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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Begnadigungsgesuche : 1. des Richard Frey, Bremser in Bern, 2. des Gottfried Widmer, Stationsgehülfe in Wynigen, 3. Karl Kupfer, Weichenwärter in Wynigen.

(Vom 8. März 1901.)

Tit.

Die drei Potenten wurden durch Urteil des Amtsgerichtes Burgdorf vom 19. Dezember 1900 der fahrlässigen Eisenbahngefährdung schuldig erklärt und verurteilt zu je zwei Tagen Gefängnis und je Fr. 10 Geldbuße, letztere für den Fall der Unerhältlichkeit umzuwandeln in je weitere zwei Tage Gefängnis, unter Kostenfolge. Diese Gefährdung haben die Verurteilten nach den Feststellungen des Gerichts dadurch begangen, daß sie in leichtsinniger oder fahrlässiger Weise durch Nichterfüllung obliegender Dienstpflichten am Morgen des 14. Februar 1900> cirka 6 Uhr, auf der Station Wynigen bei Zug 81 der Schweizerischen Centralbahn -- Richtung Bern-Olten -- das Entlaufen von zwei dort abgehängten Güterwagen verursacht und dadurch zwischen den Stationen Riedtwyl und Herzogenbuchsee deren Auffahren auf den auf offener Strecke stehenden Zug Nr. 81 herbeigeführt haben, wodurch Personen und Waren einer erheblichen Gefahr ausgesetzt wurden. Der entstandene Materialschaden belief sich auf cirka Er. 2200.

Das schuldhafte Verhalten der Angeklagten bestand im einzelnen darin, daß l. Bremser Frey entgegen dienstlicher Vorschrift es unterließ, die Bremsen der zwei abgehängten Wagen, deren Loskuppelung er besorgt hatte, fest anzuziehen ;

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:2. Weichenwärter Kupfer seinen Dienstplatz verließ, um einen Schnaps zu sich zu nehmen, ohne sich vorschriftsgemäß darum zu bekümmern, ob die Wagen gesichert seien; 3. Stationsgehülfe Widmer endlich es ebenfalls vernachlässigte, zu untersuchen, ob die Wagen nach Vorschrift gebremst seien (siehe die Begründung des Gerichtsurteiles hinsichtlich der Frage des subjektiven Thatbestandes, pag. 4 u. ff.).

Das urteilende Gericht hat alle diejenigen Umstände, welche ·zur Milderung des Strafmaßes im vorliegenden Falle aufgeführt werden können und welche in den Begnadigungsgesuchen geltend gemacht werden, bereits gekannt und gewürdigt, inbesondere die Arbeitsüberhäufung des Stationsgehülten Widmer und die Temperatur- und Windverhältnisse am fraglichen Morgen. Es hat auch nach ausdrücklicher Äußerung im Urteil hinsichtlich des Strafmaßes die herrschende milde Praxis berücksichtigt. Ob es in letzterer Beziehung nicht bereits zu weit gegangen ist, da es sich ·um verhältnismäßig grobe Fahrlässigkeit und -um einen bei geringster Aufmerksamkeit leicht als möglich vorauszusehenden sehr -schweren Schaden handelte, ist hier nicht zu untersuchen. Jedenfalls würde die nach Streichung der Gefängnisstrafe verbleibende Buße von nur je Fr. 10, also eine bloße Ordnungsbuße, in keinem richtigen Verhältnisse zur Größe der Schuld und deren verursachten Gefährdung von Menschenleben und von Material, sowie auch zum wirklich eingetretenen Schaden stehen.

Aus diesen Gründen stellen wir bei Ihrer hohen Versammlung den Antrag: Es seien die Begnadigungsgesuche der drei Petenten Frey, Widmer und Kupfer abzuweisen.

.Bern, den 8. März 1901.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

'Bundesblatt. 53. Jahrg. Bd. I.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend die Begnadigungsgesuche: 1. des Richard Frey, Bremser in Bern, 2. des Gottfried Widmer, Stationsgehülfe in Wynigen, 3. Karl Küpfer, Weichenwärter in Wynigen. (Vom 8. März 1901.)

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13.03.1901

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944-945

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