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Botschaft des

Bundesrathe.... an die h. Bundesversammlung, betreffend den Rekurs der Negierung von Luzern gegen die Bewilligung der gemischten Ehe des Anton Bisang.

(Vom 4. Juli 1862.)

T it. l Anton B i s a n g von Egolzweil. Kls. Ludern, wohnhaft in Adlis..hweil, Kts. Zürich, katholischer Konsession, 30 Jahr alt, Schmied, wünscht sieh mit einer Maria Anna Haller von Reiuaeh, Kts. Aargau, ebenfalls .wohnhaft in Adlisehweil, resormirter Konsession, 26 Jal..re alt, Seidenweberin, zu verheiraten. Der Gemeinderath Egolzweil verweigerte ihm jedoch die Bewilligung zur Heirath. Ans erhobenen Reknrs bestätigte die Regieruug von Luzern unterm l 3. Ma.. 1861 den abreisenden Beseheid. Gegen diesen ledern Vesehluss erhob nun Bisang Besehwerde beim Bundes.rathe, u.it der Behauptung, die vorgesehüzten Eheverweigernngsgründe seien durchaus unhaltbar ; die wahren Behinderungsgründe liegen darin, .dass die Braut eine Protestantin sei.

Mit Schlussnahme vom 27. September 186l erklarte der Bun.desrath die Beschwerde sur begründet.

Die Regierung von .Luzern fand sieh hieraus veranlagt, gegen diese Sehlussnahme den Rekurs an

.die Bundesversammlung zu erklären. Das vom 28. April 1862 datirte, .übrig.ms erst nnterm 2.). Mai dem Bundesrathe eingegebene Rekurs.memorial enthält als Beilage den rekurrirten Besehluss in extenso , so .dass wir daraus verweisen konnen. Auf besonderes Verlangen gab der

775 Bundesrath dem Bisang von diesen. Memorial Kenntniss, welcher sodann zn sogenannten ..Gegenbemerkungen sich veranlagt fand, bezüglich deren nur zu bedauern ist, dass der betretende Reehtsgelehrte, welcher sie versasste, nicht einen geziemeudern .......on eingehalten hat.

Jndem der Bundesrath sich nunmehr die Ehre gibt, diese sämmtliehen Ulkten uud Vorakten der h. Bundesversammlung vorzulegen, glaubt er si.h vorerst bezüglich des Spezialfalls aus wenige ergänzende Bemerkungen beschränken zu konnen.

Die Verhältnisse des Bisang und seiner Braut sind der Art, dass es dem Bundesrath seheinen wollte, es sei in diesem Falle kein genügender Grund zu einer Eheverweigernng vorhanden, wenn man nicht überhaupt den ganzen Arbeiterstand vom Rechte zur Verehelichung aussehliessen wolle.

Bisang wie seine Braut haben guten Arbeitsverdienst, sind in ihren Berufszweigen tüchtig, geuiessen ganz günstigen Leumund und befinden stch in den Jahren, wo die Begründung eines Hausstandes nieht als verfrüht angesehen werden kann. ja sie besten selbst noch einiges Vermogen, worauf iudess der Bundesrath kein besonderes Gewicht legte.

Es darf dabei namentlich noch hervorgehoben werden, dass alle diese Verhältnisse von den in dieser Angelegenheit ganz unparteiischen Gemeindsbehorden von Adlisehweil bezeugt werden, wo die Beiden sich seit Jahren aufhalten, ohne dass der eine oder andere Theil daselbst heimalhgenossig wäre.

Jn dem Rekursmemorial der Regierung von Luzern wird zwar herausgehoben, dass die Haller ein unehliehes Kind habe und dass 20l) Franken ihres Vermögens daher rühren, dass die Gemeinde Reinach ihr so viel bezahlen wolle , wenn sie sich mit Bisang verheirathen konne.

Es ergibt sich indess ans den Gegenbemerkungen, dass Bisang die Vaterschast dieses Kiudes von jeder als eines unter Eheverspreehen erzeugten anerkannt hat.

Der Bundesrath glaubte ni.ht, dass ein solches Verhaltniss geeignet sei, den sonstigen guten Leumund der Haller zu zerstoren oder die Regularisirnng der Stellung des Kindes durch die nachfolgende El..e der Eltern weniger wünsehbar zu maehen.

Was son.it den Spezialfall betrifft, so glaubt der Bundesrath in der Tl....l, dass die Behorden von Luzern, selbst vom Standpunkte einer ftreugen Auslegung des luzernischen Gesezes aus , nicht wol mit Gruud die Eingehung dieser Ehe verweigern dürsten ,
und bei dieser Sachlage schien die Behauptung der Reknrrenten, dass konfessionelle Antipathien bei der Verweigerung mit im Spiele seien, nicht ganz unwahrscheinlich zu sein.

Es hat dabei gar uicht die Meinung, dass der Bundesrath im Allgemeinen

der Regierung von Luzern irgend welche Renitenz gegen die Vollziehung des Bnndesgesezes über die gemischten Ehen beimesse, da sie in der That einen solchen Vorwurf in keiner Weise verdienen würde, sondern es kam mehr in Frage, ob nieht bei dem erstinstanzlichen Entscheid der.Gemeindsbehorde, der denn doch ans die spätere Schlussfassung influirt, be-

776 wusster oder unbewnsster einige Antipathie gegen die in Aufsicht stehende gemischte Ehe mit im Spiele gewesen sei.

Diess veranlagt nun den Bundesrath zu einigen Bemerkungen über die Behandlung derartiger Rekursstreitigkeiten im Allgemeinen, zumal die Regierung von Luzern ebenfalls weniger wegen des Spezialsalls, als vielmehr wegen der in den Erwägungen des Bundesrathes ausgestellten Grnndsäze an die h. Bundesversammlung rekurrirt zu haben scheint.

Die Regierung von Ludern stellt vorerst den Saz

aus, dass

eine

Verlezung oder Umgehung des Bnndesgesezes über die Mischehen nicht präsumirt werden dürse, sondern es müsse dieselbe z u r h i n r e i c h e n d e n U e b e r z e u g u n g d a r g e t h a n w e r d e n . Mit dem ersten Theil dieses Postulates kann man sich wol vollständig einverstanden erklären; dagegen werden die Bundesbehorden gewiss wohl daran thnn, bei der Anerkennung des zweiten Theils et.vas rükhaltender zu verfahren. Soll nämlich damit gesagt sein, dass jeweilen im Spezialfall ein p o s i t i v e r B e w e i s dafür geleistet werden müsse, dass der wahre Grund der Eheverweigerung in konsessionellen Antipathien liege, so wird damit ein so gut wie unmoglicher Beweis verlaugt ; denn diese Antipathien treten iu den offiziellen Aktenstüken und Verhandlungen natürlich niemals offen an de... Tag, sondern sie wissen sich stets hinter andere Motive. namentlich solche okonomiseher Ratur, zu versteken. Wenn nun die Bundesbehorden verhindert sein sollen, die Motive der leztern Art zu prüfen, so ist offenbar der im Bnndesgesez über die gemischten Ehen diesen Ehen ertheilte Schuz gänzlich wertlos, und es wird den Gemeinds- und Kantonsbehorden ein leichtes sein, d a unter dem Vorwand von okonomisehen Motiven, d o r t unter denjenigen von Leumundsbemäkelung jede ihnen unangenehme gemischte Ehe zu verhindern. insbesondere aber ist es das Leichteste von der Welt, sur 4/5 der Bevölkerung, denjenigen weitaus grossten

Theil nän.lieh, der in seiner Existenz wesentlich aus den täglichen Arbeitsverdienst angewiesen ist, die Eingehung einer gemischten Ehe obsolut unmöglich zu macheu. Die Moglichkeit zum Abschluß einer solchen bleibt somit im besten Falle ein Brivilegium der wohlhabenden Bevölkerung.

Sofern es in. Willen der Bundesversan.mlung liegt, dass der Schuz der gemischten Eheu für a l l e Schweizer, die ärmern wie die reichern, gewährt werden folle, so muss demzusolge dem Bundesrath in Rekursfällen das

Reeht der freien Würdigung der Verhältnisse jedes Spezialfalles zustehen.

Es soll dabei keines positiven Rachweises bedürfen, dass die Ehe aus kon-

fessionelleu Gründen gehindert werde, sondern es soll der Bundesrath ge..

mäss Art. 3 des zitirten Bnndesgesezes einfach die Frage prüfen, ob

g e n u g e n d e g e s e z l i ch e H i n d e r n i s s e g e g e n d i e E h e b e st e h .. n .

Findet er , dass keine genugenden gesezlichen Hindernisse vorhanden seien, so soll er die Kantonsbehorde anweisen, die Bewilligung zur Kopulation zu ertheilen.

777 Dem gesagten infolge glanbt der Bundesrath, die Bosition nicht annehmen zu Tonnen, welche in dem Rekursmemorial Seite 13 dahin präzisirt wird : ,,es konne nicht gerechtfertigt werden, dass der Bundesrath der offiziellen Versicherung einer Kantonsregierung gegenüber, es haben in einem vorkommenden Falle n i c h t konfessionelle Gründe zur Verweiseruug der Heirath mitgewirkt, das gerade Gegentheil annehme." Jn den Gegenbemerkungen find eine Reihe von national- und ständerathlichen Berichten hervorgehoben, welche keinen Zweisel darüber lassen, dass anch die Bundesversammlung jene Anschauungsweise nicht getheilt hat. Wir müssen noch beifügen : Will mau nicht, dass alle vom Bundesrath begründet ersunden gewordenen Rekurse auf diesen. Gebiete als eben so viele formliehe Beleidigungen der betreffenden Kautousregierm.gen aufgefaßt werden , so kann man unmöglich zn einem andern Verfahren gelangen als den., dass die Kantonsregierungen bei ihren und der Bundesrath bei seinen Eutscheidungen sieh an die einfache Frage l..alte, ob genügende gesezliche Hindernisse vorliegen, um die projektiri.e gemischte Ehe zu verhindern , ohne weitere Vertiefung in die peinliche Frage, ob nicht die reknrrirte Schlussnahme durch perstekte konfessionelle Antipathien dil.tirt worden sei. Bei einer derartigen Erledigung der Rekursfälle werden allein die beiderseitigen Stellungen gebührend gewahrt und durch Beis..itelassuug der Juquisition nach verstehen Motiven und des zu Gerichtetes über solche , missliche .Konflikte verhütet.

Dem Bundesrathe seheint diess der Hauptpunkt in der vorliegenden Rekursfrage zu sein. Er muss eutsehiedeu wünschen, dass die Buudesversammlung dieser Versahrungsweise ihre Zustimmung ertheile.

Von geringerer Wichtigkeit erscheint ihm die zweite Frage, nach welchen Regeln der Bundesrath seinen Entscheid über das Vorhaudenseiu genügender gesezlicher Ehehindernifse zuweilen auszufällen habe. Dennoch wird auch hierüber ein Wort am Blaze sein.

Der Bundesrath hat grundsäzlich nichts dagegen einzuwenden , dass

die Würdigung des Spezialfalles an der Hand der bezüglichen kantonalen Gesetzesbestimmungen zu erfolgen habe.

Der Schluss der Erwägung 2 der rekurrirlen buudesräthlicheu Entscheidung anerkennt ja ausdrüklich die gesezlichen, d. h. natürlich die in den Kantonalgesezgebungen vorgesehenen Ehehindernisse als massgebend anch sur den Bundesrath.

Allein in That und Wahrheit liegt nicht da der Streitpunkt. Diejenigen Requisite für die Zulässigkeit einer gemischten Ehe, welche der Bundesrath im Eingauge vou .Erwägung 2 des rekurrirten Beschlusses ausgestellt hat, bewegen sich vollständig im Rahmen des luzernisehen Gesezes.

Dagegen wird das Gesez eben verschiedenartig i n t e r p r e t i r t .

Alle solchen Geseze messen den entscheidenden Behorden nothwendi gerweise

grossen Spielraum für die Würdigung der individuellen Fälle überlassen,

und es kommt nun hauptsächlich darauf au, in welchem Geiste die iuter-

778 pretirende Behorde von diesem Spielraum Gebrauch machen wolle.

Mit andern Worten : der Streit bezieht steh nicht auf das Gesez, sondern aus die Braxis.

Die zwei verschiedenen Anschauungsweisen eharakterisiren sieh kurz folgendermassen : Die Regierung von Ludern will die Ehebewilligungen besehranken, in der Hoffnung und mit der Tendenz, damit die Vern.ehrung des Bauperismus zu hindern ; zu diesem Behuse verlangt su. von dem Ehekandidaten besondere Rachu.eise, sowol des ..Bedürfnisses a.s der

Berechtigung zum Abschluss einer Ehe. Der Bundesrath dagegen geht

mehr von der Ansicht ans, der Abschluß einer Ehe sei ein natürliches Recht aller handlungsfähigen, wohlbeleumdeten, arbeitstüchtigen und mit gehörigem Verdienst versehenen Bersoneu, es konnen von solchen keine .oeitern Rachweise, weder sur ihr Bedursniss, noch sur ihre Berechtigung znr Ehe mehr gefordert werden, sondern es haben allsällige Eidsprecher das Dasein weiterer gesezlicher Eiuspruchsgrü..de darznlhuu. Der Bundesrath glaubt ferner, das von der Regierung vou Lnzern gewählte Miltel entspreele nicht einmal den. vorgesehen Zweke.

Welche dieser beiden Anschauungsweisen ist nun die richtigere, mehr mit dem luzernisehen Geseze und mit der Ratur der Sache im Einklang..'

Der Bundesrath will diese Frage nicht entscheiden . er begnügt sieh damit,

die Gründe sür eine Anschauungsweise kurz vorzulegen.

Das

luzernische Gesez (Gesez über Ehebewilligungen und Eheeinseg-

nungen vom 13. März 1835) verpflichtet nach §. .., Litt. b die Behorden znr Eheverweigerung sur diejenigen Mannspersonen , hinfiehtlieh deren die b e g r ü n d e t e B...forgniss obwaltet, dass sie mit ihrer Fan.ilie der Heimathgemeinde zur Last fallen werde, unter drei Voraussezungen :

erstlieh, wenn sie kein hinlängliches, eigenthümliches Vexmogen besinn ; oder zweitens, wenn sie in A b g a n g d e s s e l b e n nicht nachweisen kennen, dass si... dureh einen Gewerb oder andern Verdienst eine allsallige Nachkommenschaft , ihrer Heimatgemeinde unbeschadet. aus eine ehrliche Weise zu ernähren und gehorigerweise zu erziehen im Stande sind ; oder drittens endlieh, wenn sie s e l b s t mit V e r m ö g e n o d e r V e r d i e n s t einen solchen liederlichen Lebenswandel führen, der einen

künftigen Nothstand befürchten tässt.

Die zweite dieser Bedingungen wird nun vou der luzernisehen Regieruug dahin ausgelegt. ,,dass (vide Rekursmemorial Seite 15) das Vorhaudensein eines gehörigen Verdienstes nicht aus blosse Zengnifse hin geglaubt wird, sondern nur ans sogenannte thatsäehliehe Beweise, d. h. dass verlaugt wird, es habe sich der gehörige Verdienst durch. b reils gemachte entsprechende Ersparnisse zu manfestiren." Mit andern Worten , es wird znni gewöhnliehen Raehweis des Verdienstes hiezu ..och der Ra..hweis eines, und zwar s e l b st e r w o r b e n e u V e r m ö g e n s verlaugt und

779 somit die zwei Requisite kumulirt, welche der Gesezgeber alternativ neben einander gestellt hatte. Der Bundesrath muss dieses Versahren nun als formlieh unzulässig betrachten; denn für's Erste ist es total unrichtig, daß das Vorhandensein eines gehörigen Verdienstes sich nicht durch Zeugnisse

hinlänglich dokumentiren lasse und dass daher für Feststellung dieses Ver-

hältnisses ganz außerordentliche Beweise nothwendig seien . sür's Zweite ist es nicht minder unrichtig, dass das Vorhandenst.. eines gehörigen Verdienstes sieh nur dnrch gemachte Ersparnisse beurkunden. Die Unrichtigkeit liegt klar auf der Hand, wenn der grossere Verdienst erst kurz vor Eingabe des Ehegesuchs erlangt wurde ; allein es ist auch sonst eine bekannte Thatsaehe , dass von jungen, ehelosen Leuten die wenigsten schon die Weisheit des Kapitalisireus, welche gewohnlieh erst mit den Jahren kommt, besten, und dass solche dennoch später ganz solide Familienväter werden konnen. Es lässt sich sogar sehr fragen, ob derjenige junge Mann, welcher die Uebers.hüsse seines Verdienstes zu seiner Fortbildung, z. B.

durch Reisen oder sonst zu allseitiger Bewegung im Lebe.. oder zur Unterstüznng vo.. Verwandten oder Freunden u. dgl. verwendet, nicht oftmalseines bessern Brädikates würdig sei als der okonounsd.. kapitalisirende Jüngling. Der Bundesrath glaubt dah...r, die Regierung von Ludern gebe.

schon in dieser Beziehung dem Gesez eine allzu restriktive Juterpretatio...

Allein es fällt noch ein weiterer Bunkt in Würdigung. Das Gesez verlangt eine b e g r ü n d e t e B e s o r g n iss von Seite d..r eheverweigernden Be-.

horde. Die Braxis aber hat das gerade umgekehrt; sie verlangt vom.

Ehekandidaten einen b e g r ü n d e t e n N a c h w e i s des G e g e n t h e i l s , und so lauge sie auch nur noch eiue M o g l i eh k e i t der Verarmung si..ht..

so lauge hält sie steh znr Eheverweigerung berechtigt. Es will nun dem Bundesrath... bedünken , es widerspreche allen Reehtsgrundsäzen , einem.

Bürger ein uatürliches Recht vorzuenthalten, weil nicht die lezte Mög-

lichkeit des Missbrauehs oder eines unglükliehen, vielleicht unverschuldet^ unglüklichen Ansgaugs ausgeschlossen ist.

Der Bundesrath hat sich daher sür's Erste ans Rüksi.cht auf den Wortlaut des Gesezes mit der Jntexpretation der luzexnischen Regierung nicht befreunden konneu , . und er hegt sehr bedeutende Zweifel , ob das Versahren desselben auch nur für den in Aussieht genommenen Zwek der Verminderung des Bauperismus zuträglich sei. Ehebesehränkungen in so weit getriebeuer Art erzeugen Uebelstände anderer Art, von welchen wir nur einige herausheben wollen.

Erstlich die Steigerung der Zahl der unehelichen Binder. E.... ist diess selbstverständlich, und die hierüber in der Oefsentliehkeit erschienene Statistik hat den Raehweis hinreichend geleistet, dass Ludern unter diesem Uebel sehr leidet. Es mag zwar sein, dass die Zahl der unehelichen Binder immer noch erheblich geringer ist, als die Zahl der eheliehen sein würde, welehe aus gesezliehen Verbindungen der nämlichen Bersonen eutsprossen wären. allein die Erfahrung lehrt, dass eine weit geriugere Zahl.

780 unehelicher Kinder die Hilfe der Armenbehorden stärker in Anspruch uehmen, als eine viel grossere Zahl von ehelichen. Der Grund liegt darin .

Die Familie ist , wenn aus der einen Seite eine Last, doch aus der andern Seite auch wieder eine Stüze ; in deu verschiedenem Lebenskrisen tragen und halteu die einzelnen Theile einander, und die herangewachsenen .Kinder zahlen die ihnen in der Jngeud von den Eltern erwiesene pflege denselben im Alter in natürlichster Art zurük. Darum gelangen ohne grossere Krisen auch die ärmsten Familien für ihre Kindererziehung selten an das öffentliche Almosen. Anders l.ei den unehelichen Kindern.

Ein solches Kind behindert die Mutter in ihrem sonstigen Erwerb , macht sie also schon um deß.villen unterstüzungsbedürftiger ; der geringste Uuglüksfall aber sezt Mutter und Kind in völlige Hilflosigkeit. Die öffentliche Unterstüzung wird dann aus R o t h ua.hgesueht und hernach aus G e w o h n heil festbehalten. Es dürfte sich darum sehr der Muhe lohnen, wenn die Regierung von .Ludern deu ..gründen etwas näher nachforschen würde, warnm sich von 1837 --1860 die Zahl der unterstüzten Kinder, troz ihrer fast rigorosen Braxis in Erteilung von Ehebewilligungen. von 2.....)..)

ans 5530 gesteigert hat. namentlich dürfte die Erhebung der Zal..l der unterstüzten ehelichen und unehelichen Kinder (nach Abzug der Waisen) von Jnteresfe sein. Unter allen Umständen ist es sicher, dass der Vauperismus in diesen grössteutheils schlecht (weil ohne Vater) erzogeneu und hernach durch Gesezgebung und Sitte zurükgesezten unehelichen Kindern eine sehr reiche Nahrungsquelle findet.

Zweitens die Verkümmerung der von der Ehehinderung betroffenen Versoneu. Es ist der Statistik moglieh, das Verhältnis der verarmenden Familien festzustellen ; das Rekursmemorial gibt dasselbe für Luzern auf 3-8 % an. Allein es wäre noch viel lehrreicher, zu wissen, was aus den au der Ehe behinderten Bersoueu geworden sei. Der Regierungsrath berichtet a u s w e i t e 8 des Rekursmemorials , dass nur er allein (abgesehen von den nicht reknrrirten Abweisungen durch die Unterbehörden) seit 14 Jahren von 1224 Heirathsgesuehen 875 abgewiesen habe. Was mag wol das spätere Schiksal dieser 875 Mänuer und 875 Frauen gewesen sein..'

Man kann es nnr vermnthen. Allein es ist gewiss nicht wahrscheinlich, dass diese Männer,
denen die Behörden die Begründung eines eigenen Familienstandes versagten, diese Frauen, welche die durch eine uneheliche Geburt erfolgte Beflekung ihrer Ehre uicht mehr durch die nachfolgende .Ehe tilgen durften , dadurch ..u Lebensfreude , Thätigkeitstrieb, Sparsinn und Liebe zu ihren Mitbürgern und zum Vaterlande überhaupt zugeuommen haben werden. Vielmehr ist es gewiss wahrscheinlich, dass die gleirhen Lente, welche nach Begründung eines eigenen Familienstandes Kopf und Hand angestrengt hätten, um ihre erhohte Stellung als Familienvorstände nach bestem Vermögen, vielleicht sogar mit Würde und mit Geschik auszufüllen, welche damit der bürgerliehen Gesellschaft tüchtige Glieder an sich selbst gegeben und au ihren Kindern erzogen und in allen

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781 Beziehungen das Gemeindewesen bereichert hätten, statt dessen verkümmern, in altern Tagen den Armenbehorden zur Last fallen und somit am Kapitalstok des Landes zehren, das ihnen die Entfaltung zur vollen Men.schenwürde verweigerte. Sezen wir selbst den Fall, es wären von diesen nicht zugelassenen Ehen in der Folge selbst die doppelte oder dreisaehe

Zahl der bewilligten (somit eirea 10%) hilfsbedürftig geworden, so lässt

sieh sehr fragen , ob der Schaden jener Verkümmerung einer weitaus grossern Zahl von Versonen gleichgekommen wäre, und ob die übrigen ..)0 % selbst einen Ueberfchnss des Schadens nicht mehr als gedekt hätten.

Der Bundesrath muss darum im hochsten Grade bezweifeln, ob die Braxis der luzernischen Behorden sieh selbst aus dem von ihnen so sehr betonten nationalokonomischen Gesichtspunkte rechtfertige ; er verzichtet dabei aus eine weitere Erorterung der Frage, ob eventuell nicht dieser nationalökonomische Standpunkt noch von einigen andern Standpunkten überragt wurde. Er beschränkt sich in dieser Beziehung aus die einzige Bemerkung, dass es ihm nicht wohlgethan scheint, den Arbeiterstand, welcher die Krast des Landes bildet und welcher im Wesentlichen immer nur auf den Besiz des laufenden Verdienstes angewiesen sein wird , wenn dessen Glieder personlich ehrenwerth und arbeitsam sind, von dem natürlichsten und heiligsten aller Rechte, dem zur B e g r ü n d u n g e i n e r Familie auzuschlössen. Es dürfte überhaupt .als ein gewisser Widerspruch in uusern Jnstitutionen bezeichnet werden , dass man auf der einen Seite das Vereinsrecht in sreiester Weise durch die Vexsassungen garantira, dagegen der Begründuug des allernatürlichsten Vereins, welcher die Basis unsers gesammten sozialen Lebens bildet , dem Familienverband, so vielfache Hindernisse von Amtes wegen in den Weg legt.

Der Bundesrath ist indessen durchaus nicht im Falle , seine Anschauungsweise den Behorden des Kantons Luzern auszubringen ; er anerkennt

vielmehr vollständig ihr Reeht zur freien Würdigung aller dieser Gesichts-

punkte. Aus der audern Seite glaubt er jedoch, auch das Recht zu haben, in denjenigen Fällen, in denen er nach den Gesezen zu entscheiden berufen ist , seine eigene Anschauungsweise zur Geltung zu bringen.

Er will diese derjenigen der Regierung von Luzern nicht überordnen ; er kann sich aber auch nicht dazu verstehen, sie jener unterzuordnen und die Geseze in einem Geiste und einer Tendenz zu interpretiren , die seiner eigenen Ueberzeugung eutgegensteht.

Demnach wird der Bundesrath auch in Zukunft, so lange er von der Bundesversammlung nicht andere Weisung erhält, die Frage der Znlässigkeit einer gemischten Ehe nach der Gesetzgebung des betreffenden Kautous iu Würdigung ziehen , sie jedoch iuner dereu Schranken in dem vorbezeichneten Geiste in.erpretireu, und wenn er gemäss Art. 3 des Buudesgesezes über die gemischten Ehen findet. dass einer solchen Ehe keine gefezlichen Hindernisse entgegenstehen, die Bewilligung zu derselben ertheilen.

Bundesblatt. Jahrg. XIV. Bd. II.

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782 Es kann dem Bundesrathe nur angenehm sein, wenn die h. Bundesversammlnng in dieser hochst wichtigen .Angelegenheit ihre bestimmte Willensmeinung ausspricht , und in dieser Beziehung verdaukt er der Regierung von Luzern, dass sie einen Entscheid der obersten Jnstanz veranlagt.

Jndem wir diesen gewärtigen, schlössen wir auf A b w e i s u n g des von der R e g i e r u n g von. Luzern e i n g e l e g t e n R e k u r s e s , und ergreisen die Gelegenheit , Jhnen , Tit. , die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung zu erneuern.

Bern, den 4. Juli 1862.

Jm Ramen des schweif. Bundesrathes,

Der Bundespräsident:

Stämpsti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schietz.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend den Rekurs der Negierung von Luzern gegen die Bewilligung der gemischten Ehe des Anton Bisang. (Vom 4. Juli 1862.)

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1862

Année Anno Band

2

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33

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

15.07.1862

Date Data Seite

774-782

Page Pagina Ref. No

10 003 777

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