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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Bewilligung einer jährlichen Bundessubvention an den Kanton Tessin für Massnahmen zur Wahrung und Förderung seiner kulturellen und sprachlichen Eigenart.

(Vom 29. September 1980.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiermit den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Gewährung einer jährlichen Bundessubvention an den Kanton Tessin für Massnahmen zur Wahrung und Förderung seiner kulturellen und sprachlichen Eigenart samt zudienender Botschaft zu unterbreiten.

I. Historischer Teil.

Mit seiner als «rivendicazioni del Ticino» bezeichneten Eingabe vom 21. März 1924 machte der Staatsrat des Kantons Tessin, unter eingehender Darlegung der wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse des Landesteils, zu dessen Gunsten erstmals Ansprüche auf Gewährung umfassender moralischer, finanzieller und wirtschaftlicher Unterstützung durch den Bund geltend.

Unter der Herrschaft der Landvögte kulturell und wirtschaftlich stark vernachlässigt und zufolge massloser Steuern verarmt, habe der Landesteil nach seinem Beitritt zur Eidgenossenschaft zunächst alle seine materiellen und geistigen Kräfte für den Aufbau zum Staat aufwenden müssen: für die Reorganisation seiner Verwaltung, die Schaffung von Gerichten, die Errichtung von Schulen, für die Ausführung zweckdienlicher Bauten und die Organisation eines geregelten Gesundheits- und Fürsorgedienstes. Unter schweren Opfern des Staates, der Gemeinden und der Bevölkerung habe er späterhin Landwirtschaft und Viehzucht zu fördern gesucht, Bodenverbesserungen und Verbauungsarbeiten durchgeführt, sein Strassennetz ausgebaut-und durch Sub-

408 ventionierung der Gotthardbahn sowie die Erstellung von Lokal- und Sekundärbahnen auch für die Ausstattung des Kantons mit modernen Verkehrsmitteln gesorgt. Auch habe er nicht versäumt, den sehr komplexen sozialen Problemen Beachtung zu schenken. Neben diesem Work der Aufrichtung habe der Tessin in der Folge eine Eeihe sehr kostspieliger neuer Aufgaben erfüllen müssen, die ihm durch die eidgenössische Gesetzgebung selbst diktiert wurden, wie z. B. durch das Wasserbaupolizeigosetz, das Forstpolizeigesotz, die neuen Vorschriften über Landesvermessung und Güterzusammenlegung usw., während ihm anderseits durch dieselbe eidgenössische Gesetzgebung, wie z. B. durch Aufhebung der Zölle und der Verbrauchsteuern auf geistigen Getränken (Ohmgeld), sehr namhafte bisherige Einnahmen ohne genugende Gegenleistungen von Dauer entzogen worden seien. Auch hätten im Laufe der Jahre zahlreiche Katastrophen, verheerende Naturereignisse, wie Überschwemmungen und Lawinen, Erdrutsche, Hagel und Fouersbrtinste sowie der im Jahre 1914 erfolgte Zusammenbruch einiger Kreditinstitute das ihre zur Verschlimmerung der finanziellen Lage des Kantons, seiner Gemeinden und seiner Bewohner beigetragen, so dass der durch seine exzentrische Lage zur übrigen Schweiz ohnehin benachteiligte und in der Entwicklung seiner Industrien und seines Gewerbes stark gehemmte Landesteil, trotz drückender direkter und indirekter Steuern und trotz grösster Sparsamkeit in der Verwaltung, sich selbst heute nicht mehr genügen könne. Die Folgen dieser Verhältnisse: Lähmung der Tätigkeit des Staates in der Ergreifung von Massnahmen zur Förderung der Volkswirtschaft und der besondern Kultur des Landesteils, Unvermögen der Bürger, die Tätigkeit des Staates nach der Eichtung zu unterstützen, jährliches Anwachsen der Staatsschuld, fortschreitende Verarmung des Landes und damit zusammenhängende Abwanderung der Bevölkerung aus den Bergtälern, Zuwanderung fremder Elemente und damit Beschleunigung desNiederganges des Volkstums, seien augenfällig und besorgniserregend. Wolle der Kanton Tessin wirtschaftlich und kulturell auf die Höbe der übrigen Kantone gebracht und das bei seiner Bevölkerung wachsende Misstrauen zerstreut werden, was nationale Pflicht sei und im ureigensten Interesse der Eidgenossenschaft selbst liege, so müsse sie ihm notgedrungen
ausserordentliche Hilfe grossen Stils gewähren; solche Hilfe sei unerlasslich und dringlich.

Mit dieser Begründung stellte der tessinische Staatsrat mit derselben Eingabe A. vorerst folgende Forderungen an die Eidgenossenschaft : Herabsetzung der Tarife der Gotthardbahn für den Waren- und Personentransport ; Bovision der Verträge zwischen dem Tessin und der Eidgenossenschaft über die Abtretung von Wasserkräften an die schweizerischen Bundesbahnen; Erhöhung der Beiträge des Bundes an die Kosten von Gewässerkorrektionen und Bodenverbesserungen sowie der Grundbuchvermessung und Güterzusammenlegung

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und endlich Erhöhung von Fr. 200,000 auf Fr. 500,000 des jährlichen Beitrages des Bundes an die Kosten des Kantons für den Unterhalt der auf seinem Territorium liegenden internationalen Alpenstrassen.

Während wir in den nachfolgenden konferenziellen Besprechungen und insbesondere in derjenigen vom 27. Mai 1925 den Vertretern des tessinischen Staatsrates mit Bezug auf alle übrigen hiervor erwähnten Begehren Zusicherungen gehen konnten, mit denen sie sich selbst zufrieden gaben, kam dagegen mit Bezug auf das letztere Begehren eine Verständigung nur bedingt zustande, bedingt insofern, als wir den tessinischen Delegierten erklären mussten, den eidgenössischen Baten für den Tessin, gleichwie für die Kantone Graubünden, Uri und Wallis, nicht mehr als die Verdoppelung der bisherigen Beiträge an die Kosten des Unterhalts ihrer internationalen Alpenstrassen beantragen zu können, dass wir aber bereit seien, mit allem Wohlwollen zu prüfen, ob es möglich sei, dem Kanton Tessin kompensationsweise auf andern Gebieten eine angemessene Summe im Jahre zuzubilligen, wie z. B. für Unterrichtszwecke und andere Massnahmen zur Erhaltung der sprachlichen und kulturellen Eigenart des Landesteils, Unter Berufung auf diese unsere Zusicherung stellte hernach der tessinische Staatsrat in rasch sich folgenden Eingaben vom 21. August 1925 hinweg das formelle Begehren an den Bund um Gewährung eines jährlichen ausserordentlichen Beitrages von Fr. 100,000 für die besondern Schul- und Unterrichtazwecko des Landesteils. Zur Begründung dieses Begehrens wurde mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass der Kanton Tessin in Unterrichtsangelegenheiten gegenüber den andern Kantonen zunächst schon dadurch schwer benachteiligt sei, dass er keine höhern Unterrichtsanstalten besitze, in denen in der eigenen Sprache seiner Bevölkerung unterrichtet werde; es habe das zur Folge, dass die tessinische Jugend, die sich höhern Studien widmen möchte und dafür vielfach auch bestens qualifiziert sei, diese Studien entweder in fremder Sprache an den Universitäten, hohen technischen und kommerziellen Lehranstalten anderer schweizerischer Kantone bzw. im Ausland, insbesondere im nahen Italien, absolvieren, oder aber mangels der erforderlichen Mittel und der Möglichkeit für den Staat, ihr die nötige finanzielle Hilfe angedeihen zu lassen, auf die Ausführung
ihres Vorhabens verzichten müsse, was hinwiederum einen bedauerlichen Mangel vor allem an genügend vorgebildeten einheimischen Lehrkräften für die kantonalen Sekundär- und Mittelschulen zur Folge habe und die Behörden des Kantons, gegen ihren Willen, vielfach dazu zwinge, diese in nationaler Beziehung wichtigen Lehrstellen durch Ausländer zu besetzen. Überdies fehlten dem Kanton die Mittel für den unerlässlicben Ausbau seiner Lehrerbildungsanstalten. Was die Organisation des öffentlichen Unterrichts in den Primär-, den Sekundär- und Mittelschulen anbetreffe, so verursache sie dem Kanton Tessin insofern ebenfalls ausserordentliche Lasten, als er dabei ganz auf sioh selbst angewiesen seir aus historischen und geographischen Gründen sogar eine Mehrheit von Sekundär- und Mittelschulen derselben Art unterhalten müsse und sich alle

410 erforderlichen Lehrmittel und Unterrichtsmaterialien, wenn er sie nicht vom Ausland entlehnen wolle, mit grossem Kostenaufwand selbst beschaffen müsse, während die analogen Schulen der übrigen Schweizerkantone unter sich vielfach dieselben deutsch- oder französisch-sprachigen Lehrmittel benutzen und sich also in die Kosten ihrer Beschaffung teilen können. Zu diesen Gründen, die verschiedene Mitglieder unserer Behörde in den erfolgten Besprechungen selbst als stichhaltig anerkannt hätten und die die anbegehrte ausserordentliche Bundeshilfe an sich schon rechtfertigten, komme der weitere Umstand hinzu, dass der Kanton Tessin in seiner doppelten Eigenschaft als Grenzkanton und zugleich als einziger Landesteil italienischer Sprache, im wohlverstandenen Interesse der gesamten schweizerischen Demokratie, noch ganz besondere Missionen zu erfüllen habe. Er müsse seine kulturelle und sprachliche Eigenart zu wahren, gegen fremde Einflüsse zu schlitzen trachten und, da sein Volkstum durch starke Zuwanderung andersprachiger und kulturfremder Elemente ernstlich gefährdet sei, zu deren rascher Assimiherung kostspielige besondere Massnahmen treffen, in der Schule sowohl, z. B. durch Einführung italienischsprachiger Vorbereitungskurse für Kinder zugewanderter Familien, als ausserhalb der Schule : durch Ausbau seiner Bibliotheken und Museen, durch bessere Bekanntmachung der Werke bodenständiger Schriftsteller, durch aufklärende Vorträge und Unterstützung seiner Künstler, kurz durch Belebung des kulturellen Lebens nach jeder Richtung, Dazu aber reichten die beschränkten Mittel, die dem Kanton und seinen vielfach verarmten Gemeinden zur Verfügung stehen, bei weitem nicht aus.

In Beantwortung dieser Eingaben liessen wir in der Folge dem Staaisrat des Kantons Tessin durch unser Departement des Innern wiederholt mitteilen, dass wir grundaätalich seiner Forderung um Zubilligung ausserordentlicher Beiträge für Unterrichts- und kulturell-sprachliche Zwecke durchaus sympathisch gegenüberstehen und sie also auch mit allem Wohlwollen prüfen werden, dass diese Prüfung aber, im Hinblick auf die konstitutionelle Schwierigkeit der Lösung des ohnehin erst in letzter Stunde aufgetauchten Problems, notgedrungen ausserhalb des Bahmens der eigentlichen «tessinischen Eivendikatibnen» für sich allein erfolgen müsse und eine
Beschlussfassung wohl erst nach der Stellungnahme der eidgenössischen Bäte zur' Vorlage über die Erhöhung der Bundesbeiträge an die Kosten der Kantone Graubünden, Tessin, Uri und Wallis für den Unterhalt ihrer internationalen Alpenstrassen und nach erfolgtem Volksentscheid über diese Vorlage möglich sein werde.

Zum Zwecke vorbereitender besserer Abklärung aller einschlägigen Fragen lud unser Departement des Innern inzwischen den tessinischen Staatsrat mit Schreiben vom 5. Januar 1927 speziell noch ein, ihm '(in Ergänzung der in seinen früheren Zuschriften enthaltenen blossen Andeutungen» erstens sehr einlässlich und mit den nötigen Begründungen darüber Auskunft zu geben, für welche bestimmten Zwecke er die anbegehrte außerordentliche Bundessubvention verwenden und in welcher Weise er gegebenenfalls den Betrag von Fr. 100,000 unter dieselben verteilen möchte, und zweitens auch

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zu der eben eingetroffenen Kesolution des Zentralkomitees der «Pro Ticino» vom 16. Dezember 1926 betreffend Gründung einer tessinischen Hochschule Stellung zu nehmen. Ale Antwort auf die letztere Frage teilte der tessinische Staatsrat mit Schreiben vom 14. März 1927 mit, dass, obschon die Eealisierung dieses längst in Diskussion gesetzten Projektes an sich zu begrussen wäre, dies zurzeit nicht wohl möglich soin werde, weil derKanton eine solche höhere Lehranstalt, würde sie auch nur einzelne Disziplinen umfassen, selbst bei reicher Subventionierung durch den Bund nicht zu finanzieren im Falle wäre, die Frequenz einer solchen Anstalt zweifellos auch ungenügend sein würde und vorerst die Durchführung derjenigen Massnahmen zur Verbesserung des Unterrichts in den tessinischen öffentlichen Primär-, Sekundär- und Mittelschulen und zur "Wahrung der kulturellen und sprachlichen Eigenart des Landesteils ohnehin noch viel wichtiger und dringlicher sei, für die der Staatsrat schon seit Jahr und Tag ausserordontliche Bundeshilfe anbegehrt und erwartet habe. Und was anderseits die Frage betrifft, welche speziellen Verwendungen der Tessin der eventuellen Bundessubvention geben möchte, so äusserte sich sein Staatsrat in einer weitern Antwort vom 11. März 1927 zunächst dahin, er würde es begrussen, wenn ihm gestattet werden könnte, den Kredit ganz allgemein für die Verbesserung des Unterrichts in seinen öffentlichen Schulen, ohne besondere Spezifikation und nach seinem freien Ermessen, zu verwenden, dass, wenn dies aber aus irgendeinem Grunde nicht möglich sein sollte, er in Aussicht nehmen würde, drei Viertel des Betrages zur Mehrung der kantonalen Kredite für das Unterrichtswesen und das letzte Viertel zur Unterstützung derjenigen Gemeinden zu benützen, für die schon die gegenwärtigen Schullasten unerträglich geworden sind. Sofern, -wider Erwarten, auch dies als mit Ziel und Charakter der ausserordenthchen Bundessubvention unvereinbar erachtet wurde, stehe er indessen nicht an, diejenigen besonders dringlichen neuen Zwecke einzeln namhaft zu machen, denen der Bundesbeitrag seines Eraohtens in erster Linie zugeführt werden sollte; als solche führte er unter den drei Eubriken: 1. Verbesserung der Verhältnisse a. in den Primarschulen und b. in den Sekundär- und Mittelschulen, speziell durch Hebung des Unterrichts
in der italienischen Muttersprache; 2. Wahrung und bessere Verbreitung der italienischen Kultur und 3. Eestaurierung und Erhaltung der historischen Kunstdenkmäler des Landesteils, als Zeugen seiner kulturellen Eigenart, speziell folgende an: Ad 1; a. Vertiefung der Lehrerbildung durch Verlängerung der Studien am Lehrerseminar auf 8 Jahre; Einführung von Stipendien, die begabten jungen Leuten den Besuch des Lehrerseminars ermöglichen sollen; Einführung von Ferienkursen in italienischer Sprache, vaterländischer Geschichte, Staatsbürgerkunde usw. für die Lehrer aller Teile des Kantons; Vermehrung der Zahl der Schulinspektoren; Unterstützung ärmerer Gemeinden zur Verbesserung ihrer Schulhäuser; Beitragsleistung an die Gemeinden für die Erweiterung

412 ihrer Schulbibliotheken und die Schaffung von solchen an Orten, wo noch keine bestehen.

b. Gewährung von Stipendien an junge Tessiner zur Erweiterung ihrer Studien durch den Besuch von Universitäten oder von Fortbildungskursen; Unterstützung und Auszeichnung tessinischer Lehrer, die sich durch wertvolle literarische oder wissenschaftliche Publikationen über besondere Fähigkeiten ausweisen; Verbesserung der Verhältnisse im kantonalen Lyzeum durch Einstellung fähiger einheimischer Lehrkräfte und durch Ausbau seiner Laboratorien und übrigen wissenschaftlichen Institute usw.

Ad 2. Ausbau der mangels genügender Dotierung in ihrer Entwicklung zurückgebliebenen und stark gehemmten Kantonsblibliothek; stärkere Unterstützung und Dotierung der Schule für italienische Kultur; Schaffung eines Fonds für die Übersetzung der besten andersprachigen nationalen Werke ins Italienische, und ad 3. mindestens Vervierfachung der bisher verfügbaren Kredite für die Restauration und Erhaltung historischer Kunstdenkmäler; Schaffung eines ständigen Amtes für diese Zwecke und stärkere finanzielle Unterstützung des Sammelwerkes: «I monumenti storici ed artistici del Canton Ticino.» Auf diese Eingaben liessen wir den tessinischen Behörden durch unser Departement des Innern insbesondere mit Schreiben vom 2./6. Januar 1928 antworten, dass an die Bewilligung des geforderten ausserordcntlichen Bundesbeitrages für das Schulwesen ihres Kantons, ausserhalb desEahmens des Bundesgesetzes über die Unterstützung der öffentlichen Primarschule vom 25. Juli 1903, durch die Bundesbehörde selbst nicht gedacht werden könne, weil letztere dazu nicht zuständig wäre und es zudem sowohl den Vorschriften in den Absätzen l und 2 des Art. 27 der Bundesverfassung, als des auf Grund dieses Zusatzartikels erlassenen mehrerwähnten Gesetzes von 1903 widerspräche, welches Gesetz in seinem Art. 4 genau bestimme, wie der Bundesbeitrag an die Primarschule jedes einzelnen Kantons zu berechnen und festzusetzen sei. Dagegen hofften wir, ihren Wünschen doch durch partielle Revision des Bundesgesetzes über die Unterstützung der öffentlichen Primarschule vom Jahre 1908 gerecht werden zu können, wie wir sie im Sinne angemessener Erhöhung der bisherigen Bundesbeiträge an die Kantone, speziell die Gebirgskantone, und durch Bewilligung einer weitern Zulage an die
Kantone Tessin und Graubünden, mit Rücksicht auf ihre besondern sprachlichen Verhältnisse, in Aussicht genommen hätten. Ergänzend fügten wir sodann noch bei, dass, wenn die Behörden des Kantons Tessin für Zwecke der Erhaltung und Förderung der italienischen Sprache und der besondern Kultur des Landesteils in Zukunft noch irgendwelche, mit jährlich wiederkehrenden grössern Kosten verbundene neue Massnahmen glaubten treffen zu sollen, wir nicht anstehen würden, auch die weitere Möglichkeit wohlwollend zu erwägen, ob dafür in gleicher Weise, wie es z. B.

für die Erhaltung der romanischen Idiome bereits geschehen ist, auf dem Budgetwege gleichfalls angemessene SpezialSubventionen erhältlich gemacht werden könnten.

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Im Hinblick auf diese unsere Erklärung wies der tessinische Staatsrat speziell in seinem Schreiben vom 31. Juli 1928 sehr nachdrücklich darauf hin, dasa er in der Tat besondere Maßnahmen auch für die Pflege und Erhaltung der italienischen Sprache auf tessinischern Boden, sowie für die Herausgabeeiner tessinischen Chrestomathie und einer Anthologie tossinischer Schriftsteller zu ergreifen gedenke und dafür ebenfalls Bundeshilfe beanspruche.

Überdies brachte er uns den Entwurf zu einem Dekret des tessinischen Grossen Kates zur Kenntnis, das dem Staatsrat die Befugnis einräumen sollte, für die Zukunft in allen Gemeinden des Kantons Spezialklassen zu errichten oder Sonderkurse zu veranstalten, um daselbst wohnhaften andersprachigen Kindern den Übergang in die ordentlichen tossinischen Primär-, Sekundarund Mittelschulen, mit Einschluss der beruflichen Bildungsanstalton, zu erleichtern und sodann Stipendien auszusetzen für Lehrer, die sich zum Zwecke der Erteilung dieses Unterrichts in der deutschen Sprache besser auszubilden wünschen, was ebenfalls Bundeshilfe erheische. Dieser Entwurf ist in der Folge (am 12. September 1928) denn auch angenommen und das Dekret selbst in Kraft gesetzt worden.

In genereller Beantwortung der inzwischen eingelangten weitern Schreiben des tessinischen Staatsrates und insbesondere derjenigen vom 27. Dezember 1927 und vom 4. Januar 1928 gaben \vir ihm am 7. Juni 1928 in aller Eorm neuerdings die Zusicherung, sehr wohlwollend zu prüfen, ob und wie weit ea möglich sei, dem Tessin in Ergänzung dessen, was wir zu seinen Gunsten bereits durch die Revision des Gesetzes vom Jahre 1903 über die Unterstützung der öffentlichen Primarschule zu erreichen hofften, auf dem Budgotwoge auch noch Sondersubventionon für kostspieligere neue Massnahmen zur Wahrung der kulturellen und sprachlichen Eigenart des Landesteils zu gewähren, dass dagegen an die Bewilligung ausserordentlicher Beiträge an die Kosten der tessinischen Sekundär- und Mittelschtdon, an Gymnasien, Techniken und Lehrerbildungsanstalten, mit Einschluss der Handelsschulen, sowie auch an seine beruflichen, haus- undlandwrrtschaftlichenUnterrichtsanstaltenschlechterdings nicht zu denken sei, weil die die letztern Kategorien von Schulen betreffenden eidgenössischen Erlasse und auch die Bundesverfassung selbst dazu keine Handhabe
boten und der Bundesrat, der Konsequenzen wegen, sich zum Erlass eines besondern Gesetzes für den Zweck nicht entschliessen könne.

Ähnliche Aufschlüsse und Zusicherungen gab in unserm Namen der Vorsteher unseres Departements des Innern auch in Beantwortung einer Interpellation, die mittlerweile von Herrn Ständerat Dr. Bertoni eingereicht wurde und in der Sitzung des Ständerats vorn 25. September 1928 zur Behandlung gelangte; die Interpellation lautete: «1. Welche Massnahmen gedenkt der Bundesrat zu treffen oder anzuraten, um die Anpassung der im Tessin ansässigen Deutschschweizer an die tessinische Bevölkerung, insbesondere im Schulwesen, zu fördern?

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2. Welche Massnahmen gedenkt der Bundesrat von sich aus oder durch Antrag an die gesetzgebenden Räte zu treffen, um dem Begehren der Tessiner Regierung auf Bewilligung eines neuen Bundesbeitrages von Fr. 100,000 zu entsprechen ? Dieses Begehren rechtfertigt sich durch die besondern Forderungen, die das Unterrichts-wesen an den Kanton Tessin stellt. Ist er doch der einzige Kanton italienischer Sprache und Kultur, dem zudem höhere Bildungsanstalten fehlen.

Hält es der Bundesrat nicht für angebracht, den Kanton in der Erfüllung folgender Aufgaben zu unterstützen: a. Errichtung von Spezialklassen, die den Übergang von den deutschsprachigen Schulen in die öffentlichen italienischsprachigen Schulen erleichtern, und zwar sowohl für die Elementar- als auch für die Sekundarschulstufe, sowie für den Unterricht im beruflichen Bildungswesen; &. Schaffung von Stipendien für tessinische Lehrer, die sich in der deutschen Sprache auszubilden wünschen, damit sie den unter a bezeichneten Unterricht erteilen können; c. Schaffung von Stipendien für italienisch sprechende Lehrer und für solche Schweizerlehrer, die in Italien philosophische, sprachwissenschaftliche, kunstgeschichtliche oder pädagogische Hochschulkurse zu besuchen wünschen ; d. Einrichtung deutschsprachiger Ergänzungskurse, die den Tessinern nach erfolgreichem Besuche des Lyzeums von Lugano gestatten, schweizerische Hochschulkurse sowie die Kurse der Eidgenossischen Technischen Hochschule mit sofortigem Erfolg zu besuchen; e. Fortsetzung des Lehrkurses für italienische Kultur, den gegenwärtig der Kanton Tessin in Form öffentlicher Vorträge unterhält, nachdem hierfür provisorisch die Erträgnisse der Dr. Romeo Manzoni-Stiftung zur Verfügung gestellt worden sind. Ausbau des Programms dieses Lehr« kurses durch das Studium der grössten schweizerischen Schriftsteller und Künstler.» Bei der Behandlung des Geschäftsberichts für 1928 (11. Juni 1929) brach ferner Herr Nationalrat Dr. Zimmerli eine Lanze für die tessinischen Forderungen, indem er, unter eingehender Darlegung ihrer materiellen Berechtigung, nicht nur die konstitutionelle Möglichkeit der Hilfeleistung an den Kanton Tessin für Zwecke der Erhaltung seiner kulturellen und sprachlichen Eigenart aus voller Überzeugung bejahte, sondern weitgehende Berücksichtigung dieser Forderungen des einzigen Vertreters
und Trägers der dritten Kultur- und Sprachgruppe im Schosse der schweizerischen Demokratie geradezu als nationale Pflicht, als Gebot staatsmannischer Klugheit und als Akt der Gerechtigkeit bezeichnete. Seine Worte zündeten, und seine Anträge fanden im Eate einhellige Zustimmung, indem Vertreter aller Parteien und aller Landesteile für sie einzustehen und sie kräftig zu unterstützen erklärten und der Vorsteher unseres Departements des Innern in unserem Namen gleichfalls

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·die Zusicherung wiederholte, die Präge angemessener Erweiterung dessen, was wir zugunsten des Kantons Tessin zunächst durch die Revision des Gesetzes -vom Jahre 1908 über die Subventionierung der öffentlichen Primarschule der TCantone zu erreichen hofften, sehr -wohlwollend prüfen zu wollen.

Kurz darauf, d. h. am 29, August 1929, genehmigten wir alsdann den uns von unserm Departement des Innern unterbreiteten Entwurf zu einem Bundesgesetz zur Abänderung desjenigen über die Unterstützung der öffentlichen Primarschule vom 25. Juni 1908 und leiteten ihn als unsere Vorlage ·an die eidgenössischen Räte weiter. In diesem Entwurf sahen wir erstens Erhöhung des für alle Kantone geltenden Einheitssatzes zur Berechnung ·des jährlichen Bundesbeitrages von 60 Eappen auf einen Franken auf den Kopf der Wohnbevölkerung, ferner Erhöhung der Spezialzulage an die sogenannten Gebirgskantone, mit Einschluss des Kantons Tessin, von zwanzig auf vierzig Eappen und endlich Zubilligung einer weitern, sogenannten Sprachaulage an die Kantone Tessin und Graubünden vor, die für den ersten auf Grund seiner ganzen und für den letzten auf Grund seiner romanisch und italienisch sprechenden Wohnbevölkerung berechnet werden sollte. In den Motiven der Botschaft zu diesen Anträgen wurde folgendes ausgeführt: «Aus den Korrespondenzen, die wir seit 1925 mit dem Kanton Tessin hinsichtlich der von ihm beanspruchten ausserordentlicben jährlichen Schulsubvention von Fr. 100,000 führten, haben wir die sichere Überzeugung gewonnen, dass es nicht nur ein Gebot nationaler Pflicht und Gerechtigkeit, sondern zugleich dringender Notwendigkeit ist, diesem Kanton eine weitere Zulage zu bewilligen, um ihn in den Stand zu setzen, seine Primarschule, entsprechend der Bedeutung des Landesteiles, auszubauen und insbesondere auch diejenigen Massnahmen in ihr durchzuführen, die für die Erhaltung der italienischen Sprache und die Entwicklung seiner besondern Kultur nötig ·erscheinen. Nach den übereinstimmenden Darlegungen des Staatsrates des Kantons Tessin und der Mitglieder der eidgenössischen Eäte, die sich zur Sache geäussert haben, bedarf der Kanton Tessin kräftiger Unterstützung, insbesondere für die Herauggabe eigener Lehrbücher in italienischer Spracht;, die Verbesserung der beruflichen Ausbildung der Primarlehrer durch Einführung eines dritten
Jahresknrses am Lehrerseminar und die Schaffung ·yon Spezialklassen, die dazu dienen sollen, die aus deutschsprachigen Schulen kommenden Schüler auf den italienischen Unterricht vorzubereiten.

Dies alles erfordert aber nach den Berechnungen des tessinischen Staatsrates weit grössere Mittel, als wir ursprünglich annahmen, und so möchten -wir Ihnen heute vorschlagen, dem Kanton für die Realisierung der genannten Spezialzweeke eine weitere ausserordentliche Zulage, nicht nur von 20, sondern "von 40 Eappen auf den Kopf der Wohnbevölkerung zu bewilligen.» Bei einer Wohnbevölkerung von 152,256 Seelen hätte diese zweite Zulage an den Kanton Tessin Fr. 60,902. 40 im Jahr betragen. In der nachfolgenden Beratung der Vorlage durch die eidgenössischen Räte wurde schliesslich aber

416 nicht nur die sogenannte Gebirgszulage, sondern speziell auch die besondere Sprachzulage an die Kantone Tessin und Graubunden noch weiter, auf je 60 Bappen pro Kopf der Wohnbevölkerung erhöht, so dass dem Kanton Tessin auf Grund dieses Gesetzes ein außerordentlicher Beitrag im Sinne seiner Sonderbegehren in der Höhe von Fi. 91,353. 60 im Jahre bereits zufliessen wird.

Inzwischen traten wir durch unser Departement des Innern mit dem tessinischen Staatsrat neuerdings in Fühlung, speziell um zu erfahren, welche weitern Forderungen er nunmehr an den Bund zu stellen gedenke, für Zwecke, die bei der Bevision des mehrgenannten Schulsubventionsgesetzes noch unberücksichtigt geblieben sind. Nach seinen Ausführungen in einer mündlichen Besprechung vom 27. Juni 1929 und in bestätigendem Schreiben vom 20. Juli gleichen Jahres lassen sich B. die bis anhin noch unberücksichtigten, gegenwärtigen Forderungen des Kantons Tessin für kulturell-sprachliche Zwecke in 8 Punkten wie folgt umschreiben: 1. Schaffung von Stipendien für junge Tessiner, die sich durch Universitätsstudien oder durch den Besuch anderer Fortbildungskurse auf das Lehrfach für Sekundär- und Mittelschulen vorbereiten wollen ; die dafür erforderliche Ausgabe schätzt der tessinische Staatsrat auf Fr. 15,000 im Jahr: 2, Schaffung von Stipendien, um tessinischen Anwärtern den Besuch der Lehramtsschule und die Erwerbung des Primarlehrerpatentes zu ermöglichen; hierfür wäre mit einem Kostenaufwand von Fr. 10,000 im Jahr xu rechnen; 8. Unterstützung der tessinischen Schule für italienische Kultur und Veranstaltung durch sie von Ferienkursen für im Amt befindliche Lehrer; für beide Zwecke zusammen sollte nach Ansicht des tessinischen Staatsrate» ein jährlicher Betrag von Fr, 25,000 verfügbar gemacht werden; 4. Veranstaltung von Vorbereitungskursen, um den im Kanton wohnenden andersprachigen Kindern den Übergang in die öffentlichen Schulen zu erleichtern; die Kosten dieser Vorbereitungskurse schätzt der tessinische Staatsrat auf Fr. 10,000 im Jahre; 5. Schaffung von Stipendien für Lehrer, die, zur Unterrichtserteilung in den erwähnten Vorbereitungskursen berufen, die deutsche Sprache erlernen oder sich in ihr vervollkommnen müssen; hierfür wäre mit einer jährlichen Ausgabe von Fr. 5000 zu rechnen; 6. Schaffung und Ausbau von Schulbibliotheken, besonders
in den ländlichen Gemeinden, wofür nach Ansicht des tessinischen Staatsrates ein Jahreskredit von Fr. 25,000 erforderlich wäre; 7. Ausbau und bessere Dotierung der Kantonsbibliothek; jährlicher Kostenaufwand : mindestens Fr. 10,000 ;

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8, Veröffentlichung einer Anthologie tessinischer Schriftsteller und einer jährlichen Chrestomathie, sowie Übersetzung der bedeutendsten literarischen Werke national-schweizerischer Schriftsteller ins Italienische; die Kosten beider Massnahmen werden auf Fr. 20,000 im Jahr veranschlagt.

Auf Grund dieser Darlegungen gab der Staatsrat im nämlichen Schreiben zugleich der Hoffnung Ausdruck, dass der Bund dein Kanton Tessin für kulturell-sprachliche Zwecke nicht nur die Differenz zwischen der urspninglich von ihm geforderten Gesamtsumme von Fr. 100,000 und dem Betrage, den er zufolge Eevision des Gesetzes von 1903 über die Unterstützung der öffentlichen Primarschule zu erwarten berechtigt sei, sondern die ganze für die mehrerwähnten acht Spezialzwecke benötigte Summe von Fr. 120,000 bewilligen und ferner die jährliche Verteilung dieser Summe auf jene Zwecke in das freie Ermessen des Kantons stellen werde.

Auf dieses Schreiben hin lud unser Departement des Innern den tessinischen Staatsrat am 12. Oktober 1929 ein, ihm-speziell mit Bezug auf die sub Ziffer l, 8, 7 und 8 hiervor angeführten vier Zwecke noch nähere Aufschlüsse zu geben. Dieser Einladung kam die tessinische Behörde mit Schreiben vom 22. gleichen Monats nach, wobei sie die generelle Frage des Departements, welche Kredite der Kanton selbst jenen Zwecken zuzuwenden gedenke, dahin beantwortete, dass weder die allgemeinen Kredite des Kantons noch die Sondorkredite, über die sein Erziehungsdepartement verfügt, weiter belastet werden könnten, und sie ohnehin hoffte, dass der Bund die Bewilligung der anbegehrten ausserordentlichen Subvention für kulturelle und sprachliche Zwecke nicht an die Bedingung kantonaler finanzieller Mithilfe knüpfen werde, dies um so mehr, als eine solche Bedingung z. B. auch an die bündnerischen Institutionen zur Erhaltung der romanischen Sprache ihres Wissens nicht gestellt worden sei. Im übrigen wiederholte der Staatsrat in diesem sowohl als in allen nachfolgenden Schreiben, dass dio Berücksichtigung aller acht Zwecke dringend notwendig sei. Für den Fall aber, dass der Bund «wider Erwarten» nur die vier Zwecke glaubte berücksichtigen zu können, mit Bezug auf die er weitere Aufschlüsse verlangte, erklärte die tessinischo Eogierung zu wirksamer Hilfeleistung einmal (mit Schreiben vom 8. November 1929) immer noch mindestens
Fr. 60,000, ein andermal (18. März 1980) wiederum Fr. 65,000 zu benötigen, während sie in der mit den Vertretern der Bundesbehörden vereinbarten letzten konferenräellen Besprechung vom 21. März 1930 sowie in ihrem letzten Schreiben vom 12. April 1980 dafür Fr. 80,000 forderte, mit dem Hinweis darauf, dass der ursprünglich auf Fr, 10,000 geschätzte Beitrag an die Kosten der Erweiterung und des Ausbaus der Kantonsbibh'othek keinesfalls genüge, sondern dafür nach genaueren Berechnungen mit einer Jahresausgabe von Fr. 25,000 zu rechnen sei. Zur Bekräftigung dieser seiner gegenwärtigen Begehren wies der Staatsrat am 8. November 1929 noch speziell darauf hin, dass der Kanton Tessin an sich berechtigt wäre, vom Bund eine Sondersubvention auch noch a. für den Bau eines kantonalen Museums, sowie b. für

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Massnahmen zur Erhaltung von Altertümern und Naturdenkmälern und c,, zur Förderung und Hebung der schönen Künste zu beanspruchen.

In den beiden letzten Besprechungen der Angelegenheit mit Vertretern des tessinisehen Staatsrates stellten ihnen anderseits die beiden jeweiligen Vorsteher unseres Departements des Innern übereinstimmend in Aussieht,, dass sie uns zuhanden der eidgenössischen Kate nunmehr mit aller Beförderung beantragen wurden, in Berücksichtigung der vier im Schreiben der tessinischen Behörde vom 12. Oktober 1929 sub Ziffer l, 3, 7 und 8 aufgeführten Spezialzwecke, ex aequo et bono eine jährliche Gesamtsubvention von Fr. 40--60,000 zu bewilligen und versuchen würden, dieses Vorhaben nicht, wie bisher vorgesehen war, auf dem Wege sukzessiver jährlicher Budgetbeschlüsse, sondern gleich durch generelle Vorlage in der Form eines Bundesbeschlussentwurfes.

an die Bäte zu verwirklichen.

II. Materielle Begründetheit und Verfassnngsmässigkeit der tessinischen Ansprüche.

Für die tatsächliche Rechtfertigung der in Frage stehenden Begehren des Kantons Tessin können wir auf die von uns zusammenfassend wiedergegebene Argumentation des tessinischen Staatsrates zu dessen Eingaben verweisen. Die für den Tessin als einzigen Schweizerkanton italienischer Sprache und Kultur bestehende Unmöglichkeit der Erfüllung volksbildnerischer Aufgaben auf dem Wege interkantonaler Zusammenarbeit, das zwischen der ökonomischen Leistungsfähigkeit des Kantons und dem Umfang seiner kulturellen Verpflichtungen existierende Missverhältnis, das Fehlen eines Sammelpunktes der geistigen Kräfte des Landesteils in der Form einer eigenen Universität und das hierdurch bedingte merkliche Gravitieren seines intellektuellen Lebens nach dem benachbarten Auslande hin, das unaufhaltsame Eindringen kulturfremder Elemente in den einheimischen Volksstamm, verbunden mit dessen fortschreitender Schwächung durch eine Auswanderung von ungewöhnlicher Intensität : diese sowie weitere Umstände schaffen für den Kanton Tessin in sprachlicher und kultureller Hinsicht zweifellos eine Sonderstellung gegenüber den übrigen Kantonen der Schweiz, eine Stellung, die die Gewährung ausserordentlioher Unterstützung von Seiten des Bundes materiell als gerechtfertigt erscheinen lässt.

Eine Frage für sich bildet diejenige der Verfassungsmässigkeit der vondenTessinern anbegebrten Bundessubvention. Da die Hilfe der Eidgenossenschaft für Bildungszwecke beansprucht wird, liegt es am nächsten, in diesem Zusammenhang vorerst diejenigen Bestimmungen der Bundesverfassung auf ihre Anwendbarkeit zu prüfen, die die Beziehungen des Bundes zum Unterrichtswesen ordnen. Es sind dies die Art. 27 und 27biß der Bundesverfassung.

Die Stellung des Bundes auf dem genannten Gebiete beschlägt einerseits das Hochschulwesen, anderseits die Primarschule. Das Verhältnis zu letzterer wird durch das kürzlich revidierte Bundesgesetz betreffend die Unterstützung

419 der öffentlichen Primarschule vom 25. Juni 1908 (revidierte Fassung vom 15. März 1930) geregelt. Dieses Gesetz enthält im wesentlichen Subventionsbestimmungen; die Zwecke und Bedingungen der Subvention an die Kantone sind darin genau umschrieben. Der Kanton Tessin ist bei der jüngsten Gesetzesrevision sowohl in seiner Eigenschaft als Gebirgskanton wie als Kanton eigener Sprache besonders berücksichtigt worden- Seine weitern Begehren, die unter dem Titel der italienischen Sprache und Kultur gestellt werden, betreffen nicht die Primarschule.

Über das höhere Schulwesen bestimmt der Art. 27 der Bundesverfassung, dass der Bund befugt ist, ausser der bestehenden polytechnischen Schule eine Universität und andere höhere Unterrichtsanstalten zu errichten oder solche Anstalten zu unterstützen. Die geschichtliche Entwicklung hat dazu geführt, daas das höhere Schulwesen, abgesehen von der Technischen Hochschule, völlig der Domäne der Kantone verblieb. Die Idee, in einer nationalen Universität ein Institut zu schaffen, das unter Verbindung der deutschen und' romanischen Wissenschaft als ein Zentrum des geistigen Lebens des ganzen Landes wirken sollte, Uess sich nicht verwirklichen. Vielmehr entwickelten, sich die kantonalen Universitäten unter groseer Anstrengung der Kantone nicht nur zu Achtung gebietenden Lehranstalten, sie bildeten auch je länger je mehr die «Zentren des geistigen Lebens ihrer Kantone überhaupt» (Fleiner, Schweizerisches Bundesstaatsrecht S. 515), Die Kantone sind auf ihre Universitäten, die in unschätzbarer Weise zur geistigen Befruchtung der Demokratie beitragen, mit vollem Eechte stolz. Sie wachen aber auch eifersüchtig darüber, dass das höhere Bildungswesen in ihrer Hand verbleibe. Die kulturelle Selbständigkeit der Kantone und ihre für die Wahrung geistiger Güter so verdienstlichen Anstrengungen für die Schule bilden einen der schönsten Rechtstitel für die kantonale Souveränität.

Wie das höhere Schulwesen auf Grund der geschichtlichen Entwicklung, so bildet das Mittelschulwesen von Verfassung wegen das Feld der Kantone.

Der Bund übt höchstens indirekt auf den Unterricht der Mittelschule einen gewissen Einfluss aus, indem er einerseits vom Gesichtspunkt des Übertrittes an die Eidgenössische Technische Hochschule, anderseits im Hinblick auf die Ausbildung der Medizinalpersonen
einige Vorschriften über die Maturitätsprüfungen aufgestellt hat. Im weitern richtet der Bund Subventionen an die Fachschulen für gewerbliche und kommerzielle Bildung sowie für das landwirtschaftliche Unterrichtswesen aus.

Bieten sonach die Verfassungsbestimmungen der Art. 27 und 27bis der Bundesverfassung ihrem Wortlaut nach keine unmittelbare Handhabe, um den Begehren des Kantons Tessin auf Unterstützung seiner Bildungsgelegenheiten eine Begründung zu leihen, so muss es dennoch als dem Sinn und Geist unserer Verfassung entsprechend angesehen werden, dass der Bund dem Kanton durch eine besondere Leistung die Pflichten zu erfüllen helfe, die diesem für die Wahrung und Förderung der italienischen Sprache und Kultur obliegen. Wir verzichten darauf, uns bei diesem Anlass auf Art. Z

420 der Bundesverfassung, den sogenannten Wohlfahrtsartikel, zu berufen, gestützt auf den Ihre Behörde immerhin schon seit 1849 zahlreiche Beschlüsse zur Förderung der Wissenschaft und Kunst, der Industrie, Landwirtschaft, des Handels Ufew. gefasst hat. Dagegen weisen -wir mit allem Nachdruck auf die besondere Struktur unseres eidgenössischen Staatswesens hin. Diese erschöpft sieh nicht in der bundesstaatlichen Gliederung der Eidgenossenschaft in 25 Kantone. Über dem Verband der Einzelrepubliken steht der Zusainmenschluss dreier sprachlich und kulturell verschiedener Völkerschaften zu einem organischen Volksganzen. Durch die Koordination der drei Hauptspraohen der Schweiz hat die Bundes Verfassung in Art. 116demGrundsatz der vollen k u l t u r e l l e n Gleichberechtigung der drei entsprechenden Stämme des Landes Ausdruck verliehen. In dieser Bindung dreier Nationalitäten auf paritätischer Basis liegt das spezifische Wesensmerkmal und zugleich der tiefere Sinn unserer schweizerischen Demokratie, der durch jene Gemeinschaft recht eigentlich ihre Mission bestimmt wird. Der Kanton Tessin vertritt nun als alleiniger Trager der italienischen Kultur innerhalb der Eidgenossenschaft eine der droi g l e i c h b e r e c h t i g t e n V ö l k e r s c h a f t e n unserer politischen Nation. Hiermit ist zunächst für ihn nicht bloss das Recht, sondern auch die Pflicht gegeben, dafür zu sorgen, dass seine Eigenkultur dem Gesamtstaat ungeschwächt und unverfälscht erhalten bleibe und sein Bildungswesen in der Entwicklung nicht hinter demjenigen der beiden andern Kulturstämme zurückbleibe. Als Korrelat zu dieser kantonalen Schuldigkeit besteht aber auf Seiten des Bundes die staatsrechtliche Notwendigkeit, dem Tessin die Erfüllung jener umfassenden Aufgabe, soweit sie zufolge besonderer Voraussetzungen die Mittel und Kräfte des Kantons übersteigt, zu. ermöglichen.

Das Erfordernis der gegenseitigen Selbständigkeit und Ebenbürtigkeit der drei Kulturen unseres Landes bildet ein nationales Axiom, das sich nach dem oben Dargelegten aus der schweizerischen Staatsidee selbst ergibt. Jedo Störung des Gleichgewichts zwischen den droi Kulturkreisen greift an die Wurzel unseres eidgenossischen Staatswesons. Es entspricht dies übrigens einer in mehr oder minder ausgeprägter Weise für jeden Staat mit kulturoll heterogener
Bevölkerung geltenden Regel, die der Berner Rechtslehrer Prof. W. Burckhardt in einem Gutachten über tessinische Massnahmen zur Sprac henfrage dahin formuliert hat, dass '(jedes Sprach- und Kulturgebiet einen berechtigten Anspruch darauf hat, unversehrt zu bleiben und sieb seine Eigenart zu erhalten.

Das ist niüht nur ein berechtigter Anspruch; die Sicherheit -- die rechtliche und die moralische -- jedes Stammes, dass ihm sein Sprach- und Kulturgebiet nicht genommen und nicht geschmälert werden soll, ist die Grundlage und die Gewähr dos guten Einvernehmens der Stämme untereinander». -- Das Verhältnis des Tessins zur Gesamtschweiz, um das es sich in vorliegendem Falle handelt, ist, zahlenmässig ausgedrückt, nicht dasjenige von l zu 25, sondern dasjenige von l zu 3. Dieses Verhältnis darf überdies nicht rein quantitativ auf gefasst werden. Wir besitzen nur eine italienische Schweiz; verhelfen wir ihr zur kulturellen Gleichstellung mit dem deutschen und dem französischen

421 Sprachgebiet, so wird dadurch kein anderes Glied der Eidgenossenschaft sich benachteiligt fühlen und daraus kein anderer Kanton einenAnspruch ableiten können.

Von dem im vorangehenden entwickelten Gesichtpunkto aus erscheint nun zweifellos auch eine PJeranziehung des Art, 27 der Bundesverfassung zur Stützung der tessinischon Begehren als gerechtfertigt. Doch entspricht es letzten Endes gar keiner juristischen Notwendigkeit, dio dem Kanton Tessin zu gewährende Bundeshilfe unbedingt auf eine ausdrückliche, geschriebene Verfassungsnorm zu stutzen. Die von jeder modernen Staatsgewalt wahrgenommene Förderung allgemein kultureller Bestrebungen durch die Bewilligung von Subventionen gehört der Sphäre der sogenannten f r e i e n T ä t i g k e i t dos Bundes an, die ihre Grundlage in der Aufgabe dos Staates als solchen besitzt (vgl. Kleiner, Schweizerisches Bundesstaatsrccht S. 687 und 689 f.). «Kein geschriebener Eochtssatz ermächtigt die Bundesversammlung zu solchen Ausgaben. Sie finden ihre Rechtfertigung in der Notwendigkeit zur Pflege geistiger Güter, der sich die Demokratie am allerwenigsten entziehen darf.» (Fleiner, a, a. 0. S. 690). Ihre Behörde hat sich denn auch in einer ganzen Anzahl von Fällen dor genannten Art über verfassungsrechtliche Bedenken hinweggesetzt. Doppelt begründet muss diese Haltung in einem Falle erscheinen, wo das Kulturproblem, wie hier, sich gleichzeitig als eminent staatspolitische Angelegenheit darstellt. Angesichts der vitalen Interessen des nachsuchenden Landestoils wie der gesamten Schweiz, dio hier im Spiele sind, darf und muss der Bund dem Tessin durch die Subventionierung derjenigen von ihm namhaft gemachten Bildungszwecke zu Hilfe kommen, deren Förderung sich als verfassungsrechtlich zulässig und materiell begründet erweist. Wir behalten die Ausscheidung dieser Zwecke dem anschliessenden letzten Teil unserer Botschaft vor. Vorwegnehmen möchten wir jedoch, dass es sich dabei durchwegs um Aushilfen handelt, die geeignet sind, die Erhaltung der italienischen Sprache und Kultur zu fördern. Während jene Massnahmen aber dazu dienen, der tessiniscb.cn Bevölkerung das volle und tiefe Gefühl des Stammes, den sie in der Eidgenossenschaft vertritt, zu bewahren, werden sie zugleich die Wirkung haben, mit der Liebe zu italienischer Bildung und Art die Anhänglichkeit an dio Ideale des schweizerischen Staates und das Verständnis unserer politischen Grundbedingungen zu wahren und zu stärken.

III. Bemessung der jährlichen Subvention.

Zur weitern Frage übergehend, wie die ausserordentliche Subvention an den Kanton Tessin für Massnahmen zur Wahrung seiner kulturellen und sprachlichen Eigenart zu berechnen und auf welchen jährlichen Betrag sie festzusetzen sei, dürfte es sich schon zur Vermeidung von Missverständnissen und von spätem irrigen Interpretationen des zu erlassenden Bundesbeschlusses empfehlen, zunächst eine negative Feststellung zu machen. Nachdom nämlich dem genannten Kanton durch das revidierte Bundosge&etz vom 15. März 1930 bereits eine ausserordentliche Zulage von 60 Rappen auf den Kopf seiner Wohnbevölkerung, mit insgesamt Fr. 91,858. 60 im Jahr, für auf dieser SchulBundeeblatt. 82. Jahrg. Bd. II, 32

422 stufe zu realisierende Zwecke der besagten Art zugebilligt worden ist, fallen erstens einmal alle Massnahmen, die speziell der Förderung des Unterrichts in den tessinisohen Primarschulen zu dienen bestimmt sind, für die Berechnung und Festsetzung des hier in Kede stehenden neuen ausserordentlichen Bundesboitrages ausser Betracht. Damit scheiden von den acht Massnahmen, die der tessinische Staatsrat heute noch zu besonderer Berücksichtigung empfiehlt, die folgenden vier ohne weiteres aus: 1. Bewilligung von Stipendien, um tessinischen Kandidaten den Besuch des Lehrerseminars und damit die Erwerbung des Primär lehrerpatentes zu ermöglichen ; 2. Veranstaltung von Vorbereitungskursen mit dem Zweck, den im Kanton wohnenden Kindern anderer Muttersprache als des Italienischen den Übergang in die öffentlichen tossinischen Schulen KU erleichtern; 8. Aussetzung von Stipendien für Lehrer, dio, zur Unterrichtserteilung in den eben erwähnten Vorhereitungskursen berufen, die deutsche Sprache erst erlernen oder sich in ihr vervollkommnen müssen, und endlich 4. Schaffung neuer und Erweiterung schon bestehender Schulbibliotheken, besonders in ländlichen Gemeinden.

Dass es sich hierbei in der Tat durchwegs um Massnahmen handelt, die schon für die Gewahrung und die ziffermässigc Festsetzung der dem Tessin durch das revidierte Gesetz vom März 1930 zugestandenen zweiten Zulage zur Primarschulsubvention mitbestimmend gewesen sind, erhellt zur Evidenz schon aus den Motiven zu jenem Gesetz ; ist daselbst doch ausdrücklich vermerkt worden, dass jene Zulage dem Kanton Tessin nicht nur die Herausgabe eigener Lehrbücher in italienischer Sprache und die Beschaffung ergänzender Unterrichtsmaterialien (wie Démonstrations- und statistisches Material usw.) ermöglichen solle, sondern dass sie ferner auch dazu bestimmt sei, die berufliche Ausbildung der tessinischen Primarlehrer, insbesondere durch Einführung eines dritten Jahreskurses am Lehrerseminar, zu verbessern und Vorbereitungskurse zu veranstalten mit dem Zweck, den im Kanton wohnenden Kindern anderer Muttersprache als des Italienischen, denÜbergang in die öffentlichen tessinischen Schulen zu erleichtern. Die erwähnten vier Massnahmen hier mitberücksichtigen, hiesse also dem Kanton für ganz dieselben Zwecke eine nochmalige, zweite Sondersubvention bewilligen, was
selbstverständlich unstatthaft ist, zumal die Kosten der vier an sich durchaus bogrüssenswerten und notwendigen Massnahinen, nach den eigenen Berechnungen der tessinischen Begierung, aus jener schon bewilligten Zulage sehr wohl bestritten werden können.

Die Kosten, die dem Tessin speziell durch Schaffung neuer oder durch Erweiterung schon bestehender Schulbibliotheken in ländlichen Gemeinden (Ziffer 4 hiervor) erwachsen werden, bei der Bemessung der neuen Subvention mit zu berücksichtigen, davon könnte übrigens auch deshalb nicht die Bede sein, weil der Bund durch Zuwendung sehr namhafter jährlicher Beiträge an die als Stiftung konstituierte «Schweizerische Volksbibliothek» (Bundesbeschluss vom 28. Juni 1921), die Errichtung und Unterhaltung eines Netzes

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von Bibliotheken und damit die Verbreitung sowohl allgemein bildender und unterhaltende als auch beruflicher Literatur über unser Land bereits wirksam unterstützt und ihm auf diesem Gebiete also auch zugunsten des Tessins weitere Leistungen nicht zugemutet werden können, zumal der Kanton Tessin und seine Gemeinden aus der Institution selbst auch reichen ideellen und materiellen Nutzen ziehen.

Nach dem, was wir der tessinischen Regierung schon am 7. Juni 1928 mitteilten, ist ferner auch die Gewährung jeglicher Sondersuhvention an die Kosten der tessinischen Sekundär- und Mittelschulen ausgeschlossen; für die Subventionierung der eigentlichen Sekundärschulen, Gymnasien, Techniken und der Lehrerseminarien bietet die Bundesverfassung gar keine Grundlage und Möglichkeit, und was anderseits die tessinischen Fachschulen für gewerbliche und kommerzielle Bildung sowie seine landwirtschaftlichen Lehranstalten betrifft, so werden diesen die in den bezüglichen Bundesbeschlüssen vorgesehenen Normalsubventionen, jeweilen im höchsten zulässigen Ausmass, bereits ausgerichtet, so dass zur Gewährung irgendwelcher Sonderbeiträge an sie eine Kevision der einschlägigen Erlasse nötig wäre, wozu aber schon der Konsequenzen wegen nicht Hand geboten werden kann.

Ausser Betracht fallen weiterhin die Massnahmen, die der Kanton Tessin zur bessern Erhaltung von Altertumern einerseits und für die Förderung und Hebung der schönen Künste anderseits zu treffen gedenkt, indem er für diese Zwecke von den dafür ausgesetzton Spezialkrediten der Eidgenossenschaft, der grossen Zahl seiner historischen Kunstdenkmäler und seiner Künstler wegen, im Verhältnis zu den übrigen Landesteilen bereits in sehr hohem Masse bedacht wird. Was schliesslich die vorgesehenen Museumsbauten betrifft, so ist deren Subventionierung durch den Bund, mangels jeder rechtlichen Grundlage und auch der Konsequenzen wegen, erst recht ausgeschlossen.

Die letztern Forderungen hat die Tessiner Eegierung übrigens selbst nur nebenbei gestellt und im Verlaufe der schriftlichen und mündlichen Verhandlungen wieder fallen gelassen.

So bedürfen denn von allen den Forderungen, die entweder in der Korrespondenz zwischen der Tessiner Regierung und der Bundesbehörde oder bei anderm amtlichen Anlass als für die Gewährung und Bemessung der weitern ausserordentlichen Subvention
an den Tessin für kulturell-sprachliche Zwecke massgebend bezeichnet worden sind, mit Einschluss der vom tessinischen Staatsrat zuletzt zu besonderer Berücksichtigung empfohlenen acht Punkte, nur noch die folgenden vier näherer Prüfung: 1. Gewährung von Stipendien an tessinische Studierende, die sich Universitätsstudien widmen wollen, um den Fähigkeitsausweis als Lehrer für Sekundär- und Mittelschulen zu erwerben und als solche im Tessin zu wirken.

Diese erste Massnahmo begründet der tessinische Staatsrat mit dem empfindlichen Mangel an genügend vorgebildeten einheimischen Lehrern für die genannten Schulstufen und der damit zusammenhängenden Tatsache,

424 dass zurzeit in tessinischen Sekundär- und Mittelschulen otwa 15 Lehrer nicht schweizerischer Nationalität und ferner etwa 30 Lehrer ohne genugende akademische Studien und entsprechende Ausweise wirken ; es wäre erwünscht, sie allmählich durch genügend ausgewiesene einheimische Lehrkräfte zu ersetzen.

Um dies mit der Zeit zu erreichen, sollte jährlieh mindestens fünf besonders begabten tessinischen oder andern im Tessin geborenen Kandidaten schweizerischer Nationalität mit italienischer Muttersprache durch Gewährung ausreichender Stipendien die Möglichkeit zur weitern Ausbildung an Universitäten und damit zur Erwerbung eines zum Lehrberuf an jenen höhern Schulen befähigenden Ausweises geschaffen werden; bei^ Festsetzung dieser Stipendien auf je Fr. 8000 wäre dafür mit einer Jahresausgabe von insgesamt Fr. 15,000 zu rechnen. Anwärter mit Maturität, die sich dem Unterrricht in der deutschen oder französischen Sprache und Literatur sowie in der Geschichte zu widmen gedenken, würden schweizerische Universitäten, Anwärter auf Lehrstellen für italienische Sprache und Literatur entsprechende italienische Unterrichtsanstalten und Anwärter auf Lehrstellen für Latein und Griechisch, sowie für Mathematik und andere wissenschaftliche Lehrfächer nach freier Wahl entweder schweizerische oder italienische, eventuell andere ausländische Universitäten besuchen. Die Inhaber eines Stipendiums müssten Garantien bieten für dessen ganze oder teilweise Rückerstattung, sofern sie das Diplom als Sekundär- oder Gymnasiallehrer nicht erhalten oder, in dessen Besitz, nicht während mindestens 6 Jahren an einer tessinischen Sekundär- oder Mittelschule Unterricht-orteilen sollten.

2, Finanzielle U n t e r s t ü t z u n g der tessinischen Schule für italienische Kultur und der Veranstaltung von Ferienkursen für im Kanton Tessin b e r u f l i c h tätige Lehrer.

Diese auf der Eomeo-Manzoni-Stiftung von 1917 beruhende Institution verfolgt nach Ausweis ihres Statuts den Zweck, tessinischen Geist zu pflegen, sowie die dem Landesteil eigene Kultur zu erhalten und weiter zu verbreiten: durch Veranstaltung von Vortragszyklen und von regelmässigen aufklärenden und belehrenden Abendkursen an den Hauptorten des Kantons, sowie ferner durch Veröffentlichung bedeutender literarischer und anderer Werke nationalen Charakters. Da die der
Institution gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mittel, bestehend im Zinsenertrag des Stiftungskapitals mit Fr. 3000 und einem jährlichen Zuschuss von Fr. 1000 aus der Staatskasse, dafür erwiesenermasson nicht ausreichen, so müssten ihr zu wirksamer Erfüllung ihrer Kulturmission und um sie in den Stand zu setzen, ihren Tätigkeitskreis durch Veranstaltung von Ferienkursen für tessinische Lehrer noch zu erweitern, wie der tessmische Staatsrat es vorsieht, für die Zukunft Kredite von mindestens Fr. 25,000 im Jahr bewilligt werden. Die Lehrerkurse selbst wären dazu bestimmt, einerseits die Kenntnisse der tessinischen Lehrer in der Landessprache, der vaterländischen Geschichte, sowie in der Staatsbürger- und Verfassungskunde zu vertiefen und die betreffenden Lehrer anderseits mit der deutschen Sprache besser vertraut zu macheu.

425 3. Ausbau und bessere D o t i e r u n g der Kantonsbibliothek.

Mit ihren 80,000 Bänden und einem Jabreskredit von nur Fr. 1500 für Ankäufe vermag diese einzige öffentliche Bibliothek der italienischen Schweiz den an ein solches Institut zu stellenden Anforderungen offensichtlich nicht zu genügen; sie muss, unter Vermehrung ihrer Jahreskredite, notgedrungen sukzessive ausgebaut werden, und überdies ist in absehbarer Zeit ihre Verlegung in andere, geeignetere Räumlichkeiten eine Notwendigkeit; nach den letzten Berechnungen der tessinisohen Behörden dürfte dafür mit einer durchschnittlichen Jahresausgabe von Fr. 20,000 zu rechnen sein.

4. V e r ö f f e n t l i c h u n g einer A n t h o l o g i e tessinischer S c h r i f t steller und einer jährlichen Chrestomathie. Während in der Anthologie, nach dem Vorhaben der tessinischen Eegierung, eine Blütenlese aus Werken verstorbener und noch lebender tessinischer Autoren, gemäss Auswahl durch eine ad hoc einzusetzende literarische Kommission, veröffentlicht werden sollte, wäre die Chrestomathie dazu bestimmt, neu erscheinende Werke zu publizieren und das tessinische Volk mit der literarischen Produktion der deutschen und französischen Schweiz besser vertraut zu machen. Zu diesem Zwecke wären besonders markante Werke dieser Art in guter italienischer Übersetzung ganz oder teilweise wiederzugeben.

Die Kosten der beiden Publikationen schätzt die tessinische Eegierung auf Fr. 20,000 und die aller vier Massnahmen zusammen also auf Fr. 80,000 im Jahr, Unterziehen wir nun diese vier Massnahmen einer nähern Prüfung, so können wir feststellen, dass keine derselben sich auf den tessinischen Primarbzw. Sekundär- und Mittelschulunterricht als solchen bezieht und auch keine vom Bund schon in anderer Form subventioniert wird, sondern dass sie, durch die ganz ausnahmsweisen gegenwärtigen Verhältnisse des Tessins diktiert, bessere Wahrung seiner kulturellen und sprachlichen Eigenart in der Zukunft anstreben, erstens durch gründlichere Vorbereitung der tessinischen Jugend auf die höhern Studien und speziell auf das höhere Lehramt, sodann durch wirksamere Förderung der Volksbildung des Landesteils im allgemeinen, Auch glauben wir mit Bestimmtheit annehmen zu können, dass, wenn die vier Massnahmen in der Form und Ausgestaltung zur Durchführung gelangen, wie die tessinische
Eegierung sie vorsieht, sie in hohem Masse geeignet sein werden, das angestrebte Ziel zu erreichen und also, gemäss unsern Ausführungen im vorangehenden Abschnitt, nicht nur für den Kanton Tessin selbst, sondern damit zugleich für die schweizerische Demokratie als Ganzes von nachhaltigem Nutzen und massgebender Bedeutung sein werden. Auf Grund aller dieser Erwägungen stehen wir nicht an, Ihnen aufs angelegentlichste zu empfehlen, dem Kanton Tessin in der Durchführung jener Massnahmen durch Gewährung einer ausserordentlichen Subvention im anbegehrten Sinne behilflich zu sein und diese Subvention auf Fr. 60,000 im Jahr festzusetzen. Die Zubilligung des ganzen Betrages von Fr. 80,000, den der Tessin nach den neuesten Berechnungen seiner Begierung für die wirksame Durchführung der Massnahmen

426 zu benötigen glaubt, scheint uns nicht geboten zu sein. Zunächst bleibt für die tessinischen Behörden mit der weiter unten erörterten freien Bestimmung über die jährliche Verteilung des Gesamtkredites auf die einzelnen Massnahmen die Möglichkeit bestehen, den Bundesbeitrag je nach Bedürfnis das eine Jahr vorwiegend für diesen, das folgende für einen andern der in Frage stehenden Zwecke zu verwenden. Im weitern kann dem Kanton Tes&in füglich zugemutet und von ihm auch verlangt werden, dass er nötigenfalls selbst auch einiges zur Verwirklichung der Vorhabon beitrage. Abgesehen davon, dass die tessinische Eegierung selbst von Anfang an und während mehrerer Jahre beim Bund lediglich um eine außerordentliche jährliche « S u b v e n t i o n » für kulturellsprachliche und Schulzwecke nachgesucht und erst in ihrem Schreiben vom 22. Oktober 1929 plötzlich der Ansicht Ausdruck gegeben hat, dass die Eidgenossenschaft die ganzen Kosten der als wünschenswert erkannten Maasnahmen auf sich nehmen sollte, kann in diesem Zusammenhang in der Tat nicht unerwähnt gelassen werden, dass der Bund die Gewährung von Subventionen jeglicher Art, ihrem Wesen und ihrer rechtlichen Natur entsprechend, durchwegs an die Bedingung knüpft, dass der Empfänger selbst auch finanzielle* Leistungen übernehme und also mit zur Erreichung des Zweckes beitrage, dem die «Subvention» des Bundes "zu dienen bestimmt ist. Es gilt das sowohl von den auf Gesetz beruhenden als von den durch Bundesratsbeschluss oder auf dem Budgetwege bewilligten Bundessubventionen, und zwar wird der Eegel nach sogar verlangt, dass das ansuchende Bechtssubjekt, sei es aus eigenen Mitteln oder durch Zuwendungen von dritter Seite, die Hälfte der benötigten finanziellen Mittel aufbringe. Entgegen der Behauptung der tessinischen Begiorung ist diese Bedingung tatsächlich auch gegenüber den. bündnerischen Institutionen für die Erhaltung der romanischen Sprache gestellt und von jeher auch erfüllt worden, indem der Kanton Graubünden, gleich wie der Bund, selbst Fr, 10,000 und bündnerische Gemeinden weitere Fr. 2000 im Jahr dem Zwecke zuwenden. Ohne vom Kanton Tessin, angesichts der ganz ausserordentlichen Verhältnisse, in denen er sich befindet, ein gleiches zu .verlangen, darf doch auch von ihm zum mindesten eine gewisse Ergänzung der vom Bund zur Verfügung gestellten
Mittel in der Weise erwartet werden, dass für die wirksame Durchführung aller vorgesehenen Massnahmen volle Sicherheit besteht.

So bitten wir Sie denn, auch Ihrerseits an dem von uns vorgeschlagenen Gesamtbetrag von Fr. 60,000 festzuhalten, wobei es die Meinung hat, dass diese Summe, vorderhand wenigstens, nur für die vier speziell genannten Zwecke verwendet werden dürfe. Da es aber denkbar ist, dass einzelne dieser Massnahraen, wie speziell die Anthologie und die Chrestomathie, ihren Zweck schon nach einigen Jahren erfüllt haben werden und dann in Wegfall kommen können, während inzwischen vielleicht wieder andere, neue Massnahmen sich als wünschenswert herausstellen werden, so glauben wir im anschliessenden Bundesbeschluss-Entwurf immerhin eine spätere Ausdehnung der Verwendung der Subvention noch auf andere verfassungsrechtlich zulässige und materiell

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begründete Zwecke vorsehen zu sollen ; eine solche Ausdehnung hätte indessen in jedem Falle die vorherige Zustimmung unserer Behörde zur Voraussetzung.

Auf der andern Seite teilen wir durchaus die Auffassung der tessinischen Eegierung, dass die jährliehe Verteilung der Gesamtsubvention auf die vier im Bundesbeschluss-Entwurf einzeln aufgeführten und auf in der Folge allfällig von uns gutgeheissene weitere Zwecke dem freien Ermessen des Kantons Tessin anheimzustellen sei. Da die Durchführung der entsprechenden Massnahmen ohnehin den Tessiner Behörden selbst obliegt, und sie auch allein mit völliger Sachkenntnis darüber urteilen können, welche Massnahmen jeweilen die dringendsten sind und welchen Kostenaufwand sie erfordern, so liegt diese Eegelung der Dinge auf der Hand; sie ergibt sich übrigens auch schon aus der Souveränität der Kantone in Schul- und Bildungsangelegenheiten von selbst. Dagegen ist der tessinischen Begierung selbstverständlich zur Pflicht zu machen, unserer Behörde, auch zuhanden der eidgenössischen Bäte, auf Ende jedes Jahres über die getroffenen Massnahmen und die Verteilung des Jahresbeitrages auf diese einlasslich Bericht zu erstatten und Bechnung abzulegen und zwar so, dasswir uns selbst auch über den Erfolg der Bestrebungen jederzeit Bechenschaft geben können.

Das tessinische Sprachen- und Kulturproblem stellt sich -- davon werden Sie sich im Laufe unserer Ausführungen überzeugt haben ·-- in einer Weise, dass ihm mit einer ängstlichen Anklammerung an bisherige Gepflogenheiten nicht beizukommen ist. Die Lösung ist einzig auf Grund einer von lebendigem Solidaritätsgefühl getragenen weitsichtigen Haltung der Bundesbehörden möglich. Wir ersuchen Sie deshalb, die Vorlage beförderlich in Beratung ziehen und zum Beschlüsse «u erheben. Sie werden damit nicht bloss einen Akt der Gerechtigkeit gegenüber dem italienischen Stamm unseres Landes vollbringen und vor der Welt ein beachtenswertes Beispiel weitblickender Minoritätonpolitik bieten. Sie werden darüber hinaus einem Gebote der Klugheit gegenüber dem gesamten Vaterlande folgen, dessen Schicksal aufs engste mit demjenigen unserer sudlichen Miteidgenosson verknüpft ist.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

Bern, den 29. September 1980.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Musy,

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

428

(Entwurf.)

Bundesbescbluss über

die Bewilligung einer jährlichen Bundessubvention an den Kanton Tessin für Massnahmen zur Wahrung und Förderung seiner kulturellen und sprachlichen Eigenart.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 27 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 29. September 1980, beschliesst :

Art. 1.

Dem Kanton Tessin wird zur Wahrung seiner kulturellon und sprachlichen Eigenart an die Kosten von Massnahmen für das höhere Bildungswesen ein jährlicher Bundesbeitrag von Fr. 60,000 bewilligt. Dieser Betrag ist jeweilen in den Voranschlag der Eidgenossenschaft beim Departement des Innern (Abteilung für Kultur, Wissenschaft und Kunst) einzustellen.

Art. 2.

Der Beitrag ist für folgende Zwecke zu verwenden: 1. Gewährung von Stipendien an tessinische und andere im Tessin geboreno schweizerische Studierende italienischer Muttersprache, die sich Universitätsstudien widmen wollen, um den Fähigkeitsausweis als Lehrer für Sekundär- und Mittelschulen zu erwerben; 2. Unterstützung der tessinischen Schule für italienische Kultur und der durch sie veranstalteten Ferienkurse für tessinische und andere an dortigen Schulen wirkende Lehrer schweizerischer Nationalität; 3. Ausbau und bessere finanzielle Dotierung der Kantonsbibliothek; 4. Veröffentlichung einer Anthologie tegsinischer Schriftsteller und einer periodischen Chrestomathie.

429 Die Verwendung des Bundesbeitrages für weitere Massnahmen zur Forderung des höhern Bildungswesens im Sinne der Wahrung der kulturellen und sprachlichen Eigenart des Kantons Tessin setzt in jedem Falle die Zustimmung des Bundesrates voraus.

Art. 8.

Die jahrliche Verteilung des Bundesbeitrages auf die in Art. 2 aufgezahlten und auf weitere allfàllig vom Bundesrat gutgeheissene Zwecke wird dem freien Ermessen des Kantons Tessin anheimgestellt.

Die Regierung des Kantons Tessin wird dem Bundesrat auf Ende jedes Jahres über die Art der Verwendung des Bundesbeitrages Bericht erstatten und Rechnung ablegen.

Art. 4.

Dieser Beschluss tritt, als nicht allgemein verbindlicher Natur, sofort in Kraft.

Der Bundesrat ist mit dessen Vollzug beauftragt.

-5--

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Bewilligung einer jährlichen Bundessubvention an den Kanton Tessin für Massnahmen zur Wahrung und Förderung seiner kulturellen und sprachlichen Eigenart. (Vom 29. September 1980.)

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