692 # S T #

2581

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Ausrichtung eines Beitrages von 500,000 Franken an das internationale Komitee des Roten Kreuzes.

(Vom 6. Juni 1980.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Das internationale Komitee des Boten Kreuzes ist schon vor längerer Zeit beim Bundesrat um die Zuwendung eines grösseren Beitrages an den unveräusserlichen Fonds einer gemäss den Artikeln 80 bis 89 des schweizerischen Zivilgesetzbuches errichteten Stiftung eingekommen. Diese Stiftung soll dem internationalen Komitee, dessen finanzielle Lage nichts weniger als günstig ist, die Möglichkeit geben, sein segensreiches Werk mit Erfolg und ohne beständige Sorge um den morgigen Tag fortzusetzen. Es liegt nicht in der Absicht des Komitees, seinen Wirkungskreis wesentlich auszudehnen und damit den Weg neuer Ausgaben zu beschreiten. Es erklärt im Gegenteil, auf Sparsamkeit bedacht zu sein und dafür Sorge tragen zu wollen, dass seine Tätigkeit im richtigen Verhältnis stehe zu den gegebenen Voraussetzungen. Dank diesem Grundsatz ist es ihm bereits gelungen, seine Ausgaben auf ein Mindestmass einzuschränken, gleichwohl aber die Bolle weiterzuversehen, die ihm auf Grund der Überlieferung zukommt und die ihm die internationalen Botkreuzkonferenzen anvertraut haben. «Aber diese Einschränkungen finden darin ihre Grenze», bemerkt das Gesuch, «dass die Wirksamkeit des internationalen Komitees des Boten Kreuzes eine ständige sein muss, um allen Eventualitäten begegnen zu können, ansonst sein Untergang besiegelt wäre.» Das Komitee legt entscheidenden Wert darauf, dass es in dieser seiner Tätigkeit nicht vom guten Willen und von der Freigebigkeit seiner Auftraggeber abhängig sei. Sollte seine Bolle auf die eines blossen Beauftragten beschränkt werden, der seine Obliegenheiten auf 'Geheiss und mit den Mitteln seiner Auftraggeber verrichtet, so «wäre es bloss noch ein Verwaltungsapparat und verlöre jegliche eigene Entschlussfähigkeit». Gerade auf die Initiative, die es so und so oftmals zu ergreifen verstanden hat, führt das Komitee

693 zur Hauptsache das Ansehen zmück, dessen es sich erfreut, und die Aufträge, die jede neue internationale Kotkreuzkonferenz ihm überbindet. Sucht man um seine Mitwirkung nach oder wird es sonstwie angerufen, so muss es nicht nur in Kriegs-, sondern auch in Friedenszeiten in der Lage sein, dem Appell zu entsprechen, so oft ein Land «sich in bedrängter Lage befindet und unter Verhältnissen leidet, die durch politischen Zwiespalt oder soziale Umwälzungen bedingt sind». Desgleichen ist es wichtig, dass das Komitee jederzeit Delegierte in heimgesuchte Gegenden entsenden kann, um «zwischen den Streitenden zu vermitteln, die politischen Flüchtlinge zu besuchen, die Parteien zur Achtung vor dem Völkerrecht anzuhalten und gegebenenfalls bei den Eegierungen vorstellig zu werden». Um diese Sendung der Barmherzigkeit erfüllen und um bei den Eegierungen Schritte tun zu können, erachtet es das internationale Komitee für notwendig, dass es über eigene Mittel verfüge, die ihm die volle Handlungsfreiheit sichern. Diejenigen, die ihm gegenwärtig zu Gebote stehen, gewährleisten ihm diese Bewegungsfreiheit nicht.

Diese Sachlage hat bereits die Aufmerksamkeit der Landesgesellschaften des Roten Kreuzes auf sich gelenkt. Im Jahre 1925 haben sie auf ihrer XII.

Konferenz einstimmig eine Besolution gefasst, die es den Landesgesellschaften zur Pflicht macht, «das internationale Komitee nach Massgabe ihrer Kräfte zu unterstützen», und sie auffordert, «zur Speisung des unveräusserlichen Fonds des internationalen Komitees beizutragen, um diesem die unerlässliche materielle Unabhängigkeit zu sichern».

Nach den Angaben des Komitees entspräche die Summe, deren es bedarf, dem Einkommen aus einem unveräusserlichen Fonds von ungefähr drei Millionen Schweizerfranken. Dieses Kapital soll zum Teil, gemäss der oben erwähnten Eesolution, von den Landesgesellschaften des Eoten Kreuzes aufgebracht werden. Das Komitee vertraut darauf, dass die Eidgenossenschaft ihrerseits zu einem beträchtlichen Teil zur Äufnung dieses Fonds beitragen werde, hat sie doch stets das grösste Interesse bezeugt für das Wohlergehen dieser Einrichtung, die viel dazu beigetragen hat, um der -Schweiz «die einzigartige Stellung zu verschaffen, die sie sich auf dem Gebiete der internationalen Wohltätigkeit erworben hat». «Falls die Schweiz als erste vorangehend
und andere, ihrem Beispiele folgend, ihm die zu seiner Wirksamkeit nötigen Mittel und Lebensbedingungen nicht endgültig sichern würden», könnte nach der Meinung des Komitees «diese Wirksamkeit und sogar seine Existenz schwer gefährdet werden».

Der Bundesrat hat sich nach aufmerksamer Prüfung der Lage davon überzeugt, dass er diesen Appell nicht überhören darf; er hat deshalb beschlossen, bei den eidgenössischen Eäten um die Bewilligung eines Bundesbeitrages von 500,000 Franken zugunsten des internationalen Komitees des Eoten Kreuzes nachzusuchen. Soll dieser Beitrag seinen Zweck nicht verfehlen, so darf er nicht niedriger bemessen werden. Das internationale Komitee war der Auffassung, es würde kaum in der Lage sein, die drei Millionen aufzubringen,

694

die erforderlich sind, damit es seine Aufgabe in voller Unabhängigkeit fortsetzen kann, wenn es nicht mit einem Beitrage von einer Million Franken von Seiten der Schweiz rechnen könne. Wir halten diese Summe für etwas hoch bemessen und sind der .Auffassung, dass, wenn dem Komitee mindestens die Hälfte zugewendet werde, es ihm mit der Beihilfe anderer Donatoren trotzdem möglich sein sollte, den unveräusserlichen Fonds zu bilden, aus dessen Erträgnissen die normale Fortentwicklung seiner Tätigkeit endgültig sichergestellt werden soll.

Die Gründe sind zahlreich, die unserer Auffassung nach für die Gewährung des in Aussicht genommenen Bundesbeitrages sprechen. Die wichtigsten unter ihnen sind die folgenden.

Das Bestreben des internationalen Komitees, an seiner Eigenart und an seiner Mission festzuhalten, indem es darauf Bedacht nimmt, dass es seine Tätigkeit auch in voller materieller Unabhängigkeit fortsetzen kann, ist begründet. Doch würde dieses Verlangen für sich allein noch nicht genügen, um die Ausrichtung einer bedeutenden Subvention zu rechtfertigen. Vielmehr muss die Gewährung einer finanziellen Hilfe von diesem Ausmass auch im Interesse des Landes selber liegen. Dieses Interesse scheint uns aber ausser Zweifel zu sein. Es tritt ohne weiteres zutage, sobald man die ganz besondere Stellung ins Auge fasst, welche die Schweiz infolge ihrer überlieferten Neutralität in -der Völkergemeinschaft einnimmt.

Mehr denn je ist der Wert des Neutralitätsgedankens für uns in Erscheinung getreten bei den Verhandlungen und Erörterungen, die dem Beitritt unseres Landes zum Völkerbunde vorausgingen. Die Schweiz hat damals bekundet, dass es ihr unmöglich wäre, einen politischen Grundsatz zum Opfer zu bringen, der mit ihrer Unabhängigkeit und Sicherheit so eng verknüpft ist. Die Berechtigung ihres Standpunktes ist in den Friedensverträgen und in der Londoner Erklärung vom 13. Februar 1920 aufs neue anerkannt worden, woraufhin die Schweiz der eben geschaffenen internationalen Organisation beitreten und die mit ihrer Mitgliedschaft zum Völkerbunde verbundenen Pflichten der Solidarität anerkennen konnte, in militärischer Hinsicht aber ihre immerwährende Neutralität beibehielt. Auch im Fall eines vom Pakt verurteilten Krieges nähme die Schweiz an keiner bewaffneten Intervention des Völkerbundes teil, noch würde
sie den Durchzug fremder Truppen oder die Vorbereitung militärischer Unternehmungen auf ihrem Gebiete zulassen; sie bliebe zur Verteidigung bereit für den Fall, dass sie angegriffen werden sollte, die Waffe in der Hand, aber darauf vertrauend, dass sie unter dem Schutze der völkerrechtlichen Bindungen, die ihre neutrale Stellung anerkennen und ihr die Unversehrtheit und Unverletzlichkeit ihres Gebietes gewährleisten, vor den Schrecknissen des Krieges bewahrt werde.

Ist auch die Aufrechterhaltung der schweizerischen Neutralität für die andern Staaten, namentlich für die Nachbarn, kaum weniger wertvoll, haben auch die Akte vom 20. November 1815 und die Londoner Erklärung diesen

695

Grundsatz der Nichtbeteiligung als in Übereinstimmung mit dem wahren Interesse der gesamten europäischen Politik und des allgemeinen Friedens anerkannt, so geniesst darum unser Land nichtsdestoweniger in Kriegszeit eine bevorzugte Stellung. Sollte wider alle Erwartung Europa zu seinem Unglück neuerdings von den Drangsalen eines allgemeinen Krieges heimgesucht werden, so würde die Neutralitätsordnung es der Schweiz ohne Zweifel ermöglichen, wiederum zu bleiben, was sie im letzten Kriege war: eine Friedensinsel mitten in der Sturmflut des Krieges. Aber der bevorzugten Stellung, die sie ihrer Neutralität verdankt, entsprechen auch Pflichten; sie ist sich ihrer um so eindrücklicher bewusst, als sie ihr eine Überlieferung bedeuten. So oft der Krieg jenseits ihrer Grenzen gewütet hat, Trauer und Zerstörung im Gefolge, war die neutrale Schweiz für die unglücklichen Opfer der Feindseligkeiten, vor allem für die von den Leiden Zerschlagenen und Entwaffneten, welche eine hilfreiche Hand wiederaufrichten und trösten konnte, ein Mittelpunkt werktätiger Nächstenliebe. Dieser geheiligten Aufgabe würde sich die Schweiz nie entziehen; vielmehr würde sie deren Erfüllung als ein Ehrenvorrecht beanspruchen. Neutralität und Barmherzigkeit sind ihr untrennbare Begriffe.

Als es sich für die Schweiz darum handelte, ihren mehrere Jahrhunderte alten Neutralitätsgrundsatz gewissermassen dem neuen Begriff eines Völkerbundes anzupassen, unterschied sie genau zwischen den Pflichten der Solidarität, die sie als Mitglied der eben erstandenen internationalen Organisation übernahm, und den Pflichten der Liebestätigkeit, denen sich zu entziehen ihre Vergangenheit und ihre einzigartige Stellung in der Völkergemeinschaft ihr nicht erlaubt hätten. Es wäre für sie undenkbar, dass ein Widerstreit bestehen könnte zwischen den einen und den andern. Diese Auffassung fand ihren klaren Ausdruck in der Botschaft des Bundesrates über den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund vom 4. August 1919, «Welches auch die Schuld des bundesbrüchigen Staates dem Völkerbunde gegenüber sein mag und wie wuchtig auch die gemeinsame Abwehr diesem gegenüber durchgeführt werde»,.

erklärt der Bundesrat dort, «so können doch auch in einem derartigen Kampf die Gebote der Humanität, wie sie für die einzelnen Menschen --- seien es Verwundete, Kranke, Gefangene,
Evakuierte und Ausgewiesene -- Geltung haben, niemals entbehrt werden... Die moralische Pflicht, gerechte humanitär» Bücksichten auf die Menschen als solche zu nehmen, ist um so gebieterischer,, als es sich auch bei den Völkerbundskriegen stets nur um einen vorübergehenden Zustand handelt.» In seiner Zusatzbotschaft vom 17. Februar 1920 nahm der Bundesrat diesen Gedankengang wieder auf, um noch ausdrücklicher zu betonen, dass die Pflichten erfüllen, die der Schweiz aus ihrem Beitritt zum Völkerbund erwachsen würden, für sie nicht heissen könne, «im Falle eines Krieges den Werken der Barmherzigkeit und Philanthropie entsagen, die während des Weltkrieges ihr zur Ehre und zum Verdienst gereicht haben und zu einem Kernbestandteil ihrer geistigen Eüstung geworden sind». «Der Sitz und die Wiege des Boten Kreuzes», führt der Bundesrat weiter aus, «können unmöglich ihre Aufgabe verleugnen.» Diese Erwägung war gewissermassen zu einem Leit-

·696 motiv geworden für alle Erklärungen, die abzugeben wir uns veranlasst sahen, um die Stellung und Aufgabe der Schweiz im Schosse des Völkerbundes zu bestimmen. Bei jeder Gelegenheit haben wir unser Bestreben und unsern Willen kundgegeben, der Schweiz das Vorrecht zu bewahren, .Barmherzigkeit üben zu dürfen. Auch die schweizerische Delegation an der Völkerbundsversammlung setzte sich für diesen Grundsatz ein; sie hatte die Genugtuung, dass die zweite Versammlung in einer ihrer Resolutionen zur Auslegung des Artikels XVI des Völkerbundsvertrages die Notwendigkeit anerkannte, im Falle der Blockade die «humanitären Beziehungen» aufrechtzuerhalten, Dass jene Bestimmung des Paktes, welche die Schweiz veranlassen könnte, ihre wirtschaftlichen Beziehungen mit einem treubrüchigen Staat abzubrechen, eine solche Auslegung erhielt, bedeutete die Anerkennung eines Grundsatzes, an dem uns ganz besonders gelegen war und den die Schweiz seit Anbeginn mit Nachdruck und Überzeugung vertreten hatte.

Übrigens lagen in der Struktur des Völkerbundes selbst für die Schweiz .neue Gründe, um von der Mission der Barmherzigkeit nichts preiszugeben, die sie willens ist zu erfüllen am Tage, wo schmerzliche Ereignisse es erfordern sollten. Hat der Völkerbundspakt auch nicht alle Kriege als verboten erklärt, so sieht er doch andererseits bekanntlich ausserordentlich schwerwiegende Sanktionen vor gegenüber dem Staate, der unter Verletzung seiner Verpflichtungen zur Gewalt Zuflucht nehmen wollte. Eine ganze Koalition kann gegen ihn erstehen und die Mitgliedstaaten des Völkerbundes in einen kollektiven, allgemeinen Krieg führen. Die Schweiz, die sich mit dem bundesbrüchigen Staate nicht im Kriegszustande befinden wird, bleibt alsdann vielleicht allein oder fast allein in der Lage, sich dem Werke der Barmherzigkeit zu widmen, ·das ihr am Herzen liegt, und in dieser Hinsicht zwischen den Kriegführenden Als Vermittlerin zu dienen.

In grossen Zügen darstellen, welches die auf diesem Gebiete von der Schweiz unwandelbar befolgte Politik war, heisst gleichzeitig auch die Bedeutung unterstreichen, die dem internationalen Komitee des Boten Kreuzes zukommt, heisst die Wichtigkeit seiner Aufgabe aufzeigen und das Verdienst seiner aufopfernden und selbstlosen Tätigkeit. Das vom Genfer Komitee vollbrachte Werk ist dem ganzen Lande
zugutegekommen,' nicht selten sind das Bote Kreuz und die Schweiz in gemeinsamer Ehrung in einem Atemzuge genannt ·worden. Wer wollte aufzählen, was im Zeichen des Roten Kreuzes während des Weltkrieges alles vollbracht worden ist ? Wer vermag die volle Bedeutung zum Ausdruck zu bringen, die dem internationalen Komitee an jenem tragischen Wendepunkte der Geschichte zukam und wieviel Achtung sein Werk erweckt hat, wieviel Dankbarkeit es in den kriegführenden Ländern und namentlich .in den Herzen jener ungezählten Schar von Unglücklichen zurückgelassen hat, denen es, als sie einem unerbittlichen Geschick zum Opfer fielen, geholfen, ·die Wunden verbunden und die Schmerzen gelindert hat ? Wir brauchen nur an die unvergleichliche Tätigkeit der internationalen Kriegsgefangenen-Agentur .zu erinnern, an die Nachrichtenvermittlung, die Nachforschungen, die Be-

697

mühungen aller Art zugunsten der Kriegsgefangenen, der Internierten, der Verbannten, der Strafverschickten und der Bevölkerung aus den besetzten Gebieten, an die Lebensmittel- und Kleiderzüge, an die zahlreichen Abordnungen in die Lager der Kriegs- und Zivilgefangenen sowie an die Verhandlungen zum Abschluss von Vereinbarungen über die Gefangenen, die Zivilbevölkerung und das Sanitätspersonal, an die heikein und mutigen Interventionen bei den Eegierungen und den militärischen Befehlshabern, um den Bestimmungen des Genfer Abkommens und anderer Übereinkünfte über die Kriegsführung Nachachtung zu verschaffen.

Aber diese Tätigkeit zum gemeinen "Wohl bleibt nicht auf die Kriegszeit beschränkt. Sie äussert sich auch bei anderer Gelegenheit, im Frieden sowohl wie zu Zeiten, wo einzelne Länder vorübergehend von Krisen heimgesucht werden. Zahlreich sind die humanitären Missionen, die das internationale Komitee in das Ausland abgeordnet hat, sei es zu den Eegierungen selber, sei es mit ihrer Mitwirkung. Seitdem es ins Leben gerufen worden ist, d. h.

seit 1868, ist das internationale Komitee ständiges Verbindungsorgan der Landesgesellschaften des Boten Kreuzes, die es nach und nach erstehen sah und durch ihre formelle Anerkennung endgültig in den beständig anwachsenden Botkreuzverband eingeführt hat. Die Landesgesellschaften haben bei ihm als einer unparteiischen, von jeglichem politischen Trachten freien Instanz das sichere Urteil und den uneigennützigen Bat gefunden, deren sie in schwieriger Lage bedurften.

Zu dieser Aufgabe gesellte sich die der Vorbereitung und Durchführung der periodischen Botkreuzkonferenzen, welche die Landesgesellschaften unter sich und mit den Begierungsdelegierten unmittelbar in Berührung bringen mit dem Zwecke, die segensreichste der humanitären Organisationen beständig zu vervollkommnen. Diese internationalen Konferenzen waren stets ein Anlass der Vertrauenskundgebung an die Adresse des internationalen Komitees ; jedesmal ist es mit neuen Aufgaben betraut worden, die einen wichtigen Teil seiner Tätigkeit darstellen und die es zur Zufriedenheit aller bewältigt hat.

In diesem Zusammenhang liegt uns daran, die wertvolle Mitarbeit des internationalen Komitees des Boten Kreuzes bei der Vorbereitung der diplomatischen Konferenz zu erwähnen, welche auf die Einladung des Bundesrates
hin im vergangenen Juli in Genf zusammengetreten ist und bei deren Abschluss am 27. Juli 1929 die Bevollmächtigten der siebenundvierzig vertretenen Länder zwei Abkommen unterzeichnet haben: ein Abkommen zur Bevision desjenigen von 1906 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde und ein Abkommen betreffend die Behandlung der Kriegsgefangenen.

Dieses erfreuliche Ergebnis ist zu einem guten Teile den methodischen und gründlichen Vorarbeiten des internationalen Komitees zu verdanken. Ihm kommt nämlich das Verdienst zu, für die beiden Abkommen Entwürfe ausgearbeitet zu haben, die von der Genfer Konferenz als Verhandlungsgrundlage angenommen worden sind, nachdem sie die Billigung der X. und der XI. Botkreuzkonferenz gefunden hatten. In einzelnen ihrer Bestimmungen sehen die neuen Bundesblatt. 82. Jahrg. Bd. I.

53

698

:

Abkommen von 1929 für die Durchführung der. Verpflichtungen, die sie den Vertragsparteien auferlegen, die Mitarbeit des internationalen Komitees vor.

Ein Artikel des Kriegsgefangenenabkommens stellt ausdrücklich fest, dass keine einzige Bestimmung dieses Abkommens der humanitären Tätigkeit Abbruch tun könne, die das Komitee seiner Überlieferung gemäss zum Schutze der Kriegsgefangenen ausüben würde. Auch der Welthilfsverbahd, dem beizutreten die eidgenössischen Eäte im letzten Dezember beschlossen haben und der berufen ist, seine Wirksamkeit in nächster Zukunft aufzunehmen, sieht für die Durchführung seines bemerkenswerten Werkes die Mitarbeit des internationalen Komitees vor.

Diese Abkommen vollziehen somit die offizielle Anerkennung einer Einrichtung, deren Name vor ihnen in keiner internationalen Abmachung genannt worden war und die keinen andern Eechtstitel besass als denjenigen, den eine dein internationalen Gewohnheitsrecht vergleichbare Erscheinung .zu verleihen vermag, nämlich die förmliche, freiwillige, allgemeine und einstimmige Anerkennung einer Tätigkeit, deren Nützlichkeit und Unentbehrlichkeit jedermann einsieht.

Diese ununterbrochene und fruchtbare Tätigkeit zum Wohle der Menschheit, welche die Schweiz die Ehre hat, sich von.ihrem Gebiet aus entfalten zu sehen und an deren Fortsetzung ihr viel liegt, ist allerdings nur dank den ganz, besondern Voraussetzungen möglich gewesen, unter denen sie ausgeübt werden konnte. Um das Vertrauen all der Länder zu gewinnen und zu bewahren, die sich uni das Bauner des Koten Kreuzes geschart haben, mussté das internationale Komitee im Geiste völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit handeln können. «Darin liegt seine Stärke und sein Ansehen begründet», hat man mit Eecht bemerkt, «dass es in Kriegszeiten über den Parteien steht und seine Tätigkeit im Geiste und unter der Einwirkung unbedingter Neutralität ausüben kann». Die schweizerische Neutralität gepaart mit derjenigen seiner Mitglieder, diese zweifache Neutralität, die des Gebiets und die der Personen, ist es, die es dem Komitee in seiner gänzlich schweizerischen Zusammensetzung, aber mit wesentlich internationalem Wirkungskreis ermöglicht hat, seine Sendung wirksam zu erfüllen.

Indessen bedarf das Komitee zur Bewältigung seiner Aufgabe der Unabhängigkeit nicht nur in moralischer und
politischer, sondern auch noch in materieller Hinsicht. Nicht genug damit, dass die Voraussetzungen vorliegen müssen, deren das Komitee bedarf, um seine Tätigkeit jeglichem seinem Streben wesensfremden Einfluss zu entziehen, es muss auch über genügende Mittel, verfügen, um Herr seines Handelns zu bleiben, seine Kräfte dort einzusetzen, wo es dies für nötig erachtet, und sein Werk so zu gestalten, wie es ihm die eigene Erfahrung und das Bewusstsein seiner Verantwortung vorschreiben, "Es. hat eine ihm ureigene Aufgabe zu erfüllen, und müsste es sich eines Tages eingestehen,-dass sie über seine Kräfte ginge, so wäre damit ans Werk, dem es sich rückhaltlos hingegeben hat, gefährdet, vielleicht sogar dem Untergange geweiht. Die Schweiz würde das nicht zulassen; sie bliebe nicht gleichgültig an-

699 gesichts einer solchen Gefahr für eine Einrichtung, die ihr mit vollem :Becht als der klare Ausdruck einer grossen Pflicht erscheint.

Die finanziellen Schwierigkeiten, gegen die das Komitee ankämpft, haben, ·wie wir sahen, die XII, internationale Botkreuzkonferenz ernstlich beschäftigt.

Diese hat anerkannt, dass ihm «die unerlässliche materielle Unabhängigkeit gewährleistet» werden muss. Indem sie es «für die Pflicht der Landesgesellschaften» erklärte, «dass-sie das internationale Komitee nach Massgabe ihrer Kräfte unterstützten», hat sie sie aufgefordert, «zur Speisung des unveräusserlichen Fonds des internationalen Komitees beizutragen». Dieser Fonds betrug vor kurzen bloss ungefähr 805,000 Franken, was ganz offensichtlich zu wenig ist, um die'Fortsetzung eines so ausgedehnten Werkes wie das des internationalen Komitees sicherzustellen. Das Einkommen von rund 15,000 Franken, das diese Summe ihm einbringt, bildet kaum viel mehr als den zehnten Teil der Ausgaben, die es nach seinen Angaben normalerweise zu bestreiten hat, wenn es sich streng nach den «Erfordernissen der Umstände» richtet. Das Komitee erachtet es deshalb für notwendig, sein uriveräusserliches Vermögen wenn möglich bis zur Höhe von ungefähr drei Millionen Franken zu äufnen, was ihm ein Zinseinkommen von rund 150,000 Franken verschaffen würde und womit der Ära der Defizite und der für seine Tätigkeit nachteiligen Beschränkungen ein Ende gesetzt wäre.

.

.

Wird es dem internationalen Komitee gelingen, zu dem in Aussicht genommenen Zweck eine so hohe Summe zusammenzubringen? Man darf damit rechnen, dass die Landesgesellschaften sich ernstlich bemühen werden, die unentbehrlichen Mittel aufzubringen für die fernere Tätigkeit der Einrichtung, deren Unternehmungsgeist und aufopfernde Aufbauarbeit sie wohl zu würdigen wissen. Aber sie werden das Opfer, das von ihnen erwartet wird, freudigeren Herzens bringen, wenn die Schweiz, die in mancher Beziehung am guten Ausgang dieses Kampfes um Sein oder Nichtsein vorab ein Interesse hat, zu tun weiss, was nottut.

Übrigens ist es das erstemal, dass das internationale Komitee des Roten Kreuzes die Freigebigkeit der Eidgenossenschaft anruft. Es wird voraussichtlich .auch das einzige Mal sein, da der von der Schweiz nachgesuchte Beitrag zusammen mit andern Beisteuern dazu bestimmt ist, die
dringende Frage seiner materiellen Unabhängigkeit ein für allemal zu regeln. Es wäre wünschenswert, dass die Schweiz bei dieser Gelegenheit ihre Sympathie durch einen Akt bekundete, dessen volle Bedeutung allein schon in der Höhe der gewährten Subvention zum Ausdruck käme.

Aus diesen Erwägungen heraus stellen wir Ihnen den Antrag, dem internationalen Komitee des Eoten Kreuzes als Zuwendung an seinen unveräüsserlichen Fonds einen Beitrag von 500,000 Franken zu gewähren und zu diesem Zwecke den beiliegenden Beschlussesentwurf gutzuheissen.

700

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 6. Juni 1930.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Musy.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die Ausrichtung eines Beitrages von 500,000 Franken an das internationale Komitee des Roten Kreuzes.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 6. Juni 1930, beschliesst:

Art, 1.

Dem internationalen Komitee des Koten Kreuzes wird ein Beitrag von 500,000 Franken gewährt als Zuwendung an das unveräusserliche Vermögen einer gemäss den Artikeln 80 bis 89 des Zivilgesetzbuches zu seinen Gunsten errichteten Stiftung.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Ausrichtung eines Beitrages von 500,000 Franken an das internationale Komitee des Roten Kreuzes. (Vom 6.

Juni 1930.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1930

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

24

Cahier Numero Geschäftsnummer

2581

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

11.06.1930

Date Data Seite

692-700

Page Pagina Ref. No

10 031 053

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.