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Bundesblatt 109. Jahrgang

Bern, den 12, Dezember 1957

Band II

Erscheint wöchentlich. Preis 30 Franken Im Jahr, 16 Franken im Halbjahr zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr: 50 Kappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stämpfli & Cie. t» Bern

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Förderung der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiete der Atomenergie (Vom 26. November 1957) Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren!

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Wir beehren uns, Ihnen Botschaft .und Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Förderung der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiete der Atomenergie zu unterbreiten, der für das Jahr 1958 einen Sonderbeitrag von 10,5 Millionen Franken für zusätzliche Atomforschungsprojekte auf dem Gebiete der Grundlagenforschung und von 4,5 Millionen Franken für die Ausrüstung der Laboratorien der Reaktor AG vorsieht. Dieser Beschluss soll Massnahmen für den dringlichen Ausbau der Atomforschung ermöglichen und der Überbrückung bis zum Inkrafttreten einer länger dauernden Regelung dienen. Die künftige Ordnung der Mitwirkung des Bundes soll durch diesen Beschluss und die Ausführungen der Botschaft nicht präjudiziert werden. Wir erinnern ferner an unsere Botschaften über Bau und Betrieb eines Atomreaktors sowie über die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artikel betreffend Atomenergie und Strahlenschutz, in denen wir uns ebenfalls zur Förderung der Forschung geäussert haben. Über die bisherigen Aufwendungen des Bundes an die Atomforschung .finden sich weiter unten nähere Angaben.

I. Die Bedeutung der Atomenergie und der Atomforschung für die Schweiz In unserer Botschaft vom 26. April 1957 über die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artikel betreffend Atomenergie und Strahlenschutz haben -wir auf die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten der bei der Kern- Spaltung freiwerdenden Energiemengen hingewiesen und gleichzeitig die Notwendigkeit erhöhter Anstrengungen zur Erforschung und Entwicklung der Bundesblatt. 109. Jahrg. Bd. II.

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neuen Kraftquelle aufgezeigt. Kücken wir die rein praktischen Erfordernisse in den Vordergrund, so erweist sich angesichts der Begrenztheit der. nutzbaren Wasserkräfte in unserem Lande und angesichts der Kisiken bei den Erdölbezügen die Ersohliessung der Kernenergie zur Stromproduktion als eine Aufgabe, deren Lösung keinerlei Aufschub verträgt, denn günstigstenfalls werden zehn bis fünfzehn Jahre verstreichen, ehe in der Schweiz zu halbwegs wirtschaftlichen Bedingungen mit der Erzeugung von Elektrizität im Atomkraftwerk begonnen werden kann. In längstens zwanzig Jahren wird beim Anhalten des derzeitigen Anstieges des Energieverbrauchs und bei einem entsprechenden Tempo des Kraftwerkbaus unsere Beserve an ausbauwürdigen Wasserkräften voll ausgenutzt sein, so dass wir zur Deckung des Mehrbedarfs fortan ausschliesslich auf Stromeinfuhr bzw. Kohle- und Erdölbezüge aus dem Auslande angewiesen wären. Eine Ergänzung der schweizerischen,Stromproduktion durch die atomare Energiequelle erscheint somit unvermeidlich, und es steht uns hierfür nur ein recht beschränkter Zeitraum zur Verfügung.

Die kontrollierte Kettenreaktion im Kernreaktor dient aber nicht nur der Gewinnung nutzbarer Wärme für Stromerzeugungs- oder Heizungszwecke, sondern sie kann je nach der Art und Konstruktion der Beaktoranlage für verschiedene Forschungsaufgaben im Bereich der Physik und Chemie, der Biologie und Medizin, der Technologie und Metallurgie verwendet werden. Von ganz besonderem Interesse sind die beim Betrieb von Kernreaktoren laufend anfallenden oder künstlich hergestellten radioaktiven Isotope, die in der Naturforschung und Heilkunde, in der Industrie und der Landwirtschaft eine ständig steigende Bedeutung erlangen. Nach amerikanischen Angaben befanden sich Ende 1956 in den Vereinigten Staaten nicht weniger als 1533 Spitäler und Privatärzte, 1493 Industrieunternehmungen und 637 Lehranstalten, Laboratorien und Forschungsinstitute im Besitze der für die Isotopenbenutzung erforderlichen Lizenzen. Durch den Gebrauch von Isotopen zu Mess-, Kontroll- und technologischen Zwecken sind nach Schätzungen, die aus der gleichen Quelle stammen, in den USA während des Jahres 1956 allein im industriellen Bereich nahezu 400 Millionen Dollar eingespart worden; im landwirtschaftlichen Bereich, wo die Isotopen u.a. für die Schädlingsbekämpfung,
Düngemittelforschung usw.

benutzt werden, hofft man mit der Zeit ähnliche Ergebnisse zu erzielen. Der Nutzen radioaktiver Isotopen für experimentelle und therapeutische Zwecke lässt sich in Geldwerten überhaupt nicht ausdrücken. Medizinische Autoritäten schätzen die Zähl der in den USA vermittels Radioisotopen diagnostizierten oder behandelten Personen auf 800 000 bis l 000 000 im Jähr. Dabei steht der Isotopengebrauch selbst in den Vereinigten Staaten noch in den Anfängen. Es ist offenkundig, dass sich auch in der Schweiz viele Gelegenheiten zur ' nutzbringenden Verwendung jener Nebenprodukte der Kernspaltung zeigen.

Die schweizerische Industrie ist an der Entwicklung der Atomforschüng und Ätomtechnik in hohem Grade interessiert. Um ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Ausland zu bewahren und zu festigen, sind die Exportunternehmungen darauf angewiesen, sich auf der Höhe des wissenschaftlichen'und technischen Fort-

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Schrittes zu halten, :damit sie ihren Kunden jederzeit vorteilhafte Neuheiten und Spezialitäten zu offerieren vermögen. So wird die Chemie und Pharmazeutik die dank den Radioisotopen .gebotenen Möglichkeiten ausnützen müssen, um nicht von ausländischen Konkurrenten aus'dem Markt gedrängt zu werden. Die schweizerische Maschinenindustrie, die Energieerzeugungsanlagen und Kraftmaschinen herstellt, wird ihrerseits darauf bedacht sein, Konstruktionen zu entwickeln, welche geeignet erscheinen, die im Kernreaktor erzeugte "Warine zu verwerten.

Aber auch die Lieferung vollständiger Reaktoranlagen wird sich in einer weiteren Zukunft vielleicht als notwendig erweisen: Denn manche ausländische Kunden werden geneigt sein, die verschiedenen zur Krafterzeugung erforderlichen Installationen dort zu bestellen, wo man ihnen die zugehörigen Kernreaktoren samt -einem kompletten Servicedienst anbietet. Auch die mannigfaltigen Mess- und Kontrollgeräte, die bei der friedlichen Anwendung der Atomenergie in grosser Zahl benötigt werden, scheinen durchaus ins Fabrikations·programm der schweizerischen Apparate- und Instrümentenindustrie zu passen.

Um> aber in den angedeuteten Produktionsbereichen wirklich wettbewerbsfähig zu werden, dürfen sich die schweizerischen Unternehmungen nicht auf ausländische Lizenzen verlassen, 'sondern müssen in wesentlichen Teilen auf eigene Forschungsergebnisse, Entwicklungen und Konstruktionen abstellen. Solche industrielle Anstrengungen auf dem Gebiete der Atomtechnik sind jedoch ohne ausgebaute Grundlagenforschung im eigenen Lande kaum denkbar.

Wie in der erwähnten Botschaft vom 26. April 1957 angetönt wurde, stand die 'Schweiz bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges in der Atomforschung ziemlich weit vorn. Die vorwiegend militärisch bedingten Anstrengungen der Vereinigten Staaten und anderer Grossmächte auf dem Gebiete der Kernenergie, die weitreichende Auswirkungen auf die zivilen Anwendungsmöglichkeiten der -neuen Energiequelle zeitigten, beeinträchtigten anderseits jedoch die Stellung der Schweiz und anderer kleinerer Länder im atomwissenschaftlichen und atomtechnischen Bereiche. Zwar bemühten sich nach Kriegsende sowohl der Bund als auch die Wirtschaft und die Forschungsinstitute, diesen Rückstand aufzuholen. Aber die Sperre, die die massgebenden Atommächte über die unentbehrlichen
Spaltstoffe wie auch über die entscheidenden wissenschaftlichen Ergebnisse und technischen Informationen verhängten, liess es beinahe! aussichtslos erscheinen, wesentliche Fortschritte auf dem Gebiete der Atomforschüng und Atomtechnik zu erzielen. Erst im Jahre 1954 gelang es, die für den Betrieb eines Versuchsreaktors notwendigen Kernbrennstoffe zu beschaffen, und im folgenden Jahre erfolgte im Zeichen der Internationalen Atomkonferenz ·in"Genf eine weitgehende Lüftung des Geheimnisses, das die meisten Resultate der Atomforschung'der-auf diesem Gebiete führenden Grossmächte bis dahin vor den Augen des Auslandes-verhüllt hätte. Das am 21. Juni 1956 zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten unterzeichnete und von den eidgenössischen Räten inzwischen genehmigte Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem 'Gebiete der friedlichen Verwendung der Atomenergie bringt unserem Lande weitere Erleichterungen in dieser Richtung; ebenso wird unsere

1000 Zugehörigkeit zur Europäischen Organisation für Kernforschung (CEEN), ferner unser Beitritt zum Direktionskomitee für Atomenergie, das im Eahmen der Europäischen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECE) gebildet wurde, und zu der von der UNO geschaffenen Internationalen Atomagentur dazu beitragen, den Anschluss der schweizerischen Wissenschaft und Industrie an die in rascher Entwicklung begriffene Atomforschung und Atomtechnik zu beschleunigen.

Wenn wir unseren Eückstand im Atombereiche überwinden wollen, so müssen vor allen Dingen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass in unserem Lande vermehrt und intensiver geforscht und experimentiert werden kann. Anfänge hiezu sind bereits gemacht worden, nicht zuletzt dank Leistungen des Bundes. So hat der Bund schon im Jahre 1945 eine schweizerische Studienkommission für Atomenergie ernannt, die zur Förderung und Unterstützung wissenschaftlicher Forschungsarbeiten auf dem Gebiete der Kernphysik und zur Beschaffung von Kernbrennstoffen bis 1957 rund 10 Millionen Franken aufwendete. Der Bund hat sich ferner an der Erstellung eines Versuchsreaktors durch die Eeaktor AG Würenlingen mit bis dahin 15,5 Millionen Franken beteiligt. Auch an den kantonalen Hochschulen und der Eidgenössischen Technischen Hochschule ist die Kernwissenschaft und Kernforschung nach Massgabe der verfügbaren Mittel und Möglichkeiten gepflegt und gefördert worden.

Aus den genannten wirtschaftlichen Gründen wird es indessen nötig sein, unter Zusammenfassung aller Kräfte die Forschung zu intensivieren, um so mehr als die Kernwissenschaft und Kernforschung immer weitere Wissenszweige erfassen. Neben der Suche nach besseren und rationelleren Methoden der Energiegewinnung und nach neuen und wirksameren Anwendungsmöglichkeiten für die im Atomreaktor erzeugten Kernstrablungen und radioaktiven Isotopen spielt die Erforschung der Strahlenschäden eine immer grössere Eolle. Wie in der Botschaft vom 26. April 1957 bereits angedeutet wurde, wird den mannigfaltigen Massnahmen zur Abwehr schädigender Strahlenwirkungen eine so grosse Bedeutung beigemessen, dass die Forscherarbeit auf diesem Gebiete sich zu einem eigenen Zweig der Atomwissenschaft entwickelt hat. Zuverlässige Vorkehrungen für den Strahlenschutz sind nicht nur selbstverständliche Pflicht des Staates, sondern
gleichzeitig das einzige Mittel, um der auch in unserem Lande weitverbreiteten Atomfurcht, die sich zwar in erster Linie gegen die militärische, grossenteils aber auch gegen die zivile Anwendung der neuen Energiequelle richtet, überzeugend entgegenzutreten. Den verschiedenen Aufgaben und Erfordernissen wird sich die schweizerische Atomwissenschaft und Atomforschung nur dann gewachsen zeigen, wenn diese Wissens- und Forschungszweige bedeutend besser dotiert werden. Als Vorbedingung für die Bewältigung der vielfältigen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten muss dafür gesorgt werden, dass eine genügende Zahl gut ausgebildeter Atomphysiker, Atomchemiker und Atomingenieure verfügbar ist.

Die bedeutenden Erfolge, die die Atomwissenschaft und Atomforschung im weltweiten Maßstabe erzielt hat, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass

1001 die Kernphysik eigentlich erst in ihren Anfängen: steckt. Nach der Meinung führender Fachleute wird die Grundlagenforschung in den kommenden Jahren auf diesem Gebiete noch intensiver betrieben werden müssen als bisher. Nur mit Hilfe einer intensiven und regen Grundlagenforschung ist es unter den gegebenen Umständen überhaupt möglich, Kernphysiker auszubilden, die in jeder Phase der Entwicklung erfolgreich mitzuarbeiten und einzugreifen vermögen. Mit technologischen Fragen pflegt sich eine · solche Grundlagenforschung in der Hegel nicht zu befassen. Dennoch leistet sie manchen entscheidenden Beitrag zu ihrer Lösung, so z.B. auch dadurch, dass viele von.der Grundlagenforschung entwickelte Methoden und Geräte unmittelbar, von der Technik übernommen wurden. Gleichzeitig kann die Forschungsarbeit ganz neue Möglichkeiten der Gewinnung von Atomenergie aufdecken. Solcherart bildet sie die beste Gewähr für weitere Fortschritte auch im technologischen Bereich. Wenn die Schweiz im Laufe der Zeit auf zahlreichen anderen Gebieten zur Lizenzgeberin geworden ist, so war das nicht zuletzt dem hohen Stande der Wissenschaft und Forschung an unseren Hochschulen zu verdanken. Könnten wir diesen Stand in-Zukunft nicht mehr behaupten, so liefe unser Land grosse Gefahr, auf dem Gebiete der Atomtechnik alsbald zum ausschliesslichen Lizenznehmer herabzusinken und damit seine bisherige Stellung auf dem Weltmarkt z u .verlieren.

, . ·' H. Probleme und Schwierigkeiten der Forschungsarbeit und Nachwuchsschulung ; Im Eahmen der bestehenden Möglichkeiten hat die schweizerische Forschung schon beachtliche Leistungen erbracht. Die moderne Kernphysik erfordert jedoch grosse und kostspielige Anlagen und Instrumente, weil die Experimente immer komplizierter und verwickelter werden und die Elementarteilchen, mit denen sich die Kernphysik befasst, nur mittelbar wahrgenommen werden können. Die Forschung findet infolgedessen immer weniger im kleinen Labora-.

toriumsbetrieb Platz. Im Vergleich zu solchen Anforderungen genügen die Einrichtungen unserer Universitäten nicht mehr. Sie befinden sich weitgehend auf demselben Stand, den sie zu Beginn der kernphysikalischen Forschung innehatten. Weil allerlei Hilfsgeräte fehlen, können vorhandene und an sich brauchbare Apparate zuweilen gar nicht zweckgerecht ausgewertet werden. Den
Physikern fehlen deshalb oft zur Lösung der wichtigen und entscheidenden Aufgaben die technischen Voraussetzungen und materiellen Mittel. Was für die Kernphysik gilt, trifft im wesentlichen auch für die Kernchemie zu. Dieser mit der Kernphysik eng verbundene Zweig der Atomwissenschaft befasst sich mit der Aufbereitung der kernenergetisch wichtigen Eohstoffe, mit der Herstellung der für den Beaktorbau erforderlichen extrem reinen Elemente und Verbindungen, mit der Verwertung der radioaktiven Isotopen, mit der Erforschung des Verhaltens chemischer Elemente und Verbindungen und des Ablaufs chemischer Beaktionen in starken Strahlungsfeldern usw., usw. Auch die Kernchemie bedarf, will sie Neues schaffen und nicht einfach ausländische Forschungsergeb-

1002 nisse übernehmen, geeigneter Einrichtungen und Apparaturen, die heute grossenteils fehlen.

Die Atomwissenschaft und Atomforschung wird in unserem Lande auch dadurch empfindlich beeinträchtigt, dass viele junge Nachwuchskräfte auf diesem Gebiete ins Ausland auswandern. Es stehen ihnen dort (namentlich in den USA, aber auch anderwärts) Forschungseinrichtungen zur Verfügung, mit denen sich die schweizerischen an Modernität und Grosszügigkeit gar nicht vergleichen lassen. Weil vielerorts ein ausgesprochener Mangel an Atomfachleuten besteht, werden den schweizerischen Kernphysikern auch finanziell ausgezeichnete Offerten gemacht, denen die einheimischen Forschungsinstitute und Universitäten nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen haben. So gehen luiserem Lande hervorragende Wissenschafter verloren, deren Ausbildung den Staat bedeutende Beträge gekostet hat. Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, sondern es ist ganz im Gegenteil zu begrüssen, dass junge schweizerische Forscher ins Ausland gehen, um ihre Kenntnisse zu vertiefen und ihren Horizont zu erweitern, und es lässt sich gewiss nicht, vermeiden, dass der eine oder andere dauernd dort bleibt. Hingegen sollte es möglich sein, den Grossteil, dieser jungen Schweizer nach einigen Jahren Auslandaufenthalt zur Bückkehr in die Heimat zu bewegen, indem man ihnen interessante und verantwortungsreiche Aufgaben zu lohnenden Bedingungen anbietet. Heute jedoch, wo sich die Schweiz zu grossen Anstrengungen auf dem Gebiete der Atomwissenschaft und Atomforschung entschliessen muss, fehlt es an einer genügenden Zahl von Fachleuten, und es besteht zur Zeit wenig Hoffnung, die Lücken durch Anwerbung ausländischer Kernphysiker und Kernchemiker zu füllen.

Gewiss ist dieser Mangel nicht allein auf die Abwanderung junger Leute ins Ausland, sondern . auch darauf zurückzuführen, dass der Nachwuchs an Naturwissenschaftern, Ingenieuren und Technikern den Bedarf heute ganz allgemein, und zwar im Ausland nicht anders als in der Schweiz, weniger und weniger zu decken vermag. In den Abteilungen für Maschineningenieurwesen und Elektrotechnik der Eidgenössischen Technischen Hochschule ist die Zahl der Diplomanden von 122 im Jahre 1950 auf 99 im Jahre 1955 zurückgegangen.

Verhältnisrnässig noch stärker war der Eückgang in der Abteilung Mathematik und Physik, nämlich von
28 auf 18. Dieser Mangel an Nachwuchskräften bereitet unserer Wissenschaft wie der Wirtschaft seit geraumer Zeit erhebliche Sorgen. Die Bundesbehörden prüfen zur Zeit, wie ganz allgemein der technische Nachwuchs gefördert werden kann. Da aber die Atomwissenschaft und Atomforschung als junger Wissens- und Forschungszweig vom Nachwuchsmangel besonders hart betroffen wird, und da anderseits der Eückstand unseres Landes auf diesem Gebiete aus den im ersten Abschnitt dargelegten Gründen keinen weitern Zeitverlust mehr zulässt, rechtfertigt es sich, die Förderung des atomwissenschaftlichen Nachwuchses im Bahmen der Massnahmen zugunsten der Atomforschung vorweg zu behandeln, ohne abzuwarten, was im Bereiche der allgemeinen Nachwuchsförderung vorgekehrt werden wird.

1003 Um die Atomforschung an den Hochschulen; zu fördern, wird auch verlangt, dass die Dozenten von, Arbeiten entlastet werden, die ebensogut von andern Personen besorgt werden können. Man denkt dabei etwa an administrative Nebenaufgaben und an Anfängerkurse. In unserem,Lande, das im Gegensatz zu ausländischen Staaten keine reinen, von. den Universitäten getrennte Forschungsanstalten kennt, fällt es den Hochschullehrern ohnehin nicht leicht, neben ihrer Lehrtätigkeit ausreichend Zeit für rein wissenschaftliche Arbeiten zu finden. Ferner wird es als wünschenswert bezeichnet, dass innerhalb der eigentlichen Forschungsarbeit eine bessere Arbeitsteilung Platz greife, indem ein Teil der Aufgaben geeigneten .und gut eingearbeiteten Mitarbeitern übertragen würde. Dadurch würden nicht nur die Institutsleiter entlastet, sondern gleichzeitig jungen Nachwuchskräften Gelegenheit geboten, ihre praktischen und theoretischen Kenntnisse zu erweitern.

JH. Verhältnis von Bund und Hochschulkantonen im Gebiete der Forschung

Mit Ausnahme der im Jahre 1855 eröffneten Eidgenössischen Technischen Hochschule ist das Universitätswesen Sache der Kantone geblieben. Immerhin hat der Bund durch Gewährung von Beiträgen bereits seit einiger Zeit sein Interesse an der Grundlagenforschung bekundet. Es scheint uns gegeben, dass die atomwissenschaftliche Grundlagenforschung im wesentlichen Sache der Hochschulen bleiben soll, wobei wir nicht übersehen, dass dies für die Hochschulkantone mit beträchtlichen Aufwendungen verbunden ist und dass die übrigen Kantone ihren Vorteil aus diesen Aufwendungen haben.

Die Leistungen, die die Hochschulkantöne erbringen, kommen dem ganzen Lande zugute. Dennoch sollte am Grundsatz, wonach die Errichtung und der Betrieb der Hochschulen, ausgenommen die Eidgenössische Technische Hochschule, den Kantonen überlassen bleiben muss, nicht gerüttelt werden. Zwarhat.es sich in einzelnen Fällen als notwendig erwiesen, zur Durchführung bestimmter, im Allgemeininteresse liegender Forschungen, Bundesbeiträge auszurichten. Diese Beiträge stellten aber nie eine Subyentionierung des normalen Lehrbetriebes von Hochschulen und Hochschulinstituten dar, sondern wurden einzelnen Forschern für ganz bestimmte Aufgaben ausgerichtet. Es war dies der Fall, als im Jahre 1943 im Einvernehmen mit den ;Kantonen und der Wirtschaft vorn Bundesrat beschlossen wurde, bestimmte Forschungen im Hinblick auf einen möglichen Bückgang in der Beschäftigung der "Wirtschaft durch Arbeitsbeschaffungskredite des Bundes zu unterstützen. Um die Forschungen auf allen Wissensgebieten, eingeschlossen die Geisteswissenschaften, aus Bundesmitteln fördern zu können, wurde im Jahre 1951 der Schweizerische Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung gegründet, der, rechtlich eine autonome Stiftung darstellt, aber gemäss Bundesbeschluss vom 21. März 1952 von der Eidgenossenschaft jährliche Beiträge in der Höhe von 4, Millionen Franken zugewiesen erhält.

Wie. bereits erwähnt wurde, sind auch über die Studienkommission für Atomenergie aus Bundesmitteln Forschungsarbeiten unterstützt worden, welche, gros-

1004 senteils an kantonalen Universitätsinstituten durchgeführt wurden. Der Bund hat somit bereits in der Vergangenheit Beiträge für die Grundlagenforschung ausgerichtet, soweit solche Forschungsaufgaben über das traditionelle Tätigkeits~ Programm dieser Lehranstalten und ihrer Institute hinausreichen.

Die Kernphysik und die Kernchemie stellen die Hochschulen vor neue Aufgaben, deren Lösung wichtig und dringend ist, um den heute bestehenden Forschungsrückstand aufzuholen. Die Kantone werden auf diesem Gebiete beträchtliche Anstrengungen unternehmen müssen. Andererseits ist der Bund bereit, in einem noch zu bestimmenden Ausmasse mitzuhelfen, diese dringenden Aufgaben zu lösen. Der Bund wird in dieser Sache demnächst mit den Kantonen Fühlung aufnehmen.

IV. Mitwirkung der privaten Wirtschaft an der Förderung der Forschung Da die Förderung der Forschung und die Ausbildung des Nachwuchses offenkundig auch im Interesse der privaten Wirtschaft liegt, ist die Frage berechtigt, ob diese nicht in einem gewissen Umfang zu Beitragsleistungen an die Aufwendungen der Hochschulen und ihrer Institute beigezogen werden könne. Hierzu ist zu bemerken, dass im Gebiet der Forschung ganz allgemein unterschieden werden muss zwischen der eigentlichen Grundlagenforschung, der auf ihren Erkenntnissen aufbauenden angewandten wissenschaftlichen Forschung und der industriellen Zweckforschung. Die Grundlagenforschung, die in engem Zusammenhang mit der Ausbildung des Nachwuchses steht, muss, wie es bisher der Fall war, Aufgabe der Hochschulen bleiben. Mit gleicher Bestimmtheit lässt sich das gleiche von der angewandten Forschung nicht sagen.

Sie bildet das Bindeglied zwischen der Grundlagenforschung und der reinen Zweckforschung. Dies gilt besonders für die Atomenergie, wo die Planung und der Bau von Versuchsreaktoren und die damit zusammenhängenden Forschungen und Untersuchungen im Bereich der Metallurgie, der Chemie und der Ingenieurwissenschaften weder der Grundlagenforschung noch der reinen industriellen Zweckforschung zuzuordnen sind. Der Zweck dieser Forschung liegt vornehmlich darin, umfassende Kenntnisse über die mannigfachen Probleme der Eeaktortechnik zu vermitteln, zunächst um unseren Eückstand auf diesem Gebiet aufzuholen und sodann um eine fruchtbare, eigene Weiterentwicklung zu gewährleisten - Kenntnisse, die
unserer Wirtschaft in der Folge den Bau und Betrieb von für unsere Verhältnisse geeigneten Atomenergieanlagen ermöglichen und damit der Überwindung des drohenden Energiemangels dienen sollen. Die Wirtschaft ist daher an der Förderung der angewandten Forschung in hohem Masse interessiert. Diese Erkenntnis war bei der Gründung der Reaktor AG mitbestimmend, in deren Anlagen neben der durch ihre Eigenart bedingten Grundlagenforschung vor allem angewandte Forschung betrieben werden soll.

Dementsprechend haben sich bisher die private und öffentliche Wirtschaft an den Kosten für die Erstellung der Eeaktoren und Forschungsanlagen der Eeaktor AG mit 18,3 Millionen Franken und der Bund, wie bereits erwähnt, an den Anlagekosten und den Betriebsauslagen mit 15,5 Millionen Franken beteiligt.

1005 Die private Wirtschaft betreibt im Interesse der technischen Entwicklung selber Zweckforschung. Eine Beine von Unternehmungen der Maschinen- und Elektrobranche, der Eisen- und Metallindustrie, der chemisch-pharmazeutischen und der Uhrenindustrie hat unter erheblichen finanziellen Aufwendungen eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen eingerichtet und zur Ausbildung Personal teils in die Eeaktor AG, teils in ausländische Forschungsstätten und Industrieunternehmungen abgeordnet. Verschiedene Firmen haben sich überdies auf eigene Kosten an der Projektierung von Atomanlagen und an ihrer Finanzierung beteiligt.

V. Koordination der /wissenschaftlichen Forschung und Nachwuchsbildung Wenn die öffentliche Hand erhebliche Mittel für die wissenschaftliche Forschung und die Nachwuchsschulung bereitstellt, muss eine möglichst wirkungsvolle und rationelle Verwendung der öffentlichen Gelder gewährleistet sein. Unter diesem Gesichtspunkt mag man sich fragen, ob nicht die Zusammenfassung der Grundlagenforschung bei einem einzigen Institut der Dezentralisation bei den Hochschulen vorzuziehen sei. Soweit sich dies gegenwärtig beurteilen lässt, wäre jedoch die Errichtung eines Zentralinstitutes nicht empfehlenswert. Die Hochschulen sind in der: Lage, wirkungsvoll zu forschen, besonders wenn ihnen vermehrte Mittel zur Verfügung stehen und wenn für eine enge Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den Universitäten Gewähr besteht. Ohne dass die Freiheit der Forschung beeinträchtigt werden soll, müssen die verschiedenen Forschungsarbeiten sorgfältig koordiniert werden. Ferner haben wir bereits angedeutet, dass der Ausbau der Forschung und die Förderung des Nachwuchses auf dem Gebiet,der Kernenergie den Eahmen eines einzelnen Wissenszweiges sprengen und nicht allein vermehrte Anstrengungen in der Physik, sondern auch in der Chemie, in der Biologie und andern Fachwissenschaften erfordert, es muss deshalb ein Gesamtprogramm aufgestellt werden. Auf Grund dieses Programmes wäre die Beitragsberechtigung der verschiedenen Arbeiten und Anschaffungen zu bestimmen. Der Delegierte für Fragen der Atomenergie ist zur Zeit mit den Vorbereitungen für die Aufstellung eines solchen Gesamtplanes beschäftigt.

Es wird allerdings auf dem Gebiet der Atomenergie schwer fallen, zwischen der Grundlagenforschung, der angewandten Forschung
und der industriellen Zweckforschung scharf und eindeutig zu unterscheiden. Überschneidungen erscheinen schwer vermeidbar, doch sollen sie im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen. Vor allem wird im. E ahmen der Eeaktor AG die eine wie die andere Forschungsrichtung zu ihrem Eechte kommen, was unter den obwaltenden Umständen der atomwissenschaftlichen Forschungsarbeit in unserem Lande durchaus dienlich sein dürfte. Denn gerade auf dem Atomgebiet zeigt sich mit besonderer Eindringlichkeit, dass, die praktisch-technischen Erfolge nur durch unzählige rein wissenschaftliche Einsichten, vor allem im Bereiche der theoretischen Physik, ermöglicht worden sind. Aufgabe der Behörden oder der von ihnen bezeichneten Fachorganisationen wird es sein, die Kontrolle über die Durchführung des Gesamtprogramms auszuüben, die Vorsausetzungen für eine

1006 erspriessliche Zusammenarbeit der verschiedenen Forschungsgruppen herbeizuführen und zu gewährleisten und zu verhindern, dass die bereitgestellten Mittel der Pflege allfälliger persönlicher Liebhabereien einzelner Forscher oder Institutsleiter dienen. Vermittels einer derartigen Koordination kann die Fühlungnahme und Verständigung zwischen Forschern, Hochschullehrern und Institutsleitern der einzelnen Lehranstalten und Wissenszweige und der Beaktor AG erleichtert und vertieft werden.

Zwischen der Aufstellung und der Durchführung dieses Programms muss aber eine klare'Unterscheidung gemacht werden. Das Gesamtprogramm hat den Zweck, eine Zersplitterung zu vermeiden und eine Koordination aller Kräfte herbeizuführen. Dies ist im Hinblick auf die Beschränktheit der materiellen und personellen Mittel unseres kleinen Landes eine absolute Notwendigkeit. Ebenso notwendig ist aber auch die Aufstellung von Grundsätzen für die Durchführung des Programms, insbesondere was die Teilung der Aufgaben zwischen Bund, Kantonen und privater Wirtschaft anbetrifft. Von den Kantonen muss erwartet werden, dass sie im Eahmen ihrer. Möglichkeiten alles unternehmen, um die Forschung im Bereich der Atomenergie sowie die Schulung des Nachwuchses zu fördern. Die Tatsache, dass eine bestimmte Tätigkeit im Landesinteresse liegt, vermag an sich eine Veränderung des Verhältnisses zwischen dem Bund und den Kantonen im Gebiete des Hochschulwesens oder die Einführung oder Erhöhung von Bundessubventionen nicht zu rechtfertigen. Noch weniger kann der Bund die sich aus der neuen Aufgabe ergebenden Aufwendungen allein übernehmen, da ihm sonst praktisch eine Pflicht Überbunden würde, die nach der bisherigen Kompetenzordnung nicht in seinem Aufgabenbereich liegt. Die Lösung wird also etwa in der Richtung zu suchen sein, wie sie bei der Schaffung des Schweizerischen Nationalfonds für wissenschaftliche Forschung eingeschlagen wurde, d.h., der Bund wird Beiträge an die Durchführung bestimmter Forschungen leisten, die ohne diese Hilfe nicht zur Ausführung gelangen würden. Dabei muss es sich um Forschungen handeln, die im Eahmen des skizzierten Gesamtprogramms enthalten sind. Eine direkte Subventionierung von Hochschulen oder Hochschulinstituten oder die Ausrichtung von Beiträgen an die allgemeinen Betriebskosten von kantonalen Instituten
sowie an die Kosten von Bauten steht ausser Frage.

VI. Aufgaben der schweizerischen Atomîorschung Über die einzelnen Programme kann erst nach Eücksprache mit den Kantonen und nach einer endgültigen Prüfung Auskunft gegeben werden. Wir beschränken uns deshalb auf einige Angaben, in welcher Weise die Forschung wird intensiviert werden müssen.

Die Schwierigkeiten, denen die Entwicklung der Kernenergie in der Schweiz begegnet, sind hauptsächlich dem Fehlen der notwendigen Beschleunigungsanlagen und Messapparaturen sowie dem Mangel an geeigneten Stellen für Wissenschafter zuzuschreiben. Es sollte daher auf dem Gebiet der Physik der mittleren " Energien (bis zu einigen hundert Elektronenvolt) die Beschaffung verschie-

1007 dener Teilchenbeschleuniger in die Wege geleitet werden, mit deren Hilfe die grundlegenden Probleme des Verhaltens und der Wechselwirkung der Elementarteilchen studiert werden können. Dagegen fällt es vorerst ausser Betracht, Biesenbeschleuniger von einigen Milliarden Elektronenvolt zu installieren, um so mehr, als die Schweiz im Laboratorium der Europäischen Kernforschung (CERN) in Genf beteiligt ist, das sich hauptsächlich der Physik der hohen Energien widmet. Ferner wird erwogen, eigene Messapparaturen für hohe Energien zu entwickeln. Ganz allgemein spielt die Messung der Energien in der Kernphysik eine eminente Eolle ; lliezu sind hochentwickelte Präzisionsapparate und elektronische Geräte erforderlich.'Die Herstellung der Beschleuniger und Messapparaturen wird schon wegen der industriellen Lieferfristen geraume Zeit in Anspruch nehmen, weshalb die Bestellungen so bald als möglich erteilt werden sollten.

Angesichts der hohen Kosten dieser Einrichtungen wird auf eine möglichst rationelle Ausnützung geachtet werden müssen.

; Um anderseits der Abwanderung geschulter Kräfte zu begegnen, wäre, an den Hochschulen und bei der Reaktor AG. eine Anzahl neuer, angemessen honorierter Forschungsstellen zu schaffen. Den Forschern sollten ausserdern durch Stipendien Studienaufenthalte im Ausland zur weiteren Ausbildung und für .die Pflege wissenschaftlicher Kontakte ermöglicht werden, Des weitern ist zu berücksichtigen, dass die kernphysikalische Forschung meist in grösseren Arbeitsgruppen durchgeführt werden rnuss, die der Leitung durch erfahrene Physiker bedürfen. Gegenwärtig Schemen aber die Institutsleiter äusserstande zu sein, derartigen Aufgaben mit der nötigen Intensität zu obliegen, weil sie in der Regel durch ihre Lehr- und vielfach leider auch durch ihre Verwaltungstätigkeit zu stark in Anspruch genommen sind. Daher sollten ihnen erfahrene Mitarbeiter zugeteilt werden, welche einerseits die Leitung von Arbeitsgruppen übernehmen und anderseits zur Entlastung der Institutsleiter aktiv an der Ausbildung des Nachwuchses mitwirken. Selbstverständlich hängt der Erfolg der Forschungstätigkeit ebenfalls vom Arbeitsmilieu ab, auf das der Grad der Verantwortung und der Selbständigkeit der Mitarbeiter einen massgebenden Einfluss hat.

Ähnliche Probleme wie in der Kernphysik stellen sich heute in allen
andern Bereichen der Atomwissenschaft und Atomforschung. Grösste Bedeutung ist der Ausstattung k&mcliemischer Laboratorien mit den notwendigen Apparaturen und Einrichtungen, wie Generatoren und Strahlenquellen, beizumessen. An jenen Universitäten, an denen den Physikern solche Geräte zur Verfügung stehen, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Kernphysikern und Kernchemikern geboten. Dasselbe gilt für die andern nichtphysikalischen Forschungszweige der Atomwissenschaft, wie zum Beispiel die Strahlenbiologie, die Strahlentherapie und den Strahlenschutz.

Die Förderung der Atomforschung muss sich besonders auch auf den Strahlenschutz beziehen. Dabei ist nicht nur an Schutzeinrichtungen in Reaktoren zu denken, sondern ebensosehr an den richtigen Umgang mit radioaktiven Isotopen, die, wie erwähnt, in steigendem Masse zu verschiedensten Zwecken verwendet werden. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist eine gute Ausstattung der Insti-

1008 tute und eine vermehrte Ausbildung von Fachleuten notwendig. Ebenso ist zu erwarten, dass die Entwicklung der Strahlenforschung nähere Aufschlüsse über die Abwehr genetischer Schäden vermittelt.

In ähnlicher Weise wie bei den Hochschulen stellen sich die Personalprobleme auch bei der Eeaktor AG. Sie hat sich nicht nur zur Aufgabe gesetzt, fachkundiges Personal für die Bedürfnisse der Wirtschaft bereitzustellen und bei der, Ausbildung von Studenten mitzuwirken, sondern auch einen Stab von Mitarbeitern zu schaffen, der mit allen · Aspekten des Baues und Betriebes von Eeaktoren vertraut ist. In das Tätigkeitsgebiet dieser Gesellschaft gehören neben der Ausbildung von Fachleuten vor allem die Eeaktorforschung, bei welcher die Materialprüfung eine grosse Eolle spielt, sowie die Bereitstellung von Bestrahlungseinrichtungen und die Herstellung von Isotopen. Die Eeaktorwissenschaft befasst sich mit Bauart und Dimensionierung von Eeaktoren sowohl hinsichtlich der Wirksamkeit als der Sicherheit.

Die Wege zur Nutzung der Kernenergie sind mannigfach, und die Frage, welche Eichtung sich als wirtschaftlich erweisen wird, ist noch vollständig offen.

Die Eeaktor AG, welche bereits einen sogenannten SwimmingPool-Eeaktor in.

Betrieb genommen hat, baut zur Zeit einen schwerwassermoderierten Versuchsreaktor mit natürlichem Uran als Brennstoff. Die Konstruktion des Eeaktors gestattet jedoch, als Wärmeträger nicht nur schweres Wasser zu verwenden, sondern auch Versuche mit organischen Flüssigkeiten oder Gasen zu machen.

Ferner soll geprüft werden, ob sich das mit Nachteilen behaftete Uranmetall durch Uranoxyd oder durch Thorium-Uran-Legierungen ersetzen lässt.

Die Eadioaktivität der meisten Stoffe, die längere Zeit im Eeaktor waren, macht Untersuchungen an denselben mühsam und gefährlich. Sie sind aber von besonderer Wichtigkeit, und es ist daher geplant, inWürenlingen ein besonderes Laboratorium, Hot-Labor genannt, zu erstellen. In diesem Hot-Labor soll auch die Lebensdauer von Eeaktorbauteilen geprüft werden. Im weiteren hat sich die Erstellung eines grossen Laboratoriumsgebäudes für Chemie, Metallurgie, Physik und Elektronik samt Bürotrakt für die Verwaltung als notwendig erwiesen.

Sie liegt im Umstand begründet, dass die Prüfung der Eeaktorbaustoffe oft Anforderungen stellt, die ausserhalb des
Erfahrungsbereichs bestehender Institute liegen. Gewisse Untersuchungen sind unter anderem bedeutungsvoll im Hinblick auf die geplante Kontrolle des Bundes über die Ein- und Ausfuhr von Spaltmaterial sowie auf die Abfallbeseitigung und die Abklärung von Art und Gefahr radioaktiver Verseuchungen.

Während die Herstellung und Verteilung von Eadioisotopen mit mittlerer und langer Halbwertszeit in Europa gut organisiert ist, wird sich die Eeaktor AG der Herstellung kurzlebiger Isotopen für die medizinische Forschung annehmen. Sie hat ferner von ihren Bestrahlungsmöglichkeiten und -einrichtungen einen gewissen Teil für die Bedürfnisse der Hochschulen, der Industrie sowie anderer Institute zur Verfügung zu stellen.

Schon diese allgemeinen Hinweise lassen erkennen, dass in nächster Zeit sowohl von der öffentlichen Hand - den Kantonen und dem Bund - wie auch von

1009 der Privatwirtschaft beträchtliche Mittel für eine Intensivierung der Forschung und der Förderung des Nachwuchses bereitzustellen sein werden. Bevor das oben erwähnte Gesamtprogramm aufgestellt und die Frage der Finanzierung abgeklärt ist, können hierüber jedoch noch keine näheren Angaben gemacht werden. Um ein Bild von der Grössenordnung zu vermitteln, seien folgende Beispiele aufgeführt. Allein die Kosten für die von den verschiedenen Gruppen von Wissenschaftern eingereichten Begehren für eine Förderung der Grundlagenforschung, die allerdings noch überprüft und aufeinander abgestimmt werden müssen, werden für die nächsten fünf Jahre auf rund 50 Millionen Franken geschätzt. Die Beaktor AG veranschlagt die Kosten der von ihr als wünschbar erachteten Neueinrichtungen - von der Erstellung des Schwerwasser-Eeaktors abgesehen - und des Betriebes in den nächsten 5 Jahren auf 50 Millionen Franken. Für den Ausbau ihrer Institute werden sowohl die Kantone als auch der Bund Aufwendungen machen müssen, die zusammengerechnet mindestens diese Grössenordnung erreichen dürften. Daneben werden in der Schweiz gegenwärtig neben der Eeaktor AG verschiedene Projekte für den Bau kleinerer Leistungsreaktoren geplant, von denen jedes mindestens 20-80 Millionen Franken kosten soll, Aufwendungen, die allerdings zu einem ansehnlichen Teil von der Privatwirtschaft getragen würden. Weitere Mittel sind erforderlich, sofern sich die Schweiz an den von der Europäischen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit projektierten Gemeinschaftsunternehmungen beteiligt; im Vordergrund steht hier die Errichtung einer chemischen Trenn-Anlage. Auch für diese Projekte darf mit einer Beteiligung der Privatwirtschaft gerechnet werden.

VII. Vorschlag für eine Übergangslösung

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass mit der Intensivierung der Atomforschung und Ausbildung der Fachleute nicht zugewartet werden kann, bis alle Fragen hinsichtlich der einzuschlagenden Bichtung, der Aufgabenverteilung, Organisation und Finanzierung abgeklärt sind. Die Aufstellung einer solchen Gesamtkonzeption erfordert naturgemäss einige Zeit. Auch werden grössere Förderungsmassnahmen erst in die Wege geleitet werden können, wenn die gesetzlichen Grundlagen hierfür geschaffen sind.

Angesichts der Dringlichkeit dieser Angelegenheit lässt sich jedoch vertreten, vorläufig im Sinne einer Übergangslösung und ohne Präjudizierung der endgültigen Ordnung auf dem Wege eines einfachen Bundesbeschlusses einen ersten Kredit in der Höhe von 15 Millionen Franken zu bewilligen. Dieser hätte zwei Zwecken zu dienen.

Einmal würde der Bund damit in die Lage versetzt, bereits im nächsten Jahr die Grundlagenforschung durch Gewährung von Beiträgen an bestimmte Forschungsprojekte zu fördern. Hierfür ist nach den vorliegenden Schätzungen ein Betrag von 10,5 Millionen Franken erforderlich. Im ginne eines Provisoriums soll dieser Betrag dem Schweizerischen Nationälfonds zur Ausrichtung von Forschungsbeiträgen zur Verfügung gestellt werden. Solche Forschungsbeiträge

1010 könnten für bestimmte Forschungsprojekte auf dem Gebiete der Atomenergie ausgerichtet werden, die über die ordentliche Lehr- und Forschungstätigkeit der Eidgenössischen Technischen Hochschule oder der kantonalen Hochschulen hinausgehen, im Landesinteresse liegen und ohne Beiträge des Bundes nicht ausgeführt werden könnten. Der Nationalfonds wäre dafür verantwortlich, dass Doppelspurigkeiten vermieden und die verfügbaren Mittel möglichst wirksam eingesetzt werden. Zur Prüfung der Gesuche hätte der Nationalfonds eine besondere, aus Fachleuten der Atomwissenschaf t, und verwandten Wissenschaf ten sowie aus Vertretern der Bundesverwaltung bestehende Kommission zu bilden.

Über die Verwendung der Mittel wäre zuhanden der Bundesversammlung Bericht zu erstatten.

Weitere 4,5 Millionen Franken wären dazu bestimmt, die Eeaktor AG in die Lage zu versetzen, die dringendsten Einrichtungen für die im Bau befindlichen Laboratorien zu beschaffen. Im Hinblick auf diesen Beitrag und die Frage einer weiteren beträchtlichen Beitragserhöhung soll vor der Auszahlung der 4,5 Millionen Franken das Verhältnis zwischen dem Bund und der Eeaktor AG überprüft werden.

Sobald der oben erwähnte Gesamtplan vorliegt, werden den eidgenössischen Katen die zur Verwirklichung erforderlichen Vorlagen unterbreitet werden. Wir werden Sie auch bei der ersten sich bietenden Gelegenheit über die Einzelheiten dieses Gesamtplanes orientieren.

.Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen beehren wir uns, Ihnen die Annahme des Entwurfes zu einem Bundesbeschluss über die. Förderung der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiete der Atomenergie zu empfehlen.

Da der mitfolgende Beschluss die vorgesehene Kreditgrenze von 5 Millionen Franken überschreitet, benötigt er, gemäss Bundesbeschluss über die Finanzordnung, das absolute Mehr der beiden Eäte (Ausgabenbremse).

Genehmigen Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 26.November 1957.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Strettii

Der Bundeskanzler: Ch. Oser

1011 (Entwurf)

Bundesbeschluss über

die Förderung der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiete der Atomenergie

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der Schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , gestützt auf Artikel Z^quinquies der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 26. November 1957, beschliesst:

Art. l 1

Der Bund gewährt der Stiftung « Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung» (nachfolgend «Natiohalfonds» genannt) für das Jahr 1958 einen Sonderbeitrag von 10,5 Millionen Franken zur Förderung der Forschung und. Ausbildung auf dem Gebiete der Atomenergie.

2 Die Ausrichtung des Beitrages erfolgt unter der Bedingung, dass sich der «Nationalfonds» zur Einhaltung der nachfolgenden Bestimmungen verpflichtet.

Art. 2 11

Der Beitrag ist zur Förderung zusätzlicher Forschungsprojekte auf dem Gebiete der Atomenergie und des Strahleiischutzes sowie zur Aus- und Weiterbildung junger Forscher auf diesen Gebieten zu verwenden.

2 Als zusätzlich gelten Forschungsprojekte, die über die ordentliche Lehr- und Forschungstätigkeit der Hochschulen hinausgehen, im Landesinteresse liegen und ohne Beiträge des Bundes nicht ausgeführt werden könnten. Der ordentliche Betrieb, die normale Ausrüstung der Hochschulinstitute sowie bauliche Massnahmen dürfen nicht aus diesen Mitteln unterstützt werden. Die einzelnen Forschungsprojekte müssen so aufeinander abgestimmt sein, dass Doppelspurigkeiten vermieden und' die verfügbaren Mittel möglichst wirksam eingesetzt werden.

Art. 3 1 Der Nationalfonds bildet eine besondere, aus Fachleuten der Atomwissengchaft und verwandter Wissenschaften sowie aus Vertretern der Bundesverwal-.

1012 tung bestehende Kommission, welche die Gesuche nach den sachlichen und formellen Voraussetzungen gemäss Artikel 2 überprüft und darüber endgültig entscheidet.

2 Der Nationalfonds regelt in einem Eeglement, das vorgängig vom Bundesrat zu genehmigen ist, die näheren Aufgaben der in Absatz l erwähnten Kommission, das Verfahren über die Beitragsgewährung und die Verwendung der aus Bundesmitteln angeschafften Einrichtungen.

Art. 4 Der Nationalfonds erstattet dem Bundesrat zuhanden der Bundesversammlung Bericht über die Verwendung des zur Verfügung gestellten Sonderbeitrages.

Art. 5 Der Bundesrat wird ermächtigt, der Eeaktor AG nach Neuordnung des gegenwärtigen Vertragsverhältnisses einen zusätzlichen Beitrag von 4,5 Millionen für die Ausrüstung der auf ihre Eechnung erstellten Laboratorien zu gewähren.

Art. 6 1 2

3558

Dieser Beschluss ist nicht allgemein verbindlich und tritt sofort in Kraft.

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Förderung der Forschung und Ausbildung auf dem Gebiete der Atomenergie (Vom 26. November 1957)

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1957

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12.12.1957

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