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des .Bundesrathes an den h. schweiz. Nationalrath über Kompetenz in staatsrechtlichen Streitfragen.

(Vom 4. Juni 1860.)

Tit.!

Sie haben uns unterm 22. Dezember 1857 folgenden Beschluß getheilt: ..

mit^

Der schweizerische Nationalrath, in B e t r a c h t : 1) daß es imJnteresse einer zweknIäßigen Geschäftsbehandlung liegen dürste, Rekurse von Kantonen und Privaten, welche nicht so fast staatsrechtliche Grundsäze und Kompetenzen im Allgemeinen,. als vielmehr die Anwendung dieser Grundsäze und Kompetenzen auf besondere oder privatrechtliche Fälle betreffen, aiis dem Geschäftskreise der vollziehenden und gesezgebenden Behörden des Bundes in jenen des Bundesgerichts zu verweisen ; 2) daß es nach Art. 106 der Bundesverfassung der Bnndesgesezgebung überiassen bleibt, außer den in Art. 10I, 104 und 1()5 jener Verfassung bezeichneten Gegenständen auch noch andere Fälle in die Kompetenz des Bundesgerichts zu legen; in Anwendung von Art. 8 des Bundesgefezes vom Dezember 1849 über den Gesehästsverkehr der beiden Räthe, beschließt: Der Bundesrath ist eingeladen,. Bericht und Antrag zu hinterbringen zu einem Bundesgeseze, krast welchem hiezu geeignete Rekursfälle in Gemäßheit vvn Art. 106 der Bundesverfassung dem Entfcheide des Bundes..

gerichtes unterstellt werden können.

Wir haben diesen Auftrag geraume Zeit verschoben, um noch weitere Erfahrungen zu machen und den Gang der bisherigen Praxis zu beobachten.

^0 hierauf ermächtigten wir das Justiz- und Polizeideparteinent, noch einige

Rechtskundige beizuzjehen, um einer möglichst vielseitigen Auffassung der

wichtigen Frage Raum zu geben. Diese Kommission fand einstimmig init .dem Departement, daß es zwekmäßiger fei, von dem Vorschlage zu ab^ ^trahiren. So gerne wir dazu Hand bieten würden , einen Theil der fraglichen Kompetenzen aus eine andere Behörde überzutragen , so müssen.

wir gleichwol im Jnteresse der Sache Iinsern Wunsch bei Seite sezen und der eben erwähnten Ansicht deitreten.

Der Beschluß des h. Nationalrathes war die Folge einer Motion, welche unter dem frischen Eindruke wiederholter Verhandlungen über zwei verwikelte Beschwerden, die von beiden Parteien mit weitläufigen, gedrukten ^ Rechtsgutachten begleitet waren , gestellt wurde. Es mußte sich natürlich das Gefühl geltend machen, daß große Versammlungen, deren Hauptat...

tribute die Gesezgebung und Oberaufsicht ist, nicht so gut geeignet seien, einzelne, oft sehr subtile Rechtsfälle zu behandeln, und zwar schon aus dem einzigen Grunde, weil es absolut unmöglich ist, daß außer den Koinmissionen die andern Mitglieder die Akten lesen und sich dadurch von vorn herein eine selbständige Ueberzeugung bilden können. Es läßt sich insofern ^ein Uebelstand nicht läugnen, und es ist daher die Motion und der Beschluß des hohen Nationalrathes , so weit er eine. nähere Prüfung des .Gegenstandes bezwekte, durchaus gerechtfertigt. Allein nach unserer Ansicht stößt eine Aenderung in der gewünschten Richtung auf wesentliche, konstitutionelle Bedenken und große Hindernisse in der Ausführung, so daß voraussichtlich die entstehenden Schwierigkeiten viel bedeutender würden, als sie gegenwärtig sind.

M.an denke sich die große Menge der durch die Bundesverfassung gewährleisteten Rechte, sodann die durch die Kantonsverfassungen gewähr^ leisteten, welche hinwiederum vorn Bunde laut Art. 5 garantirt stnd, end..

lich die. Bundesgeseze und die Konkordate. Alle auf dieses ganze Gebiet bezüglichen Beschwerden, sei ihr Objekt noch so gering, können an di^ Bundesversammlung gebracht werden. Hierin liegt natürlich der Haiipt...

grund der In.ißbeliebigen Erscheinung, und man darf sich in der That ver..

wundern. daß die Zahl der Beschwerden und Rekurse nicht eine viel größerer ist. Nun ist schon die Kompetenz zwischen Bundesversammlung und Bundesrath und der dießsällige Jnstanzenzug gar nicht ausges^ieden. Vergleicht

man Art. 74, Ziff. 7, 8, 15 und 16 mit Art. 90 Ziff. 2 und 3 der Bundesverfassung , so wird nian großenteils die gleichen Kompetenzen für beide Behörden finden; daher die Erscheinung. daß Besehwerden zwar in der Regel an den Bundesrath , nicht selten aber auch direkt an die Bundesversammlung gerichtet werden. Die leztere könnte schon dadurch auf eine Verminderung solcher Geschäfte hinwirken. wenn sie dieselben nicht erstinstanzlich entscheiden , sondern zu diesem Behuf an den Bundesrath .überwiesen würde. Hinwiederuni hat die Ausscheidung der Kompetenzen .zwischen den politischen Behörden und dem Bundesgerichte ihre Schwieg

551 .rigkeiten und Zweifel. Schon unter dem srühern Bunde galt das Pri^^ip , daß alle Streitigkeiten der Kautone über Rechte, die v.^ Bunde.

garantirt waren. also die konstitutionellen Fragen, von der poli .^chen Behörde des Bundes , der Tagsazung . behandelt werden sollen während andere Streitigkeiten, in Ermanglung eines Bundesgerichtes, a^ ^chiedsBerichte verwiesen waren. Offenbar wurde dieses Prinzip, . .s Regel wenigstens, in die neue Bundesverfassung hinüber getragen. Di^ s ergibt sich theils ans den Verhandlungen der Revisionskommission i.nd ^. .^saznng,.

.theils aus dem Wortlaut der betreffenden Artikel. Nach .^rt. 74 Z .ss. 16 . .gehören Streitigkeiten der Kantone, welche staatsrechtlicher N a t u r find, in die Kompetenz der Bundesversammlung.

Die Art. 101 ..--^0.^ .konstituiren das Bnndesgericht als Zivil.. und KriIninalgericht, und in de^

...rstern Beziehung werden ihm im Art. 101 die Streitigkeiten nicht staats-

^ r e c h t l i c h e r N a t u r zugefchieden. Jn den frühern Redaktionen hieß e s ^ ,,Streitigkeiten, welche nicht p o l i t i s c h e r N a t u r sind.., und es wu.rde.^ somit durch die definitive Redaktion nicht bloß die Streitigkeiten von po^litischer Natur im engern Sinne des Wortes, sondern alle staatsrechtliche^ ^Streitigkeiten, so weit sie überhanpt vor den Bund gehören, dein Grundsaz nach dem Bundesgerichte entzogen und den politischen Bund.sbehörde^ vorbehalten. Das sollte offenbar das System und die Regel bilden.

Allein es frägt sich nun, in welchem Verhältniß der Ausnahme oder E^-

.gänzung die Art. 10.5 und 106 zu dieser Regel stehen.

Nach Art. 105 urtheilt das Bundesgericht auch über Verlegung der

^urch die Bundesverfassung garantirten Rechte , wenn hierauf bezügliche .Klagen von der Bundesversammlung an dasselbe gewiesen werden. D^.

...... sich hier um konstitutionelle und staatsrechtliche und nicht u... eiviloder strafrechtliche Fragen handelt , so gestaltet sieh offenbar dieser Artik^ zu einer verfassungsmäßigen Ausnahme von dein erwähnten KompetenzSysteme. .^iber diese Ausnahme ist ganz beschränkt; man kann nicht au^ 'dem Wege der Gesezgebung das versassungsinäßige System umkehren. und^ durch Zutheilung ganzer Klassen staatsrechtlicher Fragen an des Bundes.geriet dasselbe fast zur Ausnahme machen , sondern es bleibt der Bundesverfainn^iing im einzelnen Falle.^iberlassen, ihre eigne, regelmäßige Kompetenz geltend zu machen und selbst zu entscheiden , oder den Gegenstand an das Bnndesgericht zu überreifen, wenn sie es aus besondern (gründen sür zwekniäßig hält. Die Motion , welche diese Frage anregte , schein^ damit einverstanden. und stüzt in Erwägung 2 die Befngniß einer weiter^ .Ko.npetenz-Ausscheidung in staatsrechtlichen Fragen nicht auf Art. 10:^.

sondern l 06 der Bnndesversassung.

Dieser Art. 10.^ lautet: ,,Es bleibt der Bundesgesezgebung überlassen^ außer den in Art. 101 , 104 und 105 bezeichneten Gegenständen auch ^ioch andere Fälle in .die Kompetenz des Bundesgerichtes zu ieg.^n.^ Wir ^können n.IIn aber uns nicht überzeugen, daß dieser Artikel das staatsrecht^ liehe Gebiet befchlage , und^ zwar ans folgenden Gründen : Es läßt si..^

5.^2 .vont logischen Standpunkte aus kaum denken , daß die Verfassung zwei Artikel neben einander stelle in dem Sinne, daß der erstehe staatsrechtliche Fragen nur ausnahmsweise durch besondern Beschluß der obersten Behörde ^In das Bundesgericht zu überweisen gestatte, und der zweite der Gesezgebung überlasse, diese v e r s a s s n n g s m ä ß i g en Ausnahmen gesezlich zur Regel zu machen. Denn einmal angenommen , dieser Artikel dürfe .aus staatsrechtliche Fragen bezogen werden , so enthält derselbe in diesem Gebiete durchaus keine weitere Schranke, und man könnte daher in dieser .Richtung ein System aufstellen , welches allen in den Kantonen geltenden ^Grundsäzen über die Ausscheidung der Gewalten ganz entgegen liefe.

^ Offenbar ist dieser Artikel nicht absolut zu verstehen, sondern, wenn ^r in Bezug auf seine Tragweite unbestimmt ist, so muß er so iiiterpretirt werden, daß er mit dem Geist und Wortlaut der übrigen Artikel möglichst im Einklang steht., man kann ihn nicht so auslegen, daß der sachbezüg^ ^iche Organismus des Bundes umgekehrt wird. Wir haben bereits gezeigt.

.daß alle staatsrechtlichen Konflikte und Beschwerden an die Buudesver..

Sammlung gebracht werden können , daß aber auch der Bundesrath zum .größten Theil unter Vorbehalt des Rekurses kompetent ist, und daß ex weitaus die meisten Beschwerden erstinstanzlich oder allein erledigt, kraft Art. 90 Ziff. 2 und 3 der Bundesverfassung. Will man nun der Bundesversaninilung einen Theil staatsrechtlicher Fragen abnehmen und sie dem Bundesgericht übertragen. so folgt nach obiger Einrichtung von selbst. daß man fie auch dein Bundesrath abnehmen Innß, der ja nach der Wahl der Beschwerdeführer in den Ineisten Fällen ebenfalls kompetent ist. Man wird wol nicht daran denken, den Bundesrath als erste, und das Bundes^ericht in der gleichen Sache als zweite Jnstan.^ aufzustellen . und eben so wenig wird man beabsichtigen, nur die Beschwerden an's Bundesgericht zu üt.er^ .weisen. welche direkt bei der Bundesversammlung angebracht werden, weil Dadurch der .^wek gar nicht erreicht würde und ein solches Verfahren höchst inkonsequent wäre. ^ie Inan es aber auch anstellen würde, so müßte man ^.er Bundesversammlung und dem Bundesrath Kompetenzen wegnehmen.

^die ihnen dnrch die ^rt. 74 und 90 ausdrüklieh zugesichert stad. Nun galten wir. es für
nn^uläßig. einen V.^faffungsartikel auf dem Wege der .Gesezgebung dahin zu entwikein, daß dadurch andere Artikel der Ver^ Fassung ganz oder theilweife ausgehoben werden. Will man daher nicht in ..^ider.prüehe gerathen und in die Kompetenzoestiminungen der Bundes^ Verfassung eine bedenkliche Unsicherheit oder gar Verwirrung bringen , so .gelangt Inan zu dein Sehiusse, daß die staatsrechtlichen. Streitfragen in ^ie Kompetenz der politischen Behörden des Bundes gehören . init dex ..Ausnahme, welche durch die Verfassung selbst im Art. 105 gestattet ist, .^nd daß die gefezlich zuläßige Erweiterung der Kompetenz des Bundes^ Berichts laut Art. 106 sich auf nicht staatsrechtliche Streitfragen beziehe, .im Einklang Init dein Prinzip. welches diese ganze Materie beherrscht.

5.^ Diese Auslegung wird auch unterstüzt durch die Entstehung de.^ .Art. I06 und die seitherige Anschauung und Praxis. Aus den VerhandJungen der Revisionskommisfion (Pag. l39--141) geht hervor, daß man bei einem allgemeinen Grundfaz über die Zuläßigkeit der Erweiterung der ^undesgerichtlichen Kompetenz durch ein Gesez ganz besonders strafrechtliche Fälle im Auge hatte; und seither hat das Bundesstrafrecht in der That die Kompetenzen erweitert, welche der Art. 104 der Verfassung den Bundesassifen ursprünglich zuwies. Aus der .Verhandlung der Tagfazung über die Z i v i l g e r i c h t s b a r k e i t des Bnndesgerichts (zu Art. 101 oder 97 ^es Entwurfs) zeigt sieh , daß nian in dieser Richtung damals schon die Kompetenz des Bundesgerichtes erweitern wollte und verschiedene Anträge in diesem Sinne stellte. Man hatte z. B. Zivilprozesse von großem Be.lang im Auge, welche zwischen ganzen Kantonstheilen oder zwischen Kanton und Städten oder Korporationen u. s. w. geführt werden. Diese Anträge blieben dann in Minderheit offenbar mit Rücksicht ans den allgemeinen Vorbehalt des Art. 106 (damals l01), und bei Behandlung dieses Artikels blieb ein Antrag der Genfer Gesandtschaft ebenfalls in Minderheit, also lautend: l)utre les cas mentionnés anx articles .^7 et 10l (jezt 101 nnd 104) la législation fédérale peut placer d'autres affaires du ressort ^le l^ Con,^er^ion dans la compétence du tribunal fédéral. Man wollte den Artikel nicht beziehen auf Kompetenzen, die dem Bunde schon zustehen, fondern hatte eine Ausdehnung auf die kantonale Ziviljnrisdiktion im Auge, und gerade aus diesem Grunde fand der Artikel vielen Widerspruch, und wurde nur rnit 13 Stimmen genehmigt.

Nirgends finden sich Andeutungen, daß dieser Artikel sich auf politische oder staatsrechtliche Ver-

hältnisse beziehen soll.

Von diesen auf die Verfassungsmäßigkeit des Vorschlags bezüglichen Erörterungen gehen wir Ausführung desselben.

über auf die Schwierigkeiten in der praktischen

Wir haben bereits oben aus die große Menge und Verschiedenheit der streitigen Fälle aufmerksam gemacht, welche auf wirkliche oder angeb..iche Verleznng von Bundesverfassung, Kantonsversassung. Bundesgesezen ^oder Konkordaten gestüzt werden. Wir legen einige statistische Tabellen ^ei über die vorgekommenen Fälle , welche natürlich eine Masse anderer nicht ausschließen. Wenn man nun auch bei einzelnen Arten leicht die Ansicht haben kann, daß sie ganz zwekmäßig vom Bundesgericht behandelt .würden, so wird Inan bei der großen Mehrheit im Zweifel sein , und es .dürste aus große Schwierigkeiten stoßen , eine durchgreifende , rationelle Ausfcheidung vorzunehmen. Man muß zudem nicht übersehen, daß sehr viele Beschwerden nicht auf e i n e n Rechtspunkt gegründet werden, sondern kumulativ mehrere Artikel der Bundes- und Kantonalverfassung und Kon..

kortate als verlezt anführen , und daß die Gestaltung der einzelnen Fälle .^anz verschieden rechtliche Momente in Frage stellt. Nehmen wir als

5^ Beispiel die .beiden ähnlichen Rechtsfälle, welche zu der Motion Veranlassung gaben und sezen wir voraus, man beabsichtige Fragen über die interkan^ tonale Kompetenz der Gerichte an das Bundesgericht zu weifen. Jn jeneu..

. Fällen nun wurde geklagt über die Verlezung eines Konkordates über Eheeinsegnnngen ; es fragte sich also zunächst: Jst eine solche Verlezung vorfanden, und welches ist die rechtliche Folge .^ Allein es dürfte auch nicht an einer andern Auffassung fehlen, dahin gehend, daß in Folge der konkordatswidrigen Verehelichungen lediglich ein Kompetenzkonflikt der kan^ tonalen Gerichte entstanden sei über die Frage, welches Gericht über die

Gültigkeit der Ehen zu urtheilen habe. Es ist gewiß einleuchtend , daß

durch die Anwendung einer Kompetenzvertheilung zwischen Bundesgericht und Bundesrath in staatsrechtlichen Fragen eine Menge Konflikte zwischen diesen beiden Behörden entstehen müßten, die bis jezt nicht möglich waren.

Da nun solche Konflikte vor die Bundesversammlung gehören , so folgt daraus, daß die leztere wenig gewänne, wenn sie in manchen Fällen. statt gleich die Hauptsache zu behandeln, sich mit einem vorläufigen Kompetenz^ konflilt befassen müßte. Und welches wäre bei einer solchen Einrichtung

die Lage der betheiligteu Bürger^ Sie müßten vielleicht ein halbes odeI.^ sast ein ganzes Jahr warten, bis nur die Vorfrage entschieden würde,.

welche Biindesbehörde die Beschwerde zn behandeln habe.

Als eine weitere Jnkonvenienz betrachten wir es. daß bei einer Ver^ theilung der staatsrechtlichen Fragen auf die Bundesversammlung un.^ den Bundesrath einer^ und das Bundesgericht andererseits die einen Streitsacheu den Vortheil einer doppelten Jnstanz haben, die andern nicht; und^ doch beruhen alle diese Rechtsgeschäfte auf den voin Bunde garantirten Rechten und dürfen auf gleich starken Schuz des Bundes Anspruch machen. Und wenn solche staatsrechtlichen Fragen ganze Kantone betreffen, so dürften diese kaum einwilligen, immer das Bundesgerieht als einzige Jnstanz an.^ zuerkennen, zumal im Hinblik auf Art. 74, Ziff. 16 der Verfassung,.

welche staatsrechtliche Streitigkeiten unter Kantonen der Bundesversainin^ lung zuweist. Schon die Frage, ob es sieh um eine staatsrechtliche Frage unter K a n t o n e n handle, dürste in vielen Fällen streitig werden und Konflikt verursachen, weil fast immer bei Kompetenzstreitigkeiten der Kantor^ betheiligt ist, da es sich uin feine Jurisdiktion handelt.

Man scheint die Ansicht zu haben, daß man z. B. die Kompetenz^ streitigkeiten zwischen den Gerichten verschiedener Kantone füglich an das.

Bnndes^ericht überweisen könnte. Entweder faßt man diese als staatsrechtliche Fragen unter Kantonen auf, dann dürfte man es wegen de^ erwähnten Versassungsartikels nicht thun oder aber, Inan qualisizirt^ solche Fragen nicht als kantonale Streitigkeiten, dann würde sieh die Sache in der praktischen Ausführung immerhin schwierig genug gestalten..

Wir sehen aiis den beiliegenden Tabellen, daß solche Kompetenzfrage^ .(Art. 49, 50 und 53 der Bundesverfassung. und hierauf bezügliche Kon.^

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lordate) zu den zählreichsten Geschäften gehören, daß aber gleichwol ^aum 5 % dav^i an die Bundesversammlung gelangen. ^urch eine^ Ueberweisung die. ^ Blasse von Geschäften an das Bundesgericht würde somit die Bunde.. ers..inmlung wenig gewinnen; der Bundesrath würd^ dagegen sehr erle.....tert, das Bundesgericht aber erhielte einen bedeutenden Geschäftsziiw^ ^s. Nun ist aber der erstere eine ständige Behörde und kann diese ^schäste mit der nöthigen Beschleunigung und ohne Kosten des Bunde .. oder der Parteien erledigen.

Beim Bundesgerichte, das sich zwei bis dreimal im Jahre versammelt, müßte entweder da.^ Jnteresse.des rechtsbedürstigen Publikums im hohen Grade darunter leiden, oder das Gericht müßte sich häufig, z. B. monatlich versammeln.

Diesem

Einrichtung könnte leicht nachtheilig auf die Bese^ung des Gerichtes ein-.

wirken, weil seine Mitglieder zum großen Theile aus kantonalen Magistraten bestehen, die sich nicht so oft ihren. kantonalen Aintskreife entziehen können. Es ist serner einleuchtend, daß das Budget für die Rechtspflege.

bedeutend mehr belastet würde, auch dann, wenn man beabsichtigen wollte.

den Parteien Kosten und Gebühren aufzulegen, was aus mehreren Gründen kaum gedenkbar ist.

Man muß sich im Weitern von diesem Geschästskreise nicht die Vorstellung machen, als ob die große Mehrzahl dieser Streitfragen entweder in Bezug auf die juristische Auffassung groß^ Schwierigkeiten darbiete oder in Hinsicht auf die ihnen zu Grunde liegen..

den materiellen Jnteressen von großer Bedeutung sei. ..^ir hatten, uni.

ein Beispiel der leztern Art zu erwähnen, eine Besehwerde über Verlezung des verfassungsmäßigen Gerichtsstandes zu behandeln, dessen Prozeßobjekt 20 Franken betrug. Auch von diesem Standpunkt aus stellt es.

sich als unpraktisch dar, für eine Reihe von Gefrästen, welche weder ii^ grundfäzlich theoretifcher, noch iI.^ materieller Beziehung eine besonder^ Tragweite haben, einen Apparat von persönlichen und pekuniären Kräften in Seene zu sezen, wie es stch darstellt durch Einberufung eines Gerichtes,.

dessen Mitglieder in der ganzen Schweiz zerstreut wohnen.

Hin,...

wiederum wird wol niemand daran denken, diese Klasse voii Rechtsgefrästen nach einem wirklichen oder fiktiven Werthe auszuscheiden und,.

^obwol fie g l e i c h ^ rechtliche N a t u r haben, die einen dem Bundes^ gericht und die andern dem Bundesrathe (resp. der Bundesversammlung) zu überweisen.

Abgesehen von den konstitutionellen Bedenken und vor^.

der Besorgniß vielfacher Konflikte ließe die Ueberweisnng d^.r Kompetenz^ fragen an das Bundesgericht fich vielleicht praktisch ausführen, wenn^ man sie einer Abtheilung oder Kammer diefes Gerichtes zutheilen könnte.

Allein auch diefer Ausweg ist durch die Verfassung verfchlossen , indem diese nur für die Strasjirstiz eine Funktion von Abtheilungen zuläßt.

Wenn wir nnn gezeigt zu haben glauben, daß die zahlreiche Blasse.

der KoInpeteu^Streitigkeiten, welche sonst .ihrer Natur nach am eheste^.

zu einer gerichtlichen Behandlung sich eignen dürften, theils ans konstit...tioiiellen Gründen, theils wegen großen Schwierigkeiten in der praktischem.

556 .Ausführung nicht an's Bundesgericht überwiesen werden können, so wollen .wir noch die Frage erörtern, welche andere staatsrechtliche Streitfragen durch Ueberweisung an's Bundesgericht der Bundesversammlung erspart .werden könnten. Werfen wir zu diesem Behuf einen Biik auf die bei^.

liegenden Tabellen, so sehen wir. daß die Beschwerden über Verweigerung oder Entzug der Niederlassung die weitaus zahlreichste Klasse bilden.

Diese Fälle gelangen nur selten oder fast nie an die Bundesversammlung, .wol aus dem einfachen Grunde, weil ein Rekurs den Betheiligten in ^er Regel nichts mehr nüzen würde, wenn sie lange Zeit auf den Zu^ .saninientritt der Bundesversammlung warten müßten. Der Zwek der ^Motion, Entlastung dieser obersten Behörde von staatsrechtlichen Streitsragen, würde also durch Ueberweisnng an das Bundesgericht in keiner ^Weise gefördert. Ueberdieß wird wol niemand daran denken, einen .Geschäftskreis . der unsers Wissens in allen Kantonen den Regierungen zugeschieden ist, im Bunde zur Gerichtssaehe zu machen. Ebenso dürfte ^man wol so ziemlich allgemein der Ansicht sein. daß noch inanche andere .Rubriken der beiliegenden Tabellen bei den politischen, refp. AdministrativBehörden zu verbleiben haben, z. B. Beschwerden, betreffend Verkehrsund Gewerbsbeschränkungen. konfessionelle Verhältnisse, Vereinsrecht, poli..

tisck.e und polizeiliche Garantien, Auslieferung von Verbrechern, Anwendung des Militärgesezes, konstitutionelle Wahlrechte u. s. w. Ninimt .^ian alles dieses ans, so bleiben nur wenige vereinzelte Fälle ganz verschiedener Axt ül.rig, in Bezug auf welche es sehr schwer sein dürste, ^in rationelles Vertheilungsprinzip zu finden.

Unter den Konkordaten würden sich einzelne allerdings in Streitsällen zu gerichtlicher Behandlung eignen, z. B. die Konkordate über Erbrecht, Konkursrecht und vielleicht auch diejenigen über Ehesachen.

^Allein der Art. 90 der Bundesverfassung hat die Maßnahmen über BePachtung der Konkordate dem Bundesrathe und dadurch auch der Bundes.v e r sa in In l n n g zugeschieden. Dasselbe gilt von den Beschwerden über Ver^ ^eznng des Bundesgesezes, betreffend die gemischten Ehen. Diese Fälle gehören. wie die Tabellen zeigen, zu den häusigern, werden aber höchst selten an^ die Bundesversammlung gebracht. Abgesehen von den erwähnten konstitutionellen Bedenken wird
man es gewiß für unpraktisch finden, ^vegen einem oder mehreren solcher Fälle entweder das Bundesgericht zu versammeln , oder die Betheiligten vielleicht viele Monate auf die Entscheidung warten zu lassen.

Fassen wir alles zusammen, so gelangen wir zu der Uebezeugung, ^aß dein Vorschlage einer theilweisen Uebertragung der Beschwerden und .Rekurse in staatsrechtlichen Fragen an das Buiidesgericht erhebliche konstitutionelle Bedenken entgegentreten . daß bei einer Ausführung keine Wesentliche Entlastung der Bundesversammlung von derartigen Geschäften in Aussicht steht, daß vielmehr bisher unbekannte Konflikte zwischen der .Biindesverwaltung und Bundesjustiz entstehen müßten, daß die jezige

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^ux Seite 556.

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II.

Zur Seite 5..^.

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^ux Seite 55^

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Bunde.^v^xsammlung.

Bundesrath.

Abgewiesen. Gutgeheißen.

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21 38 40 29 30 24 ^ 34 35 26 39 316 109 7 432

^ 8 14 3 4 12 9 12 10 9 28 109

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Beiden

zum Theil.

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Rekurrixt.

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NB. .^.ier find die Fälle nicht inbegegriffen , welche mit Ueh...rgehung de.^ .Bunde^xathe.... direkt an die Bunde^verfammluilg gerichtet wuxden.

I^.

Zux Seite 556.

Rekurse ^...tt .^rl^u..ta ^u ^t^^^nln^.

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55.^ .Organisation des Bundesgerichtes einer praktischen und gedeihlichen Aus^ Rührung bedenkliche Schwierigkeiten ...ntgegensezen, und daß somit die zu erwartenden Nachtheile jedenfalls nicht geringer sein werden, als diejenigen der gegenwärtigen Einrichtung. zumal die leztere eine nicht unerhebliche Aushilse darbietet, wenn die Bundesversammlung häusiger, als es bis jezt geschah, von dem Art. 105 der Bundesverfassung Gebrauch ^nacht. Eine rationelle und durchgreifende Verbesserung des vorhandenen ^Uebelstandes kann daher nach unserer Ansicht nur in Verbindung mit ^iner Versassungsreform erzielt werden. Bei uns, und wol auch in den meisten europäischen Staaten, ist die Erörterung staatsrechtlicher Streitigleiten ganz oder vorherrschend den politischen Staatsbehörden vorbehalten.

^Ganz umgekehrt ist es in den Vereinsstaaten von Nordamerika, wo die ^richterliche Gewalt dieses ganze Gebiet absorbirt; hier ist die Kompetenz der Gerichte beinahe absolut; diese entscheiden über alle Handlungen der .Regierung und selbst der Gesezgebung, ob sie bundeswidrig seien oder .uicht. Beide Systeme mögen ihre Vortheile und Nachtheile haben; sie sind wenigstens konsequent und durchgreifend. Gewiß aber würde es zu ^den schwierigsten Aufgaben einer Verfassungsrevifion gehören, eine Ver.theilung der staatsrechtlichen Streitsragen unter die Justiz- und Ver..waitnngsbehörden zu versuchen, weicher nIan das Lob einer rationellen ^Theorie und einer lohnenden, praktischen Aussührbarkeit geben könnte.

Ohne Veränderung der Verfassung erscheint uns dieses vollends unmöglich ^Ind der vorhandene Uebelstand lange nicht so bedeutend, um einen stük.weisen und jedenfalls sehr mangelhaften Versuch zu rechtfertigen.

Wir stellen daher den Antrag, es möchte der h. Nationalrath den .Gegenstand aus sich beruhen lassen, und benuzen diesen Anlaß, Sie. unferer Vollkommenen Hochachtung zu versichern.

Bern, den 4. Juni .l 860.

Jm Namen des schweiz. Bundesrathes, Der Bundesprästdent: .^. .^.re.^-Herosee.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schieß.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrathes an den h. schweiz. Nationalrath über Kompetenz in staatsrechtlichen Streitfragen. (Vom 4. Juni 1860.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1860

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

36

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

09.07.1860

Date Data Seite

549-557

Page Pagina Ref. No

10 003 118

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Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

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