#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

Bll.

.Jahrgang. lIl.

Nr. 55.

#ST#

3. November 1860.

Verbalnote des

Bundesrathes an den kais. französischen Botschafter, betreffend die am 31. August d. J. in Genf stattgefundenen Demonftrationen.

(Vom 10. Oktober 1860.)

Sobald der Bundesrath, zuerst durch eine telegraphische Depesche des Polizeidirektors von G.nf und sodann durch mündliche offiziöse Mittheilu..g Sr. Exeellenz des kais. französischen Botschafters von dem am 3l. August ..in Genf stattgehabten Vorfalle Kenntniß erhalten hatte. ermangelte er nicht, sofort eine Untersuchung einzuleiten, für welche übrigens die Regierung von Gens bereits von sich aus die ersten Verfügungen getroffen hatte. Aus .tiefer Untersuchung und den weiter eingezogenen Erkundigungen bei ganz unbeteiligten Personen ergibt sich nun, was folgt: Am Morgen des 31. August kam eine Menge Bewohner von Gex auf ihrer Reise nach Thonon durch Genf, und zwar marschirten sie in einzelnen, mehr oder weniger zahlreichen Gruppen. Dieser Durchzug und Die Einschiffung in Genf geschah in aller Ruhe, obwol die Reifenden natürlich ihre Fahne bereits mit sich trugen. Ob diese verschlossen oder entfaltet war, geht aus ven .Ulkten nicht hervor. Thatsache ist, daß an diesem Morgen weder von den Genfern, noch von den durchziehenden Franzosen irgend eine Provokation, Störung oder Unordnung ausgieng.

Als Hingegen Abends zwischen 9 und 10 Uhr das Dampfschiff von Thonon zurückkam war eine bedeutende Menschenmenge auf dem Ouai verfammelt, Heils aus Nengierde. the.ls weil sich das Gerücht verbreitet hatte, daß den Genfern welche mitgezogen waren, eine zu mißbilligende Demonstration B u n d e s b l a t t

Jah x g . .

.

.

.

.

. lI .

Bd

I l l

28

208 bereitet werde. Bein. Anlanden des Dampfschiffes oder noch etwas früher ließ sich vom User aus eiu vielfaches Pfeifen vernehmen, welches vom Schiffe her durch eine oder mehrere Stimmen mit ,,Vive 1'EInpereur l..^ erwidert wurde . .was hinwieder vo.m Lande aus nach den einen Aussagen durch ,,Vive ^ Confédération^ nach den andern durch .den Ruf .^ l. a...

les annexés^ entgegnet wurde.

Einzelne Aussagen gehen zwar dahin, daß der Ruf .,,Vive 1'^Inpereur^ vom Schiffe her allen vorausgegangen sei ; allein der überwiegende Eindrui. der Akten führt zu der Annahme, da^ derselbe erst auf das Pfeifen erfolgte, welches die Franzosen irrigerweise aus sieh bezogen hatten und mit diesem Ruse erwidern wollten.

^ Es wird übrigens behauptet, daß auch vom Schiffe aus gepfiffen wurde, und daß namentlich ein Herr .^ichoir aus Thoir.^ (Pais de Gex) stch feines Pfeifstokes (cann^ à sil.^t ) waker bediente. Jin Fernern erklären sehr viele Zeugen übereinstimmend, daß das Pfeifen vom User aus nur den Genfern aus dem Schaffe gegolten habe. und mehrere geben au, daß dieß den Fremden beim Ausschiffen deutlich erklärt worden sei.

Die Behauptung, daß die Gas^Laternen auf dein^O.uai ausgelöscht gewesen sei.^n, ^v....^ ...wn g....nz ^verwerflicher S.^.i.te als eili.e .U^w.ahrheit bezeichnet.

Nachdem das Ausschiffen begonnen hatte, entstand bald ein Tumult wegen der Fahne. welche, Init Ausnahme des untern Tbeiles der Stange, in einer ^iste verschlossen war, die ein Mann auf der Achsel trug. Eine Anzahl von Jndividuen drängte sich. wie es scheint. nin ihn, um die Fahne zu beseitigen oder wegzunehmen. Eine Menge anderer Personen (Genfer) mißbilligte diefen Angriff und widersezte sich. Schnell kani auch der Polizeikommissär mit einigen Gensdarnien hinzu. und es gelang ihin, .nicht ohne Mühe ..nd mehrfache Verlezungen zu erhalten. die Fabne aus sein Büreau in Sicherheit .zu bringen. nachdem zwar deren .^ta.nge ^iin Gedränge zerbro.^en war. Vei ^diesem Auftritte wurden vermiedene Aeugerungen vernommen, welche. wenn auch in Worten abweichend, auf die Drohung hinausliefen, daß diese Fahne bald in Gens aufgepflanzt werden solle.

Widerspruch ist ...iuch darüber, ob der Fahnenträger oder andere Personen, welche mehrere Zeugen, dem Ai.eente na.ch, für Franzosen hielten, jene Drohung ausgestoßen haben.

Zu bemerken ist noch, daß,
bei nnd nach diesem Vorfalle. der Polizeikoinmissär sowol als auch die Herren J. Faz^ und Ehallet^Venei. Mitglieder der Regierung von Gens, diirch ihre Einwirkung die Menge vermochten . aus einander zu gehen. Nachher fand iuit dem Maire von Ger die Verabredung statt. daß die Fahne am folgenden T..ge nach Gex geliefert werden soll. .ills dieses geschah, weigerte steh aber der Maire, die Fa^ne ohne höhern Befehl anzunehmen.

Die genser'schen Abgeordneten wurden bei ihrer Ankunft in Gex von der Menge insultirt, bei der Rükkehr aber voin Maire gebührend beschüzt..

....0.^

Dieses ist der aktengemäße Vorgang der Sache, und es ergeben sich Warans folgende unwiderlegbare Resultate: 1) Die erwähnten Magistrate und Behörden von Gens haben un.streitig durch ihre Einwirkung ai.. Ort und Stelle, welche sehr wesentlichen Erfolg hatte und jede erhebliche Gewaltthat vereitelte, theils durch die sofortige Einleitung einer Untersuchung, um die altfälligen Schuldigen ^uszunntteln, ihre Pflicht erfüllt^ ....) Ebenso hat die Mehrzahl der anwesenden Bürger den Vorfall

schon^ an Oxt und S.tel^ mißbilligt uud si.^ au...^ tatsächlich den. ..^emii.^ jungen der Behörden, die Ordnung herzustellen, angeschlossen..

3) Weder die Angreiser, noch die Provokanten haben durch die UIitersuchung ermittelt, also auch nicht vor Gericht gestellt werden können.

An diese Mittheilung schließt der Bundesrath, vorzüglich uni die Stimmnng der Gränzbewohner besser beurtheilen zu können, diejenige einiger Verbal.Prozeße über andere, zum Theil viel grellere, von Franzosen gegen Schweizer verübte Beleidigungen.

Aus der gesammten Sachlage geht hervor, daß die Stimmung eines Theiles der Gränzbevölkerung aus beiden Seiten eine gereizte ist. und daß .bisweilen einzelne leidenschaftliche Jndividuen steh zu bedauerliehen Hand...

.lungen hinreißen lassen, die natürlich nicht immer von den Behörden verhindert werden können. So sehr der Bundesrath dergleichen Vorfälle bedauert, so muß er doch neuerdings darauf aufmerksam machen., daß iu dem Vorfalle zu Genf die Behörden, theils durch ihre Jnterventivn au Ort und Stelle, theis durch. di^ sofort angeordnete Untersuchung ihre Pflicht vollständig erfüllt haben. und daß die Handlungen einzelner Per-.

sonen, welche durch die Untersuchung nicht ermittelt werden konnten., nicht hinreichenden Grund zu Beschwerden gegen das Land oder seine Behörden darbieten können.

Was sodann die Frage wegen der Fahne anbelangt, so muß sich der Bundesrath die Bemerkung erlauben^ daß er der Ansicht nicht beipflichten kann. nach welcher in der Schweiz für ausländische Fahnen, die Privat.n.. Gesellschaften ooer Vereine mit sieh führen, ein offizieller Eharakter beansprucht nnd internationale Achtung^ wie solche den Fahnen offiziell anerkannter Behörden znkommen würde, verlangt werden möchte.

Jni Jnteresse eines gegenseitigen guten Einvernehmens scheint es daher dein Bundesrath, nach reiflicher Prüfung dsefer Angelegenheit, zu liegen, daß inan gegenseitig die Bedeutung solcher ve:einzelten Eescheinnngen nicht zu sehr steigere, sobald man die Ueberzeugnng gewinnnt, daß die Behörden des ^ande^ dergleichen Vorfälle mißbilligen Iind die nöthigen Maßnahmen ^reffen , nnr ihnen vorzubeugen oder sie zu unterdrüten. Von diesen^ Standpunkte aus hofft der Bundesrath. daß die gegenwärtige aktengemäße^

Darstellung des Vorfalles in Genf vom 3l. August 1860 von der französischen Regierung werde gewürdigt werden.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Verbalnote des Bundesrathes an den kais. französischen Botschafter, betreffend die am 31.

August d. J. in Genf stattgefundenen Demonstrationen. (Vom 10. Oktober 1860.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1860

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

55

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

03.11.1860

Date Data Seite

207-209

Page Pagina Ref. No

10 003 207

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.