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Schweizerisches Bundesblatt Xll. Jahrgang. II l.

Nr. 57.

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13. November 1860

Note des

kais. französischen Botschafters in der Schweiz an den BundesPräsidenten, betreffend die am 27. September 1860 im Bahnhofe zu Sitten stattgehabten Vorgänge, hinsichtlich der französischen Fahne.

(Vom 9. Oktober 1860.)

Herr P r ä s i d e n t !

Die Regierung des Kaisers ist von beklagenswerten Auftritten in Kenntniß gesezt worden, welche in Sitten am 27. September abhin bei Einweihung der Eisenbahn stattgefunden haben.

Die neue Beschimpfung der französischen Fahne macht es unuingänglich nothwendig, daß die Bundesbehörde einen Schritt thue, welcher beweist, daß sie die feindseligen Gesinnungen, weiche ein Theil der Bevölkerung. irregeleitet durch nngerechte Provokationen. gegenüber Frankreich

kund gibt, höchlich (hautement) mißbillige.

Jch komme daher. von Ew. Exeellenz entscheidende Maßnahmen dafür zn verlangen (réclamer) , daß die Urheber jener strafbaren Mani..

festation unverzüglich ausgeiniiteit und bestrast werden.

Ew. Exeellenz wird, wie ich hoffe, leicht begreisen. wie wünschend werth es ist, daß nicht durch neue Verzögerungen. uns die gebührenden gerechten Genugtuungen zu versch .ffen, die guten Beziehungen, welche zwischen B u n d e s b l a t t

J a h r g .

XII.

B b . I l I .

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2..^

beiden Ländern nothwendig erhalten werden sollten, Weise gestört werden.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, gezeichneten Hochachtung.

auf eine bedauerliche

die Versicherung meiner

ans..

B e r n . den 9. Oktober 1860.

Der Botschafter von Frankreich :

.^lIr^t.

Antwortnote de.^

Bundesrathes an den kais. französifehen Botschafter in der Schweiz, betreffend die im Bahuhofe zu Sitten stattge^ habten Vorgänge.

(Vom 7. November I860.)

Der schweiz. Bundesrath hat die Ehre gehabt, die Note S. Ex^ eellenz des französischen Herrn Botschasters vom 9. Oktober abhin zu erhalten, in wetcher Befchwerde über eine neue, in Sitten stattgefundene

Beschimpfung der französischen Fahne geführt wird. S. Exeellenz findet,

diese Beschimpfung mache es unumgänglich nothwendig, daß der Bundes-

rath durch eine Maßnahme darthne, er mißbillige höchlich die feindseligen

Gesinnungen, welche ein Theil der Bevölkerung, irregeleitet durch unge^ rechte Provokationen, gegenüber Frankreich kund gibt, und Sie verlangt ein sofortiges entschiedenes Einschreiten für Ansmittlnng nnd Bestrafung der Urheber dieser strafbaren Manifestation. niit dem Beifügen, daß, wenn die Frankreich gebührenden , gerechten Genugtuungen länger sollten hinaus^.

geschoben werden , dieß die guten Beziehungen , welche zwischen beiden Ländern Iiothwendig erhalten werden sollten. auf bedauerliche Weife stören müßte.

225 Der Bundesrath erhielt schon unterm 30. September durch den mündlichen Bericht des Präsidenten des Staatsraths d^s Kantons Wallis Kenntniß von dem im Bahnhofe zu Sitten am 27. gleichen Monats statt^ gefundenen Vorfalle, und er hat bei diesem Anlasse die Versicherung erhalten, daß nach den Gesezen des Kantons sofort gegen die Urheber der allerdings bedauerlichen Manifestationen eingefchritten würde.

Schon unterm 5. Oktober erließ der Staatsrath von Wallis einen

Aufruf an'^s Voik. um darin seine vollständigste Mißbilligung über solche,

von einzelnen Jnd.vidIien begangene Akte anszufprechen und ähnlichen Vorkomnienheiten für die Zukunft vorzubeugen. Der Staatsrath hat serner die Unruhstifter, weil sie sich gegen das Gesez und die niit Handhabung desselben beantragten Behörden vergangen, d u kompetenten Gerichten überwiesen. Hiednrch glaubte die gedachte Regierung die geeigneten Maßnahmen ergriffen zu haben in einem Falle, dem kein internationaler Eharalter beigemessen werden kann , und weßwegen die Eisenbahngesellfchaft keine Klage erhoben hatte. Diese Gesellschaft , welche zu Sitten Fahnen ausgestekt hat, kann jedoch bloß als eine s c h w e i z e r i s c h e Gesellschast angesehen werden. Jhre Rechte gründen stch auf eine schweizerische .Konzession ; sie arbeitete bis auf diesen Tag ausschließlich auf unserm Territorium; sie steht unter dem Schutze unserer Geseze, und deßhalb hatte sie sich an die s c h w e i z e r i s c h e n Behörden zu wenden, wenn sie sich in ihren Rechten oder an ihrem Eigenthlim beeinträchtigt glaubte.

Der Bundesrath, welcher die Anschauungsweise der Walliser Regierung theilt, hielt dasür, daß die Angelegenheit von Sitten durch die von dieser Regierung getroffenen Maßnahmen eine gerechte, einfache und entscheidende Lösung gefnnd^n habe.

Daß diesem aber nicht so sei, mußte er stch aus der vorgedachten Depesche des Herrn Anibassadors von Frankreich überzeugen, auch erkannte er, daß nur irrige und übertriebene Berichte die gesandtfchaftliche Mittheilung müssen hervorgerufen haben. Einzig auf diese Weise kann sie der Bundesrath sich erklären, um so rnehr, als aus den Erklärungen von ganz unparteiischen und glaubwürdigen Personen, die beinI Vorfalle ziigegen waren, hervorgeht, daß bloß eine Trieolorfahne vom Eisenbahnziig herabgenoinmen, dann aber sogleich wieder an ihre Stelle gethan worden fei, und daß diese Fahne die i t a l i e n i s c h e n Nationalfarben, nicht aber di.. französischen getragen habe. Dieser Unistand wird von sehr ..hrenwerthen Zeugen bestätigt, weßhalb die Beschwerde des Herrn Marquis T u r g o t von selbst als nunmehr grundlos dahinfällt.

Gefezt aber auch, es wäre eine Fahne mit den f r a n z ö s i s c h e n Nationalfarben von der Lokomotive herabgenomnien worden, fo könnte hierin der Bundesrath keinen Fall erbliken , der eine diplomatische Jntervention hervorzurufen geeignet wäre.
Der Bundesrath kann fremden Fahnen, welche von Privaten, Gesellschaften oder einer Vereinigung von Jndividuen auf ^chweizergebiet, ohne offiziellen Eharakter und ohne eid-

226 genössische Ermächtigung. als Ausschniükungsgegenstand. von denjenigen Personen gewählt, welche sie zu diesem Zweke aiIssteken , einzig dasjenige R^..cht ans Achtung einräumen . wie es jedem andern Privatgute zukommt.

keineswegs aber ihnen einen internationalen Eharakter zuerkennen , oder in ihnen die Repräsentation derjenige Nation erbliken,die diese Farben führt.

Wenn man die Hanptursaehe des Vorfalls vom 27. September ans suchte . so fände mau sie unstreitig in der Handlungsweise der .Eisenbahngesellschaft selbst. welche, anstatt de.. offiziellen Einladung nach.^iikoniineii, die ihr die Wallifer Regierung durch einen erpressen Boten zugehen ließ, bei der Dekoration des Eonvoi aller Abzeichen sich zu enthalten, welch..^ zu unangenehmen Demonstrationen Anlaß oder Vorwand geben könnten, zuerst die Frage diskutirte, ob sie dieser Weisung der Regierung sich unter^ ziehen wolle oder nicht, und hernach sich entschloß, der Einladung keine Folge zu geben; in welchem Benehmen die sehr beklagenswerte Provoka.tion liegt.

Der Bundesrath bedauert aufrichtig die Gereiztheit der Gemüther .

die sich bei einein Theile der Gränzbeoölkernng beider Länder kund gegeben hat, so wie die Vorfälle, welche deßhalb beiderseits stattgesunden haben. Die Schweiz ist aber nicht ini Falle, sich irgend eine Handlung vorwerfen zu müssen, die einen solchen Zustand der Dinge herbeigeführt hätte, und Niemand wünscht mehr als der Bundesrath die Rükkehr der vormaligen srenndn^chbarlichen Beziehungen. Zu diesem Ende wäre es aber durchaus nothwendig . daß man von nun an beiderfeits alles das^ jenige beseitigte , was die Empfindlichkeit reizen könnte , und daß man gegenseitig einzelne Manifestationen , welche das Werk von nur wenigen Jndividuen sind, und die zudem von den Behörden des Landes, so wie von der weitaus größern Mehrzahl der Bewohner laut mißbilligt werden,

keine Wichtigkeit beilegte.

Jndem der Bundesrath diese Erklärungen dem französischen Herrn Geschäftsträger abgibt, benuzt er diesen Anlaß, den Herrn Grafen v o n M assi g na e seiner vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 7. November 1860.

Jm Namen des schweiz. Bundesrathes , Der Bnndesprästdent: .^. .^re^-Herosee.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schieß.

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Note des kais. französischen Botschafters in der Schweiz an den Bundespräsidenten, betreffend die am 27. September 1860 im Bahnhofe zu Sitten stattgehabten Vorgänge, hinsichtlich der französischen Fahne. (Vom 9. Oktober 1860.)

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