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Bundesblatt

94. Jahrgang.

Bern, den 23. Juli 1942.

Band I.

Erscheint in der Segel alle 14 Tage. Preis 20 Franken im Jahr, 10 Franken im HalbJahr, zuzüglich Nachnahme- and Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr/ 50 Rappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stämpfli £ Cie. in Bern,

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über das Postulat des Nationalrates betreffend die Verschiebung der Volksabstim-mung über die Revision der "Wirtschaftsartikel und den Schutz bedrohter Wirtschaftszweige.

(Vom 14. Juli 1942.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Der Nationalrat hat am 19. März 1942 das nachfolgende Postulat mit 105 gegen 8 Stimmen angenommen: Der Bundesrat wird eingeladen, den eidgenössischen Räten Bericht und Antrag darüber einzubringen: 1. ob nicht unter den gegenwärtigen Umständen die Volksabstimmung über den Bundesbeschluss vom 21. September 1989 über eine Revision der Wirtschaftsartikel vorschoben werden soll; 2. ob der Art. 3 des Bundesbeschlusses vom 80. August -1939 über den Schutz des Landes und die Aufrechthaltung der Neutralität zu erweitern sei, um durch Kriegsfolgen bedrohten Wirtschaftszweigen den erforderlichen Schutz bald gewähren zu können.

Wir beehren uns, Ihnen über dieses Postulat wie folgt Bericht zu erstatten: L Ani 21. September 1939 haben die eidgenössischen Bäte den Bundesbeschluss über die Bevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung verabschiedet. Art, 2 dieses Beschlusses bestimmt, dass die Vorlage der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten ist. Angesichts der nach Kriegsausbruch eingetretenen allgemeinen Lage wurde von einer Durchführung der Volksabstimmung abgesehen. Nachdem aber mehr als zwei Jahre seit Kriegsausbruch verflossen sind, schien uns die weitere Verschiebung der Abstimmung über eine von beiden Bäten beschlossene abstimmungsreife Torlage nicht mehr vertretbar zu sein. Die massgebenden Spitzenverbände Bundesblatt, 94, Jahrg. Bd. I.

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der Wirtschaft (Schweizerischer Bauernverband, Schweizerischer Gewerbeverband, Vorort des Handels- und Industrievereins, Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen, Schweizerischer Gewerkschaftsbund, Landesverband freier Schweizer Arbeiter, Christlich-nationaler Gewerkschaftsbund, Schweizerischer Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter) sind indessen mehrheitlich der Ansicht, dass eine Volksabstimmung infolge der Ungewissheit über die künftige wirtschaftliche Entwicklung und infolge der innern und äussern Gefahren eines leidenschaftlichen wirtschaftspolitischen Kampfesvermieden werden sollte. Diese Ansicht wird auch von Mitgliedern der eidgenössischen Eate sowie in der Presse vertreten. Man macht geltend, dass.

die vor Kriegsausbruch verabschiedeten Wirtschaftsartikel durch die Kriegsereignisse überholt seien und wohl kaum mehr den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen der Nachkriegszeit entsprechen werden. Gleichzeitig wird aber die Notwendigkeit von Massnahmen zum Schutze bedrohter Wirtschaftszweigebetont. In der Absicht, hiefür eine rechtliche Grundlage zu schaffen, ist am 80. September 1941 die Motion Piller eingereicht worden, die vom Ständerat in der Dezembersession 1941 erheblich erklärt wurde. Die Motion hat folgenden Wortlaut: In Anbetracht dessen, dass eine Durchführung der Volksabstimmung über die Wirtschaftsartikel zurzeit sich nicht empfiehlt, anderseits die Lage gewisse vorläufige Massnahmen zum Schutze bedrohter Wirtschaftsgruppen verlangt, für welchedie Rechtsgrundlage umstritten ist, wird der Bundesrat eingeladen, den Räten, beförderlich eine Vorlage zu unterbreiten, die ein Vorgehen nach der genannten.

Richtung ermöglicht.

Diese Motion ist in der Märzsession 1942 vom Nationalrat abgelehnt und durch das eingangs wiedergegebene Postulat ersetzt worden. Dabei war vor allem die Erwägung entscheidend, dass die " Bundesversammlung sich selbst keine Kompetenzen erteilen könne, die ihr verfassungsinässig nicht zustehen und die ihr nur vom Souverän gewährt werden könnten, ferner dass die Gesetzgebung durch eine zweite Art von Vollmachtenbeschlüssen nach dem Vorbild, der dringlichen Bundesbeschlüsse erschwert würde und dass schliesslich im Volke der Eindruck entstehen könnte, die gewerbepolitischen Forderungen .sollten auf verfassungswidrigem Wege verwirklicht werden.

II.

Es ist unbestritten, dass unter den gegenwärtigen Verhältnissen, die durch eine Erschwerung von Import und Export und infolgedessen auch durch eine Einengung der Existenzmöglichkeiten gekennzeichnet sind, das Bedürfnis nach staatlichen Massnahmen zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft an Dringlichkeit zunimmt. Zum Erlass solcher Massnahmen, die unter Umständen vom Grundsatz der durch Art. 81 der Bundesverfassung garantierten Handels- und Gewerbefreiheit abweichen, bedarf es jedoch einer rechtlichen Grundlage. Der Bundesrat hat bisher davon abgesehen, Art. 3 des Bundesbeschlusses vom 30. August 1939 über Massnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrecht-

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haltung der Neutralität in diesem Sinne anzuwenden, da man allgemein der Auffassung war, dass die Wirtschaftsartikel, die hiefür eine Grundlage geschaffen hätten, dem Volke zur Abstimmung unterbreitet und bald in Kraft gesetzt werden könnten. Vor der Genehmigung des Bimdesratsbeschlusses vom 1. April 1941 über die kriegswirtschaftliche Bewilligungspflicht hat der Bundesrat zudem den Vollmachtenkominissionen, die Bedenken über dio Anwendung dieser Bestimmungen zur Verwirklichung gewerbepolitischer Postulate äusserten, die Erklärung abgegeben, er werde von diesem Bundesratsbeschluss nur zur Wahrung kriegswirtschaftlicher Belange Gebrauch machen. Es stellt sich daher neuerdings die Frage, wie unabweisliche Massnahmen zugunsten bedrohter Wirtschaftszweige rechtlich verankert werden sollen.

Für eine baldige Durchführung der Volksabstimmung über die Wirtschaftsartikel spricht die Überlegung, dass das Verständnis weiter Volkskreise für den Sinn und Zweck dieser Verfassungsrevision immer mehr verloren geht, je länger mit dem Volksentscheid zugewartet wird. Auch ist der Bundesrat nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, von beiden Katen verabschiedete Gesetze und Bundesbeschlüsse zur Abstimmung zu bringen.

Gegen die unverzügliche Vornahme der Abstimmung sprechen folgende Gründe: Die Wirtschaftsartikel wurden in einer Zeit ausgearbeitet, die gau/r unter dem Einfluss der Weltwirtschaftskrise stand. Inzwischen haben die Kriegsverhältnisse Umstellungen in der Wirtschaft hervorgerufen, so dass aller Wahrscheinlichkeit nach die Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit auf eine neue Grundlage gestellt werden muss. Es dürfte deshalb fraglich sein, ob die Wirtschaftsartikel sowohl den gegenwärtigen Anforderungen als auch der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung genügen werden. Im Hinblick auf die Ungewissheit der späteren Gestaltung der schweizerischen Wirtschaft, die auch wesentlich von der Entwicklung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen nach dem Kriege beeinflusst wird, erscheint es daher nicht als zweckmässig, schon im gegenwärtigen Zeitpunkt eine Dauerlösung in der Verfassung zu verankern. Zudem wird erst die Nachkriegszeit erkennen lassen, welche der während des Krieges ergriffenen ausserordentlichen Massnahmen abgebaut werden können und welche auch später beibehalten werden müssen.

Da ferner die
Gegenwart für eine Einigung über die Grundsätze der Wirtschaftspolitik nicht geeignet erscheint, kann es unter den obwaltenden Verhältnissen nicht im Interesse des Landes hegen, einen Abstimmungskampf über eine Frage von grosster Tragweite zu entfesseln, der unter Umständen heftige Formen annehmen und im Auslande den Eindruck tiefgehender innerer Zerwürfnisse erwecken könnte. Mit der Annahme der Wirtschaftsartikel würde schliesslich noch kein praktisches Ergebnis erreicht. Vorher müssten die Ausführungsgesetze auf dem ordentlichen Wege erlassen werden, während unter den heutigen Verhältnissen aber rasches Handeln oft dringend erforderlich ist.

Was die rechtKche Seite der Frage anbetrifft, ob dio Volksabstimmung über die Eevision der Wirtschaftsartikel verschoben werden kann, vertritt der Bundesrat folgende Ansicht:

488 Gemäss Art. 121, Abs. l, der Bundesverfassung kann eine Partialrevision sowohl auf dem Wege der Volksanregung (Initiative) ala der Bundesgesetzgebung vorgenommen werden. Die Revision der Wirtschaftsartikel erfolgte in der Form der Bundesgesetzgebung, indem der Vorschlag hierzu vom Bundesrat ausging und die Eäte ihren Erlass in die Form eines Bundesbeschlusses gekleidet haben, der, weil auf eine Verfassungsrevision gerichtet, noch der Abstimmung bedarf. Art. 2 des Bundesbeschlusses vom 21. September 1939 bestimmt, dass der Beschluss der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterbreiten sei und dass der Bundesrat mit dem Vollzug dieser Abstimmung beauftragt werde (vgl. Art. 9, Abs. l, des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse*) in Verbindung mit Art. 16 des Bundesgesetzes vom 27. Januar 1892 über das Verfahren bei Volksbegehren und Abstimmungen betreffend die Revision der Bundesverfassung **)). Innerhalb welcher Frist diese Abstimmung stattfinden rnuss, ist im Unterschied gegenüber einer Verfassungsimtiative für den Fall einer Verfassungsrevision auf dem Wege der Bundesgesetzgebung nicht vorgeschrieben. Wo der betreffende Beschluss selbst nichts Gegenteiliges vorsieht, soll sie jedoch möglichst bald durchgeführt werden, weil der Bundesrat die Arerwirklichung eines von den Räten endgültig verabschiedeten Erlasses nicht nach Belieben verzogern darf. Ans Gründen, die eingangs in diesem Bericht und früher schon im Geschäftsbericht für das Jahr 1940 (S- 220) näher dargelegt sind, hat der Bundesrat den Bundesbeschluss vom 21. September 1989 im Hinblick auf die besondern Zeitverhältnisse bisher noch nicht der Volksabstimmung unterbreitet. Ei ist jedoch nicht gewillt, die Verantwortung für diesen Schwebezustand länger auf sich zu nehmen, sondern vertritt die Auffassung, dass die Bundesversammlung selbst zu der jetzigen Situation Stellung nehmen und ihr durch eine klare Lösung ein Ende setzen sollte.

Wenn der Bundesrat an die Räte gelangt, so geht er dabei von der Überlegung aus, dass ihm in dieser Angelegenheit gemäss den vorstehenden Ausführungen nur die Kompetenz zur Anordnung der Volksabstimmung zukommt, wogegen das materielle Verfügungsrecht über die Verfassungsvorlage einzig und allein den beiden Räten zusteht. Das Volk, dem die
endgültige Entscheidung zusteht, ist noch nicht verfügungsberechtigt, weil es in keiner Weise mit dem Gegenstand befasst ist, und der Bundesrat hat sein Verfügungsrecht über seinen eigenen Rcvisionsvorschlag auf jeden Fall in dem Moment verloren, in welchem die Vorlage, wenn auch mit Abänderungen, von den Räten angenommen worden ist. Ein Rückzug derselben durch den Bundesrat wäre somit nicht mehr zulässig, da sich, wie bereits erwähnt, seine Befugnisse beim jetzigen Stand der Angelegenheit auf die Anordnung der Volksabstimmung beschränken. Falls sich die Rate erneut mit der Vorlage befassen wollen, haben sie dem allgemeinen Grundsatz zu folgen, dass ein Rechtssatz nur durch *) A. S. l, 110.

**) A. S. 12, 885.

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contrarias actus, jedenfalls nicht durch einen Eechtssatz untergeordneten Banges, abgeändert worden kann. Daraus ergibt sich, dass also keiner der beiden Bäte allein ohne die Zustimmung des andern in irgendeiner Weise verbindlich über das Schickaal der Vorlage bestimmen kann. Für die Art des Vorgehens fallen zwei Möglichkeiten in Betracht: Zunächst können die beiden Bäte auf ihre Vorlage in dein Sinne zurückkommen, dass sie sie nachträglich ala nicht abstimmungsreif erklären, wie dies schon anlässlieh der Beratungen in dem Sinne möglich gewesen wäre, dass sie die Schlussabstimmung hinausgeschoben hätten. Da für die Bevision der. Wirtschaftsartikel die Form der Gesetzgebung gewählt worden ist und es sich nicht um eine Verfassungsinitiative handelt, haben die Bäte auch die Möglichkeit, ihren Beschluss wieder aufzubeben. Dies ist /mässig, auch wenn der Erlass in dem Sinne gültig zustande gekommen ist, dass er, um Verfassungskraft zu erhalten, lediglich noch der Annahme durch Volk und Stände bedarf.

In beiden Fällen würde die Pflicht des Bimdesrates zur Anordnung der Volksabstimmung aufgehoben, ohne dass dies jedoch einen Eingriff in seine Kompetenzen bedeuten würde, denn im einen wie im andern Falle wäre ein von den Bäten endgültig verabschiedeter Erlass nicht vorhanden und die Voraussetzung für eine Volksabstimmung somit nicht gegeben.

Zusammenfassend ergibt sich, dass die beiden Bäte in der gegenwärtigen Situation durch übereinstimmendes Vorgehen entweder eine Verschiebung der Volksabstimmung oder die Aufhebung des Bundesbeschlusses vom 21. September 1939 beschliessen können.

III.

Unter den gegenwärtigen Verhältnissen macht sich immer mehr ein Bedürfnis nach Massnahmen zugunsten von Wirtschaftszweigen geltend, deren Lage sich im Laufe des Krieges zusehends verschlimmert. Wir verweisen einerseits auf die Ergebnisse der eidgenössischen Betriebszählung .für 1939 und anderseits auf die zunehmende Verknappung der Rohstoffe. Während sich die Zahl der Botriebe von 1929 auf 1939 um 11 % vermehrt hat, hat die Bevölkerung nur um 8,4 % .zugenommen. Bei den beschränkten Absatzmöglichkeiten entspricht der ungewöhnliche Zuwachs um 28 000 Betriebe volkswirtschaftlich keiner Notwendigkeit; er erschwert überdies den bereits bestehenden, an sich noch lebensfähigen Betrieben das Durchhalten während der Kriegszeit. Mit der Ausdehnung der Rationierung der Gebrauchsgüter, dem Schwund der Kaufkraft und der Kontingentierung der Bohstoffe dürften sich diese Schwierigkeiten noch erhöhen, zumal die durch Kriegsfolgen verdienstlos gewordenen Selbständig- und Unselbständigerwerbenden versuchen werden, sich in die der kriegswirtschaftlichen Bewilligungspflicht nicht unterstellten Handels- und tìewerbezweìge mi flüchten, obwohl auch diese infolge der eingeschränkten Kohstoff- und Warenzuteilung bereits unter schrumpfenden Umsätzen leiden.

Eine Zulassung neuer Unternehmungen und Betriebe in solchen Handels- und

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Gewerbezweigen würde daher wirtschaftlich vielfach eine Verschwendung von Produktionsmitteln, Konsumgütern und Arbeitskräften bedeuten, die heute nicht erwünscht ist. Handel und Gewerbe würden es zudem nicht verstehen, wenn die Unternehmer einerseits aus kriegswirtschaftlichen Gründen in ihrer wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden müssen, anderseits aber keine Hilfe zur Milderung der durch den Krieg verursachten und verschärften Notlage erwarten können mit der Begründung, dass hiefür die rechtlichen Grundlagen fehlen. Die Grenze zwischen Kriegs- und Friedenswirtschaft verwischt sich bei längerer Dauer des Krieges in steigendem Masse. Es wird daher immer schwieriger, die zu ergreifenden Massnahmen nach kriegs- und friedenswirtschafthchen Gesichtspunkten auseinandemüialten, da im Grunde genommen die Volkswirtschaft sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten eine Einheit bildet und auf die Dauer nicht in zwei voneinander unabhängige Sektoren aufgeteilt werden kann. Es ist daher keineswegs abwegig, zum Schutze der direkt und indirekt durch Kriegsfolgen bedrohten Wirtschaftszweige die gleichen Vollmachten anzurufen, auf die sich die kriegswirtschaftlichen Massnahmen im engeren Sinne zur Produktions- und Konsumlenkung stützen.

Obwohl der Bundesrat entsprechend der den Vollmacbtonkommissiouen erteilten Zusicherungen von seinen Vollmachten bisher einen restriktiven Gebrauch gemacht hat, dürfte Art. 8 des Bundesbeschlasses vom 30. August 1989 über Massnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechthaltung der Neutralität eine hinlängliche rechtliche Grundlage für Massnahmen zugunsten bedrohter Wirtschaftszweige bilden. Der genannte Artikel hat folgenden Wortlaut: Die Bundesversammlung erteilt dem Bundesrat Vollmacht und Auftrag, die zur Behauptung der Sicherheit, Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz, nur Wahrung des Kredites und der wirtschaftlichen Interessen des Landes und zur Sicherung des Lebensunterhaltes erforderlichen Massnahmen zu treffen.

Dieser Art. 3 spricht deutlich von den zur Wahrung des Kredites und der wirtschaftlichen Interessen des Landes und zur Sicherung des Lebensunterhaltes erforderlichen Massnahmen; er enthält jedoch keinen Hinweis auf kriegswirtschaftliche Gründe und auch nicht auf Notlagen, die schon vor dem Kriege bestanden haben oder erst durch ihn
entstanden sind. Erst die Praxis hat der Anwendung der Vollmachten ausschliesslich kriegswirtschaftliche Gründe zugrunde gelegt, wobei auch die Absicht eine wesentliche Eolie spielte, den Inhalt der Wirtschaftsartikel nicht vorweg zu nehmen. Es wurde daher von den Vollmachten nicht in ihrer vollen Tragweite Gebrauch gemacht. Zum Brlass von Massnahmon zugunsten bedrohter Wirtschaftszweige erübrigt sich deshalb eine Änderung des Wortlautes von Art. 8, da der Bundesrat schon auf Grund des bestehenden Wortlautes alles vorkehren kann, was während der Dauer der Vollmachten zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des Landes und zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Bevölkerung notwendig ist.

491 Dass die Vollmachten im Grunde genommen allgemein zu verstehen sind, "beweisen auch die weitgehenden Beschlüsse, die der Bundesrat unter Zustimmung der Bundesversammlung bereits gefasst hat. In diesem Zusammenhang verweisen wir lediglich auf! folgende Erlasse: Verordnung vom 2. September 1939 über die Arbeitsdienstpflicht, Verordnung vom 17. Oktober 1939/24. Januar 1941 über vorübergehende Milderungen der Zwangsvollstreckung, Verordnung vom 20. Oktober 1989 über die Ausdehnung des Ackerbaues, Bundesratsbeschluss vom 20. Dezember 1939 über die Lohnersatzordnung, Bundesratsbeschluss vorn 14. Juni 1940 über die Verdienstersatzordnung, Bundesratsbeschluss vom 12. April 1940/18. September 1941 über die Gewerbehilfe, Verordnung vom 22. Oktober 1940/19. Dezember 1941 über vorübergehende rechtliche Schutzmassnahmen für die Hotel- und Stickereiindustrie, Bundesratsbeschluss vom 28. Dezember 1940 über die Fortsetzung der Hilfsmassnahmen für das schweizerische Hotelgewerbe, Bundesratsbeschluss vom 28. Dezember 1940 über die Fortsetzung der Hilfeleistung für die schweizerische Stickereiindustrie, Bundesratsbeschluss vom 28. Februar 1941 über die Schaffung kriegswirtschaftlicher Syndikate, Bundesratsboschluss vom 1. April 1941 über die kriegswirtschaftliche Bewilligungspflicht für die Eröffnung von Betrieben, Bundosratsbeschluss vom 29. Juli 1941 über die Warenumsatzsteuer, Bundesratsbeschluss vom 19. Dezember 1941 über die Bewilligungspflicht für Eröffnung und Erweiterung von Beherbergungsstätten.

Diese Auslese zeigt, dass grundsätzlich kein anderer Weg beschritten würde, ·wenn, ausser dem Hotelgewerbe und der Stickereiindustrie auch andern in Not geratenen Wirtschaftszweigen auf Grund der Vollmachten geholfen wird. Ein Unterschied besteht nur insoweit, als bereits vor dem Kriege zugunsten dieser beiden Wirtschaftszweige unter finanzieller Mithilfe des Bundes Sanierongsaktionen durchgeführt worden sind. Das ist aber kein ausreichender Grund, um andere, durch die Kriegseinflüsso ebenfalls notleidend gewordene Wirtschaftsgruppen von einer staatlichen Hilfe auszuschliessen.

Durch eine sachgemässe Interpretation von Art. 3 des Vollmachtenbeschlusses sollen dem Bundesrat indessen nicht unbeschränkte Kompetenzen erteilt werden, auf Grund derer er Massnahmen ergreifen könnte, die eine Umgestaltung des bestehenden
Wirtschaftssystems zur Folge hätten. Das .Ziel der wirtschaftlichen Massnahmen wird darin hegen, das Durchhalten bedrohter Wirtschaftszweige zu ermöglichen und sie in die Lage zu versetzen, den Anforderungen der Nachkriegszeit, die voraussichtlich nicht geringer sein werden als vor dem Krieg, einigerinassen gewachsen zu soin.

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Die eidgenössische G e w e r b e k o m m i s s i o n hat sich anlässlich ihrer Tagung vom 10. April 1942 eingehend über das Postulat des Nationalrates, ausgesprochen. Ohne abschliessend zu den mit diesem Postulat zusammenhängenden Fragen Stellung zu nehmen, sprach sie sich für die Verschiebung der Volksabstimmung über die Wirtschaftsartikel aus und bezeichnete dieEinführung der gewerblichen neben der kriegswirtschaftlichen Bewilligungspflicht als wichtigste Massnahme zum Schutze von Wirtschaftszweigen, die infolge des Krieges in eine schwierige Lage geraten sind. Ferner befürwortete sie die Einführung eines schweizerischen Berufsregisters sowie den Erlass eines Bundesratsbeschlusses über den unlauteren Wettbewerb mit Einschluss der Preisschleuderei für den Fall, dass das über diese Materie in Vorbereitung befindliche Bundesgesetz nicht rechtzeitig in Kraft gesetzt werden könne, Veranlasst durch die eidgenössische Gewerbekommission richtete der Schweizerische Gewerbeverband daraufhin am 27. April 1942 eine Eingabe an das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement, in der er die Massnahmen, die nach seiner Auffassung «zur Linderung der seit Kriegsbeginn eingetretenen Notlagen und zur Sicherung eines angemessenen Lebensunterhaltes im Gewerbe unumgänglich sind», im einzelnen darlegte und begründete.

Als Postulate, die nach dem Dafürhalten des Gewerbeverbandes nur auf Grund von Art. 3 des Bundesbeschlusses vom 30. August 1939 über Massnahmen zum Schutze des Laudes und zur Aufrechthaltung der Neutralität verwirklicht werden können, werden in dieser Eingabe genannt: 1. Die Einführung der allgemeinen Bewilligungspflicht für alle gewerblichen, Berufe und Branchen.

2. Die Einführung eines schweizerischen Berufsregisters.

8. Sofortmassnahmen zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbes.

4. Die Gewährung angemessen erhöhter Bundesbeiträge zum Abbau der Übersetzung in notleidenden Handwerkszweigen und im Detailhandel.

5. Die Einführung der Allgemeinverbindlicherklärung normativer Verbandsabmachungen und -beschlüsse.

6. Vermehrte Hilfe für das Gewerbe in den Grenzgebieten.

7. Die Vorbereitung von Massnahmen für die Überführung der gewerblichen.

Wirtschaft in die Nachkriegszeit.

8. Die Unterstützung der Bestrebungen zur Gewinnung neuer Absatz- und.

Arbeitsmöglichkeiten fürden Export.

Diese Postulate
geben zu folgenden Bemerkungen Anlass: Ad. 1. Die allgemeine Bewilligungspflicht für die Eröffnung von gewerblichen Betrieben, ein seit langem vertretenes Postulat des Gewerbestandes, bildet die wichtigste der geforderten Massnahmen. Es liegt auf der Hand, dass alle staatlichen Hilfsaktionen und alle Selbsthilfebestrebungen des Gewerbes zur Anpassung an die voränderten Verhältnisse so lange nur Stückwerk bleiben und, im ganzen betrachtet, über bescheidene Anfangs-

493 erfolge nicht hinausgelangen können, als sie nicht durch die allgemeine Bewilligungspflicht ergänzt werden. Solange der Neuzugang zu den verschiedenen Zweigen des Gewerbes grundsätzlich an keine Schranken gebunden ist und deshalb besonders in Krisenzoiten mit einem starken Zudrang vielfach ungeeigneter Elemente zu den selbständigen Berufsarten gerechnet werden muss, können die Gewerbehilfe durch die gewerblichen Bürgschaftsgenossenschaften, die Arbeitsbeschaffung und allfällige Massnahmon zum Abbau der vorhandenen Übersetzung ihren Zweck nicht oder nur unvollständig erreichen. Das Problem ist heute in Hinblick auf die zunehmende Einengung der Absatzmärkte sowie die wachsenden Bohstoff Schwierigkeiten besonders dringend geworden, da im Falle einer starken Arbeitslosigkeit in der Nachkriegszeit befürchtet werden muss, dass, wie in den Krisenjahren 1981 bis 1936, viele Arbeitslose in Ermangelung eines Arbeitsplatzes versuchen werden, sich als Selbständigerwerbende zu betätigen.

In diesem Zugammenhang darf auf den Bericht der begutachtenden Kommission für Wirtschaftsgesetzgebung an das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement vom 4. Juni 1937 hingewiesen werden (Bundesbl, 1937, II, 903 ff.). Diese Kommission, die seinerzeit zur Vorbereitung der Wirtschaftaartikol eingesetzt wurde, bezeichnet es in ihren Thesen zur Gewerbepolitik als unerlässlich, «den Zustrom ungeeigneter Elemente zum Detailhandel und zum Kleingewerbe zu verhindern» und befürwortete zu diesem Zweck die Einführung des obligatorischen Fähigkeitsausweises zur selbständigen Ausübung eines Berufes.

Im Sinne dieser Überlegungen halten wir dafür, dass über die Bestimmungen des Bundesratsbeschlusses vom 1. April 1941 über die kriegswirtschaftliche Bewilligungspflicht hinaus die Eröffnung neuer Betriebe nicht nur aus kriegswirtschaftlichen, sondern auch aus gewerbepolitischen Gründen der Bewilligungspflicht unterstellt werden sollte. Beide Arten der Bewilligungspflicht könnten nebeneinander bestehen : von der kriegswirtschaftlichen Seite her wäre insbesondere die Überwindung der Bohstoffknappheit und die Produktionslenkung anzustreben, wogegen die neue Massnahme der Erhaltung und Gesundung gefährdeter Erwerbszweige zu dienen hätte. Praktisch einfacher wäre es, sich auf einen einzigen Erlass zu beschränken, welcher neben den
kriegswirtschaftlichen auch die gewerbepolitischen Massnahmen umfassen würde.

Der Vollzug wäre in diesem Fall, wie beim Warenhausverbot, Sache des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit und der Kantone, unter Vorbehalt der Begutachtung durch die kriegswirtschaftlichen Stellen. Denkbar wäre es auch, dieses Verfahren nur für das Gewerbe und den Detailhandel anzuwenden und die eigentlichen Industriebetriebe unter dem Eegime des Bundesratsbeschlusses vom 1. April 1941 zu belassen.

Die eidgenössische Gewerbekommission hatte bereits am 11. Februar 1941 einen Entwurf zu einem. Bundesratsbeschluss über die Eröffnung, Schliessung und Zusammenlegung von gewerblichen Betrieben ausgearbeitet, der dann zugunsten des bereits erwähnten Bundesratsbeschlusses vom 1. April 1941

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zurückgelegt wurde. Dieser Entwurf sieht · in grossen Zügen eine ähnliche Lösung vor, wie sie inzwischen für die kriegswirtschaftliche Bewilligungspflicht in Kraft getreten ist. Insbesondere verzichtet er ebenfalls auf ein allgemeines Eröffnungsverbot und beschränkt sich auf einen Bahmenerlass für die Einführung der Bewilligungspflicht in einzelnen Berufszweigen. Als entscheidend für die Unterstellung wird das öffentliche Interesse bezeichnet, wobei der Schutz aktivdienstleistender Betriebsinhaber oder die Krisenbekämpfung im Vordergrund stehen. Das Bewilligungsverfahren selbst würde von den Kantonen durchgeführt, mit der Möglichkeit, den Entscheid an eine eidgenössische Kekursinstans; weiterzuziehen.

Nach dem Entwurf wären für die Erteilung der Bewilligung die persönlichen, fachlichen und finanziellen Verhältnisse des Gesuchstellers massgeblich, wogegen die Bedürfnisklausel in den Spezialerlassen, die die Bewilligungspflicht auf einen bestimmten Erwerbszweig als anwendbar erklären, nur ausnahmsweise aufgestellt werden dürfte. In Betracht käme auch eine Lösung, die ungefähr der Kegelung im Bundesbeschluss vom 11. Dezember 1941 über Massnahmen zum Schutze des Schuhmachergewerbes entsprechen würde. Darnach ist Inhabern des Meisterdiploms sowie Personen, die seit Einführung der Meisterprüfung ununterbrochen im Berufe tätig waren, die Bewilligung zu erteilen, wogegen Personen, die kcino dieser Voraussetzungen erfüllen, ein Bedürfnis oder einen besondern Härtefall nachweisen müssen. Diese zweite Lösung hätte den \'orteil, dass von der Einführung der Bedürfnisklausel bei der Unterstellung einzelner Erwerbszweige abgesehen werden könnte und dass dem berufstüchtigen Nachwuchs trotz der Bewilligungspflicht die Aufstiegsmöglichkeiten gewahrt blieben. Der Numerus clausus oder ein allgemeines Eröffnungsverbot wäre dagegen eventuell als örtlich oder zeitlich begrenzte, zusätzliche Massnahme für besonders gefährdete Gegenden (z. B. Grenzgebiete) oder für die schwersten Krisenperioden vorzubehalten.

Im Zusammenhang mit der Bewilligungspflicht sollte auch die Zusammenlegung oder Stillegung nicht lebensfähiger Betriebe, die Bildung von Betriebsgemeinschaften sowie die Bationalisierung der Betriebsmethoden vorgesehen werden können. Dabei wären insbesondere auf diesem Gebiet die Selbsthilfebestrebungen der betreffenden
Wirtschaftszweige einerseits als Voraussetzung und andererseits als Ergänzung der staatlichen Massnahmen heranzuziehen, und ebenso rnüssten auch die erforderlichen finanziellen Mittel durch den Staat und die beteiligten Kreise gemeinsam aufgebracht werden.

Ad. 2. B o r u f s r e g i s t e r sind bereits in den Kantonen Preiburg, Neuenburg, Waadt, Walhs und Solothurn *) eingeführt worden. Ihre Einführung *) Freiburg: Beschluss betreffend Einführung eines Berufsregisters vom 26. März 1937.

Neuenburg: Arrêté concernant le registre de la profession du 2 décembre 1938.

Waadt: Arrêté instituant un registre professione! du 20 juillet 1939.

Wallia : Arrêté instituant le registre professione! du 30 janvier 1942, Solothurn: Verordnung über die Einführung eines Firmenregisters und die Anerkennung der Meisterprüfung bei der Vergebung von Arbeiten und Leistungen durch den Staat vom 21. April 1942,

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befindet sich unseres Wissens in den Kantonen Aargau, St. Gallen und Genf in Vorbereitung, während andere Kantone, wie Zürich, sich in ablehnendem Sinne ausgesprochen haben. Die in Kraft stehenden kantonalen Beschlüsse und Vorordnungen sehen im wesentlichen die Eintragung vor für Personen, die gemäss den Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 26. Juni 1980 über die berufliche Ausbildung eine höhere Fachprüfung bestanden oder die vor Einführung höherer Fachprüfungen den Beruf selbständig ausgeübt haben.

Für den zweiten Fall fordern die Kantone Waadt und Solothurn entweder den Besitz des Fähigkeitsausweises oder, falls dieser Ausweis nicht vorhanden ist, die selbständige Berufsausübung seit 1916 b/w. während mindestens drei Jahren vor Einführung der höheren Fachprüfungen. Personen aus Berufen, für die noch keine höheren Fachprüfungen eingeführt wurden, können in das Eegister eingetragen werden, sofern sie den kantonalen Fähigkeitsausweis besitzen (Freiburg, Neuenburg) oder während zwei oder drei Jahren selbständig im Berufe tätig waren (Waadt), oder den Beruf vor Einführung der kantonalen Lehrabschlussprüfung mit Erfolg während mindestens drei Jahren selbständig avisgeübt haben (Solothurn). Ferner werden die Zugehörigkeit zu den Berufsverbänden oder die Einhaltung der von diesen vereinbarten Arbeitsbedingungen (Neuenburg) sowie die ordnungsgemässe Führung der zur Darlegung der Vermögenslage und des Geschäftsganges erforderlichen Geschäftsbücher verlangt (Solothurn). An Stelle der Führung eines eigentlichen Berufsregisters erteilt der Kanton Bern*) lediglich Bestätigungen an Personen, die die höhere Fachprüfung nach den Vorschriften des Bundesgcsetzes über die beruf hohe Ausbildung bestanden oder vor Einführung höherer Fachprüfungen den Beruf selbständig und mit Erfolg ausgeübt haben. Arbeiten und Lieferungen an den Staat sowie die von der öffentlichen Hand subventionierten Aufträge dürfen nur noch an im Register eingetragene Firmen vergeben werden. Ebenso sind nur eingetragene Firmen zur Annahme von Lehrlingen berechtigt.

Das Postulat des schweizerischen Gewerbeverbandes zielt auf die Einführung eines schweizerischen Berufsregisters von Bundes wegen ab, mit der Massgabe, dass bei Öffentlichen Vergebungen von Bund, Kantonen und Gemeinden nur noch eingetragene Firmen berücksichtigt werden dürften. Eme
solche Massnahme, die den Zweck verfolgt, den Kreis der Beworber bei Subventionen einzuschränken, geht ausserordentlich weit, und es scheint uns fraglich /u sein, ob sich die Kantone und Gemeinden mit einer derartigen Einmischung des Bundes in ihre Vergebungspraxis abfinden könnten.

Nachdem nun aber eine Beihe von Kantonen das Meisterregister eingeführt haben oder im Begriff sind, dies zu tun und auch bereits gewisse Erfahrungen vorliegen, wäre immerhin die Frage zu prüfen, ob nicht die grund*) Bern: Verordnung über die Anerkennung der Meisterprüfung und der bewährten Ausbildung von Lehrlingen bei Vergebung von Arbeiten und Leistungen für den Staat, seine Verwaltungen und Anstalten vom 5. September 1941.

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legenden Bestimmungen für die Einführung solcher Begister vom Bund erlassen werden sollten. Andernfalls ist, zu befürchten, dass sich bei einem weiteren .Vorgehen auf kantonalem Boden eine derart verschiedenartige und unübersichtliche Eechtsentwicklung ergibt, dass Massnahmen des Bundes in Bezug auf die berufliche Ausbildung, wie überhaupt auf dem Gebiete der Gewerbepolitik, auf beträchtliche Schwierigkeiten stossen würden. Auch wenn man den Kantonen weiterhin die Einführung von Berufsregistern überlassen will, so werden doch bestimmte Minimalvorschriften des Bundes über die Zulassung zum Eintrag in solche Eegister nicht zu umgehen sein, da sonst die Freizügigkeit beeinträchtigt würde und sich 'Widersprüche mit dem Bundesgesetz über die berufliche Ausbildung ergeben könnten, das das Eecht zur Annahme von Lehrlingen abschlicssend umschreibt. Solche Eegister kämen unseres Erachtens nur für jene Berufe in Betracht, welche die Meisterprüfung bereits eingeführt haben und die überdies der Bewilligungspflicht unterstellt, werden. In diesen Fällen könnten die Kantone verhalten werden, ein Eegister der Personen za führen, die zur selbständigen Berufsausübung zugelassen sind, wobei es jedoch den Kantonen anheimgestellt bliebe, welchen Gebrauch sie von diesen Eegistern bei ihrer Vergebungspraxis machen wollen.

Ad. 3. Sofortige ITassiiahmen zur B e k ä m p f u n g des u n l a u t e r e n W e t t b e w e r b e s auf Grund der Vollmachten dürften im Hinblick auf das in Vorbereitung befindliche Bundesgesetz über diese Materie vorderhand nicht notwendig sein. Xachdem die eidgenössischen Bäte am 11. Juni 1941 übereinstimmend beschlossen haben, den seit 1984 in Beratung befindlichen Entwurf zu einem Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb nicht mehr weiter zu behandeln, wurde sofort ein neuer Entwurf ausgearbeitet und eine Expertenkommission bestellt, deren Beratungen abgeschlossen sind, so dass damit gerechnet werden kann, dass der neue Gesetzesentwurf noch im Verlaufe dieses. Jahres den eidgenössischen Eäten vorgelegt werden kam).

Ad. 4. Die Forderung nach angemessen erhöhten Bundesbeiträgen, an den A b b a u der Ü b e r s e t z u n g n o t l e i d e n d e r H a n d w e r k s z w e i g e und des m i t t e l s t ä n d i s c h e n Detailhandels bezieht sich offenbar in erster Linie auf den Ausbau der besondern
Gewerbehilfe, wie sie in Art. 5 des Bundesratsbeschlusses vom 18. September 1941 über die Gcwerbehilfedurch die gewerblichen Bürgschaftsgenossonschaften für Fremdenplätze,.

Grenzgebiete und Betriebe des Autogewerbes vorgesehen ist. Die Ausdehnung dieser Hilfsaktion auf weitere Erwerbszweige und die Erhöhung der. Liquidationsdarlehen, die bisher Fr. 6000 im Einzelfall nicht übersteigen durften, erfordert keine neue rechtliche Grundlage, wohl aber vermehrte finanzielle Aufwendungen. Wir fragen uns deshalb, ob die durch die Massnahmen Begünstigten die hiefür erforderlichen Mittel, wenigstens zum Teil, nicht selbst aufbringen könnten.

Ad. 5. Die Einführung der A l l g e m e i n v e r b i n d l i c h e r k l ä r u n g von V e r b a n d s v e r e i n b a r u n g e n und -beschlüssen als selbständige und

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generelle Massnahme ohne genaue Angabe der damit verfolgten Zwecke kommt, ·weil es sich hier uni eine Neuerung von grosser Tragweite handelt, als vorübergehende Massnahme nicht in Betracht. Die Allgenieinverbindlicherkläruug ist ein neuer "\Yeg der Eechtssetzung, der grundsätzlich für jeden Zweck in Anspruch genommen werden kann. Es kann sich jedoch nicht darum handeln, auf Grund der Vollmachten einen Buudesratsbeschluss über diese Materie zu erlassen, der unter Umgehung der Wirtschaftsartikel die Allgemeinverbindlicherklärung von Verbandsvereinbarungen und -beschlüssen einführen würde.

Dies würde jedoch nicht ausschliessen, dass ausnahmsweise zur Ergänzung staatlicher Schutzmasanahmen kollektiven Selbsthilfobostrebuugen auf dem Wege der Allgemeinverbindlicherklärung der nötige Rückhalt gegeben würde, was besonders für die Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben in Betracht käme.

Ad. 6. Die Hilfe des Bundes für das Gewerbe und den D e t a i l h a n d e l in den Grenzgebieten beschränkte sich bisher auf eine Sonderaktion im Rahmen der Gewerbehilfe gemäss dem bereits erwähnten Bundesratsbeschluss vorn 18. September 1941, Eine vermehrte Hilfe für das Gewerbe in den Grenzgebieten, wie sie bereits durch die Motion Wenk vom 22, Dezember 1938 verlangt wurde, lässt sich am ehesten in Verbindung mit der Einführung der Bewilligungspflicht verwirklichen, wobei für die Kriegskrisenzeit auch an die Einführung eines Numerus clausus oder eines absoluten Verbotes von Geschäftseröffnungen gedacht werden kann, um überflüssige Neugründungen in diesen, ihres wirtschaftlichen Einzugsgebietes beraubten Gegenden zu verhindern. Eine vermehrte Berücksichtigung dieser Gegenden bei der Vergebung öffentlicher Aufträge und bei Verkehrsverbesserungen lässt sich auch ohne eine neue Rechtsgrundlage durchführen.

Ad. 7. Um den Übergang des schweizerischen Gewerbes in die Nachkriegszeit vorzubereiten, wird die Bestellung einer besondern Kommission oder die Umbildung der eidgenössischen Gewerbekommission vorgeschlagen, mit dem Auftrag, im Rahmen eines volkswirtschaftlichen Gesamtplanes die künftige Gewerbepolitik abzuklären. Es bedarf keines näheren Hinweises, dass diese Frage in Verbindung mit den Nachkriegsproblemen der Gesamtwirtschaft behandelt werden muss. Auf welche Art diese Vorbereitungen durchgeführt werden sollen, wird
noch zu überprüfen sein. Jedenfalls ist für das Studium der Frage keine besondere rechtliche Grundlage notwendig.

Ad. 8. Die Exportbestrebungen des Gewerbes sind grundsätzlich zu begrüssen und verdienen Unterstützung. Eine Ausdehnung der bundesräthchen Vollmachten erscheint für diesen Zweck jedoch nicht erforderlich, vorausgesetzt, dass sich die zu ergreifenden Massnahmen, über die sich die Eingabe allerdings nicht näher ausspricht, im Eahmen der bestehenden Kompetenzen bewegen.

Die Eingabe erwähnt, ferner eine Eeihe von Anträgen, die sich mehr auf die Verwaltungs- und Gerichtspraxis beziehen:

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1. Gerechtere und volkswirtschaftlich sinnvollere Behandlung des Detailhandels durch die eidgenössische Preiskontrolle.

2. Änderung der Praxis bei öffentlichen Vergebungen.

3. Vermehrte Berücksichtigung der Bau-Nebengewerbe bei Arbeitsbeschaffungsmassnahnien und reichlichere Unterstützung der Umbauten an Wohngebäuden und privat-wirtschaftlichen Betrieben.

4. Verschärfung der Praxis im Nachlass- und Konkursverfahren.

5. Korrekturen auf dem Gebiet der Steuerpolitik.

Wir beschränken uns darauf, diese Postulate lediglich zu erwähnen, ohne näher auf sie einzutreten, da sie mit Art. 8 des Vollmachtenbeschlusses in keinem oder nur in einem losen Zusammenhang stehen und nicht nur das Gewerbe, sondern teilweise auch andere Wirtschaftsgruppen betreffen.

Am Schlüsse unserer Ausführungen möchten wir nicht unterlassen, mit allem Nachdruck zu betonen, dass die Erhaltung und Gesundung unserer Wirtschaft von staatlicher Hilfe allein nicht erwartet werden darf. Es liegt nicht in der Macht der Behörden, die durch den Krieg bedingten Verschlechterungen der Daseinsbedingungen im Gewerbe zu verhindern, da diese von Umständen abhängen, die unserem Einfluss entzogen sind. Mit fortschreitender Dauer des Krieges wird auch unser Land die Wirkungen der Blockade, die die Lebensmöglichkeiten von Handel, Industrie und Gewerbe einengt, immer mehr zu spüren bekommen. Was vom Staate biüigerweise verlangt werden kann, ist, dass er, ohne jedem einzelnen die Erhaltung seines Betriebes garantieren zu wollen, die grundlegenden Voraussetzungen schafft, unter denen der in seinem Fach tüchtige und leistungsfreudige Gewerbetreibende sich eine Existenz aufzubauen vermag.

Massnahmen des Staates, wie sie im vorliegenden Bericht unter dem Zwang der gegenwärtigen ausserordentlichen Verhältnisse in Aussicht genommen werden müssen, setzen daher immer eine entsprechende Gegenleistung des einzelnen und des ganzen Berufsstandes voraus und sollen nur dort verwirklicht werden, wo die individuellen und kollektiven Selbsthilfebestrebungen ein im allgemeinen Interesse liegendes Ziel aus eigener Kraft nicht zu erreichen vermögen. Der Gewerbetreibende muss sich bewusst sein, dass er die Verantwortung für seine Existenz trotz der Ungunst der Zeit vor allem selber trägt und nicht auf den Staat abschieben kann. Der individuelle Unternehmungsgeist,
gefördert durch die positive Zusammenarbeit im Eahmen der Verbandsorganisation und mit den übrigen Wirtschaftszweigen, muss auch im Gewerbe das treibende Element bilden. Im Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit sollen nach wie vor die schöpferische Initiative, die Leistungsfähigkeit und Leistungsfreudigkeit sowie die solidarische Selbsthilfe innerhalb des Berufsstandes stehen. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch in Hinblick auf die Bewilligungspflicht für die Eröffnung neuer Betriebe, denn diese dürfte niemals zur Folge haben, dass jungen, strebsamen Kräften die Gründung einer

49& selbständigen Existenz unmöglich gemacht wird, um bestellende Betriebe, die ihre Berechtigung und Lebensfähigkeit nicht durch wirkliche Leistungen unter Beweis stellen, in irgendeiner Weise zu schützen. Die entscheidende Voraussetzung für die Zulässigkeit und den Erfolg einschränkender Bestimmungen liegt auch hier stets darin, dass gleichzeitig die aufbauwilligen und lebensfähigen Kräfte im Zeichen eines gesunden Leistungswottbewerbes eingesetzt werden.

Antrag : die Bundesversammlung wolle von dem vorliegenden Bericht in zustimmendem Sinne Kenntnis nehmen und a. die Verschiebung der Volksabstimmung über den Bundesbeschluss vom 21. September 1939 über eine Bevision der Wirtschaftsartikel der Bundesverfassung beschliessen, und b, den Bundesrat ermächtigen, gestützt auf Art, 3 des Bundesbesohlusses vom 30. August 1939 über Massnahmen zum Schutze des Landes und zur Aufrechthaltung der Neutralität in dringenden Fällen Massnahmen zur Erhaltung der Existenz von durch Kriegseinflüssen bedrohten Wirtschaftsgruppen zu erlassen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, den Ausdruck unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 14. Juli 1942.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

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Der Vizekanzler:

Leimgruber.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Postulat des Nationalrates betreffend die Verschiebung der Volksabstimmung über die Revision der Wirtschaftsartikel und den Schutz bedrohter Wirtschaftszweige. (Vom 14. Juli 1942.)

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Jahr

1942

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

15

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4293

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

23.07.1942

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485-499

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