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Botschaft des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung , betreffend den Aufstand im Kanton Neuenburg.

(Vom

23. Herbstmonat 1856.)

....

Tit.

Es liegt in unserer Pflicht, die gegenwärtige Seession der Bundesversammlung nicht vorübergehen zu lassen , ohne die Blike derselben auf diejenigen Ereignisse hingelenkt zu haben, die von wenigen Tagen iu eiuem der schweizerischen Kantone sich zugetragen und durch welche das Jnland, wie ein großer Theil des Auslandes, auf so unerwartete Weife überrascht worden ist. Wir meinen die Ereignisse, welche in den ersten Tagen dieses Monats in dem Kanton Neuenburg stattgefunden haben nnd durch die in der ganzen Bevölkerung des Vaterlandes eine beinahe fieberhafte Aufregung erzeugt worden ist.

Jn den Vormittagsstunden des 3. Septembers langte von verschiedenen Seiten auf telegraphischem Wege die Nachricht in der Bundesstadt an, daß bewaffnete Banden, die Ruhe und die Stille der Nacht benuzend, zwischen 2 und 3 Uhr des Morgens die Stadt Neuen burg überfallen,

alsbald des Schlosses, als des Regierungsstzes , sieh bemächtigt und alle

Staatsräthe, welche anwesend waren, in Haft genommen hätten. Dieser Aufruhr sei von der realistischen Partei ausgegangen, welche in Proklamationen erkläre, im Namen des ehemaligen Fürsten von Neuenburg --.

des Königs von Preußen -.- vom Lande Besiz genommen zu haben, in der Absicht, die ehevorigen Verhältnisse im Kantou Neuenburg, wie solche vor dem 1. März 1848 bestanden hatten, wiederum herzustellen.

Diese Absicht der aufständische.. Führer sand sich sodann unverholeI..

510 ausgesprochen in zwei Proklamationen , welche im Lause des Tages noch hiex einlangten.^) Der, wie man nun wol annehmen muß, längst gehegte Plan, einen Handstreich gegen die dermalige Ordnung im Kanton Neueubnrg und ge^ geu die Verhältnisse dieses Kantons zur Eidgenossenschaft zu unternehmen, war mithin gewagt und in einem unbewachten Augenblike nicht ohne be^ dauerliche Exeesse zur Ausführung gebracht worden. Es gelang den Aufständischen, sich momentan der verfassungsmäßigen Autoritäten zu bemächtigen und damit den Büxgerkrieg unter der Bevölkerung zu entzünden.

So unglaublich auch die ersten Berichte erscheinen mußten , so war man doch in Folge der zahlreichen Anzeigen genöthigt^ dieselben als wahr ..) Die Proklamationen lauten also: .

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^..eucbàtelois .

I^lieure de la délivrance a eniin sonné.

^I ^ soit votre mot ^e ralliement.

.^u^. le cri de VIV^ I.^

Aux armes les ildéles :

^

^e déclare le territoire de la Principauté en état de siége.

Chaque commune pourvoira à l'établissement immédiat d'un Comité qui exercera l'autorité nu nom du noi , et informera le Château de ^enchàtel de son entrée en fonction^.

I.a ^agne, le .^ .^pt^mbre 1.^5^.

I.e commandant en chef: Comte ....ni.^I^ nI^ ^^t^^AI.I^S, colonel.

^I^ I...^ ^^I.^ I.e drapeau dii Itol notte de nouveau sur le château de nos Princes.

^euchàtelois ^ Rendons gràces à I^leu .

A moi les tldéles ^

Chàteau de ^euchatel, le 3. Septembre 185^.

I^e commandant des trols premier^ arrondissements, o..: ...I^^^.^.^, I^ i e u t . ^ c o t o n e l .

511 anzunehmen, und der Umstand, daß von der Regierung Neuenburgs selbst keinerlei Kunde hieher gelangte, bekräftigte nur zu sehr die Behauptung, daß ihr Gewalt angethan worden sei.

Wir mußten somit annehmen, daß hier der im Art. 16 der Bundesverfassung vorgesehene Fall eingetreten sei, welcher, von gestörter Ordnung im Jnnern der Kantone sprechend , vorschreibt : wenn eine Kantonsregiexung außer Stande sei, Hilfe anzusprechen, so k ö n n e , und wenn die Sicherheit der Schweiz gefährdet werde, so solle die Bundesbehörde von sich aus einschreiten.

Unter den obwaltenden Umständen und bei den eigentümlichen Ver..

hältnifsen des Kantons Neuenburg mußten wir annehmen, daß beide Fälle des angeführten Artikels zutreffen, und daß es daher in unserer Pflicht liege, unverweilt eidgenössische Dazwischenkunft eintreten zu lassen. Wir faßten daher sofort unter Anderm den Beschluß : 1) Es seien unverzüglich zwei Mitglieder des Bundesrathes als eidg.

Kommifsarien nach dem Kanton Neuenburg abzuordnen , mit. der Jnstruktion : ^ie Wiederherstellung der versassungsmäßigen Behörden des Kantons Neuenburg zu bewirken und einen Zusammenstoß der Parteien zu verhindern, und es sei den Kommissären zu diesem Zweke die nöthige Militärmacht zur Verfügung zu stellen.

2) Die Herren Bundesräthe F o r n e r o d und Fre^-Herosee seieu mit dieser Mission beauftragt.

3) Seien die Regierungen von B e r n und W a a o t einzuladen, ihre für die Truppenübungen in ^ v e r d o n bestimmten Bataillone uuverzüglich einzuberufen und zur Verfügung zu halten.

4) Sei der Herr eidg. Oberst Bonrgeois-Doxat von Eoreelettes mit dem Oberkommando über diese Truppen beauftragt.

Von diesem Beschluß wurde überallhin die nöthige Kenntniß ge.geben, und es giengen die eidg. Herren Kommissarien Mittags 12 Uhr an den Ort ihrer Bestimmung ab.

Die Proklamationen der Jnsurgentenchefs, welche im Laufe des Nach^ mittags des 3. hier eintrafen, dann ferner die Nachricht, daß in Neuen^ burg von den Aufständischen sämmtliche Schiffe mit Beschlag belegt woxden seien , mußten die Ueberzeugnng rege machen , daß es sich hier u1u einen intensivern Ausstand handle, der vielleicht nicht geahnte Dimensionen annehmen könnte. Um allen Eventualitäten nach Möglichkeit zu begegnen, wurden die h. Kantonsregierungen von Bern und S o l o t h u x n ferner eingeladen ,
erstere noeh zwei Bataillone Jnsanterie, zwei Kompag^rien Artillerie und zwei Kompagnien Schaxsfchüzen, leztere ein Bataillon Jnfanterie aufzubieten, und diese sämmtlichen Truppen unverweilt gegen.

den Kanton Neuenburg zu dirigiren.

512 Herr Oberst .Bourgeois wurde beauftragt, sämmtliche für da.^ .^ager in .^vexdon bestimmten Truppen einzuberufen und nach Neueuburg zu instradiren.

Ueber den weitern Verlauf der Dinge im Kanton Neuenburg am 3..

und 4. September, so wie deu folgenden Tagen, können wir uns, um Wiedexholungen zu vermeiden, füglich aus den sehr einläßlichen und aus.^ fiihrlicheu Bericht unserer Herren Kommissäre beziehen , der über jeden einzelnen Punkt alle nur wünschenswert^ Auskunst zu geben geeignet ist.

Wir berühren hier zunächst nur noch folgende Umstände, welche be^ reits schon zu Mißdeutung scheinen Veranlassung gegeben zu haben.

Die Nachricht, daß im Kanton Neuenburg die Regierung von .den Jusurgenten verhaftet sei, ließ natürlich die Vermuthung auskommen, daß .dex Kanton in einem Zustande gänzlicher Anarchie sich befinde. Es war uns bei der Entfernuug und beim Abgang.. sicherer Kunde nicht möglich, zu ermessen , welche Tragweite der Ausstand haben möchte und welche Mittel ihm zu Gebote stünden. Jn diesen Verhältnissen mußte uus vor allem daran gelegen sein, zu verhüten, daß etwa kleinere Abtheilungen der beiden Paxteien blutig zusammentreffen, indem hierdurch das Unglük nur eine weit größere Ausdehnung erhalten haben würde , ohne daß das Ziel , auf welches wir hinsteuern mußten , nämlich Wiederherstellung von Verfassung und Gesez , dadurch irgendwie gefördert worden wäre. Lediglich aus dieser Rükficht gaben wir den Nenenburgischen Beamten , mit denen wir uns noch in Verbindung fezen konnten , die Weisung , daraus hinzuwirken , daß eiu Zusammenstoßen der Parteien vermieden werde. Und ebenso luden wir den Regierungsstatthaltex von Eourtelar.^ ein , die begreiflicherweise sehr erregte Bevölkerung des St. Jmmerthales nach Kräften zu beschwichtigen, dieselbe von ..ingesezlichen Freischaarenzügen abzuhalten und sie hinzuweisen aus den wirksamen Sehuz der Eidgenossenschaft, welche die Mittel und den Willen besize , im Kanton Neuenburg sofort, und wenn immrx möglich ohne Blutvergießen, die verfassungsmäßige republikanische Ordnung wieder herzustellen.

Nachdem sich nun aber gezeigt hat , daß der Aufstand auf eine wahr^ hast kleinliche Grundlage beschränkt war, daß derselbe bei der überwies gendeu Bevölkerung durchaus keinen Anklang hatte, daß die große Masse der Bürger sofort in sich selbst den nöthigen Halt
fand, um mit eigener Kraft dent Geseze Achtung zu verschaffen :^ nach diesen Thatsachen allen können auch wir dem Kanton Neuenbnrg zum Ausgange der Krimis nux aufrichtig Glük wünschen, wenn wir auch die Opfer, welche dex .^ampf gekostet hat, diese Opfer der Verführung. lebhaft beklagen müssen. Au.^ dex Haltung des Neuenburgifcheu Volkes mag das Ausland manche Zweifel ...eschwichtigen, und mag es eine klaxe Uebexzeugung sich schöpfen , auf welcher Seite die Mehrheit des Kantons sich befinde, und für welche Jntexessen, ob für schweizerische oder für sxemdländische, es einzustehen ent^ .schlossen sei.

513 Den Führern der republikanischen Wehrkräfte gebührt nach unserer Ueberzeugung für ihre Thatkraft vor und während des Kampfes, wie für ^ie von ihnen bewiesene Menschlichkeit nach errungenem Siege , der warme Dank der Eidgenossenschaft und das Zeuguiß , daß fie sich sowol nm das engere, al.^ um das weitere Vaterland wohlverdient gemacht haben.

Bezüglich derstrafrechtlichenVerfolgung der Jnsurgenten , faßten wir sodann schon am 4. September Abends , ans den Antrag unsers Justizdepaxtementes , den Beschluß : ,,Es sei, in Anwendung der Art. 45, 52 und 73 litt. d des Bundesstrafrechtes vom 4. Hornung 1853, gegen die Urheber des Ausstandes in ^euenbnrg gerichtliche Verfolgung anzuheben, und es sei der eidg. General^

Anwalt mit der dießfälligen Einleitung beauftragt, in der Meinung, daß

^r sich über den Umfang und die Ausdehnung dieser Verfolgung mit der Regierung von Neuenbuxg ins Einverständniß zu sezeu ha.^e. -- Wie ^s scheint, hat es auffallen wollen, daß bei unserer Ueberweisung an die Gerichte nur die eben zitirten Gesezesartikel und nicht auch andere, ins.besondere der Art. 37 des Gesezes zur Begründung der Schlußnahme, auf-.

.geführt worden seien. Hierauf müssen wir aber entgegnen, daß, wie bereits erwähnt , unser Beschluß schon am 4. September , also zu einer Zeit gefaßt worden ist, wo wir über den Umfang und die Bedeutung des Auf^ standes nur noch unvollständige Berichte haben konnten. Namentlich war .

.^s noch nicht so bestimmt erhoben, ob der Aufstand im Jnteresse einer auswärtigen Macht, oder nur im Jnteresse einer monarchischen Re^ gierungsform des Kantons unternommen worden sei.. Es blieb damals nur zu erwägen übrig, ob überhaupt eine gerichtliche Ueberweisung stattzufinden habe, und hiezu lieferten die zitirten Gesezesartikel bereits hinlänglichen Stoff. Dagegen wird es aber Sache des Generalanwaltes, der Anklagekammer und endlich des urtheilenden Gerichtes sein , in Erwägung zu ziehen , welche Artikel des Strafgesezes auf das vorliegende Verbrechen anzuwenden sein möchten.

Wir berühren noch die Schritte, welche von Seite der Diplomatie in dieser so beklagenswerten Angelegenheit versucht worden sind.

Jn einer vom 5. September aus Sigmaringen datirten Note machte der preußische H^rr Minister die Eröffnung , daß er, allsällig wei^ tere Schritte feiner Regierung vorbehaltend, sich bewogen sehe, die unterm 1. und 3. März 1848 wegen der damaligen Vorgänge im Kanton Neuenburg eingegebenen Protestationen auch bei diesem Anlasse wieder zu erneuern.

Wir erwiderten dem Herrn Gesandten , daß wir aus den in den vorörtlichen Noten vom 1. und 6. März 1848 näher entwikelten Gründen jene Protestationen nicht annehmen könnten, sondern daß wir dieselben geziemend, aber mit aller Entschiedenheit ablehnen müßten. Dabei sprachen.

wir unser Bedauern darüber aus, daß der Herr Minister geglaubt habe, gerade die vorliegenden, ^on jedem Standpunkte aus so beklageuswertheu

514 Ereignisse benuzen ^zu sollen , um die erwähnten Protestationen zu wieder^ holen. Die preußische Gesandtschaft war sodann auch bestrebt, darauf hinzuwirken, daß der angehobene gerichtliche Gang bis aus wehere diplo^ matische Jnterventionen fistirt werden möchte , eine Zumuthung , die wir aber, als mit dex Würde der Eidgenossenschaft und mit der Würde ihrer freien , unabhängigen Gerichte im Widerspxuchestehend, von der Hand gewiesen haben.

Von den diplomatischen Vertretern anderer Mächte find keinerlei Schritte gegen uns, dieser Sache wegen, gethan worden, ausgenommen, daß verschiedene derselben ihre Stellung benuzten, sei es offiziell oder offiziös, Milde gegen die verhasteten Jnsurgenten zu empfehlen. Wix konnten aber in dieser Beziehung ruhig auf die allseitig konstante That^ sache uns berufen , daß gegen die Gefangenen alle unter diesen Umständen nur zuläßige Humanität beobachtet werde.

Sollen wir schließlich noch den Standpunkt bezeichnen, von dem aus allfällige diplomatische Verhandlungen zu pflegen sein möchten, so könne....

solche nach unserer Anficht nur auf dex Grundlage stattfinden , daß die vollständige Unabhängigkeit des Kantons Neuenburg von jedem auswäxtigen Vexbande anerkannt werde. Jede Eröffnung , die nicht auf dieser Basis bexuht, werden wir auf das bestimmteste zuxükweisen. Wir sind ferner dex Ansicht, daß es nicht in unserer Stellung liege, dießfalls die ersten Schritte zu thun.

Mittlerweile wird die angehobene Justiz ihren gesezlichen Gang ruhig sortsezeu , und um jede daherige Störung von vornherein abzuschneiden, und jeden Versuch, in dieselbe einzugreisen, sofort zu beseitigen und im Keim zu erfiikeu , wird es nöthig und zwekmäßig sein , den Kanton Neuenburg bis auf Weiteres, namentlich bis zum Schlusse der Unter^

suchung, noch mit eidgenössischen Truppen besezt zu halten.

Genehmigen Sie , Tit. , die Versicherung Hochachtung.

unserer vollkommensten

B e r n , den 23. Herbstmonat 1856.

Jm Namen des schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräfideut . ^täm.^li.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schieß.

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Botschaft des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend den Aufstand im Kanton Neuenburg. (Vom 23. Herbstmonat 1856.)

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1856

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27.09.1856

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