoember, aus welchem Sie noch bestimmter ersehen wollen, daß die englische Regierung einen Standpunkt glaubte einnehmen zu sollen, welcher wesentlich von demjenigen der französischen Regierung abweicht.

De.. englische Gesandte war nämlich angewiesen, unserm Präsidium zu eröffnen, daß die Regierung Jhrex Majestät, wie sehr sie auch wünschen müsse, durch alle ihr zu Gebote stehenden Mittel dazn beizutragen, um eine gütliche Lösung der Neuenburgerfrage herbeizuführen, sie doch nicht im Falle
sei, den Unterhandlungsgrundlagen, welche in Paris vorgeschlagen worden, beizustimmen , weil diese Grundlagen auf eine Kenntnis der Absichten des Königs von Preußen hinzuweisen scheinen, welche Jhrex Majestät Regierung nicht besize, und die Vorsicht in der Entschließung Jhrer Majestät Regierung gründe fich darauf, daß die Schweiz vorauszufezen scheine, daß für den Fall einer Amnestirung der Gefangenen der König von Preußeu aus seine Rechte auf Neuenburg verzichten werde.

Wenn nun die Regierung Jhxex Majefiät dazu beigetragen haben sollte, den Bundesrath zu dieser Folgerung zu veranlassen, so wurde fie etwas gethan haben, wozu sie nicht berechtigt gewesen, indem ihr von Seite der preußischen Regierung keinerlei Mittheilung zugegangen , welche

751 eine solche Folgerung rechtfertigen könnte, und sie sei auch gänzlich unbekannt mit den künftigen Absichten des Königs von Preußen. Sie sei ferne davon , behaupten zu wollen , daß die Freilassung der Gefangeneu die Lösung der Frage nicht erleichtern und den König von Preußen nicht veranlassen würde, den Wünschen der Bundesregierung zu entsprechen; allein andererseits könne die Regierung Jhrer Majestät keinerlei Verpflichtung eingehen, noch irgend welche Znsichernng geben, daß dieß wirklich geschehen werde.

Wenn die Bundesregierung immerhin, in voller Berüksichtigung aller bezüglichen Verhältnisse, sich plözlich entschließen sollte, die Gefangenen frei zu lassen, ohne sie vor Gericht zu st.llen, so würde Jhrer Majestät Regierung, in Verbindung mit der franzöfischen Regierung, sich verwenden, um den Kön.g von Preußen zu veranlassen , die Neuenburgerfrage nach den Wünschen der schweizerischen Eidgenossenschaft beizulegen und die Unabhängigkeit des Kantons anzuerkennen; jedoch halte die Regierung Jhrex Majestät es s.ir ihre Pflicht , beiderseits , jener sowol als der Bundesxegiernng zu eröffnen, daß sie für den Erfolg der zu machenden Vexwendungen nicht gutstehen könne und zur Zeit noch keine genügende Gründe habe, auf welche hin sie eine Zusicherung, betreffend den Erfolg, geben könnte.

Was sodann den Vorschlag des Bundesrathes betreffe , daß für den Fall einer Weigerung des Königs von Preußen, auf ein solches Verkommr.iß einzugehen, die brittifche Regierung ihre Zustimmung zum Londoner Protokoll zurükziehen möge , fo könne die Regierung Jhrer Majestät zur Zeit keine Antwort daraus ertheilen und die Bundesregierung müsse bedenken, daß das Protokoll für die Parteien, welche dasselbe unterzeichnet haben, bindend sei.

Wir beauftragten unterm 5. Dezember unfern Minister in Paris, dem ^ Herrn Grasen Walewsky, als Erwiderung auf die Note vom 26. November, wesentlich Folgendes zu eröffnen : Wir feien dem Kaiser für die wohlwollenden und freundschaftlichen Gesinnungen, welche Se. Majestät für die Schweiz zu erkennen gebe, verbuuden und verdanken insbesondere die Bemühungen zur Hexbeiführung ..iner friedlichen Lösung des Neuenburgerkoufliktes.

Um so mehr müssen wir bedauern, der neuen Einladung der kaiserlichen Regierung um Freilassung der Gefangenen nicht entsprechen zu .können. Die Erwägungen ,
welche uns vabei leiten , feien indessen der Art, daß auch die kaiserliche Regierung denselben ihre Berechtigung nicht hersagen werde.

Das Begehren einer vorausgehenden unbedingten Freilassung der Gefangenen könne nur auf die Voraussezung begründet werden, daß die Gefangenen sich keines Vergehens schuldig gemacht, die schweizerische Eidgenossenschaft ihnen gegenüber also im Unrechte, und der König von.

Preußen einzig und allein im Rechte sei.

752 Die Eidgenossenschaft könne aber diese Voraussezung nicht zugeben; fie könne nicht anerkennen, daß ihre Stellung zu den Jnfurgenten vom 3. September nux auf thatsächliche Macht und nicht auf wohlbegxündetes

Recht sich fiüze.

Ohne die rechtliche Seite der Neuenbnrgersrage näher erörtern zu wollen, berühren wir nur, daß durch die Wieuerkongreßakte der Kautou Neuenburg mit der S c h w e i z vereinigt, und daß in der besondern Vereinigungsal.te zwischen diesem Kanton und dem eidg. Bunde der Kantou in seiner Beziehung zur Eidgenossenschaft von dem auswärts xesidirenden Fürsten vollständig emanzipixt worden sei, indem die Theilnahme des Kantous an den eidg. Angelegenheiten, die Stimmgebung an der Tagsazung, überhaupt die ganze Stellung zum Bunde nur von der in Neuenburg residirenden Regierung abhängig gemacht werde. Der Kanton Neuenburg sei allen Bestimmungen der eidg. Bundesakte beigetreteu, selbst derjenigen, welche sestfeze, daß es in der Schweiz seine Unterthanenlande mehr gebe, und daß die Regierung nicht mehr das Vorrecht einzelner Personen oder Stände sein könne.

Zum Abschlusse dieser Vereinigungs- und Emanzipationsakte habe der Fürst von Neuenburg ausdrüklich seine Ermächtigung ertheilt. Der Kauton Neuenburg habe fortan in seinen Verhältnissen zum Bunde den andern Schweizerkantonen völlig gleich gestanden , und auch er habe zu dem von.

der Tagsa..ung am 27. Dezember 1830 proklamierten Grundsaze der freien Selbstkonstituirung der Kantone gestimmt.

Gestüzt auf diese Verträge und Akte und die an jene fich anschließende konsequente Entwiklung der Verfassungsverhältnisse in der Schweiz , seien die Hoheitsrechte des Bundes gegenüber dem Kanton Neuenburg rechtlich gleich fest begründet, wie gegenüber jedem andern Danton. Der Bund habe das Recht und die Pflicht für Ausrechthaltung der Verfassungen und der ungestörten Orduung im ganzen Gebiete der Eidgenossenschaft zu sorgen.

Der Kanton Neuenburg sei von der Herrschast dieser Prinzipien nicht ausgenommen.

Würde die Schweiz dem Begehren um vorgängige und unbedingte Freilassung der Gefangenen entsprechen, so wäre dieß einem Aufgeben dieser bundesrechtlichen Stellung gegenüber dem Kanten Nenenburg und einem Verzicht auf die Ausübung ihr zustehender Hoheitsrechte gleich zu achten.

Von keinem Staate , dessen Selbstständigkeit anerkannt werde , könne ein solches Ausgeben seiner Rechte verlangt werden. Selbst bei der Annahme, daß dem Könige von Preußen Rechte auf Neuenburg zustehen , sei dieß von der Schweiz nicht zu erwarten ; denn auch bei dieser Voraussezung müßte wenigstens
das zugestanden werden, daß eben fowol der Schweiz sehr bedeutungsvolle Rechte neben denjenigen des Fürsten ziehen. Es hieße aber die gleiche Stellung der Parteien ganz verkennen, wenn der Schweiz zugemuthet würde, aus die ihr zustehenden Rechte zu verachten, ohne daß gleichzeitig von dex andern Seite irgend eine Konzession in Aus-

ficht gestellt würde.

753 Die Versicherung, welche die kaiserliehe Regierung für den Fall gebe, daß die Schweiz zur Freilassung der Gefangeneu fich entschließe, seien wir bereit, in vollem Maße zu würdigen; allein wir hätten uns überzeugen .müssen, daß, so offen wir unsererseits über die nähern Bedingungen eines eventuellen Uebereinkommens uns ausgesprochen, von Seite des Königs von Preußen das Gleiche nicht geschehen fei, svndern wie es scheine, selbst

gegenüber der kaiserlichen Regierung dießfalls die größte Zurükhaltuug beobachtet werde.

Wir

seien deshalb berechtigt,

Zweifel zu hegen über

die wirklichen Absichten des Königs und müßten mit Grund befürchten, daß ein definitives Uebereinkommen nur zu leicht an Bedingungen fcheitern

könnte , die von Seite des Königs an seine Verzichtleistnng geknüpft werden.

Ein größeres Vertrauen in die vom König ertheilten Zusicherungeu wäre nur dann möglich, wenn der Kaiser der Franzosen die Bedingungen kennen würde, welche der König zu stellen beabsichtige, und wenn der Kaiser erklären könnte, diese .Bedingungen seien mit einer vollständigen Un-

abhängigkeit Neuenburgs nicht im Widerspruche.

Nach Allem müsse aber bezweifelt werden, daß der Kaiser diese Vedingu..gen kenne, und die Schweiz müsse um so mehr verlangen, hierüber im Klaren zu fein, als sich theils in dem Zirkular des Königs an die deutschen Staaten, theils in der jüngsten Thronrede gerade eine den Ausprüchen der Schweiz ertgegengesezte Tendenz kund gebe.

Es sei uns die Freilassung der Gefangenen auch als ein Akt der Großmuth anempfohlen worden. Allein abgesehen davon, daß ein besonderer Grund nicht vorhanden sei , Großmuth statt Gerechtigkeit zu üben, würde unter den obwaltenden Umständen die Freilassung in der ganzen Welt nicht als eine Handlung der G e n e r o s i t ä t , sondern als ein Akt der Schwäche und Einschüchterung beurtheilt werden.

Endlich walte noch die Rüksicht ob , daß die unbedingte Freilassung

der Gefangenen eines der höchsten politischen Prinzipien der Schweiz ver-

lezen würde, nämlich das Prinzip, daß Gefez, Recht und Gerechtigkeit

für J e d e r m a n n , sei er reich oder arm, vornehm oder gering, gleiche Geltung habe.

Wir bitten Sie, Herr Präsident, Herren National- und Ständeräthe l auf diese inhaltschwere Eröffnung an die kaiserliche Regierung, zu der wir unfern Minister in Paris ermächtigten, noch einen Blik zu werfen und dabei folgenden Gesichtspunkt in's Auge zu fassen :.

Der König von Preußen hat allerdings seine Bereitwilligkeit zu Unterhandlungen ausgesprochen , sobald vorgängig von der Schweiz die Freilassung der Gefangenen verfügt worden sei; allein er hat auch nicht mit einem Worte der Grundlage erwähnen lassen, auf welcher die Unterhandlungen zu pflegen wären, oder der Bedingungen, an die eine Verzichtleistung auf die behaupteten Rechte geknüpft werden sollte.

Wir gaben auch hier nach und bestanden nicht weiter aus einer unmittelbaren Mittheilung jener Bedingungen an uns ; . wir begnügten uns

754 vielmehr damit, daß die Konditionen dem Kaisex dex Franzosen zur Kennte niß gebracht würden. Wir giengen aber auch noch einen Schritt weiter und verlangten nicht einmal , daß der Kaiser der Franzosen die ihm kund gewordenen Bedingungen uns mittheile, sondern wir begnügten uns mit der kaiserlichen Zusicherung , daß diese Bedingungen mit der vollständigen Unabhängigkeit Neuenburgs in Uebereinstimmung stüudeu und nichts enthalten , das der Ehre der Schweiz zu nahe trete.

Angesichts dieser Thatsachen dürfen wir wohl die Frage an Sie und an die Welt richten, ob wir uns nicht auf das Minimum dessen beschränkt haben, was ein selbständiger Staat, dex sich nicht mit gebundenen Händen seinem Gegner überliefern will, zu fordern berechtigt ist.

Angesichts dieser Thatsachen , welche bis jezt noch mit dem Schleier des diplomatischen Geheimnisses verhüllt waren , wagen wir es , an Sie und an die Welt die Frage zu richten, ob uns mit Recht der Vorwurs gemacht werden könne , daß wir eigenwillig vorgegangen und guten Rätheu verschlossen gewesen seien, oder ob nicht in unseru Konzessionen der vollständige Beweis geliefert sei, daß wir uns zu einer friedlichen und gütlichen Ausgleichung bereit finden lassen wollen , so weit dieß nux irgend , unbeschadet der Ehre .und dex Rechte der Eidgenossenschaft wie des Kantons Neuenburg, geschehen kann.

Doch auch hiebei find wir nicht stehen geblieben; vielmehr versuchten wir noch einen Schritt, um den Konflikt einer friedlichen Lösung entgegen zu führen.

Wir schrieben unterm 10. Dezember unserm Minister in Paris, die Neuenburgersrage stehe jezt in einem Stadium, wo der Versuch gemacht werden dürfte, ob eine Erledigung derselben auf. dem Wege direkter Unterhandlungen zwischen der Schweiz und dem König von Preußen erzielt werden könnte, zumal auch in höhern Kreisen Berlins man einer Aus..

gleichung nicht abgeneigt zu sein scheine. Die Prozeßverhandlungen werden hier voraussichtlich erst gegen Mitte Januars beginnen können, so daß ein Uebexeinkommen vorher noch möglich wäre. Seien einmal die öffentlichen Verhandlungen gepflogen und die Urtheile gefällt, so werden die Parteien viel weiter aus einander stehen und die Anknüpfung direkter Untexhandlungen weit schwiexiger sein.

Eine Abordnung von unserer Seite nach Berlin wäre aber ein so bedeutungsvoller Schritt des
Entgegenkommens, daß wir uns zu demselben nicht entschließen könnten, ohne vorher die Absichten des Königs in Beziehung auf die zu erwartende Aufnahme einer Abordnung und ohne die Grundlage der Unterhandlungen wenigstens offiziös zu kennen.

Wir beauftragten unfern Minister , dem in Paris xesidirendeI. preußischeu Gesandten vertraulich zu eröffnen, dass wir unsererseits geneigt seien, in direkte Unterhandlungen zu treten , bei denen wir als Endziel die Anexkennung dex Unabhängigkeit Neuenburgs im Auge hätten. Wenn der .König bereit sei, aus Unterhandlungen in diesem Sinne einzugehen, so

755 werden wir , wenn Se. Majestät es wünsche , einen Abgeordneten nach Berlin entsenden, um dort das Uebereinkommen offiziell zu unterhandeln.

Schon unterm 14. Dezember meldete uns unser Minister in Paris, der preußische Gesandte habe ihm erklärt, es sei ihm nicht möglich, von dem Minister der Schweiz eine Mittheilung entgegen zu nehmen; ex werde inzwischen privatim in Berlin ansragen, ob man geneigt sei, die Zeit, bevor der Prozeß beginne, zu benuzen, um ein Uebereinkommen zwischen beiden Parteien zu treffen. Eine Erwiderung hierauf ist vom Grafen Hatzfeld an unfern Minister nieht mehr erfolgt. Dagegen war der Gesandte einer andern Macht in den Stand gesezt, uns die definitive Erklärung abzugeben , daß eine herwärtige Abordnung in Berlin allerdings empfangen werden würde, jedoch nur in sofern, als vorerst die Freilassung der Gefangenen vollzogen sein würde; eine Eröffnung, mit welcher eine andere, ohne unser Zuthun durch Privatvermittlung eingekommene völlig gleichlautend ist.

So war die Lage der Dinge, als mit Note d. d. Sigmaringen, 16. Dezember, der königlich preußische außerordentliche Gesandte und be-

vollmächtigte Minister bei der Eidgenossenschaft, Gerr v. Svdow, die

Mittheilung machte, daß er von seinem Souverän angewiesen sei, seine amtlichen Beziehungen zu den eidgenössischen Behörden abzubrechen.

Jn Uebereinstimmung hiermit stelle auch die königl. Gesandtschastskanzlei zu Bern gleichzeitig ihre amtlichen Funktionen ein.

Es schien nun der Zeitpunkt gekommen zu sein , um die Bundesversammlung einzuberufen und ihr die weitern Verfügungen anheim zu geben.

Wir ermangeln nicht, hier noch darauf hinzuweisen, daß wir, um die schwebende Frage möglichst nach allen Seiten zu beleuchten, eine Denkschrift haben ausarbeiten lassen, welche sowol die historischen als die rechtlichen Gesichtspunkte, die bei der Beurtheilung des Gegenstandes angelegt werden müssen, einläßlich erörtert. Diese Denkschrift ist den sämmtlichen europäischen Regierungen, so wie dem Kabinete in W a s h i n g t o n mitgetheilt worden, und auch sonst war man bestrebt, derselben im Jn- und Auslande eine größere Verbreitung zu verschaffen.

Das Memorial wird auch Jhnen ausgetheilt werden, und um oft Gesagtes nicht wiederholen zu müssen , erlauben wir uns , Sie auf das Schlußkapitel ganz besonders hinzuweisen, indem dasselbe die rechtliche Anschauungsweise, von der wir glaubten ausgehen zu sollen, ausführlich entwikelt.

Gestatten Sie uns, Tit., daß wir Jhre Blike auf eine andere, nicht minder wichtige Seite, die uns sehr in Anspruch nehmen mußte, hinlenken, nämlich auf die m.litärifchen Vorbereitungen.

Schon die Klugheit ließ es als rathsam erscheinen, in dieser Beziehung auf der Hut zu sein. Unser Militärdepartement war daher, wenn auch vorerst nur im Stillen, eifrig bemüht, die Wehrkraft der Schweiz so zu vervollständigen , daß sie einem Aufrufe der. Behörden zu entsprechen vermöchte. Die Kantone wurden eingeladen, allfällige Lüken zu ergänzen

756 und etwa noch xükständige Truppenorgauisationen zu vollenden.

Eine Anzahl höherer Stabsoffiziere wurde in die Bundesstadt einberufen, um uuserm Militärdepaxtement als Kriegsrath an die Hand zu gehen. Eine Eintheilung des Bundesheeres wurde vorbereitet und vou uns genehmigt; dieselbe ist dieser Tage dem Druke übergeben worden. Nach und nach wurden aber die Verhältnisse schwieriger und drängender. Nicht nur war aus den öffentlichen, besonders aus den deutschen Blättern zu ersehen, daß Preußen mit dem Gedanken an ein feindliches Vorgehen gegen die Schweiz stch beschäftigt, sondern es wurde uns auch von offizieller Seite mitgetheilt, daß Preußen wirklich schon zwei Armeekorps mobil gemacht habe, oder doch wenigstens demnächst mobilifiren werde, und daß es fär den Durchpaß seiner Truppen mit den betreffenden süddeutschen Staaten unterhandle. Von verschiedenen Seiten giengen dießfalls dringende Warnungen hier ein, indem die Mobilifirung der preußischen Kriegsmacht auf den Anfang des nächsten Januars in Aussicht gestellt ward.

Wir mußten uns vergegenwärtigen , daß Preußen einen hohen Werth darauf lege, seine Jntervention vor der Verurtheilung wirksam zu machen.

Wir mußten uns ferner vergegenwärtigen, daß Preußen auf die Zeit, wo die Bundesversammlung zusammen treten werde, ein Armeekorps an unsere Gräuze vorschieben könnte, um auf die Berathnngen der Bundesbehörden e.nen unstatthaften Einfluß auszuüben.

Endlich wissen Sie, daß immer davon die Rede war und ist, daß Preußen einzelne vorgeschobene Gebietstheile der Schweiz als Pfand in Besiz nehmen wolle ;^ wir durften daher nicht erwarten, daß vorgängig eine übliche Kriegserklärung an uns gelangen würde, vielmehr mußten wir auf einen Ueberfall uns gefaßt halten.

Erwägt man nun, wi^ schnell in Folge der außerordentlich günstigen Verkehrsmittel ein Heer auch e.us entfernten Standquartieren an unsere Gränze vorgerükt werden kann^ fo mußte die Gefahr für die Schweiz als nahe liegend angesehen werden, und wir durften mit unsexn Rüstungen im größern Maßstabe länger nicht zuwarten, wollten wir nicht die große und schwere Verantwortlichkeit aus uns laden, daß wir durch ^ie Ereignisse uns hätten überraschen lassen, und daß wir das Vaterland in die Lage versezt, in welcher es ihm unmöglich gewesen, zux Wahr..ug seiner heiligsten Güter erfolgreichen Widerstand
zu leisten. Wir luden daher unterm 18. Dezember die hohen Stände ein, fowol den Bundesauszug, als die Reserve und die Landwehr in solchen Stand zu sezen, daß darüber ohne weiters im Jnteresse. des Vaterlandes verfügt werden könne, und abfällige Mängel und Lüken, sei es im Personellen oder im Materiellen, sofort zn ergänzen, wo solche etwa zu Tage treten sollten.

Wir luden die Kantonsregierungen am 19. Dezember ferner ein, eine rasche Ergänzung ihrer Ofsizierskader anzuordnen und sich bezüglich der zu stellenden Pferde so in Bereitschaft zu sezen, daß diese Pferde auf erstes Verlangen in gut...r .^ualitat geliefert werden können. .Endlich machten wir den Ständen am 20. die Mittheilung, daß wir, um auf alle

757 Eventualitäten gefaßt zu sein und um uns nicht durch die Ereignisse überraschen zu lassen, die Aufstellung von zwei Divisionen beschlossen haben.

Es find dieß die Divisionen Nr. 3, unter dem Kommando des Herru eidg. Obersten Bourgeois-Doxat, und Nr. 5, unter dem .Kommando i)es Herrn eidg. Obersten Ziegler.

Unser Militärdepartement wurde mit dem Zusammenzuge dieser Divifioneu, so weit die Truppen zum Bundesauszuge gehören, beauftragt, und binnen Kurzem wird dieser Auftrag vollzogen fein.

Am gleichen Tage (20. Dez.) wurden die Stände eingeladen, alle

ihre Truppen, welche zum Bundesauszuge und zur Bundesreserve gehören, unverweilt auf das Piket zu stellen, damit, wenn das Wohl des Vaterlandes es erheische, über alle diese Wehrkräfte verfügt werden könne.

Seither haben wir ferner die Aufstellung der Stäbe der Divisionen Nr. 1,

.2, 4, 6 und 8 verfügt.

Es gereicht uns nun zur hohen Befriedigung , Jhneu schon jezt die Mittheilung machen zu können, daß alle diese Anordnungen von Regierungeu wie von dem Volke so aufgenommen worden find, wie es stch von der Hochherzigkeit der schweizerischen Nation nur erwarten ließ. Wir haben in dieser Beziehung die unzweideutigsten, ja rührendsten Beweise von Hingebung und Opferbereitwilligkeit erhalten. Die freudige Jugend wie das gerastere Alter waren gleichmäßig bereit, dem Rufe des Vaterlandes willige Folge zu leisten. Die gleiche heilige Begeisterung hatte alle Klasseu der Bevölkerung ergriffen, und aus allen Theilen des Vaterlandes giengeu die unzweideutigsten Beweise ein , daß man des Vaterlandes Bedrängniß zu würdigen wisse und daß die Eidgenossenschaft auf warme Herren und

kräftige Arme zählen könne. Eine Reihe älterer Militär hat sich in an-

erkennenswerther Weise wieder zu unserer Verfügung gestellt, und die Studirenden auf Hochschulen und Akademien verlangen nach Organisation, und begehren die Mühen und Gefahren der eidgenössischen Wehrmänner zu theilen.

Das Schweizervolk erkennt, daß vielleicht die Stunde ernster Prüfung naht; es sieht diesem Moment mit Ruhe, aber ohne zu provoziren entgegen, und in dieser würdevollen Haltung erbliken wir eine wahrhaft hehre Kundgebung. Das Schweizervolk erkennt seine providentielle Bestimmung ; es fühlt, daß es sich nm feine Freiheit, um fein Selbstkonstituirnngsreeht, vielleicht um seine Existenz handelt, und es ist daher bereit, zur Schirmung dieser heiligen Pfänder, zur Wahrung dieses Erbgutes seiner edeln Vorfahren Alles auf den Altar des Heimathlandes niederzulegen.

Unmittelbar nachdem bekannt geworden war, daß der Bundesrath zu .ernstlichen Rüstungen geschritten sei, und nachdem auch von einzelnen Kantouen ähnliche Beschlüsse erfolgten, welche für die entschlossene Stimmung des Volkes deu vollgültigsten Beweis lieferten, wurden vo.r der Diplomatie neue Vorschläge gemacht, die den Anschein gaben, als ob doch noch zu einer friedlichen Lösung der Frage ein Ausweg gefunden werden sollte.

Die sämmtlichen in Bern residirenden Gesandten ließen nämlich schon am

Bundesblatt. Jahrg. vtII Bd. II.

86

758 20. Dezember bestimmte Anträge an uns gelangen, welche dann in Folge .oon Unterhandlungen in nachstehender Weise präzifixt wurden.

Da die Angelegenheit von Neuenburg bis jezt nur der Gegenstand isolixtex Schritte der verschiedenen Gesandtschaften gewesen sei , so hätten die sämmtlichen in Bern feindlichen Gesandten es für angemessen erachtet, eiuen Kolleklivfchxitt gegenüber dem Bundesrathe zu thun , um demselben sammethaft die bestimmte Zusicherung zu geben, daß, sobald die unmittelbaxe und vollständige Niederschlagung des Prozesses von den eidgenössischen Behörden, kraft ihrer Souveränetäterechte, ausgesprochen sein werde, ihre xespektiven Regierungen alles Mögliche thun würden , um Se. Majestät den König von Preußen zu einer Ausgleichung der fraglichen Angelegenheit zu bestimmen , und zwar im Sinne einer vollständigen Unabhängigkeit Neuenburgs von jedem sren.den Verbinde.

Eine sorgfältige Prüfung dieser Proposition brachte uns zu der UeberBeugung, daß wir keine Ursache hätten. dieselbe von der Hand zu weisen ; denn einerseits mußte das in Aussicht geteilte Zusammenwirken aller Mächte, namentlich der Unterzeichner des Londoner Protokollen, ein großes moralisches Gewicht zu Gunsten der Schweiz in die Wagschale legen, und es war in jenem Zusammenwirken ein bedeutsames Pfand dafür gegeben, daß die Schweiz den bis jezt angestrebten Zweck wirklich noch erreichen würde.

Auf der andern Se.te we.x es von Wichtigkeit , daß in der proposition die Hoheitsrechte der Schweiz ausdrüklich anerkannt waren, während. bekanntlich die Juristifikion der Eidgenossenschaft über die Neuenburger-Gefangenen hatte in Zweifel geigen werden wollen.

Die Anerkennung dieser Jurisdiktion fand sodann in der Weise statt, daß ..n die Schweiz von daher Einerlei Zumuthungen gestellt wurden, sondern, daß es ihr überlassen. bli..b, davon den ihr angemessen Scheinenden gebrauch zu machen, indem die Proportion sich lediglich dahin vernehmen liess, dass die Mächte kolektiv ihre guten Dienste eintreten lassen wollten, sofern die Schweiz fast ihrer Souveränetät die Niederschlagung des Prozesses verfügen würde.

Endlich betou.u wir es als ein sur die Schweiz günstiges und er..

wünschtes Moment, daß auch die Gesandtschaften dex Vereinigten Staaten Nordamerika's stch bereit erhärte, j.ener Kolektivzusicherung fich ansehließen zu wo..leu.
Wir gaben daher die Erklärung ab , der Bundesversammlung vorzuSchlagen, es wolle dieselbe, ..xaft dex Souvexänetät dex schweizerischen Eidgenossenschaft, beschließeu.

.1) Der Prozess wegen des Ausstandsversuches in Neuenbuxg vom 2. auf den 3. September laufenden Jahres ist niedergeschlagen ; 2) die .n Haft befindliche.. Angesagten sind freigelassen; jedoch haben sie bis zum Zustandbekommen eiuex definitiven Uebereinkunft wegen der Neueuburgerfxage (aus Rüklicht der öffentlichen Ordnung) den Kanton Neuenburg zu verlassen.

Es verträgt fich, dass die Gesandtschaften , welche jene Proposition

759 stellten, zur förmlichen Erlassung der Kolleltivnote vorerst die Autorisation ihrer Regierungen einholen mußten.

Hier aber erfüllten wir eine angenehme Pflicht, indem wir unsere volle Anerkennung ausfprechen für das Wohlwollen , welches in jenem

Ausgleichungsvorschlage sich kund gegeben hat, und für das Wohlwollen,

mit welchem verschiedene diplomatische Vertreter des Auslandes durch ihre Bemühungen für das Zustandekommen der Kolleltivnote an den Tag gelegt.

Die daherigen Schritte hatten den erwarteten Erfolg nicht ; die Kollektivnote kam nicht zu Stande, indem einzelne Mächte die nachgesuchte Autorisation , derselben beizutreten , glaubten verweigern zu sollen.

Wir müssen endlich noch mit einigen Worten auf diejenigen Vorkehrungen zu sprechen kommen , welche wir in der Absicht getroffen haben,

der Eidgenossenschaft auf alle Fälle hin die erforderlichen Geldmittel zu sichern. Es war natürlich dringend geboten, diesem Gegenstande unsere ernste Aufmerksamkeit zu. widmen, da ohne die nötigen finauzielleu Mittel alle kriegerischen Rüstungen ihren Werth verlieren.

Wir können Jhnen bereits jezt schon die Mitteilung machen, daß

uns in Aussicht gestellt ist, zu nicht ungünstigen Bedingungen ein Anleihen

von 12 Millionen im Auslande zu kontraktien. Unser Departement ist serner beauftragt, sich auf andern Plänen um ein zweites Anleihen umzusehen^ Ein Anleihen konnten wir freilich fest nicht abschließen, weil diese Befugniß nach der Verfassung lediglich den gesezgebenden Rä.hen zusteht.

Allein die Einleitungen stud, wie S.e sehen, getroffen; das Weitere geben wir Jhrem Ermessen anheim.

Noch müssen wir Sie auf ein Kreisschreiben aufmerksam machen , zu dem wir noch in den jüngsten Tagen veranlaßt worden sind. Wir ver-.

nahmen nämlich von verschiedenen Seiten . dass Spione das Land durchziehen , in der Absicht , dessen Vertheidigungssmittel zu erforschen und durch allerhand Gerechte Zwietracht und Muthlofigkeit zu pflanzen. Ferner sollen sogenannte Agents provocateurs sich häusig an fremde, besonders an politische Flüchtlinge wenden, um diese zu revolutionärem Handeln in ihre:.: Heimath zu bestimmen.

Wir luden daher die Stände ein, ihren Polizeien die größte Wach.samkeit, so wie energisches Einschreiten gegen solche Jndividuen auzuempfehlen.

Eben so nothwendig schien es uns aler auf der andern Seite, so viel an uns, zu verhindern, daß durch Fremde von unserm Gebiete aus gefährliche Umtriebe gegen auswärtige Staaten angezettelt würden.

Wir sollen durch unser Verhalten zeigen, daß unsere Sach.. eine n a t i o n a l e , dass die Verteidigung unsers Rechtes eine e h r e n h a f t e ist, und daß wir durch die That die Beschuldigung zurükweifen, fremden demagogischen Zweken zu dienen. Deßhalb haben wir die Staude eingeladen , einen

^ allfälligen Zudrang neuer politischer Flüchtlinge nicht zu dulden, die vorhandenen sorgfältig zu überwachen und denselben anzuzeigen , daß sie sich

760 llex politischen Manifestationen und geheimen U.utriebe zu enthalten haben.

widrigenfalls fie mindestens sofort ausgewiesen werden müßten.

Endlich sprechen wir gegen die Kantonsregierungen den Wunsch aus, allen Einfiust zu verwenden , daß die schweizerische Presse die Lage ernst und würdig bespreche , und gemeine Beschimpfungen oder polternde Herausforderungen verschmähe.

^ Wix haben nun in gedrängter Kürze, und so gut es Zeit und Umfiände erlaubten, Jhnen die Geschichte dieser Unterhandlungen wegen dex Neuenburgerfrage seit Jhrer lezten Session dargelegt. Sie sehen, daß der Standpunkt so zu sagen immer der gleiche ist. . Von Preußen wird die vorgängige, bedingungslose Freigebung der gefangenen Jnsurgenten verlangt, woraus dann eine Unterhandlung folgen soll. Wir dagegen er klärten und erklären uns bereit, auf die Niederschlagung des Prozesses

anzutragen, wenn gleichzeitig Die vollständige Unabhängigkeit Neuenburgs

von jedem auswärtigen Vexbande ausgesprochen würde, oder wenn uns wenigstens Garantien gegeben werden, welche die Erreichung jenes Zweles zu sichern geeignet sind. Wix glauben von dieser Bedingung nicht abgehen.

zu dürfen und zu können, ohne das Selbstkonstituirungsrecht und dass Hoheitsrecht der Eidgenossenschaft zu beeinträchtigen. Wir haben das Bewußtsein, unsererseits kein Mittel unversucht gelassen zu haben, welches,

ohne die Schweiz zu demüthigen, eine gütliche und sriedliche Aus-

gleichung herbeiführen könnte. Ruhig stellen wir unsere Handlungsweise Jhrex Beurtheiung anhrim und haben die Zuversicht, daß, komme was da wolle, die unparteiische Geschichte uns dereinst werde Gexeehtigkei wieder fahren lassen.

Gestatten Sie, daß wir die verschiedenen Stadien, welche die UnterHandlung bis jezt durchlaufen hat, noch einmal kurz und übersichtlich zu sammensassen.

Die preußische Gesandschaft verlangte zuerst eine bloß vorläufige, dann eine unbedingte Freilassung der Neneuburger-Gefangenen ; dann beporwortete auch die französische Gesandtschaft diese Freilassung. Wix exwiderten darauf, daß wir bereit seien, diese Freilassung vorzuschlagen, wenn eine bestimmte Zusicherung in Beziehung auf die vollständige Un-

Abhängigkeit Neuenburgs folge.

Als zweites Stadium bezeichnen wir die in der Botschaft näher entwikelten Vexmittlungsantxäge Englands.

Unsererseits sprachen wir die Bereitwilligkeit aus, diese Anträge anzunehmen; dieselben wurden aber an Preußen gar nicht mitgetheilt, weil eine abschlägige Antwort vorauszusehen war.

Jm dritten Stadium verlangte Frankreich die Freilassung dex Gefangenen, wogegen es sich dann anheischig machen würde, das Mögliche zu thuu , um den König von Preußen zu einer Verzichtleistung zu vermögen.

Aus den in der Botschaft näher dargelegten Gründen glaubten wir ...uf diesen Vorschlag nicht eingehen zu können.

761 Jm vierten Stadium verlangte Preußen bedingungslose Freilassung der Gefangenen, worauf es dann zu Unterhandlungen bereit sein würde.

Wir hingegen erklärten ebenfalls diese Bereitwilligkeit zu Uutex-

Handlungen, jedoch könne die vorgängige und bedingungslose Freilassung der Gefangenen nicht zugestanden werden.

Das fünfte Stadium ist der von uns gemachte Versuch, mit Preußeu in direkte Verhandlung zu treten, was aber von dieser Macht ohne vorgängige Freilassung der Gefangenen abgelehnt worden ist.

Als sechstes Stadium bezeichnen wir die projektirte Kollektivnote, auf die wir eingehen wollten, die aber in Folge Widerspruchs einzelner

Mächte gescheitert ist.

Hier stehen wir am Ende unserer Berichtererstattung, und es beginnt das Feld Jhrer hohen und bedeutungsvollen Wirksamkeit. Wir müssen nur noch, um jeden Zweifel zu heben und entgegenstehende Gerüchte auf das feierlichste zu widerlegen, die ausdrükliche und bestimmteste Erklärung abgeben, daß der Bundesrath in allen Hauptfragen mit vollständigster Einmütigkeit vorgegangen ist, und daß er jeweilen mit gleicher Einstimmigkeit seine

.Beschlüsse gefaßt hat.

Möge eine gleiche Einstimmigkeit das schöne und glükliche Ergebniß Jhrer .......exathungen sein l Gott segne Jhre Entschließungen; Gott walte schirmend über unser geliebtes Vaterland .

Die Anträge, die wir Jhnen zu stellen die Ehre haben, legen wir in dem folgenden Beschlußentwurfe nieder ^ Die B u n d e s v e r f a m m l u n g der schweiz. E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Anhörung des Berichtes des Bundesrathes,

beschliesst: 1. Der Bundesrath wird zum Zweke einer friedlichen Ausgleichung.

der Neuenbürgerfrage, in gleicher Weise wie bis dahin, zu allen Mitteln Hand bieten, welche mit der Ehre uud Würde der Schweiz verträglich und welche die Anerkennung der Unabhängigkeit Neuenburgs von jedem auswärtigen Verbande herbeizuführen geeignet sind.

2. Die vom Bundesrathe erlassenen militärischen Aufgebote, und die übrigen, von ihm getroffenen Sicherheitsmaßnahmen find genehmigt.

Er ist beauftragt, alle weitern Anordnungen zu treffen, um, im Falle eine ehrenhafte friedliche Ausgleichungnicht erzielt würde, zur Verteidigung des Vaterlandes auf das äußerste gerüstet zu fein.

Für die dießfalls zu bestreitenden Ausgaben wird ihm ein unbeschränkte..: .Kredit eröffnet.

762 3. Der Bundesrath ist ermächtigt, süx Rechnung der Eidgenossenschast, ein oder mehrere Geldanleihen, zusammen bis auf den Belauf vo.....

höchstens dreißig Millionen Franken, aufzunehmen und die AnleihensKontrakte definitiv abzuschließen.

4. Der Bundesrath ist beauftxagt, diesen Beschluß den Kantonen.

und dem Schweizexvolte iu angemessener Weise bekannt zu machen.

Jm Falle der Genehmigung obiger Anträge durch die beiden Räthe beantragt dex Bundesrath ferner die Wahl des Oberbefehlshabers der aufgestellten und allfällig noch weiter auszustellenden Truppen, so wie des Ehefs des Stabes durch die vereinigte Bundesversammlung.

Endlich erlaubt sich dex Bundesrath den Wunseh auszusprechen, es möge, mit Rükficht auf die ernste Lage des Vaterlandes, die Bundesvexsammlung nach Beendigung ihrer Bexathung sich nicht auflösen, sondern uur sich vertagen.

Wir benuzen schließlich diesen Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommen sten Hochachtung zu versichern.

Bern, den 26. Dezember 1856.

Jm Namen des schweiz. Bundesrathes,

Der Bundespräfideut: Stämpfli.

Dex Kanzler der Eidgenossenschaft

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung in der Angelegenheit des Kantons Neuenburg. (Vom 26. Dezember 1856.)

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1856

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68

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27.12.1856

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741-762

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