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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die eidgenössische Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Genf vom 21. September 1901 über die Einbürgerung und desjenigen vom gleichen Datum über den protestantischen Kultus.

(Vom 26. November 1901.)

Tit.

Mit Schreiben vom 1./4. November 1901 hat der Staatsrat des Kantons Genf dem Bundesrat mitgeteilt, daß in der kantonalen Volksabstimmung vom 13. Oktober 1901 das Verfassungsgesetz vom 21. September 1901 über die Einbürgerung mit 3488 gegen 2188 Stimmen und dasjenige vom selben Datum über den protestantischen Kultus mit 2981 gegen 844 Stimmen angenommen worden ist; der Staatsrat ersucht in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung um Erteilung der eidg. Gewährleistung.

Das Verfassungsgesetz über die Einbürgerung erklärt Art. 19 der Genfer Kantonsverfassung vom 24. Mai 1874 als aufgehoben.

Dieser bezog sich auf den Erwerb des Genferbürgerrechtes. An die Stelle des Art. 19 der früheren Verfassung sollen nun folgende, Schweizer und Ausländer umfassende, Normen treten : Der im Kanton geborene Schweizerbürger kann mit seiner Volljährigkeit das Genfer Bürgerrecht verlangen :

993 1. wenn er sich drei Jahre v o r der Stellung seines Begehrens im Kanton aufgehalten hat; 2. wenn er keine, nach Art. 22 der Kantonsverfassung den Verlust oder die Einstellung der bürgerlichen Ehrenrechte bedingende Strafe erlitten hat; 3. wenn er seinen guten Leumund nachweist; 4. wenn er nachweist, daß er arbeitsfähig und nicht der öffentlichen Wohlthätigkeit zur Last gefallen ist.

Der im Kanton geborene Ausländer wird mit dem Alter von 20 Jahren als Genfer Bürger anerkannt: 1. wenn er während seines 19. Jahres mit Zustimmung seiner Eltern oder seines Vormundes die Bewilligung des Bundesrates zum Erwerbe eines Schweizerbürgerrechtes erlangt hat; 2. wenn er fünf Jahre vor Stellung seines Begehrens im Kanton gewohnt hat; 3. wenn er im übrigen die oben unter Ziffer 2, 3 und 4 für den Schweizerbürger aufgestellten Bedingungen erfüllt.

Die auf diese Weise zu Genferbürgern gewordenen Personen erwerben, wenn sie Schweizer waren, das Heimatrecht der Gemeinde, in welcher sie wohnen, wenn sie Fremde waren, das Heimatrecht der Gemeinde, in welcher sie geboren sind.

Das Verfassungsgesetz über den protestantischen Kultus hat die Verfassungsgesetze vom 6. Juli 1892 und vom 25. März 1874 abgeändert und als neue-Bestimmungen aufgestellt: daß bei der Wahl des Konsistoriums und des Kirchgemeinderates diejenigen als gewählt erklärt werden, welche die relative Majorität der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt haben, wenn diese Majorität wenigstens ein Drittel der gültigen Stimmen ausmacht; daß bei einem zweiten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen entscheidet, und daß bei Stimmengleichheit das Alter der Kanditaten den Ausschlag giebt; endlich daß die Regelung der übrigen Wahlformen für die Kirchgemeinderäte, sowie deren Zusammensetzung und Befugnisse einem Specialgesetz überlassen wird.

Die beiden Verfassungsgesetze enthalten nichts, was als im Widerspruch gegen eidgenössische Verfassungsnormen angesehen werden könnte. Indessen muß bei Genehmigung des ersten, auf den Erwerb des Genferbürgerrechtes bezüglichen, Gesetzes ein Vorbehalt gemacht werden.

Der zweite Teil bezieht sich auf den Erwerb des Genferbürgerrechtes durch Ausländer, die also durch diesen Vorgang auch das Schweizerbürgerrecht erwerben. In Beziehung hierauf

994 ist Art. 44, Absatz 2, der Bundesverfassung und des Ausführungsgesetzes zu demselben vom 3. Juli 1876 betreffend die Erteilung des Schweizerbürgerrechtes etc. in Betracht zu ziehen. Nach Art. 4 Absatz 3, dieses Gesetzes erlischt die bundesrätliche Bewilligung, wenn binnen zwei Jahren, vom Datum der Ausstellung an von demselben kein Gebrauch gemacht wird.

Die Bestimmung muß unseres Erachtens gegenüber der neuen Bestimmung der Genferverfassung vorbehalten werden.

Diese letztere setzt ihrem Wortlaute nach ein Begehren des Ausländers, der das Genferbürgerrecht gestützt auf die Geburt im Kanton erwerben will, voraus; bestimmt aber keine Frist für die Stellung dieses Begehrens, sondern räumt dem Gesuchsteller nur das Recht ein, vom Zeitpunkt der Volljährigkeit das Gesuch zu stellen. Es heißt im zweiten Teile der neuen Verfassungsbestimmung einerseits : Tout étranger né dans le canton est reconnu citoyen genevois à l'âge de vingt ans accomplis, s'il réunit les conditions suivantes: anderseits unter Ziffer 2: avoir résidé sur le territoire du canton pendant les cinq ans qui ont précédé la demande.

Während der erste Satz auf einen Erwerb des Genferbürgerrechtes von Gesetzes wegen schließen ließe, giebt der zweite Satz zu erkennen, daß auch der Ausländer, wie der Schweizerbürger, ein auf Erwerb des Genferbürgerrechtes gerichtetes Gesuch stellen muß, welches allerdings nicht abgelehnt werden kann, wenn die in der Verfassung aufgestellten Bedingungen in seiner Person zutreffen.

Die Stellung dieses Gesuches ist aber nach Genferverfassung in keiner Weise befristet. Während für den Schweizerbürger, der das Genferbürgerrecht erwerben will, eine solche Befristung auch nicht notwendig ist, liegt dieselbe für den Ausländer in der oben angeführten bundesrechtlichen Bestimmung. Der Ausländer kann dieses Gesuch nur solange stellen, als die zwei Jahre, für welche die bundesrätliche Bewilligung Geltung hat, noch nicht abgelaufen sind. Das ist aber in der Genferverfassung nicht ausgesprochen. Deshalb muß diese bundesrechtliche Bestimmung vorbehalten werden. Wir beantragen, den beiden Verfassungsgesetzen in der Form des nachfolgenden Bundesbeschlusses die Genehmigung zu erteilen.

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Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 26. November 1901.

Im Namen des Schweiz, ßundesrates, Der Bundespräsident: Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

996

(Entwurf.l

Bundesbeschluß betreffend

die eidgenössische Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Genf vom 21. September 1901 über die Einbürgerung und des Verfassungsgesetzes vom gleichen Datum über den protestantischen Kultus.

Die Bundesversammlung der schweizerischen. Eidgen ossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 26. November 1901 betreffend die eidgenössische Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Genf, vom 21. September 1901, über die Einbürgerung und des Verfassungsgesetzes vom gleichen Datum über den protestantischen Kultus ; in Betracht, daß dem Verfassungsgesetze über die Einbürgerung gegenüber, soweit sich dasselbe auf die Einbürgerung von Ausländern bezieht, die Bestimmungen von Art. 44 der Bundesverfassung und des in Ausführung dieser Bestimmung erlassenen Bundesgesetzes vom 3. Juli 1876 betreffend die Erteilung des Schweizerbürgerrechtes und den Verzicht auf dasselbe, insbesondere Art. 4, Absatz 3, des letztern vorbehalten bleiben müssen;

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daß die genannten Verfassungsgesetze im übrigen nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten ; daß sie in der Volksabstimmung vom 13. Oktober 1901 von der Mehrheit der stimmenden Bürger angenommen worden sind ; in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschließt: 1. Dem Verfassungsgesetz des Kantons Genf, vom 21. September 1901, über die Einbürgerung und des Verfassungsgesetzes vom gleichen Datum über den protestantischen Kultus wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Gegenüber dem Verfassungsgesetze über die Einbürgerung wird Art. 44 der Bundesverfassung und des Bundesgesetzes, vom 3. Juli 1876, betreffend die Erteilung des Schweizerbürgerrechtes und den Verzicht auf dasselbe, insbesondere Art. 4, Absatz 3, des letztern Gesetzes vorbehalten.

2. Der Bundesrat ist mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

-ja-CHs^.-

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Johann Rugel, Dampfschiffkapitäns in Romanshorn.

(Vom 22. November 1901.)

Tit.

Das Obergericht des Kantons Thurgau als Appellationsinstanz erklärte am 1. Juni 1901 den Potenten Rugel und den Emil Müller, Schiffmann in Güttingen, der fahrlässigen Schiffahrtsgefährdung schuldig, nachdem es in thatsächlicher Hinsicht folgendes festgestellt hatte: ,,Am Abend des 10. Oktober 1899 verließ das Dampfboot ,,Säntis der schweizerischen Nordostbahn fahrplanmäßig 9 Uhr 55 Minuten den Hafen von Romanshorn, um die gewöhnliche Kursfahrt Romanshorn-Lindau auszuführen, wobei auch die eidgenössische Post Beförderung fand. Bei der Ausfahrt aus der Hafenluke will der Kapitän des ,,Sänti -- der Angeklagte Rugel -- rechts von sich aus auf dem See ein Licht bemerkt haben, weshalb er annahm, es nähere sich ein Motorboot. Er befahl deshalb eine Rechtsschwenkung, um vorschriftsgemäß ausweichen zu können, und er gelangte auch bis ziemlich nahe an das heranfahrende Motorschiff, indem er die Fahrt seines Dampfschiffes verlangsamte und im letzten Moment noch ,,stoppen"' ließ und ,,rückwärts befahl. Allein nichtsdestoweniger erfolgte ein

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die eidgenössische Gewährleistung des Verfassungsgesetzes des Kantons Genf vom 21. September 1901 über die Einbürgerung und desjenigen vom gleichen Datum über den protestantischen Kultus....

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1901

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48

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27.11.1901

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992-998

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