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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der zwei in der Volksabstimmung vom 18. Mai 1930 angenommenen Yerfassungsgesetze des Kantons Genf.

(Vom 16. Juni 1930.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Mit Schreiben vom 21. Mai 1930 sucht der Staatsrat des Kantons Genf die eidgenössische Gewährleistung für die zwei in der Volksabstimmung vom 18. Mai 1980 angenommenen Verfassungsgesetze nach.

Das erste der beiden Verfassungsgesetze hat folgenden Wortlaut (Übersetzung) : Verfassungsgesetz vom 22. März 1980 b e t r e f f e n d A u f h e b u n g und Ersetzung durch neue Bestimmungen: a. des Titels IX (Organisation der Gemeinden) der Verfassung vom 24. Mai 1847; 6. des Art. 7 des Verfassungsgesetzes vom 29. Oktober 1898 b e t r e f f e n d Abänderung der Organisation der öffentlichen A r m e n u n t e r s t ü t z u n g ; o. des Art. l des Verfassungsgesetzes vom 12. Januar 1895 b e t r e f f e n d die E i n f ü h r u n g des f a k u l t a t i v e n E e f e r e n d u m s in Gemeindeangelegenheiten.

A.

Einziger Artikel, Der Titel IX der Verfassung vom 24, Mai 1847 ist aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt:

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Titel IX.

Organisation der Gemeinden.

Erstes Kapitel.

Gemeinden und Gemeindebehörden.

Art. 102, Die Gemeindegrenzen 'können nur durch em Gesetz abgeändert werden.

Art. 108. Niemand ist in mehr als einer Gemeinde oder einem Bezirke Art. 104. Ausgenommen in der Stadt Genf wird die Gemeindeverwaltung in den Gemeinden mit über 3000 Einwohnern von einem «.Conseil administratif» OMSgeübt. Dieser besteht aus drei Mitgliedern, die von der Gesamtheit der Stimmberechtigten der Gemeinde gewählt werden.

In den übrigen Gemeinden ist die Gemeindeverwaltung einem Maire und zwei Adjunkten übertragen.

Die Befugnisse der Gemeindeverwaltung werden durch, das Gesetz bestimmt, Art. 105. Die Gemeinderäte werden alle vier Jahre gänzlich erneuert; die twstretenden Mitglieder des Gemeinderates sind sofort wieder wählbar.

Art. 106. Ausgenommen in der Stadt Genf werden die Mitglieder der Gemeinderäte in jeder Gemeinde durch Listenwahl von der Gesamtheit der Stimmberechtigten der Gemeinde gewählt: in den Gemeinden mit mehr als 1500 Einwohnern nach dem Grundsatz der Verhältniswahl unter Vorbehalt eines Quorums von 7 %, in Gemeinden mit 1500 und weniger Einwohnern nach dem Grundsatz der Mehrheit.

Art. 107. Das Gesetz bestimmt die Zahl der Mitglieder der Gemeinderäte.

Die Mitglieder der Gemeinderäte mitisen in der Gemeinde stimmberechtigt sein.

Sind sie in der Gemeinde, in der sie gewählt wurden, nicht mehr stimmberechtigt, ·so gelten sie als ihres Amtes enthoben.

Art. 108. Die Conseillers administratifs, die Maires und Adjunkte werden von der Gesamtheit der Stimmberechtigten auf die Dauer von vier Jahren gewählt.

·Sie müssen in der Gemeinde stimmberechtigt sein und daselbst Wohnsitz haben; sie sind sofort wieder wählbar.

Die an eine freigewordene Stelle tretende Person ist für den Best der vierjährigen Verwaltungsperiode gewählt.

Personen, die in der Gemeinde, in der sie gewählt wurden, nicht mehr stimmberechtigt sind, gelten als ihres Amtes enthoben.

Art. 109. Die Conseillers administratifs, die Maires imd Adjunkte, die dem Gemeinderat nicht angehören, nahen in diesem betratende Stimme; ihnen steht das Vorschlagsrecht zu, dagegen sind sie nicht stimmberechtigt.

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Art. 110. Die Verhandlungen der Gemeindet äte sind öffentlich; sofern die Gemeinderäte es jedoch als erforderlich erachten, können die Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Art. 111. Das Gesetz setzt, unier Vorbehalt vorstellender Bestimmungen, fest: 1. die Bestimmungen über die Wahl, die Wählbarkeit und die Beeidigung der Conseilkrs administratifs, der Maires, Adjunkte und der Mitglieder der Gemeinderäte; 2. in welchen Fällen und von welcher Behörde die Conseillers administratifs, die Maires und Adjunkte abberufen werden können; 3. in welchen Fällen und durch welche Behörde die Gemeinderäte in ihren Funktionen eingestellt oder aufgelöst werden können.

Zweites Kapitel.

Besondere Bestimmungen über die Stadt Genf.

Art. 112. Die bisherigen Gemeinden Eaux-Vives, Plainpalais und PetitSaconnex werden mit der Stadt Genf zu einer einzigen Gemeinde vereinigt.

Art. 118. Die Stadt Genf 'übernimmt alle Hechte, Lasten und Verpflichtungen, der vereinigten Gemeinden.

Art. 114. Die Stadt Genf wird in Gemeindebezirke eingeteilt, die unter Vorbehalt gesetzlicher Abänderungen der Grenzen dem frühem Gebiet der Stadt Genf und den frühem Gemeinden Eaux-Vives, Piampalais und Petit-Saconnex entsprechen.

Diese Bezirke werden wie folgt bezeichnet: Cité, Eaux-Vives, Plainpalais, und Petit-Saconnex.

Art. 115. Die Stadt Genf hat einen Gemeinderat, dessen Mitglieder von den Stimmberechtigten der Gemeindebezirke nach dem Grundsat« der Verhältniswahl unter Vorbehalt eines Quorums von 7 % gewählt werden.

Jeder Bezirk hat das Recht, auf je 2000 Einwohner und auf eine Bruchzahl über 1000 Einwohner ein Mitglied des Gemeinderates zu wählen.

Art. 116. Mit der Verwaltung der Stadt Genf ist ein Conseil administratif von fünf Mitgliedern betraut, der von der Gesamtheit der Stimmberechtigten der Stadt Genf gewählt wird,. Der Conseil administratif verteilt die Geschäfte unter seinen Mitgliedern.

D-ie Conseillers administratifs, die dem Gemeinderat nicht angehören, haben in diesem beratende Stimme; ihnen steht das Vorschlagsrecht zu, dagegen sind sie wicht stimmberechtigt.

Art. 117. Die Bestimmungen über Wählbarkeit, Wahl, Amtsdauer und Abberufung der Conseillers administratifs, der Maires und Adjunkte sind auf di& Mitglieder des Conseil administratif der Stadt Genf anwendbar.

Art. 118. Die Befugnisse des Gemeinderates und des Conseil administratif der Stadt Genf werden durch ein Gesetz umschrieben.

747 Die besondern Anstalten des öffentlichen Unterrichtswesens, die Gemeindepolizei (mit Ausnahme der zur Überwachung der Verkaufshallen und Parks erforderlichen Wächter) sowie das Arbeitswesen (ausgenommen die öffentliche Beleuchtung, die Verwaltung und der Unterhalt der der Stadt gehörenden Gebäude und Anlagen) sind der kantonalen Verwaltung zugeteilt und der unmittelbaren Leitung des Staatsrates unterstellt, Art. 119. Die Ausgaben für im Gebiete der Stadt Genf ausgeführte Arbeiten werden von dieser getragen.

Sofern das kantonale Strassengesetz nichts anderes bestimmt, sind diese Ausgaben dem Gemeinderat der Stadt Genf zur Genehmigung zu unterbreiten.

Die dem Staatsrat durch die geltenden Gesetze eingeräumten Befugnisse bleiben unverändert bestehen.

Art. 120. Die industriellen Beiriebe werden wn einer öffentlich-rechtlichen Anstalt mit gesonderter Verwaltung geführt; diese besitzt juristische Persönlichkeit und untersteht der Aufsicht des Staatsrates und des Gemeinderates der Stadt Genf.

Die Verwaltung der industriellen Betriebe ist einem auf fünf Jahre ernannten Verwaltungsral von 13 Mitgliedern übertragen. Diese werden gewählt: 5 Mitglieder durch den Staatsrat; 5 » « den Gemeinderat der Stadt Genf; l Mitglied durch die Mitglieder der Genieinderäte des rechten Ufers; l » » die Mitglieder der Gemeinderäte der Gemeinden zwischen Arve und See; l » » die Mitglieder der Gemeinderäte der Gemeinden zwischen Arve und Rhone.

Ein Mitglied des Staatsrates und ein Conseiller administratif wohnen von Amtes wegen den Verhandlungen des Verwaltungsrates mit beratender Stimme bei.

Die Mitglieder dieses Verwaltungsrates dürfen weder direkt noch indirekt Lieferanten der industriellen Betriebe sein oder direkt oder indirekt mit Arbeiten auf Rechnung dieser Betriebe beauftragt werden.

Das Gesetz umschreibt die Befugnisse des Verwaltungsrates, bezeichnet die Art der Ernennung seiner Mitglieder und die an sie gestellten Erfordernisse und bestimmt ihre Verantwortlichkeit.

Der Voranschlag und die Jahresrechnung der industriellen Betriebe werden vom Verwaltungsrat aufgestellt und dem Gemeinderat der Stadt Genf und dem Staatsrat zur Genehmigung unterbreitet.

Ebenso unterliegen alle Einzahlungen zum Zwecke der Erhöhung des in den industriellen Betrieben investierten Kapitals der Genehmigung des Gemeinderates der
Stadt Genf und des Staatsrates. Das Personal der industriellen Betriebe wird gemäss einem Besoldungsreglement vom Veiwaltungsrat gewählt, der dieses Reglement dem Gemeinderat der Stadt Genf und dem Staatsrat zur Genehmigung voi legt.

748 B.

Der Art. 7 des Verfassungsgesetzes vom 29, Oktober 1898 betreffend Abänderung der Organisation der öffentlichen Armenunterstützung wird aufgehoben md durch folgende Bestimmungen ersetzt: Art. 7. Die Abs. 2 ff. des Art. 7 des Verfassungsgesetzes vom 26. August 1868 betreffend die Errichtung eines allgemeinen Spitals werden aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Das allgemeine Spital wird durch eine Verwaltungskommission geleitet.

Ein Gesetz umschreibt die Zahl der Mitglieder der Kommission sowie die Art ihrer Ernennung.

Deren Mitglieder sind sofort wieder wählbar.

Die Mittel des allgemeinen Spitals werden verwendet zur Pflege von Greisen, Waisen, Gebrechlichen und überhaupt der Bedürftigen genferiscìier Angehörigkeit.

C.

Der Art. l des Verfassungsgesetzes vom 12. Januar 1895 betreffend die Einführung des fakultativen Referendums in Gemeindeangelegenheiten ist aufgehoben und durch folgende Bestimmungen ersetzt: Art. 1. Die Beschlüsse der Gemeinderäte sind der Genehmigung der m der Gemeinde Stimmberechtigten zu unterstellen, falU eine Abstimmung verlangt wird: in der Stadt Genf von 2000 stimmfähigen Eimwohnern binnen 30 Tagen vom Datum des Beschlusses an gerechnet, in Carouge von einem Fünftel und in den übrigen Gemeinden von einem Drittel der stimmfähigen Einwohner, und zwar ·in allen diesen Gemeinden binnen 15 Tagen nach dem Datum des Beschlusses.

Übergangsbestimmungen.

Nach Veröffentlichung des Gesetzes wird der Staatsrat eine direkte Kontrolle über die in Art. 118 aufgeführten Betriebe ausüben und alle zur Erleichterung des Überganges der genannten Betriebe an den Staat erforderlichen Massnahmen anordnen. Ohne vorherige Zustimmung des StaaUrates darf weder eine neue Ernennung noch eine Änderung der Amtsbefugnisse vorgenommen werden.

Der Staatsrat wird dem Grossen Rat innert drei Monaten nach Veröffentlichung des Verfassungsgesetzes unterbreiten: 1. ein Gesetz über die Verwaltung der Gemeinden; 2. ein Gesetz betreffend Abänderung der Abschnitte L und II des Strassengesetzes vom 15. Juni 1895; 3. ein Gesetz betreffend Einverleibung der Gemeindepolizei in die kantonale Polizei; 4. ein Gesetz betreffend die Bedingungen, unter denen die besondern Anstalten des öffentlichen Unterrichts von der Stadt Genf an den Staat übergehen; 5. ein Gesetz betreffend die Organisation der industriellen lietriebe; 6. ein Gesetz betreffend die Art der Ernennung derMitglieder der Kommission des allgemeinen Spitals und der Direktionskommission der Hypothekarkasse.

749 Sofort nach Annahme und Veröffentlichung der vorgenannten Gesetze wird der Staatsrat den Zeitpunkt der Wahlen für den neuen Gemeinderat und den neuen Conseil administratif der Stadt Genf festsetzen.

Die Mandate der gegenwärtig amtierenden Gemeinderäte und der Conseillers administratifs der Gemeinden Genf, Plainpalais, Eaux-Vwes und Petit-Saconnex laufen mit dem Tage der Vereidigung des neuen Gemeinderates der Stadt Genf ab.

Gleichen Tags erfolgt die Vereinigung der Gemeinden Plainpalais, EauxVives und Petit-Saconnex mit der Stadt Genf. Gleichseitig werden auch die vorerwähnten Gesetze in Kraft treten.

In der Zeit von der Veröffentlichung des Verfassungsgesetzes bis zur Vereidigung des neuen Gemeinderates führen die Stadt Genf und die Gemeinden Plainpalais, Eaux-Vives und Petit-Saconnex ihre Amtsgeschäfte, die ihnen vor der Annahme des Verfassungsgesetzes zustanden, weiter.

Das Gesetz betreffend die Verwaltung der Gemeinden wird die Bedingungen umschreiben, unter denen der Staat die der Stadt Genf gehörenden Immobilien und Materialien übernimmt, die er zur Führung der in Art. 118 aufgeführten Betriebe benötigt. Das Gesetz betreffend die besondern Anstalten des öffentlichen Unterrichts wird bestimmen, m welchem Umfange und wie lange sich die Stadt Genf an den Ausgaben für die von ihr gegründeten öffentlichen Unterrichtsanstalten beteiligen wird.

Die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Verwaltungen von Plainpalais, Eaux-Vives und Petit-Saconnex, die weder den industriellen noch den Gemeindebetrieben angehören, werden von der Staatsverwaltung übernommen.

Die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Verwaltungen von Plainpalais, Eaux-Vives und Petit-Saconnex, die den den Gemeinden verbleibenden Betrieben angehören, werden von der Gemeindeverwaltung der Stadt Genf übernommen.

Das Personal der industriellen Betriebe der Stadt Genf wird der gemäss Art. 120 geschaffenen öffentlich-rechtlichen Anstalt zugeteilt.

Die früher gegenüber den Beamten, Angestellten und Arbeitern eingegangenen Verpflichtungen betreffend Besoldung, Pensions- und Krankenkassenrechte werden gewährleistet; ihre Stellung wird durch das vorliegende Gesetz in keiner Weise eingeschränkt.

In jeder der vier die Stadt Genf bildenden Gemeinden wird über das unbewegliche und bewegliche Vermögen, die Guthaben und Schulden, somit
über die Aktiven und Passiven am Tage des Inkrafttretens der vorgenannten Gesetze ein Inventar aufgenommen.

Die jetzigen Mitglieder der Verwaltungskommission des allgemeinen Spitals und der Hypothekarkasse bleiben bis nach Ablauf ihrer Verwaltungsperiode im Amte.

Aufhebungsklausel.

Alle mit diesem Gesetz in Widerspruch stehenden Bestimmungen sowie die verschiedenen Verfassungsgesetze betreffend die Abänderung des IX. Titels der Verfassung vom 24. Mai 1847 werden aufgehd>en.

Bundesblatt, 82. Jahrg. Bd. I.

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Das zweite Verfassungsgesetz hat folgenden Wortlaut (Übersetzung): Verfassungsgesetz vom 22. März 1980 betreffend Abänderung des am 2,5 November 1888 und 27. Juli 1914 abgeänderten Verfassungsgesetzes vom 29. Oktober 1882 über die Einführung von gewerblichen Schiedsgerichten.

Der Art. 4 des am 25. November 1888 und 27. Juli 1914 abgeänderten Verfassungsgesetzes vom 29. Oktober 1882 erhalt folgende neue Fassung: Art. 4. Stimmberechtigt und wählbar sind: 1. die schweizerischen Arbeitgeber, Arbeiter und Angestellten, die im Kanton Genf im Besitze der bürgerlichen (oder verfassungsmässigen politischen) Hechte sind; 2. die Schweizerfrauen nach dem zurückgelegten 20. Altersjahr, die die Bedingungen der Ziff. l erfulkn und ein schriftliches Gesuch um Aufnahme in die Wahllisten einreichen.

Das Gesetz bestimmt die Eintragungsfrist und die Fülle, in denen die zuständige Behörde die Eintragung verweigern oder löschen kann.

1.

Durch Annahme des ersten der beiden Verfassungsgesetze vom 22. März 1930*haben die Stimmberechtigten des Kantons Genf der Vereinigung der gtadtgemeinden Eaux-Vives, Plainpalais, Petit-Saconnex und Genf zu einer einzigen Gemeinde (Art. 112) zugestimmt und die durch diese Fusion notwendig gewordene Verwaltungsreform angenommen.

a. Der Titel IX der Verfassung des Kantons Genf vom 21, Mai 1847, der im wesentlichen Bestimmungen über die Organisation der Gemeinden enthält, wird nun aufgehoben und durch den Abschnitt A des neuen Verfassungsgesetzea ersetzt. Dieser zerfällt in zwei Kapitel: das erste bezieht sich auf die Gemeinden und Gemeindebehörden, das zweite enthält besondere Bestimmungen über die Stadt Genf.

Das erste Kapitel gibt in grossen Zügen die allgemeinen Bestimmungen des frühern IX. Titels wieder. Es stellt den Grundsatz auf, dasa die Gemeindegrenzen nur durch ein Gesetz abgeändert werden können (Art. 102 beider Texte) und dass niemand in mehr als einer Gemeinde oder einem Bezirke stimmberechtigt ist (Art. 106, Abs. l und Art. 108 *)). Der Abs. 2 des alten Art. 102, nach dem die Stadt Genf eine Gemeinde bildete, wird aufgehoben.

Ebenso fallen Art, 103, der für jede Gemeinde einen Gemeinderat vorsieht, und Art. 106, Abs. 2, der bestimmt, dass niemand zwei Gemeinderäten gleichzeitig angehören darf, dahin. Das Wahlverfahren für die Gemeinderäte der Gemeinden mit Ausnahme von Genf bleibt auch im neuen Gesetze gleich (abgeänderter Art. 104 und Art. 106). Der durch ein Verfassungsgesetz vom 26. Februar 1873 abgeänderte Art. 105 der Verfassung des Kantons Genf ist *) Der erste der in Klammern angeführten Artikel verweist auf den alten, der .zweite jeweilen auf den neuen Text.

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mit dem Inkrafttreten der Bundesverfassung von 1874 aufgehoben worden, soweit er mit deren Art. 48 in Widerspruch steht. Er wurde infolgedessen auch im neuen Verfassungsgesetz nicht aufgenommen. Dagegen bestimmt dieses in Art. 111, Ziff. l, dass die Bestimmungen über Wahl, Wählbarkeit und Beeidigung der Gemeinderäte durch das Gesetz festgesetzt werden. Wie bisher werden die Gemeinderäte alle vier Jahre gänzlich erneuert; die austretenden Mitglieder der Gemeinderäte sind sofort wieder wählbar (Art. 108 und Art. 105).

Die Zahl der Mitglieder der Gemeinderäte wird, ausgenommen in der Stadt Genf, auch fernerhin durch das Gesetz bestimmt (Art. 107, Abs. 2, und Art. 107, Abs. 1). Die Mitglieder der Gemeinderäte müssen in der Gemeinde stimmberechtigt sein (abgeänderter Art. 112 und Art. 107, Abs.2). Abs. 8 von Art. 107 fügt noch bei, dass Mitglieder der Gemeinderäte, die in der Gemeinde, in der sie gewählt wurden, nicht mehr stimmberechtigt sind, als ihres Amtes enthoben gelten. Die Verhandlungen der Gemeinderäte sind wie bisher öffentlich; wenn die Gemeinderäte es als notwendig erachten, können sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden (Art. 111 und Art. 110). Der bisherige Art. 113 und der neue Art. 111 sehen vor, dass ein Gesetz bestimmt, in welchen Fällen und durch welche Behörde die Gemeinderäte in ihren Funtktionen eingestellt oder aufgelöst werden können. Entgegen den frühern Bestimmungen (Art. 113, Ziff. 3) enthält das neue Gesetz keine Vorschriften über die Ersetzung ausgetretener oder verstorbener Gemeinderäte. Wie bisher ist in den Gemeinden, ausgenommen in der Stadt Genf, die Gemeindeverwaltung einem Conseil administratif von 3 Mitgliedern oder, je nach der Zahl der Einwohner, einem Maire und 2 Adjunkten übertragen, die alle von der Gesamtheit der'Stimmberechtigten der Gemeinde gewählt werden (abgeänderter Art. 109 und Art. 104, 108). Die Conseillers administratifs, die Maires und Adjunkte werden auf die Dauer von 4 Jahren gewählt und sind sofort wieder wählbar (abgeänderter Art. 110 und Art. 108); sie müssen in der Gemeinde stimmberechtigt sein (abgeänderter Art. 112 und Art. 108). Der neue Art. 108 bestimmt weiter, dass die Conseillers administratifs, die Maires und Adjunkte in der Gemeinde, in der sie gewählt wurden, Wohnsitz haben müssen ; sind sie daselbst nicht mehr stimmberechtigt,
so gelten sie als ihres Amtes enthoben. Die an eine freigewordene Stelle tretende Person wird in Zukunft für den Best der vierjährigen Verwaltungsperiode gewählt (abgeänderter Art. 109 und Art. 108, Abs. 2).

Bisher hatten die Mitglieder des Conseil administratif, die dem Gemeinderat nicht angehörten, in diesem beratende Stimme (abgeänderter Art. 109, Ziff. 5)..

In Zukunft wohnen die Mitglieder des Conseil administratif, die Maires und.

Adjunkte, die nicht dem Gemeinderate angehören, dessen Verhandlungen mit beratender Stimme bei. Ihnen steht das Vorschlagsrecht zu, dagegen sind sie nicht stimmberechtigt (Art. 109). Das Gesetz wird die Befugnisse der Gemeindeverwaltung (neuer Art. 104, Abs. 3) umschreiben und die Bestimmungen; über Wahl, Wählbarkeit und Beeidigung der Conseillers administratifs, der Maires und Adjunkte festsetzen (neuer Art. 111, Ziff. 1). Ebenso bestimmt das Gesetz wie bisher, in welchen Fällen und durch welche Behörde die Con-

752 seillers administratifs, die Maires und Adjunkte abberufen werden können (Art, 118, Ziff. 4 und Art. 111, Ziff. 2).

Das zweite Kapitel umfasst besondere neue Bestimmungen für die Stadt Genf. Art. 112 vereinigt die bisherigen vier Stadtgemeinden zu einer einzigen Gemeinde, der Stadt Genf. Art. 113 bestimmt, dass die Stadt Genf alle Bechte, Lasten und Verpflichtungen der vereinigten Gemeinden übernimmt. Nach den Bestimmungen der Verfassung von 1847 (Art. 107, Abs. 1) setzte sich der Gemeinderat der Stadt Genf aus 41 Mitgliedern zusammen. Dem neuen Art. 115 zufolge hat die Stadt Genf einen Gemeinderat, dessen Mitglieder von den Stimmberechtigten der durch die Vereinigung entstandenen Gemeindebezirke (Art, 114) nach dein Grundsatz der Verhältniswahl unter Vorbehalt eines Quorums von 7 % gewählt werden. Jedem Bezirk wird das Eecht eingeräumt, auf je 2000 Einwohner und auf eine Bruchzahl über 1000 Einwohner ein Mitglied des Gemeinderates zu wählen. Mit der Verwaltung der Stadt Genf wird weiterhin ein Conseil administratif von fünf Mitgliedern betraut, der von der Gesamtheit der Stimmberechtigten der Stadt Genf gewählt wird (abgeänderter Art. 109, Ziff. l und Art. 116, Abs. ]). Abs. 2 von Art. 116 entspricht dem gleichlautenden, für die Conseillers administratifs, die Maires und Adjunkte der übrigen Gemeinden anwendbaren Art. 109. Nach Art. 117 sind die Bestimmungen über Wählbarkeit, Wahl, Amtsdauer und Abberufung der Conseillers administratifs, der Maires und Adjunkte ebenfalls auf die Mitglieder des Conseil administratif der Stadt Genf anwendbar. Die Befugnisse des Gemeinderates und des Conseil administratif der Stadt Genf werden durch ein Gesetz umschrieben (Art. 118, Abs. 1). Zur Vermeidung von Reibungen zwischen den Behörden der erweiterten Stadt Genf und des Staates zählt Abs. 2 von Art. 118 die Betriebe auf, die der kantonalen Verwaltung zugeteilt und der unmittelbaren Aufsicht des Staatsrates unterstellt werden. Endlich regelt Art. 119 die Frage der Ausgaben für die im Gebiete der Stadt Genf ausgeführten Arbeiten.

Diese Verwaltungsreform hat die Beorganisation der Genfer industriellen Betriebe zur Folge. Dieselben werden gegenwärtig einzig von der Gemeinde Genf verwaltet, die nicht einmal den dritten Teil der Steuerpflichtigen des -Kantons umfaast. Die Vereinigung der Stadtgemeinden zu einer
einzigen grossen Gemeinde hat eine umfassende Änderung der Verhältnisse aur Folge.

.Der neue Art. 120 bezweckt die Anpassung der Organisation der industriellen Betriebe an die durch die Vereinigung der Stadtgemeinden geschaffenen Verhaltnisse. Die industriellen Betriebe werden in Zukunft von einer öffentlichrechtlichen Anstalt mit einer von der Stadt Genf getrennten Verwaltung geleitet; diese besitzt juristische Persönlichkeit und untersteht der Aufsicht des Staatsrates und des Gemeinderates der Stadt Genf.

&. Die Abs. 2 ff. des Art. 7 des Verfassungsgesetzes vom 29. Oktober 1898 betreffend Abänderung der Organisation der öffentlichen Armenunterstützung bestimmen, dass das allgemeine Spital durch eine Kommission von 23 Mitgliedern verwaltet wird, von denen 7 vom Gemeinderat der Stadt Genf, 7 von den Gemeinderäten des linken Ufers, 3 von den Gemeinderäten des rechten

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Ufere, 3 vom Staatsrat und 8 vom Grossen Bat ernannt werden. Diese Kommission wird alle drei Jahre erneuert; sie ernennt und entlässt ihre Angestellten.

Der neue Art. 7, Abs. 2 ff., begnügt sich mit der Bestimmung, dass das Spital durch eine Verwaltungskommission geleitet wird. Ein Gesetz wird die Zahl der Mitglieder dieser Kommission sowie die Art ihrer Ernennung umschreiben.

Die Zusammensetzung der Verwaltungskommission des allgemeinen Spitals kann alsdann den durch die Vereinigung geschaffenen Verhältnissen angepasst werden. Die Mittel des Spitals sollen weiterhin zur Pflege von Greisen, Waisen, Gebrechlichen und überhaupt der Bedürftigen genferischer Angehörigkeit verwendet werden.

c. Der Art. l des Verfassungsgesetzes vom 12, Januar 1895 betreffend die Einführung des fakultativen Eeferendums in Gemeindeangelegenheiten lautet : Die Beschlüsse der Gemeinderäte sind der Genehmigung der in der Gemeinde Stimmberechtigten zu unterstellen, falls eine Abstimmung verlangt wird: in der Stadt Genf von 1200 stimmfähigen Einwohnern binnen 30 Tagen, vom Datum des Beschlusses an gerechnet; in den drei Aussengemeinden der Stadt, sowie in Carouge von einem Fünftel; in den übrigen Gemeinden von einem Drittel der stimmfähigen Einwohner, und zwar in allen diesen Gemeinden binnen 15 Tagen nach dem Datum des Beschlusses. Zufolge der Vereinigung der drei Aussengemeinden mit der Stadt Genf muss die Abstimmung in Zukunft in der Stadt Genf von 2000 Stimmberechtigten verlangt werden.

Die Übergangsbestimmungen umschreiben die Massnahmen zur Überführung der dem Staat unterstellten Gemeindebetriebe. Der Staatsrat wird dem Grossen Eat innert drei Monaten nach Veröffentlichung des vorliegenden Verfassungsgesetzes sechs Gesetze unterbreiten. Nach Annahme dieser Gesetze durch den Grossen Bat wird der Zeitpunkt der Wahlen für den neuen Gemeinderat und den neuen erweiterten Conseil administratif der Stadt Genf festgesetzt. Ferner ordnen die Übergangsbestimmungen die künftige Stellung der Beamten, Angestellten und Arbeiter der frühern Gemeindeverwaltungen.

II.

Durch ein Verfassungsgesotz vom 29. Oktober 1882 hat der Kanton Genf die gewerblichen Schiedsgerichte eingeführt. Nach Art. 4 dieses Gesetzes waren nur schweizerische Arbeitgeber, Arbeiter und Angestellte stimmberechtigt und wählbar, sofern sie im Besitze der politischen
Eechte waren.

Diese Bestimmung wurde durch das Verfassungsgesetz vom 26. Januar 1910 dahin erweitert, dass auch den Frauen das aktive und passive Wahlrecht zu den gewerblichen Schiedsgerichten eingeräumt wurde. Das Verfassungsgesetz vom 27. Juli 1914 dagegen hob diese Neuerung wieder auf und stellte den frühern Text des Art. 4 wieder her. Das Verfassungsgesetz vom 22. März 1930 führt nun das aktive und passive Wahlrecht für die Frauen wieder ein, die ein schriftliches Gesuch um Aufnahme in die Wahllisten einreichen. Damit wird die Erstellung der Liste der 55,000 Wählerinnen im Kanton Genf überflüssig und infolgedessen eine nennenswerte Ersparnis erzielt.

754 Dio zwei Verfassungsgeaetze gehen offensichtlich nicht über den Rahmen der den Kantonen zustehenden Befugnisse hinaus und enthalten nichts, das den Vorschriften der Bundesverfassung zuwiderlaufen würde. Insbesondere sichert das erste der beiden Verfassungsgesetze die Ausübung der politischen Eechte nach republikanischen Formen.

Wir beantragen Ihnen daher, den beiden in der Volksabstimmung vom 18. Mai 1980 angenommenen Verfassungsgesetzen des Kantons Genf durch Annahme des beiliegenden Beschlussesentwurfes die Gewährleistung des Bundes zu erteilen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 16. Juni 1930.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Musy.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

755 (Entwurf.)

Bundesfoeschluss über

die Gewährleistung der zwei in der Volksabstimmung vom 18. Mai 1930 angenommenen Verfassungsgesetze des Kantons Genf.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, nach Kenntnisnahme einer Botschaft des Bundesrates vom 16. Juni 1930, in Erwägung, dass die zwei in der Volksabstimmung vom 18. Mai 1930 angenommenen Verfassungsgesetze des Kantons Genf nichts den Vorschriften der Bundesverfassung zuwiderlaufendes enthalten, beschliesst : Art. 1.

Den Verfassungsgesetzen des Kantons Genf 1. vom 22, Mftrz 1930 betreffend Aufhebung und Ersetzung durch neue Bestimmungen: a. des Titels IX (Organisation der Gemeinden) der Verfassung vom 24. Mai 1847; b. des Art. 7 des Verfassungsgesetzes vom 29. Oktober 1898 betreffend Abänderung der Organisation der öffentlichen Armenunterstützung; c. des Art. l des Verfassungsgesetzes vom 12. Januar 1895 betreffend die Einführung des fakultativen Beferendums in Gemeindeangelegenheiten ; 2. vom 22. März 1930 betreffend Abänderung des am 25. November 1888 und 27. Juli 1914 abgeänderten Verfassungsgesetzes vom 29. Oktober 1882 über die Einführung von gewerblichen Schiedsgerichten, ·wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der zwei in der Volksabstimmung vom 18. Mai 1930 angenommenen Verfassungsgesetze des Kantons Genf. (Vom 16. Juni 1930.)

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