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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Philipp Andermatt in Zug gegen den Beschluß des Kantonsrates von Zug vom 22. August 1901, betreffend die Unterstellung des am 30. Mai 1901 erlassenen Jagdgesetzes unter die Volksabstimmung.

(Vom 27. September 1901.Ì

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde des Philipp A n d e r m a t t in Zug gegen den Beschluß des Kantonsrates von Zug vom 22. August 1901, betreffend die Unterstellung des am 30. Mai 1901 erlassenen Jagdgesetzes unter die Volksabstimmung, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß

gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Unterm 30. Mai 1901 wurde im zugerischen Kantonsrate ein neues Jagdgesetz erlassen und von der gesetzgebenden Behörde angenommen. Im Amtsblatt vom 8. Juni 1901, Nr. 23, erließ dann die zugerische Kantonskanzlei folgende Publikation : ,,Das Jagdgesetz für den Kanton Zug vom 30. Mai 1901 liegt auf den Einwohnerkanzleien zur Einsicht auf. Ablauf der Referendumsfrist: 7. August 1901.a

281 An der Kantonsratssitzung vom 22. August 1901 teilte der Regierungsrat dem Kantonsrate mit, daß 639 Stimmberechtigte unterschriftlich die Volksabstimmung über das erwähnte Jagdgesetz verlangt hätten und der Kantonsrat nunmehr anzuordnen habe, ob die Abstimmung über einzelne Teile des Gesetzes getrennt solle vorgenommen werden. Auf die Anfrage des Philipp Andermatt, an welchem Tage die Unterschriften eingegeben worden seien, notifizierte der Regierungsrat den 6. August. Gestützt auf diese Erklärung vertrat Andermatt die Ansicht, daß die Referendumsunterschriften verspätet eingereicht worden seien, indem die in der Verfassung vorgesehene 60tägige Referendumsfrist bereits mit dem 29. Juli abgelaufen war. Der Kantonsrat pflichtete aber mehrheitlich dieser Anschauung nicht bei, erklärte die Referendumsnnterschriften als rechtzeitig eingegeben und beauftragte den Regierungsrat, dem Volke das Jagdgesetz in globo zur Abstimmung zu unterbreiten. Der Regierungsrat hat bereits den 29. September als Tag der Abstimmung bezeichnet.

II.

Gegen diese Schlußnahme erhebt Kantonsrat Philipp Andermatt den 21./23. September 1901 die staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesrat; er stellte das Begehren, es sei der Kantonsratsbeschluß vom 22. August 1901 aufzuheben und zu erklären, daß das Jagdgesetz vom 30. Mai 1901, nachdem die für eine Volksabstimmung verfassungsgemäß vorgesehene Frist unbenutzt geblieben, in Kraft getreten und vom Regierungsrate zu promulgieren sei. Zur Begründung wird ausgeführt: § 34 der zugerischen Kantonsverfassung vom 31. Januar 1901 lautet : ,,Alle Gesetze und allgemein verbindlichen Beschlüsse des Kantonsrates, die nicht dringender Natur sind, sowie jene Finanzdekrete, welche eine einmalige außerordentliche Ausgabe von wenigstens Fr. 40,000, oder eine neue jährlieh wiederkehrende Ausgabe von mindestens Fr. 5000 zur Folge haben, unterliegen der Abstimmung des Volkes, w e n n 60 Tage n a c h E r l a ß d e s G e s e t z e s oder Beschlusses 500 B ü r g e r , d e r en S t i m m b e r e c h t i g un g g e m e i n d e w e i s e a m t l i c h a u s g e w i e s e n st, unterschriftlich die Abstimmung verlangen, oder ein Drittel der Mitglieder des Kantonsrates unmittelbar nach der definitiven Schlußabstimmung ein bezügliches Begehren stellt.a Die Referendumsfrist ist hier auf 60 Tage festgesetzt, sie beginnt mit dem Zeitpunkt des Erlasses. Was versteht man nun

282 unter Erlaß des Gesetzes ? Der Rekurrent behauptet, daß darunter nur der Tag gemeint sein kann, am dem der Kantonsrat über einen Erlaß seine definitive Schlußabstimmung vornimmt, während seine Rechtsgegner und vorab die h. Regierung darunter dea Zeitpunkt verstanden wissen wollen, an dem der Regierungsrat die Publikation erläßt, daß das Gesetz dem Referendum unterstehe.

Die Rechtsanschauung des Rekurrenten stützt sich auf folgende Momente: Ì. Grammatikalisch kann kein Zweifel sein, daß unter Erlaß jener Moment verstanden ist, an dem die Behörde einen Beschluß faßt. Der Rekurrent kann sich hier aller weitern Erörterungen enthalten, da er einen klassischen Zeugen, nämlich dea h. Regierungsrat selber, anzuführen im stände ist. Das Amtsblatt vom 24. August 1901 enthält folgenden Regierungsratsbeschluß: ,,Nach Kenntnisnahme eines von 639 Stimmberechtigten unterzeichneten Referendumsbegehrens hat der Regierungsrat in Gemäßheit von § 34 der Kantonsverfassung beschlossen : Die Stimmabgabe über das vom Kantonsrate unterm 30. Mai 1901 erlassene Jagdgesetz für den Kanton Zug hat Sonntag den 29. September 1901 stattzufinden." Amtsblatt Nr. 34, vom 24. August.

Also am 30. Mai 1901 ist das Jagdgesetz erlassen worden, von da datiert der Erlaß und von da sind demnach auch die 60 Tage zu berechnen.

2. Die frühere Verfassung des Kantons Zug vom 22. Dezember 1873/21. November 1881 besagte in § 37 : ,,Über Gesetze, Staatsverträge findet eine Volksabstimmung statt, wenn b. binnen 30 Tagen, von der B e k a n n t m a c h u n g an, wenigstens 500 Stimmberechtigte beim Regierungsrate das Begehren für eine solche Volksabstimmung stellen.

Diese Vorschrift regelte die Fristbestimmung in klarer Weise nach der heutigen Ansicht meiner Rechtsgegner. Warum ging aber der Gesetzgeber bei der Verfassungsrevision im Jahre 1894 von diesem Wortlaute ab? Leider geben die Protokolle des Verfassungsrates hierüber keine Auskunft. Allein der Grund war augenscheinlich der : man wollte einen für alle Mal fixen Zeit1 punkt, von dem die Referendumsfrist berechnet werden muß, dafür dehnte man aber die Frist selbst aus. Vielleicht wollte man es auch nicht mehr dem freien Ermessen des Regierungsrates anheimstellen, die Wirksam machung eines Gesetzes nach Belieben hinauszuzögern. ·

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3. Diese Vermutung wird zur Gewißheit, wenn man die Praxis näher betrachtet, wie sie einige Jahre unmittelbar nach Inkrafttreten der neuen Verfassung gepflogen wurde.

Es wurden erlassen : 1. Beschluß betr. Erstellung einer Zeughausbaute vom 24. Juni 1895.

2. Beschluß betr. Anstellung eines Kantonsingenieurs vom 24. Juni 1895.

Ablauf der Referendumsfrist für beide Erlasse laut Amtsblatt vom 29. Juni 1895, Nr. 26: 23. A u g u s t 1895.

3. Gesetz über Besoldung der kantonalen Behörden, Beamten und Angestellten vom 30. Mär/ 1896.

Ablauf der Referendumsfrist laut Amtsblatt vom 11. April 1896, 29. Mai 1896.

4. Gesetz betreffend Verhinderung neuer Überzeigungen vom 11. Juni 1896.

Ablauf der Referendumsfrist laut Amtsblatt vom 27. Juni 1896: 10. August 1896.

Sollten diese Thatsachen bestritten werden, so bin ich bereit, die bezüglichen Amtsblätter zu den Akten zu legen.

Während zwei vollen Jahren, die unmittelbar der Annahme der neuen Verfassung folgten, hat man letztere immer im Sinne des Rekurrenten ausgelegt. Erst seit dem Jahre 1897 wurde dann von der Regierung bezw. der Kantonskanzlei eine andere Praxis befolgt, die mit dem Wortlaute der Verfassung nicht übereinstimmt, die auch dem Werdegang der bez. Verfassungsbestimmung widerspricht und gegen die der Rekurrent sich beschwert.

An der Kantonsratssitzung vom 22. August hat man gegen meine Rechtsauffassung verschiedene Einwendungen erhoben, die sich aber alle nach näherer Prüfung als unstichhaltig erweisen, wie wir nachstehend noch kurz zeigen wollen : a. Man behauptete, daß nach allgemein geltender Rechtsnorm zum Erlaß eines Gesetzes auch die Promulgation gehöre. Wenn dieser Satz besagen will, daß zur Inkraftsetzung eines Gesetzes die Promulgation gehöre, so bin ich damit einverstanden. Allein hier handelt es sich gar nicht um die Promulgation, diese kann ja erst geschehen, nachdem das Gesetz das Referendum passiert hat. Der Regierungsrat promulgiert das Gesetz nach dessen Erlaß ab Seite der Legislative nicht, sondern er giebt es nur bekannt, mit dem Bemerken, daß es dem Referendum unterstehe. Mit

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andern Worten, er vollzieht nicht das Gesetz, sondern er führt nur die Verfassungsbestimmung betr. das Referendum mit Hinsicht auf den Erlaß aus.

b. Man hat dann auf das Verfahren beim Bundesreferendum hingewiesen, wonach die 90tägige Referendumsfrist erst mit dem Tage der Bekanntmachung im Bundesblatte zu laufen beginnt.

Man hat aber übersehen, daß laut Art. 90 der Bundesverfassung es der Bundesgesetzgebung vorbehalten blieb, bezüglich der Formen und Fristen der Volksabstimmung das Erforderliche festzustellen und daß das bezügliche Bundesgesetz vom 17. Juni 1874 in Art. 7 eben ein anders Verfahren vorschreibt, als unsere Kantonsverfassung in § 34.

c. Ferner glaubte man, daß, sofern meine Ansicht zu Recht bestünde, die Regierung es in der Hand hätte, das Referendum gegen ein Gesetz zu verunmöglichen, indem sie die Bekanntmachung etwa 50 Tage hinausschieben könnte, so daß dann nur mehr 10 Tage für Sammlung der Unterschriften übrig bleiben würden. Dem ist entgegen zu halten, daß die Regierung als Vollzieherin der kantonsrätlichen Schlußnahmen und als Hüterin von Verfassung und Gesetz sich nicht wurde beigeben lassen, ein Volksrecht in der Weise zu verkümmern. Andernfalls, d. h.

wenn die Zeit der Bekanntmachung maßgebend und man bösen Willen annehmen wollte, so hätte sie es gar in der Hand, die Wirksammachung eines Gesetzes nach Belieben zu verzögern.

Es könnte sich höchstens fragen, ob nicht bei umfangreichem Gesetzen die Vervielfältigung durch den Druck eine ungebührliche Verzögerung im Gefolge haben könnte. Dies ist aber bei der heutigen Technik im Buchdruckereigewerbe ausgeschlossen, wie z. B. am besten die Bekanntmachung des schweizerischen Obligationenrechtes zur Evidenz beweist. Das Obligationenrecht wurde im Ständerate den 10. Juni 1881 und im Nationalrate den 14. Juni 1881 beschlossen, trotz seiner 904 Artikel erschien es bereits den 18. Juni 1881 im Bundesblatte.

d. Das Datum des Erlasses könne deßhalb nicht maßgebend sein, sagte man ferner, weil nach Schluß der zweiten Beratung die Redaktionskommission das Gesetz noch zu beraten habe. Dem ist entgegen zu halten, daß eben nicht der Schluß der zweiten Beratung das Datum des Erlasses bildet, sondern erst der Tag, an dem der Kantonsrat über die Anträge der Redaktionskommission Beschluß gefaßt hat, mit andern Worten, das Gesetz fix und fertig durchberaten und angenommen hat. Das Jagdgesetz

285 wurde beispielsweise in 2. Lesung am 1. April durchberaten, dann ging es an die Redaktionskommission, über deren Anträge der Kantonsrat am 30. Mai Beschluß faßte. Das Gesetz ist also an diesem Tage erlassen worden, wie der Regierungsrat in oberwähnter Publikation vom 24. August 1901 selbst anerkannt hat.

e. Die Praxis seit dem Jahre 1897, auf welche man zu guter Letzt noch hinweist, vermag Verfassungsrecht nicht zu beugen.

Ein einziges Mal kam übrigens seit 1897 das -Referendum zu stände und zwar gegen das städtische ßaugesetz vom 19. August 1897. Damals kam die Sache auch vor Kantonsrat. Allein in der bez. Botschaft des Regierungsrates war das Datum des Eingangs der Referendumsunterschriften nicht vorgemerkt und kam der Kantonsrat nicht in den Fall, zur Frage Stellung zu nehmen.

III.

Mit Schreiben vom 21./23. September 1901 macht Rekurrent weiterhin darauf aufmerksam, daß im Falle der Begründeterklärung der Beschwerde das Jagdgesetz als in Kraft getreten erklärt werden müsse, ohne daß es die Volksabstimmung zu passieren habe. Da diese Abstimmung aber schon auf den 29. September angesetzt sei, werde das Gesuch um deren Sistier u n g gestellt.

IV.

In seiner Vernehmlassung vom 2S./26. September 1901 anerkennt der Regierungsrat des Kantons Zug sowohl die Kompetenz des Bundesrates zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde, als auch die Thatsachen, wie sie der Beschwerdeführer in seinen thatsächlichen Ausführungen feststellt. Dagegen beantragt er Abweisung des Sistierungsbegehrens und der Beschwerde selbst aus folgenden Gründen : \. Erscheint es einigermaßen auffallend, daß der Beschwerdeführer, wenn es ihm nur darum zu thun ist, die Volksrechte hochzuhalten, seine Beschwerde erst am 22. August zum erstenmal e anbrachte, während er doch durch das Amtsblatt vom 8. Juni schon gewußt hat, daß die Referendumsfrist auf den 7. August angesetzt sei.

2. Es ist richtig, daß in Art. 34 der zugerischen Verfassung gesagt wird, daß wenn 60 Tage nach E r l a ß eines Gesetzes 500 Stimmberechtigte die Volksabstimmung verlangen, dieselbe

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stattfinden muß und daß man, wenn man den Ausdruck Erjaß nur vom grammatikalischen Standpunkte aus betrachtet, zu der Auslegung des Beschwerdeführers verführt werden kann. Allein da muß vor allem bemerkt werden, daß der Schluß der II. Beratung und die Abstimmung darüber im Kantonsrate (in diesem Falle der 30. Mai) noch gar nicht den E r l a ß bedeuten kann, indem laut Kantonsratsreglement erst noch die Redaktionskommission ihre Arbeit über dasselbe vorzunehmen hat, wobei es gar nicht ausgeschlossen ist, daß die Kommission auch auf materielle Unrichtigkeiten stoßen kann und dadurch der Rat gezwungen wird, die Behandlung des Gesetzes in seiner Materie nochmals vorzunehmen.

Abgesehen von dieser Thatsache, kann die Auslegung des Beschwerdeführers deswegen nicht richtig sein, weil, wenn der von ihm bezeichnete Moment als Beginn des Fristenlaufes gelten sollte, eine ganze Menge Stimmberechtigter um ihr verfassungsmäßiges Recht der 60tägigen Frist kommen müßten. Der kleinste Teil der Stimmberechtigten folgt und kann den Verhandlungen des Kantonsrates in der Weise folgen, daß er weiß, heute ist das und das endgültig beschlossen worden. Es würde auf diese Art der Fall eintreten, daß der eine die Sache am Tage der Beschlussesfassung, ein anderer einige Tage nachher, ein dritter und vierter nach einigen Wochen Kenntnis von der Sache erhalten würde und daher für alle diese eine andere, resp. verkümmerte Referendumsfrist bestehen würde. Einzig von dem Momente an, da im öffentlichen Publikationsorgane, dem Amtsblatte, der Erlaß dieses Gesetzes mitgeteilt wird, kann und muß der Stimmberechtigte von dieser Thatsache offiziell etwas wissen und daher kann auch die Frist der 60 Tage nur von jenem Momente an gerechnet werden.

3. Was nun die bisher geübte Praxis anbelangt, so muß zugegeben werden, daß die vier Fälle, die der Beschwerdeführer angiebt, richtig sind und daß in jenen Fällen die Referendumsfrist wirklich nach seiner Auffassung berechnet worden ist, aber ebenso wahr ist, daß seit 1896 der Regierungsrat eine andere, d. h. die heutige Praxis eingeführt und unentwegt daran festgehalten hat. Wir verweisen diesbezüglich auf Amtsblatt Nr. 6 von 1897 : Gesetz über die Bestreitung der Staatsauslagen, beschlossen 28. Dezember 1896, publiziert 22. Januar 1897, Referendumsfrist 31. März 1897; Gesetz betreffend die Unentgeltlichkeit der Rechtspflege und des Rechtsbeistandes : beschlossen 18. März publiziert 30. März, Referendumsfrist 2. Juni ; Bau-

287 gesetz der Stadt Zug: beschlossen 19. August, publiziert 28. August, Referendumsfrist 27. Oktober. Bei diesem Gesetze wurde das Referendum ergriffen und dem Kantonsrate davon Kenntnis gegeben. Niemand im Kantonsrat .erhob damals wegen Verspätung der Referendumsbegehren Einsprache. -- Irn Jahre 1898: Gesetz betreffend Reußfachungen : beschlossen 24. März, publiziert 5. April, Referendumsfrist 7. Juni. -- Gesetz betreffend die Zuger Kantonalbank : beschlossen 21. April, publiziert 27. April, Referendumsfrist 29. Juni. -- Gesetz betreffend die Entwässerung bei Rothkreuz, beschlossen 26. September, publiziert 5. Oktober, Referendumsfrist 7. Dezember. -- Im Jahr 1899: Gesetz betreffend bessere Verbindung von Berg und Thal, beschlossen 28. August 1899, publiziert 4. September, Referendumsfrist 1. November. -- Gesetz betreffend Stacheldrahtzäune : beschlossen 26. Oktober, publiziert 11. November, Referendumsfrist 6. Januar 1900. -- Schulgesetz: beschlossen 7. November, publiziert 11. November, Referendumsfrist 8. Januar 1900. -- Im Jahr 1900: Gesetz betreffend Ablösung der Dienstbarkeiten, beschlossen 21. Juni, publiziert 4. Juli, Referendumsfrist 4. September.

4. Was dann die Einrede anbelangt, auf diese Weise wäre es der Willkür der Regierung anheimgestellt, die Referendumsfrist nach Belieben auszudehnen, indem sie einfach die Publikation des Erlasses hinausschieben würde, ist zu bemerken, daß Art. 19 der Verfassung Sicherheit genug gegen ein solches Vorgehen bieten würde und daß ferner das politische Leben in unserem Kantone ein so reges ist, daß es nicht denkbar wäre, daß die Regierung auch nur einmal einen solchen Versuch machen könnte, ohne daß nicht sofort alle gesetzlichen Mittel bei den Oberbehörden geltend gemacht würden.

o. Ist zu betonen, daß auch der Kantonsrat am 22. August diese Frage des Fristenlaufes in eingehender Beratung behandelt und großmehrheitlich die Auffassung der Regierung als richtig anerkannt hat.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Das schweizerische Bundesgericht auferlegt sich in feststehender Praxis (vgl. A. S. der bundesgerichtlichen Entscheidungen, Bd. XXV, I, 471, Erwägung 3, und die dort citierten Entschei-

288 düngen) bei der Prüfung von Beschwerden wegen Verletzung kantonaler Verfassungsbestimmungen eine Beschränkung seines freien Auslegungsrechtes in dem Sinne, daß es nicht ohne Not von der Auslegung abgeht, welche die nach kantonalem Staatsrechte in letzter Instanz zur Lösung verfassungsrechtlicher Fragen berufene Kantonsbehörde als die richtige anerkennt. Nach dieser Praxis ist der Interpretation, die eine kantonale Verfassungsbestimmung von Seiten der zu ihrer Anwendung und Auslegung in letzter Instanz berufenen kantonalen Behörde erfahren hat, ein besonderes Gewicht beizulegen ; sie ist selbst dann anzuerkennen, wenn an sich auch eine andere Auslegung als möglich, ja sogar als besser begründet erscheine, und das Bundesgericht hat nur in dem Falle einzuschreiten, wo die kantonale Auslegung sich als zweifellos unrichtig darstellt.

Der Bundesrat hat diese Praxis, zuletzt in seinem Entscheide vom 26. Juli 1901 in Sachen Caspar Uster und Genossen (Bundesblatt 1901, IV, 75 ff.), in der Fassung anerkannt, daß auch die politischen Bundesbehörden der von den obersten kantonalen Behörden vertretenen Auslegung der Verfassung ein besonderes Gewicht beizulegen haben und dieselbe nur dann als unzulässig verwerfen, wo zwingende Gründe dafür sprechen.

II.

Ein solch zwingender Grund zur Aufhebung des Kantonsratsbeschlusses vom 22. August 1901 liegt nicht vor. Gemäß § 34 der neuen zugerischen Kantonsverfassung vom 31. Januar 1894 ist ein Gesetz der Abstimmung des Volkes zu unterstellen, wenn sechzig Tage nach Erlaß des Gesetzes oder Beschlusses fünfhundert Bürger, deren Stimmberechtigung gemeindeweise amtlich ausgewiesen ist, unterschriftlich die Abstimmung verlangen.

In der Kantonsratssitzung vom 22. August 1901 ist nun der Begriff ,,Erlaß des Gesetzes11 mit Bezug auf das gegen das Jagdgesetz vom 30. Mai 1901 von 639 Stimmberechtigten am 6. August 1901 eingereichte Referendum, mehrheitlich dahin interpretiert worden, daß als Datum des Gesetzeserlasses nicht, wie Kantonsrat Andermatt ausführt, der Tag der kantonsrätlichen Schlußabstimmung vom 30. Mai 1901 zu gelten habe, sondern derjenige, an welchem im öffentlichen Publikationsorgan, dem Amtsblatt, der Erlaß des Gesetzes m i t g e t e i l t wird. Erst von diesem Momente an könne und müsse der Stimmberechtigte von der Thatsache des Geseteszerlasses offiziell etwas wissen; der kleinste Teil der Stimmberechtigten folge den Verhandlungen des Kantonsrates in

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der Weise, daß er wisse : heute ist dies oder das endgültig beschlossen worden. Bei Gutheißung der Rechtsanschauung des Rekurrenten kämen eine ganze Reihe Stimmberechtigter um ihr verfassungsmäßiges Einspruchsrecht: alle diejenigen, welche von der Beschlußfassung zu spät die zufällige Kenntnis erhielten.

Diese Interpretation kann eine grammatikalisch wie sinngemäß richtige genannt werden, und ist daher, da sie von der obersten zuständigen Kantonsbehörde vorgenommen worden ist, bundesrechtlich zu schützen, sofern sie nicht den bundes- und kantonsverfassungsmäßigen Grundsatz der Rechtsgleichheit verletzt.

Eine solche Verfassungsverletzung wird aber vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Sie könnte auch nicht etwa darin erblickt werden, daß der Regierungsrat bis zum Jahre 1896 der heute vom Rekurrenten vertretenen Auffassung gefolgt ist und erst seit- , her die nun vom Kantonsrate ausdrücklich sanktionierte durchgeführt hat. Denn es sind die kompetenten Behörden zweifellos befugt, durch Annahme einer neuen Auslegung irgend einer Gesetzesstelle eine Änderung ihrer Praxis herbeizuführen, sofern sich diese Änderung nicht im konkreten Falle als Willkürhandlung darstellt (Entscheidung des Bundesrates vom 21. Juli 1899 in Sachen Stadiin-Graf und Genossen; ßundesbl. 1899, IV, Erwägung 5, S. 218; Entscheidung des Bundesgerichtes 1881, A. S.

VII, S. 632, Ziffer 3, u. a. m.).

Bei dieser Sachlage können die vom Beschwerdeführer angeführten rechtlichen Momente, denen an und für sich nicht jede Berechtigung abzusprechen wäre, nicht dahin führen, die von kompetenter kantonaler Amtsstelle gegebene Interpretation als verfassungswidrig zu erklären.

Demnach wird e r k a n n t : Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 27. September 1901.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Eingier.

--f-@5*Sg)-*-

Bundesblatt. 53. Jahrg.

Bd. IV.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Philipp Andermatt in Zug gegen den Beschluß des Kantonsrates von Zug vom 22. August 1901, betreffend die Unterstellung des am 30. Mai 1901 erlassenen Jagdgesetzes unter die Volksabstimmung. (Vom 27.

Septembe...

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40

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02.10.1901

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280-289

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