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Bundesratsbeschluß über

die Beschwerde von Caspar Uster und Genossen, in Baar, Kanton Zug, betreffend Wahlen der Korporationsgemeinde Baar vom 11. November 1900.

(Vom 26. Juli 1901.)

Der schweizerische Bundesrat hat über die Beschwerde von Caspar Uster und Genossen, in Baar, Kanton Zug, betreffend Wahlen der Korporationsgemeinde Baar vom 11. November 1900; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Der Regierungsrat des Kantons Zug hat durch Schlußnahme vom 3./7. Januar 1901 die Beschwerdesache von C. U s t e r und Genossen, betreffend Kassation der von der Dorfgemeinde Baar am 11. November 1900 getroffenen Wahlen folgendermaßen erledigt :

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In thatsächlicher Beziehung: 1. Am 16. November, also innert gesetzlicher Frist, reichten C. Uster und Genossen beim Landammannamte das Gesuch um Kassation der Korporationsgemeindewahlen von Baar ein. Das Gesuch wird folgendermaßen begründet: Der Wahlvorschlag ,,alte Liste" sei ein unvollständiger, daher ungesetzlicher gewesen ; es sei nicht bestimmt ausgedrückt, ob der Präsidentschaftskandidat Schmid auch zugleich als Ratsmitglied portieri sei oder nicht.

Es sei die Wahl des Verwaltungsrates daher nicht oder höchstens nur für zwei Mitglieder zu stände gekommen. Ferner: Es haben an der besagten Gemeinde Inhaber von Realrechten sich vertreten lassen, die dazu keine Berechtigung besessen haben und es haben Vertreter gestimmt, ohne den verlangten Vollmachtsschein zu besitzen.

2. Der Korporationsrat von Baar, zur Vernehmlassung eingeladen, bemerkt zu diesen Behauptungen: Der von den Beschwerdeführern angerufene § 66 des Wahlgesetzes könne hier nicht zur Anwendung kommen, indem derselbe sich nur auf Wahlen beziehe, die nach dem proportionalen Wahlverfahren vorgenommen werden. Für Majorzwahlen sei eine besondere Form der Liste nicht vorgeschrieben, seit langer Zeit seien solche Listen im Kanton Zug bei solchen Wahlen verwendet und nicht beanstandet worden. Das Recht der Vertretung von Genossen, die an der Gemeinde nicht erscheinen können, sei in der Verfassung gewahrt, und die Statuten hätten von jeher diese Vertretung vorgesehen ; auch heute sei man in bisheriger Weise vorgegangen.

Der Korporationsrat verlangt Abweisung der Beschwerde.

In der Duplik halten die beiden Parteien an ihren Standpunkten fest und es betonen dabei die Rekurrenten, daß es sich nicht um Usus und Gepflogenheiten, sondern um den klaren Wortlaut von Gesetzes- und Verfassungsbestimmungen handle; wogegen die Vertreter der Korporation geltend machen, daß schon der Kantonsrat im Jahr 1873 sich über diese Materie zu ihren Gunsten ausgesprochen, und daß der Regierungsrat im Jahr 1887 eine ähnliche Beschwerde abgewiesen habe.

3. Aus den zu den Akten einverlangten Stimmregistern und dem Wahlprotokolle ist ersichtlich, daß : a. am 8. November laut Zeugnis des Präsidenten und des Schreibers das Stimmregister geschlossen wurde; o. auf demselben sich 49 Vertretungen vorfanden ;

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e. die Dorfgemeinde 180 Besitzer von Realrechten aufweist, von denen 130 an der Wahl teilgenommen haben. Das absolute Mehr war daher 66. Ungültige Stimmen waren 38; d. die Wahl nach dem Majorzsystem in geheimer Abstimmung erfolgte. Es wurde nur eine Liste eingereicht, die den Titel ,,alte Liste" führte und folgendermaßen lautet: als Präsident: Jos. Schmid, Langgasse; als Verwaltungsräte: Karl Josef Müller, Philipp Andermatt Birst; als Schreiber: Kaspar Uster zum Kreuz; als Weibel und Bannwart: Silv.

Hug, Hinterbühl, u. s. w. ; Schmid erhielt 78 Stimmen, Müller 81, Andermatt 84, dann der Schreiber Uster 62 und der Weibel 83 Stimmen.

c. das Bureau, das nach gesetzlicher Vorschrift konstituiert war, die sämtlichen Kandidaten mit Ausnahme des Schreibers C. Uster als gewählt erklärte ; f. das Protokoll die Unterschriften des Präsidenten und der 4 Stiminenzähler trägt.

4. Aus den weiter eingereichten Akten ist ersichtlich, daß von den 49 eingeschriebenen Vertretern 10 an der Abstimmung nicht teilgenommen haben, ferner daß nur 24 Vollmachtsscheine eingereicht worden sind und daß wiederum 3 Vertreter, die Vollmachten eingereicht haben, sich unter jenen 10 befinden, die nicht gestimmt haben.

In Erwägung: Die Beschwerdeführer behaupten : I. daß die eingereichte Liste eine ungesetzliche war und daher die Wahl des Verwaltungsrates nicht, eventuell nur teilweise zu stände kam ; II. daß sowohl Besitzer von Realrechten als auch einzelne Vertreter ihre Kompetenzen überschritten haben.

Ad I.

1. Die Wahl der Korporationsbehörde von Baar ist eine Wahl nach dem Majorzsystem.

2. § 66 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen kann daher in diesem Falle keine Anwendung finden.

3. Wenn behauptet werden will, die einzige Liste, die eingereicht worden ist, und die als ,,alte Listea bezeichnet wird,

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sei eine ungenügende gewesen, weil aus derselben nicht ersichtlich war, ob der Präsidentschaftskandidat Schmid auch als Ratsmitglied kandidiere, so ist demgegenüber zu sagen, daß bei Wahlen nach dem Majorzsystem eine Vorschrift in dieser Richtung nicht besteht; daß die Listen, die in dieser Weise aufgestellt wurden, auch stetsfort unbeanstandet blieben und daß, wenn ein Wähler für einen Präsidentschaftskandidaten stimmt, es doch gewiß in der Meinung geschieht, daß derselbe Mitglied des Rates werde, ansonst die Präsidentschaft illusorisch würde.

Ad II.

1. Laut Verfassung vom 31. Januar 1894 ist d'en Korporationsgemeinden mit Realnutzungen das Recht der V e r t r e t u n g an der Gemeinde eingeräumt. Diese Begünstigung, die die andern verfassungsmäßigen Gemeinden nicht besitzen, finden sich schon in den frühern Verfassungen und auch im Gemeindegesetz. Ferner hat der Kantonsrat schon am 22. Dezember 1873, als es sich um die Rechte der Korporationen handelte, bestimmt, daß auch in der neuen Verfassung die Rechte derselben in allen Teilen gewahrt sein sollen.

2. Der Wortlaut des § 73 der heutigen Verfassung ist folgender : ,,Wo in einer Gemeinde Korporationsgut vorhanden ist, bilden die Anteilhaber an demselben eine Korporationsgemeinde.

Die nach § 27 s t i m m f ä h i g e n Genossen, o d e r wo Realnutzungsberechtigungen sind, die stimmfähigen Inhaber dieser Realrechte o d e r deren Bevollmächtigte wählen die Korporationsverwaltung und geben sich unter Vorbehalt der Ratifikation der Regierung ihr Reglement."

Wenn man nun den Ausdruck ,,stimmfähige Inhaber dieser Realrechtea nur grammatikalisch in Betracht zieht, so könnte man zu dem Schlüsse kommen, den die Beschwerdeführer ziehen: daß nur diejenigen berechtigt seien, Vertretungen zu geben, die nach Art. 27 der Verfassung ,,stimmberechtigt" sind.

In diesem Falle aber würde das verfassungsmäßige Vorzugsrecht der Korporationsgemeinden mit Realnutzungen teilweise illusorisch, indem dann nur Diejenigen ihre Rechte an der Gemeinde vertreten lassen könnten, die aus Krankheit, Abwesenheit oder Bequemlichkeit nicht erscheinen können oder wollen ; aber gerade Diejenigen, die der Vertretung bedürfen, die Minorennen, die Bevogteten, die allein stellenden Frauenspersonen, die Falliten,

79 von diesem Vertretungsrecht keinen Nutzen hätten, sondern wehr- und machtlos zusehen müßten, wie die sonst s.chon besser Beglückten über ihr Miteigentum verfügen. Eine solche Ungerechtigkeit hat der Gesetzgeber nun offenbar nicht gewollt, sondern das gerade Gegenteil, und wohl nur darum ist von altersher diese ausnahmsweise Vertretung gestattet worden. Der Ausdruck ,,stimmfähige Inhaber'1 ist offenbar in diesem Falle ein solcher, der leicht zu falschen Auffassungen fuhren kann. Das .,,stimmfähig" bezieht sich auch "hier nicht auf die durch Verfassung und Gesetz a l l g e m e i n festgesetzte Stimmfähigkeit, sondern auf die s t i m m f ä h i g e R e a l n u t z u n g .

Wer nach den Statuten nutzungsberechtigt ist, ist stimmfähig.

Nun steht aber über diesen Statuten die Verfassung mit ihrer S t i m m e i n s c h r ä n k u n g . Von dieser Einschränkung würde auch ein Teil der Gerechtigkeitsinhaber der Korporation Baar betroffen, wenn nicht denselben durch die ebenfalls verfassungsgemäße ,,Stellvertretung" zu Hülfe gekommen würde. So kommt der verfassungsmäßige N i c h t s t i m m b e r e c h t i g t e dazu, sein Realnutzungs-Stimmrecht auszuüben.

3. Daß diese Auffassung immer so gegolten hat, beweisen übrigens die Statuten. So sagt z. B. der § 20 der Statuten vom 25. Mai 1851 : ,,Die Dorfgemeinde bilden die Nutznießer der Gerechtigkeiten, auf eine Gerechtigkeit ein Mann. Wenn ein Nutznießer Krankheitshalber oder anderer Hindernisse wegen der Dorfgemeinde nicht beiwohnen kann, so ist er berechtigt, sich durch einen Dorfmann u. s. w. vertreten zu lassen."

Und dann weiter in § 20, Ziffer 3: ,,Die Dorfgemeinde anerkennt das Recht der Mehrheit außer in den §§ 6--8, litt, c, 12 und 48 angegebenen Fällen."

Nun fordert aber der § 6 die Bewilligung der sämtlichen Nutznießer und die §§8, 12 und 48 setzen ungefähr die gleichen Bestimmungen fest.

ö Die Statuten wurden dann in den Jahren 1861, 1870, 1889 wieder abgeändert, allein diese Bestimmungen finden sich jeweilen wieder, so in den heute geltenden Statuten in den §§ 16, resp.

5, 7, 17, 44.

Wie könnte nun diesen Bestimmungen der Statuten, die nebenbei gesagt, mit Ausnahme der ersten alle die Genehmigung der Regierung besitzen, nachgelebt werden, wenn nach Ansicht

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der Rekurrenten eine große Zahl von Besitzern von Gerechtigkeiten in ihrem Stimm- und Wahlrecht eingestellt wären?

4. Aber nicht nur in den Statuten der Korporation Baar finden sich solche Bestimmungen, sondern auch in denjenigen der Korporationen Blickenstorf und Deinikon, d. h. bei Korporationen, die punkto Nutzungsberechtigung ungefähr dieselben Rechte festsetzen wie diejenige von Baar.

5. Schon im Jahre 1887 hatte sich die Regierung mit einem ähnlichen Rekurse zu beschäftigen. Auch damals wies sie die Rekurrenten ab. (Protokoll vom 12. Dezember.)

6. Es können nun allerdings noch die Fragen aufgeworfen werden, ob «. die Wahlen zu kassieren seien, weil einige Vertreter ohne Vollmacht gestimmt haben und b. sie zu kassieren seien, weil Veränderungen auf dem Stimmregister noch nach dem 8. Dezember vorgenommen worden sind.

Offenbar könnte bei jeder andern verfassungsmäßigen Gemeinde eine solche Veränderung in den Namen der Stimmenden auf dem Register, nachdem dasselbe in gesetzlicher Weise geschlossen war, Grund dazu bilden, eventuell die nachfolgende Gemeindeverhandlung als ungesetzlich zu erklären. Bei den Korporationsgemeinden mit Realnutzungen ist das nun aber anders.

Nicht derjenige, der wirklich stimmt, muß auf dem Register stehen, sondern derjenige, der das Realrecht besitzt. Ein solcher Besitzer kann dann selbst seine Rechte ausüben, vorausgesetzt, daß er die gesetzliche Qualifikation dazu hat, oder er kann einen Stellvertreter bezeichnen und denselben mit seiner Vollmacht ausrüsten. Um nun eine Kontrolle üben zu können, muß dieser Mandatar an Stelle des Realbesitzers auf das Stimmregister aufgetragen werden und daher ist diese nachträgliche Änderung des Registers hier zulässig, zudem in den Statuten vorgesehen ist, daß erst unmittelbar vor der Verhandlung noch Vollmachten präsentiert werden können. In Baar sind aber im Sinne dieser Auffassung die Stimmregister in gesetzlich vorgeschriebener Zeit geschlossen worden und es liegt daher in dieser Behandlung der Stimmregister im vorliegenden Falle ein Grund zur Kassation nicht vor.

8. An der Gemeinde vom 11. November haben ohne Vollmacht gestimmt 17 Mann. Nun sagt aber der § 16 im dritten Alinea, daß der Vertreter eine schriftliche, auf den Namen lautende

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Vollmacht vorzulegen habe. Eine Ausnahme ist in den Statuten nirgends zu finden. Die Handlungsweise derselben, sowie der Kontrollbehörde schließt daher eine schwere Statutenverletzung in sich und wenn nun auch 18 Genossen unterschriftlich erklären, daß an allen Dorfgemeinden, solange sie sich erinnern können, von den Witwe-Söhnen, den Falliten-Söhnen und von Söhnen, welche für den Vater stimmen wollen, ni e m a i s eine Vertretungsvollmacht abverlangt worden sei, und wenn unter diesen 18 Genossen sogar 3 sich befinden, die den Rekurs unterschrieben haben und Herr Franz Uster, Wagner, sogar das Wahlprotokoll unterzeichnet hat, und wenn ferner nachgewiesen ist, daß unter den 17 nicht bevollmächtigten Vertretern keiner ist, der nicht die angeführte Qualifikation hat, so ist und bleibt diese Stimmabgabe ohne Vollmacht eine den statutarischen Bestimmungen entgegenstehende, und es kann einzig der Umstand, daß es alle Zeit so gehalten worden ist, daß auch teilweise die Rekurrenten selbst diese Thatsache anerkennen und daß von niemand vor Beginn der Verhandlungen, obgleich dieses Verfahren allgemein bekannt sein mußte, hiergegen protestiert wurde, dazu veranlassen, hier einen genügenden Grund zur Kassation nicht ·wahrzunehmen, daher beschlossen: 1. Der Rekurs der Herren C. Uster und Genossen wird als unbegründet abgewiesen.

2. Den Korporationsbehörden von Baar ist wegen Außerachtlassung statutarischer Bestimmungen eine Rüge zu erteilen.

II.

Gegen diese Schlußnahme reichten Caspar Uster und Genossen am 5. März 1901 beim Bundesrate die staatsrechtliche Beschwerde ein ; mit dem Beifügen, daß nach Ermessen des Bundesrates der Entscheid des zugerischen Kantonsrates, an den ebenfalls rekuriert worden sei, abgewartet werden könne.

Rekurrenten stellen das Rechtsbegehren : es seien die am 11. November 1900 getroffenen Wahlen der Korporation (Dorfgemeinde) Baar als ungültig zu erklären und der bezügliche Entscheid der zugerischen Regierung vom 3./7. Januar 1901 aufzuheben.

Zur Begründung wird, unter Anrufung der bei den kantonalen Behörden eingelegten Rechtsschrif'ten, angebracht: Durch

82 den regierungsrätlichen Entscheid wird § 73 der zugerischen Kantonsverfassung verletzt; diese Verletzung bedeutet zugleich eine Beeinträchtigung von Art. 5 der Kantons- und Art. 4 der Bundesverfassung.

a. Der Wortlaut des § 73 V. ist nach grammatikalischer Auslegung und nach dem unzweideutigen Ausdruck des Gesetzes nur dahin zu deuten, daß für die Stimmberechtigung und die Stimmfähigkeit in erster Linie maßgebend sei der § 27 V. und daß nur solche Inhaber von Realrechten (Gerechtigkeiten) sich an der Wahl vertreten lassen können, die selbst stimmfähig sind.

b. Es ist dabei diese Stimmfähigkeit einzig und allein nach § 27 V. zu bemessen. Eine dem Wortlaut des Gesetzes widersprechende, übrigens bei Erlaß der Verfassungen von 1882 (§ 79) und 1894 (§ 73) nicht erneuerte Erklärung des Kantonsrates vom Jahre 1875 kann um so weniger in Betracht fallen, a s-in § 27 der Verfassung vom Jahre 1894 auch die Stimmfähigkeitsverhältnisse neu geordnet worden sind.

c. Es ist übrigens darauf zu verweisen, daß auch nach Auffassung des zugerischen Regierungsrates 17 Mann unberechtigt am Wahlakt teilgenommen haben (Ziffer 8 des Entscheides) und es ist dies nicht nur als eine den Statuten, sondern auch der Verfassung widersprechende Handlungsweise zu qualifizieren, die um so eher zur Kassation führen mußte, als nach Ziffer 3 des Entscheides verschiedene als gewählt Erklärte nicht um 17 Stimmen über dem absoluten Mehr von 66 standen.

Diese Ungleichheit in der Behandlung der Stimmberechtigungen und die Außerachtlassung bestimmter Verfassungsvorschriften involvieren eine Verletzung von § 5 der kantonalen Verfassung und des auch in Art. 4 B. V. ausgesprochenen Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetz.

III.

Nachdem der Regierungsrat des Kantons Zug am 5. Juni 1901 mitgeteilt hatte, daß der Kantonsrat in seiner Sitzung vom 30. Mai dieses Jahres auf den bei ihm in nämlicher Sache eingereichten Rekurs auf Antrag der betreffenden Specialkommission, aus formellen Gründen (wegen Inkompetenz), nicht eingetreten sei, wurde er zur Vernehmlassung auf die beim Bundesrate eingereichte Beschwerde eingeladen. Mit Eingabe vom 1. Juli 1901 kommt er dieser Einladung nach ; er beantragt Abweisung des Rekurses ; zur Begründung wird ausgeführt:

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Vorab ist festzustellen, daß die Rekurrenten die in Frage stehenden Wahlen und den abweisende'n Beschluß des Regierungsrates nur mehr aus dem Grunde anfechten, weil sich an der Wahl Unberechtigte beteiligt hätten. Die im Rekurs an den Regierungsrat in erster Linie erhobene Einrede der Ungültigkeit des Wahlzettels wegen formellen Mangels wird nicht mehr aufrecht erhalten, beziehungsweise in .der Beschwerde an den Bundesrat nicht mehr erwähnt; sie wurde auch im Rekurse an den Kantonsrat ausdrücklich fallen gelassen. Der Regierungsrat tritt deshalb bezuglich dieser Frage in keine weitern materiellen Erörterungen ein, sondern erwähnt nur, daß er, falls diese Einrede wieder erhoben worden wäre, dem Bundesrate die Kompetenz zur Beurteilung derselben hätte bestreiten müssen, indem es sich hierbei ausschließlich um die Auslegung des kantonalen W a h l g e s e t z e s und keineswegs um diejenige von Bestimmungen der Kantonsoder Bundesverfassung gehaadelt hätte. Ebensowenig wäre der Bundesrat kompetent gewesen, die im Rekurse an den Regierungsrat gestreifte Frage einer Überprüfung zu unterwerfen, ob nach Schluß der Stimmregister noch Änderungen an demselben zulässig gewesen seien, indem auch diesbezüglich nur Bestimmungen des Wahlgesetzes und keineswegs der Verfassung in Frage stünden.

In Bezug auf die Einrede, daß die Wahlen wegen der Beteiligung von Nichtstimmberechtigten an denselben zu kassieren seien, erblicken die Rekurrenten im ablehnenden Bescheide des Regierungsrates eine Verletzung des § 73 der Kantonsverfassung, sowie eine solche des § 5 der Kantons-, beziehungsweise des Art. 4 der Bundesverfassung. Einzig insoweit sich der Rekurs auf die Verletzung dieser Verfassungsbestimmungen beruft, ist der Bundesrat kompetent, denselben materiell zu prüfen. Diese Prüfung muß aber zur Abweisung der Beschwerde führen.

I. Der § 73 der Kantonsverfassung ist nicht verletzt. Dieser Paragraph hat von jeher keine andere Auslegung erfahren, als wie sie ihm im regierungsrätlichen Rekursentscheide gegeben wird. Dieser § 73 ist nur die Kodiflzierung des Jahrhunderte alten Gewohnheits- und statutarischen Rechtes, wie es nicht nur in der Korporation (Dorfgemeinde) Baar, sondern auch in den andern Korporationen mit Realnutzung (Gerechtigkeitensystern) geübt worden ist. Von jeher und überall hatten die Gerechtigkeitsbesitzer,
auch wenn sie selbst die politische Stimmfähigkeit nicht besaßen, das Recht, sich an den Korporationsversammlungen durch einen stimmfähigen Bürger vertreten zu lassen.

84 Es muß zugestanden werden, daß die Redaktion dieses Paragraphen keine glückliche ist, indem sie -- nur grammatikalisch genommen -- eher der Auffassung der Rekurrenten Recht giebt, wonach die Worte ,,oder deren Bevollmächtigte10 rückbezüglich wären auf die Worte ,,die stimmfähigen Inhaber dieser Realrechte". Aber der Gesetzgeber hatte nicht diese Meinung, sondern die Worte ,,oder deren Bevollmächtigte11 sind nur rückbezüglich auf die Worte ,,Inhaber dieser Realrechte"1 mit Ausschluß des Wortes ,,stimmfähigen". Der § 73 ist daher nie anders als folgendermaßen verstanden worden: ,,Die nach § 27 stimmfähigen Genossen oder, wo Realnutzungsberechtigungen sind, die stimmfähigen Inhaber dieser Realrechte oder die (stimmfähigen) Bevollmächtigten der Inhaber dieser Realrechte wählen die Korporationsverwaltung etc.a Der § 73 der jetzigen Verfassung ist die wörtliche Reproduktion des § 79 der frühem Verfassung und dieser war, wie schon erwähnt, nur die Kodifikation des bisherigen Gewohnheitsrechtes der Korporationen mit Realnutzung. In diesem Sinne sprach sich der Kantonsrat schon am 22. Dezember 1873 aus, indem er erklärte, daß in der neuen Verfassung alle bisherigen Rechte der Korporationsgemeinden gewahrt sein sollen.

Auch der Regierungsrat hat den § 73 nie anders gehandhabt.

Im Jahre 1887 hatte er sich mit einer g a n z g l e i c h e n Bes c h w e r d e zu befassen. Bürgerweibel J. M. Andermatt und Genossen rekurrierten damals an den Regierungsrat, weil an einer Versammlung der Dorfgemeinde Baar B e v o l l m ä c h t i g t e von F a l l i t e n und W i t f r a u e n teilgenommen haben. Der Rekurs wurde von der Regierung materiell abgewiesen (siehe Beilagen).

Dieses Recht der Vertretung nicht stimmfähiger Nutznießer durch Stimmberechtigte hat aber auch seine innere materielle Berechtigung, wie im angefochtenen Entscheide genugsam auseinandergesetzt ist.

II. Auch § 5 der Kantonsverfassung, resp. Art. 4 der Bundesverfassung ist nicht verletzt.

Die Rekurrenten scheinen diese Behauptung damit begründen zu wollen, daß der Regierungsrat die angefochtenen Wahlen nicht kassiert habe, trotzdem er selbst gefunden habe, daß an denselben 17 Vertreter gestimmt haben, ohne die von den Statuten geforderte, schriftliche Vollmacht zu besitzen und trotzdem einige der Gewählten nicht 17 Stimmen über das absolute Mehr auf sich vereinigt hatten. Die Beschwerdeführer können aber keinen Fall nennen, in welchem der Regierungsrat unter gleichen Ver-

85 hältnissen anders entschieden hätte. Ob im übrigen dieser Entscheid in dieser Richtung ein richtiger oder unrichtiger sei, ist eine Frage, welche nicht die Verfassung, sondern die Anwendung der Korporationsstatuten und des Wahlgesetzes beschlägt, deren Beurteilung also nicht in die Kompetenz des Bundesrates fällt.

Der Entscheid der Regierung ist aber auch materiell nicht anfechtbar; diese 17 Fälle von Vertretungen sind solche von Söhnen für Eltern (Fallitenfrauen und Witwen) und von einem Bruder für seine Geschwister, soweit sie mit denselben in ungetrenntem Haushalt leben. Diese Vertretungsart war aber bis jetzt unbestrittener-, sogar zugegebenermaßen in der Korporation (Dorfgemeinde) Baar ohne jeweilige s c h r i f t l i c h e Vollmacht geübt worden, sondern man präsumierte hier die Richtigkeit der Vollmacht. Es ist denn auch von den Rekurrenten nicht einmal versucht worden, auch nur einen Fall namhaft zu machen, wonach einer dieser 17 Vertreter wider den Willen des präsumierten Vollmachtgebers sich als solchen aufgeführt oder daß einer die Stimmfähigkeit nicht besessen habe.

Wenn nun der Regierungsrat gefunden hat, es widerspreche dieser Usus dem Wortlaute der Statuten, welche nur die schriftliche Bevollmächtigung kennen, und wenn er infolgedessen die Korporationsverwaltung angewiesen hat, in Zukunft genau nach den Statuten zu verfahren, so lag für ihn dessenungeachtet kein zwingender Grund vor, in die Wahrhaftigkeit des Wahlergebnisses Zweifel zu setzen und von daher die Wahlen zu kassieren.

IV.

a. § 73 der Verfassung des K a n t o n s Zug vom 31. Januar 1894 lautet: .,Wo in einer Gemeinde Korporationsgut vorhanden ist, bilden die Anteilhaber an demselben eine Korporationsgemeinde.

Die nach § 27 stimmfähigen Genossen oder, wo Realnutzungsberechtigungen sind, die stimmfähigen Inhaber dieser Realrechte oder deren Bevollmächtigte wählen die Korporationsverwaltung und geben sich, unter Vorbehalt der Ratifikation durch den Regierungsrat, ihr Reglement.

,,Die Korporationsgüterverwaltungen bestehen in der Regel aus 3 bis 5 Mitgliedern."

In § 27 der Verfassung wird bezüglich der Stimmberechtigung festgesetzt : Bundesblatt. 53. Jahrg. Bd. IV.

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Alinea 2. ,,Das Stimmrecht besitzen: Alle Kantonsbürger und im Kanton gesetzlieh niedergelassenen Schweizerbürger, welche das 19. Altersjahr zurückgelegt haben und sich nicht in einem der unten aufgezählten Ausnahmsfälle befinden.

,,Uni jedoch in der Wohngemeinde stimmen zu können, muß der betreffende Stimmberechtigte sich ausweisen, wenigstens 3 Monate lang unmittelbar vor der fraglichen kantonalen Wahl oder Abstimmung in der Gemeinde gewohnt zu haben.

Alinea 6. Von der Stimmfähigkeit sind ausgeschlossen: a. die durch Gerichtsurteil im Aktivbürgerrecht Eingestellten ; b. die Bevogteten und anerkannt Blödsinnigen; c. die von den Armenpflegen Unterstützten während der Dauer der Unterstützung (Unterstützung wegen unverschuldetem Unglücke, zum Besuche von Schulen oder zur Erlernung oder Ausübung einer Kunst oder eines Handwerkes ist hierin nicht inbegriffen); d. die Konkursiten oder die wegen fruchtloser oder ungenügender Pfändung im Amtsblatt Ausgeschriebenen bis zum Widerruf des Konkurses oder zur erfolgten Rehabilitation.

Ist die Insolvenz ganz oder teilweise unverschuldet, so kann der Entzug des Stimmrechts auf Gesuch des Schuldners vom Gericht entweder gänzlich erlassen oder auf l bis 10 Jahre beschränkt werden ; e. diejenigen, welche mit der Bezahlung der Steuern mehr als vier Monate nach Ablauf des Zahlungstermins und nach erfolgter Mahnung im Rückstande sind; f. die bisherigen Falliten und Konkursiten. Diesen kann, wenn sie darthun, daß ihrerseits kein oder nur teilweises Verschulden vorliegt, durch gerichtlichen Entscheid der Entzug des Stimmrechts ganz oder teilweise auf l bis 10 Jahre erlassen werden (Minderjährige sind von den in litt, d und f bezeichneten Folgen der Insolvenz ausgenommen).

§ 28. Hinsichtlich der Stimmfähigkeit in Gemeindeangelegenheiten verfügt Abschnitt V (handelnd von den Gemeinden).

In diesem Abschnitt V, §§ 70 bis 76, findet sich die obgenannte Bestimmung des § 73 über die Korporationsgemeinde.

§ 5 dieser Verfassung lautet : ,,Alle Bürger sind vor dem Gesetze gleich."

b. Das G e s e t z b e t r e f f e n d das V e r f a h r e n bei Wahlen und A b s t i m m u n g e n vom 21. September 1896 spricht sich

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in seinem III. Titel, die ,,gemeindlichen Wahlen und Abstimmungen a , aus : § 60. Alle 4 Jahre treten die Stimmberechtigten der Einwohner-, Bürger-, Kirch- und K o r p o r a t i o n s g e m e i n d e n zur Wahl sämtlicher Gemeindebehörden zusammen (§ 77 der Verfassung). Nach Feststellung des allgemeinen Verfahrens, §§ 60 bis 72, wird in § 73 bestimmt : ,,Das Verfahren bei anderweitigen gemeindlichen Abstimmungen findet sich im Gesetze über das Gemeindewesen geregelt."

In a. P r o p o r t i o n a l e s W a h l v e r f a h r e n , § 66, wird statuiert : ,,Mit den Wahlvorschlägen kann gleichzeitig angegeben werden, welcher von den Kandidaten für den betreffenden Rat als Präsident vorgeschlagen wird.

,,Ist ein zugleich als Präsident vorgeschlagener Kandidat als Mitglied des Rates gewählt und hat derselbe überdies als Präsident das absolute Mehr der Stimmenden auf sich vereinigt, so ist er auch als solcher gewählt.

,,Treffen obige Bedingungen nicht zu, so ist innert 30 Tagen die Gemeinde neuerdings zur Wahl eines Präsidenten einzuberufen.

,,Dieselbe hat im geheimen Wahlverfahren und im übrigen nach Anleitung von § 16, Alinea 2, des Gesetzes betreffend das ·Gemeindewesen zu erfolgen. etc.a c. Das G e s e t z betreffend das G e m e i n d e w e s e n vom '20. Wintermonat 1876 bestimmt in § 13, daß Reklamationen gegen die Gesetzlichkeit der Gemeindeversammlung, gegen die Gültigkeit von Beschlüssen und' Wahlen innert 8 Tagen an das Landammannamt zu Händen des Regierungsrates schriftlich eingegeben werden müssen, welcher unter Beachtung bestehender Gesetze darüber ,, e n d s c h a f t l i e h e n t s c h e i d e t " .

§ 84: ,,Wo in einer Gemeinde Korporationsgut vorhanden ist, bilden die Anteilhaber an demselben eine Korporationsgemeinde.

Sie sind Genossenschaften, denen sowohl das betreffende Eigentum als auch die Verwaltung desselben und die rechtmäßige, beziehungsweise stiftungsgemäße Verfügung über dessen Ertrag unter der Oberaufsicht des Staates gewährleistet ist.

,,Die nach § 25 der (frühern) Kantonsverfassung (jetzt § 27) stimmfähigen Genossen oder, wo Realnutzungsberechtigungen sind, die stimmfähigen Inhaber dieser Realrechte oder deren Bevollmächtigte sind an den Korporationsgemeinden stimmberechtigt.a

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Bei allen Genossenversammlungen ist ,,ganz nach Inhalt von §§ 4 bis 20a des Gesetzes betreffend das Gemeindewesen zu verfahren, d. Die S t a t u t e n der K o r p o r a t i o n B a a r vom 7. April 1889 setzen in § 16 fest: .,,Die Dorfgemeinde Versammlung bilden die jeweiligen nach Gesetz stimmberechtigten Nutznießer, auf je eine Gerechtigkeit ein Mann.

.,,Wenn ein Nutznießer krankheits- oder anderer Hindernisse halber einer Versammlung nicht beiwohnen kann, so ist er berechtigt, sich durch einen stimmfähigen Mann aus den Dorfgeschlechtern, der im Dorfgemeindekreis wohnt, vertreten zu lassen.

Der Stellvertreter hat vor Beginn der Verhandlung dem Präsidenten die schriftliche, auf seinen Namen lautende Vollmacht vorzulegen, welche öffentlich verlesen und am Protokoll notiert werden soll "· (Alinea 5.) ,,Bei den Dorfgemeindeversammlungen ist nach dem kantonalen Gesetze zu verfahren."·

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Nach Wortlaut des vorletzten Absatzes in Art. 189 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, vom 22. März 1893, hat der Bundesrat u. a. zu beurteilen: ,,Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend kantonale Wahlen und Abstimmungen, auf Grundlage sämtlicher einschlägiger Bestimmungen des kantonalen Verfassungsrechts und des Bundesrechts.a Als ,,kantonale Wahl"1 im Sinne dieser Gesetzesbestimmungist jede Wahl zu betrachten, welche vom kantonalen Verfassungsrechte beherrscht wird. (Entscheidungen des Bundesrates vom 19. Februar 1901, in Sachen Schnyder, Bundesbl. 1901,1, S. 300 ff.,, insbesondere S. 308; vorn 3. Mai 1,901, in Sachen Mettler-Baumgartner, Bundesbl. 1901, III, S. 305 ff.)

89 Da die vorliegende Beschwerde sich auf eine Verletzung des verfassungsmäßig vorgeschriebenen Wahlverfahrens (Art. 73 und 27 der Verfassung des Kantons Zug, vom 31. Januar 1894) stützt, ist die Kompetenz der politischen Bundesbehörden zu deren Beurteilung grundsätzlich gegeben.

II.

Diese Kompetenz beschränkt sich aber auf die Prüfung der Beschwerdebehauptung, in der angefochtenen Entscheidung liege eine Verletzung des Bundes- und des kantonalen Verfassungsrechts.

Dem Bundesrate steht dagegen ein Überprüfungsrecht der kantonalen Schlußnahme mit Bezug auf allfällige Verletzungen kantonaler Gesetzes-, Verordnungs-, Reglements- oder gar korporativer Statutenbestimmungen insoweit nicht zu, als nicht in dieser Verletzung ein mit Art. 4 der Bundesverfassung (Gewährleistung der Rechtsgleichheit) im Widerspruch stehender Willkürakt erblickt werden muß ; auch wo eine der letztgenannten kantonalen Bestimmungen zweifellos unrichtig interpretiert worden wäre, sind die Bundesbehörden zur Nachprüfung und Aufhebung des angefochtenen Entscheides nicht zuständig. (Vgl. die unter I hiervor . aufgeführten Entscheide des Bundesrates und denjenigen vom 21. März 1899 in Sachen Chappuis und Rais, Bundesbl. 1899, II, S. 245/246 und 1900, I, S. 826/827.)

Es sind daher nur die Fragen zu prüfen, ob in dem angefochtenen Entscheide der kantonalen Regierung, der nach § 13 des Gesetzes betreffend das Gemeindewesen, vom 20. Wintermonat 1876, ein endgültiger ist, eine Verletzung der Zuger Kantonsverfassung oder des Art. 4 der Bundesverfassung erblickt werden müsse.

III.

Die von den Beschwerdeführern ^behauptete Verletzung des § 73 der Kantonsverfassung, gemäß welchem ,,die nach § 27 (der Verfassung) stimmfähigen Genossen oder, wo Realnutzungsberechtigungen sind, die stimmfähigen Inhaber dieser Realrechte oder deren Bevollmächtigte die Korporationsverwaltung wählen", liegt nach deren Ausführungen in folgendem : Der Wortlaut des § 73 sei nur dahin zu deuten, daß für die Stimmberechtigung und die Stimmfähigkeit in erster Linie § 27 dieser Verfassung maßgebend sei und daß nur solche In-

90 haber von Realrechten sich an den Korporationswahlen vertreten lassen können, die selbst stimmfähig sind; diese Stimmfähigkeit sei aber einzig und allein nach § 27 der Verfassung zu bemessen.

Im übrigen müsse darauf verwiesen werden, daß auch nach Auffassung des zugerischen Regierungsrates 17 Mann unberechtigt am Wahlakte teilgenommen haben; dies bedeute nicht nur ein den Statuten, sondern auch der Verfassung widersprechendes Vorgehen, das um so mehr zur Kassation der Wahlen hätte führen müssen, als zugestandenermaßen verschiedene Gewählte nicht um 17 Stimmen über dem absoluten Mehr von 66 standen. Diese Außerachtlassung bestimmter Verfassungsvorschriften involviere eine Verletzung von § 5 der Kantons- und Art. 4 der Bundesverfassung.

Diesen Ausführungen stellt die Regierung folgende entgegen : Der § 73 der Kantonsverfassung hat von jeher keine andere Auslegung erfahren, als sie im angefochtenen Entscheide vom 3./7. Januar 1901 gegeben worden ist, nämlich die, daß der verfassungsmäßig nicht Stimmfähige (Art. 27 der Kantonsverfassung) sein Realnutzungsstimmrecht durch Stellvertretung geltend machen könne, wie es übrigens in § 16 der in Betracht fallenden Statuten der Korporation Baar, vom 7. April 1889, sowie in gleichlautenden Statuten der Korporationen Blickenstorf und Deinikon ausdrücklich anerkannt wird. Wenn man allerdings den Ausdruck ,,stimmfähige Inhaber dieser Realrechte" nur grammatikalisch auslegt, könnte man zu dem Schlüsse der Beschwerdeführer kommen, daß nur diejenigen befugt seien, sich vertreten zu lassen, die nach Art. 27 der Verfassung ,,stimmberechtigt11 sind. In diesem Falle aber würde das, schon in der frühern Verfassung, vom 31. Januar 1894, garantierte und vom Kantonsrate anerkannte Vorzugsrecht der Korporationsgemeinden mit Realnutzungen teilweise illusorisch, da dann nur diejenigen ihre Rechte an der Gemeinde vertreten lassen könnten, die wegen Krankheit, Abwesenheit oder aus Bequemlichkeitsgründen nicht erscheinen, während diejenigen, die der Vertretung zuerst bedürfen, die Minorennen, Bevogteten, alleinstehenden Frauenspersonen, die Falliten, von diesem Vertretungsrecht keinen Nutzen zögen, sondern wehr- und machtlos zusehen müßten, wie die besser Beglückten über ihr Miteigentum verfügen.

Gerade das Gegenteil hiervon hat aber der Gesetzgeber gewollt und darum von
altersher diese ausnahmsweise Vertretung gestattet; § 73 der geltenden, resp. § 79 der frühern Kantonsverfassung, deren Redaktion allerdings keine glückliche genannt werden kann, sind lediglich die Kodifizierung des Jahrhunderte alten Gewohn-

91 heits- und statutarischen Rechts, wie es nicht nur in der Dorfgemeinde Baar, sondern auch in den andern Korporationen mit Eealnutzung (Gerechtigkeitssystem) geübt worden ist.

Der Ausdruck ,1stimmfähiga bezieht sich demnach nicht auf.

die durch Verfassung und Gesetz allgemein umschriebene Stimmfähigkeit, sondern auf die stimmfähige Realnutzung ; wer nach den Statuten nutzungsberechtigt ist, ist stimmfähig, sei es direkt, sei es durch Vertretung.

Der Regierungsrat hat denn auch diese Verfassungsbestimmung nie anders gehandhabt. Im Jahre 1887 hatte er sich-mit einer ganz gleichen Beschwerde zu befassen. Bürgerweibel Andermatt und Genossen rekurrierten, weil an einer Versammlung der Dorfgemeinde Baar Bevollmächtigte von Falliten und Witfrauen teilgenommen haben. Wie aus den beigelegten Akten ersichtlich, wurde schon diese Beschwerde vom Regierungsrate als unbegründet erklärt.

IV.

a. Es ist vorerst festzustellen, daß die Beschwerdeführer selbst keine Schlußnahme der Kantonsregierung zur Kenntnis bringen konnten, durch welche die Art. 73 und 27 der Kantonsverfassung mit Bezug auf die Wahlen von Korporationen anders als im heute angefochtenen Entscheide interpretiert und angewendet worden wären. Von einer Verletzung der durch § 5 der Kantohsverfassung und Art. 4 der Bundesverfassung garantierten Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetze kann also im Ernste nicht gesprochen werden.

6. Ebensowenig kann die kantonale Schlußnahme als eine willkürliche, die aus Art. 4 der Bundesverfassung hergeleiteten Grundsätze des Bundesrechtes verletzenjie bezeichnet werden.

In konstanter Praxis hat der Bundesrat, in Übereinstimmung mit der Bundesversammlung, einen Willkürakt jeweilen nur dann als nachgewiesen erachtet, wenn eine objektiv in keiner Weise zu rechtfertigende Maßnahme getroffen worden ist, sei es ohne Zugrundlegung rechtlicher Motive, sei es unter Anführung solcher, die gegen klares Recht verstoßen. (Entscheidung des Bundesrates in Sachen Stadiin-Graf, vom 21. Juli 1899, Bundesbl. 1899, IV, S. 217; vom 24. Juni 1901 in Sachen Alfred Ceppi, Bundesbl.

1901, III, S. 881 ff. u. a. m.)

Die Begründung der regierungsrätlichen Schlußnahme ist aber, wie auf den ersten Blick ersichtlich, nicht nur keine in

92 diesem Sinne willkürliche, sondern vielmehr, wie sogleich ausgeführt wird, eine objektiv wohl zu rechtfertigende.

Es entfällt also der Beschwerdepunkt einer Verletzung von Bundesrecht oder des, mit Art. 4 der Bundesverfassung inhaltlich übereinstimmenden' Art. 5 der zugerischen Kantonsverfassung.

V.

Aber auch der Nachweis einer Verletzung der Art. 73 und 27 dieser Kantonsverfassung kann nicht als erbracht erachtet werden. Es ist vielmehr festzustellen : a. Wenn Art. 73 der Verfassung bestimmt: ,,Wo in einer Gemeinde Korporationsgut vorhanden ist, bilden die Anteilhaber an demselben eine Korporationsgemeinde. Die nach § 27 stimmfähigen Genossen oder, wo Realnutzungsberechtigungen sind, die stimmfähigen Inhaber dieser Realrechte oder deren Bevollmächtigte wählen die Korporationsverwaltung und geben sich, unter Vorbehalt der Ratifikation durch den Regierungsrat, ihr Reglern ent a , so ist schon grammatikalisch folgende Auslegung wohl zu vertreten : 1. Die im Sinne des Art. 27 der Kantonsverfassung überhaupt stimmfähigen Genossen einer Gemeinde mit Korporationsgut wählen die Korporationsverwaltung etc.

2. Wo es sich aber um eine Korporationsgemeinde mit Realnutzungsberechtigungen handelt, wählen die nach den Statuten dieser Korporation stimmfähigen Inhaber dieser Realrechte oder deren -- nach den Statuten -- Bevollmächtigte die Korporationsverwaltung.

b. Zu dieser grammatikalisch möglichen Auslegung des § 73 tritt nun ferner die vom Regierungsrate gegebene Darlegung der Entstehungsgeschichte und der bisherigen allgemeinen Auffassung dieser Verfassungsbestimmung hinzu.

Nach der konstanten Praxis des Bundesgerichtes bei Prüfung von Beschwerden wegen Verletzung kantonaler Verfassungsbestimmungen ist der von den obersten kantonalen Behörden vertretenen Auslegung der Verfassung ein besonderes Gewicht beizulegen und dieselbe nur da als unzulässig zu verwerfen, wo zwingende Gründe dafür sprechen (vgl. A. S. der bundesgerichtl. Entsch., Bd. XXV, I, S. 470, Erwägung 3 und daselbst citierte Entscheidungen). Der Bundesrat hat keinen Grund, von dieser durch das Bundesgericht begründeten Praxis abzugehen. Da im vor-

93 liegenden Falle zu der aus der Entstehungsgeschichte gewonnenen Auslegung noch die Möglichkeit eines grammatikalisch ungezwungenen Verständnisses des Art. 73 der Kantonsverfassung hinzutritt, so ist vielmehr die von der kantonalen Regierung in ihrer Entscheidung angenommene Auslegung als zutreffend zu betrachten.

VI.

Die Beschwerdeführer machen endlich noch geltend, daß auch nach Auffassung des Regierungsrates 17 Personen unberechtigt am Wahlakt teilgenommen haben ; dieses nicht nur den Statuten, sondern auch der Verfassung widersprechende Vorgehen hätte um so eher zur Kassation der Wahl führen sollen, als verschiedene als gewählt Erklärte nicht um 17 Stimmen über das absolute Mehr zu stehen kamen.

Der Regierungsrat stellt dem entgegen: Ob der Entscheid der Regierung in dieser Richtung anfechtbar sei, ist eine Frage, welche nicht die Verfassung, sondern die Anwendung der Korporationsstatuten und des Wahlgesetzes beschlägt, deren Beurteilung insofern nicht in die Kompetenz des Bundesrates fällt, als in demselben keine Verletzung der Rechtsgleichheit der Bürger liegt; eine solche ist aber nicht einmal behauptet; die Rekurrenten können keinen Fall citieren, in welchem der Regierungsrat unter gleichen Verhältnissen anders entschieden hätte.

Der Entscheid ist übrigens auch materiell gerechtfertigt: diese 17 Fälle von Vertretungen sind solche von Söhnen für Eltern (Fallitenfrauen und Witwen) und eines Bruders für seine Geschwister, mit denen er im ungetrennten Haushalt lebt. Diese Vertretungsart war aber bis jetzt unbestrittenermaßen in der Dorfgemeinde Baar ohne jeweilige schriftliche Vollmacht geübt worden, man präsumierte-eben das Vorhandensein der Vollmacht.

Von den Rekurrenten ist kein Fall namhaft gemacht worden, in dem einer dieser Vertreter sich als solcher wider den Willen des präsumierten Vollmachtgebers aufgeführt oder überhaupt die Stimmfähigkeit nicht besessen habe. Wenn nun der Regierungsrat gefunden" hat, es widerspreche diesel Usus dem Wortlaute der Statuten, welche nur die schriftliche Bevollmächtigung kennen, und infolgedessen die Korporationsverwaltung angewiesen hat, in Zukunft genau nach den Statuten zu verfahren, so lag für ihn dessenungeachtet kein zwingender Grund vor, in die Wahrhaftig-

94

keit des Wahlergebnisses Zweifel zu setzen und deshalb die Wahlen zu kassieren.

Die Einrede der kantonalen Regierung, es sei der Bundesrat zur Nachprüfung des angefochtenen Entscheides in dieser Richtung nicht kompetent, muß geschützt werden, wenn die Begründung nicht als eine willkürliche, dem Art. 4 der Bundesverfassung widersprechende erscheint; es ist diesbezüglich auf das sub Ziffer II hiervor Ausgeführte zu verweisen.

Die regierungsrätliche Schlußnahme ist nun aber auch mit Hinsicht auf diesen letzten Beschwerdepunkt eine auf rechtliche Motive gestützte, die keineswegs gegen klares Recht verstoßen, also keine willkürliche ; auch eine Verletzung der Rechtsgleichheit kann da nicht als vorliegend angenommen werden, wo die Beschwerdeführer selbst nicht behaupten, daß die Regierung in andern, gleichen oder ähnlichen Fällen anders entschieden habe, und wo zugestanden wird, daß die Schlußnahme langer, allerdings statutenwidriger, Übung in der Dorfgemeinde Baar entspricht.

Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 26. Juli 1901.

Im Namen des Schweiz.. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Brenner.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluß über die Beschwerde von Caspar Uster und Genossen, in Baar, Kanton Zug, betreffend Wahlen der Korporationsgemeinde Baar vom 11. November 1900.

(Vom 26. Juli 1901.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

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Foglio federale

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1901

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4

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31

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31.07.1901

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