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Schweizerisches Bundesblatt.

XII. Jahrgang. II.

Nr. 35.

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7. Jnli 1860.

Zweite Botschaft des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend die Sav oyerfrage.

(Vom 25. Juni 1860.)

Tit.

Jn Jhrer außerordentlichen Session hatten Sie anI 4. April abhin Bezüglich der Savov.erangelegenheit folgende Beschlüsse gefaßt : 1) Die vom Bundesrathe bis anhin getroffenen Maßregeln stnd genehmigt und der dafür erforderliche Kredit wird ertheilt.

2) Der Bundesrath wird fortfahren, die Rechte und Jnteressen der Schweiz in Beziehung auf die Iieiitraiisirten Provinzen kräftig zu .wahren und insbesondere dahin zu wirken , daß bis zu erfolgter Verständigung der status quo nicht verändert werde. Zur Anwendung aller dazu erforderlichen Mittel wird ihin Vollmacht ertheilt.

3) Sollten weitere militärische Ausgebote stattfinden , oder andere ernste Umstände eintreten, fo wird der Bundesrath die Bundesverfaminiung unverzüglich wieder einberufen. Jnzwischen spricht die Versammlung ihre Vertagung aus.

4) Der Bundesrath ist mit der Vollziehung dieser Schlußnahnie beauftragt.

Wir haben nnn die Ehre , Jhnen über die seitherigen Vorgänge weitern Bericht zu erstatten . wobei wir uns um so kürzer fassen kennen, als die wesentlichsten d.er gewechselten Schriftstüke, die sich zur Veröffent.lichung eigneten, gedrukt in Jhxen Händen sich befinden.

Bundesblatt. Jahrg. XII. Bd. II.

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...^6

Wie wir bereits in unserer ersten Botschaft Jhnen mitzutheile^ di.^ Ehre hatten, erklärten wir in einer Zirkularnote vom 27. März den Ga^ ranten der Wienerverträge, daß der in dem zwischen Frankreich und Sar^ dinien abgeschlossenen Eessionsvertrage aufgenommene Vorbehalt in Veziehung auf die neutraiifirteu Provinzen Savovens die Schweiz nninöglich beruhigen könne , welche an ihrer Ansicht festhalten müsse , daß die Abtretung von Nordsavo^en ohne ihre Einwilligung . und Mitwirkung eine Verlezung der Verträge in sieh schließe. Bevor also eine Verständigung mit den Mächten und mit der Schweiz stattgefunden habe, müßten wir gegen eine Besizergreifung von dem nentralisirten Savov.en, es möge di.s^ eine militärische oder bloß zivile fein, uns verwahren und auf der abso^ luten Festhaltung des bisherigen Zustandes besteben. Wir .verlangten end^ lich positiv eine Vereinigung der Mächte, um nach Maßgabe der bestehenden Verträge eine Entscheidung herbeizuführen , und zwar unter unserer eigenen Mitwirkung.

Mit Note vom 5. April abhin stellten wir sodann an die Mächte das bestimmte Gesuch, nach Maßgabe des Protokolls des Aachener Kongreffes vom 15. November 1818 zu einer Konferenz zusammentreten z.^ wollen und den schwebenden Konflikt, welcher bereits eine enropäische Bedeutung angenommen habe, im Jnteresse des Völkerrechtes, wie in dem^ jenigen der gesellschaftlichen Ordnung von Europa einer Erledigung z..zusühren. Jndem wir eine thunliche Beschleunigung dieser Konferenz besür^ worteten, knüpften wir daran die ausdrükliche Bedingung , daß in Ueber^ einstimmung mit dein Aachener Protokoll die Schweiz zur .^heilnahme au den daherigen Verhandlungen berufen werde.

Endlich waren wir abermals, und jezt unter ansdrüklieher Bezugnahme auf den Bundesbeschluß vom ^..^lpril, im Falle, darauf mit aller ^ntschiedenheit zu dringen , daß bis nach dem Entscheide dieser von iins in bester Forni angerufenen europäischen Konferenz in den neutralifirten Pro^ Hinzen Samens der stat.^ quo unverändert beibehalten werde, und daß roeder eine militärische, noch eine civile Besizergreisung erfolge.

Die Antworten der Mächte auf diese Einladung lauteten durchwegs befriedigend, indem sich in denselben die Geneigtheit^ausfprach, den Wün.^ scheu der Schweiz gerecht zu werden.

um unseru Anträgen einen bessern Erfolg zu sichern und um die Unterhandlungen mehr zu befördern . erachteten wir es sii r angemessen, ^auch an diejenigen Höse außerordentliche Abgeordnete zn entsenden , bei

welchen die Schweiz bis dahin weder ständige noch zeitweilige Vertreter gehabt hatte.

Die Mission nach London übertrugen wir Hrn. August de la Riv..

vou Genf und diejenige nach Berlin und St. Petersburg Hrn. National...

rath Dapples von Laufanne. Jnzwischen erhielten wir die bestimmte Kunde, daß die beabsichtigte Volksabstimmung über den Anschluß Savo.^ens

517 an Frankreich, und zwar einschließlich der neutralifirten Provinzen, am 22.

April vor sich gehe und daß dabei die Frage einsach so gestellt werden solle: Anschluß an Frankreich, Ja oder N..in.

Wir erklärten in einer neuen Note vom II. April den Garanten der Verträge , auch diese neue Phase der Differenz nicht mit Stillschweigen übergehen zu können. Wir beriefen uns auf unsere Auseinand^rsezungen und Protestationen vom i 9. und 27. März, in welchen wir es mit aller Bestimmtheit ausgesprochen, daß wir eine Abstimmung ohne vorgän-

gige Verständigung Init uns für die Schweiz nicht als rechtsverbindlich .. anerkennen könnten. so wie auch, daß die der Eidgenossenschaft so feierlich gewährleisteten Rechte aus die nentralisirten Provinzen Savo.^ens ihr weder durch eine einfache Eesfion, noch durch eine Volksabstimmung verloren ^ehen dürfen.

Jn Folge der angeordneten Abstimmung würden alle Reklamationen,^ alle eben so gerechten wie billigen Begehren der Schweiz keinerlei Berükfichtignng finden ; es würde ein Akt von großer politischer Bedeutung ohne Mitwirkung einer der Hauptbetheiiigten vor sich gehen und ohne diejenige Verständigung der Mächte, welche die. Schweiz auf dem international vorgezeichneten Wege am 5. April in positiver Weife angerufen habe. Wir erklärten daher. daß wir gegen jede ^Ansicht, die aus der projektirten .^b...

sti.nmung und deren Resultat einen Schluß auf Verminderung oder Schniälerung der d^.r Schweiz zustehenden Rechte ziehen wollte , entschieden protestirea müßten.

'.^ ir erklärten ^ferner, diefe fo vollständig rükfichtslos angeordnete ^lbstimniung nin fo weniger als maßgebend anerkennen zu können . weil wir nirgends eine Bürgschaft für die freie Willensäußerung der Bevölkerung von Nordfavo.^en zu erbliken vermöchten, weil uns felbstverständiieh jede Kontrolle der Abstimmung abgehe und weil. wie allgemein bekannt. sran..

zösisehe Agenten ganz ungescheut das Land durchziehen und die Bevölkerung auf alle. Weise i.n Jnter.sfe und zu Gunsten Frankreichs zu stimmen traehten.

Wir sähen uns daher in der Lage, unsere Rechtsverwahrung vor den Garanten unserer Verträge , wie vor ganz Europa zu erneuern und abermals daraus zn dringen, daß das Nöthige vorgekehrt werde, was zur Ausrechthaltnng des status quo ersorderlieh erscheine.

Ailer dieser. Vorstellungen ungeachtet gieng die Abstimmung in der vorhin näher bezeichneten Weise vor sich. Das Resultat ist bekannt. Es^ war iin Hinblik auf die von französischen Agenten entfaltete Tätigkeit kein unerwartetes, es konnte nach den in Bewegung gesezten Hebeln jeder .^lrt nicht anders ausfallen. Allein dessen ungeachtet bleibt es unumstößliche Thatsache, daß lange vor jener Abstimmung freiwillig, aus eigenem Antriebe und ohne Hinzuthnn von Außen über 12,0()() Bürger in den neutralisixten Provinzen sich mit ihrer eigenen Unterschrift erklärt und den Wunsch ausgesprochen haben , die Geschike ihres Heimathlandes fortan a.^ diejenigen der Eidgenossenschaft geknüpft zii sehen , wenn überhaupt

^18 ihxe staatshoheitlichen Verhältnisse einer Veränderung unterworfen werden sollten.

Wir wollen Sie mit den sehr umfangreichen Korrespondenzen , die sich nun solgten , uicht^ ermüden , zumal dieselben kein näheres Jnteresse .darzubieten vermögen, da sie leider von keinem positiven Resultate begleite^ waren. Unsererseits beharrten wir irnmer fest auf dem Zusammentritt^ der Konferenzen und hielten dafür, daß in diesem Stadium von Separat^ verhandlungen nicht niehr die Rede sein könne. Jn diesem Sinne erhielten unsere Vertreter im Auslands stets gemessene Jnstruktion, und die etwa herumgebotenen Gerüchte, als ob wir getrachtet hätten, von der eben an^ gedeuteten Politik abzugehen oder als ob eine veränderte Politik von nnsern diplomatischen Vertretern uns infinuirt worden ^ei , entbehren aller und jeder Begründung, wie man aus der weitläufigen Korrespondenz sich überzeugen mag.

Abgesehen davon, daß nach Anrufung der Konferenz eine abweichende ..Taktik mit Umgehung der angesprochenen Garanten der Schweiz vollfiändig unwürdig gewesen wäre, konnten wir uns hinreichend überzeugen, daß wir zu keinem , auch nur irgendwie entsprechenden Ziele gelangt sein würden.

Dagegen dursten wir erwarten , daß nnserIn Antrage auf Beschleus nigung der Konferenzen eine geneigte Willfahriing zu Theil werde, nach..

^dem gegen eine solche Konferenz kein Widerspruch erhoben worden war..

Auch Frankreich selbst zeigte sich dieser Konferenz nicht geradezu abgeneigt, nur machte es den Zusammentritt derselben von dem vorausgehenden Votum der fardinischen Kammer über den Eessionsvertrag vom 24. Mär^ .abhängig. Sei dieses Votum einmal erfolgt. so könne die Einberufung der Konferenzen erfolgen . da Frankreich sich demselben nicht widerseze.

So ließ sich der französische Herr Minister gegen die schweizerische Gesandtschaft wiederholt vernehmen in den Audienzen vom 17. April , 7..

..8. und ..^1. Mai.

Ein ^wischenfall gab uns Veranlassung, ani '23. Mai mit einer Note an unsere Repräsentanten im Auslande zu gelangen, in der Meinung, daß davon den Kabineten , in welchen sie beglaubigt seien . in angemessener Weise ^enntniß gegeben werde.

Wir erfuhren nämlich durch England. daß die französische Regierung sich bemühe , mit Umgehung der von der Schweiz erhobenen .Ansprüche.

den Mächten ein anderes Abfindungsmittel genehm zu machen,
das geeignet . wäre, eben so ^hr dem europäischen Jnteresse zu genügen, als der Eidgenossenfchast für die ihr garantirten Rechte einen Ersaz zu bieten.

Dieses Auskunftsinittel sollte darin bestehen : .1) daß der Schweiz eine kleine Berglinie von Meillerie bis zum Col de Perret überlassen würde ; ^) daß Frankreich sich verpflichtete, keine bewaffneten Schiffe auf dem Genfersee zu halten, sofern die Schweiz dießsalls Gegenrecht beobachte^

519 ^3) daß Frankreich sich dazu verstehen würde, keine Festungswerke innerhalb eines bestimmten Gebietes, das durch die Berge VIIache, Sion und Salève begränzt wäre, zu errichten.

Wir hielten es für Pflicht, uns sofort unumwunden dahin aufzusprechen, ^aß diese Vorschläge uns die nöthige Beruhigung nicht zu gewähren ver.mögen. und daß sie eben so wenig diejenigen Rechte und Vortheile ersezeu könnten, welche im Jahr. 1815 durch die von Europa im allgemeinen Jnteresse stipulirte Neutralisation der Eidgenossenschaft eingeräumt und feierlich gewährleistet worden seien.

Was die erste Proposition betreffe , so könne die Linie von Col d^ Zerret bis Meillerie gar nicht als ein Zugeständniß ausgefaßt werden^ .weil der ganze See abwärts im Besize Franzreichs verbliebe und die dex Schweiz abzutretenden unbedeutenden Parzellen nicht einmal eine Rükzngslinie darzubieten geeignet wären.

Eben so ungenügend erscheine das Anerbieten in Nr. 2 und 3. an^ ^em See keine bewaffneten Schiffe halten nnd innerhalb eines gewisse^ Radons keine Festungswerke anlegen zu wollen. Weil nämlich Frankreich^ ^die nentraiisirten savo.^ischen Landestheile nicht als freie Provinzen. sondern unter dem gleichen onerosen Titel, wie sie der König von Sardinien besessen, erworben habe, so stehe der Schweiz jezt schon auf jene angeblichen Zugeständnisse ein volles Anrecht zu. ^luf einem Gebiete nämlich , dessen ^Verteidigung einem dritten Staate zustehe , und das zu Gunsten dieses dritten Staates neutralisât worden fei. dürfen ohne Einwilligung dieses leztern keine bewaffneten Schiffe gehalten und keine Festungswerke errichtet werden.

Wir fügten noch bei, daß nach Artikel 3 des Turinervertrages voI^ 1^. März 1816 selbst Schiffe zu bloßen Douanenzweken ausgeschlossen werden.

Die Zumuthung, nie bewaffnete Schisse auf dem Genserfee zu ^aiten. mußte um so mehr auffallen, als die Schweiz nicht etwa nur zur Handhabung der Neutralität Savo^e^s berufen werden kann, fondera jedenfalls ihr eigenes Gebiet zn fchüzen nnd dessen Jnt^grität zn wahren hat.

Zur Widerlegung der sowol von Sardinien als von Frankreich.

widerholt vorgebrachten, von uns aber fortwahrend bestrittenen Behauptung, daß die Schweiz ihre Rechte auf^ die neutralisirten Provinzen bloß unter .vneroseni Titel erworben habe, und daß die Neutralisation wesentlich im Jnteresse von
Sardinien stipulirt worden sei -- zur Widerlegung sage.....

wir dieser geschichtlich unhaltbaren Behauptung -- konnten wir u..s au^ eine interessante Denkschrift berufen , welche auf dem Wienerkongresse von.

^dem k. preußischen Minister Wilhelm v. Humboldt dem in der Schweizer^.

Angelegenheiten niedergesetzten Ausschuß vorgelegt worden war. Jn diesem, se.^o.. im Okiober 1814 ausgearbeiteten Memoriale wird klar anerkannt, .daß die Zuteilung einer guten Militärgränze an die Schweiz eben so seh^

520 im allgemeinen europäischen Jnteresse, wie in demjenigen der Eidgenossen^ schaft liege.

Als zwekmäßigste Gränze wurde bezeichnet: Der Laus der Valferine bis zur Rhone, die Rohne bis zum Fier. der Lauf dieses Flusses auf..

steigend bis zur Ouelle aus dem Berge Eharvin, und endlich die Berg.-

gipsel der Gebirgskette . welche das Faueignv bis zum Wallis begränzt.

Hiedurch würde , wie die Denksehrist weiter ausführt , die Schweiz eine undurchdringliche Gränze erhalten , wogegen sie die Bewachung der wich^ tigsten .^llpenpässe, des großen St. Bernhard und des Simplon übernähme, deren Hut ihr schon deßhalb am besten überlassen bliebe , weil sie selbst daran das größte Jnteresse zu nehmen in der Lage wäre. Es wird serner ^ in dem Memoriale ausdrüklich anerkannt, daß Genf ohne eine gute Gränze ^ie Schweiz eher kompromittiren als kräftigen würde, und daß alle Vor.theile verloren giengen. welche Genf als Schlüssel der Alpenpässe nach Jtalien für die Aufrechthaltung des europäischen Friedens darzubieten.

.vermöchte.

Unsere Repräsentanten wurden mithin angewiesen, die bestiinnite e^rKlärung abzugeben , daß und warum die Schweiz bei ihrem Programme stehen bleiben müsse , und daß sie nur auf der Erledigung der streitigen Frage durch eine europäische Konferenz beharren könne.

Die Denkschrift des Herrn von Humbolt , so wie feiner eine Reihe von Briefen des Herrn Pietet de Rouchemont aus den Jahren 1814 und .1815. welche eben so entscheidende Schlaglichter auf die Entstehungsgeschichte des hier in Frage liegenden Verhältnisses werfen. werden Jhnen ebenfalls gedrukt mitgetheilt werden. Seither haben wir noch eine ähnliche. eben so

interessante Denkschrift mitgetheilt erhalten^ datirt vom 1ti. Sept. l814,

in welcher die Minister Englands . Rußlands und ^esterreiebs über die fraglichen Verhältnisse in ga..z ähnlichem Sinne wie Herr von Humbolt

sich aiisfprechen. Anch dieses für die Geschichte wichtige Aktenstiik soll

^der Oeffentlichkeit übergeben werden.

Noch blieb uns übrig, auch auf diejenigen Noten Rüksicht zu nehmen, ^ie der französische .^err Minister der auswärtigen Angelegenheiten unterm 7. und 16. .^pril an seine Repräsentanten bei den Mächten, welche die Wiener ^Kongreßakte unterzeichneten, gerichtet hat.

Das Wesentliche dieser Noten reduzirt sich daraus, daß einerseits .

^ie Gültigkeit der von der Schweiz angerufenen altern Verträge bestritten wird ; daß andererseits aberinals versucht wird, nachzuweisen, die Schweiz ^abe ihre Rechte auf die neutralisirten Gebietstheile Savovens unter ^nerosem Titel nnd als Gegenleistung für die an sie abgetretenen Gebietsteil^ erworben, und daß drittens die Behauptung aufgestellt wird, die schwei^ prische Neutralität bestehe nur in der Verbindlichkeit der andern Mächte.

^ich jedes Angriffes aus unser Land zu enthalten; diese Neutralität hab.^

keinen Halt in sich selbst, sondern beruhe ans der alleinigen Grundlage .des gegenseitigen Jntereffes der Gränzstaaten.

^ .

.

l

^Unsere Antwort, die Jhuen ebenfalls gedrukt übergeben wird, mußte ^hr Augenmerk darauf richten, diese drei Säze, von denen die Unhalt^arkeit der beiden ersten in unfern frühern Noten wiederholt nachgewiesen worden ist, nochmals und einläßlich zu widerlegen. Mit besonderer Kraft erhöben wir uns darin gegen die Behauptung, als ob die politische UnAbhängigkeit .der Schweiz keine andere Grundlage habe , als den guten .Willen und das Jnteresse ihrer Nachbarstaaten.

Schäze die Schweiz sich

auch glüklich. wenn die Mächte sich jeder Angriffshandliing enthalten und ihr Gebiet achten ; betrachte sie die .^nexkennung ihrer Neutralität als eine schäzenswerthe Wohlthat, so dürfe sie gleichwol nicht unterlassen, ihr ^ Miiitärsr)stem fortwährend zu vervolllonimen und sich aufs Aeußerste an^ zustrengen, und durch eigene Kraft den ihr zufagenden politischen Zustand zu behaupten. Der Bundesrath betrachte also die Neutralität der Schweiz als das Ergebniß einer in ihren. Ueberlieserungen und volkstümlichen Jnteressen übergegangenen Politik, an welcher sie festhalte, welche sie selbst beobachte nnd beobachtet wissen wolle. Nur eine solche Neutralität , die ^nötigenfalls init der Gewalt der Waffen vertheidigt werde . entspreche dein Begriffe der Unabhängigkeit, der Se.bstständigkeit und der Würde der Schweiz . keineswegs aber eine Neutralität , welche bloß ein mitleidiges ^Geduldetsein als Titel ihrer Existenz aufznweisen vermöge. Wenn daher .einerseits die Schweiz die ihr zugeInuthete Rolle als ihrer Ehre wider^strebend zurükweist ; wenn sie andererseits ihre bescheidene Stellung im europäischen Staatenkonzerte keineswegs verkenne und ihrer militärischen

Macht sich nicht überhebe, so glaube sie schließlich denn doch befugt zu

se.in. zu verlangen . daß ihr die Mittel nicht versagt

werden , uin ihre

Neutralität und Selbstständigkeit mit Erfolg aufrecht zn erhalten, und daß

insbesondere Europa ihr diese bereits gewährten Mittel nicht wieder gleichgültig entziehen oder schmälern lasse.

Endlich bemerken wir, daß wir die verschiedenen politischen , InilitäBischen und kommerziellen Gesichtspunkte, welche bei der schwebenden AnGelegenheit für die Schweiz in Frage kommen . nochmals in besonderer Abhandlung haben zusammen stellen und erörtern lassen. Diese Auseinan^dersezungen sind jedoch für einmal noch nicht zur Veröffentlichung geeignet ; sie waren vielmehr zunächst für unsere Repräsentanten bestimmt und sollten .ihnen, so wie unsern Vertretern auf der Konferenz zur Jnstruktion nnd zur .Richtschnur ihres Handelns dienen. Wir legen diese Erörterungen im Ma.^useripte der gegenwärtigen Botschast bei.

Die Ereignisse in Sardinien nahmen indessen ihren raschen Verlauf.

Der Eessionsvertrag wurde von der Deputirtenkanimer am 30. Mai. vom Senate ani 10. Juni genehmigt und erhielt am ll. Juni die königliche Sanktion.

Die Besizergreisung durch Frankreich fand am l 4. Juni statt ; die-

selbe ist fowoi eine zivile als militärische, indem französische Truppen-

.

^

theile bereits bis Annech vorgeschoben find, und nach allen uns zugegan..^ genen Berichten anzunehmen ist , daß einzelne Truppentheiie noch weiter vorwärts in die nentralifirten Gebietstheile werden vorgeschoben werden.

Von der erfolgten Ratifikation des Eessionsvertrages ist uns von d^r sardinischen Gesandtschaft mit Note vom 14. dieß offiziell Kenntniß gegeben worden.

Wir haben nicht ermangelt, davon unsern Repräsentanten ini Ans.^ lande, zuhanden der betreffenden Kabinete, Mittheilung zu machen und da^ bei zu bemerken, daß wir an unsere frühern Rechtserörterungen erinnern, und an unserer bisherigen Auffassungsweise festhaltend, diejenigen ProleRationen auf das bestimmteste erneuern mußten, welche wir gegen diesen Abtretungsvertrag fortwährend eingelegt hätten. Endlich wiirde auch bei di.esem Anlasse unser Begehren um möglichste Beförderung der von der Schweiz angerufenen Konferenz der Mächte in Erinnerung gebracht. Der Erfolg dieser erneuerten Protestation und des damit verbundenen An^ txages auf Abhaltung der Konferenzen steht zu gewärtigen.

So weit unser Bericht über den wesentlichsten Punkt des vorliegen^ den Gegenstandes.

Wir berühren nun noch mit einigen Worten die Besezung Genfs,.

die seit Ansang Aprils stattgesunden hat, wobei wir noch hinzufügen, daß wir auch in ^ militärischer Beziehung das Erforderliche nicht verabsäumt habeu. um in den Stand gefezt zu sein, allen Eventualitäten begegne...

zu können. Das Einzelne dieser .Anordnungen liegt aber natürlich ni.cht in dem Bereiche der gegenwärtigen Berichterstattung.

Die Gründe, welche uns zu einigen militärischen Vorsichtsmaßregel^ Veranlassung gaben, sind Jhnen bereits in der Botschast vom ^8. März entwickelt worden. Die allgemeine Lage, in welcher wir uns damals be^ fanden, die große Aufregung. welche in Genf herrschte, die allarmirenden Gerüchte. welche fortwährend hernmgeboten wurden, die Besorgnisse vor abfälligen Demonstrationen, die versucht werden möchten, mußten jene Maßnahmen und also die Aufstellung eines Truppenkorps in Genf voll^ ständig rechtfertigen; dazu kam noch der Vorfall vom 30. März, d^ nämlich die Kunde einlangte, daß eine Anzahl Bewaffneter von Genf aus.

einen Handstreich auf das sardinische Ufer unternommen haben. Glük^ licherweise nahm dieses unbesonnene Wag..iß. das für die Schweiz von den^ schwersten
Folgen hätte sein können, einen wenig beunruhigenden Verlauf, indeni eine bewaffnete Landung auf savo.^ischem Gebiet nicht stattgefunden hat.

Dieser leztere Umstand hat ohne Zweifel die Anklagekammer ge..

leitet. als sie nach durchgeführtem Untersuche erkannte, es sei von einer förmlichen Jnanklagestellung der Betheiligten abzustehen.

Jnzwischen Innßte dieses Ereigniß, das übrigens sowol in Genf al^ in der ganzen Schweiz Ini.^ allgemeinster Mißbilligung aufgenommen wor den ist, die Besezung Genfs und die Aufstellung eines eidg. Kommiß sariates daselbst immerhin beschleunigen.

52^ Von den am 25. März zu Wiederholungs^kursen aufgerufenen Truppen wurden einzelne Theile zum effektiven eidg. Dienst nach Genf gezogen, während die übrigen nach Ablauf der Kurse wieder entlassen wurden.

Zn den erstmals einberufenen Truppen gehörten das Bataillon Nr. 84 .oon Genf, das Bataillon Nr.^ von Neuenburg. das Bataillon Nr. 58 v^n Bern; dann die Scharfschüzenkompagnien Nr. 1 von Bern, Nr. 9 vo^.

Waadt und die Artilleriekompagnie Nr. 5 von Bern.

Auf den Wunsch, diese Truppen vor der reglernentarifchen Frist vo^ drei Monaten durch andere erfezen zu lassen. glaubten wir um so eher eintreten zu sollen, als es sich hier nur noch um eine Truppenanfstellung.

in Friedenszeiten hande.t nnd als es überdieß von großem Werthe erschien, nach und nach auch andere Abtheilungen des eidgenössischen Heeres an dem trefflich geleiteten Unterrichte Theil nehmen.zu lassen. Dieser leztere Zwek ist nach übereinstimmenden Berichten in hohem Maße erreicht worden, indem an den Truppen , welche bis jezt die Garnison in Genf ausgemacht haben, tüchtige Fortschritte in der militärischen Ausbildung sich durchaus.

nicht verkennen lassen.

Wir bestimmten die ..^lblösungsfristen aus je sechs Wochen, und es sand^ demzufolge der erste Truppenwechsel in der zweiten Woche des Mai statt, und zwar durch ein Bataillon Nr. 35 .von Wallis, ein Bataillon Nr. 5.

von Zürich, die Scharfschüzenkompagnie Nr. 38 von Aargau und die Batterie Nr. I..... von Luzern.

Die zweite TrIIppenablöfnng erfolgte in der dritten Woche des Juni dnrch das Bataillon Nr. 43 von Bern, das Bataillon Nr. 56 von Frei-

burg, die Scharfschüzenkompagnie Nr. 18 von Appenzell A. R. und die.

Batterie Nr. 22 von Waadt.

Das eidgenössische Kommissariat wurde bestellt aus den Herren Landanimann Aepli von St. Gallen und Landainniann Welti von Aargau, die abwechselnd die Funktionen zu besorgen hatten.

Als Aufgabe des Kommissariates bezeichneten wir die Vertretung der.

Rechte und Jnteressen der Eidgenossenschaft inI Kanton Genf. Die Koinmissarien sollten ferner dahin wirken, daß die strafrichterliche Untersnehung wegen des Vorganges vom 30. März ihren ruhigen und ungestörten Fort-

gang finde, und daß überhaupt die Ruhe und gesezliche Ordnung in Gens

keine weitere Störung erleide.

Sollten militärische Maßregeln ergriffen werden müssen, so hätten die Herren Kommissäre sich mit dem Herrn Divisionär Ziegler .ins Einverständniß zn fezen, dem der Oberbefehl über die eidgenössischen Truppen in Genf übertragen war.

Jn diesen verschiedenen. theils^niilitärischen, theils politisch-adniinistrativen Maßregeln, welche übrigens vollkommen von den gewünschten Erfolgen begleitet waren , durfte und konnte die edle , von wahrhaft eidge^ nössischer Gesinnung beseelte Bevölkerung Genfs eine Bürgschaft dafür e.....^

524 bliken, daß die Eidgenossenschaft eine Solidarität der Jnteressen anerkenne und daß sie. wenn es sich um die Jntegrität Genfs, um die Wahrung der Selbstständigkeit dieses Bundesgliedes handeln füllte, vor keinen Opfern .zurüktreten würde.

Jn diesem Sinne glauben wir, ohne zu irren, annehmen zu dürfen, hat die Bevölkerung Genfs die getroffenen Maßnahmen aufgenommen ; dafür legt die Zuvorkommenheit und Herrlichkeit , mit welcher die eidgenös.^ fischen Truppen in Genf fortwährend behandelt worden sind, ein vollgül-

tiges Zeiigniß ab.

Die Verhältnisse haben sich indessen so gestaltet. daß das KoInmissa.riat demnächst anfgehoben werden kann; dagegen theilen wir Init den Herren Kommissären die Ueberzengung, daß ini Jnteresse der Ordnung die militärische Besezung noch fortdauern müsse.

Die gegenwärtigen, noch nicht gehörig abgeklärten und ini Uebergange Befindlichen Verhältnisse könnten leicht zu nngesezlichen Auftritten nnd zur Geltendniachung von Tendenzen Veranlassung geben. denen die .Schweiz uiit aller Energie entgegen treten müßte. Die Beseznng Genss kann der dortigen Bevölkerung nur znr Beruhigung gereichen und ihr Vertrauen in die Eidgenossenschaft krästigen.

Wir schließen unfern Bericht mit der Bemerkung , daß wir uns noch ^.nicht in der ...age befinden, mit eigentlich sachlichen Anträgen an Sie zu gelangen, indem vorerst der Erfolg unserer bisherigen Schritte abgewartet ^werden niiiß. Zu unserem Bedauern war es n^cht möglich, den von Jbnen beabsichtigten Status quo aufrecht zu erhalten, da, wie Sie ans deni Berichte werden ersehen haben, eine vollständige Besizergreifung auch dex neutralistrten Theile Savo.^ens mittlerweile vor sich gegangen ist.

Wir werden inzwischen die angebahnten Schritte mit allem entsprechenden Eifer ^erfolgen ; wir werden die Jnteressen der Schweiz in dieser schwebenden Frage auch künstig nach besten Kreisten wahrnehmen nnd die Rechte der Schweiz, so viel an uns liegt, zu wahren bestrebt seiii. Auch werden^ wir ^eim Eintreten ernsterer Umstände, oder wenn es sich um die Genehmigung einer Uebereinkunft handeln follte, natürlich nicht ermangeln, die BundesVersammlung unverzüglich wieder einzuberufen. Jnzwischen beschränken wir uns für einmal lediglich auf den Antrag, daß es Jhnen gefallen möge, ^die dein Bundesrathe unterm 4. April ertheilten Vollmachten wieder zu erneuern.

Genehmigen Sie, Tit., die erneuerte ^oninienen Hochachtung.

Versicherung unserer

voll-

B e r n , den 25. Juni 1860.

Jm Namen des schweiz. Bundesrathes , Der Bundespräsident: ^. .^re^-Heros........

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schieß.

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Zweite Botschaft des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend die Savoyerfrage. (Vom 25. Juni 1860.)

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07.07.1860

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