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Schweizerisches Bundesblatt

53. Jahrgang. II.

Nr. 18.

1. Mai 1901.

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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde des Karl Comolli in Bremgarten wegen Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Vom 30. April 1901.)

D e r s c h w e i z e r i s c h e B un d e s r a t hat aber die Beschwerde des K a r l C o m o l l i in Bremgarten wegen Verweigerung eines Wirtschaftspatentes, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Mit Beschluß von 9. November 1900, eröffnet am 17. November, wies der Regierungsrat des Kantons Aargau ein Gesuch des Karl Comolli, Sohn, um Bewilligung eines Wirtschaftspatentes in Bremgarten ab, gestützt auf folgende Erwägungen: Die zum Wirtschaftsbetrieb bestimmten Räume entsprechen den bezüglichen Vorschriften; ebenso die persönlichen Ausweise des Bewerbers. Dagegen werden gegen das Wirtschaftsgesuch Bundesblatt.

53. Jahrg. Bd. II.

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1006 sowohl vom Bezirksamt als von der Kirchenpflege Einwände erhoben, weil das Wirtschaftsgebäude zu nahe bei der Kirche steht und infolgedessen der Wirtschaftsbetrieb störend auf den Gottesdienst einwirken wird. Aus dem zu den Akten verlangten Situationsplan ergiebt sich in der That, daß die projektierte Wirtschaft von der Kirchhofmauer nur 8 und von der südlichen Ecke der Kirche nur 18 Meter entfernt ist. Nach § l des Gesetzes über die Feier der Sonn- und Festtage vom 7. Wintermonat 1861 haben die Gemeindebehörden die Pflicht, für eine würdige Feier der Sonn- und Festtage im allgemeinen und für Ruhe, Ordnung und Anstand in der Kirche, sowie in der Nähe derselben durch zweckentsprechende Verordnungen im besondern zu sorgen. Es ist daher begreiflich, wenn sich die Behörden von Bremgarten gegen die Eröffnung der Wirtschaft auflehnen, und die Staatsbehörde hat sie hierin zu schützen. Es ist allerdings kürzlich in der Nähe der reformierten Kirche von Bremgarten eine neue Wirtschaft bewilligt worden; die Verhältnisse waren aber andere, da die Entfernung zwischen Kirche und Wirtschaft eine viel größere war, und, was die Hauptsache ist, die Wirtschaft befindet sich nicht vis-à-vis der Kirche, sondern steht ziemlich seitwärts. Wirtschaften, in denen es oft, auch bei der besten Ordnung, lärmend und geräuschvoll zugeht, können nicht in so großer Nähe von Kirchen und Beerdigungsplätzen geduldet werden, wo Stille und Frieden herrschen soll. Diese Auffassung ist auch von den Bundesbehörden geschützt worden. (Salis, Bundesrecht, B. II, Nr. 651.)

II.

Gegen diese Verfügung ergreift Karl Comolli mit Eingabe vom 8./14. Januar 1901 die staatsrechtliche Beschwerde an den Bundesrat und stellt das Rechtsbegehren, es sei in Aufhebung des Entscheides der Regierung diese anzuhalten, ihm die Bewilligung für die Führung einer Speisewirtschaft zu erteilen.

Der Beschwerdeführer bringt zur Begründung seines Begehrens folgendes vor: Die Regierung stützt ihre ablehnende Haltung auf den Umstand, daß die Wirtschaft zu nahe der Kirche und dem Friedhofe zu stehen käme.

Nun ist vorerst die Thatsache festzustellen, daß der Friedhof schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr als Begräbnisplatz benutzt wird. Fällt aber das Umgelände nicht mehr in Betracht, so kommt die Wirtschaft so weit (20 Meter) von der Kirche weg, daß von einem störenden Einfluß auf das, was in der Kirche vorgeht, nicht mehr gesprochen werden kann.

1007 Rechtlich in Betracht fallt, in Konkurrenz mit Art. 4, der Grundsatz des Art. 31 der Bundesverfassung, worin die Freiheit des Gewerbes gewährleistet ist. Das Wirtschaftswesen ist in litt, c nur insofern vorbehalten, als erstens die Gesetzgebung der Kantone die Ausübung des Wirtschaftsgewerbes den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen unterwerfen darf; und als zweitens diese Beschränkungen den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit selbst nicht beeinträchtigen dürfen.

Nun enthält aber das aargauische Wirtschaftsgesetz so wenig wie ein anderes kantonales Gesetz eine Bestimmung, die in dieser Beziehung eine Beschränkung aufstellt, obwohl es nahe gelegen hätte, etwas darüber zu sagen, da § 18 des Wirtschaftsgesetzes von Gegenden und Häusern spricht, für welche die Bewilligung verweigert werden kann. (§18 lautet : ,,In abgelegene oder polizeilich nicht leicht zu beaufsichtigende Gegenden, oder in Häusern, die nicht an einer öffentlichen Fahrstraße stehen, darf eine Wirtschaft ausnahmsweise nur dann erteilt werden, wenn hierfür ein unzweifelhaftes Bedürfnis nachgewiesen wird.a) Die Berufung des Regierungsrates auf § l des Sonntagsgesetzes ist ein eben so unglücklicher als unbehelflicher Ausweg, denn dieser Erlaß ist kein Gesetz im Sinne des Art. 31, litt, c, der Bundesverfassung; er verlangt einfach, und geht hierbei kasuistisch vor, daß an Sonntagen Ruhe herrschen soll, aber eine Bedingung für die Bewilligung einer Wirtschaft stellt er nicht auf. Die aargauische Gesetzgebung kennt also die Beschränkung nicht, welche die Regierung geltend macht. Damit wird der Entscheidung die rechtliche Grundlage entzogen.

Auch die Behauptung in den Erwägungen des Regierungsrates, daß durch die Wirtschaften die Ruhe in den Kirchen gestört werde, ist rein willkürlich und ein Vorwurf, den sich das Wirtschaftsgewerbe in dieser Allgemeinheit nicht gefallen lassen muß. Die Sonntagsgesetze bestimmen, daß während des Gottesdienstes besondere Ruhe herrschen soll ; Widerhandlungen gegen diese Bestimmungen sind aber keineswegs zu präsumieren, und bei Widerhandlungen kann gegen die Strafbaren eingeschritten werden.

Auch vom Standpunkt des Bundesrechtes aus läßt sich die Ansicht der Regierung nicht aufrechterhalten ; der in Salis Bundesrecht Nr. 651 erwähnte Fall bezieht sich auf ganz andere Verhältnisse,
und schließlich darf ein einzelner Fall nicht extensiv und auf Fälle angewendet werden, die mit dem behandelten Rekursfall absolut keine Ähnlichkeit haben.

Nun fällt aber noch ein Moment in Betracht, das die Ver-

1008 Weigerung eines Wirtschaftspatentes an den Beschwerdeführer als eine willkürliche erscheinen läßt. Der Bundesrat hat festgesetzt (Salis, B. II, Nr. 677), unbedingte Freiheit im Wirtschaftswesen dürfe zwar der Bürger nicht mehr beanspruchen, wohl aber dürfe er wie früher 'verlangen, daß, wenn man bei ihm Beschränkungen eintreten laßt, dies unter dem nämlichen Rechtstitel und in gleichem Maße geschehe, wie bei ändern, für welche ganz gleiche Verhältnisse bestehen. In dieser Hinsicht sind nun grobe Ungerechtigkeiten und eine Verletzung von Art. 4 der Bundesverfassung zu konstatieren.

Vor ganz kurzer Zeit wurde in der Nähe der neuen reformierten Kirche in Bremgarten eine neue Wirtschaft bewilligt, bei der die Entfernung von der Kirche ungefähr die gleiche ist; ob die Kirche seitwärts oder vis-à-vis stehe, ist doch offenbar für die Störung gleichgültig. Warum hat hier das Sonntagsgesetz keine Anwendung gefunden? Ferner sind vor wenigen Jahren folgende Wirtschaften bewilligt worden : In Aarau, 2 Wirtschaften, Distanz von der Kirche 10 bis 20 Meter, In Menziken, Restaurant Glaser, Distanz von der Kirche 10 ,, In Lenzburg, Restaurant Seethalbahn, Distanz von der Kirche 10 ,, In Lenzburg, Café Schmid, Distanz von der Kirche 20 ,, In Oberentfelden, ,,Frohsinn", ,, ,, ,, ,, 20 ,, Ferner ältere: In Wohlen, Sternen, Distanz von der Kirche . . . 10 ., In Trimbach, Leuenberger, Distanz von der Kirche . 3 ,, In Pfafflkon, Löwen, Distanz von der Kirche . . . 3 ,, In Kulm, Post, Distanz von der Kirche 15 ,, In Schottland, Ochsen, Distanz von der Kirche . . . 1 0 ,, In Erlisbach, Distanz von der Kirche 12 fl In Rudolfstetten, Distanz von der Kirche . . . . 10 ,, In Lunkhofen, Distanz von der Kirche 20 ,, In Menzigen, Distanz von der Kirche 3 ,, Idem 10 ,, .

Idem 15 ,, In Göslikon, Distanz von der Kirche 20 ,, Und dies alles unter den nämlichen Verfassungsbestimmungen und Gesetzen!

Schließlich sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß das Bedürfnis für die neue Wirtschaft nicht bestritten werden kann.

In der ganzen, 800 Einwohner zählenden sogenannten Unterstadt ist keine Wirtschaft, während die Obere Stadt mit 1400 Bewohnern deren 25 hat.

1009

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III.

Mit Zuschriften vom 5. Februar und 15. März 1901 beantragt der Regierungsrat des Kantons Aargau die Abweisung der Beschwerde und führt folgendes aus : Der einzige Grund, der zur Abweisung des Wirtschaftsgesuches führte, ist die allzugroße Nähe der Wirtschaftsgebäude von der katholischen Stadtkirche und dem Kirchhofe. Der Kirchhof kann allerdings gegenwärtig nicht mehr als Begräbnisplatz benützt werden, da er mit Gräbern vollständig bedeckt ist; es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß er später, wenn die gesetzliche Frist abgelaufen ist, wieder zu Beerdigungen in Anspruch genommen wird. Das Haupthindernis gegen die Bewilligung der nachgesuchten Wirtschaft bildete aber die Distanz von der Kirche selbst.

Das Sonntagsgesetz ist vom Regierungsrat deshalb angeführt worden, weil es in § l den Gemeindebehörden die Pflicht auferlegt, für Ruhe, Ordnung lind Anstand auch in der Nähe der Kirche zu sorgen. Dieser gesetzlichen Pflicht kann aber eine Gemeindebehörde nicht nachkommen, wenn die obern Behörden in nächster Nähe der Kirche Wirtschaften bewilligen. Der Bundesrat ist von der in Salis Nr. 651 dargelegten Praxis nicht abgegangen ; im Hinblick darauf hat der Regierungsrat das Wirfschaftsgesuch abgewiesen.

Diese Abweisung kann nicht als eine willkürliche bezeichnet werden, denn noch nie hat dem Regierungsrat ein Wirtschaftsgesuch vorgelegen, bei welchem das Wirtschaftslokal so nahe beim Kirchenportal und der Kirchhofmauer lag, wie dies bei vorliegendem Gesuch der Fall ist. Die Entfernung der in der letzten Zeit in der Nähe der reformierten Kirche in Bremgarten bewilligten Wirtschaft beträgt 50 Meter; auch ist die Kirche mehrere Meter höher gelegen als das Wirtshaus, und das letztere liegt zudem nicht vis-à-vis, sondern in schräger Richtung von der Kirche. Zur Vergleichung der Verhältnisse dient ein der Rekursantwort beigelegter Situationsplan.

Was sodann die in der Rekursschrift enthaltenen Angaben über die Distanz der Wirtschaften von der Kirche in ändern Ortschaften betrifft, so sind dieselben im höchsten Grade als ungenau zu bezeichnen. Über die wirklichen Verhältnisse geben die bei den betreffenden Gemeinderäten gemachten Erhebungen Aufschluß, die in der folgenden Tabelle zusammengestellt sind:

Datum der Bewilligung.

Entfernung Eröffnung jeweilen 2-- 3 Tage von der Klrchhofspäter.

einfassung.

Wirtschaft.

Gemeinde.

Meter.

1 . Aarau .

2. Lenzburg .

.

13. September 1875

Restaurant Wehrli .

13. September

Café Rupp

3. November

Restaurant ,,Seethalbahn" .

Restaurant ,,Frohsinn"' .

3. Oberentfelden 4. Wohlen 5. Kulm .

Spanische Weinballe

Taverne z. ,,Sternen .

.

6. Menziken .

7. Schottland 8. Erlinsbach 9. Rudolfstetten .

10. Oberi unkhofen 11. Göslikoii .

Eheh. Taverne z. ,,Bären" Restaurant z. ,,Post" Speisewirtschaft . .

.

.

Eheh. Taverne z. ,,Ochsen" Speisewirtschaft . . . .

Taverne z. ,,Sternen" . .

Taverne z. ,,Rößli" . . .

Speisewirtschaft . . . .

1895 1881

22. April 1880 18. Juni 1900 22. Juli 1850

Entfernung von der Kirche.

Meter.

--

26,50

-- -- -- --

15,oo 22,oo 56,oo 28,oo

9,35

15,25

1802

24,oo

50,oo

6. September 1889 3. März 1899

64,oo 6,00

89,oo 46,60

1802

6,80

23,80

22. Juli 1864 22. Juli 1864

-- -- --

23. Dezember 1881

5,2,00

120,oo 40,oo 20,oo 62,oo

15. Oktober

1885

;

1011 Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daß nur bei zwei Wirtschaften ähnliche Verhältnisse existieren wie bei der projektierten des Beschwerdeführers. Die eine davon, der Gasthof zum Sternen in Wohlen, existiert schon seit mehr als 50 Jahren; die andere dagegen, Restaurant Wehrli in Aarau, wurde im Jahre 1895 bewilligt, weil weder von Seiten der Kirchenpflege noch von Seiten des Gemeinderates gegen das Gesuch Einwendungen erhoben worden waren.

Es existiert nun zwar ein prinzipieller Beschluß des Regierungsrates, daß Wirtschaften innert einer bestimmten Nähe von Kirchen verweigert werden sollen, nicht. Dagegen soll in Zukunft dem in Sachen Comolli gefaßten Beschluß vom 9. November 1900 in dieser Hinsicht prinzipielle Bedeutung beigelegt werden, und zwar in dem Sinn, daß der Regierungsrat künftighin Wirtschaften, die weniger als 30 Meter von einer Kirche entfernt sind, nicht mehr bewilligt.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Durch Schlußnahme vom 9. November 1900 hat der Regierungsrat des Kantons Aargau, gestützt auf § l des aargauischen Sonntagsgesetzes vom 7. Wintermonat 1861 dem Beschwerdeführer das Patent für eine in Bremgarten zu eröffnende Wirtschaft verweigert, weil dieselbe zu nahe bei der katholischen Kirche, nämlich in eine Distanz von 8 Metern von der Kirchhofmauer und 18 Metern von der Kirche selbst zu liegen käme.

Diese Entscheidung ficht der Beschwerdeführer in erster Linie deshalb an, weil bei der bestehenden Entfernung von einer Störung der gottesdienstlichen Handlungen in der Kirche durch die Wirtschaft nicht mehr gesprochen werden könne. Dieser Behauptung kann nun aber nicht zugestimmt werden. Hat doch der Bundesrat in seiner Rekursentscheidung in Sachen Emil Niederer in Madretsch vom 4. Dezember 1899 eine Schlußnahme der Regierung des Kantons Bern geschützt, als dieselbe ein Wirtschaftsgesuch verweigerte, weil die Wirtschaft in zu große und störende Nähe des Schulhauses zu liegen käme, obwohl die Distanz daselbst 20 Meter betrug. Mit noch viel größerem Recht muß vorliegenden Falles die Weigerung des aargauischen Regierungsrates geschützt werden, wenn die Distanz von der Kirche kaum 18 Meter beträgt.

1012 In zweiter Linie beschwert sich Rekurrent über die Entscheidung der aargauischen Regierung, weil die Bundesverfassung von den Kantonen einen gesetzlichen Erlaß verlange, falls dieselben von der ihnen in Art. 31, litt, c, eingeräumten Befugnis, die Bewilligung von Wirtschaften vom öffentlichen Wohle abhängig zu machen, Gebrauch machen wollen ; ein solcher gesetzlicher Erlaß bestehe im Kanton Aargau nicht, denn als solcher könne das vom Regierungsrat citierte Sonntagsgesetz vom 7. Wintermonat 1861 nicht betrachtet werden, weil es bloß bestimme, daß an Sonntagen Ruhe herrschen solle. Dem gegenüber muß daran erinnert werden, daß, wie aus der Entstehungsgeschichte von Art. 31, litt, c, der Bundesverfassung hervorgeht, das genannte Alinea einzig und allein die sogenannte Bedürfnisfrage im Auge hat; wenn also (in litt, c) bestimmt wird, ,,daß die Kantone auf dem Wege der Gesetzgebung die Ausübung des Wirtschaftsgewerbes den durch das öffentliche Wohl geforderten Beschränkungen unterwerfen können a , so will dies nur bedeuten, daß die Kantone berechtigt sind, künftighin die Zahl der Wirtschaften entsprechend dem Vorhandensein eines Bedürfnisses zu beschränken, und daß sie dies nur auf dem Wege eines gesetzlichen Erlasses thun können. (Salis, Bundesrecht, B. II, Nr. 646, 647 ff.) Schon vor dem Bestehen der heutigen litt, c in Art. 31 der Bundesverfassung aber, die erst infolge der vom Volke am 25. Oktober 1885 angenommenen Verfassungsrevision in die Bundesverfassung aufgenommen worden ist, hatten die Kantone das Recht, Wirtschaften zu verweigern, wenn sich die Wirtschaftslokalitäten in allzugroßer Nähe von Kirchen befanden; es ist dies vom Bundesrat auch ausdrücklich ausgesprochen worden (Salis, B. II, Nr. 651).

Diese Befugnis der Kantone beruhte vor 1885 auf der bis dorthin bestehenden litt, c von Art. 31, wonach den Kantonen vorbehalten waren ,,Verfügungen über die Ausübung von Handel und Gewerbe"1. Und diese Bestimmung ist bei der Verfassungsrevision von 1885, unter der litt, e, wörtlich beibehalten worden. Für die Verfügungen der Kantone, die sich auf diese Bestimmung stützen, hat aber die Bundesverfassung formelle Schranken nicht aufgestellt. Es kann also das Vorgehen der aargauischen Regierung, die durch bloßen Regierungsratsbeschluß eine bestimmte Entfernung der Wirtschaften von den Kirchen
verlangt, nicht als im Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfassung betrachtet werden.

Eine andere Frage allerdings wäre es, ob der Regierungsrat, indem er eine solche Bestimmuag durch bloßen Regierungsrats-

10Ì3 beschluß als Norm aufstellt, sich nicht insofern einer Verletzung der K a n t o n s Verfassung schuldig gemacht hat, als er die in § l des Sonntagsgesetzes verlangte ,,Verordnung" nicht erlassen hat.

Die Prüfung dieser Frage fallt indessen nicht in die Kompetenz des Bundesrates.

Was endlich die behauptete Verletzung von Art. 4 der Bundesverfassung betrifft, die der Regierungsrat damit begangen habe, daß er dem Beschwerdeführer eine Wirtschaft bei einer Distanz von 18 Metern von der Kirche verweigerte, während er am gleichen Orte vor kurzer Zeit bei der gleichen Distanz von der protestantischen Kirche eine Wirtschaft bewilligt, und in ändern Ortschaften des Kantons sogar eine Distanz von nur 3 Metern von der Kirche zugelassen habe, so ist folgendes zu bemerken : Es ist einerseits auf die durch die Gremeinderäte derjenigen Ortschaften des Kantons Aargau, deren Verhältnisse vom Beschwerdeführer zum Vergleiche herangezogen worden waren, gemachten Erhebungen zu verweisen, wonach die Distanz der in Bremgarten neu bewilligten Wirtchaft von der protestantischen Kirche nicht n'ur 20, sondern 50 Meter beträgt und wonach nur in zwei Ortschaften des Kantons eine gleiche oder geringere Distanz konstatiert werden konnte ; anderseits aber ist nach der Erläuterung des Regierungsrates die eine Wirtschaft vor bereits 50, die andere vor 5 Jahren bewilligt worden, und soll mit der Schlußnahme in Sachen der Abweisung des Beschwerdeführers eine Minimaldistanz der Wirtschaften von Kirchen von 30 Metern als verbindliche Norm bestimmt werden. Es ist also richtig, daß der Regierungsrat in frühern Jahren eine andere Praxis befolgt und Wirtschaften bewilligt hat, die näher bei der Kirche lagen als die projektierte Wirtschaft des Beschwerdeführers ; es steht aber bundesrechtlich nichts entgegen, und kann weder als Willkür noch als eine Verletzung der Rechtsgleichheit bezeichnet werden, wenn die Regierung jetzt ihre bisherige Praxis ändert und von dem ihr in Art. 31, litt, e, der Bundesverfassung gegebenen Befugnis durch Aufstellung einer festen, sie bindenden Norm ausgiebigeren Gebrauch macht, als sie bishin gethan. Auch die Distanz von 30 Metern, welche die Regierung künftighin als Minimaldistanz zur Anwendung bringen will, kann keineswegs als das zulässige Maß überschreitend bezeichnet werden (vgi. den citierten Bundesratsbeschuß vom 4. Dezember 1899).

1014

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 30. April 1901.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der V i z e p r ä s i d e n t :

Zemp.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesratsbeschluß über die Beschwerde des Karl Comolli in Bremgarten wegen Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 30. April 1901.)

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