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Schweizerisches Bundesblatt.

VIIL Iahrg. Il.

Nr. 41.

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2. August 1856.

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der

Minderheit der Kommission des Nationalrathes, betreffend die Niederschlagung des Hochverrathsprozesses.

(Vom 14. Juli 1856.)

Tit.

Die Minderheit der Kommission konnte nach genommener Einsicht der Akteu die Anschauungsweise der Mehrheit nicht theilen. Sie findet die Gründe ihrer abweichenden Anficht theils in formellen, theils in materiellen Momenten des Gegenstandes.

Vor Allem glaubt die Minderheit an der Thatsache festhalten zu müssen , daß der Gegenstand von Ansang an in das Gebiet der Kantonalsouveränität gewiesen und fortwährend von allen Seiten aus diesem Gebiete festgehalten wurde. Schon die Tagsazzung wollte nach gepflogener, einläßlicher Berathung vom 14. Februar 1848 den Stand Luzern ausdrükklich uicht mit der Untersuchung b e a u f t r a g e n , sondern in unzweideutiger und ausgesprochener Anerkennung der Kantonalsouveränität denselben nur ,. einladen, eine gerichtliche Untersuchung gegen diejenigen Personen einzuleiten, welche des Landesverrates verdächtig seien, und seiner Zeit der Bundesbehörde über die Erledigung der Sache Bericht zu erstatten.

Diese von der Tagfazzung gegeu Luzern in der Angelegenheit eingenommene Stellung wurde auch später beobachtet und inne gehalten.

Fortwährend lehnte der Bundesrath jede Mitwirkung bei der Führung der Untersuchung uud des ganzen prozessualischen Verfahrens ab, und glaubte nicht einmal bei den betreffenden Kantonen die Auslieferung und Erstellung der Beteiligten erwirken zu dürfen, fondern die Sache einfach dem gefezzlichen Rechtsgange des Kantons Luzern überlassen zu sollen. An diesem Gxundsazze festhaltend, wies der Bundesrath denn natürlich unterm 7. Mai 1852 auch das Ansuchen der Luzernerischeu Regierung von der Hand..

Bundesblatt. Jahrg. VIII. Bd. II.

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294 es möchte die nunmehr geschlossene Untersuchung den ^.uzernischen Gerichten abgenommen und dem Bundesgexichte übertragen werden. Denn Lnzern selbst faßte die Angelegenheit von Anfang an ebenfalls ans dem Gesichtspunkte der Kantonalsouveränität auf. llnterm 9. Februar 1849 nämlich zeigt die dortige Regierung dem Bundesrathe an, fie habe, der ,,Einladung^ der Tagsazzung vom 14. Februar 1848 ,,Gehör leihend, mehr aber n o c h i n p f l i e h t i g e r B e o b a c h t u n g d e r L u z e r n e r i s c h e u S t r a f g e s e z z g e b u n g , welche den Laudesverrath ausdrükklich unter den Verbrechen gegen den verfassungsmäßigen Bestand des Staates aufzählt,

zur Leitung der hochwichtigen Untersuchung, mit Bewilligung des

Gr. R a t h e s , einen außerordentlichen Verhörrichter in der Person des Herrn Obexrichter Müller von Muri bestellt und ihm einen Sekretär beigegeben.^ -- Aber noch mehr! Sogar die Regierungen von Uri, Nidwalden und Obwalden selbst sezzten sich in der Angelegenheit mit aller Entschiedenheit auf dem Grundfazze der Kantonalsouveränität fest, indem Obwalden unterm 2. Se^pt., Nidwalden unterm 18. Sept. und Uri un-

term 12. Okt. 1848 den gegen die dortseitigen Betheiligten erlasseneu Requisitorien auf das Bestimmteste ihre Sonveränitätsrechte entgegen hielten, daher die Untersuchung und allfällige Bestrafuug ihrer Betheiligten selbst beanspruchten und infolge dessen gegen jedes vom Bunde oder anderswoher eingeleitete Verfahren feierlich protestirten. Haben die Bundesbehörden die Souveränitä.srechte der gedachten Kantone in Sachen damals geachtet, so werden sie nun folgerichtig und gerecht auch die Souveränität des Kantons Luzern achten wollen, und ihm die gerichtliche Untersuchung und allfällige Bestrafung s e i n e r Betheiligten ohne Störung und Einspruch überlassen müssen.

Die Minderheit der Kommission sieht daher nicht eiu, aus welchem Grunde der Gegenstand vor seiner Erledigung auf einmal dem Kreise der Kantonalsouveränität entrükkt und in das Gebiet der Bundesgewalt herüber gezogen werden soll.

Sodann könnte es die Minderheit, auch wenn ein solches Verfahren als zulässig vorausgefezzt wird, nicht mit der Würde und dem Anseheu der obersten Bundesbehörde vereinbaren, wenn diese infolge einer gefahrvollen Krisis, durch welche das Vaterland nach Jahre langen geheimen und offenen Machinationen an den Rand des Verderbens und der staatlichen Auflösung gebracht worden war, im Jahr 1848, unter dem Eindrukke der verhängnißvollen Ereignisse und auf hohe, aktenmäßig begründete Wahrscheinlichkeit hin, daß der Kriegsrath des ehemaligen Sonderbnudes, oder einzelne Mitglieder desselben, zur Unterstüzzung des bewaffneten Widerstandes gegen Bundesbeschlüsse die Jntervention des Auslandes angerufen, welche Handlung sich sowohl nach allgemeinen Rechtsbegriffen, als nach dem Strafgesezze des Kantons Luzern, wo sie verübt wurde, als L a n d e s v e r rath darstelle, den Stand Luzern mit allgemeiner Zustimmung der Nation, Welche längst ihre Angen auf die Urheber so vieler trauriger Ereignisse im

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Vaterlande gerichtet hatte, einlud, eine gerichtliche Untersuchung gegen diejenigen Personen einzuleiten, welche des Landesverrates verdächtig feien, nun nach a ch t Jahren die damals verlangte strafrechtliche Untersuchung vor ihrer Vollendung niederschlagen soll, weil die Betheiligten sich standhaft weigern, vor dem Richter sich zu stellen und zur endlichen Erledigung des Prozesses die schuldige Hand zu bieten. Denn in einer solchen Niederschlaguug würde die Behörde vor dem Richterstuhle der Nation und der Geschichte einer ungerechten und verläumderischen Anklage verdächtig erscheinen^, uud das um so mehr, als die Betheiligten ihrerseits bis zur Stunde gar keine Schuld zugegeben und sogar die Niederschlagung des Prozesses nicht einmal persönlich verlangt haben. Wie geübt aber die Gegner unserer politischen Zustände in und außer dem Vaterlande sind, mit derartigen Waffen die Ehre und das Ansehen der Nation und ihrer Vertreter zu verfolgen, davon legen sie täglich Beweise in den öffentlichen Blättern und den geschichtlichen Werken ihrer Partei nieder.

Die Minderheit möchte daher vor einer Schlußnahme warneu, welche unter den gegebenen Umständen und namentlich im Hinblikk aus die wohl berechnete, sogenannte ,, E i n g a b e ^ des ehemaligen Sonderbundspräsidenten die Würde und das Ansehen der Bundesbehörde empfindlich kompro.nittiren würde.

Jm Fernern glaubt die Minderheit, mau habe in einer Frage, welche die Nation an so große Opfer, an so gewaltige Anstrengungen, an so gefahrvolle Tage erinnere, auch einiges Gewicht auf die Ansichten und Ge-

sühle des Volkes zn legen. Denn das Volk ist dabei leidenfchaftlos. Es will nicht die Unschuld verfolgen. Es will nur die Feinde des Vaterlandes und seiner Freiheit , die Störer seines Glükkes und seines Friedens kennen.

Es will, daß im Lande der Freiheit, daß in der Republik die Gerechtig^

keit g e g e n V o r n e h m e und G e r i n g e in Ehren gehalten werde. Jn vielen Kantonen, und gerade bei der großen Mehrzahl unserer Mitbürger, die in den Tagen der Gefahr mit Gut und Blut zum Vaterlande stehen , hat seiner Zeit schon der großmüthige Nachlaß der Sonderbundskriegskosten viele bittere Gefühle und , man darf hinzusetzen , manche laute Aenßerung sogar des Mißtrauens hervorgerufen. Jndessen beruhigte man sich damit, daß jene Großmuth zunächst den Verführten zu gut kam. Jezzt aber glaubt man, es sei des Großmüthigen genug gestehen und keineswegs uöthig und heilsam, daß nun am Ende auch noch d^e Verführer trinmphirend und mit dem Lorbeer der Bürgertugend bekränzt in die Mitte der Nation zuxükk kehren. Das ist das politische Moment der Frage.

Sie hängt aber ebenso nahe auch mit der öffentlichen Moral ^ufammen. Denn wo soll es hinkommen mit der Achtnng vor dem Geseze und mit .^m Ansehen der Gerechtigkeit, wenn jedes geringe Vergehen am gemeinen Bürger, wie recht, unnachfichtlich verfolgt und bestraft wird und da nie von Niederschlagung einer Untersuchung die Rede ist, hingegen auf der andern Seite die in den Augen des Schweizetvolkes größten Verbrechen, die

^ .Verbrechen gegen das V a t e x l a n d , sobald fie von den ersten Magistraten des Landes, welche mit der eidlichen Verpflichtung auch noch die größere Einsicht und das höhere Bewußtsein der Pflicht verbinden , mit allgemeiner Notorietät begangen worden find , dann von den hochgestellten Schuldigen nur einfach in Abrede gestellt werden dürfen . um endlich von den höchsten

Landesbehörden zulezzt als gleichgültige Kleinigkeiten behandelt zu werden, die alles Volk des lieben Friedens w e g e n straflos vergessen soll^

Die Minderheit ist der Anficht, die Bundesbehörde sollte sich ganz besonders in dem vorliegenden Falle vorsehen, weder dem politischen Gefühle der Nation zu nahe zu treten, noch der öffentlichen Moral ein Aergerniß zn geben.

Auch in der sogenannten ,,Eingabe^ des gewesenen SondexbundsPräsidenten S i e g w a r t . - M ü l l e r konnte die Minderheit keine Motive zur Niederschlagung des Prozesses finden. Denn erstens enthält dieselbe durchaus kein derartiges Gesuch, sondern ist lediglich eine Verteidigung zux Abwehr der gegen den Verfasser erhobenen Anklagen. Jn dieser Eigenschaft gehört sie aber vor den Richter , vor welchen der Verfasser schon längst zu seiner Rechtfertigung geladen ist. Sodann steht jene Eingabe in ihren wichtigsten Behauptungen und entscheidenden Momenten theils mit den

Akten, theils mit den geschichtlichen Thatsachen geradezu im Widerspruch,

worüber fich die Minderheit die nähern Erörterungen bei der Diskussion vorbehält.

Ebenso wenig vermag die Minderheit in der Klage über die lange Dauer des Prozesses einen Beweggrund zur diktatorischen Aufhebung desselben zu finden ; denn dessen Beendigung steht jeden Augenblikk in der Hand der Betheiligten selbst. Es würde unter Urnständen von bedenklichen Folgen sein, wenn ein Jnquifit die Aussicht haben könnte, daß, wenn er den Prozeß verzögere, die oberste Landesbehörde am Ende aus Verdruß die Untersuchung ohne Urtheil aufheben werde. Es ist kaum anzunehmen , daß die Strafrechtspflege in der Schweiz auf diesem Wege .

einer glücklichen Entwikklung entgegen ginge.

Endlich hat die Minderheit der Kommission bei der Würdigung des Gegenstandes aus den Zustand, die Tendenzen und den Gang gewisser Dinge da und dort im Vaterlande, sowie um uus herum in Frankreich, in Teutschland, in Oesterreich, in Jtalien, in Rom, wo jüngsthin, für ihn wahrlich zur Unzeit, der gewesene Sonderbundspräsident für seine Verdienste bekanntlich mit dem Gregoriusorden dekorirt worden ist, einen unbefangenen Blikk geworfen, und dabei auch nicht von Ferne einen Grund gefunden, bei dex gegenwärtigen Lage der Dinge dem^ ehemaligen geheimen Begründer einer konfessionell organifixten und getheilten Eidgenossenschaft wieder Gelegenheit zur Fortsezzung seiner frühern, gestörtem Lieb-

lingspxojekte zu geben.

297 Die Minderheit der Kommission stellt daher den

A ut r ag.

Der Nationalrath beschließt..

Es sei keine Veranlassung vorhanden, iu Sachen eine Schlußnahrue zu fassen).

Bern, den 14. Juli 1856.

Die Mitglieder der Minderheit: A. Heller, Berichterstatter.

*) Mit dem erläuternden Vorbehalt, daß dex Unterzeichnete die Kompetenz ...erBnn..

desverfammlnng (nach Art. 7.1, Zisf. 7 und ..'trt. 104 der Bundesverfassung) im Gxnnd..

fa z e nicht bestreikt, sondern vielmehr, neben den übrigen Bestimmungsgründen, aus den im Berichte angeführten Borgängen ein weiteres Motiv ableitet, im vorliegenden Falle und unter den gegenwärtigen Um.

ständen die Erledigung der Angelegenheit

der kantonalen Jurisdiktion und AmnestieBesugniß fernerhin zu überlassen.

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Ed.

Häherlin.

Aus den Verhandlungen des schweizerischen Bundesraths.

(Vom 28. Juli 1856..

Die schweizerische Wohlthätigkeitsgesellschaft in New-York übermachte mit Begleitschreiben vvnr 14. Mäxz abhin ihren, bis zuut 15. November 1855 reichenden Jahresbericht, welcher folgenden Rechuuugsbestand erzeigt: Ei.nuah.meu (mit Jubegriss des Kassenbestandes vom 15. November

1854, Dollars 2959. 29) D o l. 6127 01, worunter find.. Dol. 1984 Beiträge vou 154 Gefellfchaftsmitgliederu; Dol. 287. 08 Unterstüzung von Seite des Bundesrathes, und Dol. 366. 35 von 16 Kantousregierungeu, nämlich von Bern Fr. 350...), von St. Gallen und A a r gau je Fr. 20l), von Glarus uud Solothurn je Fr. 150, von N.eueubuxg, Gr.aubiinden, Zürich, Thurgau, Basel-Stadt und Genf je Fr. 100, vou L u z e r n und S c h a f f h a u f e n je Fr. 50,

Basel-Landfchaft Dol. 11. 65, von Appenzell Dol. 9. 60, von Schwyz Dol. 9.. 52.

*) Außer einem andern Beitrag für 54 schissbrüchige Berner.

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Bericht der Minderheit der Kommission des Nationalrathes, betreffend die Niederschlagung des Hochverrathsprozesses. (Vom 14. Juli 1856.)

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02.08.1856

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