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Schweizerisches Bundesblatt.

53. Jahrgang. II.

Nr. 17.

24. April 1901

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Bundesratsbeschluß betreffend

die Beschwerde des Siegfried Müller in Reußbühl, Luzern, betreffend Verweigerung des Grabgeläutes.

(Vom

19. April 1901.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über die Beschwerde des Siegfried M ü l l e r in Reußbühl, Luzern, betreffend die Verweigerung des Grabgeläutes; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Telegramm vom 31. Oktober 1900 beschwerte sich Schlosser Müller in Reußbühl beim Bundesrate, weil Pfarrer Stalder in Reußbühl, Geme, nde Littau, das Grabgeläute für sein Kind verweigere und Gemeinderat und kantonale Polizeidirektion keine Anordnungen treffen, um das Läuten trotzdem zu ermöglichen.

Am selben Tage lud der Bundesrat die Regierung des Kantons Luzern telegraphisch ein, den Vorschriften der Bundesverfassung unverzüglich Nachachtung zu verschaffen und Weisung Bundesblatt. 63. Jahrg. Bd. II.

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970 zu erteilen, daß die Glocken bei der Beerdigung des Kindes Müller geläutet werden.

Den 1. November 1900 antwortete der Regierungsrat dem Bundesrate, sein Polizeidepartement habe den Gemeinderat von Littau angewiesen, dafür zu sorgen, daß die Beerdigung des Kindes Müller in einer der Bundesverfassung entsprechenden Weise vorgenommen werde und das ortsübliche Geläute stattfinde, unter der Voraussetzung, daß die Beerdigung auf die ortsübliche Zeit angesetzt sei. Die Ortsbehörde Littau erklärte aber, daß die angesetzte 11. Vormittagsstunde nicht die für Beerdigungen ortsübliche sei und aus diesem Grunde das Läuten verweigert werde. In Hinsicht auf das Schreiben des eidgenössischen Justizdepartements vom 7. November 1898 habe sich die Regierung nicht zu Zwängsmaßregeln veranlaßt gesehen. Die genauere Darlegung des Saehverhaltes erfolge brieflich.

n.

Den 2./4. November 1900 übermittelte die kantonale Regierung folgende Darstellung des Sachverhaltes : Mittwoch den 31. Oktober, 12 */4 Uhr, machte Fürsprech Burri in Luzern dem Vorsteher des Polizeidepartements die telephonische Mitteilung, daß auf nachmittags 2 Uhr eine altkatholische Beerdigung in Reußbühl angesetzt sei und seitens des römischkatholischen Pfarramtes die Öffnung der Kirche behufs Vornahme des Grabgeläutes verweigert werde.

Der Departementsvorsteher schickte unverzüglich einen Landjäger nach Reußbühl ab, der dem Pfarrer die schriftliche Weisung brachte, von einer Abschließung der Kirche abzusehen, sofern sich diese Weigerung mit der bundesrätlichen Praxis betreffend Anwendung des Art. 53 der Bundesverfassung in Widerspruch setzen sollte. Gegen diese Weisung erhob Pfarrer Stalder sofort Einsprache, mit der Erklärung, des entschiedensten an der Verweigerung jedes Begräbnisgeläutes zu einer n i c h t o r t s ü b l i c h e n Z e i t festzuhalten. Zur Begründung seines Standpunktes berief er sich auf eine vom Departement am 15. November 1898 an den Gemeinderat von Littau erlassene Weisung, welche dem Pfarramte zu seinem Verhalte mitgeteilt worden war, wonach das ortsübliche Grabgeläute nur zu bewilligen sei, wenn eine Beerdigung zu ortsüblicher Zeit stattfinde.

Nachmittags nach 4 Uhr teilte Fürsprech Burri persönlich dem Polizeidirektor mit, daß die Beerdigung des Kindes Müller

971 nachmittags 2 Uhr nicht stattgefunden habe, sondern auf den folgenden Tag verschoben sei; letzterer gab ihm von der Weigerung des Pfarrers Stalder Kenntnis und behändigte ihm Kopie der Weisung vom 25. November 1898, welche anläßlich der Begräbnisangelegenheit Steinmeyer an den Gemeinderat von Littau gerichtet worden war. Abends 5l/ï Uhr verlangte Fürsprech Burri nochmals Weisung an das Pfarramt Reußbühl, unter Hinweis darauf, daß die Beerdigung auf den folgenden Tag, vormittags 11 Uhr, angesetzt sei. Es war nicht mehr möglich, mit Sicherheit festzustellen, ob diese Zeit die ,,ortsübliche" sei. Dennoch wurde durch einen Landjäger dem Gemeinderat Littau sofort die Weisung zugestellt, für Grabgeläute zu sorgen ; die Voraussetzung dieser Verfügung war, daß die angesetzte Beerdigungsstunde die ,,ortsübliche"' sei. Auf die am Donnerstag früh einlangende Depesche des Bundespräsidenten wurde der Gemeinderat nochmals angewiesen, dafür zu sorgen, daß die Beerdigung des Kindes Müller in einer den Vorschriften der Bundesverfassung entsprechenden Weise vorgenommen werde und das ortsübliche Geläute stattfinde. Gleichzeitig wurde der Gemeindeammann von Littau als Organ der Ortspolizei telephonisch aufgefordert, sich unverzüglich nach Reußbühl zu begeben, um an Ort und Stelle persönlich für den Vollzug zu sorgen. Der Chef des Landjägercorps, Polizeihauptmann Jans, erhielt den Befehl, die Weisung nach Littau zu überbringen und deren Vollzug zu überwachen.

Etwas vor 11 Uhr kehrte er aber mit der Meldung zurück, daß das Pfarramt das Glockengeläute zu dieser-Stunde (11 Va Uhr) neuerdings verweigere, da dies nicht die ortsübliche Begräbniszeit sei. Dies wurde von Jans, gemäß den Aussagen des Gemeindeammanns von Littau, Zumbühl, und des freisinnigen Verwalters Huber als richtig bestätigt; in Reußbühl wurde v o r dem vormittäglichen Gottesdienste, und spätestens bis 9 Uhr, beerdigt.

Angesichts dieser Erklärung werde auf Zwangsmaßregeln verzichtet, dagegen auf ll1/^ Uhr eine außerordentliche Sitzung des Regierungsrates anberaumt. Jedoch schon bei Beginn derselben langte aus Reußbühl die telephonische Mitteilung ein, die Beerdigung sei, allerdings ohne Grabgeläute, vollzogen worden.

Der Regierungsrat hatte also nur noch die Frage zu prüfen, ob Anlaß zu weitern Vorkehren gegenüber dem Pfarramte von Reußbühl oder dem
Gemeinderate von Littau gegeben sei. Die Frage wurde verneint, da es sich nicht um eine prinzipielle Verweigerung des Grabgeläutes bei altkatholischen Beerdigungen handelte, sondern nur das Grabgeläute außerhalb der ortsüblichen

972 Zeit abgelehnt wurde. In dieser Richtung war auf folgendes zu verweisen : Den 11. Oktober 1898 hatte Max Luschka, Vikar der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Luzern, bei der Regierung Beschwerde erhoben, weil bei der in Reußbilhl stattgefundenen Beerdigung des Kindes Steinmeyer das Läuten unterblieben sei.

Die Untersuchung ergab, daß der Vater des verstorbenen Mädchens beim Totengräber in Reußbilhl die Beerdigung verlangte, letzterer aber es unterlassen hatte, die Anzeige an die zuständige Stelle weiterzuleiten und speciell für das Geläute zu sorgen. Bei Erteilung der für die Zukunft in Betracht kommenden Weisung stellte nun das Pfarramt Reußbühl das Gesuch, es möchte verfügt werden, daß künftighin eine Bewilligung zur Vornahme eines Grabgeläutes nur dann zu erteilen sei, wenn die ortsübliche Zeit der Beerdigungsvornahme seitens der Beteiligten innegehalten werde.

Vor Erledigung des Gesuches wurde das eidgenössische Justizund Polizeidepartement angefragt, ob eine derartige Bestimmung mit der bundesrechtlichen Praxis betreffend das Beerdigungswesen im Einklänge stehen würde. Die Anfrage wurde den 7. November 1898 folgendermaßen beantwortet : Auf Ihre Anfrage teilen wir Ihnen mit, ,,daß nach unsere:Auffassung keine Verletzung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung darin liegt, daß eine konfessionelle Minderheit, welche das ortsübliche Grabgeläute verlangt, angehalten werde, die Beerdigung zur o r t s ü b l i c h e n Zeit stattfinden zu lassen.

Aus den in Salis 11, Nr. 732 ff., angeführten bundesrätlichen Entscheiden ergiebt sich, daß im Gegenteil eine Verletzung der citierten Verfassungsbestimmung darin liegen könnte, daß die Beerdigung eines Angehörigen der konfessionellen Minderheit zu einer ändern als der ortsüblichen Zeit stattfinden müßte; eine Verletzung der gleichen Bestimmung kann somit nicht darin liegen, daß verfügt wird, die Beerdigung habe zur ortsüblichen Zeit stattzufinden.

Mit Rücksicht auf diese bestimmte Erklärung wies das luzernische Polizeidepartement den Gemeinderat von Litta,u unterm 15. November 1898 an, Gemeindeammann und Friedhofverwalter dahin zu instruieren, daß das Grabgeläute bei Angehörigen der konfessionellen Minderheiten nur für die zur ortsüblichen Begräbniszeit erfolgenden Beerdigungen stattzufinden habe. In gleicher Weise glaubte das Departement
auch im heutigen Beschwerdefalle seine Verfügungen nur unter der Voraussetzung erteilen zu müssen, daß die Beerdigungsstunde die ortsübliche sei, und daß Zwangsvor~

973 kehren nur getroffen werden müssen, wenn man sich in Reußbühl weigern sollte, das Geläute für eine zu ortsüblicher Zeit stattfindende altkotholische Beerdigung zu bewilligen. Eine solche Weigerung lag nicht vor, sondern nur die Verhinderung des Grabgeläutes zu n i c h t ortsüblicher Beerdigungszeit. Daß weder die 2. Nachmittags- noch die 11. Vormittagsstunde die ortsübliche Beerdigungszeit in Reußbühl ist, ergiebt sich nicht bloß aus der Erklärung des Pfarramtes und der beiden, verschiedenen politischen Parteien angehörenden Gemeinderatsmitglieder Zumbühl und Huber, sondern auch aus einem seitens der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Luzern den 7. Dezember mit dem katholischen Pfarramte Reußbühl getroffenen Übereinkommen, in welchem die Beerdigungszeit für Sommer und Winter auf jeweilen vormittags 8A/2 festgesetzt wird.

So sehr die Regierung bedauert, daß im Beerdigungfalle Müller das Grabgeläute unterblieben ist, so sehr glaubt sie doch darauf hinweisen zu sollen, daß die Beerdigung auf eine außerortsübliche Stunde angesetzt worden ist. Die Eltern Müller wurden vom Friedhofverwalter Huber rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht, welches die ortsübliche Beerdigungszeit sei. Hätte man sich dem Ortsgebrauche gefügt, so wäre das unliebsame Vorkommnis unterblieben. Immerhin giebt dasselbe der Regierung Veranlassung, dafür zu sorgen, daß die einschlägigen Verhältnisse seitens des Gemeinderates von Littau thunlichst bald durch eine formelle Verordnung für die Zukunft geregelt werden ; ein Entwurf ist vom Gemeinderate bereits eingereicht worden, konnte aber eines dagegen erhobenen Rekurses wegen noch nicht erledigt werden.

III.

Mit Eingabe vom 22; November 1900 hielt der Rekurrent ·diesen Ausführungen der Kantonsregierung folgendes entgegen : Die anfangs festgesetzte zweite Nachmittagsstunde wurde aus dem Grunde gewählt, weil bis jetzt die christkatholischen Beerdigungen im ganzen Kanton Luzern nachmittags abgehalten worden waren. Vom gegenwärtigen Pfarrer Küng sind solche zu dieser Zeit in Wohlhusen, Großwangen, Kriens, Rothenburg, Meggen und Reußbühl vorgenommen worden. Die Verweisung von Gemeinderatsmitglied und Friedhofverwalter Huber an den römisch-katholischen Pfarrer war inkorrekt, da nicht der letztere, sondern die Gemeindebehörde für das Grabgeläute zu sorgen

974 hatte. Der Pfarrer gab den Bescheid, es werde um 2 Uhr nicht geläutet. Nachdem aber der kantonale Polizeidirektor p unkt 12 Uhr nachmittags telephonisch versprochen hatte, den Pfarrer zu veranlassen, daß geläutet werde, begab sich der christkatholische Pfarrer nach Reußbühl, um die Beerdigung vorzunehmen. Dort vernahm er aber vom Verwalter Huber, Pfarrer Stakler beharre, auf seiner Weigerung. Die Kirche war abgeschlossen. Wiederholtes telephonisches Anfragen des Pfarrers Küng im Regierungsgebäude blieb unbeantwortet, wiewohl der Polizeidirektor dort anwesend war. Fürsprech Burri begab sich alsdann -- nachmittags 4 Uhr -- ins Regierungsgebäude und erhielt den Bescheid des Departementschefs, er könne in der Sache nichts thun, da die 2 Uhrstunde nicht die ortsübliche sei und Pfarrer Stalder sich auf eine Weisung des Polizeidepartements vom 15. November 1898 berufe. Fürsprech Burri wurde Abschrift dieser Weisung und ein Brief des Pfarrers Stalder an den kantonalen Justizdirektor vom 31. Oktober 1900 zur Einsicht gestellt. Der Brief lautete: ,,Bezugnehmend auf meine vor zwei Jahren erfolgte Eingabe und Ihre infolgedessen erfolgte Weisung an den Gemeinderat Littau vom 15. November 1898 halte des entschiedensten an der Verweigerung jedes Begräbnisgeläutes zu einer nicht ortsüblichen Zeit fest. Dies habe den betreffenden Angehörigen bereits heute morgen mitgeteilt. Die Schuld an dieser neuen Affaire liegt beim Gemeinderat, der bis jetzt keine Verordnung getroffen hat, welche mit Ihrer damaligen Weisung und meiner wohlberechtigten Forderung im Einklang steht. Meinen Standpunkt werde ich nötigenfalls durch alle Instanzen vertreten." -- Fürsprech Burri berichtete das Resultat seiner Unterredung telephonisch an Pfarrer Küng und dieser verschob, da es inzwischen 4 J /4 Uhr geworden war und die Gemeinderatsmitglieder Zumbühl und Huber ihm mitteilten, daß die elfte Vormittagsstunde eines Feiertages für Beerdigungen nicht römisch-katholischer Gemeindeangehöjiger die übungsgemäße sei und mit der in einer gemeinderätlichen Verordnung festgesetzten Zeit stimme, die Beerdigung des Kindes Müller auf den 1. November (Allerheiligen), vormittags 11 Uhr. Allein, als er um tdiese Zeit die Beerdigung vornehmen wollte, erklärten die Gemeinderäte Zumbühl und Huber, daß sie keine Kompetenz besäßen, das Geläute anzuordnen. Sie
bestätigten, daß der Gemeinderat von Littau durch eine Verordnung die Beerdigungszeit für Angehörige anderer Konfessionen festgesetzt habe, daß dieselbe aber von Pfarrer Stalder angefochten worden sei und der Regierungsrat einen Entscheid noch nicht ge-

975 C

fallt habe. Die Kapelle blieb geschlossen und Pfarrer Küng vollzog die Beerdigung ohne Grabgeläute.

Nach dem Vorstehenden ist also die Stellungnahme der kantonalen Regierung nicht begründet. Die ortsübliche Zeit für Beerdigungen nicht römisch-katholischer Bürger war bis vor kurzem diejenige vormittags n a c h dem römisch-katholischen Gottesdienst.

Der Gemeinderat Littau setzte in seiner Verordnung vom 19. Januar 1899 fest, daß Angehörige anderer Konfessionen n a c h Schluß des römisch-katholischen Gottesdienstes bis 9 J /2 Uhr vormittags zu beendigen seien, an Sonntagen ,,bis auf eine Stunde nach Schluß des vormittäglichen römisch-katholischen Gottesdienstes'1.

Die nähere Bestimmung der Zeit der Beerdigung, sowie die Anordnungen betreffend Grabgeläute sind Sache des Friedhofverwalters, dem vom Todesfalle von den Angehörigen sofort Anzeige zu machen ist. Wenn der Lejchenzug in der Nähe der Reußbühlkapelle erscheint, soll der Sigrist ortsüblich wie bei katholischen Beerdigungen läuten, bis der Beerdigungsakt beendigt ist.a In seiner Beantwortung des von Pfarrer Stalder gegen diese Verordnung erhobenen Rekurses, in welchem die Beerdigung ,,Andersgläubiger"1 für Werktage auf 8 lfa Uhr verlangt wurde, betonte der Gemeinderat, er habe die Verordnung nicht auf Beerdigungen von Römisch-Katholischen ausgedehnt, weil bezüglich derselben nie Reklamationen eingegangen seien, wohl aber fast allemal bei Beerdigungen von Andersgläubigen. Dem Wunsche des Pfarrers Stalder habe er nicht Folge gegeben, weil er befürchtete, mit Ansetzung einer genau bestimmten Zeit werden neue Mißhelligkeiten entstehen, wenn die Zeit nicht genau innegehalten werden könnte. Obwohl der Regierungsrat den 19. April 1900 um endliche Erledigung des anhängigen Rekurses ersucht worden war, ist derselbe bis zur Stunde nicht beurteilt worden.

Es muß auch betont werden, daß die Beerdigungen nicht römischkatholischer Gemeindeangehöriger vom Gemeinderate namentlich auch deshalb n a c h dem römisch-katholischen Gottesdienst angesetzt wurden, weil zu denselben der Pfarrer aus der Stadt kommen muß.

Die Weisung des Pfarrers Stalder an den Friedhofverwalter, daß die auf Allerheiligen verschobene Beerdigung ,,zur ortsüblichen Zeit, also längstens bis */* vor 9 Uhra stattzufinden habe, falls dabei geläutet werden solle; für das Läuten sei dem
Pfarrsigrist und seinen Angehörigen die Mitwirkung untersagt, erhielt der Friedhofverwalter erst morgens 8 Uhr 20 Minuten, also zu einer Zeit, wo es unmöglich gewesen wäre, die Beerdigung noch

976 nach dem Verlangen des römischkatholischen Pfarrers anzuordnen.

Das Schreiben selbst zeigt übrigens, daß es auch der Pfarrer noch für nötig fand, zu sagen, was unter ,,ortsüblicher11 Zeit verstanden sei; allerdings in einem Momente, wo diese Auskunft nichts mehr nützen konnte.

Gemeindeammann Zumbühl und Verwalter Huber haben tags zuvor, als der christkatholische Pfarrer ihnen die Verschiebung der Beerdigung bekannt gab, demselben mitgeteilt, es seien bisher Beerdigungen nicht römisch-katholischer Gemeindeangehöriger ordnungsgemäß zu dieser Zeit abgehalten worden, welche auch mit der von der gemeinderätlichen Verordnung vorgesehenen übereinstimme. Sie waren also der Ansicht, diese Verordnung, welche bisheriger Praxis entsprach, gelte bis zu einem ändern Entscheide des Regierungsrates. Darin, daß die Regierung diese Verordnung, die nicht sistiert worden war, absichtlich ignorierte und auch die für analoge Fälle bisher beachtete konstante Praxis nicht berücksichtigte, sondern dem widerspenstigen Pfarrer den Willen ließ, liegt ein Verstoß gegen den Art. 53 der Bundesverfassung und gegen die bundesrätliche Praxis. Der Vorhalt der Regierung, die Christkatholiken hätten durch Außerachtlassen der ortsüblichen Beerdigungszeit die Verweigerung des Grabgeläutes selbst verschuldet, ist um so ungerechtfertigter, als weder die Trauerfamilie noch das christkatholische Pfarramt gehörig und rechtzeitig zur Einhaltung einer ,,ortsüblichen Zeita, d. h. einer ändern als der bisher üblichen Stunde, verhalten wurden.

An diese Bemerkungen anschließend wird das Gesuch gestellt, es möge der Bundesrat das Verhalten des Regierungsrates von Luzern, als mit Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung nicht im Einklänge stehend, rügen und den Regierungsrat einladen, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, daß in Zukunft die vom Bundesrecht geforderte schickliche Form der Beerdigung (Glockengeläute) beobachtet werde.

IV.

Zur Vernehmlassung über die obigen Ausführungen des Beschwerdeführers eingeladen, übermittelte der Regierungsrat des Kantons Luzern den 15./21. Dezember 1900 folgende Gegenbemerkungen : Heute ist die Frage streitig, ob die beiden verschiedenen Tagesstunden, auf welche die Beerdigung des Kindes Müller angesetzt worden war, als ,,ortsübliche Beerdigungszeit" angesehen werden können.

977

Die zwei Mitglieder des Genieinderates, Zumbühl und Huber, bestätigten bei der vom Polizeideparternent angeordneten Einvernahme die Richtigkeit der Behauptung des katholischen Pfarrers, daß die Beerdigung des Kindes Müller zu einer nicht ortsüblichen Zeit verlangt wurde. Diese Behauptung wiederholten sie am 1. November morgens, als der Polizeihauptmann und der Reußbühler Landjäger an Ort und Stelle waren, um nötigenfalls auf dem Wege der Gewalt für die Öffnung der Kirche und Vornahme des Grabgeläutes zu sorgen. Wenn nun diese beiden Beamten, welche die Mehrheit des dreigliedrigen Gemeinderates von Littau repräsentieren, nachträglich nicht mehr mit der gleichen Sicherheit an der damals abgegebenen Erklärung festhalten, so kann dies an der Sachlage, wie sie am 31. Oktober /l. November gegeben war, nichts ändern. Der Weg, auf dem sich das Polizeideparfcement über die ortsübliche Beerdigungszeit zu vergewissern suchte, war der richtige und im damaligen Moment auch der einzig mögliche. Die weitere Frage, ob der Vorsteher des Polizeidepartements trotz dieser Erklärung der zuständigen Beamten das Geläute a u ß e r der ortsüblichen Beerdigungszeit hätte erzwingen dürfen, ist durch die Weisung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 7. November 1898 verneinend beantwortet. Im übrigen geht aus dem Unstande, daß das kantonale Polizeidepartement nicht bloß den in Reußbühl stationierten Landjäger, sondern auch den Landjägerhauptmann an Ort und Stelle schickte, um nötigenfalls die Kirchthüre gewaltsam zu öffnen, wenn das Geläute in der üblichen Beerdigungsstunde verweigert werden wollte, zur Evidenz hervor, daß der Wille vorhanden war, den Vorschriften der Bundesverfassung rückhaltlos Nachachtung zu verschaffen. Es wird noch speciell auf die Erklärung des Verwalters Huber verwiesen, daß er die Eltern des verstorbenen Kindes schon am 30. Oktober darauf aufmerksam gemacht habe, daß zu einer außergewöhnlichen Beerdigungszeit ein Grabgeläute nicht stattfinden könne. Die telephonische Anfrage im Regierungsgebäude blieb am 31. Oktober resultatlos, weil der Vorsteher des Militär- und Polizeidepartements und sein Sekretär infolge anderweitiger Konferenz im Bureau nicht anwesend waren.

Der persönlich erschienene Fürsprech Burri erhielt die Zusicherung, daß die nötigen Vorkehrungen getroffen seien, nm
das Grabgeläute unter allen Umständen zu erzwingen, vorausgesetzt, daß wirklich die Beerdigung auf die ortsübliche Zeit angesetzt sei.

Eine Verschleppung des Rekurses Stalder war nicht beabsichtigt ; die Entscheidung verzögerte sich infolge verspäteter Ver-

978 nehmlassung des bischöflichen Kommissariates. Den 24. November 1900 hat das Polizeidepartement dem Regierungsrate einen Erledigungsantrag vorgelegt; derselbe ist aber mit Rücksicht auf die Beschwerdesache Müller noch nicht behandelt worden. Die Erledigung hätte auch nur eine provisorische sein können, da in den nächsten Monaten der Bezug einer neuen Kirche für die bisher nur mit einer Kapelle versehene Pfarrgemeinde Reußbühl bevorsteht. Mit dem Einzug in die neue Kirche werden voraussichtlich bezüglich Beerdigungen und Grabgeläute neue Vorschriften erlassen werden. Der Antrag der Polizeidirektion geht dahin, durch die Motivierung des Rekursentscheides Stalder ausdrücklich festzustellen, daß a l l e Beerdigungen in der Kirchgemeinde Reußbühl zu der bis anhin ortsüblichen Zeit stattfinden müssen; entgegen einer Einwendung des Fürsprechs Burri, wonach auf diesem Wege die Vornahme altkatholischer Beerdigungen auf dem Reußbühlfriedhofe verunmöglicht werde, indem die angegebenen Begräbnisstunden mit dem altkatholischen Gottesdienste kollidieren.

Der Regierungsrat ersucht demgemäß den ßundesrat nachdrücklichst, dem Rügebegehren des Rekurrenten keine Folge zu geben ; was den zweiten Teil seines Antrages anbelangt, so erklärt die Kantonsbehörde, wie bis anhin auch in der Zukunft zu jeder Zeit bereit zu sein, den Vorschriften der Bundesverfassung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln Nachachtung zu verschaffen.

V.

In seinen Gegenbemerkungen vom 15. Januar 1901 hält der Beschwerdeführer daran fest, daß die sogenannte ortsübliche Zeit, v o r dem römisch-katholischen Gottesdienst nur für die Angehörigen der römisch-katholischen Kirche existierte. Nicht am 30., sondern erst am 31. Oktober hat Verwalter Huber, nachdem der Pfarrer das Geläute verweigert hatte, den Vater Müller aufgefordert, beim kantonalen Polizeidirektor vorstellig zu werden ; der letztere gelangte nun aber nicht in erster Linie an die Gemeindebehörde, sondern an das römisch-katholische Pfarramt. Im Kanton Luzern werden, mit Ausnahme der Stadt, die römisch-katholischen Beerdigungen alle unmittelbar vor dem Trauergottesdienste, der iu einer Vormittagsstunde abgehalten werden muß, vorgenommen.

So ist auch in Reußbühl die ,,ortsübliche Zeita entstanden, die sich auf keine Anordnungen einer bürgerlichen Behörde zurückführen läßt. Wenn die luzernische Regierung nur die vom römisch-katholischen Pfarrer festgesetzte Zeit für alle Konfessionen

970 als Begräbnisstunde anordnet, so ist das offenbar eine Bevorzugung einer Konfession vor den ändern, die mit der Bundesverfassung nicht vereinbar ist. Damit wird es verunmöglich t, Christkatholiken und oft auch Protestanten in luzernischen Landgemeinden schicklich zu beerdigen ; abgesehen vom christkatholischen Trauergottesdienst oder dem Sonntagsgottesdienste, der mit der ,,ortsüblichen"1 Zeit kollidiert, ist es oft schon wegen der örtlichen Entfernung unmöglich, so früh zu beerdigen.

In seinen Schlußbemerkungen vom 23. Februar 1901 hält der Regierungsrat des Kantons Luzern daran fest, daß zu der in Frage kommenden Zeit bezüglich der ,,ortsüblichen" Beerdigungsstunde eine Übereinstimmung bei den maßgebenden Gemeindebeamten bestanden habe. Deren übereinstimmende Erklärung, daß die Stunde, zu welcher am 1. November die Beerdigung stattfinden sollte, nicht als die ,,ortsübliche Beerdigungszeit" angesehen werden könne, war ja gerade die Ursache, daß Polizeihauptmann Jans den vom Vorsteher des Polizeidepartements erhaltenen Befehl, das Grabgeläute nötigenfalls auf dem Wege der Gewalt zu erzwingen, nicht vollzog. Hätten die Gemeindebeamten am 1. November ihre Erklärungen nicht so bestimmt abgegeben, und wäre auch nur der geringste Anlaß zu der Annahme, daß in Reußbühl eine bestimmte Übung betreffend Beerdigungszeit nicht bestehe, vorhanden gewesen, so würde das Polizeidepartement keinen Moment gezögert haben, auf dem Vollzüge der an den Polizeihauptmann erteilten Weisung zu beharren.

Am 2. November sagte Verwalter Huber vor dem Polizeidirektor aus, er habe Vater Müller schon bei der ersten Anzeige von dem Todesfalle darauf aufmerksam gemacht, daß zu der angesetzten Stunde wohl kaum beerdigt werden könne, weil dieselbe eine außergewöhnliche sei. Es erfolgte also diese Bemerkung gegenüber Müller, bevor eine Weigerung des Pfarramtes betreffend Grabgeläute vorlag. Ganz unrichtig ist die Behauptung des Rekurrenten, als wäre der Polizeidirektor in erster Linie an das römisch-katholische Pfarramt gelangt. Das Polizeidepartement hat in der ganzen Angelegenheit nie allein mit dem römisch-katho. lischen Pfarramte verhandelt, sondern es wurde diesem letztern jeweilen nur von den an den Gemeinderat erlassenen Weisungen Kenntnis gegeben.

Der Vorschlag des Polizeidepartements für den Entscheid in Rekurssachen
des Pfarrers Stalder hat den Sinn, daß die Zeitbestimmung betreffend ortsübliche Begräbnisordnung in einer bezüglichen Gemeindeverordnung nicht von dem Gottesdienste einer

980 bestimmten Konfession abhängig gemacht werden dürfe und eine Vorschrift des Inhaltes, ,,es werde V*> 1/s Stunde vor oder nach dem römisch-katholischen Gottesdienste beerdigt", als unzulässig bezeichnet werden müsse. Eine solche Verordnung soll die Zeit, zu der alle Beerdigungen stattzufinden haben, ganz präcis bezeichnen und ausdrücklich normieren, daß zu einer bestimmten Stunde (um 8, 9, 1/2&i Ys9 etc.) beerdigt werde. In dem zu treffenden Rekursentscheide Stalders soll nun festgestellt werden, welches bis anhin die ortsübliche Beerdigungszeit war, und es soll diese letztere auch für die Zukunft als maßgebend aufgestellt werden. Es ist nun nicht ausgeschlossen oder es ist sogar sehr wahrscheinlich, daß die bisherige Übung betreffend Beerdigungszeit sich mit Rücksicht auf den Beginn des römisch-katholischen Gottesdienstes gebildet hat. Dies ändert aber nichts an der Thatsache, daß wir es mit einer feststehenden Übung zu thun haben.

Sobald diese letztere in der Form in die Gemeindeverordnung aufgenommen wird, daß die Stunde der Beerdigung genau angegeben wird, ohne Bezugnahme auf den Gottesdienst irgend einer Konfession, kann mit Grund auch nicht behauptet werden, daß eine Bevorzugung einer bestimmten Konfession vorliege.

Der Regierungsrat ist der Meinung, daß es richtiger ist, für alle Beerdigungen ohne Rücksicht auf die Konfession der zu Beerdigenden eine einheitliche Beerdigungsstunde festzusetzen, als es jeder Konfession zu überlassen, zu jeder ihr konvenierenden Stunde die Beerdigungen vorzunehmen und das Grabgeläute zu verlangen. Eine solche Gleichstellung aller Konfessionen entspricht offenbar auch mehr dem Geiste der Bundesverfassung als eine gegenteilige Verordnung. Im übrigen spricht auch noch die praktische Erwägung für diese Auffassung, daß in Gemeinden, in denen bei Beerdigungen wie in Alarmfällen (Feuer etc.) in gleicher Weise geläutet wird, Verwirrungen vermieden werden.

Die Festsetzung der Beerdigungszeit ist Sache der bürgerlichen Behörden ; wenn jedoch in einer solchen Verordnung in Anlehnung an eine bestehende Ortsübung indirekt auf den Gottesdienst einer bestimmten Konfession Rücksicht genommen wird, dürfte ein Grund zum Einschreiten für die kantonale Aufsichtsbehörde so lange nicht gegeben sein, als die betreffende Verordnung die Beerdigungsstunde für alle Konfessionen
einheitlich ohne Bezugnahme auf irgend welchen Gottesdienst bestimmt und präcis fixiert.

Es mag sein, daß die Durchführung einer einheitlichen Beerdigungszeit für die Altkatholiken einige Inkonvenienzen bieten

981 kann, solange für den ganzen Kanton Luzern nur ein einziger altkatholischer Geistlicher vorhanden ist, wie dies bis anhin der Fall war. Die Protestanten haben gegen eine solche Anordnung nichts einzuwenden, wie dies aus dem Schreiben der evangelischreformierten Kirchgemeinde Luzern vom 7. Dezember 1898 hervorgeht. Jedenfalls kann dieser Einwendung nicht die Bedeutung beigemessen werden, daß mit Rücksicht auf dieselbe eine Aufhebung bezw. Desavouierung der Weisung des eidgenössischen, Justiz- und Polizeidepartements vom 7. November 1898 angezeigt erscheint.

VI.

Folgende zu den Akten gegebene Beweiseinlagen sind bei Entscheidung der Sache zu berücksichtigen : 1. Brief des Pfarrers J. Stalder an Verwalter Huber, vom, 1. November 1900 : ,,Gestützt auf die Weisung der Polizeidirektion erkläre ich, daß die auf heute verschobene altkatholische Beerdigung zur ortsüblichen Zeit, also längstens bis 1/i vor 9 Uhrstattzufinden hat, falls dabei geläutet werden soll. Zu einer späterii.

Zeit wird das Läuten nicht mehr gestattet. Für das Läuten müssen Sie in jedem Falle selber sorgen, da ich dem Pfarrsigrist und seinen Angehörigen die Mitwirkung untersagt habe. Vor dem Gottesdienst, der um 9 Uhr beginnt, ist die Kirche offen. u 2. Erklärung des Kirchmeiers Fried. Ineichen, vom 2. No^ vember 1900, ,,daß die ortsübliche Beerdigungszeit für Reußbühl nicht 11 Uhr vormittags ist, sondern daß die Beerdigungen stetsfort an Werktagen zwischen 7--8 Uhr und an Sonn- und Feier-, tagen zwischen 8--9 Uhr vorgenommen werden".

3. Erklärung des Albert Huber, Verwalter, vom 2. November 1900, ,,daß nach Ortsübung in der Pfarrgemeinde Reußbühl v o r dem Gottesdienste beerdigt wird, spätestens vormittags 9 Uhr.

Der Gemeinderat hat seiner Zeit ein Reglement betrefiend Beerdigung erlassen ; dasselbe ist aber nicht in Kraft getreten, da es eines dagegen erhobenen Rekurses wegen noch beim Regierungsrate liegt. Ausnahmsweise wurde einmal (1893) ein Altkatholik nachmittags 2 Uhr und einmal ein Angehöriger der Heilsarmee vormittags ca. 10 Uhr beerdigt. Unterzeichneter hat übrigens unterm 31. Oktober, nachmittags, den Eltern des Kindes Müller erklärt, daß das Geläute bei einer auf nachmittags 2 Uhrangesetzten Beerdigung veraussichtlich nicht stattfinden werde, weil das nicht die übliche Beerdigungszeit sei."

982 4. Gemeindeammann Theod. Zumbühl erklärt den 2. November 1900, ,,daß die Behauptung des Herrn Pfarrers Küng, als habe er ihm erklärt, die elfte Vormittagsstunde sei die ortsübliche Beerdigungszeit, unwahr ist".

5. Denselben Tag erklärt Polizeikorporal J. Wyß, daß Polizeihauptmann Jans ^,den Herren Gemeindeammann Th. Zumbühl und Verwalter A. Huber erklärt habe, daß laut Angabe des Herrn Pfarrers J. Stalder die ortsübliche Zeit für Beerdigungen in Reußbühl an Sonn- und Feiertagen morgens von 8--9 Uhr und an Wochentagen von 7--8 Uhr" sei. Hierauf haben die beiden erklärt: ,,Es sei bis zur Stunde richtig so beerdigt worden, u c aber offizielle Bestimmungen bestehen noch nicht."

a 6. Den 1. November 1900 giebt Polizeihauptmann Jans die Erklärung ab, daß ihm an diesem Tage, morgens 9 Uhr, Pfarrer Stalder erklärt habe, die ortsübliche Zeit für dortige Beerdigungen sei für die Sonntage 8--9 Uhr, für die Wochentage 7--8 Uhr.

,,Dieses dern Gemeindeammann Zumbühl und Verwalter Huber in Anwesenheit von Landjägerkorporal Wyß eröffnend, erklärten dieselben, der Pfarrer habe die Anordnung betreffend Begräbnis, ein gemeinderätlicher Beschluß sei noch nicht erfolgt."

7. In zwei Schreiben des kantonalen Polizeidepartements, vom 15. November 1898, an Max Luschka, Vikar der protestantischen Gemeinde Luzern, sowie an den Gemeinderat Littau, wird anläßlich der Beerdigungsangelegenheit Pauline Steinmeyer darauf hingewiesen, daß zur Verhütung von Unregelmäßigkeiten ,,der Totengräber zu instruieren sei, daß er die an ihn gelangenden Beerdigungsgesuche umgehend an den Gemeindeammann, bezw.

den Friedhofverwalter weiterzuleiten habea.

8. Den 20. November 1900 ,,ergänzt Verwalter A. Huber seine am 2. November ausgestellte Erklärung dahin, daß nach Ortsübung in der Pfarrgemeinde Reußbühl v o r dem Gottesdienste nur die römisch-katholischen Beerdigungen stattfanden, nicht aber diejenigen anderer Konfessionen, welche gegenteils bisher ihre Bestattungen n a c h dem vormittägigen Gottesdienste, öfters auch erst nachmittags abhalten". So fanden statt: Beerdigung Twerenbold (altkatholisch), im Jahre 1893, nachmittags 2 Uhr; einer Frau Pfyffer (protestantisch), nachmittags 2 Uhr, jedenfalls nach dem Gottesdienst; ebenso wurde in den Fällen Grüter, -Hafner, des Kindes Arber, eines Joh. ßüttler, des Hafners Weingartner (1899), des Kindes Villiger (Heilsarmee, 1900) n a c h dem

983 Gottesdienst beerdigt, und in allen Fällen fand das Grabgeläute statt, mit Ausnahme des am Charfreitag beerdigten Weingartner.

9. Nach einem Auszug aus dem Sterbebuch der christkatholischen Pfarrei wurden auf dem Friedhof Reußbühl begraben: Xaver Twerenbold, den 11. Juni 1893, nachmittags 2 Uhr.

Kind F. J. Zimmermann, den 10. Januar 1894, vormittags oder nachmittags.

Barbara Huwyler, den 15. Dezember 1894, nachmittags 2 Uhr.

10. Reformierterseits wurden in Reußbühl gemäß einer Erklärung des Pfarrers M. Locher mit Geläute beerdigt: Emma Arber, am 18. August 1896, um 11 Uhr oder nachmittags.

Melchior Grüter, am 11. Dezember 1896, dem das römisch-katholische Begräbnis verweigert worden war, vormittags 8--9 Uhr.

Walter R. Thierstein, am 12. (Sonntags) Juni 1898, um 11 Uhr.

11. Der evangelische Pfarrer Luschka schreibt an Pfarrer Küng, daß er vor seinem Rencontre mit Pfarrer Stalder im Jahre 1898 die Beerdigungen zu jeder beliebigen Zeit vorgenommen habe, wie jedenfalls auch sein Vorgänger.

12. Die luzernische Verordnung vom 13. März 1878, betreffend das Friedhof- und Begräbniswesen und die Leichenschau, überträgt in § 6 die Aufsicht über die Friedhöfe dem Gemeinderat und giebt ihm das Recht, mit Genehmigung des Sanitätsrates eine Lokalverordnung über das Begräbniswesen zu entwerfen. Über das Glockengeläute enthält die Verordnung keinerlei Bestimmung.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: 1. Mit Rücksicht auf die bisherigen Entscheidungen des Bundesrates steht außer Frage, daß das Glockengeläute, wo es ortsüblich ist, zu einer schicklichen Beerdigung gehört.

2. Sobald die Ortsübung als maßgebend bezeichnet wird, muß auch die ortsübliche Zeit der Beerdigung mit in Betracht fallen ; denn das Geläute, wenn es der Übung gemäß stattfindet, erfolgt dann eben nur zu der Zeit, an welcher übungsgemäß Begräbnisse stattfinden.

3. Diese Folgerung kann aber nur da gezogen werden, wo eine bestimmte ortsübliche Zeit für Begräbnisse nachgewiesen ist.

984 4. Ferner muß es als in der Befugnis der bürgerlichen Behörden, welche das Begräbniswesen zu ordnen haben, liegend angesehen werden, die Zeit, in welcher Begräbnisse ordentlicherweise vorgenommen werden dürfen, zu bestimmen. -- Dies ist auch in der luzernischen Verordnung vom 13. März 1878 (vergleiche VI, Ziff. 12) anerkannt.

Es steht fest, daß am 1. November 1900, an welchem Tage die Beerdigung des Kindes Müller stattgefunden hat, ein Reglement der bürgerlichen Behörden, in welchem die Beerdigungszeit geordnet worden wäre, nicht bestand. Gegen den Entwurf einer Verordnung des Gemeinderates von Littau war durch den römisch-katholischen Pfarrer an den Regierungsrat Beschwerde geführt worden und über diese Beschwerde war am 1. November 1900 noch nicht entschieden. -- Auch der Entscheid der Polizeidirektion des Regierungsrates des Kantons Luzern in Sachen Steinmann (Schreiben der Polizeidirektion des luzernischen Regierungsrates vom 15. November 1898 an Herrn Pfarrer Luschka und den Gemeinderat von Littau) enthält keine Bestimmung über die ortsübliche Zeit, sondern nur die Weisung, daß konfessionelle Minderheiten, wenn sie das Glockengeläute verlangen, sich an die ortsübliche Zeit zu halten haben.

5. Es muß also untersucht werden, ob eine ortsübliche Zeit für Begräbnisse in Reußbühl nachgewiesen werden könne. Darüber läßt sich aus den vorliegenden Akten folgendes ermitteln: Es unterliegt keinem Zweifel, daß nach der herrsehenden Ortsübung die Begräbniszeit für Angehörige des römisch-katholischen Glaubensbekenntnisses an Wochentagen von 7--8 Uhi-, an Sonn- und Feiertagen von 8--9 Uhr fällt. Es fragt sich nur, ob für Angehörige anderer Konfessionen sich eine besondere, hiervon abweichende Übung ausgebildet hat.

Über die Begräbniszeit läßt sich feststellen : Nach einem Auszug aus dem Sterbebuch der christ-katholischen Pfarrei Luzern wurden in Reußbühl beerdigt: Xaver Twerenbold, am 10. Juni 1893, nachmittags 2 Uhr.

Kind F. J. Zimmermann, am 10. Januar 1894, vormittags oder nachmittags.

Barbara Huwyler, am 15. Dezember 1894, nachmittags 2 Uhr.

Aus einer Bescheinigung des reformierten Pfarrers Martin Locher in Luzern ergiebt sich, daß beerdigt wurden: Melchior Grütter, 11. Dezember 1896, morgens ca. 8--9 Uhr.

Walter R. Thierstein, 12. Juni 1898, vormittags 11 Uhr.

985 Der evangelische Pfarrer H. Luschka bescheinigt, daß die Beerdigung des G. Beutler am 16. Januar 1898, nachmittags 3 oder 3l/2 Uhr stattgefunden hat.

Bei allen diesen Beerdigungen hat das Glockengeläute stattgefunden.

Pfarrer Luschka bescheinigt im weitern, daß er bis zum Falle Steinmann die Beerdigungen zu jeder beliebigen Zeit vorgenommen habe.

Nach dem Zeugnis des Friedhofverwalters Huber vom 20. November 1900, welches allerdings nicht ganz einwandsfrei ist, da er sich am 2. November 1900 vor dem Regierungsrate nicht in derselben Weise äußerte und seine Angabe über die Begräbniszeit Grütter (siehe oben) nicht mit der des protestantischen Pfarrers übereinstimmt, wurde beerdigt: Frau Pfyffer (protestantisch), 1893, nachmittags 2 Uhr.

Sodann zählt er noch ohne andere Zeitangabe als ,,nach dem Gottesdienste", d. h. also ungefähr nach 10 Uhr, die Begräbnisse folgender Personen auf: Grüter, Hafner, Kind Arber, Job. Büttler (identisch mit dem obengenannten G. Beuttier ?), Weingartner, Hafner (1900).

In allen diesen Fällen, mit Ausnahme des letzten Begräbnisses, das an einem Charfreitag stattfand sind die Glocken geläutet worden. Hiermit wäre thatsächlich eine während sieben Jahren (1893--1900) bestehende Übung nachgewiesen, die mit Ausnahme des Falles Grüter dahin gehen würde, daß Beerdigungen von Mitgliedern anderer Konfessionen als der römischkatholischen, teils vormittags 11 Uhr, teils nachmittags 2--3 Uhr stattgefunden hätten.

Dieser Zeitraum wäre an sich lange genug, um eine Gewohnheit zum Ausdrucke zu bringen ; auch ist die Gewohnheit mit Ausnahme des Falles Grüter, selbst wenn man bei diesem das Zeugnis des protestantischen Pfarrers als das den Thatsachen entsprechende annimmt, wenigstens insofern eine gleichförmige, als entweder vormittags 11 Uhr oder nachmittags 2 Uhr beerdigt wurde.

Zur Bildung einer Ortsübung, d. h. eines auf einen lokalen Kreis beschränkten Gewohnheitsrechtes, gehört aber auch die Überzeugung, daß der Handelnde im Bewußtsein der Ausübung eines Rechtes handelt, und zwar wird diese Überzeugung bei Bundesblatt. 53. Jahrg. Bd. II.

64

986

allen denjenigen Personen vorhanden sein müssen, welche mit dem von der Übung betroffenen Verhältnis, sei es in ihrer Berufsstellung, sei es in anderer Weise, in nähere Berührung kommen.

Diese Personen sind in vorliegendem Falle : Die Bevölkerung vom Reußtthal, speciell die Angehörigen von beerdigten Personen, die Gemeindebeamten und die Pfarrer der verschiedenen Religionsgenossenschaften .

Von Gemeindeangehörigen liegen keine Äußerungen vor ; die Gemeindebeamten gehen in ihren Aussagen auseinander.

Gemeindeammann Zumbühl erklärt des bestimmtesten, sowohl am 2. November 1900, als in seinem Schreiben an Pfarrer Kury vom 13. November 1900, daß die Beerdigungszeit vor den vormittäglichen Gottesdienst falle.

Friedhofverwalter Huber giebt am 2. November 1900 eine übereinstimmende Erklärung ab, mit der Beifügung, daß ,,ausnahmsweise einmal (1893) ein Altkatholik nachmittags 2 Uhr und einmal ein Angehöriger der Heilsarmee vormittags ca. i 0 Uhr beerdigt wurde a .

In demselben Zeugnis bescheinigt er, daß er am 31. Oktober den Eltern des Kindes Müller erklärt haben will, daß nachmittags 2 Uhr nicht die ortsübliche Beerdigungszeit sei.

In seinem spätem von dem Rekurrenten eingelegten Zeugnisse vom 20. November 1900 spricht er sich in Ergänzung seiner früheren Aussage dahin aus, ,,daß nach Ortsübung in der Pfarrgemeinde Reußbühl vor dem Gottesdienste nur die römischkatholischen Beerdigungen stattfanden, nicht aber diejenigen anderer Konfessionen, welche gegenteils bisher ihre Bestattungen n a c h dem vormittägigen Gottesdienste, öfters auch erst nachmittags abhieltenct.

Hier behauptet er also im Widerspruch mit seinem früheren Zeugnisse das Bestehen einer abweichenden Ortsübung für die Begräbnisse anderer Konfessionen.

Die Aussagen der Pfarrer sind insofern wiedersprechcnd, als Pfarrer Stalder die ortsübliche Zeit, wie Gemeindeammann Zumbühl bezeichnet, während Pfarrer Luschka aussagt, daß er bis 1898 die Beerdigungen zu jeder beliebigen Zeit, ,,wie jedenfalls auch mein Vorgänger"1 vorgenommen habe.

Bei diesen verschiedenen sich einander gegenüberstehenden Auffassungen kann die Ausbildung einer gemeinsamen Rechtsüberzeugung, welche eine besondere Ortsübung für die Begräbnisse der nicht römisch-katholischen Angehörigen der Gemeinde

987 Seußbühl begründet hätte, nicht als hergestellt gelten ; es muß vielmehr angenommen werden, daß die ortsübliche Begräbniszeit in der Pfarrgemeinde Reußbühl die Zeit vor dem Vormittagsgottesdienste ist ; wenn Ausnahmen zugelassen worden sind, haben dieselben nicht den Charakter einer besondern Ortsübung, aus welcher Rechte abgeleitet werden können, angenommen.

6. Aus diesen Feststellungen ergiebt sich, daß an sich die Verweigerung des Glockengeläutes gegenüber den Eltern Müller, welche ihr Kind am 31. Oktober um 2 Uhr, am 1. November um 11 Uhr begraben wollten, nicht als eine Verletzung des Art. 53 der Bundesverfassung angesehen werden kann, da die Beerdigung nicht auf eine, ortsübliche Zeit verlegt wurde.

7. Trotzdem muß der Bundesrat sein Bedauern darüber aussprechen, daß der Regierungsrat des Kantons Luzern nicht vermocht hat, eine schickliche Beerdigung des Kindes Müller durchzusetzen.

Der Regierungsrat, beziehungsweise dessen Polizeidirektion war am 31. Oktober mit der Sache durch die Beschwerde des Vertreters der Eltern Müller befaßt ; er erhielt am darauffolgenden Morgen vom Bundespräsidenten die telegraphische Einladung, für die Beobachtung der Bundesverfassung beim Begräbnis Müller ,zu sorgen ; er wußte überdies infolge des gegen das gemeinderätliche Reglement erhobenen Rekurses, daß die Ortsbehörde mit dem römisch-katholischen Pfarrer in Beziehung auf die Festsetzung
Unter solchen Umständen hätte der Regierungsrat entweder selbst einen Entscheid über die Zeit des Begräbnisses treffen oder ·die bürgerliche Ortsbehörde anweisen müssen, den Eltern des Kindes Müller eine bestimmte Erklärung über die Zeit des Begräbnisses zu geben, woran diese sich zu halten gehabt hätten.

Die mit dem bloßen Vorbehalte der ortsüblichen Zeit gegebene Weisung war, da ja gerade Streit über die Ortsübung bestand, wie dem Regierungsrate bekannt sein mußte, nicht geeignet, eine prompte Lösung herbeizuführen, da insbesondere die Eltern des Kindes Müller daraus nicht entnehmen konnten, welche Zeit sie für das Begräbnis ansetzen sollten.

8. Die Regierung des Kantons Luzern hat in ihrer Vernehmlassung vom 15. Dezember 1900 sich ausdrücklich bereit erklärt, in Zukunft dafür sorgen zu wollen, den Vorschriften der Bundesverfassung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln Nachachtung zu verschaffen.

988 Demnach wird erkannt: 1. Die Regierung des Kantons Luzern wird bei ihrer in» ihrer Vernehmlassung vom 15. Dezember 1900 abgegebenen Erklärung behaftet.

2. Der Rekurs wird im Sinne der Erwägungen als erledigterklärt.

B e r n , den 19. April 1901.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der V i z e p r ä s i d e n t : Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft.

Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluß betreffend die Beschwerde des Siegfried Müller in Reußbühl, Luzern, betreffend Verweigerung des Grabgeläutes. (Vom 19. April 1901.)

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24.04.1901

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