92

# S T #

4224

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Gewährleistung der abgeänderten Art. 30, 74, 79 -und 87 der Verfassung des Kantons Schaffhausen.

(Vom 25. Februar 1942.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

In der Volksabstimmung vom 14. Dezember 1941 haben die Stimmberechtigten des Kantons Schaffhausen ein vom Grossen Eat am 22. September 1941 beschlossenes Verfassungsgesetz über die Änderung der Art. 80, 74, 79 und 87 der Kantonsverfassung mit 6028 gegen 2756 Stimmen angenommen.

Die von der Bevision erfassten Verfassungsbestimmungen lauten in ihrer bisherigen und in der neuen Fassung wie folgt: Bisheriger Text: Art. 30.

Die sämtlichen Behörden, Beamten und Angestellten sind für ihre Amtsverrichtungen verantwortlich und werden auf die getreue Erfüllung ihrer Obliegenheiten in Pflicht genommen.

Art, 74.

Der Bezirkarichter beurteilt endgültig: a. die Zivilstreitigkeiten im ordentlichen und beschleunigten Verfahren ira Streitwert bis zn .' Fr. 200;

Neuer Text: Art. 80.

Abs. l unverändert.

Ein Mitglied des Grossen Eates und des Begierungsrates darf auf Grund von Äusserungen, die es bei Beratung eines Geschäftes im Grossen Bat getan hat, strafrechtlich und zivilrechtlich nur belangt werden, wenn der Grosse Bat hiezu die Bewilligung erteilt.

Art. 74.

Der Bezirksrichter beurteilt, soweit durch Gesetz nicht etwas anderes bestimmt wird, endgültig: a. die Zivilstreitigkeiten im ordentlichen und beschleunigten Verfahren im Streitwert bis zu Fr. 200;

93 Bisheriger Text: b. die Streitigkeiten im summarischen Verfahren;

e. die durch Gesetz einem Einzelrichter zugewiesenen Fälle der nicht streitigen Gerichtsbarkeit; d. die gerichtlicher Beurteilung unterhegenden Polizeistraffälle.

Er beurteilt ferner erstinstanzlich : a. alle Zivilrechtsfälle mit einem Streitwert von über Fr. 200 bis Fr. 1000; b. die Ehrverletzungsfälle.

Ausgenommen ist die Matrimonialgerichtsbarkeit.

Art. 79.

Dem Kantonsgericht werden zur erstinstanzlichen Beurteilung folgende Fälle zugewiesen: die Zivilstreitigkeiten mit einem Streitwert über tausend Franken, die Matrimonialfälle, die Straffälle nicht polizeilicher Natur.

Neuer Text: f>. die Streitigkeiten im summarischen Verfahren; v. die einem Einzelrichter zugewiesenen Fälle der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit ; d. die gerichtlicher Beurteilung unterliegenden Übertretungsstraffälle.

erstinstanzlich: a. die Zivilrechtsfälle mit einem Streitwert von über Fr. 200 bis Fr, 1000, mit Ausnahme der Matrimonialfälle ; b. die Ehrverletzungsfälle.

Art. 79.

Dem Kantonsgericht werden, sofern durch Gesetz nicht etwas anderes bestimmt wird, zur erstinstanzh'chen Beurteilung folgende Fälle zugewiesen : die Zivilstreitigkeiten mit einem Streitwert über Fr. 1000; die Matrimonialfälle; die Straffälle nicht polizeilicher Natur.

Art. 87.

Art. 87.

Das Verfahren zur Untersuchung Das Verfahren zur Untersuchung und Bestrafung von Übertretungen, und Bestrafung von Übertretungen, Vergehen und Verbrechen wird durch Vergehen und Verbrechen, die Orgadas Gesetz geregelt.

nisation und das Verfahren in JugendDie Ausscheidung der Polizeistraf- strafsachen sowie die Ausscheidung fälle geschieht durch die Gesetzgebung. der Übertretungsstraffälle werden durch Gesetz geregelt.

Der neue Abs. 2 des Art. 80 der Kantonsverfassung statuiert die p a r l a mentarische I m m u n i t ä t der Mitglieder des Grossen Rates und des Begierungsrates. Die Mitglieder dieser Behörden dürfen für Äusserungen bei Behandlung eines Geschäfts im Grossen Eat sowohl zivilrechtlich wie strafrechtlich nur mit Zustimmung des Grossen Bates belangt werden. Nach der die Verfassungsrevision begleitenden Botschaft fand sich dieser Grundsatz von jeher in der Geschäftsordnung des Grossen Rates, auch in der geltenden von 1920, allein er verlor durch Aufhebung des Verantwortlichkeitsgesetzes von 1854 im Jahre 1912 seine rechtliche Basis. Diese Lücke füllt der neue Text aus.

94 Die parlamentarische Immunität ist ein in der Schweiz fast allgemein verbreitetes off entlich -rechtliches Prinzip. Der Bund selbst kennt es für die Mitglieder der eidgenössischen Bäte (Bundesgesetz vom 26. März 1984 über die politischen und polizeilichen Garantien zugunsten der Eidgenossenschaft, Art. l--7; Bundesgesetz vom 9. Dezember 1850 über die Verantwortlichkeit der eidgenössischen Behörden und Beamten, Art. l, Abs. 8). Ebenso besitzen es die meisten Kantone, und es ist ihnen in Art. 866, Abs. 2, des schweizerischen Strafgesetzbuches ausdrücklich vorbehalten worden, Bestimmungen darüber zu erlassen (vgl. J. von Muralt, Die parlamentarische Immunität in Deutschland und der Schweiz, S. 85 ff.). Der Bund überlässt also den Kantonen die Eegelung der Frage, und es ist klar, dass eine dahingehende kantonale Vorschrift das Bundesrecht nicht verletzt. Auch bleibt es den Kantonen überlassen, ob sie den Grundsatz in der Verfassung verankern oder sonstwie ordnen wollen; sie sind in dieser Hinsicht verschieden vorgegangen (von Muralt, S. 44f.).

Die übrigen abgeänderten Verfassungsartikel beziehen sich auf die Zuständigkeit der Gerichte und auf das Verfahren in Strafsachen.

Art. 74 ordnet die Kompetenz des Bezirksrichters, Art. 79 diejenige des Kantonsgerichts. In beide Bestimmungen wurde der Vorbehalt eingefügt, dass die Gesetzgebung eine abweichende Ordnung treffen kann. Die Botschaft bezeichnet es als zweckmässiger, die Eegelung der sachlichen Zuständigkeit der Gesetzgebung zu überlassen; deshalb hat der neue Text, ohne allerdings auf eine Ausscheidung der Kompetenzen ganz zu verzichten, sie doch durch jenen Vorbehalt beweglicher gestaltet. Damit wird auch die verfassongsmässige Grundlage für den Art. 82 des kantonalen Einführungsgesetzes vom 22. September 1941 zum schweizerischen Strafgesetzbuch hergestellt, der die Möglichkeit geschaffen hat, durch die Presse begangene Ehrverletzungen vom Kantonsgericht beurteilen zu lassen, während das Verfassungsgesetz vom 10. Juli 1928 die Ehrverletzungen dem Bezirksrichter als Einzelrichter zur erstinstanzlichen Beurteilung überwiesen hatte.

Ebenfalls durch das schweizerische Strafgesetzbuch bedingt ist die Ergänzung des Art. 87 der Kantonsverfassung in Hinsicht auf das Jugendstrafrecht. Für die Ausscheidung der Übertretungsstraffälle wird wie bisher auf
die Gesetzgebung verwiesen. Während diese Bestimmung sich bisher auf die Ausscheidung im Bahmen des kantonalen Strafrechts bezog, erhält sie wiederum eine veränderte Bedeutung im Lichte des Art. 885 StGB, der neben dem einheitlichen Strafrecht für Verbrechen und Vergehen den Kantonen im wesentlichen das Übertretungsstrafrecht überlässt.

Es ist offensichtlich, dass auch diese abgeänderten Verfassungsbestimmungen ausschliesslich kantonales Recht beschlagen und nichts enthalten, was dem Bundesrecht zuwiderlaufen würde.

Wir beantragen Ihnen deshalb, durch Annahme des nachstehenden Beschlussesentwurfs, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, diesen

95 Verfassungsänderungen die nachgesuchte Gewährleistung des Bundes zu erteilen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 25. Februar 1942.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Etter.

Der Vizekanzler: Leimgruber.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Gewährleistung der abgeänderten Art. 30, 74, 79 und 87 der Verfassung des Kantons Schaffhausen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 25. Februar 1942, in Erwägung, dass diese Verfassungsänderungen nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten, beschliesst: Art. 1.

Den in der Volksabstimmung vom 14. Dezember 1941 angenommenen abgeänderten Art. 80, 74, .79 und 87 der Verfassung des Kantons Schaffhausen wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Î320

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Gewährleistung der abgeänderten Art. 30, 74, 79 und 87 der Verfassung des Kantons Schaffhausen. (Vom 25.

Februar 1942.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1942

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

05

Cahier Numero Geschäftsnummer

4224

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

05.03.1942

Date Data Seite

92-95

Page Pagina Ref. No

10 034 668

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.