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Bundesrates an die Bundesversammlung über die Erhöhung des Bundesbeitrages an die Arbeitslosenkassen notleidender Industrien.

(Vom 30. Mai 1930.)

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Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen hiemit einen Bericht über die Erhöhung des Bundesbeitrages an die Arbeitslosenkassen notleidender Industrien vorzulegen.

I.

Nach Art. 4 des Bundesgesetzes vom 17. Oktober 1924 über die Beitragsleistung an. die Arbeitslosenversicherung leistet der Bund an die öffentlichen und paritätischen Arbeitslosenkassen Beiträge von 40%, an die übrigen Kassen von 30% der. an die · Versicherten statutengemäß ausbezahlten Taggelder.

Die Bundesversammlung kann den Beitrag vorübergehend um höchstens 10% erhöhen.

Mit Eingaben vom 12. und 18. September 1928 stellten der Schweizerische Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter, der Christliche Verband der Arbeiter und Arbeiterinnen der schweizerischen Textilindustrie, der Zentralverband schweizerischer Handmaschinensticker, der Landesverband Freier Schweizer Arbeiter, der Schweizerische Textilarbeiterverband, der Schweizerische Handstickerverband, der Schweizerische Stickereipersonalverband und der Schweizerische Plattstichweberverband das Gesuch an uns zuhanden der Bundesversammlung, es sei der Bundesbeitrag für versicherte Arbeitslose, welche der Stickerei und ihren Hi lis-

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I n d u s t r i e n , der P l a t t s t i c h w e b e r o i und der Seidenbandweberei angehören, um 10%, d. h. von 30auf 40%, zu erhöhen mit Wirkung ab 1. Januar 1927 und für die ganze Dauer der Krisis in den genannten Industrien.

Diesem Vorgehen achloss sich mit Eingabe vom 1. Juni 1929 die paritätische Arbeitslosenkasse des Verbandes der Arbeiter und Arbeitgeber der Basler Bandfabi'iken an, indem sie das Gesuch stellte, es möchte ihr der Bundesbeitrag vorübergehend von 40 auf 50% erhöht werden.

Alle diese Gesuche wurden damit begründet, dass die Krisis in den genannten Industrien anhalte, eine fortgesetzte starke Arbeitslosigkeit verursache und infolgedessen die Arbeitslosenkassen, die Angehörige dieser Berufe in sich schliessen, grosse Opfer bringen müssen. Dieser Zustand habe zu einer finanziellen Schwächung oder sogar Erschöpfung einzelner Kassen geführt, und es bestehe die Gefahr, dass sie ihren statutarischen Verpflichtungen nicht mehr oder nicht in vollem Umfange nachkommen können. Da eine Sanierung durch Erhöhung der Prämien unmöglich sei, bestehe die einzige Hilfe in der Erhöhung des Bundesbeitrages, die nach dem Sinn des Gesetzes auch einzelnen Kassen oder einzelnen Berufszweigen gewährt werden könne. Die gewerkschaftlichen Kassen führen zur Begründung ihres Gesuches weiter an, dass sie im Gegensatz zu den öffentlichen und paritätischen Kassen nur 80% Bundessubvention erhalten und dass es sich rechtfertige, ihnen vorübergehend ebensoviel zukommen zu lassen wie den andern.

Zur Unterstützung dieser Eingaben stellte Herr Nationalrat Duft am.

20. September 1928 folgendes Postulat, das in der Sitzung des Nationalrates vom 5. Oktober 1929 angenommen wurde: «Der Bundesrat wird eingeladen, der Bundesversammlung Bericht und Antrag zu unterbreiten, ob nicht im Sinne von Art. 4, Abs. 2, des Bundesgesetzes über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung vom .17. Oktober 1924 der Bundesbeitrag an die Arbeitslosenkassen, welche der Stickerei und ihren Hilfsindustrien, der Plattstichweberei und der Seidenbandweberei angehören -- mit Rückwirkung auf 1. Januar 1927 -- um 10% zu erhöhen sei, solange der Krisencharakter dieser Industrien andauert.» Diese Begehren veranlassten die Regierung von Appenzel .A.-Bh., mit Eingabe vom 7. Oktober 1929 zu verlangen, dass an die öffentlichen Kassen
ihres Kantons die gleiche Vergünstigung gewährt werde. Auch das zuständige Kegierungsdepartement des Kantons St. Gallen hatte die Frage aufgeworfen, ob für den Fall, dass die Subvention an die privaten Kassen erhöht würde, nicht auch eine Erhöhung für die öffentlichen Kassen des Kantons St. Gallen zu erfolgen habe.

Eine andere Gruppe von Arbeitslosenkassen berief sich auf den außerordentlich strengen und langen Winter 1928/29, der hauptsächlich dem Baugewerbe eine grosse Arbeitslosigkeit gebracht und infolgedessen ein-zelne Kassen finanziell so stark belastet habe, dass sich eine erhöhte Bundes-

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subvention rechtfertige. Eingaben in diesem Sinne wurden gemacht vom.

Schweizerischen Bau- und Holzarbeiterverband, vom Christlich-sozialen Malerverband der Schweiz, vom Zentralverband christlicher Bauarbeiter der Schweiz und vom Schweizerischen Verband evangelischer Arbeiter und Angestellter.

Der Standpunkt dieser Gruppe hat ebenfalls seinen parlamentarischen Widerhall gefunden in dem von Herrn Nationalrat Höppli am 18. März 1929 in Form einer Motion gestellten und am 5. Oktober gleichen Jahres in Form eines Postulates angenommenen Antrage. Das Postulat lautet : «Der Bundesrat wird eingeladen, zu prüfen, ob nicht den eidgenössischen Katen ein dringlicher Bundesbeschluss zu unterbreiten sei, welcher die Ausrichtung des um 10% erhöhten Bundesbeitrages gemäss Art. 4, Abs. 2, des Gesetzes über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung an solche Kassen ermöglicht, die durch die Strenge des Winters oder durch andere ausserordentliche Umstände zu erhöhten Leistungen an ihre Mitglieder gezwungen worden sind.» Seit Ende 1929 macht sich eine fühlbare Krisis auch in der Uhrenindustrie bemerkbar. Die Zahl der Arbeitslosen hat hier plötzlich stark zugenommen. Diese .Wendung hat in den betroffenen Kreisen und Gegenden Beunruhigung ausgelöst, die ihren Niederschlag bereits in verschiedenen Kundgebungen gefunden hat. So hat Herr Nationalrat Ilg schon am 12, März 1980 ein bis jetzt noch nicht zur Behandlung gelangtes Postulat gestellt, das auf die Anordnung ausserordentlicher Massnahmen durch den Bund hinzielt.

Am 28. März 1930 gelangte sodann der Begierungsrat des Kantons Solothurn mit einem Gesuch an uns, die jährliche Höchstdauer der Bezugsberechtigung von 90 Tagen innert Jahresfrist für arbeitslose Versicherte der Uhrenindustrie auf eine begrenzte Zeit angemessen zu verlängern und der Bundesversammlung eine Erhöhung des Bundesbeitrages um 10% zu beantragen für Versicherungsleistungen, die an Angehörige der Uhrenindustrie erfolgen.

Die Eingabe des Kantons Solothurn wurde durch eine gleichartige Stellungnahme der Kantone Bern und Neuenburg unterstützt, die eine Verlängerung der Bezugsdauer auf 120 Tage beantragten und für alle Kassen eine Erhöhung der normalen öffentlichen Beiträge um 10% als angezeigt erachteten.

Die Arbeitslosenkasse des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes stellte
ihrerseits das Gesuch um Erhöhung der Bundessubvention um 10% vorläufig für das Jahr 1930 für Angehörige der Uhrenindustrie. Ferner langten Eingaben ein von einer Versammlung von Uhrenarbeitern in Gren«hen und Bettlach und von einer in Biel abgehaltenen Konferenz der Vertreter der Kantone Bern, Solothurn und Neuenburg sowie der Gemeinden La Chauxde-Fonds, Le Lode, Courtelary, Solothurn, Grenchen und Biel. In diesen Eingaben wurde auf die kritische Lage der Uhrenindustrie aufmerksam gemacht und die Ergreifung ausserordentlicher Massnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gewünscht.

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Nach der eingangs erwähnten Gesetzesbestimmung ist es Sache der Bundesversammlung, zu entscheiden, ob der Beitrag an die Arbeitslosenkassen vorübergehend zu erhöhen sei. Da es das erste Mal ist, dass hierüber Beschlüsse gefasst werden soll, so halten wir es für angezeigt, einige allgemeine Bemerkungen anzubringen.

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' .Der Sinn des Art. 4, Abs. 2, des Bundesgesetzes über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung geht jedenfalls dahin, dass die Erhöhung nur ausnahmsweise, wenn zwingende Gründe dafür sprechen, vorgenommen werden soll. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte .und auch aus der Fassung selber, die eine solche Massnahme nur vorübergehend zulässt. Man.

dachte vor allem an schwere Krisen, die an die Kassen ganz ausserordentliche Anforderungen stellen. Es ist daher angezeigt, im einzelnen Falle genau za prüfen, ob eine Erhöhung des Bundesbeitrages sich rechtfertige. Es darf nicht schon jede Konjunkturschwankung dazu führen, derartigen Begehren. Folge zu geben. Die Arbeitslosenkassen haben vielmehr ihre Finanzgebarung und insbesondere ihre Prämienpolitik derart einzurichten, dass sie in normalen Zeiten Keserven anlegen können, die genügen, um gewöhnliche Konjunkturschwankungen auszuhärten.

Zudem darf die Erhöhung des Bundesbeitrages nicht dazu führen, die Grundsätze, auf denen unsere Arbeitslosenversicherung beruht, zu verwischen; -denn es wäre falsch, "eine Subventionspolitik zu befolgen, deren Auswirkungen im Gegensatz zu den vom Bund aufgestellten Zielen und Bichtlinien stehen würden.

Zu den wesentlichen Grundlagen unseres Systems der Arbeitslosenversicherung gehören die folgenden: 1. Die Arbeitslosenkassen müssen auf dem Grundsatz der Versicherung beruhen; die Versicherten haben angemessene Prämien zu bezahlen, die nicht auf ein nichtssagendes Minimum herabsinken dürfen.

Die Gesamtheit der Prämien soll einen wesentlichen Teil der von den Kassen zu tragenden Lasten ausmachen.

2. Die staatliehe Beihilfe an die Arbeitslosenkassen ist gerechtfertigt, darf aber nicht so weit getrieben werden, dass sie die Lasten allein oder fast ausschliesshch trägt. Andernfalls würde es sich nicht mehr um eine Versicherung, sondern um eine Unterstützung handeln, für welche wesentlich andere Grundsätze massgebend sein inüssten.

8. Die staatliche Beihilfe soll sich aus Beiträgen
des Bundes und der Kantone zusammensetzen. Bei der Bemessung der Bundesbeiträge ist der Gesetzgeber absichtlich nicht höher gegangen, weil er genügend Spielraum für die kantonalen Beiträge lassen wollte. Daher ist im Gesetz (Art. 7) auch vorgesehen, dass die Bundesbeiträge an die Bedingung der Gewährung von Beiträgen der Kantone oder Gemeinden geknüpft . werden können.

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I» den fünf Jahren seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes-war die zuständige Amtsstelle des Bundes stets darauf bedacht, diesen Grundsätzen Nachachtung zu verschaffen. Es ist auch mit Genugtuung festzustellen, dass sich die Arbeitslosenversicherung in dieser Zeit stark entwickelt hat und dass sich heute die meisten Kantone an der Finanzierung der Arbeitslosenversicherung, wenn auch in sehr ungleicher Weise, beteiligen. Die grösste Schwierigkeit bot bisher in der Durchführung der Arbeitslosenversicherung die Forderung nach einer richtigen Finanzgebarung und Prämienpolitik der Arbeitslosenkassen. Viele davon Hessen sich allzusehr dazu verleiten, ihre Finanzpolitik auf die Forderungen des Alltages zur Zeit einer normalen Wirtschaftslage einzustellen und viel zu wenig mit den Eückschlägen einer sinkenden Konjunktur zu rechnen. Die Prämien waren daher sehr oft zu niedrig und die Anlegung von Eeserven ungenügend. Auch machte sich da und dort eine ungesunde Konkurrenz geltend, indem sich Kassen in ihren Leistungen zu überbieten suchten, trotzdem die finanziellen Voraussetzungen hiefür nicht immer vorhanden waren. Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit liess es nicht an Warnungen fehlen, indem es wiederholt darauf hinwies, dass es gefährlich sei, den Versicherten Leistungen anzubieten, die nicht durch entsprechende finanzielle Grundlagen gesichert seien. Seine Warnungen fanden nicht überall Beachtung. Die Kassen beriefen sich sehr oft auf die ihnen durch das Gesetz gewährte weitgehende Autonomie; und so lange sie im Eahmen der Bundesvorschriften blieben, hatte das Bundesamt keine rechtliche Grundlage, um einzugreifen. Die am 20, Dezember 1929 von uns erlassene Verordnung II zum Bundesgesetz hat in Anbetracht dieser Erfahrungen eine neue Vorschrift (Art. 8) aufgestellt, .die besagt, dass einer Kasse, deren finanzielle Lage keine Gewähr für die erforderliche Leistungsfähigkeit bietet, ~ die Anerkennung entzogen werden könne. Damit wird der Bund in Zukunft einen grössern Einfluss auf eine richtige Finanzgebarung und namentlich eine zweckmässig& Prämienpolitik der Kassen ausüben können. Vor allem wird er in vermehrtem Masse die Kassen dazu verhalten, in normalen Zeiten Eeserven anzulegen, die es erlauben, die ersten Eückschläge einer sinkenden Konjunktur auszuhalten.

Wir legen Wert darauf, diese
Bemerkungen hier anzubringen, weil da und dort noch die Auffassung verbreitet ist, es habe keinen Zweck, Eeserven zu sammeln, im Notfalle müsse der Staat einspringen. Der Staat kann wohl, im Eahmen der gesetzlichen Vorschriften die Beihilfe erhöhen, aber nicht die ganze Belastung übernehmen; denn damit wären die Grundsätze der Versicherung preisgegeben. Man muss sich darüber klar sein, dass das System der Arbeitslosenversicherung steht und fällt mit der Beobachtung oder Nichtbefolgung dieser Grundsätze.

III.

Nach den vorstehenden allgemeinen Bemerkungen wollen wir nunmehr zu den einzelnen Begehren und Postulaten Stellung nehmen.

<652 1. Begehreu betreuend die Stickerei und die Plattstichweberei.

Es ist allgemein bekannt, dass sich diese Industrien seit Jahren in einer schweren Krisis befinden. Sie hat eine grosse Arbeitslosigkeit und eine starke Inanspruchnahme der betreffenden Arbeitslosenkassen zur Folge gehabt.

· Der Anstoss zu einer Erhöhung der Bundessubvention ging hier von den einseitigen privaten Kassen (den Gewerkschaftskassen) aus, die sich insbesondere darauf berufen, dass sie durch die Differenzierung der Bundessubvention ungünstiger gestellt seien als die öffentlichen Kassen. Es ist richtig, dass nach dem Gesetz der Beitrag für diese Kassen nur 80% der ausbezahlten Unterstützungen, für die öffentlichen und paritätischen dagegen 40% beträgt, Allein es wäre falsch, ohne -weiteres anzunehmen, dass die öffentlichen Beiträge an die Gewerkschaftskassen damit erschöpft seien. Sie erhalten auch Beiträge seitens der Kantone und einzelner Gemeinden, die der Höhe nach sehr voneinander abweichen. Im Kanton St. Gallen z. B. belaufen sich die Beiträge von Bund und Kanton zusammen auf 50 %, im Kanton Appenzell A.-Bh.

·auf 55 %, nicht eingerechnet die Beiträge einzelner Gemeinden, die sich zwischen 10 und 20 % bewegen.

Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit hat die Vermögenslage .der acht gesuchstellenden Kassen geprüft. Dabei hat sich ergeben, dass die Kassen durch die Krisis tatsächlich stark gelitten haben, insbesondere diejenigen, deren Mitglieder sich ausschliesslich aus den beiden in Not befindlichen Industrien rekrutieren. Einige der Kassen könnten sich zwar auch ohne Erhöhung der Bundessubvention über Wasser halten; allein sie niüssten ihre statutarischen Leistungen einschränken. Unter den Kassen befinden sich auch solche, deren finanzielle Grundlagen stark erschüttert sind und die ihr finanzielles Gleichgewicht wahrscheinlich trotz Erhöhung des Bundesbeitrages nicht herstellen können, sofern nicht durchgreifende Sanierungsmassnahrnen vorgenommen werden. Die betroffenen Kassen sind durch das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit hierauf aufmerksam gemacht und zur Ergreiiung entsprechender Massnahmen eingeladen worden.

Es muss in diesem Zusammenhange gesagt werden, dass ein Teil der hievor .gemachten allgemeinen Bemerkungen auch inbezug auf einzelne dieser Kassen zutrifft. Es darf in Zukunft nicht
mehr geschehen, dass sie sich durch Unterbieten in den Prämien und Überbieten in den Leistungen Konkurrenz zu machen versuchen. Es muss auf eine einheitlichere Normierung der Prämien und Taggelder abgestellt werden, Auch ist auf einen Zusammenschluss der.

Kassen hinzuwirken. Es sind zu viele und zu kleine Kassen vorhanden.

Wir kommen immerhin in Würdigung aller Umstände zum Schlüsse, ·dass es gerechtfertigt ist, für diese Kategorie von Kassen vorübergehend den Bundesbeitrag von 80 auf 40 % zu erhöhen für diejenigen Mitglieder, die Arbeitnehmer der Stickerei, deren Hilfsindustrien und der Plattstichweberei -sind. Als Dauer dieser vorübergehenden Erhöhung nehmen wir vorläufig drei Jahre in Aussicht, beginnend mit dem 1. Januar 1929. Wir halten eine Zurück-

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datierung für begründet mit Bücksicht darauf, dass die Krisis schon seit längerer Zeit besteht und die Gesuche um Erhöhung bereits im Jahre 1928 eingereicht worden sind. Selbstverständlich bleiben im übrigen alle Vorschriften des Gesetzes und der Verordnungen in Kraft. Die Erhöhung soll ausserdem nur unter der Voraussetzung erfolgen, dasg die Kantone und Gemeinden ihre Beiträge nicht herabsetzen.

Was die öffentlichen Kassen des Stickereigebietes anbetrifft, so halten wir eine Erhöhung des Bundesbeitrages nicht für notwendig. Nach der von uns erlassenen Verordnung II zum Bundesgesetz sollen die öffentlichen Beiträge des Bundes, der Kantone und Gemeinden zusammen 80 % der Taggeldauszahlungen nicht übersteigen. Mit seinen 40 % Beitrag an diese Kassen hat der Bund bereits die Hälfte dessen geleistet, was an öffentlichen Beiträgen zulässig ist. Eine Prüfung der öffentlichen Kassen der hier hauptsächlich in Betracht fallenden Kantone Appenzell A.-Bh, und St. Gallen hat zudem ergeben, dass «ine Erhöhung des Bundesbeitrages nicht unbedingt notwendig ist. Auch spricht ein Vergleich der Leistungen des Bundes mit denjenigen der Kantone nicht für eine Erhöhung.

Die Bevorzugung der öffentlichen Kassen gegenüber den privaten einseitigen fällt nicht vollständig dahin, auch wenn letztere vorübergehend für die Angehörigen der Stickerei und Plattstichweberei einen gleich hohen Prozentsatz an Bundessubvention erhalten; denn die öffentlichen Kassen beziehen den höhern Prozentsatz ständig und für alle Mitglieder, während den privaten Kassen für die Mitglieder, die nicht den beiden genannten Industrien angehören, nach wie vor nur 30 % Bundesbeitrag zukommen.

2. Begehren betreffend die Seidenbandweberei.

Die Seidenbandweberei ist ebenfalls im Postulat Duft erwähnt. Ausserdem liegt aus dieser Industrie ein Begehren der paritätischen Arbeitslosenkasse des Verbandes der Arbeiter und Arbeitgeber der Basler Bandfabriken -vor. Neben dieser Kasse ist es namentlich noch die staatliche Arbeitslosenkasse von Basel-Stadt, die in Betracht fallen würde, die aber eine Erhöhung nicht verlangt hat. Andern Arbeitslosenkassen mögen einzelne Arbeitnehmer aus der Seidenbandindustrie angehören, aber nur in untergeordneter Zahl und im Verhältnis zu den Angehörigen anderer Berufszweige nicht in einem JMagse, das eine Erhöhung der Leistungen
des Bundes rechtfertigen würde..

Beide erwähnten Kassen beziehen aber bereits eine Bundessubvention von 40 %.

Die Verhältnisse sind hier noch günstiger als bei den öffentlichen Kassen des Stickereigebietes; denn beide Kassen beziehen namhafte Kantonsbeiträge.

So gewährt Basel-Stadt beiden Kassen 45 % neben den 40 % des Bundes.

Basel-Land entrichtet der paritätischen Kasse des Verbandes der Arbeiter und Arbeitgeber der Basler Bandfabriken 85 % der Taggelder, welche an die in seinem Gebiet domizilierten Versicherten ausbezahlt werden. Eine Notwendigkeit, die Beiträge des Bundes zu erhöhen, liegt daher hier nicht vor.

Bundesblatt. 82. Jahrg. Bd. I.

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654 3. Begehren betreffend die Uhienindustrie.

Wir haben schon einleitend erwähnt, dass über diese Industrie gegen Ende 1929 eine empfindliche Krise hereingebrochen ist, die ein beunruhigendes Anschwellen der Arbeitslosenzahlen ausgelöst hat. Wir haben uns bereits auf eingelangte Gesuche hin veranlagst gesehen, mit Beschluss vom 23. April dieses Jahres die Arbeitslosenkassen zu ermächtigen, die Unterstützungsdauer für Angehörige der Uhronindustrie auf 120 Tage zu verlängern. Allein es wird in den an uns gelangten Eingaben geltend gemacht, dass diese Ermächtigung für viele Kassen illusorisch bleiben würde, wenn der Bund seinen Beitrag nicht gleichzeitig erhöhte.

Es ist .ohne weiteres zuzugeben, dass die Aulwendungen der Arbeitslosenkassen für arbeitslose Uhrenarbeiter gewaltig gewachsen sind. Beispielsweise sei angeführt, dass die Arbeitslosenkasse des Schweizerischen Metall- und Uhrenärbeiterverbandes nach ihren Angaben im I. Quartal 1930 Auszahlungen im Betrage von rund Fr, 1,450,000 gemacht hat gegenüber Fr. 1,095,000 im ganzen Jahre 1929 und dass von den Fr. 1,450,000 ungefähr Fr. 1,000,000 einzig auf die-Uhrenindnstrie entfallen sind.

Im Gegensatz zur Stickerei und Plattstichweberei handelt es sich bei.der Uhrenindustrie um eine Krisis, deren Anfang, noch nicht weit zurückliegt.

Man könnte.sich daher fragen, ob den Kassen nicht zugemutet werden dürfte, diesen ersten Bückschlag aus eigener Kraft auszuhalten. Hiezu bedürfte es ausreichender Bcserven, die nicht vorhanden sind. So halten wir die Erhöhung des Bundesbeitrages grundsätzlich für gerechtfertigt, um so mehr, als heute Verlauf und Dauer der Krisis noch nicht abzusehen sind.

Dabei müssen wir allerdings betonen, dass in Zukunft auch hier mit allem Nachdruck von Bundes wegen eine gesundere Prämienpolitik der Kassen und bedeutend stärkere Eeservestellungen zu verlangen sind. Im Verhältnis zu den Löhnen und in Anbetracht der grossen Krisenempfmdlichkeit der Uhrenindustrie sind die bisher bezogenen Trämien entschieden zu klein.

Gleich wie in der Stickerei und Plattstichweberei und aus den nämlichen Gründen möchten wir die Erhöhung der Bundessubvention auf die Kassen beschränkt wissen, die normalerweise den niedrigen Ansatz von 30 % beziehen.

Sie würden daher vorübergehend für die arbeitslosen Uhrenarbeiter auf einen gleich hohen Prozentsatz
kommen wie die öffentlichen und paritätischen Kassen. Dabei haben diese immer noch den Vorteil, für die Mitglieder anderer Berufe den erhöhten Bundesbeitrag zu erhalten.

Nun sollen in einzelnen Kantonen und Gemeinden ebenfalls Beschlüsse über erhöhte Beiträge gefasst werden; Diese Beschlüsse sind bis zur Stunde nicht alle bekannt. Unter Umständen wird sich das Bedürfnis herausstellen, da und dort die verschiedenen Beiträge in ein bestimmtes Verhältnis zu bringen oder eich mit den Kantonen auf den Erlass gemeinsamer Bedingungen zu verständigen. Es isL daher gerechtfertigt, diesbezüglich dem Bundesrat die notwendigen Befugnisse einzuräumen, : "

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Im übrigen gelten auch hier die gleichen Vorbehalte wie bei der Stickerei.

Die Erhöhung darf auch da nur eine vorübergehende sein. Sie soll vom 1. Januar 1930 hinweg für die Dauer der Krisis, vorläufig aber höchstens bis Ende 1981 gewährt werden.

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4. Begehren betreffend das Baugewerbe für den Winter 1928/29.

Es ist ohne weiteres zuzugehen, dass der Winter 1928/29 ausserordentlich lang und streng war und dass infolgedessen die Saisonarbeitslosigkeit im Baugewerbe ein ungewöhnliches Mass erreichte. Die Aufwendungen der Kassen, deren Mitglieder ausschliesslich oder zum grossen Teil diesen Berufen angehören, gingen ganz beträchtlich in die Höhe. Beispielsweise sei angeführt, dass die Kasse des Schweizerischen Bau- und Holzarbeiterverbandes im ersten Quartal 1929 rund Fr. 1,135,000 Taggelder an Arbeitslose ausbezahlt hat, gegenüber "Fr. 857,126 im ganzen Jahre 1927 und Fr. 914,784 im ganzen Jahre 1928.

Die Saisonarbeitslosigkeit --- um eine solche handelt es sich in diesem Falle -- ist eine gefährliche Klippe für jede Arbeitslosenversicherung. Sie tritt regehnässig, wenn auch ungleich stark ein. Schwankungen müssen die Kassen aushalten können, ohne dass. die öffentlichen Mittel in vermehrtem Masse in Anspruch genommen werden sollten. Allerdings setzt dies voraus, dass die Finanzgebarung der Kassen dementsprechend eingerichtet wird. Wir können daher nicht anerkennen, dass eine Verschärfung der Saisonarbeitslosigkeit in jedem Falle ein Grund zur Erhöhung des Prozentsatzes der Bundessubvention sei. Auch hier müssen wir darauf hinweisen, dass die Kassen neben den Beiträgen des Bundes auch solche der Kantone und der Gemeinden erhalten und die Gesamtheit der öffentlichen Subventionen daher im Durchschnitt rund etwa 60 % beträgt.

" .

' Immerhin anerkennen wir, dass einzelne Kassen durch die grosse Arbeits,losigkeit im Winter 1928/29 schwere Opfer bringen mussten und dass dadurch .ihre finanzielle Lage erschüttert wurde. Wir möchten daher -- ohne Präjudia für die Zukunft -- dem Begehren um Erhöhung der Bundessubvention.für jenen Winter oder für einen Teil desselben entsprechen ; allerdings nicht uneingeschränkt, sondern nur für die Kassen/die im Vergleich zur Gesamtheit ihrer Mitglieder und ihrer Aufwendungen aussergewöhnlich stark unter der vermehrten Saisonarbeitslosigkeit gelitten haben. Es ist uns
nicht möglich, in diesem Berichte auf die Einzelheiten näher einzutreten. Es setzt dies eine noch vorzunehmende nähere Untersuchung voraus. Wir erbitten uns daher; lediglich die Ermächtigung aus, im erwähnten Sinne vorzugehen.

Wir möchten die Erhöhung an die gleichen Bedingungen knüpfen wie in den andern Fällen und sie auf die Kassen beschränken, für die der Bundesbeitrag normalerweise nur 30 % beträgt.

Wir wollen auch hier den Anlass benützen, um mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die Prämien zur Deckung des Eisikos der Saison-

656 arbeitslosigkeit ganz allgemein viel zu niedrig sind. Auch hier erwächst den Kassen die Aufgabe, ihre Prämienpolitik entsprechend den gemachten Erfahrungen zu ändern, sofern sie ihrer Pflicht als Versicherungsträger nachkommen wollen. Das zuständige Bundesamt wird auch bei diesen.Kassen auf der Befolgung dieser Bichtlinie bestehen müssen.

IV.

Die finanziellen Folgen der von uns beantragten Erhöhung der Bundesbeiträge lassen sich auch nicht annähernd vorausbestimmen, weil sie von dem Verlauf der Krisis und dem Umfang der Arbeitslosigkeit abhängen. Es lässt sich einzig sagen, dass die Erhöhung einen Drittel derjenigen Summen betragen wird, die der Bund ohnedies an die von der Erhöhung betroffenen Kassen auszuzahlen hat. Schätzungsweise seien folgende Zahlen genannt. Die Erhöhung mag für den Fall, dass die Arbeitslosigkeit stationär bleibt, betragen: 1. für die Stickerei und Plattstichweberei ungefähr Fr. 50,000 im Jahr; 2. für die Uhrenindustrie rund Fr. 400,000 im Jahr; 3. für das Baugewerbe im Winter 1928/29 rund Fr. 150,000.

Die Erhöhungen sind aus dem Budgetkredit für Arbeitslosenversicherung zu bestreiten. Die vormehrte Arbeitslosigkeit in Verbindung mit den Erhöhungen der Bundesbeiträge wird die Gewährung eines Nachtragskredites nötig machen, da die im Budget 1930 vorgesehene Summe von Fr. 2,200,000 nicht ausreichen wird. Wir werden Ihnen mit dem nächsten Nachtragskreditbegehren diesbezügliche Anträge stellen.

Wenn wir einerseits empfehlen, im Eahmen des Notwendigen und innerhalb der Grenzen des Bundesgesetzes der veränderten Lage Eechnung zu tragen, so müssen wir anderseits vor allzu weit gehenden Begehren und Konzessionen warnen. Wir wissen heute nicht, wie sich die Lage in der Uhrenindustrie weiter gestalten wird, ob wir mit einer Verschärfung und einer langen Dauer der Krisis zu rechnen haben, ebenso wenig wissen wir, ob die Krisis nicht noch andere Wirtschaftszweige erfassen wird. Bei dieser Sachlage ist ein weises Masshalten angezeigt, damit sich die Mittel nicht zu frühzeitig erschöpfen. Aus diesem Grunde suchen wir auch nur um eine zeitlich beschränkte Ermächtigung nach, in der Meinung, dass wir Ihnen nach Ablauf der vorgesehenen Fristen nötigenfalls neuerdings Bericht erstatten und neue Anträge unterbreiten werden.

Was die Form des zu fassenden Beschlusses anbetrifft, so handelt es sich zweifellos nicht um einen Akt der Gesetzgebung, sondern um die Ausübung einer der Bundesversammlung in einem Bundesgesetz eingeräumten Befugnis. Die für solche Fälle zutreffende Form ist die eines dem ^Referendum entzogenen «Beschlusses der Bundesversammlung».

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Wir empfehlen Ihnen den nachstehenden Beschlussentwurf zur Annahme und benützen den Anlass, Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern, Bern, den 80. Mai 1930.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der V i z e p r ä s i d e n t : Häberlin.

Der Bundeskanzler :

Kaeslin,

(Entwurf)

Beschluss der Bundesversammlung über die

Erhöhung des Bundesbeitrages an die Arbeitslosenkassen notleidender Industrien.

Die Bundesversammlung der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , gestützt auf Art. 4 des Bundesgesetzes vom 17. Oktober 1924 über die Beitragsleistung an die Arbeitslosenversicherung, nach Einsicht eines Berichtes des Bundesrates vom 30. Mai 1980, beschliesst: Art. 1.

Der Bundesrat ist ermächtigt, im nachstehenden Umfange die Beiträge des Bundes an die privaten Arbeitslosenkassen von 80 auf 40 % der an die Versicherten ausbezahlten Taggelder zu erhöhen: a. für die Angehörigen der Stickerei und deren Hilfsindustrien sowie der Plattstichweberei während der Zeit vom 1. Januar 1929 bis 81. Dezember 1981; 7;. für die Angehörigen der Uhrenindustrie während der Dauer der Krisis, höchstens aber während der Zeit vom l. Januar 1980 bis 81, Dezember 1981 ; c. für die Angehörigen des Baugewerbes während des Winters 1928/29 oder eines Teiles desselben.

658 Art. 2.

Die Erhöhung ist nur zulässig, a. wo die Kantono und Gemeinden ihre Beiträge an die Arbeitslosenkassen nicht herabsetzen; b. im Falle von Art,l, lit.e, gegenüber Kassen, die durch die Saisonarbeitslosigkeit im Baugewerbe besonders stark gelitten haben; c. gegenüber Kassen, welche die vom Bundesrat verlangten Sanierungsmassnahmen durchführen.

Art. 8.

Der Bundesrat ist befugt, die Erhöhung des Bundesbeitrages an weitere Bedingungen zu. knüpfen.

Art. 4.

Die übrigen Vorschriften des Bundesgesetzes und der Verordnungen werden vorbehalten.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Erhöhung des Bundesbeitrages an die Arbeitslosenkassen notleidender Industrien. (Vom 30. Mai 1930.) .

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04.06.1930

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647-658

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