1009 # S T #

Bericht des

.Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Entschädigungsbegehren des Arnold Ulrich, von Flurlingen.

(Vom 22. November 1901.)

Tit.

Arnold U l r i c h machte als Füsilier des Bataillon 62 im Herbst 1900 die Corpsmanöver mit und kantonierte in der Nacht vom 15./16. September in einer Scheune auf einem Lager von Stroh. Während dieser Nacht zur Kantonementswache aufgerufen, fühlte Ulrich plötzlich Schmerzen im rechten Auge und als er zum Küchenfeuer trat, bemerkte er, daß sein Auge lichtscheu geworden war. Er vermutete nun, daß ihm während des Schlafes ein Kamerad einen Schlag auf das Auge gegeben habe oder daß ihm ,,Unrat" in das Auge gefallen sei; dem Bataillonsarzt, bei welchem er sich am Morgen des 15. September meldete., scheint er die letztere Angabe gemacht zu haben, während in seinen Rekursschriften immer die erstere Version wiederkehrt.

Sicher ist nur, daß eine V e r l e t z u n g des Auges nicht nachgewiesen ist und daß Ulrich bloß vermutete, es habe eine solche stattgefunden, weil sein Auge entzündet war, als er aus dem Schlaf erwachte.

Der Bataillonsarzt, welcher ihn zuerst untersuchte, fand nur eine heftige Conjunctivitis, welche ihn veranlaßte den Patienten in die Augenklinik des Kantonsspitals in Zürich zu evakuieren.

Dort entwickelte sich bei demselben ein centrales Hornhautgeschwür mit Eiteransammlung in der vordem Augenkammer, das unter Hinterlassung einer dichten centralen Hornhauttrübung ausheilte. Am 16. Oktober 1900 konnte Ulrich den Spital verlassen ; seine Sehschärfe auf dem rechten Auge war infolge der Trübung der Cornea bedeutend reduziert und betrug, als er den Spital verließ, 1/10 der normalen. Nach der Schätzung des Herrn Dr. Mandach mußte die von Ulrich in seiner Erwerbsfähigkeit erlittene Einbuße auf 20 °/o gewertet werden.

1010 Da von dem Bataillonsarzt in dem am 16. September an den Oberfeldarzt erstatteten Specialbericht das Hineinfallen von Unrat in das Auge des Ulrich als feststehende Thatsache gemeldet worden war, nahm derselbe keinen Anstand, die Augenentzündung des Patienten als Unfallfolge zu behandeln und demselben die tägliche Unfallentschädigung filr die Zeit seines Spitalaufenthaltes auszubezahlen und am 30. Oktober 1900 wurde dem Ulrich vom Bundesrat aus der Militär-Unfallversicherung eine Invaliditätsentschädigung von Fr. 600 zugesprochen, entsprechend der Schätzung seiner Erwerbseinbuße auf 20%Da die Verminderung der Sehkraft sein rechtes Auge betraf, mußte Ulrich als Infanterist untauglich erklärt werden. Nach seiner Ausmusterung erhob er dann den Anspruch auf eine Pension, welche ihm auch in der Höhe von Fr. 100 zugesprochen wurde.

In Betracht kam bei ihm Art. 8, Ziffer 4, des Pensionsgesetzes, laut welchem in Fällen, in denen eine geringe Störung des Erwerbs vorhanden ist und kein Berufswechsel infolge der partiellen Invalidität stattfinden mußte, ein Maximum von Fr. 200 jährlicher Pension zulässig ist. Auf dieses Maximum zu gehen, lag hier keine Veranlassung vor, da nach der Erklärung seines Arbeitgebers Ulrich nach seiner Erkrankung denselben Lohn bezog wie zuvor und demnach die Schädigung seiner Erwerbsfähigkeit mehr auf theoretischen Erwägungen beruhte als auf wirklichen Verhältnissen.

Gegen diesen Beschluß des Bundesrates hat nun Ulrich an die Bundesversammlung rekurriert, indem er eine jährliche Pension von Fr. 200 oder außer der bewilligten Pension von Fr. 100 eine Aversalentschädigung von Fr. 1500 verlangt, und zwar macht er zu gunsten seines Rekurses dieselben Gründe geltend, mit denen er schon im Laufe dieses Sommers ein an den Bundesrat gerichtetes Wiedererwägungsgesuch zu stützen versucht hatte.

Er behauptet nämlich, daß seine Erwerbsfähigkeit sich schwer reduzieren müßte, wenn er auf dem jetzt noch gesunden Auge einen Unfall erleiden würde, und daß ihm auch durch Unfälle anderer Art Schädigungen seiner Erwerbsfähigkeit erwachsen könnten, die nicht so schwer ausfallen würden, wenn seine beiden Augen noch intakt wären. Die Thatsache, daß sein Lohn noch derselbe ist, wie früher, giebt Ulrich zu, stellt dann aber die Behauptung auf, daß seine Erwerbsverhältnisse trotzdem auch momentan als geschädigt zu betrachten seien, weil er in seinem gegenwärtigen Zustande nicht mehr in der Lage sei, in seinem Heimatort eine eigene Schmiede zu eröffnen.

1011

Es liegt auf der Hand, daß alle diese Gründe sehr unstichhaltig sind, da es durchaus fraglich ist, ob Ulrich jemals die Absicht hatte, eine eigene Schmiede zu gründen und indem die Möglichkeit des Eintritts gewisser Eventualitäten keinen Grund bilden kann zur Erhöhung der dem Ulrich zugesprochenen Pension. Es würde sich wohl in den meisten Pensionsfällen auf diese Weise zu gunsten einer Erhöhung der Pensionen argumentieren lassen ; die Behörden haben aber beim Ausmessen der Entschädigung den derzeitigen Zustand des Invaliden und nicht eine durch supponierte Möglichkeiten geschaffene Eventualität ins Auge zu fassen. Sollte eine solche jemals eintreten, so würde die Erhöhung der gesprochenen Pension immer in Erwägung gezogen werden können. Wir bemerken nun noch, daß die eventuelle Forderung Ulrichs, es möchte ihm neben der Pension von Fr. 100 noch eine Aversalentschädigung von Fr. 1500 zugesprochen werden, nach Art. 5 des Pensionsgesetzes, welche die Ausrichtung von Aversalentschädigungen ausschließt, wenn ein bleibender Nachteil vorhanden ist, von selbst außer Betracht fällt, so daß einzig das Begehren um Erhöhung seiner Pension auf Fr. 200 übrig bleibt.

Im obigen ist ausgeführt, daß Ulrich schon aus der Militärunfallversicherung eine Invaliditätsentschädigung von Fr. 600 erhalten hat, trotzdem es sehr zweifelhaft, ja unwahrscheinlich ist, daß seine Augenentzündung wirklich von einem Unfall herrührte, daß ferner sein Erwerb gegenwärtig in keiner Weise geschädigt ist, indem er denselben Lohn wie vor seiner Erkrankung weiter bezieht und daß somit die ihm ausgesetzte Pension von Fr. 100 als vollständig genügend betrachtet werden muß.

Wir beantragen daher, es sei das Gesuch Ulrichs um Erhöbung seiner Pension auf Fr. 200 abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 22. November

1901.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: · Ringier.

3*o*z-

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Entschädigungsbegehren des Arnold Ulrich, von Flurlingen. (Vom 22. November 1901.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1901

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

48

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

27.11.1901

Date Data Seite

1009-1011

Page Pagina Ref. No

10 019 847

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.