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Bundesblatt 82. Jahrgang.

Bern, den 10. September 1930.

Band II.

Erscheint wöchentlich Preis 20 Franken im Jahr, W Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr : 50 Rappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stämpfli & Cie. in Bern.

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Botschaft dea

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung der beiden am 27. Juli 1929 in Genf geschlossenen Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde und über die Behandlung der Kriegsgefangenen.

(Vom 8. September 1980.)

Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren !

Schon gleich nach dem Ende des Weltkrieges war das Internationale Komitee des Boten Kreuzes an die nationalen Botkreuzvereine und an die Regierungen mit dem Vorschlage herangetreten, in gemeinsamer Arbeit festzustellen, -welche Lehren aus den in diesem langen Kriege namentlich für die Anwendung des Genfer Abkommens und für die Behandlung der Kriegsgefangenen gesammelten Erfahrungen zu ziehen seien. Es setzte die Prüfung dieser Fragen auf die Tagesordnung der beiden internationalen Rotkreuzkonferenzen, die 1921 und 1923 in Genf tagten; diese nahmen mit einigen Änderungen die beiden Abkommensentwürfe an, die das Internationale Komitee vorbereitet hatte und von denen der eine die Revision des Genfer Abkommens von 1906 und der andere die Kodifizierung der Rechte und Pflichten der Kriegsgefangenen betraf.

In Ausführung der Beschlüsse der genannten Versammlungen stellte una das Internationale Komitee die Entwürfe zu, mit dem Wunsche, dass eine diplomatische Konferenz einberufen werde, um auf dieser Grundlage zwei internationale Abkommen abzuschliessen. Die beiden Fragen schienen uns hinreichend nahe miteinander verwandt zu sein, um an einer und derselben Konferenz zur Behandlung gelangen zu können ; denn das KriegsgefangenenTecht erscheint als die logische und natürliche Ergänzung eines Vertrages, der den verwundeten und kranken Militärpersonen Schutz und Pflege gewährleistet. Wir übermittelten deshalb unsererseits anfangs 1925 die fraglichen Entwürfe den Eegierungen der an einem der beiden Genfer Abkommen von 1864 und von 1906 beteiligten Länder und fragten sie an, ob sie Bundesblatt. 82. Jahrg. Bd. II.

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254 bereit ·wären, zu gegebener Zeit an einer Konferenz teilzunehmen, der die zweifache Aufgabe zufallen würde, das Genfer Abkommen zu revidieren und eine Kriegsgefangenenordnung auszuarbeiten. Drei Jahre vergingen, bevor wir in der Lage waren, festzustellen, dass unser Vorschlag allerseits günstig aufgenommen worden war. Diese lange Frist ist weiter nicht verwunderlich; denn man darf nicht vergessen, dass, wenn es verhältnismässig leicht schien, das Genier Abkommen zu revidieren, ein allgemeines Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen dagegen, all der Fragen wegen, die es zur Erörterung stellt, von den Eegierungen eine gründliche Prüfung erheischte.

Die zustimmende Antwort, die uns die grosse Mehrheit der befragten Eegierungen erteilte, ermöglichte es uns, die Konferenz auf den 1. Juli 1929 nach Genf einzuberufen. Sie wurde von Herrn Bundespräsident Ha ab in Gegenwart der kantonalen und städtischen Behörden Genfs eröffnet.

Von den dreiundsechzig Ländern, die an einem der beiden Genfer Abkommen beteiligt sind (mit Einschluss der britischen Dominien und Indiens, die heute als selbständige Vertragsparteien gelten) haben sich ihrer siebenundvierzig *) an der Konferenz vertreten lassen, während sechzehn **) ihr fernblieben.

Wir hatten als unsere Delegierten bezeichnet: Herrn P. D i n i c h e r t r bevollmächtigten Minister, Chef der Abteilung für Auswärtiges, Herrn C. Hauser, Oberst der Sanitätstruppe, Oberfeldarzt, Herrn A.Züblin, Oberst der Infanterie, Eechtsanwalt in Zürich, Herrn E. de la Harpe, Oberstleutnant der Sanitätstruppe, Arzt in Vevey, und Herrn D. Schindler, Major der Militärjustiz, Professor für Völkerrecht an der Universität Zürich. Den Delegierten wurden ausführliche Instruktionen erteilt.

Die Verhandlungen fanden im Bâtiment électoral statt; sie dauerten vom 1. bis zum 27. Juli. Im Gedanken, der Schweiz als dem Gaststaat und als der Wiege des Boten Kreuzes eine Ehrung zu erweisen, betraute die Konferenz den ersten schweizerischen Delegierten, Herrn Dinichert, mit dem Vorsitz. Sein Vorschlag, Herrn Doude van Troostwijk, ersten Delegierten der Niederlande, wo die beiden Friedenskonferenzen getagt hatten, ?ur Vizepräsidentschaft zu berufen, wurde von der Versammlung ebenfalls einstimmig gutgeheissen.

*) Ägypten, Vereinigte Staaten von Amerika, Australien, Belgien, Bolivien,
Brasilien, Bulgarien, Chile, China, Dänemark, Deutschland, Dominikanische Republik, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Indien, Freistaat Irland, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Kuba, Lettland, Luxemburg, Mexiko, Neuseeland, Niederlande, Nikaragua, Norwegen, Österreich, Persien, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Siam, Spanien, Sudafrika, Tschechoslowakei, Türkei, Ungarn, Uruguay und Venezuela.

Ausserdem waren an der Konferenz vertreten: der Völkerbund, das Internationale Komitee des Roten Kreuzes und der Souveräne Orden der Malteserritter.

**) Afghanistan, Albanien, Argentinien, Costa-Bica, Danzig, Ecuador, Guatemala, Haiti, Honduras, Island, Litauen, Panama, Paraguay, Peru, Salvador, Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken.

255 Die Konferenz tagte in zwei getrennten Kommissionen. Die erste, die das Genfer Abkommen vom 6. Juli 1906 zu revidieren hatte, wurde von Herrn Dinichert geleitet, die zweite, der die Ausarbeitung der Kriegsgefangenenordnung oblag, von Herrn Harald Scavenius, dem ersten Delegierten Dänemarks, Die zweite Kommission teilte sieh wiederum in zwei Unterausschüsse ; in dem einen führte Herr Hugh R. Wilson, Gesandter der Vereinigten Staaten von Amerika in der Schweiz, den Vorsitz, in dem andern Sir Horace Eumbold, Botschafter Seiner Britischen Majestät in Deutschland. Als Generalsekretär amtete Herr Paul Des Gouttes, Mitglied des Internationalen Komitees des Boten Kreuzes.

Am 27. Juli 1929 wurden unterzeichnet: 1. das Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde, 2. das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen und 8. die Schlussakte der Konferenz, und zwar alle drei Urkunden von den Vertretern von achtunddreissig Ländern. Diesen haben sich innerhalb der für die Unterzeichnung vorgesehenen Frist, d. h. bis zum 1. Februar 1980, die neun übrigen an der Konferenz vertretenen Länder angeschlossen. Es ist dies eine seltene Einmütigkeit, und wir haben alle Ursache, uns ihrer zu freuen.

Die gedruckten Sitzungsprotokolle der Konferenz und der beiden Kommissionen sowie die allgemeinen Berichte zur revidierten Genfer Konvention und zum Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen, der eine vom ersten Delegierten Beigions, Generalmajor Demolder, der andere von Herrn Professor Werner, Mitglied des Internationalen Komitees des Boten Kreuzes, geben über den Gang der Verhandlungen sehr eingehend Aufschluss. Wir verweisen auf sie und können uns daher mit einer gedrängten Erörterung der neuen Abkommen begnügen, indem wir die gegenüber dem bisherigen Eechtazustande verwirklichten Fortschritte hervorheben.

Die Revision der Genfer Übereinkunft vom 6. Juli 1906.

Das neue Genfer Abkommen vom 27, Juli 1929 ist durchaus als Bevision der Übereinkunft von 1906 zu betrachten. Der Aufbau des Abkommens ist gleich geblieben; die Artikel folgen in der gleichen Ordnung aufeinander und bilden zumeist auch den Gegenstand der nämlichen Kapitel. Man hätte meinen sollen, dass nach einem Kriege ohnegleichen, in dem das Genfer Abkommen zum ersten Male in seinem ganzen Umfange zur Anwendung
gelangt war, eine völlige Umarbeitung der geltenden Bestimmungen unabweislich sein würde. Das Abkommen hat aber dem Anstürme siegreich standgehalten, der vier Jahre lang die Welt erschütterte, und so kam es, dass, abgesehen von einigen wichtigen Neuerungen, die Bevisionsarbeiten zur Hauptsache darauf abzielten, die Art und Weise der Verwirklichung des einen oder andern Grundgedankens zu ändern oder zu erweitern. Die Erklärung dafür liegt zur Hauptsache in folgendem.

256 Vor allem war die Übereinkunft von 1906 ihrerseits schon das Ergebnis einer sehr gründliehen Eevision des Abkommens von 1864 gewesen, und sie hatte bereits den vielfachen Erfahrungen Rechnung getragen, die mit diesem letisteren in mehreren Kriegen gesammelt worden waren. Das bemerkenswerte Werk von 1906 war eigentlich mehr als eine blosse Eevision gewesen; es hatte das ursprüngliche Gebäude in kräftigerem Stile und nach geordneterem Plane neu aufgebaut und ergänzt.

Andererseits bestimmt das Genfer Abkommen selber das Hilfswerk zugunsten der Verwundeten und Kranken auf dem Schlachtfelde nur in seinen Grundzügen. Es besteht vorwiegend aus grundsätzlichen Erklärungen und tritt weniger auf Einzelheiten ein, ist darum auch weniger dem Wandel unterworfen als Ausführungsbestimrnungen es wären. Und in der Tat haben sich die Leitgedanken, die den wesentlichen Massnahmen zugrunde lagen, mit denen schon dio beiden ersten Abkommen die Erfüllung der Gebote der Nächstenliebe zwischen Kriegführenden ermöglichen wollten, seit 1906 kaum geändert. Der Anwendungsbereich dieser Bestimmungen ist es, der sich fort-während erweitert hat.

Angesicht dieser Tatsachen hat man sich gefragt, was die Begierungen bewogen haben möge, den Vorschlag einer Eevision des Genfer Abkommens von 1906 so günstig aufzunehmen. Man "wird kaum fehlgehen, wenn man annimmt, dass ihnen dieser Vorschlag zum Teil auch den willkommenen Anlass bot zu einer Kundgebung zugunsten des Genfer Werkes. Das Interesse, das der Eevision entgegengebracht worden ist, lässt sich nicht allein nur auf den Nutzen einer.

Anpassung des Vertragstextes an die heutigen Anforderungen zurückführen, sondern ebensosehr auf ein eigentliches Bedürfnis der Völker, sich nach den Schrecknissen des Krieges von neuem zu den Grundsätzen der Menschlichkeit zu bekennen.

Hat man somit davon abgesehen, das Abkommen von 1906 umzuarbeiten, so ergab sich doch aus der sehr gründlichen Prüfung, der es von der Konferenz unterzogen wurde, dass die gegenwärtige Passung gewisser Ergänzungen und Verbesserungen bedurfte und dass es zweckmässig sein würde, einzelne Bestimmungen schärfer zu fassen, um jeden Zweifel über die richtige Auslegung auszuschalten.

Die wichtigste Neuerung besteht in der Ausdehnung des Schutzes des Abkommens auf die Sanitätsluftfahrzeuge, die zum Transport von
Verwundeten und Kranken oder zur Beförderung des erforderlichen Sanitätsmaterials dienen. Die Konferenz war der Auffassung, dass das Abkommen von 1929 an einem so hervorragenden Transportmittel nicht vorbeigehen dürfe; sie hat aber dieses neue Gebiet nur mit äusserster Vorsicht betreten und bloss einige allgemeine Grundsätze festgehalten sowie in der Sohlussakte dem Wunsche Ausdruck gegeben, dass der Gegenstand später ausführlich geregelt werde.

Ausserdem ist in das Abkommen eine Bestimmung neu aufgenommen worden, die ihm gewissermassen das Siegel der Konferenz aufdrückt. Es ist dies das Versprechen der Vertragsparteien, bei Streitigkeiten über die Beob-

257 achtung ihrer Vertragspflichten zu einer Untersuchung internationalen Charakters Hand zu bieten und jeder gehörig festgestellten Verletzung unverzüglich ein Ende zu hereiten.

* * Wie bereits erwähnt, ist die allgemeine Anlage des neuen Abkommens dieselbe geblieben wie in der Fassung von 1906.

Das erste Kapitel handelt von den Verwundeten, Kranken und Toten.

Das zweite befasst sich mit den Sanitätsformationen und -anstauen im allgemeinen; die Bestimmungen, die das Personal im besondern betreffen, sind im dritten Kapitel enthalten und diejenigen über die Gebäude und das Material im vierten. Die sanitätsdienstlichen Evakuationen werden durch die zwei Artikel des fünften Kapitels geregelt. Das sechste Kapitel ist dem Erkennungszeichen gewidmet, das die Sanitätsformationen und -anstalten sowie die Personen und das Material schützen soll, denen dag Abkommen zugute kommen will. Im siebenten Kapitel sind die Bestimmungen über die Anwendung und Durchführung des Abkommens enthalten und im achten diejenigen, die sich auf die Unterdrückung von Missbräuchen und Zuwiderhandlungen beziehen.

Schliesslich folgen die Bestimmungen protokollarischen Charakters.

Das erste Kapitel regelt die Behandlung, die den verwundeten und kranken Militärpersonen und andern den Heeren dienstlich zugeteilten Personen im Felde sowie den Toten zuteil werden soll; es bildet, wie schon im Texte von 1906, die eigentliche Grundlage des Abkommens. Hier ist auch mit der Eevision der Anfang gemacht worden.

Wie der Artikel l zum vornherein bestimmt, sollen die Verwundeten und Kranken nicht bloss «geschont und gepflegt», sondern «unter allen Umständen geschont und geschützt», sowie «mit Menschlichkeit behandelt und gepflegt» werden. Mit dieser Ergänzung des Textes wollte man den in Frage stehenden Personen möglichst umfassenden Schutz gewährleisten.

Dieser Schutz vorbehalten, werden die in die Gewalt der Gegenpartei gefallenen Verwundeten und Kranken zu Kriegsgefangenen, und die allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätze über die Kriegsgefangenschaft finden auf sie Anwendung (Art. 2, Abs. 1). Indessen bleibt es «den Kriegführenden unbenommen, über die bestehenden Verpflichtungen hinaus die ihnen angemessen scheinenden Abmachungen zugunsten der verwundeten und kranken Gefangenen zu treffen» (Art. 2, Abs. 2). In diesem Absatz ist die
frühere Aufzählung der Fälle, über die derartige Vereinbarungen namentlich zu schliessen wären, weggelassen worden, weil diese Aufzählung, die 1906 beispielshalber und als Ansporn gegeben worden war, heute als überflüssig und überholt gelten kann.

Einerseits ist während des letzten Krieges der Abschlues derartiger Vereinbarungen bei den Kriegführenden kaum noch auf grundsätzlichen Widerstand gestossen und andererseits sind gewisse dieser Sonderrechte und Vergünstigungen nun als verbindliche Bestimmungen im Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen enthalten.

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Die Gegenstände der Artikel 8 und 4 sind in besserer Anordnung auf diese beiden Artikel verteilt worden, als das im Abkommen von 1906 der Fall ist.

Der Artikel 8 bezieht sich auf die Verwundeten, Kranken und Toten auf dem Scblachtfelde, während Artikel 4 die hauptsächlichsten Formalitäten regelt, die nach ihrer Bergung zu erfüllen sind: Identifizierung der Personen, wenn möglich ärztliche Leichenschau, Ausstellung von Todesscheinen, Beerdigung, Wiederausgrabung, Gräberdienst usw.

Der erste Absatz des ehemaligen Artikels 8 ist in den neuen Artikel 8 hinübergenommen und in dem Sinne berichtigt worden, dass die Aufsuchung der Toten ebenso vorgesehen wird, wie die der Verwundeten. Dieser Absatz, der von der das Schlachtfeld behauptenden Partei verlangt, dass sie die Liegengebliebenen aufsuche und gegen Beraubung und Misshandlung schütze, trägt der moralischen Verpflichtung Rechnung, die Kämpfenden zu beruhigen, welche die Verwundung und die Leiden in die Unmöglichkeit versetzen, sich gegen Plünderer zu verteidigen oder um Hilfe zu rufen. Der zweite Absatz des Artikels 3 in der Fassung von 1906 ist dem neuen Artikel 4 einverleibt und im Artikel 3 durch eine Bestimmung ersetzt worden, wonach, «so oft die Umstände es gestatten, ein örtlicher Waffenstillstand oder eine Unterbrechung des Feuers vereinbart werden» soll, «um die Bergung der zwischen den Linien gebliebenen Verwundeten zu ermöglichen». Im Weltkriege waren die Schlachtfelder nach dem Kampfe gewöhnlich in der Gewalt des einen der Kriegführenden geblieben; ihm lag es ob, sich der Verwundeten und Toten anzunehmen. Aber häufig blieb doch zwischen den Linien «Niemandsland», wo kerne der Kampfparteien, ohne sich den grössten Gefahren auszusetzen, den Zurückgelassenen Hilfe bringen konnte. Inskünftig wird die Möglichkeit bestehen, dieses Werk der Barmherzigkeit zu erfüllen.

Der Artikel 4 ist dem Gegenstande nach nicht neu; seine Tragweite ist aber durch die Beifügung einiger zusätzlicher Massnahmen beträchtlich erweitert worden. Angesichts der ausserordentlichen Schwierigkeiten, auf die während des Krieges und in der Nachkriegszeit die Auskunftsstellen bei ihren Nachforschungen gestossen sind, und eingedenk all der Bangigkeit, die den Angehörigen der Verwundeten, Gefallenen oder Vermissten aus verspäteten oder unrichtigen Nachrichten erwuchs, lag
der Konferenz daran, möglichst ausführliche Bestimmungen aufzunehmen, die namentlich die Identifizierung der Verwundeten und Gefallenen sowie der Grabstätten gewährleisten sollen.

Was diesen letztern Punkt anbelangt, so muss zu Beginn der Feindseligkeiten von Amtes wegen ein Gräberdienst eingerichtet werden.

Der Artikel 5 sieht die Gewährung gewisser Erleichterungen an die Einwohner vor, die sich der Verwundeten mildtätig angenommen haben. Er ist die Wiedergabe des entsprechenden Artikels aus dem Abkommen von 1906, mit der einzigen Änderung, dass das Wort «Vergünstigungen» («immunités») durch das verständlichere «Erleichterungen» («facilités») ersetzt wurde.

Das zweite Kapitel, dasjenige über die «Sanitätsformationen und -anstalten», schliesst sich auch der Bedeutung nach dem ersten unmittelbar an,

259 da es sich mit dem Schutze befasst, der allgemein den Sanitätsformationen und -anstalten, als Ganzes betrachtet, bestehend aus den Verwundeten, den Kranken, dem Personal, dem Material, den Gebäuden und Transportmitteln, zu gewähren ist. Von den drei Artikeln 6, 7 und 8, die auch schon im Abkommen von 1906 das zweite Kapitel bildeten, schienen die beiden ersten hinreichend klar, um unverändert übernommen werden zu können. Was den Artikel 8 anbelangt, der die Fälle aufzählt, wo trotz der Anwesenheit von bewaffnetem Personal und dem Vorbandensein von Waffen und Munition die Sanitätsformationen und -anstalten den vom Abkommen gewährten Schutz weiter gemessen, so sieht Ziffer 3 vor, dass es sich um Handwaffen und «Munition» (statt «Patronen») handeln muss, während die Ziffer 4 eine Neuerung ist.

Sie bestimmt, dass eine Sanitätsformation oder -anstalt auch dann des Schutzes nicht verlustig geht, wenn sich Personal und Material des Veterinärdienstes in einer solchen Formation oder Anstalt befinden sollten, ohne aber im eigentlichen Sinne Bestandteil derselben zu sein. In gewissen Heeren, u. a. in dem der Vereinigten Staaten von Amerika, schliessen sich nämlich die Veterinärformationen unmittelbar an die Sanitatsformationen an, ohne indessen im organischen Aufbau dieser letztern Inbegriffen zu sein ; sie sind jedoch dem Sanitätsdetachemente zugeteilt.

Dag dritte Kapitel handelt von dem Schutze, der dem Sanitätspersonal --· dem Personal des amtlichen Sanitätsdienstes (Art. 9), den von ihren Eegierungen gehörig anerkannten und ermächtigten freiwilligen Hilfsgesellschaften (Art. 10) und den anerkannten Gesellschaften neutraler Länder (Art. 11) -- zu gewähren ist. Es setzt die auf dieses Personal anwendbaren Massnahmen fest, sowohl für den Fall, wo es auf dem Schlachtfelde steht, als auch für den, dass es in die Gewalt der Gegenpartei fällt (Art. 9, 12 und 13).

Das entsprechende Kapitel der Übereinkunft von 1906 ist von der Konferenz eingehend geprüft worden und hat mehrere ziemlich wichtige Änderungen erfahren.

Der erste Absatz des Artikels 9, der dem in Betracht fallenden Personal Schutz und Achtung zusichert, gibt den Text von 1906 ohne Änderung wieder.

Dagegen ist der ehemalige Absatz 2 aufgehoben worden, der die Unantastbarkeit des bewaffneten Bewachungspersonals der Sanitätsformationen und
-anstalten gewährleistete, auch wenn es nicht zum Sanitätspersonal gehörte; der Grund dafür ist der, dass zu leicht Missbrauoh getrieben werden konnte durch die Zuteilung unverhältnismässig starker Streitkräfte zu diesem Bewachungsdienst, um sie vor der unmittelbar drohenden Gefangennahme zu bewahren.

An die Stelle dieser Bestimmung, die sich übrigens in der praktischen Anwendung nahezu als undurchführbar erwiesen hat, ist eine neue Vorschrift getreten, die vorsieht, dass den als Hilfskrankenwärter oder Hilfskrankenträger zur Bergung, zum Transport und zur Pflege von Verwundeten und Kranken verwendeten Militärpersonen die gleiche Behandlung zuteil werden soll wie dem gewöhnlichen Sanitätspersonal, wenn sie zu diesem Dienste besonders ausgebildet worden sind, einen Personalausweis besitzen, der ihre derzeitige Verwendung als Hilfsträger oder -werter bezeugt, und

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wenn sie schliesslich in Ausübung dieser Verrichtungen gefangen genommen werden.

Der Artikel 10, der die von ihren Eegierungen gehörig anerkannten und ermächtigten freiwilligen Hilfsgesellschaften betrifft, weist gegenüber der Fassung von 1906 bloss die Abweichung auf, dass das Personal dieser Gesellschaften nur insofern dem militärischen Sanitätspersonal gleichgestellt ist, als es zu den gleichen Verrichtungen verwendet wird. Durch diese Einschränkung will man das Personal der genannten Gesellschaften ausnehmen, dessen Aufgabe im Armeeverband ausschliesslich nur in der materiellen und moralischen Fürsorge für die Truppen besteht.

Der Artikel 11, der sich auf die von Hilfsgesellschaften neutraler Länder einem der Kriegführenden gewährte Hilfe bezieht, ist von dem von 1906 nicht verschieden.

Der Artikel 12 regelt die Stellung des Sanitätspersonals, das in die Gewalt der Gegenpartei gefallen ist ; er hat den Text von 1906 mit verschiedenen, durch die Erfahrung im letzten Kriege veranlassten Umgestaltungen übernommen. In ihrer neuen Fassung setzt die Vorschrift fest, dass das in den Artikeln 9,10 und 11 erwähnte Personal nicht zurückgehalten werden darf; es ist zu dem Kriegführenden zurückzuschicken, zu dem es gehört, sobald ein Weg für seine Bückkehr offensteht und die militärischen Erfordernisse es zulassen. Bis zu seiner Bticksendung setzt es seine Verrichtungen unter der Leitung des Gegners, nicht aber unter seinem Befehle fort, da es ja nicht in Kriegsgefangenschaft steht. Es ist ausserdem während dieser Wartefrist vorzugsweise für die Bedürfnisse der Verwundeten und Kranken des Kriegführenden, dem es angehört, zu verwenden. Diese letztere Bestimmung, die neu ist, könnte als ein Einbruch in einen der wesentlichen Grundsätze des Abkommens erscheinen, wonach den Verwundeten ohne irgendwelche Kücksicht auf die Staatsangehörigkeit Hilfe zu bringen ist. Es entspricht jedoch gleichfalls einer Forderung der Menschlichkeit, dass die zurückgehaltenen Sanitätspersonen ihre Verrichtungen vor allem für ihre eigenen Landesangehörigen und Verbündeten fortsetzen können. Der Ausdruck «vorzugsweise», der eingefügt worden ist, trägt dem Falle billige Bücksicht, wo keine oder nur eine geringe Zahl von eigenen Landesangehörigen und Verbündeten zu pflegen wären.

Der Artikel 18, welcher die Bezüge des in Feindeshand
gefallenen Sanitätspersonals regelt, hat zwar einige Zusätze erfahren, ist aber dem Grundgedanken nach gleichgeblieben.

Im vierten Kapitel ist die frühere Überschrift «Sanitätsmaterial» durch «Gebäude und Sanitätsmaterial» ersetzt worden, da gewisse Bestimmungen des Kapitels in der neuen, wie übrigens bereits in der früheren Fassung auch die Gebäulichkeiten betreffen.

Die drei Artikel im neuen Kapitel IV bestimmen die Grundsätze, die einerseits auf alle beweglichen Sanitätsformationen irgendwelcher Art und andererseits auf die Gebäulichkeiten sowie auf das Material der stehenden Sanitätsanstalten Anwendung finden sollen, wobei jedoch ein Unterschied gemacht wird, je

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nachdem die Gebäude und das Material dem Heeressanitätsdienst oder den HUfsgesellschaften gehören. Die Vorschriften über die beweglichen Sanitätsformationen (Art. 14) sind die nämlichen geblieben wie die von 1906, desgleichen auch diejenigen über die Gebäulichkeiten und das Material der stehenden Heeressanitätsanstalten (Art. 15).

Dagegen ist der Artikel 16 anders gefasst worden, um verschiedene Auslegungen über die besondere Rechtsstellung, die nicht nur dem Material, sondern auch den Gebäulichkeiten der Hilfsgesellschaften zugute kommen soll, ein für allemal auszuschalten; beides ist als Privateigentum zu behandeln und als solches zu beschützen, unter Vorbehalt des Eequisitionsrechtes, das einerseits auf die Fälle dringender Notwendigkeit beschränkt ist und andererseits auch seine Schranken findet in der Pflicht, für das Los der Verwundeten und Kranken zu sorgen.

Die Überschrift «Des convois d'évacuation», die das Abkommen von 1906 dem f ü n f t e n Kapitel gegeben hatte, ist durch die weniger enge Umschreibung «Des transports sanitaires», «Sanitätstransporte», ersetzt worden. Denn der moderne Krieg kennt neben den Sanitätszügen zur Hauptsaohe nur noch Einzel transporte. Andererseits umfasst das neue Kapitel V nicht ausschliesslich nur Verwundeten- und Krankentransporte, sondern auch solche von Personal und Material. Zudem erstreckt sich die nunmehrige Überschrift auch auf die neuen Bestimmungen über das Sanitätsflugzeug, so dass es dafür keines eigenen Kapitels bedurfte.

Die Gründe, welche die Konferenz veranlassten, die Kapitelüberschrift zu ändern, haben logischerweise auch zu einer Umgestaltung des Artikels 17 geführt. Gemäss Absatz l und 2 werden die für sanitätsdienstliche Evakuationen eingerichteten Fahrzeuge auch weiterhin wie bewegliche Sanitätsformationen behandelt; sie können somit in analoger Anwendung von Artikel 14 vom Kriegführenden, der sie abfängt, für die Bedürfnisse des eigenen Sanitätsdienstes verwendet werden. Aber um Missbräuche zu verhindern, ist vorgeschrieben worden, dass diese Benutzung auf denjenigen Abschnitt des Schlachtfeldes beschränkt bleiben müsse, wo die Fahrzeuge weggenommen wurden.

Im dritten Absatz ist man vom Text von 1906 insofern abgewichen, als das Personal, das den Transport leitet, auch inskünftig der Vorzugsstellung teilhaftig bleibt, die auf Grund
von Artikel 9, Absatz I, dem Sanitätspersonal zugesichert ist, nicht aber die Bewachungsmannschaft, und zwar mit Rücksicht auf die Missbräuche, die sich aus der übermässigen Erhöhung des Mannscbaftsbestandes für diesen Dienst ergeben könnten.

Der Artikel 18, der in Erwartung einer spätem, vollständigeren Regelung jetzt schon die Grundzüge der Ordnung festsetzt, welche für die Sanitätsluftfahrzeuge gelten soll, ist völlig neu; er bildet die bemerkenswerteste Neuerung des revidierten Abkommens. Der Gegenstand war schon verschiedentlich an internationalen Zusammenkünften zur Behandlung gekommen, vor allem an denjenigen, die unter den Auspizien des Roten Kreuzes 1928 und 1925 in

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Genf und 1928 im Haag abgehalten worden waren, sowie am ersten internationalen Kongress für Sanitätsluftfahrt in Paris, im Mai 1929. Das Internationale Komitee hatte ausserdem, gestützt auf eine Entschliessung der XII. internationalen Botkreuzkonferenz, dem Bundesrate beantragt, die Frage als neuen Punkt der Tagesordnung für die geplante Konferenz hinzuzufügen. Eine solche Erweiterung des Programma wäre aber nur möglich gewesen auf Grund einer neuen vorgängigen Anfrage bei den Eegierungen, und eine solche hätte notwendigerweise viel Zeit beansprucht. Um den Zusammentritt der Konferenz, deren Einberufung ungeduldig erwartet wurde, nicht hinausschieben zu müssen, verzichtete der Bundesrat darauf, diesen Gegenstand ausdrücklich auf die ohnehin umfangreiche Tagesordnung zu setzen. Auch schien es ihm, dass die verwickelten und heiklen Fragen, welche durch die Einräumung besonderer Befreiungen zugunsten dieser neuen Transportmittel aufgeworfen werden, noch reiflicher Prüfung bedürften.

Die Konferenz war jedoch der Ansicht, dass sie die Genfer Übereinkunft nicht revidieren dürfe, ohne auch für diese wichtige Erscheinung zum mindesten vorläufig gewisse Bechtsregeln aufzustellen; sie liess sich dabei von den in diesem Sinne durch die Begierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreichs und Grossbritanniens eingereichten Vorschlägen leiten. Indessen gab sie sich Bechenschaft darüber, dass sie sich nicht darauf einlassen konnte, die Frage in allen ihren Einzelheiten erschöpfend zu regeln und damit für den Luftkrieg das zu tun, was im Haag für den Seekrieg getan worden war. Statt einfach die Ausarbeitung eines internationalen Statuts für die Sanitätsluftfahrt auf unbestimmte Zeit zu verschieben, zog sie es vor, in das Abkommen einige Bechtsregeln aufzunehmen, um den Schutz, den die übrigen Sanitätstransportmittel gemessen, auch auf die Luftfahrzeuge auszudehnen. Aus dieser Auffassung heraus hat die Konferenz die eingereichten Anträge in einem einzigen Artikel zusammengefasst, um sie nicht auf die verschiedenen Kapitel verteilen zu müssen, je nachdem es sich um das Personal, das Material, das Luftfahrzeug selber oder die Flugbedingungen gehandelt hätte. Sie hat diesen Artikel in das Kapitel über die Sanitätstransporte eingefügt und so den Einwänden entgegenzutreten versucht, denen das Sanitätsflugzeug
begegnet, indem man ihm vorwirft, dass es in Kriegszeit zum Beobachtungsflugzeug umgewandelt werden könne. Das neue Sanitätstransportmittel ist als «Luftfahrzeug» («appareil aérien») bezeichnet worden, weil diesem Begriff allgemeinere Bedeutung zukommt s 1s dem des «Flugzeuges» («avion»), das die andern Lufttransportmöglichkeiton ausschh'esst, oder gar dem des «Luftschiffes» («aéronef»), worunter meist nur die lenkbaren Luftschiffe verstanden werden.

Der Artikel 18, Absatz l, bestimmt, dass das Luftfahrzeug den Schutz des Abkommens nur während der Zeit geniesst, wo es ausschliesslich zu Zwecken der Evakuation Verwundeter und Kranker sowie der Beförderung von Sanitätspersonal und -material Verwendung findet.

Der zweite Absatz setzt die Mittel fest, die dazu dienen, das Sanitätsluftfahrzeug von einem Militärapparat zu unterscheiden : Es ist weiss bemalt

263 und trägt, deutlich sichtbar, auf den untern und obern Tragflächen neben den Landesfarben das Schutzzeichen des Abkommens. Somit ist nach dieser Vorschrift nicht erforderlich, dass ein Luftfahrzeug dauernd den Sanitätstransporten diene. Das Verkehrsflugzeug, das für den Sanitätsdienst Verwendung findet, wird geschützt, vorausgesetzt, dass es weiss bemalt und mit dem roten Kreuz versehen ist. Der Schutz fällt weg, sobald der Anstrich ändert.

Der dritte Absatz behandelt die sehr heikle Frage des Überfliegen« des Schlachtfeldes. Die Konferenz hätte sie den Armeestäben überlassen können; sie hätte auch die Wahl gehabt, den Fahrzeugführern das Überfliegen der Feuerlinie auf eigene Gefahr anheimzustellen. Beide Auswege schienen ihr aber unerwünscht zu sein, der erste, weil er jede Begelung dieses Gegenstandes in Frage stellte, der zweite, weil er den Fahrzeugführern zu grossen Spielraum gewährt und zudem die Truppen ermächtigt hätte, gewissermassen systematisch auf das Schutzzeichen des Boten Kreuzes zu schiessen, womit eine sehr bedauerliche Lage geschaffen worden wäre.

Die Konferenz hat sich für eine dritte Lösung entschieden, für die Ausschliessung des Überfliegens gewisser Kampfzonen, und sie hat zu diesem Zweck eine Formel gefunden, die geeignet zu sein scheint, den militärischen Konunandostellen wie den Sanitätsverwaltungen Genüge zu leisten. Ohne besondere Bewilligung ist es verboten, die Feuerlinie und die vor den Hauptverbandplätzen gelegene Zone, sowie allgemein jedes feindliche oder vom Feinde besetzte Gebiet zu überfliegen. Vom sanitätstechnischen Gesichtspunkt aus ist die Aufgabe des Luftfahrzeuges nun klar umschrieben. Es ist nicht dazu bestimmt, wie man früher zuweilen anzunehmen geneigt war, die vorderste Zone zu durchforschen und nach den nicht geborgenen Verwundeten abzusuchen; es soll nur ein Mittel zum Abtransport sein. Auf dem Schlachtfeld ist die Verwendung des Sanitätsflugzeugs zugunsten der Schwerverletzten vorbehalten, deren Zustand einen sofortigen Eingriff erfordert. Das Luftfahrzeug mu?s sich also bei den Verbandplätzen aufstellen, wo die chirurgische Auslese vor sich geht. Da diese Posten zumeist zehn bis fünfzehn Kilometer hinter der Feuerlinie liegen, ist das Überfliegen somit bis dahin zulässig.

Der vierte Absatz verpflichtet das Sanitätsluftfahrzeug, auf jede
Aufforderung hin zu landen, womit einem unabweislichen militärischen Erfordernisse Bechnung getragen wird.

Die Absätze 5 und 6 regeln das Schicksal des Luftfahrzeuges und seiner verschiedenen Insassen im Falle einer aufgezwungenen oder zufälligen Landung auf feindlichem oder vom Feinde besetztem Gebiete. Die Verwundeten und Kranken, das Sanitätspersonal und -material, mit Einschluss des Sanitätsfahrzeuges, gemessen die Vergünstigungen des Abkommens. Was die Fahrzeugführer, das Hilfspersonal und das Personal des Funkdienstes anbelangt, so werden sie unter der Bedingung zurückgeschickt, dass sie bis zum Ende der Feindseligkeiten nur noch im Sanitätsdienste verwendet werden. Sie werden

264 also andere behandelt als die gesamte übrige Geleitmannschaft der Sanitätstransporte (Führer der Ambulanzautomobile usw.).

Das sechste Kapitel befasst sich mit dem Erkennungszeichen, unter dessen Schutz das Personal und das Material, auf die das Abkommen anwendbar sein will, unter allen Umständen sicher sein sollen.

Der Artikel 19, Absatz l, gibt den Artikel 18 des Abkommens von 1906 wieder.

Das durch Umstellung der eidgenössischen Farben gebildete rote Kreuz auf weissem Grunde wird als Erkennungszeichen des Heeressanitätsdienstes beibehalten.

Die Konferenz glaubte indessen vom Grundsatze der Einheitlichkeit des Schutzzeichens eine Abweichung zulassen und ausnahmsweise auch dem Zeichen des roten Halbmondes sowie dem des roten Löwen mit roter Sonne die nämliche Bedeutung neutraler und charitativer Tätigkeit zuerkennen zu sollen wie dem roten Kreuze zugunsten derjenigen Länder (Ägypten, Türkei und Persien), die sich ihrer bisher schon bedient hatten (Art. 19, Abs. 2). Ihre ausdrückliche Erwähnung im Texte des Abkommens entspricht einem von diesen Ländern geäusserten Wunsche wie auch den Gefühlen des Dankes gegenüber den Organisationen, die während des Weltkrieges unter diesem Zeichen eine grosse Zahl von verwundeten und kranken Christen gepflegt haben. Die Konferenz war der Ansicht, dass es nicht wohl angehe, der mohammedanischen Welt den Gebrauch eines Zeichens aufzudrängen, dem sie -- zu Eecht oder zu Unrecht --· eine religiöse Bedeutung beimessen zu sollen glaubt, und ihr zu verbieten, sieb, eines Symbols zu bedienen, das ihr vertraut ist, wenn die Tätigkeit, die sie unter seinem Schutz entfaltet, aussohliesslich humanitärer Natur ist.

Der Artikel 20, der die Frage regelt, wo das Abzeichen angebracht werden soll, gibt den Artikel 19 des Abkommens von 1906 wörtlich wieder.

Im Artikel 21 ist die Eede von den Abzeichen und Schriftstücken, mit denen das Sanitätspersonal versehen sein muss, um sich über seinen Anspruch auf Schutz auszuweisen. Der entsprechende Text von 1906 ist beträchtlich geändert worden.

Der erste Absatz schreibt für das gesamte eigentliche Sanitätspersonal -- gehöre es dem Heeressanitätsdienst, einer nationalen Hilfsgesellschaft oder einer Hilfsgesellschaft aus neutralem Lande an -- das Tragen der Armbinde mit dem Schutzzeichen vor. Das im Artikel 9, Absatz 2, erwähnte
Hilfspersonal ist dagegen nicht ermächtigt, die Armbinde zu tragen, da es sich um Soldaten der Kampftruppen handelt, die nur ausnahmsweise als Krankenträger oder -Wärter tätig sind.

Um die notwendige Garantie zu erhöhen, müssen die mit der Armbinde versehenen Personen ausserdem hinreichende Ausweise über ihre Identität und ihre Eigenschaft als Sanitätspersonen besitzen. Es erschien in dieser Beziehung angezeigt, zwischen dem Militärpersonal und demjenigen der Hilfsgesellschaften zu unterscheiden. Denn das erstere trägt eine Militäruniform, die an sich schon eine Garantie bietet; aussardem ist es jederzeit mit einem Dienstbüohlein oder einem andern amtlichen Schriftstücke versehen, das über

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seine militärische Stellung Auskunft gibt und seine besondern Aufgaben innerhalb des Sanitätsdienstes, seien sie dauernder oder vorübergehender Art, bescheinigt. Das Personal der Hilfsgesellsohaften hat dagegen keine Uniform oder, wenn es eine hat, zum mindesten nicht eine mit militärischem Charakter, d. h. sie schafft nicht mehr als eine blosse Vermutung für die Eigenschaft oder die Herkunft der Person, die sie trägt, und sie gibt weder Gewissheit noch Garantie. Deshalb ist diese Kategorie von Sanitätspersonal, verpflichtet, sich mit einem Personalausweis samt Photographie zu versehen. Man hat sogar die Anwendung des Fingerabdrucks als des sichersten und einfachsten Persönlichkeitsnachweises befürwortet. Aus Gründen der Bücksiohtnahme ist dieser Antrag aber abgelehnt worden.

Im vierten Absatz ist festgesetzt worden, dass die Identitätsausweise vereinheitlicht werden sollen und für die ganze Armee eines Landes das gleiche Aussehen haben müssen. Die Konferenz hat im Verlauf ihrer Erörterungen die Bedeutung anerkannt, die der Tätigkeit der Kommission zur Standardisierung des Sanitätsmaterials, welche in Genf auf die Initiative des Internationalen Komitees des Boten Kreuzes hin tätig ist, gerade auch in dieser Hinsicht zu erfüllen berufen sein kann.

Der Artikel 22 hat die in den Übereinkünften von 1864 und 1906 enthaltene Vorschrift, wonach auf den Sanitätsformationen wie auf den Anstalten neben dem Flaggenabzeichen des Boten Kreuzes auch die Nationalfahne zu hissen sei, nicht mehr in vollem Umfange beibehalten. Beide Zeichen miteinander müssen nur noch auf den stehenden Sanitätsanstalten gehisst werden; für die beweglichen Formationen ist das Hissen der Nationalfahne freigestellt.

Ein neuer Absatz ist hinzugefügt worden, der Gewehr dafür bieten soll, dass die Sanitätsformationen und -anstalten den feindlichen Land-, Luft- und Seestreitkräften deutlich kenntlich gemacht werden, uin so jede Möglichkeit eines Angriffs auszuschalten. Denn heutzutage wäre es nicht mehr angängig, sich wie ehemals bloss darauf zu beschränken, eine Flagge hochzuziehen. Man muss darauf Bedacht nehmen, grosse rote Kreuze auf dem Erdboden, den Dächern, den Wagen der Sanitätsaüge usw. anzubringen. Diese Massnahme ist ausserordentlich wichtig und geht ebensosehr die Armeestäbe wie den Sanitätsdienst an, wobei die Interessen
beider auf diesem Gebiete zuweilen auseinandergehen. Aus diesem Grunde ist bestimmt worden, dass die Vorschrift Nachaohtung nur insoweit beanspruche, als die militärischen Erfordernisse es zulassen.

Der Artikel 28 befasst sich mit dem Sohutzabzeichen der neutralen Sanitätsformationen. Inskünftig werden diese Formationen berechtigt sein, solange sie einem Kriegführenden ihre Dienste leihen, neben dem Flaggenzeiohen der Konvention und dem des Landes, welchem sie unterstehen, auch die eigene Nationalflagge zu hissen. Es sollte damit den Neutralen, die sich an der Hilfeleistung für die Verwundeten und Kranken der Kriegführenden beteiligen, eine Genugtuung gewährt werden.

266 Nach dem Beispiele des Textes von 1906 bringt der Artikel 24, Absatz l, das gesamte sechste Kapitel zusammenfassend, in Erinnerung, dass das Schutzzeichen des Abkommens und die charakteristischen Bezeichnungen «Rotes Kreuz» oder «Genfer Kreuz» -- für die Länder, die sich ihrer bedienen, der rote Halbmond oder der rote Löwe mit roter Sonne --nur zur Verwirklichung des Zweckes gebraucht werden dürfen, zu dem sie geschaffen worden sind. Indessen führt er zwei Ausnahmen ein. Einerseits ermächtigt er die freiwilligen Hilfsgesellschaften, das Schutzzeichen auch für ihre humanitäre Tätigkeit in Friedenszeit zu verwenden. War dieser Gebrauch bisher bloss geduldet, so ist er nun zu einem Bechte für sie geworden. Man könnte meinen, dass die Genfer Übereinkunft mit dieser Bestimmung aus ihrem eigentlichen Eahmen heraustrete, der doch darin besteht, das Los der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde zu regeln. Aber es handelte sich hier darum, einem berechtigten Wunsche der Botkreuzgesellschaften, die ja auch in Friedenszeit ihr wohltätiges und für die Vorbereitung auf ihre eigentliche Aufgabe im Krieg äusserst nützliches "Werk fortsetzen, Rechnung zu tragen. Übrigens haben die Mitglieder des Völkerbundes mit Artikel 25 des Paktes die Verpflichtung übernoaimen, diese Tätigkeit zu fördern und zu begünstigen.

Andererseits ermächtigt der Artikel 24 ganz ausnahmsweise auch Privatpersonen und andere Organisationen als die offiziell anerkannten Hilfsgesellschafteu, sich in Friedenszeiten des Schutzzeichens des Abkommens zu bedienen, um die Stellen kenntlich zu machen, wo sie Bettungsposten einrichten, die ausschliesslich der unentgeltlichen Pflege Verwundeter und Kranker dienen.

Eine solche Verwendung ist nur mit ausdrücklicher Bewilligung einer der nationalen Botkreuzgesellschaften möglich. Damit wollte man diesen Gebrauch des Schutzzeichens zu einem rechtmässigen gestalten; bisher kam er einer Verletzung des Abkommens gleich, wiewohl er unleugbar ein Werk der Nächstenliebe verfolgt, ' Das siebente Kapitel, über die Anwendung und Ausführung dos Abkommens, bringt im Artikel 25 eine bemerkenswerte Neuerung, die für die Verwirklichung der Grundsätze des Boten Kreuzes einen wesentlichen Fortschritt bedeutet. Der Artikel 24 des Wortlautes von 1906 sah vor, dass im Kriegsfalle die Übereinkunft aufhöre, verbindlich
zu sein, sobald eine der kriegführenden Mächte nicht daran beteiligt sei. Im Gegensatze dazu bestimmt der nunmehrige Artikel 25, dass im Kriegsfalle das Abkommen für alle an ihm beteiligten Kriegführenden seine Geltung behält, auch wenn nicht alle Kriegführenden Vertragsparteien sein sollten. Kommt diese Bestimmung somit rechtlich einem offensichtlichen Fortschritte gleich, so dürfte sie dennoch mehr nur von theoretischer Bedeutung bleiben, da ja nahezu alle zivilisierten Länder an den Genfer Übereinkünften beteiligt sind.

In den Artikeln 26 und 27 ist nichts Neues eingeführt worden. Der erste betraut die Oberbefehlshaber der kriegführenden Heere damit, über die Durchführung des Abkommens im einzelnen zu wachen und umschreibt die Aufgabe,, die sie zu erfüllen haben, um in den Fällen, wo im Abkommen nichts vorge-

267 sehen ist, den Grundsätzen des Abkommens Sachachtung zu verschaffen. Der zweite macht es den Eegierungen zur Pflicht, die Truppen und die Bevölkerung über den Inhalt des Abkommens zu unterrichten. Dieser letzteren Bestimmung kommt in unserer Zeit, wo Unterricht und Publizität besonders entwickelt sind, tatsächlich praktische Bedeutung zu; denn eine der besten Garantien für die strikte Beobachtung des Abkommens besteht sicherlich darin, dass die grosse Masse der Soldaten und der Personen, die mit der Armee in Berührung kommen, das Abkommen möglichst gründlich kennen und ihm gleichkam unbewusst Achtung entgegenbringen.

Das achte Kapitel beschäftigt sich mit der Bestrafung von Missbräuchen und Übertretungen, die sich Privatpeisonen und Gesellschaften oder die Vertragsparteien selber etwa zuschulden kommen lassen sollten. Das neue Abkommen hat, wie das von 1906, die Notwendigkeit erkannt, den Missbrauch zu unterdrücken, der in vielen Ländern mit der Verwendung des Botkreuzzeichens zu andern als humanitären Zwecken getrieben wird; es hat ausserdem den Schutz des Zeichens gegen Missbräuche jeder Art ausgedehnt. Die Vertragsparteien verpflichten sich, inskünftig der missbräuchlichen Verwendung nicht nur des Zeichens selbst und der Ausdrücke «Botes Kreuz» und «Genfer Kreuz», sondern auch aller Zeichen oder Ausdrücke, die eine Nachahmung darstellen, Einhalt zu gebieten. Die Erfahrung hatte seit langem gelehrt, dass der Schutz des roten Kreuzes der Ausdehnung in diesem Sinne unbedingt bedurfte. Die Konferenz hat aber in dieser Eichtung noch einen weiteren Schritt getan. Die Schweiz hatte das Begehren gestellt, dass in Anbetracht des bedauerlichen Missbrauchs, der beständig mit dem Schweizerwappen getrieben wird, diesem der gleiche Schutz zuteil werde wie dem roten Kreuze ; damit sollte auch den verwerflichen, auf das Ansehen, welches das Kote Kreuz in der ganzen Welt geniesst, und auf die beim grossen Publikum fast unvermeidliche Verwechslung der beiden Zeichen mit den vertauschten Farben sich gründenden Praktiken wenig gewissenhafter und allzu findiger Unternehmen ein Ende bereitet werden. Die Konferenz hat dieses Begehren für begründet erachtet und gutgeheissen.

Der von der schweizerischen Delegation vorgeschlagene Text hatte folgenden Wortlaut : «Die vertragschliassenden Teile, deren Gesetzgebung
zurzeit nicht schon ausreichend sein sollte, verpflichten sich, die erforderlichen Massnahmen zu treffen oder ihren gesetzgebenden Behörden vorzuschlagen, um jederzeit zu verhindern : a. zum Zwecke, dem Schutzzeichen seinen vollen Wert zu erhalten, dass Privatpersonen oder nach dem gegenwärtigen Abkommen dazu nicht berechtigte Gesellschaften von dem Zeichen oder von den Worten Botes Kreuz oder Genfer Kreuz oder von Zeichen oder Worten, die zu Verwechslungen Anlass geben könnten, Gebrauch machen, mag dieser Gebrauch zu Handelszwecken oder zu irgendeinem andern Zwecke erfolgen;

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6. im Hinblick auf die der Schweiz durch die Annahme der umgestellten eidgenössischen Landesfarben erwiesene Ehrung, dass Privatpersonen oder Gesellschaften vom Wappen der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder von Zeichen, die zu Verwechslungen Anlass geben könnten, Gebrauch machen, sei es als Fabrik- oder Handelszeichen oder als Bestandteil solcher Zeichen, sei es zu einem gegen die guten Sitten verstossenden Zwecke, namentlich wenn dieser Gebrauch irreführen könnte über den Ursprung oder andere Eigenschaften von Erzeugnissen, über die Staatsangehörigkeit des Unternehmens oder über die geschäftlichen Verhältnisse desjenigen, der das Wappen benützt, oder unter Bedingungen, die geeignet sind, das schweizerische Nationalgefühl zu verletzen.

Das unter a vorgesehene Verbot des Gebrauchs von Zeichen und Worten, die zu Verwechslungen mit dem Schutzzeichen oder den Worten Eotes Kreuz oder Genfer Kreuz Anlass geben könnten, sowie das unter b vorgesehene Verbot des Gebrauchs dos Wappens der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder von Zeichen, die zu Verwechslungen Anlass geben könnten, werden von dem Zeitpunkt an wirksam werden, den die Gesetzgebung der einzelnen Staaten festsetzt, spätestens aber fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Abkommens. Bereits von diesem Inkrafttreten an ist es nicht mehr gestattet, ein gegen diese Verbote verstossendes Fabrik- oder Handelszeichen in Gebrauch zu nehmen.» Dieser Text ist, mit etwelchen Änderungen, von der Konferenz angenommen worden. Man hat namentlich die Wendung «die zu Verwechslungen Anlass geben könnten», in der man einen zu subjektiven Massstab sah, ersetzt durch «die eine Nachahmung darstellen».

Die Bestimmungen über das Schweizerkreuz nähern sich stark denjenigen itn Entwurf eines Bundesgesetzes zum Schutz öffentlicher Wappen und anderer öffentlicher Zeichen, der den eidgenössischen Bäten mit Botschaft vom 16. Dezember 1929 vorgelegt worden ist und gegenwärtig bei ihnen in Beratung steht.

Sie füllen die Lücke aus, die für den Schutz unseres nationalen Wahrzeichens noch bestand. Sobald die meisten Länder der Welt ihnen zugestimmt haben, werden sie den Artikel 6ter des 1925 im Haag revidierten Abkommens zum Schutze des gewerblichen Eigentums ergänzen, das bisher erst von fünfzehn Staaten ratifiziert worden ist.

Indessen ist zu bemerken,
dass die Bestimmung des Artikels 28, die den Gebrauch des Schweizerkreuzes verbietet, in ihrer Tragweite dadurch etwelche Einschränkung erleidet, dass sie seitens der Eegierungen der verschiedenen Teile des Britischen Eeiches, mit Ausnahme der Südafrikanischen Union, sowie von Seiten Japans Gegenstand von Vorbehalten ist. Alle diese Eegierungen wollen sie dahin verstanden wissen, dass sich das Verbot nicht auf die Wappen und Zeichen erstrecke, die etwa schon vor dem Inkrafttreten des Abkommens in Gebrauch gewesen sein sollten. Japan hat ausserdem einen Vorbehalt gemacht über den Zeitpunkt der Inkraftsetzung des Verbots. In bezug auf das rote Kreuz ist ferner daran zu erinnern, dass die Marken, die vor dem Inkrafttreten

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des Abkommens von 1906 hinterlegt worden waren, ebenfalls fortbestehen, ausser in Frankreich, wo sie auf Grund eines Gesetzes von 1918 gelöscht wurden.

In Anerkennung der Schwierigkeiten, denen jede Änderung der geltenden Gesetzgebung in den meisten Ländern begegnet, hielt es die Konferenz für notwendig, eine Frist einzuräumen, innerhalb deren die im Artikel 28 vorgesehenen Massnahmen getroffen werden können; sie hat den bereits von der Übereinkunft von 1906 zu diesem Zwecke vorgesehenen fünfjährigen Zeitraum, von der Inkraftsetzung des Abkommens an gerechnet, beibehalten.

Der Artikel 29, über die Massnabmen, die zu treffen sind, um in Kriegszeiten jede Handlung, die gegen das Abkommen verstösst, zu bestrafen, übernimmt dem Inhalte nach die Bestimmungen des entsprechenden Artikels in der Übereinkunft von 1906.

Gänzlich neu ist der Artikel 80. Hier ist auf Grund von Anträgen der deutschen und der französischen Delegation bestimmt worden, dass auf Verlangen eines Kriegführenden und in der von den beteiligten Parteien festzusetzenden Art und Weise über jede behauptete Verletzung des Abkommens eine Untersuchung zu eröffnen sei. Der Artikel verlangt, dass, wenn «die Verletzung einmal festgestellt» ist, «sie von den Kriegführenden möglichst schnell beseitigt und geahndet» werde. Diese Vorschrift verkörpert trotz ihrer etwas unbestimmten Fassung gegenüber dem Texte von 1906, der keinerlei internationale Sanktion vorsah, einen augenscheinliehen Fortschritt. Inskünftig wird bei ·einer Beschwerde eine Untersuchung eingeleitet werden müssen, und der einer Verletzung des Abkommens beschuldigte Kriegführende ist verpflichtet, den behaupteten Vorkommnissen unverzüglich entgegenzutreten, falls sie durch die Untersuchung erhärtet werden. Man darf sagen, dass der Artikel 30, der die folgerichtige Krönung des revidierten Abkommens darstellt, durchaus bezeichnend ist für die Atmosphäre der Befriedung, in der die Bevision durchgeführt werden konnte.

Die in den Artikeln 81 bis 39 enthaltenen Schlussbestimmungen über die Unterzeichnung des Abkommens, die Batifikationen und Beitritte, die Inkraftsetzung und die Kündigung sind hinreichend klar, um der Erläuterung entraten .zu können. Es sind jedoch zwei glückliche Neuerungen hervorzuheben, die für den Fall eines Krieges hier eingeführt worden sind. Gemäss Artikel 87
verleiht der Kriegszustand den von den kriegführenden Mächten vor und seit dem Beginne der Feindseligkeiten hinterlegten Eatifikationen und mitgeteilten Beitrittserklärungen sofortige Wirksamkeit. Im gleichen Sinne wird eine Kündigung des Abkommens nach Artikel 38 nicht wirksam während eines Krieges, in den die kündigende Macht verwickelt ist. In einem solchen Falle bleibt diese Macht bis zum Friedensschlüsse gebunden.

Befriedigt die Eevision des Genfer Abkommens? -- Man darf es behaupten. Die Konferenz hat es durchaus verstanden, die humanitären Forderungen, die dank dem Fortschritte der Gesittung seit 1906 sich Bandesblatt. 82, Jahrg. Bd. II.

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270 erweitert und vertieft haben, in Einklang zu bringen mit den militärischen und rechtlichen Notwendigkeiten, die der letzte Krieg in Erscheinung treten liess. Es handelte sich nicht darum, ein neues Werk zu schaffen, sondern darum, das schon bestehende den heutigen Bedingungen anzupassen durch die Ausmerzung gewisser Vorschriften, deren Durchführung sich nicht als praktisch erwiesen hatte, und namentlich durch die Einfügung anderer unerlässlich oder zum mindesten höchst wünschenswert gewordener Bestimmungen. Diese Aufgabe wurde erfüllt.

Man hätte vielleicht wünschen mögen, dass das neue Abkommen nachdrücklichere Sanktionen vorsähe und dass auf Einschränkungen wie «so oft die Umstände es zulassen» oder «wenn die militärischen Notwendigkeiten es erfordern» hätte verzichtet werden können. Die neuen Bestimmungen scheinen aber doch das Maximum dessen zu sein, was zurzeit der Verwirklichung fähig ist. Statt die Gefahr der nahezu unvermeidlichen Verletzung allzustarrer Vorschriften heraufzubeschwören, schien es angezeigt, den Heerführern die Möglichkeit zu geben, in gewissen Fällen auf die Vorkehrung dieser oder jener humanitären Massnahme zu verzichten, die den durch die Umstände auferlegten militärischen Operationen zuwiderliefe. Der Konferenz lag vor allem daran, die Achtung vor dem Abkommen aufrechtzuerhalten; sie hat die Pflichten der militärischen Führer als Menschen und als Soldaten nicht miteinander in Widerstreit bringen wollen.

Hier ist auch der Ort, zu erwähnen, mit welcher Sorgfalt der geistigen Verfassung Rechnung getragen worden ist, in welcher sich die verschiedenen im Abkommen erwähnten Personen befinden können. Zu wiederholten Malen haben sich längere Erörterungen entsponnen über eine Gewissensfrage oder über besonders dringende moralische Forderungen. Mit diesem höchsten Trachten nach Menschlichkeit Ms in alle Einzelheiten hinein ist das neue Genfer Abkommen ein Beispiel für das Bestreben der heutigen Zivilisation, den Krieg, den völlig auszurotten ihr noch nicht gelungen ist, wenigstens so menschlich als möglich zu gestalten.

Andererseits ist das Genfer Abkommen heute nicht mehr bloss eine für die Kriegszeit berechnete Eechtssatzung; seine Grundsätze greifen auch auf das bürgerliche Leben über. Es ist gewissermassen eine Erklärung der unveräusserlichen Grundrechte des Menschen
für alle die Fälle, wo das gewöhnliche Recht ausser Geltung tritt und die Macht allein noch den Ausschlag gibt. Als erste hat die Genfer Übereinkunft in das Völkerrecht einen Grundsatz eingeführt, welcher der Politik vorgeht, Sie knüpft zwischen den Völkern Bande,, die kein Krieg zerreissen soll. Dia Völker stimmen ihr bei, nicht bloss mit Rücksicht auf eine in ferner Zukunft liegende Kriegsmöglichkeit, sondern ebensosehr als einem Gradmesser ihrer Zivilisation und Solidarität. Die Vervollkommnung des Genfer Abkommens als einer der volkstümlichsten diplomatischen Urkunden der Welt, bedeutet also eine Mehrung des sittlichen, Erbgutes der Menschheit.

271 Die Ausarbeitung eines Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen.

Bei der Ausarbeitung eines Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen hat die Genfer Konferenz es sich angelegen sein lassen, die Grundsätze weiter auszubauen, die den offenbar unzulänglich gewordenen einschlägigen Bestimmungen in der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges (I.Abschnitt, II.Kapitel) zugrunde liegen. Diese Arbeit bot grosse Schwierigkeiten, weil sie an ein Problem, herantrat, für das eine für die ganze Welt berechnete Eegelung neu war und das infolgedessen sehr vielgestaltige Lösungen erforderte, weil diese auf Länder Anwendung finden sollten, die außerordentlich verschieden sind nach ihren Einrichtungen und ihrer Denkweise.

Welches war, im Grunde genommen, der Gegenstand, den eä zu regeln galt? Es handelte sich vorwiegend darum, festzusetzen, welche Pflichten den Vertragsstaaten in Zukunft obliegen wurden, für den Fall, dass sich Kriegsgefangene in ihrer Gewalt befinden sollten, oder -- anders ausgedrückt --darum, das Mindestmaße an Garantien für eine menschliche Behandlung zu bestimmen, das künftighin den Kriegsgefangenen von Seiten der Mächte, in deren Gewalt sie sich befinden, zu gewährleisten ist. Zur Erörterung standen somit die Eegeln, welche die Eechtsstellung des Kriegsgefangenen von seiner Gefangennahme an bis zu seiner Freilassung oder bis zu seinem Tode in Kriegsgefangenschaft beherrschen.

Die Verwirklichung dieses Programms sollte im Schosse der Konferenz bald auf ein erstes Hindernis stossen. An welchem sittlichen oder technischen Kulturstande sollte man die erwähnten Mindestgarantien messen ? An dem des am wenigsten vorgeschrittenen Landes, wo der Gefangene, jedenfalls in gewisser Hinsicht, die ungünstigsten Bedingungen vorfände ? Diese Lösung hätte dazu gefuhrt, den niedrigsten Lebensstand in das Abkommen aufzunehmen.

Das aber konnte nicht die Absicht der Eegierungen sein, noch auch dem Geiste des Fortschritts entsprechen, in dem die Konferenz ihre Aufgabe in Angriff zu nehmen gedachte.

Die Frage fand ihre Lösung zusammen mit jener andern, ihr verwandten, ob im Abkommen alle voraussebbaren Verbältnisse geregelt werden sollten, oder ob es nicht besser sei, sich auf die Verkündung von Grundsätzen zu beschränken, wobei nötigenfalls
immer noch ein ausführlicheres Beglement hätte angefügt werden können. Dieses Règlement wäre nicht Bestandteil des Abkommens gewesen und hätte auch nicht die gleiche Eechtskraft gehabt wie dieses, sondern wurde bloss als Muster für Vereinbarungen gedient haben, welche die Kriegführenden geschlossen hätten, wenn einmal die Feindseligkeiten Tatsache geworden wären.

Zugunsten einer blossen Aufstellung von Grundsätzen sprach die Erwägung, dass ein solches Vorgehen die Verhandlungen der Konferenz wesentlich erleichtert hätte. Über die Grundlagen schien bei allen Delegationen Übereinstimmung zu herrschen. Ausserdem wäre ein Vertrag dieser Art leichter an-

272 ·wendbar gewesen, weil seine allgemeine und anpassungsfähige Fassung es ermöglicht hätte, ihn auch bei grosaer zeitlicher und ortlicher Verschiedenheit ohne Schwierigkeiten auszuführen.

Für die Eegelung aller Einzelheiten wurde das Interesse der Kriegsgefangenen selber und dasjenige der zur Durchführung des Abkommens berufenen Befehlshaber geltend gemacht; den einen wie den andern liegt, bei aller Achtung vor den Grundsätzen, hauptsächlich an den Einzelheiten, vorab an denjenigen, die das tägliche Leben beherrschen. Die einen wollen wissen, -worauf sie Anspruch haben, die andern, welches ihre Pflichten sind. Dagegen erhob man wiederum den Einwand, dass es gewagt wäre, zum voraus Fälle regeln zu wollen, die, -wenn sie überhaupt je eintreten sollten, sich erst in ferner Zukunft ereignen würden, und dass man die Voraussetzungen, unter denen die geplante Ordnung vielleicht zur Anwendung gelange, überhaupt nicht kenne. Man hob ferner hervor, dass es unvorsichtig wäre, zu ausführliche Vorschriften aufstellen zu wollen, weil sie um so eher übertreten würden, je zahlreicher sie wären und je mehr sie sich auf Einzelheiten einliessen.

Diesen beiden Methoden entsprachen auch zwei verschiedene Vorentwürfe für das Abkommen, Der eine war vom Internationalen Komitee des Eoten Kreuzes auf Verlangen der Rotkreuzkonferenz von 1921 ausgearbeitet ^worden. Er trug allen Erfahrungen im Weltkriege Bechnung und berücksichtigte namentlich auch die Bestimmungen, die mehrere kriegführende Staaten in die während der Feindseligkeiten getroffenen Vereinbarungen aufgenommen hatten. Dieser Entwurf hatte in seiner Ausführlichkeit -- er enthielt 103 Artikel -- vielleicht nur den einen Fehler, dass er für gewisse Nebeniragen eine ziemlich genaue Eegelung vorsah.

Der zweite Entwurf, der von der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika vorgelegt wurde, war im Gegensatze zu jenem äusserst knapp gehalten und enthielt nur die Leitgedanken. Er knüpfte an die Haager Ordnung von 1907 an und ergänzte sie durch einige neue, von der Rotkreuzkonferenz von 1921 angenommene Grundsätze.

Von den beiden Entwürfen war übrigens der eine der Ausdruck der angelsächsischen Auffassung mit ihrer Vorliebe für das Gewohnheitsrecht, während der andere die Denkweise des lateinischen Kulturkreises wiederspiegelte, die einer Kodifizierung den
Vorzug gibt.

Die Konferenz beschritt einen Mittelweg. Sie wählte als Verhandlungsgrundlage den Entwurf des Internationalen Komitees, indem sie sich vorbehielt, ihn im Verlaufe der Erörterungen zu kürzen. Sie nahm sich ausserdem vor, die grundsätzlichen Bestimmungen so klar als möglich zum Ausdrucke zu bringen, den Einzelvorschriften dagegen grössere Nachgiebigkeit zu verleihen.

Es handelte sich in der Tat darum, ein Werk zu schaffen, das sich vor allem in der Praxis zu bewähren hätte.

Das blieb aber nicht die einzige Frage nach der besten Art des Vorgehens.

Sollte durch das neue Abkommen das zweite Kapitel der Landkriegsordnung von 1899 und 1907 ausser Kraft gesetzt oder bloss durch eingehendere und

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neue Vorschriften ergänzt werden? Die Konferenz war der Auffassung, dass die Landkriegsordnung, die gewissermassen eine erste Erklärung der Menschenrechte der Kriegsgefangenen und der diesen gegenüber bestehenden Pflichten darstellt, eine genügende Grundlage bilde, tun darauf aufbauen zu können, und dass es unter diesen Umständen angezeigt sei, sie beizubehalten und ihre Grundsätze auszugestalten (Art. 89). Das neue Abkommen hat sich denn auch die Mehrzahl der im ersten Abschnitte der Landkriegsordnung enthaltenen Bestimmungen zu eigen gemacht, sei es, dass es sich darauf berief (Kapitell), sei es, dass es sie in seinen eigenen Text aufnahm, indem es sie ergänzte, insoweit das notwendig war (Kapitel II).

Die Konferenz hat also dem Werke der Brüsseler Konferenz von 1874 und der beiden Haager Konferenzen von 1899 und 1907 volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. In Brüssel wie im Haag, im Haag wie in Genf ist es der nämliche Gedanke, aber jedesmal in vollständigerer und erweiterter Fassung.

Das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen ist in acht Titel eingeteilt, wovon drei ihrerseits eine Einteilung in Abschnitte erfahren haben ; einer von ihnen, derjenige über die Gefangenschaft, zerfällt auch noch in Kapitel. Die meisten Artikel sind hinreichend klar, um eingehende Erörterungen als überflüssig erscheinen zu lassen. Wir werden uns hauptsächlich mit dem ersten Titel befassen; er enthält die allgemeinen Bestimmungen, die für das gesamte Abkommen massgebend sind.

Der Artikel l veranlasste die Konferenz, zwei Fragen zu beantworten: Sollte die neue Kriegsgefangenenordnung selber bestimmen, was unter Kriegsgefangenen zu verstehen sei? Sollte sie nur Anwendung finden auf die Kriegsteilnehmer im Landkrieg oder auch auf andere Militärpersonen sowie auf Zivilpersonen ?

Was die erste Frage anbelangt, so war die Konferenz der Ansicht, dass eine Begriffsbestimmuhg gefährlich sei, weil sie notwendigerweise einer Einschränkung gleichkäme; ausserdem sei die Bedeutung des Ausdrucks bekannt und durch andere Texte bestimmt; sohliesslich laufe man mit einer Begriffsbestimmung die Gefahr, mit diesen Texten in Widerspruch zu geraten. Man beschloss infolgedessen, auf die Artikel l, 2 und 3 der Haager Landkriegsordnung von 1907 zu verweisen, deren Formulierung allgemein anerkannt wird. Damit wäre jedoch
offenbar nur das Los der Gefangenen im Landkriege geregelt worden.

Konnte man aber den im See- oder Luftkriege gefangen genommenen Kriegsteilnehmern die Vergünstigungen des Abkommens vorenthalten? Man hat in dieser Beziehung eingewendet, dass die Verhältnisse im See- und im Luftkriege doch sehr verschieden sind von denjenigen im Landkrieg und dass die Anwendung der hauptsächlich auf den Landkrieg zugeschnittenen Kriegsgefangenenordnung auf neue Kategorien von Gefangenen Schwierig^ keiten biete. Dem hat man indessen sofort entgegengehalten, dass die einzige zulässige Unterscheidung zwischen den einzelnen Arten von Gefangenen diejenige sei, die sich aus der Verschiedenartigkeit der Verhältnisse bei der Gefangennahme ergäben, dass aber die verhältnismässig kurze Zeitspanne zwischen der"

274 Gefangennahme und der Ankunft im Lager es vernünftigerweise nicht rechtfertigen könne, dass man den im See- und im Luftkriege gemachten Gefangenen die Vorteile des Abkommens vorenthalte. Die Konferenz beschloss demgemäss, das Abkommen auch auf diese Gefangenen anwendbar zu erklären, indem sie die durch die verschiedenartigen Verhältnisse bei der Gefangennahme bedingten Abweichungen zuliess; diese Abweichungen dürfen jedoch den Grundsätzen des Abkommens nicht zuwiderlaufen und sie müssen ein Ende finden, sobald die betreffenden Personen ein Kriegsgefangenenlager erreicht haben. Der Artikel l erweitert somit den Eahmen der Haager Landkriegsordnung; es kommt ihm deshalb grosse Bedeutung zu, und er enthält eine der bemerkenswertesten Bestimmungen des Abkommens.

Zu den bereits genannten Personen sind weiter die schon im Artikel 13 der Landkriegsordnung erwähnten hinzuzuzählen; ihnen ist der Artikel 81 der neuen Übereinkunft gewidmet. Es handelt sich um Leute, die ohne den Streitkräften unmittelbar anzugehören, ihnen als Kriegskorrespondenten und Zeitungsberichterstatter, als Marketender und Lieferanten folgen. Sie werden auch fernerhin Anspruch haben auf Behandlung als Kriegsgefangene, wenn sie in die Hand des Gegners geraten und dieser es für zweokmässig erachtet, sie zurückzuhalten, vorausgesetzt, dass sie einen Ausweis der zuständigen Behörden ·der Streitkräfte besitzen, die sie begleiteten.

Auch der Artikel 2 enthält zwei Neuerungen von grosser Tragweite. Die beiden ersten Absätze bestätigen die von der Haager Landkriegsordnung ausgesprochenen Grundregeln, denen zufolge die Kriegsgefangenen der Gewalt der feindlichen Macht unterstehen, nicht aber der Gewalt der Personen und Truppenteile, die sie gefangen genommen haben, und wonach sie mit Menschlichkeit zu behandeln sind. Es ist beigefügt worden, dass sie gegen jede Gewalttätigkeit, Beleidigung oder öffentliche Neugier geschützt werden müssen.

Denn es genügt nicht, dass der Gefangennahmestaat, d. h. seine Offiziere und Soldaten oder seine Beamten mit den Gefangenen menschlich sind; diese müssen auch wirksam bewahrt werden vor der Zudringlichkeit und Feindseligkeit der Menge.

Eine Neuerung bringt der Artikel 2 aber namentlich, indem er die Ergreifung von Vergeltungsmassregeln gegenüber den Kriegsgefangenen verbietet. Dieser Grundsatz war
erstmals 1868 in den bemerkenswerten, die Unterschrift Abraham Lincolns tragenden Instruktionen für die im Felde stehenden Heere der Vereinigten Staaten verkündet worden. Während des Weltkrieges ist die Befolgung desselben zu wiederholten Malen, insbesondere vom Internationalen Komitee des Boten Kreuzes, gefordert worden. Deshalb wurde denn auch das seit so langer Zeit erwartete endgültige Bekenntnis zu diesem grundlegenden Satze mit grosser Genugtuung begrüsst.

Indessen hat die Aufnahme dieses Grundsatzes in die Kriegsgefangenenordnung zu einer lebhaften Erörterung Anlass gegeben. Denn falls ein Kriegführender, der sieh an internationale Verbindlichkeiten nicht mehr für gebunden erachtet, ausgenommen an solche vertraglicher oder gewohnheits-

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rechtlicher Natur, die sich auf die Kriegführung selbst beziehen, die hieraus entspringenden Verpflichtungen gegenüber seinem Gegner verletzt, so kann es vorkommen, dass sich dieser in Ermangelung anderer Mittel, sich Garantien zu verschaffen, zu Vergeltungsmassregeln, vielleicht sogar gegenüber Kriegsgefangenen, veranlasst sieht. Dieses Recht hatte schon das Oxforder Handbuch, das 1880 vom Institut de Droit international angenommen worden war, grundsätzlich anerkannt. Beseitigt man es, so entzieht man gleichzeitig auch dem Kriegführenden ein wirksames, vielleicht das einzige ihm zu Gebote stehende Druckmittel gegenüber dem Feinde.

Aber vom humanitären Standpunkt aus wird man es schwerlich gutheissen können, dass wehrlose Menschen für rechtswidrige Handlungen der Behörden ihres Landes verantwortlich gemacht werden. Der Krieg wird nur von Staat zu Staat geführt und den ihrer Freiheit und ihrer Waffen beraubten Gefangenen ist eine Beteiligung am Kampfe verunmöglicht. Ihre Gefangenschaft verfolgt einzig den Zweck, sie zu verhindern, dass sie an den Feindseligkeiten teilnehmen, und nicht denjenigen, sie dafür zu bestrafen, dass sie ihre Pflicht erfüllt haben. Vom Augenblicke der Gefangennahme an muss jede feindselige Handlung sowohl von Seiten der Gefangenen als auch ihnen gegenüber unterbleiben.

Wenn sich die Konferenz dieser Auffassung anschloss, so hat sie selbstverständlich nicht jegliche Vergeltungsmassregel überhaupt verbieten wollen; denn das wäre über den Eahmen des Abkommens hinausgegangen. Was sie beabsichtigte, war ein Verbot der Bepressalien gegenüber den Kriegsgefangenen ; dagegen hat sie die Frage der Vergeltungsmassregeln anderer Art, zu denen die Staaten gerade vielleicht bei der Verletzung des Abkommens greifen könnten, offen gelassen. Aber man darf hoffen, dass diese Zwangsmassnahmen nur ganz ausnahmsweise zur Anwendung gelangen werden, da die Artikel 86, 87 und 88 des Abkommens die Mittel und Wege vorsehen, um Streitigkeiten über die Anwendung seiner Vorschriften beizulegen.

Artikel 3 enthält ebenfalls eine neue Bestimmung. Er setzt fest, dass die Kriegsgefangenen Anspruch auf Achtung ihrer Person und Ehre haben und fügt bei, dass «Frauen mit aller ihrem Geschlechte schuldigen Rücksicht behandelt werden» sollen. Es mag auf den ersten Blick überraschen, dass hier von Personen
weiblichen Geschlechts die Bede ist. Aber es wäre möglich, dass Frauen an den Kriegshandlungen nicht gänzlich unbeteiligt blieben. Die vom neuen Abkommen übernommenen Artikel 2, S und 18 der Haager Landkriegsordnung von 1907 schliessen in der Tat nicht aus, dass Frauen gefangen genommen und als Kriegsgefangene zurückgehalten werden.

Andererseits bestimmt der zweite Absatz des Artikels 8, dass die Kriegegefangenen trotz ihrer Gefangenschaft ihre volle zivile Rechtsfähigkeit behalten. Selbstverständlich bleibt die Stellung des Kriegsgefangenen im Verhältnisse zu seinem Heimatstaate vorbehalten.

Ein besonderer Anwendungsfall dieser Regelung ist im Artikel 76 vorgesehen, wo die Form der Kriegsgefangenentestamente geordnet wird. Die Bei-

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behaltung dieser Bestimmung, die schon in der Haager Landkriegsordnung vorhanden war, schien zweckmässig. Dagegen hat es die Konferenz abgelehnt, Fragen des internationalen Privatrechts zu entscheiden. Infolgedessen ist es der schweizerischen Delegation nicht möglich gewesen, einen Antrag durchzubringen, demzufolge letztwillige Verfügungen, die von Kriegsgefangenen unter den gleichen Bedingungen errichtet werden wie von Militärpersonen des Gewahrsamsstaates, auf dem Gebiet aller Vertragsteile als formrichtig anerkannt worden wären.

Der Artikel 4 bestätigt, dass der Gewahrsamsstaat für den Unterhalt der Kriegsgefangenen 211 sorgen hat, was als selbstverständlich gelten darf; er fügt bei, dass eine unterschiedliche Behandlung der Kriegsgefangenen nur insoweit zulässig ist, als sie sich auf den militärischen Dienstgrad, den körperlichen oder seelischen Gesundheitszustand, die berufliche Eignung oder das Geschlecht derjenigen gründet, denen sie zugute kommt. Das Abkommen verkündet damit den Grundsatz der Gleichheit vor dem Kriegsgefangenenrecht.

Der zweite Titel behandelt die Gefangennahme, Der Artikel 5 spricht den Grundsatz aus, dass die Kriegsgefangenen nicht zu Aussagen gezwungen werden dürfen, die ihrem Lande Schaden zufügen könnten ; er sieht vor, dass Kriegsgefangene, die hierüber Auskunft verweigern, aus diesem Grunde weder disziplinarisch bestraft, noch bedroht, noch beleidigt, noch Nachteilen irgendwelcher andern Art ausgesetzt werden dürfen. Gestützt auf den nämlichen Grundsatz ist der Gefangene bloss dazu verpflichtet, seinen Namen und Dienstgrad oder nach Belieben auch einzig die Matrikelnummer, nicht aber seine Einteilung, mitzuteilen. Die Weigerung, den Namen und Grad bekanntzugeben, rechtfertigt sich allerdings nur für höhere Offiziere, deren Name und Einteilung dem Gegner bekannt sind und es ihm ermöglichen würden, Eückschlüsse auf die Zusammensetzung der feindlichen Armee zu ziehen.

Der Artikel 6 bezeichnet die Gegenstände, die im Besitze des Kriegsgefangenen verbleiben sollen, und setzt die Bedingungen fest, unter denen den Gefangenen die auf ihnen gefundenen Geldbeträge entzogen werden dürfen.

Der dritte Titel betrifft die Gefangenschaft; er ist in fünf Abschnitte eingeteilt und umfasst nicht weniger als einundsechzig Artikel.

Der erste Abschnitt (Art, 7 und 8) ist dem Abtransporte
der Gefangenen nach den für sie vorgesehenen Sammelstellen gewidmet. Dieser Abtransport soll binnen kürzester Frist nach der Gefangennahme erfolgen. Einzig aus gesundheitlichen Bücksichten darf er hinausgeschoben werden.

Der zweite Abschnitt (Art. 9 bis 26) umfasst alle Vorschriften, die Bezug haben auf die Kriegsgefangenenlager. Unter diesem Ausdruck ist zweierlei zu verstehen : Im weiteren Sinne kann er zunächst jeden Ort bedeuten, wo den Kriegsgefangenen Zwangsaufenthalt angewiesen wird; im engeren Sinn bezeichnet er die geschlossenen Lager, wo die Gefangenen interniert werden können. Die Unterbringung in einer offenen Ortschaft bildet zweifellos die Ausnahme. Wenn also von Gefangenenlagern die Eede ist, wird man im allgemeinen darunter die Sammellager zu verstehen haben.

277 Die acht Kapitel dieses Abschnittes enthalten namentlich ausführliche Bestimmungen über die Einrichtung der Lager, über die Gesundheitspflege und die Mannszucht in den Lagern, über die Ernährung und Bekleidung der Gefangenen, über ihren Sold und scbliesslich auch noch über ihre Versetzung" in andere Lager, Hervorgehoben zu werden verdient Artikel 11, wonach «alle kollektiven Disziplinarmassregeln hinsichtlich der Ernährung verboten» sind. Da die Verpflegung der Kriegsgefangenen derjenigen der Truppen der Mannschaftsdepots im Gewahrsamsstaate gleichwertig sein soll, ist es von Bedeutung, dass.

sie nicht durch kollektive Disziplinarmassregeln gekürzt wird, deren sich zu bedienen naheliegend sein mag.

Der dritte Abschnitt, der sich mit der Arbeit der Kriegsgefangenen (Art. 27 bis 84) befasst, ist in fünf Kapitel eingeteilt und setzt die Organisation der Arbeit fest, bestimmt die verbotenen Arbeiten, sieht die Möglichkeit vor, Arbeitsdetaohemente einzurichten und ordnet die schwierige Frage des Arbeitslohnes. Zwei Bestimmungen dieses Abschnittes sind besonders hervorzuheben.

Zunächst diejenige des Artikels 27, Absatz 4, wonach den durch Arbeitsunfälle zu Schaden gekommenen Kriegsgefangenen die Gesetzgebung des Gefangennahmestaates zugute kommen soll. Diese Gleichstellung mit den Einheimischen ist vollauf gerechtfertigt, bedient sich der Staat doch auch der Arbeitskraft der Kriegsgefangenen. Gewisse Länder haben aber wegen ihrer Gesetzgebung der Vorschrift ernstlichen Widerstand entgegengesetzt. Die endgültige Fassung hat es ihnen indessen ermöglicht, der mehrheitlichen, auch von der schweizerischen Delegation vertretenen Meinung beizustimmen. Sodann ist darauf hinzuweisen, dass nach Artikel 31 die den Kriegsgefangenen aufgetragenen Arbeiten in keiner Beziehung zu den Kriegshandlungen stehen dürfen. Dieser Artikel verbietet namentlich, «Gefangene zur Herstellung und zum Transport von Waffen oder Munition aller Art sowie zum Transport von Material zu verwenden, das für kämpfende Truppen bestimmt ist». Weiterzugehen, schien nicht möglich. In einem Lande, das Krieg führt, sind alle Anstrengungen auf ein und dasselbe Ziel gerichtet. Will man nicht jede Gefangenenarbeit überhaupt verbieten, was unvernünftig und undurchführbar wäre, so muss man sich eben darauf beschränken, diejenigen Arbeiten schlechthin
zu untersagen, di& unmittelbar in Beziehung stehen zu den Kriegshandlungen.

Das vierte Kapitel setzt fest, dass die Einrichtung der Arbeitsdetachemente vor allem hinsichtlich der gesundheitlichen Bedingungen der Verpflegung, der Vorsorge für Unglücks- und Erkrankungsfälle und des Postverkehrs derjenigen der Kriegsgefangenenlager entsprechen soll.

Das fünfte Kapitel, endlich, regelt die schwierige Frage des Arbeitslohnes der Kriegsgefangenen und bestimmt die Grundsätze, nach denen die Arbeit zu entlohnen ist, je nachdem sie für den Staat, für eine andere öffentliche Verwaltung oder für Private geleistet wird. Für Arbeiten zur Verwaltung, zur Bewirtschaftung und zum Unterhalte der Lager wird kein Lohn ausgerichtet.

278 Im vierten Abschnitte, demjenigen über die Beziehungen der Kriegsgefangenen zur Aussenwelt (Art. 85 bis 41), finden sich die Vorschriften über den Postverkehr der Kriegsgefangenen. Das Abkommen legt das Hauptgewicht auf die Zuverlässigkeit dieses Verkehrs, die so -wichtig ist zur Beruhigung der geängstigten Angehörigen. In diesem Abschnitte werden auch die Erleichterungen festgesetzt, die gewährt werden für die Verschickung und die Entgegennahme der Paketpost, insbesondere der Sendungen von Büchern oder verderblicher Ware, sowie für die Geld-, Wertsachen- und Urkundenüberweisung.

Der fünfte Abschnitt befasst sich mit den Beziehungen der Kriegsgefangenen zu den Behörden (Art. 42 bis 67).

Der Artikel 42 räumt den Kriegsgefangenen das Eecht ein, hinsichtlich der Behandlung, der sie in der Gefangenschaft unterworfen sind, Beschwerde einzureichen, und zwar entweder bei den Behörden des Gewahrsamsstaates oder aber bei den Vertretern der Schutzmächte. In diesem letztern Falle kann der Gewahrsamsstaat selbstverständlich vom Inhalte des Gesuchs Kenntnis nehmen; er ist aber verpflichtet, die Eingabe unverzüglich an den Vertreter der Schutzmacht weiterzuleiten. Als besonders wertvolle Garantie wird ausdrücklich festgesetzt, dass diese Beschwerden auch'dann nicht zu einer Bestrafung Anlass geben dürfen, wenn sie sich als unbegründet erweisen. Das schliesst indessen nicht aus, dass eine Strafe dennoch verhängt werden kann, wenn die Beschwerde den Tatbestand eines Deliktes, z. B. den der Ehrverletzung, . erfüllt. Der Artikel 67 fügt hinzu, dass keinem Kriegsgefangenen «infolge eines Urteils oder aus andern Gründen» die Rechte entzogen werden dürfen, die ihm Artikel 42 zuerkennt. Diese Rechte werden im allgemeinen durch die Vertrauensleute ausgeübt werden; sie stehen aber auch jedem einzelnen Kriegsgefangenen zu. Der Artikel 42 ist für die Ausführung des Abkommens sicherlich von grosser Bedeutung.

Das zweite Kapitel ordnet die Vertretung der Kriegsgefangenen (Art. 43 und 44). Es sieht die Bezeichnung von Vertrauensleuten vor, welche die Kriegsgefangenen gegenüber den Militärbehörden des Gewahrsamsstaates und gegenüber den Schutzmächten zu vertreten haben. Die Bezeichnung bedarf der Genehmigung der Militärbehörden. Das Abkommen bestimmt die Zahl der Vertrauensleute nicht, damit den besondern Verhältnissen
Rechnung getragen werden kann.

Das dritte Kapitel befasst sich mit der Bestrafung der Kriegsgefangenen; es ist seinerseits in folgende drei Unterabschnitte eingeteilt: «Allgemeine Bestimmungen» (Art. 45 bis 53), «Disziplinarstrafen» (Art. 54 bis 59) und «Gerichtliche Verfolgung» (Art. 60 bis 67).

Die allgemeinen Bestimmungen stellen verschiedene Grundsätze auf, die hervorgehoben zu werden verdienen. Der Artikel 46 verbietet jede Körperstrafe, jede Einsperrung in Bäume ohne Tageslicht und überhaupt jede Grausamkeit. Er enthält auch das wichtige Verbot der Kollektivstrafen für Handlungen Einzelner. Der Artikel 51, Absatz l, regelt die schwierige Frage der

279

Bestrafung von Verbrechen, oder Vergehen gegen Personen oder gegen das Eigentum, wenn sie im Verlauf eines Fluchtversuchs begangen werden. Die Konferenz dachte hier an die strafbaren Handlungen, die verübt werden, um die Flucht zu ermöglichen oder zu erleichtern, wie Kleiderdiebstahl, Entwendung von Nahrungsmitteln, Sachbeschädigung, tätliche Angriffe auf eine Schildwache usw. Die harten Strafen, mit denen diese Verbrechen und Vergehen in den verschiedenen Militärstrafgesetzen belegt werden, machen die Bestimmung des Abkommens, wonach der Fluchtversuch nur disziplinarisch zu bestrafen ist, praktisch illusorisch. Das ist der Grund, warum dieses letztere Delikt auch im Wiederholungsfalle nicht als strafverschärfend in die Wagscbale fallen darf, wenn ein Gefangener wegen der oben erwähnten Verbrechen oder Vergehen den Gerichten überwiesen wird. Der Artikel 52 macht es den Kriegführenden zur Pflicht, darüber zu wachen, dass die grösste Nachsicht geübt wird, wenn es sich daium handelt, ob eine von einem Kriegsgefangenen begangene Übertretung disziplinarisch oder strafrechtlich geahndet werden soll.

Was die disziplinarische Bestrafung anbelangt, so verdienen folgende zwei Punkte besondere Beachtung. Die Kriegsgefangenen sirid grundsätzlich dem Disziplinarstrafrecht des Gewahrsamsstaates unterstellt. Infolgedessen können nur solche Strafen verhängt werden, die im Beehte des Gewahrsamsstaates vorgesehen sind, um so mehr als das Abkommen selber keine Strafnormen enthält. Das Abkommen erlegt dem Gewahrsamsstaate lediglich gegenüber den Kriegsgefangenen gewisse Beschränkungen auf, deren Bedeutung wechselt, je nachdem die Gesetzgebung dieses Staates Strafen zulässt, die im Abkommen verboten werden, oder nicht. Die strengste Disziplinarstrafe ist, auch wenn ein Kriegsgefangener sich wegen mehrerer Handlungen disziplinarisch zu verantworten hat, die dreissigtägige Haft ; das Abkommen bezeichnet diese Haftstrafe als Arrest, um sie von der Gefängnisstrafe kraft Gerichtsurteils zu unterscheiden. Unter dem Vorbehalte der Zuständigkeit der Gerichte und der höhern Militärbehörden dürfen Disziplinarstrafen nur von Offizieren verhängt werden, und zwar nur vom Lagerkommandanten und seinem verantwortlichen Stellvertreter.

Die Bestimmungen über die Strafverfolgung räumen den Kriegsgefangenen die von den Strafgesetzgebungen
aller zivilisierten Länder anerkannten Garantien «in. Im einzelnen sieht der Artikel 62 vor, dass der Gefangene, gegen den ein Strafverfahren schwebt, Anspruch hat auf den Beistand eines geeigneten Verteidigers nach seiner Wahl oder gegebenenfalls nach der Wahl der Schutzmacht. Dabei hat es die Meinung, dass ein solcher Verteidiger aus dem Kreise der Personen zu bezeichnen sei, die grundsätzlich zur Übernahme der Verteidigung vor den Militärgerichten des Gewahrsamsstaates zugelassen sind.

Doch ist die Schutzmacht nicht verpflichtet, ihre Wahl auf Personen zu beschränken, die ihr vom Gewahrsamsstaat als dazu geeignet bezeichnet worden sind.

Der dritte Absatz des in Frage stehenden Artikels fügt bei, dass die Vertreter der Schutzmacht zu den Gerichtsverhandlungen, nicht aber zu den

280 Beratungen des Gerichtshofes Zutritt haben. Eine Ausnahme von diesem Zutrittsrecht ist nur zulässig, wenn die Prozessverhandlungen aus Gründen der Staatssicherheit geheim bleiben müssen. In einem solchen Palle hat der Gewahrsamsstaat die Schutzmacht davon zu unterrichten und ihr die Gründe des Ausschlusses mitzuteilen. Ausserdem bestimmt Artikel 66, dass ein gegen einen Kriegsgefangenen ergangenes Todesurteil dem Vertreter der Schutzmacht unverzüglich zur Kenntnis zu bringen ist und dass dieses Urteil nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens drei Monaten nach dieser Mitteilung vollstreckt werden darf.

Der vierte Titel, über die Beendigung der Gefangenschaft (Art. 68 bis 75), zerfällt in zwei Abschnitte. Im ersten Abschnitt zeigt allein schon die Überschrift «Die Heimsendung und die Unterbringung in einem neutralen Lande» an, dass die Erfahrungen während des letzten Krieges hier von entscheidendem Einflüsse waren.

Der Artikel 68 fordert einerseits die obligatorische Heimsendung der schwerkranken und schwerverwundeten Kriegsgefangenen ohne Eücksicht auf Dienstgrad und Zahl. Andererseits sieht er -- was für die Schweiz besonders von Belang ist -- für gewisse andere Kategorien von Gefangenen die allfällige Unterbringung in einem neutralen Lande vor. Da in der kurzen Zeit, die der Konferenz zu Gebote stand, über die Frage, welche Gebrechen und Krankheiten Voraussetzung seien für diese beiden Massnahmen, eine völlige Einigung nicht erzielt werden konnte, hat man auf eine Aufzählung dieser Fälle im Abkommen selbst verzichtet. Um aber den Kriegführenden den Abschluss von Vereinbarungen über diesen Gegenstand zu erleichtern, ist als Wegleitung dem Abkommen eine Mustervereinbarung angefügt worden, welche die hauptsächlichsten Bestimmungen der im Jahre 1918 von mehreren Kriegführenden getroffenen Abmachungen enthält.

Um eine gewissenhafte Ausführung dieser Sondermassnahmen zu gewährleisten, ist vereinbart worden, dass sich die Kriegführenden beim Ausbruch der Feindseligkeiten sofort über die Ernennung gemischter Ärztekommissionen zu verständigen haben. Diese Kommissionen sollen aus drei Mitgliedern bestehen, von denen zwei einem neutralen Lande angehören und eines vom Gefangennahmestaate bezeichnet wird. Ihre Aufgabe besteht darin, die Gefangenen zu bestimmen, die heimzusenden oder in neutralem
Lande unterzubringen sind (Art. 69). Nach Artikel 70 bestehen für die Kriegsgefangenen, die nicht schon vom Lagerarzte selber in Vorschlag gebracht worden sind, drei Möglichkeiten, um vor die gemischte Ärztekommission zu kommen: 1. Sie können ein dahinzielendes Begehren unmittelbar an den Lagerarzt richten. Diese Fälle werden am häufigsten sein.

2. Sie können von den im Artikel 43 vorgesehenen Vertrauensleuten entweder aus eigener Entschliessung oder auf Verlangen der Gefangenen selber angemeldet werden. Es ist hier an Gefangene gedacht, die sich aus Standhaftigkeit oder aus Vaterlandsstolz nicht als krank melden, wiewohl sie den guten Gründen als schwer erkrankt anzusehen sind. Ferner hat man auch mit

281 Fall im Auge, wo der Lagerarzt die Überweisung an die gemischte Ärztekommission verweigert.

3. Die dritte Möglichkeit besteht in einer Empfehlung auf amtlichem Formular; von ihr ist im letzten Kriege häufig Gebrauch gemacht worden. Sie muss vom Heimatstaat oder von Hilfsgesellschaften ausgehen, die von diesem anerkannt und dazu ermächtigt worden sind.

Im Artikel 71 werden den Kriegsgefangenen, die einen Arbeitsunfall erlitten haben, die Vergünstigungen der vorangehenden Bestimmungen ebenfalls zuerkannt; ausgenommen sind die Selbstverstümmler.

Schliesslieh sieht der Artikel 72 die Möglichkeit vor, dass auch gesunde Kriegsgefangene heimgesandt oder in einem neutralen Lande untergebracht werden können, wenn sie eine lange Kriegsgefangenschaft ausgestanden haben.

Gemäss Artikel 74 darf kein heimgesandter Kriegsgefangener während des Krieges nochmals zum aktiven Militärdienste herangezogen werden.

Der zweite Abschnitt des vierten Titels betrifft die Freilassung und Heimschaffung der Kriegsgefangenen nach der Beendigung der Feindseligkeiten.

Es war ursprünglich die Eede davon gewesen, dass beim Abschlüsse des Waffenstillstandes die Kriegsgefangenen sofort heimgeschafft werden sollten. Die Entlassung in einem Zeitpunkte, wo die Feindseligkeiten jederzeit Wiederaufleben können, musste indessen als undurchführbar betrachtet werden.

Die Konferenz sah sich daher veranlasst, diesbezüglich keine Vorschrift aufzustellen, den Kriegführenden jedoch zu empfehlen) für die Heimschaffung der Gefangenen nicht den Friedensschluss abzuwarten und wenn möglich schon beim Waffenstillstände zu diesem Zwecke Vereinbarungen zu treffen. Auf jeden Fall muss die Heimschaffung binnen kürzester Frist nach Friedensschluss durchgeführt werden. Einzig die Kriegsgefangenen, die wegen eines Verbrechens oder Vergehens des gemeinen Rechts strafgerichtlich verfolgt werden oder bereits verurteilt worden sind, dürfen von der Heimschaffung ausgeschlossen werden.

Der f ü n f t e Titel (Art. 76) regelt ausschliesslich nur die Frage der Kriegsgefangenentestamente, der Beurkundung der Todesfälle, der Beerdigung und der Gräber. Die im dritten Absätze dieses Artikels den Kriegführenden für die Beerdigung der Kriegsgefangenen und die Unterhaltung der Gräber auferlegten Pflichten entsprechen denjenigen gegenüber den Gefallenen nach Artikel
4, Absatz 5, des neuen Genfer Abkommens.

Der sechste Titel (Art. 77 bis 80), betreffend die Hilfs-und Auskunftsstellen für die Kriegsgefangenen, übernimmt sozusagen alle entsprechenden Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung. Der Artikel 79 bekennt sich ausserdein zu einer neuen Einrichtung, die während des Weltkrieges aufkam, nämlich zu der einer in neutralem Lande gelegenen Zentralauskunftsstelle über die Kriegsgefangenen. Die Bestätigung dieser Einrichtung ehrt die bewundernswürdige Tätigkeit, welche die internationale Kriegsgefangenenagentur während jener Schicksalsjahre in Genf entfaltet hat.

282 Das Internationale Komitee wird künftighin, wenn es von ihm als nötig erachtet wird, den in Betracht kommenden Mächten die Einrichtung einer derartigen Auskunftsstelle vorschlagen können. Damit bleibt es dem Internationalen Komitee wie den Regierungen freigestellt, unter Umständen auch anders vorzugehen. Die Wahl ist ihnen auf Verlangen einiger Delegationen entfernter Länder belassen worden, damit nicht jede andere Möglichkeit der Schaffung dieser Zentralstelle abgeschnitten sei, für den Fall, dass die geographischen Verhaltnisse oder praktische Erwägungen eine abweichende Lösung nahelegen sollten.

Der siebente Titel betrifft die Anwendung des Abkommens auf bestimmte Kategorien von Zivilpersonen; er weist nur den Artikel 81 auf, von dem weiter oben, bei der Aufzählung der Personen, denen das Abkommen zugute kommen soll, bereits die Bede war.

Der achte Titel enthält die Bestimmungen über die Ausführung des Abkommens (Art, 82 bis 97) ; einige von ihnen sind von grundlegender Bedeutung.

An die Spitze der allgemeinen Bestimmungen, die den ersten Abschnitt bilden, ist die bei der neuesten Revision auch in das Genfer Abkommen aufgenommene Abrede gestellt worden, dass das Abkommen von den daran beteiligten Kriegführenden selbst dann eingehalten werden muss, wenn einer' von ihnen nicht Vertragspartei sein sollte. Der blosse Umstand, dass einer der Kriegführenden dem Abkommen ferngeblieben ist, hat also nicht zur Folge, dass dieses ausser Anwendung tritt. Da der betreffende Kriegführende nicht Vertragspartei ist, bindet ihn selbstverständlich das Abkommen nicht, ebensowenig wie es die übrigen Kriegführenden, die Vertragsparteien sind, ihm gegenüber bindet. Aber unter sich bleiben die übrigen Kriegführenden gebunden, und sie sind verpflichtet, das Abkommen im Verhältnisse zueinander einzuhalten.

Andererseits sieht der Artikel 83 vor, dass die von den Kriegführenden über irgendwelche Fragen der Kriegsgefangenenbehandlung etwa abgeschlossenen besondern Vereinbarungen mangels ausdrücklicher gegenteiliger Abrede in Kraft bleiben, bis dass die Heimschaffung beendigt ist. Der Sinn dieser Vorschrift ist der, dass solche Vereinbarungen weiter in Geltung bleiben sollen, wenn der Waffenstillstands vertrag hierüber nichts bestimmt.

Der nämliche Artikel nimmt ferner unmittelbare Verhandlungen zwischen den
Vertretern der mit den Kriegsgefangenenangelegenheiten betrauten Behörden gleich nach Beginn der Feindseligkeiten in Aussicht. Eine derartige Fühlungnahme zu einem ausschliesslich humanitären Zwecke liesse manch bedauerliches Missverständnis vermeiden.

Die Einrichtung der Kontrolle, welcher der zweite Abschnitt gewidmet ist, hat dio Konferenz lange in Anspruch genommen. Nach dem als Verhandlungsgrundlage dienenden Entwurfe wäre das Internationale Komitee des Boten Kreuzes mit der Aufgabe betraut worden, reisende Ausschüsse abzuordnen, die sich bei den Kriegführenden darüber hätten Gewissheit verschaffen sollen,

283

dass das Abkommen richtig angewendet ·werde. Aber die Vertreter einiger ·während des Krieges als Schlitzmacht tätig gewesener Länder haben darauf bestanden, dass diese Aufgabe grundsätzlich den Schutzmächten vorbehalten bleibe.

Eine in jeder Hinsicht zufriedenstellende Lösung der Präge der Kontrolle war nicht eben leicht zu finden. Es waren zwei Systeme denkbar, um die Einhaltung des Abkommens gegenüber den Kriegsgefangenen zu überwachen. Nach dem einen bestünde die Aufgabe der Schutzmacht darin, nur auf ausdrückliches Begehren des Landes, dessen Schutz wahrgenommen wird, einzugreifen; damit würde die Schutzmacht gewissermassen in den Dienst des geschützten Kriegführenden treten. Nach dem andern ist sie unabhängig von dem kriegführenden Lande, das sie vertritt, und sie kann nach eigenem Ermessen eingreifen, was dem Ansehen der Schutzmacht in den Augen des Landes, bei dem sie vorstellig werden muss, nur zuträglich ist. Die Schutzmacht vermag sich in diesem Fall unmittelbar auf das Abkommen zu berufen.

Die Konferenz hat sich diese letztere Lösung zu eigen gemacht und sieim Artikel 86 des nähern geordnet. Das schliesslich angenommene Verfahren ist folgendes: Das Abkommen ermächtigt die Schutzmacht, die nötige Kontrolle beim Gewahrsamsstaat aus eigenem Eechte durchzuführen, ohne ihr daraus aber eine Pflicht zu machen. In ihrem Ermessen steht es also, diese Überwachung auszuüben, wenn sie eine solche für nötig hält, auch wenn sie von der Macht, deren Interessen sie wahrt, dazu nicht auf gefordert worden ist.

Andererseits wäre sie zur Kontrolle sogar dann nicht verpflichtet, wenn die vertretene Macht sie darum ersuchen würde. Das Abkommen hat in diesem Punkte also nur das Verhältnis zwischen der Schutzmacht und der Macht, welche die Gefangenen in Gewahrsam hat, geregelt, nicht dagegen dasjenige zwischen der Schutzmacht und der Macht, deren Vertretung ihr obliegt. Was die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen letztern anbelangt, so hat es indessen durchaus die Meinung, dass beide Mächte nicht verfehlen werden, sich über die beste Art des Vorgehens unmittelbar zu verständigen. Die Konferenz hat diesem Gedanken durch folgende Bestimmung Ausdruck zu geben versucht : «Die Hoben Vertragsparteien erkennen an, dass die ordnungsmässige Anwendung dieses Abkommens eine Gewähr findet in der Möglichkeit der
Mitarbeit der mit der Wahrnehmung der Interessen der Kriegführenden betrauten Schutzmächto.» Diese »Mitarbeit», die kaum viel anderes ist als ein unverfänglicherer Ausdruck für «Kontrolle», wird namentlich darin bestehen, dass die Schutzmacht diplomatisches Personal oder andere in gehöriger Form zugelassene Delegierte an alle Orte entsendet, wo Kriegsgefangene untergebracht sind, damit sie sich Beehenschaft darüber geben, ob diese in jeder Hinsicht dem Abkommen gemäss behandelt werden. Zu diesem Zwecke werden sich die Delegierten im allgemeinen ohne Zeugen mit den Kriegsgefangenen unterhalten dürfen. Die Worte «wo Kriegsgefangene untergebracht sind» ersetzen die Wendung «wo sich Kriegsgefangene befinden», die im Entwurfe stand; dadurch soll das Vor-

284 dringen von Vertretern der Schutzmacht bis in die Peuerlinie, wo sich stets Kriegsgefangene in Erwartung des Abtransportes befinden können, vermieden und auch zum voraus verhindert werden. Selbstverständlich ist, dass, falls Kriegsgefangene entgegen dem Abkommen im Gefahrenbereiche zurückgehalten werden sollten, es sich zwar um eine unerlaubte Internierung handeln würde, -aber immerhin um eine Internierung, welche der Schutzmacht das Becht gäbe, diese Gefangenen besuchen zu lassen; jedenfalls könnte sie die Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes fordern. Aber es handelt sich hier wohl nur um eine .ziemlich unwahrscheinliche Annahme.

Der Artikel 87 sieht ausdrücklich die guten Dienste der Schutzmächte vor zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten über die Durchführung des Abkommens. Jede Schutzmacht kann den Kriegführenden eine Zusammenkunft, unter Umständen auf neutralem Boden, vorschlagen, und die Kriegführenden müssen zu einer solchen Zusammenkunft Hand bieten; diese kann unter der Mitwirkung einer Persönlichkeit stattfinden, die einem neutralen Lande angehört und gegebenenfalls auch vom Internationalen Komitee des Boten Kreuzes abgeordnet wird; für die Bezeichnung derselben ist die Zustimmung der Kriegführenden einzuholen.

Endlich erklärt Artikel 88, dass die Bestimmungen über das Eingreifen 4er Schutzmächte der humanitären Tätigkeit nicht Abbruch tun, die das Internationale Komitee des Boten Kreuzes zum Schutze der Kriegsgefangenen unter Zustimmung der beteiligten Kriegführenden ausübt.

Von den Schlussbestimmungen des dritten Abschnittes ist besonders Artikel 96 zu erwähnen, wonach die Kündigung des Abkommens keine Wirkungen äussert, solange die kündigende Macht in einen Krieg verwickelt ist; das Abkommen bleibt somit bis zum Friedensschluss und auf jeden Fall bis nach beendigter Heimschaffung weiter in Geltung.

Darf das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen als befriedigend bezeichnet werden und sind seine Bestimmungen für die verschiedenen Länder tatsächlich durchführbar?

Wie die Einstimmigkeit beweist, mit der das Abkommen von den Bevollmächtigten aller an der Konferenz vertretenen Begierungen unterzeichnet worden ist, sind die Grundsätze, auf denen es sich aufbaut, wiewohl sie im Vergleiche zur Haager Landkriegsordnung einen beträchtlichen Fortschritt darstellen,
doch heute schon für die ganze Welt annehmbar. Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass man nicht dennoch in vielen Ländern bei der Durchführung gewisser Einzelheiten auf mehr oder weniger grosse Schwierigkeiten stossen wurde. Denn finden auch einige Staaten in diesen Vorschriften die Anerkennung der im Weltkriege von ihnen geschaffenen Einrichtungen, so sind sie doch für andere ein völlig neues Gebiet. Die Konferenz hat eben bei der Ausarbeitung der neuen Ordnung hauptsächlich auf die Erfahrungen auf dem westlichen Kriegsschauplatze Bedacht genommen und, was die Unterbringung der Kriegsgefangenen auf neutralem Gebiet anbelangt, auf diejenigen der Niederlande und der Schweiz.

285

Die Kriegsgefangenenordnung bedeutet also für die Humanisierung des Krieges einen entscheidenden Schritt vorwärts. Ea ist sogar die Befürchtung laut geworden, dass sie in dieser Eiohtung zu weit gehe und den militärischen Interessen der Kriegführenden Eintrag tun könnte, indem sie es den Befehlshabern erschwere, die Mannszucht aufrechtzuerhalten. Denn könnte das mit keiner empfindlichen Entbehrung verbundene Los eines Kriegsgefangenen nicht für gewisse Leute geradezu einen Anreiz bilden, sich zu ergeben? -- Obschön es zweifelhaft erscheint, dass ein Mehr oder Weniger an Wohlergehen in der Kriegsgefangenschaft auf die Geistesverfassung der Kämpfenden einen wesentlichen Einfluss gewinnen könnte, so muss doch anerkannt werden, dass die neue Eegelung von militärischer Seite ein Zugeständnis an die Grundsätze der Barmherzigkeit bedeutet.

Mit dem Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen ist auf jenem besondern Gebiete des Völkerrechts, das in Kriegszeiten in Geltung bleiben und zur Anwendung gelangen soll, ein Markstein gesetzt worden.

Wiewohl man annehmen darf, dass das Abkommen, das wie die Genfer Übereinkünfte berufen ist, Weltgeltung zu erlangen, nie zur Anwendung kommen müsse, so ist es doch nichtsdestoweniger eine Kundgebung von grosser Bedeutung, die, weit entfernt davon, nicht in eine Zeit hineinzupassen, die wirkungsvolle Friedensbollwerke errichtet, im Gegenteile dem Bedürfnisse nach gegenseitiger Verständigung und vertrauensvoller Zusammenarbeit entspricht, das sich aller Völker bemächtigt hat.

Auf gluckliche Art ergänzt das neue Abkommen einen Abschnitt der Haager Landkriegsordnung, der sich während den bitteren Erfahrungen des letzten Krieges als unzulänglich erwiesen hat, weil die an sich richtigen Grundsätze, die er enthält, zu wenig entwickelt worden waren. Die Lebenshaltung in leiblicher und geistiger Beziehung, wie sie inskünftig als Mindestforderung den Kriegsgefangenen gewährleistet werden muss, ist genau festgesetzt. Sie bildet einen bemerkenswerten, ja in die Augen springenden Massstab, an dem die heutige Zivilisation gemessen werden wird.

Die Schweiz hat alle Ursache, in mehrfacher Beziehung die neue Kriegsgefangenenordnung freudig zu begrussen. Das Abkommen trägt in mehr als ·einem Punkte die Spuren der schweizerischen Anträge, was der Überlieferung unseres Landes
auf humanitärem Gebiete zur Ehre gereicht.

Andererseits tragen auch die Vorschriften über die Unterbringung der Kriegsgefangenen auf neutralem Gebiet und diejenigen über die Stellung der Schutzmächte den Verhältnissen der Länder billig Eechnung, die berufen sein könnten, Internierte bei sich aufzunehmen oder die Interessen irgendeines Kriegführenden zu wahren. Der Schweiz, die zufolge ihrer Lage und Neutralitat ganz natürlich zu derartigen Sendungen vorausbestimmt ist, könnte bei deren Erfüllung der neue Stand der Dinge nur zum Vorteile gereichen.

Ausserdem erfährt die Stellung des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, dessen Werk mit der internationalen Liebestätigkeit der Schweiz «ng verknüpft ist, eine nachhaltige Stärkung. Denn das neue Abkommen sieht Bundesblatt. 82. Jahrg. Bd. II.

22

286 für die Durchführung gewisser Verpflichtungen, die es den Vertragsstaaten auferlegt, die Mitarbeit des Internationalen Komitees vor. Insbesondere erklärt es in einem Artikel ausdrücklich, dass keine seiner Bestimmungen der Tätigkeit im Dienste der Barmherzigkeit Abbruch tun könnte, die das Komitee, der von ihm stets hochgehaltenen Überlieferung geinäss, zugunsten der Kriegsgefangenen entfalten würde.

In staatsrechtlicher Beziehung erheischt das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen nach seiner Eatifikation durch die Schweiz keine neuen gesetzgeberischen Massnahmen. Es könnte im Eabmen des Militärstrafgesetzes und der Militärstrafgerichtsordnung durch administrative Massnahmen und durch eine entsprechende Praxis der Militärgerichte und der Militärjustizbehörden durchgeführt werden. Keine einzige Norm des geltenden Eechts scheint sich der Anwendung des Abkommens zu widersetzen.

Die Schlussakte.

Gewisse Fragen, die im Verlaufe der Konferenz aufgetaucht waren, aber für eine endgültige Begelung noch nicht hinreichend abgeklärt schienen, glaubte die Versammlung lediglich in einer Scblussakte erwähnen zu sollen, um den Gang der Verhandlungen nicht zu hemmen und auch um zu vermeiden, den neuen Vertragstexten Bestimmungen einzuverleiben, die Gefahr liefen, nicht bei allen Regierungen eine günstige Aufnahme zu finden. Ist eine solche Schlussakte auch nur als eine Urkunde formaler Natur zu betrachten, da sie keine bestimmten Verpflichtungen erzeugt, so ist sie doch für die internationalen Konferenzen ein wertvolles Mittel, um die Begierungen auf die Bedeutung gewisser Probleme aufmerksam zu machen und ihnen zu empfehlen, deren Untersuchung zu gegebener Zeit zu unternehmen.

In einem ersten Punkte hat die Konferenz den Wunsch ausgesprochen, dass die Frage geprüft werde, ob nicht zugunsten der in die Gewalt des Feindes gefallenen Schwerverwundeten und Schwerkranken bis zum Ende ihrer Hospitalisierung besondere Garantien geschaffen werden könnten. Die Gründe für diesen von der italienischen Delegation ausgegangenen Vorschlag sind folgende: Solange die Verwundung oder Krankheit den Kriegsteilnehmer zum Waffendienst untauglich macht, sollte ihm nicht die Rechtsstellung eines durch, die Gefangenschaft ausser Kampf Gesetzten, sondern diejenige eines Menschen zukommen, der gegenüber den beiden
Kriegsparteien den Charakter eines einfachen Privatmannes wiedererlangt hat und der wegen seines Gebrechens vom Beistande der Umwelt abhängig ist. In dieser Eigenschaft könnte er als auf einer Zwischenstufe befindlich betrachtet werden: Er ist nicht mehr Kriegsteilnehmer und doch auch nicht eigentlicher Kriegsgefangener; er sollte Anspruch haben auf Garantien, die diejenigen ergänzen würden, die bereits im neuen Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken, der Heere im Felde enthalten sind. Dieser Vorschlag, der zurzeit kaum einer zwingenden Notwendigkeit entspricht, schien vielen Delegationen schwer durchfuhrbar.

287 Im zweiten Punite der Schlussakte wollte die Konferenz eino Auslegung des Artikels 10 des neuen Genfer Abkommens geben. Auf Verlangen des Souveränen Bitterordens vom Hospital des hl. Johannes von Jerusalem -- Malteserorden genannt -- hat sie die Ansicht geäussert, dass die im Genfer Abkommen enthaltenen Bestimmungen, welche die Stellung der freiwilligen Hüfsgesellschaften bei den Heeren im Felde regeln, auch anwendbar seien auf die nationalen Organisationen des genannten Ordens, auf das Grosspriorat vom hl. Johannes von Jerusalem in England, den Johanniterorden und den Orden des hl. Georg in Deutschland, sowie auf die mit der Krankenpflege sich abgebenden gleichartigen Orden in irgendwelchem andern Lande. Es folgt daraus, dass die erwähnten Organisationen den freiwilligen Hilfsgesellschaften gleichgestellt werden können, wenn sie, wie diese, von der Regierung des Landes, zu dessen Gunsten sie ihre Tätigkeit zu entfalten verlangen, gehörig anerkannt und zur Mitarbeit beim amtlichen Heeressanitätsdienste zugelassen worden sind. Mit dieser Kundgebung soll namentlich den nationalen Organisationen des Malteserordens die Zulassung als amtlich anerkannte freiwillige Hilfsgesellschaft unter den gleichen Bedingungen wie den übrigen Gesellschaften gesichert werden. Mit der besondern Erwähnung des Malteserordens wollte die Konferenz die Tätigkeit ehren, die der Orden seit einem Jahrtausend auf allen Gebieten der Barmherzigkeit entfaltet hat und durch die er gewissermassen der Vorläufer dea modernen Gedankens der freiwilligen Hilfsgesellschaften geworden ist.

Der dritte Punkt, der wichtigste der Schlussakte, befasst sich mit der Verwendung der Sanitätsluftfahrzeuge im Kriege im Hinblick auf eine vollständigere Eegelung, als sie im Artikel 18 des revidierten Genfer Abkommens enthalten ist. Die Konferenz hat den Wunsch ausgesprochen, dass die an den Genfer Übereinkünften beteiligten Länder in naher Zukunft zu einer neuen Konferenz zusammentreten möchten, um mit aller wünschenswerten Ausführlichkeit die auf diese neuen Transportmittel anwendbaren Kechtsregeln festzusetzen. Stillschweigende Voraussetzung scheint zu sein, dass es dem Schweizerischen Bundesrat anheimgestellt bleiben soll, diese Versammlung einzuberufen und im Einvernehmen mit den andern Eegierungen zu beurteilen, wann der Zeitpunkt hierfür
gekommen sein wird.

Die Punkte IV und V der Schlussakte beziehen sich auf die Erstellung eines einheitlichen Musters für die Identitätsausweise der nicht mit militärischer Uniform versehenen Sanitätspersonen und auf die den nationalen Kotkreuzgesellschaften sowie den andern freiwilligen Hilfsgesellschaften zur Ausübung ihrer Tätigkeit in Friedenszeit zu gewährenden Erleichterungen und Befreiungen.

Diese beiden Wünsche bedürfen kaum einer Erörterung.

Im Punkte VI hat die Konferenz schliesslich dem von mehreren Delegationen lebhaft unterstützten Wunsche Ausdruck verliehen, dass eingehende Studien unternommen werden möchten über die Eechtsstellimg und den Schutz der feindlichen Zivilpersonen auf dem Gebiet eines Kriegführenden oder auf einem von ihm besetzten Gebiete. Das Internationale Komitee des Roten

288

Kreuzes hat sich zum vornherein damit einverstanden erklärt, Mittel und Wege zu prüfen, um die umfangreichen Vorarbeiten vorzunehmen, die diese sehr verwickelte Frage erfordert.

Damit haben wir den Inhalt der aus den Verhandlungen der diplomatischen Konferenz vom Juli 1929 hervorgegangenen Urkunden zu Ende besprochen.

Tm Vergleiche zur Genfer Übereinkunft vom 6. Juli 1906 und namentlich zum ersten Abschnitt der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 stellen die beiden neuen Abkommen einen nicht zu verkennenden Fortschritt dar.

Die Eevision der Genfer Übereinkunft von 1906 ist bemerkenswert wegen der Umarbeitung zahlreicher Einzelvorschriften und wegen der möglichst vollständigen Anpassung an die neuen Verhältnisse. Die Kriegsgefangenenordnung bildet um ihrer nicht selten neuartigen und kühnen Grundsätze willen eine beträchtliche Erweiterung des von den beiden Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 vollführten Werks.

Der Erfolg der Konferenz ist -- abgesehen von dem übereinstimmenden Willen aller Länder, das Los der Kriegsopfer -wirksam zu verbessern -- zu einem sehr grossen Teile der Sorgfalt zu verdanken, mit dor das Werk allerseits vorbereitet werden konnte. Es ist sowohl den mit der Ausarbeitung der Abkommensentwürfe betrauten Organen als auch den zur Prüfung und Einreichung von Abänderungsvorschlägen eingeladenen Regierungen die nötige Zeit gelassen worden.

Es liegt uns daran, hier das Bestreben, einander zu verstehen, den Willen, zu einer Einigung zu gelangen, und die Bereitschaft zu gegenseitigen Zugeständnissen hervorzuheben, wovon sich die Vertreter der Eegierungen bei der Konferenz beständig leiten Hessen, so dass sie die grosse Aufgabe, die ihnen zugewiesen war, rasch bewältigen konnten. Auch dem Internationalen Komitee des Boten Kreuzes, dessen wichtige und gewissenhafte Vorarbeiten es der Konferenz ermöglichten, sich über die verschiedenen Seiten der ihr vorgelegten Fragen Rechenschaft zu geben und sie in voller Sachkenntnis einer Lösung zuzuführen, möchten wir unsere Dankbarkeit bekunden.

Wir freuen uns auch darüber, dass unsere eigenen, jahrelang beharrlich fortgesetzten Bemühungen ihr Ziel erreicht haben.

Wir beantragen Ihnen, den beiden neuen, am 27. Juli 1929 in Genf abgeschlossenen Abkommen Ihre Genehmigung zu erteilen, indem Sie den beiliegenden Bundeebeschluss
gutheissen, und entbieten Ihnen, Herr Präsident, Hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung, Bern, den 8. September 1980.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,

Der Bundespräsident: Mnsy.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

28& (Entwurf.)

BuMesbesclüuss betreffend

die Genehmigung der beiden am 27. Juli 1929 in Genf geschlossenen Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde und über die Behandlung der Kriegsgefangenen, Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht der Botschaft des Bundesrates vom 8. September 1980, beschliesst: Artikel 1.

Die von der Schweiz am 27. Juli 1929 in Genf unterzeichneten Abkommen, nämlich das Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde und das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen werden genehmigt.

Artikel 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

290

Beilagen, 1. Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten Kranken der Heere im Felde vom 27. Juli 1929.

und

2. Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929.

Anlage zum Abkommen : Muster-Vereinbarung betreffend die unmittelbare Heimsendung der Kriegsgefangenen und ihre Unterbringung in neutralem Lande aus gesundheitlichen Gründen.

3. Schlussakte vom 27. Juli 1929.

Anmerkung, Auf eine Anregung der Deutschen Regierung hin haben sich die Vertragsparteien mit deutscher Amtssprache (Deutschland, Österreich und die Schweiz) über eine gemeinsame deutsche Übersetzung des Kriegsgefangenenabkommens verständigt. Ein solches Vorgehen wurde ihnen auch durch Artikel 85 des Abkommens nahegelegt, wonach die Vertragsparteien, die sich veranlasst gehen, von diesem Abkommen amtliche Übersetzungen herzustellen, einander den Wortlaut derselben durch Vermittlung des Bundesrates mitteilen sollen. Dagegen glaubten wir, die überlieferte und weiten Kreisen vertraute Übersetzung der Genfer Übereinkunft von 1906 nicht verlassen zu sollen. Der hier abgedruckte Text des revidierten Abkommens von 1929 fusst daher zur Hauptsache auf der schweizerischen Übersetzung von 1906.

291 Übersetzung.

Beilage l.

Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde.

Vom 27. Juli 1929.

Der Deutsche Reichspräsident, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der Bundespräsident der Republik Österreich, Seine Majestät der König der Belgier, der Präsident der Republik Bolivien, der Präsident der Vereinigten Staaten von Brasilien, Seine Majestät der König von Grossbritannien, Irland und der überseeischen Britischen Lande, Kaiser von Indien, Seine Majestät der König der Bulgaren, der Präsident der Republik Chile, der Präsident der Republik China, der Präsident der Republik Kolumbien, der Präsident der Republik Kuba, Seine Majestät der König von Dänemark und Island, der Präsident der Dominikanischen Republik, Seine Majestät der König von Ägypten, Seine Majestät der König von Spanien, der Präsident der Republik Estland, der Präsident der Republik Finnland, der Präsident der Französischen Republik, der Präsident der Hellenischen Republik, Seine Durchlaucht der Reichs verweser von Ungarn, Seine Majestät der König von Italien, Seine Majestät der Kaiser von Japan, der Präsident -der Republik Lettland, Ihre Königliche Hoheit die Grossherzogin von Luxemburg, der Präsident der Voreinigten Staaten von Mexiko, der Präsident der Republik Nikaragua, Seine Majestät der König von Norwegen, Ihre Majestät die Königin der Niederlande, Seine Kaiserliche Majestät der Schah von Persien, der Präsident der Republik Polen, der Präsident der Portugiesischen Republik, Seine Majestät der König von Rumänien, Seine Majestät der König der Serben, Kroaten und Slowenen, Seine Majestät der König von Siam, Seine Majestät der König von Schweden, der Schweizerische Bundesrat, der Präsident der Tschechoslowakischen Republik, der Präsident der Türkischen Republik, der Präsident der Orientalischen Republik Uruguay, der Präsident der Republik der Vereinigten Staaten von Venezuela, gleichermassen von dem Wunsche beseelt, die mit dem Kriege unzertrennlich verbundenen Leiden, so viel an ihnen liegt, zu mildern, und in dor Absicht, zu diesem Zwecke die am 22. August 1864 und am 6. Juli 1906 in Genf vereinbarten Bestimmungen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde zu vervollkommnen und zu ergänzen,

292 haben beschlossen, zu diesem Ende ein neues Abkommen zu treffen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt: (Es folgen die Namen der Bevollmächtigten.)

die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgendes übereingekommen sind:

Kapitel I.

Y erwund ete und Kranke.

Artikel 1.

Verwundete oder kranke Militärpersonen und andere den Heeren offiziell angehörende Personen sollen unter allen Umständen geschont und geschützt werden; sie sind ohne Unterschied der Staatsangehörigkeit von dem Kriegführenden, in dessen Händen sie sich befinden, mit Menschlichkeit zu behandeln und zu pflegen.

Der Kriegführende, der Verwundete oder Kranke dem Gegner zu überlassen genötigt ist, wird jedoch, soweit die militärische Notwendigkeit es gestattet, einen Teil seines Sanitätspersonals und -materials zurücklassen, um zu ihrer Pflege beizutragen.

Artikel 2.

Kranke und Verwundete eines Heeres, die sich in der Gewalt der andern Kriegführenden befinden, werden, unbeschadet der ihnen gemäss dem vorhergehenden Artikel zu gewährenden Pflege, zu Kriegsgefangenen und unterstehen den allgemeinen Eegeln des Völkerrechtes über die Kriegsgefangenschaft.

Den Kriegführenden bleibt es indessen unbenommen, über die bestehenden Verpflichtungen hinaus die ihnen angemessen scheinenden Abmachungen zugunsten der verwundeten und kranken Gefangenen zu treffen.

Artikel 3.

Nach jedem Kampfe hat die das Schlachtfeld behauptende Partei Massregeln zu dem Zwecke zu treffen, die Verwundeten und Gefallenen aufzusuchen und gegen Beraubung und Misshandlungen zu schützen.

So oft die Umstände es gestatten, soll ein örtlicher Waffenstillstand oder eine Unterbrechung des Feuers vereinbart werden, um die Bergung der zwischen den Linien gebliebenen Verwundeten zu ermöglichen.

Artikel 4.

Die Kriegführenden teilen sich gegenseitig möglichst bald die Namen der aufgenommenen oder aufgefundenen Verwundeten, Kranken und Gefallenen, ebenso wie alle Anhaltspunkte für ihre Identifizierung mit.

293

Sie stellen Todesurkunden aus und übermitteln sie sich.

Sie nehmen auch alle auf den Schlachtfeldern oder bei den Gefallenen gefundenen persönlichen Gebrauchsgegenstände, insbesondere die Hälfte der Erkennungsmarke, deren andere Hälfte an der Leiche bleiben muss, auf und senden sie sich zu.

Sie wachen darüber, dass der Beerdigung oder Verbrennung der Gefallenen eine sorgfältige und wenn möglich ärztliche Leichenschau vorausgeht, um den Tod festzustellen, die Identität zu klären und darüber Auskunft geben zu können.

Sie wachen ferner darüber, dass die Gefallenen ehrenvoll beerdigt und die Gräber geachtet werden und jederzeit wiedergefunden werden können.

Zu diesem Zwecke richten sie bei Beginn der Feindseligkeiten amtlich einen Gräberdienst ein, um ein etwaiges Ausgraben zu ermöglichen und die Identifizierung der Leichen, wie auch die Reihenfolge der Gräber sei, sicherzustellen.

Bei Schiusa der Feindseligkeiten tauschen sie die Listen über die Gräber und über die in ihren Friedhöfen oder anderwärts bestatteten Gefallenen aus.

Artikel 5.

Die Militärbehörde kann die mildtätige Hilfe der Einwohner in Anspruch nehmen, um die Verwundeten und Kranken unter ihrer Aufsicht aufheben und pflegen zu lassen. Den Personen, die ihrer Aufforderung Folge leisten, kann sie einen besonderen Schutz und gewisse Erleichterungen gewähren.

Kapitel II.

Sanitätsforinationeu und -aiistalteii.

Artikel 6.

Die beweglichen Sanitätsformationen, d. h. die Formationen, die zur Begleitung der Heere im Felde bestimmt sind, und die stehenden Sanitätsanstalten sind von den Kriegführenden zu schonen und zu schützen.

Artikel 7.

Dieser Schutz hört auf, wenn die Sanitätsformationen und -anstalten dazu benutzt werden, dem Feinde Schaden zuzufügen.

Artikel 8.

Eine Sanitätsformation oder -anstalt geht des durch Artikel 6 gewährten Schutzes nicht verlustig: 1. wenn das Personal der Formation oder der Anstalt bewaffnet ist und von seinen Waffen zur eigenen Verteidigung oder zur Verteidigung seiner Verwundeten und Kranken Gebrauch macht;

294

2. wenn in Ermangelung bewaffneten eigenen Personals die Formation oder die Anstalt von einer Truppenabteilung oder von Schildwachen geschützt wird; 8. wenn sich in der Formation oder in der Anstalt tragbare Waffen und Munition vorfinden, die den Verwundeten oder Kranken abgenommen und der zuständigen Dienststelle noch nicht abgeliefert worden sind; 4. wenn sich Personal und Material des Veterinärdienstes in der Formation oder der Anstalt befinden, ohne integrierender Bestandteil davon zu sein.

Kapitel III.

Das Sanitätspersonal.

Artikel 9.

Dio ausschliesslich zur Bergung, zum Transport und zur Pflege der Verwundeten und Kranken sowie zur Verwaltung der Sanitätsformationen und -anstalten verwendeten Personen und die den Heeren zugeteilten Feldprediger sind unter allen Umstanden zu schonen und zu schützen. Fallen sie in die Hände des Feindes, so dürfen sie nicht als Kriegsgefangene behandelt werden.

Die Militärpersonen, die «einen besonderen Unterricht genossen haben, um gegebenenfalls als Hilfskrankenwärter oder Hilfskrankenträger zur Bergung, zum Transport und zur Behandlung von Verwundeten und Kranken verwendet zu werden, und die im Besitz eines Personalausweises sind, gemessen dieselbe Behandlung wie das ständige Sanitätspersonal, wenn sie während der Ausübung dieser Verrichtungen gefangen genommen werden.

Artikel 10.

Den in Artikel 9, Absatz l, erwähnten Personen werden die Angehörigen der von ihrer Begierung anerkannten und zugelassenen freiwilligen Hilfsgesellschatten gleichgestellt, die zu denselben Verrichtungen wie die im genannten Absatz erwähnten Personen Verwendung finden, unter der Voraussetzung, dass die Angehörigen dieser Gesellschaften den Militärgesetzen und -Vorschriften unterstehen.

Die Hohen Vertragsparteien teilen sich gegenseitig, sei es schon in Friedenszeiten, sei es bei Beginn oder im Verlaufe der Feindseligkeiten, jedenfalls noch bevor sie von der ihnen angebotenen Hilfe Gebrauch machen, die Namen der Gesellschaften mit, die sie ermächtigt haben, den offiziellen Heeressanitätsdienst unter ihrer Verantwortung zu unterstützen.

Artikel 11.

Eine anerkannte Hilfsgesellschaft eines neutralen Staates darf einem Kriegführenden erst dann mit ihrem Personal und ihren Sanitätsformationen Hilfe leisten, wenn ihre Regierung und der Kriegführende selbst sie hierzu ermächtigt haben.

295 Der Kriegführende, der die Hilfe angenommen hat, ist gehalten, bevor er von dem Anerbieten Gebrauch macht, den Gegner davon ?u benachrichtigen, Artikel 12.

Fallen die in den Artikeln 9, 10 und 11 bezeichneten Personen in die Hände der Gegenpartei, so dürfen sie nicht zurückgehalten werden.

Vorbehaltlich anderer Vereinbarungen werden sie /u dem Kriegführenden, zu dem sie gehören, zurückgeschickt, sobald ein Weg für ihre Rückkehr offen ist und die militärischen Bücksichten es gestatten.

Bis zur Bücksendung setzen sie ihre Verrichtungen unter der Leitung der Gegenpartei fort; sie sind vorzugsweise für die Pflege der Verwundeten und der Kranken des Kriegführenden zu verwenden, OT dem sie gehören.

Bei ihrer Bückkehr nehmen sie die Effekten, Instrumente, Waffen und Transportmittel, die ihnen gehören, mit sich.

Artikel 13.

Die Kriegführenden gewähren dem in den Artikeln 9, 10 und 11 aufgeführten Personal, solange es in ihrer Gewalt bleibt, denselben Unterhalt, dieselbe Unterbringung, die gleichen Bezüge und den gleichen Sold wie dem entsprechenden Personal ihres Heeres.

Bei Beginn der Feindseligkeiten verständigen sie sich über das Bangverhältnis ihres Sanitätspersonals.

Kapitel TV.

Die Gebäude und das Sanitätsmaterial.

Artikel 14.

Die beweglichen Sanitätsformationen jeglicher Art behalten, wenn sie in die Hände der Gegenpartei fallen, ihr Material, ihre Transportmittel und ihr Begleitpersonal.

Die zuständige Militärbehörde ist jedoch befugt, sich dieses Materials für die Pflege der Verwundeten und Kranken zu bedienen. Die Bückgabe erfolgt unter den gleichen Bedingungen wie die des Sanitätspersonals und wenn möglich gleichzeitig.

Artikel 15.

Die Gebäude und das Material der stehenden Sanitätsanstalten des Heeres bleiben den Kriegsgesetzen unterworfen, dürfen aber ihrer Bestimmung nicht entzogen werden, solange sie für die Kranken und Verwundeten notwendig sind.

Die Befehlshaber der Operationstruppen können indessen, wenn dringende militärische Gründe es erheischen, darüber verfügen, müssen aber vorher das Schicksal der darin behandelten Verwundeten und Kranken sicherstellen.

296

Artikel 16.

Die Gebäude der Hilfsgesellschaften, denen die Vergünstigungen dieses Abkommens zukommen, sind als Privateigentum zu behandeln.

Das Material dieser Gesellschaften, wo immer es sich befinden mag, ist gleichfalls als Privateigentum zu bebandeln.

Das den Kriegführenden nach den Gesetzen und Gebräuchen des Krieges zuerkannte Eequisitionsrecht darf nur im Falle dringender Notwendigkeit und nach Sicherstellung des Schicksals der Verwundeten und Kranken ausgeübt werden.

Kapitel V.

Sanitätstransp orte.

Artikel 17.

Die für sanitätsdienstliche Evakuationen bestimmten Fahrzeuge werden, einzeln oder im Verbände, wie bewegliche Sanitätsformationen bebandelt, vorbehaltlich folgender besonderer Bestimmungen : Der Kriegführende, der Sanitätsfahrzeuge, einzeln oder im Verbände, abfängt, darf sie, wenn militärische Rücksichten es erheischen, anhalten und -den Transport auflösen, muss aber in allen Fällen die Verwundeten und Kranken übernehmen. Er darf die Fahrzeuge nur in dem Abschnitt, in dem sie abgefangen wurden, und ausschliesslich für Bedürfnisse des Sanitätswesens verwenden. Die Fahrzeuge müssen nach Beendigung ihrer örtlichen Aufgabe nach Massgabe der Bestimmungen des Artikels 14 zurückgegeben werden.

Das militärische Personal, das kraft regelrechten Befehls den Transport leitet, ist nach Massgabe der im Artikel 12 für das Sanitätspersonal vorgesehenen Bestimmungen und vorbehaltlich des Absatzes 6 von Artikel 18 zurückzuschicken.

Alle für Evakuationszwecke besonders eingerichteten Transportmittel und das Ausrustungsmaterial dieser zum Sanitätsdienste gehörenden Transportmittel sind gemäss den Bestimmungen des Kapitels IV zurückzugeben.

Die nicht zum Sanitätsdienste gehörenden militärischen Transportmittel dürfen mitsamt ihrer Bespannung weggenommen werden.

Das Zivilpersonal und alle requirierten Transportmittel unterstehen den allgemeinen Begeln des Völkerrechts.

Artikel 18.

Luftfahrzeuge, die als Sanitätstransportmittel verwendet werden, geniessen den Schutz des Abkommens, solange sie ausschliesslich den Zwecken der Evakuation Verwundeter und Kranker und der Beförderung von Sanitätspersonal und -material vorbehalten sind.

' Sie sind weiss bemalt und tragen deutlich sichtbar das in Artikel 19 vorgesehene Schutzzeichen neben den Landesfarben auf den untern und obern Flachen.

297 Abgesehen von besonderer und ausdrücklicher Erlaubnis ist untersagt zu überfliegen: die Feuerlinie und die vor den Hauptverbandplätzen gelegene Zone sowie allgemein jedes feindliche oder vom Feinde besetzte Gebiet.

Die Sanitätsluftfahrzeuge müssen jeder Aufforderung zur Landung Folge leisten.

Im Falle einer so erzwungenen oder einer zufälligen Landung auf feindlichem oder vom Feinde besetztem Gebiete sollen die Verwundeten und Kranken ebenso wie das Sanitätspersonal und -materia!, einschliesslich des Luftfahrzeuges, die Vergünstigung des gegenwärtigen Abkommens gemessen.

Der Fahrzeugführer, das Hilfspersonal und das Personal des Funkdienstes sind, wenn gefangen genommen, unter der Bedingung zurückzugeben, dass sie bis zum Ende der Feindseligkeiten nur mehr im Sanitätsdienste verwendet werden.

Kapitel VI.

Das Schutzzeichen.

Artikel 19.

Zu Ehren der Schweiz wird das durch Umstellung der eidgenössischen Farben gebildete Wappenzeichen des roten Kreuzes auf weissom Grunde als Schutz- und Erkennungszeichen des Heeressanitätsdienstes beibehalten.

Indessen sind für die Länder, die an Stelle des roten Kreuzes den roten Halbmond oder den roten Löwen mit roter Sonne auf weissem Grunde bereits als Schutzzeichen verwenden, diese Wahrzeichen ebenfalls im Sinne dieses Abkommens zugelassen.

Artikel 20.

Fahnen, Armbinden und das gesamte für den Sanitätsdienst verwendete Material führen, mit der Bewilligung der zuständigen Militärbehörde, dieses Schutzzeichen.

Artikel 21.

Das gemäss Artikel 9, Absatz l, Artikel 10 und 11 geschützte Personal trägt, am linken Arme befestigt, eine Binde mit dem Schutzzeichen, die von einer Militärbehörde verabfolgt und gestempelt wird.

Das in Artikel 9, Absätze l und 2, bezeichnete Personal wird mit einem Identitätsausweise versehen, der in einer Eintragung in das Dienstbüchlein oder in einer besondern Urkunde bestehen kann.

Die in den Artikeln 10 und 11 bezeichneten Personen, die keine militärische Uniform tragen, erhalten von der zuständigen Militärbehörde einen mit der Photographie versehenen Identitätsausweis, der die Eigenschaft als Sanitätsperson bescheinigt.

In jedem Heere sollen die Identitätsausweise einheitlich und von gleicher Form sein.

298 In keinem Palle dürfen dem Sanitätspersonal die Abzeichen oder die ihm gehörenden Identitätsausweise weggenommen werden.

Irn Falle des Verlustes hat es Anspruch auf Duplikate.

Artikel 22.

Das Flaggenabzeichen des gegenwärtigen Abkommens darf nur auf den durch das Abkommen geschützten Sanitätsformationen und -anstalten und nur mit Erlaubnis der Militärbehörde gehisst werden. Bei den stehenden Sanitätsanstalten muss und bei den beweglichen Sanitätsformationen kann daneben die Nationalfahne des Kriegführenden aufgezogen werden, unter dem die Sanitätsformation oder -anstatt steht.

Jedoch hissen die Sanitätsformationen, dio in die Hände des Feindes gefallen sind, solange sie sich in dieser Lage befinden, keine andere Flagge als die dieses Abkommens.

Die Kriegführenden treffen, soweit die militärischen Erfordernisse o& gestatten, die nötigen Massnahmen, um den feindlichen Land-, Luft- und Seestreitkräften die Schutzzeichen, welche Sanitätst'ormationen und -anstalten anzeigen, deutlich sichtbar zu machen und so die Möglichkeit jeden Angriffs auszuschalten.

Artikel 23.

Sanitätsformationen neutraler Länder, die gemäss den Vorschriften des Artikels 11 zur Hilfeleistung ermächtigt worden sind, haben neben der Flagge des gegenwärtigen Abkommens die Nationalfahne des Kriegführenden zu hissen, unter dem sie stehen.

Sie sind berechtigt, solange sie einem Kriegführenden ihre Dienste leihen, auch ihre eigene Nationalfahne zu hissen.

Die Bestimmungen des zweiten Absatzes des vorhergehenden Artikels finden auf sie Anwendung.

Artikel 24.

Das Zeichen des roten Kreuzes auf weissein Grunde und die Worte «Bö te s Kreuz» oder «Genfer Kreuz» dürfen sowohl in Friedens- als in Kriegszeiten nur zum Schutze oder zur Bezeichnung der Sanitätst'ormationen und -anstalten und des vom Abkommen geschützten Personals und Materials verwendet werden.

Das gleiche gilt, was die in Artikel 19, Absatz 2, genannten Schutzzeichen betrifft, für die Länder, die sie verwenden.

Andererseits können die in Artikel 10 erwähnten freiwilligen Hilfsgesellschaften, im Einklänge mit der nationalen Gesetzgebung, von dem Schutzzeichen für ihre humanitäre Tätigkeit in Friedenszeiten Gebrauch machen.

Ausnahmsweise und mit ausdrucklicher Ermächtigung einer der nationalen Gesellschaften des Boten Kreuzes (Boten Halbmonds, Boten Löwen mit roter Sonne) kann das Schutzzeichen des Abkommens in Friedenszeiten verwendet

299 ·werden, uin Rettungsstellen kenntlich zu machen, die aussehliesslich der unentgeltlichen Pflege von Verwundeten und Kranken dienen.

Kapitel VII.

Anwendung and Aasfährang des Abkommens.

Artikel 25.

Die Bestimmungen des gegenwärtigen Abkommens werden von den Hohen Vertragsparteien unter allen Umständen geachtet werden.

Falls in Kriegszeiten ein Kriegführender nicht Vertragspartei ist, bleiben die Bestimmungen dieses Abkommens gleichwohl für alle kriegführenden Vertragsparteien verbindlich.

Artikel 26.

Die Oberbefehlshaber der kriegführenden Heere haben, was die Einzelheiten der Ausführung der vorstehenden Artikel und die nicht vorgesehenen Fälle betrifft, gemäss den Weisungen ihrer Eegierungen und den allgemeinen Grundsätzen des gegenwärtigen Abkommens zu verfahren.

Artikel 27.

Die Hohen Vertragsparteien werden die nötigen Vorkehrungen treffen, um ihre Truppen und insbesondere das geschützte Personal sowie die Bevölkerung mit den Bestimmungen des gegenwärtigen Abkommens bekannt zu machen.

Kapitel VIII.

Bestrafung von Missbräuchen und Übertretungen.

Artikel 28.

Die Eegierungen der Hohen Vertragsparteien, deren Gesetzgebung zurzeit nicht schon ausreichend sein sollte, werden die erforderlichen Massnahmen treffen oder ihren gesetzgehenden Behörden vorschlagen, um jederzeit zu verhindern : a. dass Privatpersonen oder nach dem gegenwärtigen Abkommen dazu nicht berechtigte Gesellschaften von dem Zeichen des Boten Kreuzes oder von den Worten «Botes Kreuz» oder «Genfer Kreuz», sowie von allen Zeichen und Worten, die eine Nachahmung darstellen, Gebrauch machen, "mag dieser Gebrauch zu Handelszwecken oder zu irgendeinem andern Zwecke erfolgen; fe. im Hinblick auf die der Schweiz durch die Annahme der umgestellten eidgenössischen Landesfarben erwiesene Ehrung, dass Privatpersonen oder Gesellschaften vom Wappen der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder von Zeichen, die eine Nachahmung darstellen, Gebrauch machen,

300

sei es als Fabrik- oder Handelszeichen oder als Bestandteil solcher Zeichen, sei es zu einem gegen dio kaufmännische Ehrbarkeit verstossenden Zweck oder unter Bedingungen, die geeignet sind, das schweizerische Nationalgefühl zu verletzen.

Das unter a vorgesehene Verbot des Gebrauches von Zeichen und Worten, die eine Nachahmung des Schutzzeichens oder der Worte «Botes Kreuz» oder «Genfer Kreuz» darstellen, sowie das unter 6 vorgesehene Verbot des Gebrauches des Wappens der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder von Zeichen, die eine Nachahmung darstellen, werden von dem Zeitpunkt an wirksam werden, den die Gesetzgebung der einzelnen Staaten festsetzt, spätestens aber fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Abkommens. Bereits von diesem Inkrafttreten an ist es nicht mehr gestattet, ein gegen diese Verbote verstossendes Fabrik- oder Handelszeichen in Gebrauch zu nehmen.

Artikel 29.

Die Eegierungen der Hohen Vertragsparteien werden gleichermassen die erforderlichen Massnahmen treffen oder, im Falle der Unzulänglichkeit ihrer Strafgesetze, ihren gesetzgebenden Behörden vorschlagen, um in Kriegszeiten jede Handlung, die gegen die Bestimmungen des gegenwärtigen Abkommens verstösst, zu bestrafen.

Sie werden sich spätestens binnen fünf Jahren, von der Eatifikation des gegenwärtigen Abkommens an gerechnet, durch die Vermittlung des Schweizerischen Bundesrates die erlassenen Strafbestimmungen mitteilen.

Artikel 30.

Auf Verlangen eines Kriegführenden muss wegen jeder behaupteten Verletzung des Abkommens eine Untersuchung in der von den beteiligten Parteien zu bestimmenden Art eingeleitet werden; ist die Verletzung einmal festgestellt, BÖ soll sie von den Kriegführenden möglichst schnell beseitigt und geahndet werden.

Schlussbestiinmuiigeii.

Artikel 81.

Das gegenwärtige Abkommen, welches das Datum des heutigen Tages tragen soll, kann bis zum 1. Februar 1930 im Namen aller Länder, die auf der am 1. Juli 1929 in Genf eröffneten Konferenz vertreten waren, sowie im Namen der Länder unterzeichnet werden, die auf dieser Konferenz nicht vertreten waren, aber an den Genfer Abkommen von 1864 und 1906 beteiligt sind.

Artikel 32.

Das gegenwärtige Abkommen soll sobald als möglich ratifiziert werden.

Die Ratifikationsurkunden sollen in Bern hinterlegt werden.

301

Über die Hinterlegung einer jeden Batifikationsurkunde soll ein Protokoll aufgenommen werden; von diesem soll eine beglaubigte Abschrift durch den Schweizerischen Bundesrat den Regierungen aller Länder mitgeteilt werden, in deren Namen das Abkommen unterzeichnet oder der Beitritt erklärt worden ist.

Artikel 33.

Das gegenwärtige Abkommen tritt sechs Monate nach Hinterlegung von mindestens zwei Ratifikationsurkunden in Kraft.

Späterhin tritt es für jede Hohe Vertragspartei sechs Monate nach Hinterlegung ihrer Ratifikationsurkunde in Kraft.

Artikel 84.

Das gegenwärtige Abkommen ersetzt in den Beziehungen zwischen den Hohen Vertragsparteien die Abkommen vom 22. August 1864 und vom 6. Juli 1906.

Artikel 35.

Vom Zeitpunkte seines Inkrafttretens an steht das gegenwärtige Abkommen jedem Lande zum Beitritt offen, in dessen Namen dieses Abkommen nicht unterzeichnet worden ist.

Artikel 36.

Der Beitritt wird dem Schweizerischen Bundesrate schriftlich mitgeteilt und wird sechs Monate nach dem Zeitpunkte wirksam, an dem ihm die Mitteilung zugegangen ist, Der Schweizerische Bundesrat teilt die Beitrittserklärungen den Regierungen aller Länder mit, in deren Namen das Abkommen unterzeichnet oder der Beitritt erklärt worden ist.

Artikel 37.

Der Kriegszustand gibt den von den kriegführenden Mächten vor oder nach dem Beginn der Feindseligkeiten hinterlegten Ratifikationen und mitgeteilten Beitrittserklärungen sofortige Wirksamkeit. Die Ratifikationen oder Beitrittserklärungen von Mächten, die sich im Kriegszustande befinden, werden durch den Schweizerischen Bundesrat auf dem schnellsten Wege mitgeteilt.

Artikel 38.

Jede Hohe Vertragspartei kann das gegenwärtige Abkommen kündigen.

Die Kündigung wird erst ein Jahr nach der schriftlich an den Schweizerischen Bundesrat erfolgten Anzeige wirksam. Der Bundesrat wird diese Anzeige den Regierungen aller Hohen Vertragsparteien mitteilen.

Die Kündigung gilt nur in Ansehung der Hohen Vertragspartei, die sie angezeigt hat.

Bandesblatt. 82. Jahrg. Bd. II.

23

302 Überdies wird diese Kündigung nicht wirksam im Laufe eines Krieges, in den die kündigende Macht verwickelt ist. Tn einem solchen Falle bleibt das gegenwärtige Abkommen über die einjährige Frist hinaus bis zum Friedensschlüsse wirksam.

Artikel 89.

Eine beglaubigte Abschrift des gegenwärtigen Abkommens wird im Archiv des Völkerbundes durch Vermittlung des Schweizerischen Bundesrates hinterlegt werden. In gleicher Weise werden die an den Schweizerischen Bundesrat gerichteten Batifikationen, Beitrittserklärungen und Kündigungen von diesem dem Völkerbunde mitgeteilt werden.

Zu Urkund dessen haben die oben genannten Bevollmächtigten das gegenwärtige Abkommen unterzeichnet.

Geschehen in Genf, am siebenundzwanzigsten Juli neunzehnhundertneunundzwanzig, in einer einzigen Ausfertigung, die im Archiv der Schweizerischen Eidgenossenschaft hinterlegt bleibt und von der beglaubigte Abschriften den Begierungen aller zur Konferenz eingeladenen Länder übergeben werden.

Für Deutschland: Edmund Rhomberg Für die Vereinigten Staaten von Amerika: Eliot Wadsworth Hugh B. Wilson Für Österreich: Leitmaier Fui Belgien: Dr. Demolder J. de Buelle Für Bolivien: A. Cortadellas Für Brasilien: Baul do Bio-Branco

Für Grossbritannien und Nordirland sowie für alle Teile des Britischen Reichs, dio nicht selbständige Mitglieder des Völkerbundes sind: Ich erkläre, dass die Unterschrift, die ich für Grossbritannien und Nordirland sowie alle Teile des Britischen Beichs, die nicht selbständige Mitglieder des Völkerbundes sind, unter dieses Abkommen setze, unter dem Vorbehalte gegeben wird, dass Seine Britische Majestät den Artikel 28 des Abkommens dahin auszulegen gewillt ist, dass die in diesem Artikel erwähnten gesetzgeberischen Massnahmen vorsehen können, dass die Privatpersonen, Vereinigungen, Firmen oder Gesellschaften, die vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Abkommen» das Wappen der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder Zeichen, die eine Nachahmung dieses Wappens dar-

303

stellen, zu irgendeinem rechtmässigen Zwecke gebraucht haben, nicht daran verhindert werden dürfen, sich dieses Wappens oder dieser Zeichen zum gleichen Zwecke weiter zu bedienen.

Horace Rumbold Für Kanada: Ich erkläre, dass die Unterschrift, die ich für Kanada unter dieses Abkommen setze, unter dem Vorbehalte gegeben wird, dass die Eegierung des Dominiums Kanada den Artikel 28 des Abkommens dahin auszulegen gewillt ist, dass die in diesem Artikel erwähnten gesetzgeberischen Massnahmen vorsehen können, dass die Privatpersonen, Vereinigungen, Firmen und Gesellschaften, die vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Abkommens das Wappen der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder Zeichen, die eine Nachahmung dieses Wappens darstellen, zu irgendeinem rechtmässigen Zwecke gebraucht haben, nicht daran verhindert werden dürfen, sich dièses Wappens oder dieser Zeichen zum gleichen Zwecke weiter zu bedienen, W. A. Eiddell Für Australien: Ich erkläre, dass die Unterschrift, die ich für Australien unter dieses Abkommen setze, unter dem Vorbehalte gegeben wird, dass die Eegierung des Australischen Bundes den Artikel 28 des Abkommens dahin auszulegen gewillt ist, dass die in diesem Artikel erwähnten gesetzgeberischen Massnahmen vorsehen können, dass die Privatpersonen, Vereinigungen, Firmen und Gesellschaften, die vor

dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Abkommens das Wappen der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder Zeichen, die eine Nachahmung dieses Wappens darstellen, zu irgendeinem rechtmässigen Zwecke gebraucht haben, nicht daran verhindert werden dürfen, sich dieses Wappens oder dieser Zeichen zum gleichen Zwecke weiter zu bedienen.

Glaud BusseU Für Neuseeland: Ich erkläre, dass die Unterschrift, die ich für Neuseeland unter dieses Abkommen setze, unter dem Vorbehalte gegeben wird, dass die Eegierung Neuseelands den Artikel 28 des Abkommens dahin auszulegen gewillt ist, dass die in diesem Artikel erwähnten gesetzgeberischen Massnahmen vorsehen können, dass die Privatpersonen, Vereinigungen, Firmen oder Gesellschaften, die vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Abkommens das Wappen der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder Zeichen, die eine Nachahmung dieses Wappens darstellen, zu irgendeinem rechtmässigen Zwecke gebraucht haben, nicht daran verhindert werden dürfen, sich dieses Wappens oder dieser Zeichen zum gleichen Zwecke weiter zu bedienen.

Claud Eussell Für Südafrika: Eric H. Louw Für den Freistaat Irland: Ich erkläre, dass die ünterschrift,die ich für den Freistaat Irland unter dieses Abkommen setze, unter

304

dem Vorbehalte gegeben wird, dass er den Artikel 28 des Abkommens dahin auszulegen gewillt ist, dass die in diesem Artikel erwähnten gesetzgeberischen Massnahmen vorsehen können, dass die Privatpersonen, Vereinigungen, Firmen oder Gesellschaften, die vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Abkommens das Wappen der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder Zeichen, die eine Nachahmung dieses Wappens darstellen, zu irgendeinem rechtmässigen Zwecke gebraucht haben, nicht daran verhindert werden dürfen, sich dieses Wappens oder dieser Zeichen zum gleichen Zwecke weiter zu bedienen.

Sean Lester

Für Bulgarien:

D. Mikoff Stephan N. Laftchieff Fût Chile: Gmo Novoa D. Pulgar Für China:

C. Y. Hsiao Für Kolumbien:

Francisco José Urrutia Für Kuba:

Carlos de Armenteros Carlos Bianco

Für Indien:

Für Dänemark:

Ich erkläre, dass die Unterschrift, die ich für die Regierung von Indien unter dieses Abkommen setze, unter dein Vorbehalte gegeben wird, dass die Eegierung von Indien den Artikel 28 des Abkommens dahin auszulegen gewillt ist, dass die in diesem Artikel erwähnten gesetzgeberischen Massnahmen vorsehen können, dass die Privatpersonen, Vereinigungen, Firmen oder Gesellschaften, die vor dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Abkommens das Wappen der Schweizerischen Eidgenossenschaft oder Zeichen, die eine Nachahmung dieses Wappens darstellen, zu irgendeinem rechtmâssigen Zwecke gebraucht haben, nicht daran verhindert werden dürfen, sieh dieses Wappens oder dieser Zeichen zum gleichen Zwecke weiter zu bedienen.

Claud Russell

Harald Scavenius Gustav Rasmussen Für die Dominikanische Republik:

Gh. Ackermann Für Ägypten:

Mohammed Abdel Moneim Eiad H. W. M. Simaika

Für Spanien: Ad Referendum Mauricio Lopez Eoberts y Terry, Marqués de la Torrehermosa For Estland:

Dr. Leesment

Für Finnland: A. E. Martola

305 Für Frankreich: H. de Marcilly J. du Sault Für Griechenland: E. Raphael S. Veniselos

Für Mexiko: Fr. Castillo Najera Für Nikaragua: A. Sottile Für Norwegen:

Für Ungarn: Paul de Hevesy

J. Irgens Jens Meinich

Für Italien:

Für die Niederlande:

Giovanni Ciraolo

W. Doude van Troostwijk Dr. Diehl J. Harberts

Für Japan: Indem es die Bestimmungen des Artikels 28 grundsätzlich annimmt, macht Japan Vorbehalte bezüglich des Zeitpunktes der Inkraftsetzung des unter dem Buchstaben b im genannten Artikel vorgesehenen Verbots.

Japan versteht dieses Verbot dahin, dass es nicht Anwendung finde auf die Wappen und Zeichen, die vor seinem Inkrafttreten in Gebrauch genommen oder eingetragen worden sein sollten.

Die Delegierten Japans unterzeichnen das gegenwärtige Abkommen mit den obenerwähnten Vorbehalten.

Isaburo Yoshida S. Shimomura S. Miura Für Lettland: Charles Duzmans Dr. Oskar Voit Für Luxemburg: ~ Ch. G. Vermaire

Für Persien: Anouchireva Sepahbodi Für Polen: Józef G. Pracki W. Jerzy Babecki Für Portugal: Vasco de Quevedo F. de Calheiros B. Menezes Für Rumänien: M. B, Boeresco Oberst E. Vertejano Für das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen: I. Choumenkovitch Für Siam: Varnvaidya

306

Für Schweden:

Für die Türkei:

K. I, Westman

Hassan M. Nusret Dr Akil Moukhtar Dr. Abdulkadir

Für die Schweiz: Paul Dinichert

Hauser Züblin

de la Harpe Schindler Für die Tschechoslowakei: Zd, Fierlinger

Alfredo de Castro Für Venezuela: C Parra.Perez I. M. Hurtado-Machado

307 Übersetzung.

jtëilage 2.

Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929.

Der Deutsche Reichspräsident, der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der Bundespräsident der Eepublik Österreich, Seine Majestät der König der Belgier, der Präsident der Bepublik Bolivien, der Präsident der Vereinigten Staaten von Brasilien, Seine Majestät der König von Grossbritannien, Irland und der überseeischen Britischen Lande, Kaiser von Indien, Seine Majestät der König der Bulgaren, der Präsident der Republik Chile, der Präsident der Republik China, der Präsident der Republik Kolumbien, der Präsident der Eepublik Kuba, Seine Majestät der König von Dänemark und Island, der Präsident der Dominikanischen Republik, Seine Majestät der König von Ägypten, Seine Majestät der König von Spanien, der Präsident der Republik Estland, der Präsident der Republik Finnland, der Präsident der Französischen Republik, der Präsident der Hellenischen Republik, Seine Durchlaucht der Reichsverweser von Ungarn, Seine Majestät der König von Italien, Seine Majestät der Kaiser von Japan, der Präsident der Republik Lettland, Ihre Königliche Hoheit die Grossherzogin von Luxemburg, der Präsident der Vereinigten Staaten von Mexiko, der Präsident der Republik "Nikaragua, Seine Majestät der König von Norwegen, Ihre Majestät die Königin der Niederlande, Seine Kaiserliche Majestät der Schah von Persien, der Präsident der Republik Polen, der Präsident der Portugiesischen Republik, Seine Majestät der König von Rumänien, Seine Majestät der König der Serben, Kroaten und Slowenen, Seme Majestät der König von Siam, Seine Majestät der König von Schweden, der Schweizerische Bundesrat, der Präsident der Tschechoslowakischen Republik, der Präsident der Türkischen Republik, der Präsident der Orientalischen Republik Uruguay, der Präsident der Republik der Vereinigten Staaten von Venezuela, in der Erkenntnis, dass es Pflicht jeder Macht ist, im äussersten Falle eines Krieges dessen unvermeidliche Härte abzuschwächen und das Los der Kriegsgefangenen zu mildern, vom Wunsche geleitet, die Grundsätze fortzuentwickeln, die den internationalen Haager Abkommen, insbesondere dem Abkommen über die Gesetze und Gebräuche des Krieges und der ihm angefügten Ordnung zugrunde liegen, haben beschlossen, zu diesem Zwecke ein Abkommen zu treffen und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt:

(Es folgen die Namen der Bevollmächtigten.)

die, nachdem sie sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgendes übereingekommen sind:

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Erster Titel.

Allgemeine Bestimmungen.

Artikel 1.

Dieses Abkommen findet, unbeschadet der Bestimmungen des siebenten Titels, Anwendung auf: 1. alle in Artikel l, 2 und 3 der Anlage zum Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907, betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, genannten Personen, die vom Feinde gefangen genommen worden sind *) ; 2. alle zu den Streitkräften der kriegführenden Parteien gehörenden Personen, die im Verlaufe von kriegerischen Handlungen zur See oder in der Luft vom Feinde gefangen genommen worden sind, vorbehaltlich der Abweichungen, die sich aus den Umständen dieser Gefangennahme unvermeidlich ergeben sollten. Indessen dürfen diese Abweichungen die wesentlichen Grundsätze dieses Abkommens nicht verletzen und sollen ihr Ende finden, sobald die Gefangenen ein Kriegsgefangenenlager erreicht haben.

Artikel 2.

Die Kriegsgefangenen unterstehen der Gewalt der feindlichen Macht, aber nicht der Gewalt der Personen oder Truppenteile, die sie gefangen genommen haben.

Sie müssen jederzeit mit Menschlichkeit behandelt und insbesondere gegen Gewalttätigkeiten, Beleidigungen und öffentliche Neugier geschützt werden.

Vergeltungsmassnahmen an ihnen auszuüben ist verboten.

*) Anlage zum Haager Abkommen: Art, 1. Die Gesetze, die Rechte und die Pflichten des Krieges gelten nicht nur für das Heer, sondern auch für die Milizen und Freiwilligenkorps, wenn sie folgende Bedingungen in sich vereinigen: 1. dass jemand an ihrer Spitze steht, der für seine Untergebenen verantwortlich ist, 2. dass sie ein bestimmtes aus der Ferne erkennbares Abzeichen tragen, 8. dass sie die Waffen offen führen und , 4. dass sie bei ihren Unternehmungen die Gesetze und Gebräuche des Krieges beobachten.

In den Ländern, in denen Milizen oder Freiwilligenkorps das Heer oder einen Bestandteil des Heeres bilden, sind diese unter der Bezeichnung «Heer» einbegriffen.

Art. 2, Die Bevölkerung eines nicht besetzten Gebietes, die beim Herannahen des Feindes aus eigenem Antrieb zu den Waffen greift, um die eindringenden Truppen zu bekämpfen, ohne Zeit gehabt fa haben, sich nach Artikel l zu organisieren, wird als kriegführend betrachtet, wenn sie die Waffen offen führt und die Gesetze und Gebräuche des Krieges beobachtet.

Art. 3. Die bewaffnete Macht der Kriegeparteien kann sich zusammensetzen aus Kombattanten und Nichtkombattanten. Ln Falle der Gefangennahme durch den Feind haben die einen wie die anderen Anspruch auf Behandlung als Kriegsgefangene.

309 Artikel 8.

Die Kriegsgefangenen haben Anspruch auf Achtung ihrer Person und ihrer Ehre. Frauen sollen mit aller ihrem Geschlechte geschuldeten Bücksicht behandelt ·werden.

Die Gefangenen behalten ihre volle bürgerliche Eechtsfähigkeit.

Artikel 4.

Der Staat, in dessen Gewalt sich die Kriegsgefangenen befinden (Gewahrsamsstaat), ist verpflichtet, für ihren Unterhalt zu sorgen.

Unterschiede in der Behandlung der Kriegsgefangenen sind nur insoweit zulässig, als es sich um Vergünstigungen handelt, die auf dem militärischen Dienstgrad, dem körperlichen oder seelischen Gesundheitszustande, der beruflichen Eignung oder dem Geschlechte beruhen.

Zweiter Titel.

Die Gefangennahme.

Artikel 5.

Jeder Kriegsgefangene ist verpflichtet, auf Befragen seinen wahren Namen und Dienstgrad oder auch seine Matrikelnummer anzugeben.

Handelt er gegen diese Vorschrift, so können ihm die Vergünstigungen, die den Kriegsgefangenen seiner Kategorie zustehen, entzogen werden.

Es darf kein Zwang auf die Kriegsgefangenen ausgeübt "werden, um Nachrichten über die Lage ihres Heeres oder Landes zu erhalten. Die Kriegsgefangenen, die eine Auskunft hierüber verweigern, dürfen weder bedroht noch beleidigt noch Unannehmlichkeiten oder Nachteilen irgendwelcher Art ausgesetzt werden.

Wenn ein Kriegsgefangener infolge -seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht fähig ist, sich über seine Person auszuweisen, soll er dem Sanitätsdienst übergeben werden.

Artikel 6.

Alle persönlichen Effekten und Gebrauchsgegenstände -- ausser Waffen, Pferden, militärischer Ausrüstung und Schriftstücken militärischen Inhalts -- verbleiben ebenso wie die Stahlhelme und Gasmasken im Besitze des Kriegsgefangenen.

Geld, das die Kriegsgefangenen bei sich haben, darf diesen nur auf Befehl eines Offiziers und nach Feststellung der Beträge abgenommen werden. Ein Empfangsschein soll darüber ausgestellt werden. Die so abgenommenen Beträge müssen jedem Kriegsgefangenen gutgeschrieben werden.

Personalausweise, Gradabzeichen, Ehrenzeichen und Wertgegenstände dürfen den Kriegsgefangenen nicht abgenommen werden.

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Dritter Titel.

Die Gefangenschaft.

Erster Abschnitt.

Die Rückführung der Kriegsgefangenen, Artikel 7.

Die Kriegsgefangenen sollen in möglichst kurzer Frist nach ihrer Gefangennahme nach Sammelstellen gebracht -werden, die vom Kampfgebiete genügend ·weit entfernt liegen, so dass sie sich ausser Gefahr befinden.

In einem Gefahrenbereiche dürfen vorübergehend nur solche Gefangene zurückbehalten \verden, die infolge ihrer Verwundungen oder Krankheiten bei der Bückführung grosserer Gefahr ausgesetzt sein -würden als beim Verbleib an Ort und Stelle.

Die Kriegsgefangenen sollen bis zu ihrer Rückführung aus dem Kampfgebiet nicht unnötig Gefahren ausgesetzt werden.

Bei der Rückführung zu FUSS darf die tägliche Marschleistung in der Regel nicht mehr als 20 km betragen, sofern nicht die Notwendigkeit, Wasser- und Verpflegungsstellen zu erreichen, grössere Marschleistungen erfordert.

Artikel 8.

Die Kriegführenden sind verpflichtet, einander jede Gefangennahme in möglichst kurzer Frist durch Vermittlung der gemäss Artikel 77 eingerichteten Auskunftsstellen mitzuteilen. Ebenso sind sie verpflichtet, einander anzugeben, -wohin die Angehörigen Briefe an die Kriegsgefangenen zu richten habon. Sobald als möglich muss jeder Kriegsgefangene in den Stand gesetzt werden, selbst mit seiner Familie nach Massgabo des Artikels 36 ff. in Briefwechsel zu treten.

Hinsichtlich der auf See gemachten Gefangenen sollen diese Bestimmungen sobald als möglich nach Ankunft im Hafen Anwendung finden,

Zweiter Abschnitt, Die Kriegsgefangenenlager.

Artikel 9.

Die Kriegsgefangenen können in Städten, Festungen oder an anderen Orten untergebracht werden, mit der Verpflichtung, sich nicht über eine bestimmte Grenze hinaus zu entfernen. Sie können gleichfalls in eingezäunten Lagern untergebracht werden; dagegen ist ihre Einschliessung oder Beschränkung auf einen bestimmten Raum nur statthaft als unerlässliche Sicherungs- oder

311 Gesundheitsmassnahme und nur vorübergehend während der Dauer der Umstände, welche die Massnahme nötig machen.

Kriegsgefangene, die in ungesunden Gegenden oder in Gegenden, deren Klima für die aus gemässigten Zonen kommenden Personen schädlich ist, gefangen genommen worden sind, sollen sobald als möglich in ein günstigeres Klima verbracht werden.

Dio Kriegführenden sollen die Zusammenlegung von Gefangenen verschiedener Rassen und Nationalitäten in ein Lager möglichst vermeiden.

Kein Kriegsgefangener darf jemals in ein Gelände zurückgebracht werden, wo er dem Feuer des Kampfgebiets ausgesetzt sein würde, oder dazu verwendet werden, durch seine Anwesenheit bestimmte Punkte oder Gegenden vor Beschiessung zu schützen.

Erstes Kapitel.

Die Einrichtung der Lager.

Artikel 10.

Die Kriegsgefangenen sollen in Häusern oder Baracken untergebracht werden, die jede mögliche Gewähr für Beinlichkeit und Zuträglichkeit bieten.

Die Bäume müssen vollständig vor Feuchtigkeit geschützt, genügend geheizt und beleuchtet sein. Gegen Feuersgefahr müssen alle Vorsichtsmassnahmen getroffen werden.

Für die Beschaffenheit der Schlafräume (Gesamtfläche, Mindestlufträum, Einrichtung und Gerät der Schlafstellen) sollen dieselben Bestimmungen gelten wie für die Truppen der Mannschaftsdepots des Gewahrsamsstaates, Zweites Kapitel.

Ernährung und Bekleidung der Kriegsgefangenen.

Artikel 11.

Die Verpflegung der Kriegsgefangenen soll in Menge und Güte derjenigen der Truppen der Mannschaftsdepots gleichwertig sein.

Die Gefangenen sollen ausserdem die Hilfsmittel erhalten, um sich die zu ihrer Verfügung stehenden Zusatznahrungsmittel selbst zuzubereiten.

Trinkwasser soll ihnen in genügender Menge geliefert werden. Der Tabakgenuss ist erlaubt, Kriegsgefangene können, in den Küchen verwendet werden.

Alle kollektiven Disziplinarmassregeln hinsichtlich der Ernährung sind verboten.

Artikel 12.

Kleidung, Wäsche und Schuhwerk sind den Kriegsgefangenen durch den Gewahrsamsstaat zu Hefern. Ersatz und Ausbesserung dieser Effekten müssen ordnungsmässig gewährleistet sein. Ausserdem sollen die arbeitenden Kriegsgefangenen stets einen Arbeitsanzug erhalten, wenn die Art der Arbeit dies nötig-macht.

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In alleu Lagern sind Verkaufsräume einzurichten, in denen sich die Gefangenen Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände zu ortsüblichen Preisen kaufen können.

Dio durch die Kantinen für die Lagerverwaltung erzielten Überschüsse sind zugunsten der Gefangenen zu verwenden.

Drittes Kapitel.

Die Gesundheitspflege in den Lagern.

Artikel 18.

Die Kriegführenden sind verpflichtet, alle nötigen Hygienemassnahmen zu treffen, um die Beinlichkeit und Zuträglichkeit der Lager zu gewährleisten und Massenerkrankungen vorzubeugen.

Den Kriegsgefangenen sollen tags und nachts Bedürfnisanstalten zur Verfügung stehen, die den Vorschriften der Gesundheitspflege entsprechen und dauernd sauber zu halten sind.

Ausserdem und unbeschadet der Benutzung der Bäder und Brausen, mit denen die Lager soweit als möglich zu versehen sind, soll den Kriegsgefangenen zur Beinhaltung ihres Körpers eine ausreichende Menge Wasser zur Verfügung gestellt werden.

Die Kriegsgefangenen müssen Gelegenheit zu körperlichen Übungen und zum Aufenthalt in frischer Luft erhalten.

Artikel 14.

In jedem Lager soll eine Krankenstube vorhanden sein, in der den Kriegsgefangenen jede Art Pflege zuteil wird, deren sie bedürfen. Erforderlichenfalls sollen Absonderungsräume zur Aufnahme Kranker mit ansteckenden Krankheiten bereitgehalten werden.

Die Kosten der Behandlung, einschliesslich derjenigen für die vorläufigen künstlichen Ersatzglieder, fallen dem Gewahrsamsstaate zur Last.

Die Kriegführenden sind verpflichtet, jedem behandelten Gefangenen auf Verlangen eine amtliche Bescheinigung auszuhändigen, auf der Art und Dauer seiner Krankheit sowie die empfangene Behandlung verzeichnet ist.

Den Kriegführenden steht frei, durch besondere Vereinbarungen sich gegenseitig zu ermächtigen, Ärzte und Krankenwärter zur Pflege ihrer kriegsgefangenen Landsleute in den Lagern zurückzubehalten.

Schwer erkrankte oder solche Gefangene, deren Zustand einen erheblichen chirurgischen Eingriff nötig macht, sollen auf Kosten des Gewahrsamsstaates in jedem Militärlazarett oder Zivilkrankenhaus Aufnahme finden, das zu ihrer Behandlung geeignet erscheint.

Artikel 15.

Ärztliche Untersuchungen der Kriegsgefangenen sollen mindestens einmal monatlich eingerichtet werden. Sie dienen dazu, den allgemeinen Gesundheits-

313 und Beinlichkeitszustand zu prüfen, sowie ansteckende Krankheiten, namentlich Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten, ausfindig zu machen.

Viertes Kapitel.

Geistige Bedürfnisse der Kriegsgefangenen.

Artikel 16.

Den Kriegsgefangenen wird in der Ausübung ihrer Religion mit Einschluss der Teilnahme am Gottesdienste volle Freiheit gelassen, unter der einzigen Bedingung, dass sie die Ordnungs- und Polizeivorscbriften der Militärbehörde befolgen.

Den kriegsgefangenen Geistlichen jedweder Religionsgemeinschaft ist es gestattet, ihr Amt unter ihren Glaubensgenossen ohne Einschränkung auszuüben.

Artikel 17.

Die Kriegführenden sollen die von den Kriegsgefangenen eingerichteten geistigen und sportlichen Zerstreuungen möglichst unterstützen.

Fünftee Kapitel.

Manneszucht in den Lagern.

Artikel 18.

Jedes Kriegsgefangenenlager wird einem verantwortlichen Offizier unterstellt.

Ausser den Ehrenbezeugungen, welche die Kriegsgefangenen nach den in ihren Heeren geltenden Vorschriften ihren eigenen Staatsangehörigen erweisen müssen, sind sie allen Offizieren des Gewahrsamsstaates militärischen Gruss schuldig.

Die kriegsgefangenen Offiziere haben nur die Offiziere höheren oder gleichen Dienstgrades des Gewahrsamsstaates zu grüssen.

Artikel 19.

Das Tragen der Dienstgradabzeichen und Ehrenzeichen ist erlaubt.

Artikel 20.

Vorschriften, Befehle, Anweisungen und Bekanntmachungen aller Art müssen den Kriegsgefangenen in einer Sprache bekanntgegeben werden, die sie verstehen. Derselbe Grundsatz ist bei Vernehmungen anzuwenden.

Sechstes Kapitel.

Sonderbestimmungen für Offiziere und Gleichgestellte.

Artikel 21.

Die Kriegführenden sind verpflichtet, einander bei Beginn der Feindseligkeiten die in ihren Heeren gebräuchlichen Bangbezeichnungen und Dienst-

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grade mitzuteilen, um die Gleiobmässigkeit in der Behandlung der Offiziere und Gleichgestellten der entsprechenden Grade zu gewährleisten.

Die kriegsgefangenen Offiziere und die ihnen Gleichgestellten sind mit der ihrem Bang und ihrem Alter zukommenden Bücksicht zu behandeln.

Artikel 22.

Zur Sicherstellung des Diensthetriehes in den Offizierlagern sollen diesen Lagern kriegsgefangene Mannschaften desselben Heeres, die möglichst die gleiche Sprache wie die Offiziere sprechen, in ausreichender, dem Dienstgrad der Offiziere und Gleichgestellten entsprechender Zahl zugeteilt worden.

Die 'Offiziere und Gleichgestellten haben sich ihre Beköstigung und Bekleidung von dem Sold, der ihnen vom Gewahrsamsstaat ausgezahlt wird, selbst zu beschaffen. Bei der Beköstigung ist die Selbstverwaltung durch die Offiziere auf jede Art zu fördern.

Siebentes Kapitel.

Die Geldmittel der Kriegsgefangenen.

Artikel 23.

Vorbehaltlich besonderer Vereinbarungen zwischen den Kriegführenden, insbesondere der in Artikel 24 vorgesehenen, erhalten die kriegsgefangenen Offiziere und Gleichgestellten vom Gewahrsamsstaate denselben Sold wie die Offiziere der entsprechenden Dienstgrade des Heeres dieses Staates, wobei jedoch dieser Sold die Höhe des Soldes nicht übersteigen darf, auf den sie in dem Heere des Landes, dem sie Dienst geleistet haben, Anspruch haben. Dieser Sold soll ihnen, möglichst einmal monatlich, in voller Höhe ausgezahlt werden.

Dabei darf kein Abzug für Ausgaben gemacht werden, die dem Gewahrsamsstaate zur Last fallen, selbst wenn diese zu ihren Gunsten erfolgen sollten.

Eine Vereinbarung zwischen den Kriegführenden soll den auf diese Zahlung anwendbaren Wechselkurs festsetzen; in Ermangelung einer solchen Vereinbarung soll der Kurswert zu Beginn der Feindseligkeiten angenommen werden.

Alle an die Kriegsgefangenen geleisteten Soldzahlungen müssen nach Beendigung der Feindseligkeiten von der Macht zurückgezahlt werden, in deren Diensten die Kriegsgefangenen gestanden haben.

Artikel 24.

Bei Beginn der Feindseligkeiten sollen die Kriegführenden durch gemeinsame Vereinbarungen den Höchstbetrag an barem Gelde festsetzen, den die Kriegsgefangenen der verschiedenen Dienstgrade und Bangklassen bei sich behalten dürfen. Jeder einem Kriegsgefangenen entzogene oder vorenthaltene Überschuss, sowie jede durch ihn bewirkte Einzahlung soll ihm gutgeschrieben und darf ohne seine Zustimmung nicht in eine andere Währung umgetauscht werden.

315 Bei Beendigung der Gefangenschaft sind den Kriegsgefangenen die Guthabenbeträge ihrer Rechnungen auszuzahlen.

Während der Dauer der Gefangenschaft sind ihnen alle Erleichterungen zu gewähren, damit sie diese Beträge ganz oder teilweise an Banken oder Privatpersonen ihrea Heimatstaates überweisen tonnen.

Achtes Kapitel.

Verlegung der Kriegsgefangenen.

Artikel 25.

Sofern nicht der Gang der militärischen Operationen es erfordert, sollen die kranken und verwundeten Kriegsgefangenen solange nicht verlegt werden, als ihre Wiederherstellung durch die Reise gefährdet werden könnte.

Artikel 26.

Im Falle der Versetzung werden die Kriegsgefangenen von ihrem neuen Bestimmungsort vorher dienstlich in Kenntnis gesetzt. Es ist ihnen erlaubt, ihre persönlichen Effekten, ihre Briefschaften und die für sie angekommenen Pakete mitzunehmen.

Für die unverzügliche Nachsendung der im früheren Lager eingetroffenen Briefschaften und Pakete sind alle erforderlichen Massnahmen zu treffen.

Die für Rechnung der Gefangenen hinterlegten Geldbeträge werden der für den neuen Aufenthaltsort zuständigen Behörde überwiesen.

Die Kosten der Versetzung gehen zu Lasten des GewahrsainSBtaates.

Dritter Abschnitt.

Die Arbeit der Kriegsgefangenen.

Erstes Kapitel.

Allgemeines.

Artikel 27.

Die Kriegführenden können die gesunden Kriegsgefangenen, ausgenommen Offiziere und Gleichgestellte, je nach Dienstgrad und Fähigkeiten als Arbeiter verwenden.

Wenn Offiziere oder Gleichgestellte eine ihnen zusagende Arbeit verlangen, soll sie ihnen, soweit als möglich, verschafft werden.

Die kriegsgefangenen Unteroffiziere können nur zum Aufsichtsdienste herangezogen werden, es sei denn, sie verlangten ausdrücklich eine entgeltliche Beschäftigung, Die Kriegführenden sind verpflichtet, den durch Arbeitsunfälle zu Schaden gekommenen Kriegsgefangenen während der ganzen Dauer der Gefangenschaft die Bestimmungen zugute kommen zu lassen, die nach der Gesetzgebung des

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Gewahrsamsstaates auf die Arbeiter derselben Kategorie anwendbar sind.

Bezüglich der Kriegsgefangenen, auf die diese gesetzlichen Bestimmungen auf Grund der Gesetzgebung des Gewahrsamsstaates nicht angewendet werden können, verpflichtet sich der Gewahrsamsstaat, seiner gesetzgebenden Körperschaft alle geeigneten Massnahmen behufs angemessener Entschädigung der Unfallverletzten zu empfehlen.

Zweites Kapitel.

Organisation der Arbeit.

Artikel 28, Der Gewahrsamsstaat übernimmt die volle Verantwortung für Unterhalt, Versorgung, Behandlung und Entlohnung der Kriegsgefangenen, wenn sie für Rechnung von Privatpersonen arbeiten.

Artikel 29.

Kein Kriegsgefangener darf zu Arbeiten verwendet werden, zu denen er körperlich nicht tauglich ist.

Artikel 30.

Die .tägliche Arbeitsdauer der Kriegsgefangenen, einschliesslich des Hinund Ruckmarsches, darf nicht übermässig sein und keinesfalls diejenige übersteigen, die für die Zivilarbeiter der betreffenden Gegend bei der gleichen Arbeit zulässig ist. Jedem Kriegsgefangenen ist wöchentlich eine Ruhe von vierundzwanzig aufeinanderfolgenden Stunden, vorzugsweise Sonntags, zu gewähren.

Drittes Kapitel.

Verbotene Arbeit.

Artikel 31.

Die von den Kriegsgefangenen zu leistenden Arbeiten dürfen in keiner unmittelbaren Beziehung zu den Kriegshandlungen stehen. Insbesondere ist verboten, Gefangene zur Herstellung und zum Transport von Waffen oder Munition aller Art sowie zum Transport von Material zu verwenden, das für kämpf ende Truppen bestimmt ist.

Im Falle der Übertretung der Bestimmungen des vorstehenden Absatzes sind die Kriegsgefangenen befugt, nach der Ausführung oder nach dem Beginne der Ausführung des Befehls ihre Beschwerden durch Vermittlung der Vertrauensleute, über deren Obliegenheiten Artikel 48 und 44 Bestimmung trifft, oder in Ermangelung eines Vertrauensmannes durch Vermittlung der Vertreter der Schutzmacht vorbringen zu lassen.

Artikel 32.

Es ist verboten, Kriegsgefangene zu unzuträglichen oder gefährlichen Arbeiten zu verwenden.

317 Jede Erschwerung der Arbeitsbedingungen als disziplinarische Massnähme ist verboten.

Viertes Kapitel.

Arbeitsdetachemente.

Artikel 83.

Die Einrichtung der Arbeitsdetachemento soll, besonders hinsichtlich der gesundheitlichen Bedingungen, der Verpflegung, der Vorsorge für Unglücksoder Erkrankungsfälle, des Briefvorkehrs und Paketempfangs, derjenigen der Kriegsgefangenenlager entsprechen.

Jedes Arbeitsdetachement soll einem Gefangenenlager unterstehen. Der Kommandant dieses Lagers ist dafür verantwortlich, dass die Bestimmungen dieses Abkommens bei dem Arbeitsdetachemente befolgt werden.

Fünftes Kapitel.

Dec Arbeitslohn.

Artikel 34.

Die Kriegsgefangenen erhalten für die zur Verwaltung, Bewirtschaftung und Unterhaltung der Lager nötigen Arbeiten keinen Lohn.

Die zu anderen Arbeiten verwendeten Gefangenen haben Anspruch auf einen Lohn, der durch Vereinbarungen zwischen den Kriegfuhrenden festzusetzen ist.

Diese Vereinbarungen sollen ebenso den Teil des Lohns genau bestimmen, den die Lagerverwaltung zurückbehalten darf, sowie den Betrag, der dem Kriegsgefangenen gehört, und die Art, -wie er wahrend der Gefangenschaft zu seiner Verfügung zu stellen ist.

Bis zum Abschlüsse solcher Vereinbarungen ist die Entlohnung der Arbeit der Gefangenen auf Grund nachstehender ßegeln festzusetzen: a. Arbeiten für den Staat werden nach den Batzen bezahlt, die für Militärpersonen des eigenen Heeres bei Ausführung der gleichen Arbeiten gelten, oder, falls solche Sätze nicht bestehen, nach einem Satze wie er den geleisteten Arbeiten entspricht.

'b. Werden die Arbeiten für Rechnung anderer öffentlicher Verwaltungen oder für Privatpersonen ausgeführt, so werden die Bedingungen im Einverständnisse mit der Militärbehörde festgesetzt.

Der dem Kriegsgefangenen als Guthaben verbleibende Arbeitslohn ist ihm bei der Beendigung seiner Gefangenschaft auszuhändigen. Im Falle seines Todes ist er auf diplomatischem Wege seinen Erben zuzustellen.

Bundesblatt.

82. Jahrg.

Bd. II

24

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Vierter Abschnitt.

Die Beziehungen der Kriegsgefangenen zur Aussenwelt.

Artikel 35.

Bei Beginn der Feindseligkeiten werden die Kriegführenden die An Ordnungen bekanntgeben, die zur Ausführung der Bestimmungen dieses Abschnitts vorgesehen sind.

Artikel 36.

Jeder der Kriegführenden wird die Zahl der Briefe und Postkarten, die die Kriegsgefangenen der verschiedenen Eangklassen monatlich absenden dürfen, von Zeit zu Zeit festsetzen und diese Zahl der anderen Kriegspartei mitteilen. Die Briefe und Karten sind auf dem kürzesten Wege durch die Post zu befördern. Sie dürfen aus disziplinarischen Gründen weder auf- noch zurückgehalten werden.

Jeder Kriegsgefangene soll spätestens eine Woche nach seiner Ankunft im Lager und im Fall einer Erkrankung Gelegenheit erhalten, seiner Familie eine Postkarte mit Nachrichten über seine Gefangennahme und seinen Gesundheitszustand zu senden. Diese Postkarten sind mit möglichster Beschleunigung zu befördern und dürfen in keiner Weise aufgehalten werden.

Im allgemeinen soll der Briefwechsel der Kriegsgefangenen in deren Muttersprache abgefasst sein. Die Kriegführenden können ihn aber in anderen Sprachen zulassen.

Artikel 87.

Den Kriegsgefangenen ist zu gestatten, Einzelpakete mit Lebensmitteln und anderen zu ihrem Unterhalt oder ihrer Bekleidung bestimmten Gegenständen zu empfangen. Die Pakete sind den Empfängern gegen Empfangsschein auszuhändigen.

Artikel 38.

Die für die Kriegsgefangenen bestimmten oder von ihnon abgesandten Briefschaften, Geld- oder Wertsendungen und Pakete, gleichgültig, ob sie unmittelbar oder durch Vermittlung der in Artikel 77 vorgesehenen Auskunftsstellen befördert werden, sind sowohl in den Ursprungs- wie in den Bestimmungs- und Durchgangsländern von allen Postgebühren befreit.

Ebenso bleiben die für die Gefangenen bestimmten Liebesgaben und Sachunterstützungen von allen Einfuhrzöllen und anderen Abgaben sowie von den Frachtkosten auf Staatsbahnen befreit.

Es kann den Gefangenen in den als dringlich anerkannten Fällen, gegen Zahlung der üblichen Gebühren, gestattet werden, Telegramme abzusenden.

Artikel 39.

Den Kriegsgefangenen ist zu gestatten, Einzelsendungen von Büchern zu empfangen; die Bücher können einer Prüfung unterworfen werden.

319 Die Vertreter der Schutzmächte und der gehörig anerkannten und ermächtigten Hüfsgesellschaften dürfen den Lagerbüchereien Einzelwerke und Büchersammlungen übersenden. Die Zustellung dieser Sendungen an die Büchereien darf nicht unter dem Voi wände von Zensurschwierigkeiten verzögert werden.

Artikel 40.

Die Prüfung der Briefschaften soll in möglichst kurzer Frist bewirkt werden. Die Durchsicht der Postsendungen soll ausserdem auf die Erhaltung der etwa darin befindlichen Lebensmittel Bedacht nehmen und möglichst in Gegenwart des Empfängers oder eines von ihm dazu ermächtigten Vertrauensmannes erfolgen.

Eine durch die Kriegführenden aus militärischen oder politischen Gründen erlassene Sperre des Briefverkehrs ist nur vorübergehend zulässig und soll von möglichst kurzer Dauer sein.

Artikel 41.

Die Kriegführenden sollen für dio Übersendung der für die Kriegsgefangenen bestimmten oder von ihnen unterzeichneten Schriftstücke, Bescheinigungen und Urkunden, insbesondere von Vollmachten und Testamenten, alle Erleichterungen gewähren.

Sie werden Vorsorge treffen, dass nötigenfalls die durch die Gefangenen geleisteten Unterschriften beglaubigt werden.

Fünfter Abschnitt, Die Beziehungen der Kriegsgefangenen zu den Behörden.

Erstes Kapitel.

Klagen der Kriegsgefangenen über Une Behandlung.

Artikel 42.

Den Kriegsgefangenen steht das Becht zu, wegen der Behandlung, der sie in der Gefangenschaft unterworfen sind, an die militärischen Behörden, in deren Gewalt sie sich befinden, Gesuche zu richten.

Sie haben ebenso das Eecht, sich an die Vertreter der Schutzmächte zu wenden, um ihnen diejenigen Punkte anzuzeigen, über die sie hinsichtlich der Gefangenenbeharjdlung Klagen vorzubringen haben.

Diese Gesuche und Beschwerden müssen beschleunigt befördert werden.

Auch wenn sie sich als unbegründet herausstellen, können sie zu keiner Strafe Veranlassung geben.

Zweites Kapitel.

Die Vertretung der Kriegsgefangenen.

Artikel 43.

An jedem Orte, wo sich Kriegsgefangene befinden, haben diese die Befugnis, Vertrauensleute zu bestimmen, die sie gegenüber den Militärbehörden und Schutzmächten zu vertreten haben.

320 Dio Bestimmung der Vertrauensleute unterliegt der Genehmigung der Militärbehörde.

Die Vertrauensleute haben die Sauimelsendungen in Empfang zu nehmen und zu verteilen. Eberiso fällt die Organisation einer gegebenenfaUs von den Gefangenen unter sich beschlossenen Einrichtung zur gegenseitigen Unterstützung in die Zuständigkeit der Vertrauensleute. Ausserdem können diese den Gefangenen zur Erleichterung der Beziehungen mit den in Artikel 78 genannten Hüfsgesellschaften ihre Dienste zur Verfügung stellen.

In den Lagern für Offiziere und Gleichgestellte ist der rangälteste kriegsgefangone Offizier des höchsten Dienstgrades zur Vermittlung zwischen den Lagerbehördcn und den kriegsgefangenen Offizieren und Gleichgestellten berufen. Er kann zu diesem Z-weck einen kriegsgefangenen Offizier bestimmen, der ihn als Dolmetscher bei den Verhandlungen mit den Lagerbehörden unterstützt.

Artikel 44.

Wenn die Vertrauensleute als Arbeiter verwendet werden, ist ihre Tätigkeit als Vertreter der Kriegsgefangenen auf die vorgeschriebene Arbeitszeit anzurechnen.

Den Vertrauensleuten soll für ihren Brief verkehr mit den Militärbehörden und der Schutzmacht jede Erleichterung gewährt werden. Dieser Brief verkehr soll nicht beschränkt werden.

Ein Gefangenenvertretcr darf nicht versetzt werden, ohne dass ihm dio erforderliche Zeit gewahrt wird, seinen Nachfolger mit den laufenden Angelegenheiten vortraut zu machen.

Drittes Kapitel.

Die Bestrafung von Kriegsgefangenen.

1. Allgemeine Bestimmungen.

Artikel 45.

Die Kriegsgefangenen unterstehen den im Heere des Gewahrsamsstaatcs geltenden Gesetzen, Vorschriften und Befohlen.

Jede L'nbotmassigkcit berechtigt ihnen gegenüber zu den Massnahraen, die in diesen Gesetzen, Vorschriften und Befehlen vorgesehen sind.

Indessen bleiben die Bestimmungen dieses Kapitels vorbehalten.

Artikel 16.

Die Kriegsgefangenen dürfen durch die Militärbehörden und die Gerichte des Gewahrsamsstaates nicht mit anderen Strafen belegt werden, als mit denjenigen, die für die gleichen Vergehen gegenüber den Militärpersonen des Heeres des Gewahrsamsstaates vorgesehen sind, Kriegsgefangene Offiziere, Unteroffiziere oder Mannschaften dürfen bei Verbüssung einer Disziplinarstrafe keiner ungünstigeren Behandlung unter-

321 werfen werden als sie bei gleichem Dienstgrad hinsichtlich derselben Strafen in dein Heere dos Gewahrsamsstaates vorgesehen sind.

Verboten sind körperliche Strafen jeder Art, jede Einsperrung in nicht vom Tageslicht erhellte Räume und überhaupt jede Art von Grausamkeit.

Ebenso sind Kollektivstrafen für Vergehen einzelner untersagt.

Artikel 47.

Handlungen, die einen Vorstoss gegen die Disziplin darstellen, insbesondere Fluchtversuche, sind beschleunigt festzustellen; für alle Kriegsgefangenen, mit oder ohne militärischen Bang, ist eine vorläufige Festnahme auf das unbedingte Mindestmass zu beschränken.

Gerichtliche Untersuchungen gegen Kriegsgefangene sind so schnell durchzuführen, als die Umstände es gestatten. Die Untersuchungshaft ist möglichst einzuschränken.

In allen Fällen ist die Dauer der Untersuchungshaft auf die disziplinarisch oder gerichtlich verhängte Strafe insoweit anzurechnen, als eine solche Anrechnung für die Militärpersonen des eigenen Heeres zugelassen ist.

Artikel 48.

Kriegsgefangene dürfen nach Verbüssung von gerichtlichen oder Disziplinarstrafen nicht anders behandelt werden als die übrigen Kriegsgefangenen.

Indessen können wegen Fluchtversuchs bestrafte Kriegsgefangene einer besonderen Überwachung unterworfen werden, die jedoch nicht zur Aufbebung der den Kriegsgefangenen in diesem Abkommen gewährleisteten Rechte führen darf, Artikel 49.

Kein Kriegsgefangener darf durch den Gewahrsamsstaat seines militärischen Dienstgrades entkleidet -werden.

Den disziplinarisch bestraften Gefangenen dürfen die mit ihrem Dienstgrad verbundenen Vergünstigungen nicht genommen werden. Insbesondere dürfen Offiziere und Gleichgestellte, dio Freiheitsstrafen verbussen, nicht in den gleichen Räumen wie bestrafte Unteroffiziere und Mannschaften untergebracht werden.

Artikel 50.

Entwichene Kriegsgefangene, die-wieder ergriffen werden, bevor sie ihr Heer erreichen oder das von dem Heere, das sie gefangen genommen hat, besetzte Gebiet verlassen konnten, dürfen nur disziplinarisch bestraft werden.

Kriegsgefangene, die wieder gelangen genommen werden, nachdem sie ihr Heer erreicht oder das von dem Heere, das sie gefangen genommen hat, besetzte Gebiet verlassen hatten, dürfen wegen der früheren Flucht nicht bestraft werden.

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Artikel 51.

Bin Fluchtversuch wird selbst im "Wiederholungsfalle nioht als strafverschärfcnd angesehen, wenn der Kriegsgefangene für Verbrechen oder Vergehen gegen Personen oder gegen das Eigentum, die im Verlaufe dieses Fluchtversuchs begangen worden sind, vor Gericht gestellt wird.

Nach einer versuchten oder gelungenen Flucht können die Kameraden des Flüchtlings, die ihm bei der Flucht geholfen haben, hierfür nur disziplinarisch bestraft werden.

Artikel 52, Die Kriegführenden werden darüber wachen, dass die zuständigen Behörden die grösste Nachsicht bei der Beurteilung der Frage üben, ob eine von einem Kriegsgefangenen begangene Übertretung gerichtlich oder disziplinarisch bestraft werden soll.

Das gilt besonders bei der Beurteilung von Handlungen, die mit einer Flucht oder einem Fluchtversuche zusammenhängen.

Für eine und dieselbe Handlung oder aus einem und demselben Anklagegrund kann ein Kriegsgefangener nur einmal bestraft werden.

Artikel 58.

Ein zu einer Disziplinarstrafe verurteilter Kriegsgefangener, bei dem die für die Heimsendung vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind, kann nicht deshalb zurückgehalten werden, weil er seine Strafe noch nicht verbüsst hat.

Die heimzusendenden Kriegsgefangenen, die strafgerichtlich verfolgt werden, können bis zur Beendigung des Verfahrens und gegebenenfalls bis zur Verbüssung der Strafe von der Heimsendung ausgeschlossen werden; diejenigen, die auf G-rund einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe bereits verbüssen, können bis zu deren Beendigung zurückgehalten werden.

Die Kriegführenden werden einander Listen derjenigen Kriegsgefangenen mitteilen, die aus den im vorstehenden Absatz angeführten Gründen nicht heimgesandt werden können.

2. Disziplinarstrafen.

Artikel 54.

Der Arrest ist die strengste Disziplinarstrafe, die über einen Kriegsgefangenen verhängt werden kann.

Die Dauer einer und derselben Strafe darf dreissig Tage nicht überschreiten.

Diese Höchstdauer von dreissig Tagen darf auch dann nicht überschritten werden, wenn ein Kriegsgefangener sich gleichzeitig wegen mehrerer Handlungen disziplinarisch zu verantworten hat, gleichgültig, ob diese Handlungen in einem Zusammenhange stehen oder nicht.

Wenn im Laufe oder nach der Verbüssung einer Arreststrafe erneut eine Disziplinarstrafe über einen Kriegsgefangenen verhängt wird, musa zwischen

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jeder Vollstreckung ein Zeitraum von drei Tagen liegen, sobald eine der Arreststrafen zehn Tage oder mehr beträgt.

Artikel 55.

Vorbehaltlich der Bestimmung im letzten Absätze des Artikels 11 sind bei disziplinarischen Bestrafungen von Kriegsgefangenen als Strafverschärfung die Verpflegungsbeschränkungen anwendbar, die im Heere des Gewahrsamsstaates zugelassen sind.

Indessen dürfen diese Beschränkungen nur angeordnet werden, wenn der Gesundheitszustand des Gefangenen es gestattet.

Artikel 56.

In keinem Falle dürfen Kriegsgefangene zur Verbüssung von Disziplinarstrafen in Strafanstalten (Gefängnisse, Kerker, Zuchthäuser usw.) verbracht werden.

Die Bäume, in denen -Disziplinarstrafe!) verbüsst werden, müssen gesundheitlich einwandfrei sein.

Den die Strafe verbüssenden Gefangenen muss ermöglicht werden, sich saubor zu halten.

Die Gefangenen sollen täglich Gelegenheit erhalten, sich zu bewegen und mindestens zwei Stunden im Freien aufzuhalten.

Artikel 57.

Disziplinarisch bestrafte Kriegsgefangene dürfen lesen und schreiben, sowie Briefe absenden und erhalten.

Dagegen ist es zulässig, Pakete und Geldsendungen erst nach Verbüssung der Strafe auszuhändigen. Wenn solche Pakete verderbliche Lebensrnittel enthalten, so werden letztere der Krankenstube oder Lagerkuche abgeliefert.

Artikel 58.

Den disziplinarisch bestraften Kriegsgefangenen soll auf Verlangen gestattet werden, sich bei der täglichen ärztlichen Untersuchung vorzustellen.

Sie erhalten die vom Arzte für nötig erachtete Pflege und werden gegebenenfalls in die Krankenstube des Lagers oder in ein Krankenhaus überführt.

Artikel 59.

Vorbehaltlich der Zuständigkeit der Gerichte und höheren Militärbehörden dürfen Disziplinarstrafen nur von einem mit Disziplinargewalt als Lagerkommandant oder Führer eines Arbeitsdetachements ausgestatteten Offizier oder von dem ihn vertretenden verantwortlichen Offizier ausgesprochen werden.

324 3, Gerichtliche

Verfolgung.

Artikel 60.

Bei Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegen einen Kriegsgefangenen soll der Gewahrsamsstaat hiervon, sobald es ihm möglich ist, jedenfalls aber vor dem für die Eröffnung der Hauptverhandlung bestimmten Zeitpunkte, den Vertreter der Schutzmacht benachrichtigen.

Diese Mitteilung soll folgende Angaben enthalten: a. den Personenstand und Dienstgrad des Gefangenen; b. den Ort des Aufenthalts oder der Haft; c. die Darlegung der Anklagegründe unter Erwähnung der anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen.

Wenn es nicht möglich ist, in dieser Anzeige das Gericht, das die Angelegenheit aburteilen wird, den Zeitpunkt der Eröffnung der Hauptverhandlung und den Verhandlungsraum mitzuteilen, so sollen diese Angaben späterhin, und zwar möglichst bald, jedenfalls aber mindestens drei Wochen vor der Eröffnung der Haupt Verhandlung dem Vertreter der Schutümacht nachgeliefert werden.

Artikel 61.

Kein Kriegsgefangener darf verurteilt werden, ohne Gelegenheit zu seiner Verteidigung gehabt zu haben.

Kein Kriegsgefangener darf gezwungen werden, sich der Handlung, deren er angeklagt ist, schuldig zu bekennen.

Artikel 62.

Der Kriegsgefangene hat das Eecht auf Beistand durch einen geeigneten Verteidiger seiner Wahl und, wenn nötig, auf die Dienste eines zuverlässigen Dolmetschers. Er ist von seinem Eecht durch den Gowahrsamsstaat rechtzeitig vor der Haupt Verhandlung zu benachrichtigen.

Wählt der Kriegsgefangene keinen Verteidiger, so kann ihm die Schutzmacht einen solchen bestellen. Der Gewahrsamsstaat soll der Schutzmacht auf deren Verlangen eine Liste von Personen übermitteln, die für die Übernahme der Verteidigung geeignet sind.

Die Vertreter der Schutzmacht haben das Hecht, der Prozessverhandlung beizuwohnen.

Von dieser Eegel ist nur der Fall ausgenommen, in dem die Prozessverhandlung aus Gründen der Staatssicherheit geheim bleiben muss. Der Gewahrsamsstaat soll die Schutzmacht hiervon zum voraus benachrichtigen.

Artikel 68.

Ein Urteil gegen einen Kriegsgefangenen darf nur durch dieselben Gerichte und nach demselben Verfahren gefällt werden, wie ein Urteil gegen die zu den Streitkräften des Gewahrsamsstaates gehörenden Personen.

325 Artikel 64.

Jeder Kriegsgefangene hat das Kecht, gegen jedes Urteil, das gegen ihn ergangen ist, die nämlichen Rechtsmittel einzulegen, "wie die zu den Streitkräften des Gewahrsamsstaates gehörenden Personen.

Artikel 65.

Die gegen die Kriegsgefangenen gefällten. Urteile sollen sofort der Schutzmacht mitgeteilt -werden.

Artikel 66.

Wird gegen einen Kriegsgefangenen dio Todesstrafe ausgesprochen, dann soll schnellstens eine Mitteilung, die im einzelnen dio Art und die Umstände der Straftaten enthält, behufs Übermittlung an die Macht, in deren Heer der Gefangene gedient hat, an den Vertreter der Schutzmacht gerichtet werden.

Das Urteil soll nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens drei Monaten nach dieser Mitteilung vollstreckt -werden.

Artikel 67.

Kein Kriegsgefangener darf auf Grund eines Urteils oder aus einem sonstigen Grunde der Vorteile der Bestimmungen des Artikels 42 dieses Abkommens verlustig gehen.

Vierter Titel.

Die Beendigung der Gefangenschaft.

Erster Abschnitt.

Die Heimsendung und die Unterbringung in einem neutralen Lande.

Artikel 68.

Die Kriegführenden sind verpflichtet, schwer kranke und schwer verwundete Kriegsgefangene, nachdem sie sie transportfähig gemacht haben, ohne Bücksicht auf Dienstgrad und Zahl in ihre Heimat zurückzusenden.

Deshalb sind sobald als möglich durch Vereinbarungen zwischen den Kriegfuhrenden die Gebrechen und Krankheiten zu bestimmen, die eine unmittelbare Heimsendung oder eine etwaige Unterbringung in einem neutralen Lande begründen. Bis zum Abschlüsse solcher Vereinbarungen können sich die Kriegführenden auf die diesem Abkommen beigefügte Mustervereinbarung als Unterlage beziehen.

Artikel 69.

Bei Kriegsausbruch verständigen sich die Kriegführenden über dio Ernennung gemischter Ärztekommissionen. Diese Kommissionen bestehen aus

326

drei Mitgliedern, von denen zwei einem neutralen Lande angehören und eines von dem GewahrsamBBtaate»bestimmt wird; einer der Ärzte des neutralen Landes führt den Vorsitz. Diese gemischten Ärztekommissionen untersuchen die kranken und verwundeten Gefangenen und treffen ihretwegen alle nötigen Entscheidungen.

Die Entscheidungen dieser Kommissionen erfolgen mit Stimmenmehrheit und sind in kürzester Frist auszuführen.

Artikel 70.

Ausser den durch den Lagerarzt bestimmten sind nachstehende Kriegsgefangene im Hinblick auf ihre unmittelbare Heimsendung oder ihre Unterbringung in einem neutralen Lande durch die in Artikel 69 genannten gemischten Ärztekommissionen zu untersuchen: a. die Gefangenen, die einen solchen Antrag beim Lagerarzte stellen; b. die Gefangenen, die von den in Artikel 48 vorgesehenen Vertrauensleuten aus eigenem Entschluss oder auf Antrag der Gefangenen selbst dazu vorgestellt werden; c. die Gefangenen, die durch die Macht, in deren Heer sie gedient haben, oder durch eine von dieser Macht gehörig anerkannte und ermächtigte Hilfsgesellschaft dazu vorgeschlagen werden.

Artikel 71.

Kriegsgefangene, die einen Arbeitsunfall erlitten haben, Selbstverstummler ausgenommen, gemessen, was die Heimsendung oder etwaige Unterbringung in einem neutralen Lande betrifft, die Vergünstigung derselben Bestimmungen.

Artikel 72. Während der Dauer der Feindseligkeiten können die Kriegführenden aus Gründen der Menschlichkeit über die unmittelbare Hennsendung gesunder Kriegsgefangener, die eine lange Kriegsgefangenschaft hinter sich haben, oder über ihre Unterbringung in einem neutralen Lande Vereinbarungen treffen.

Artikel 73.

Die Kosten der Heimsendung oder der Überführung der Kriegsgefangenen in ein neutrales Land sind von der Grenze des Gewabrsamsstaates ab von dem Staate zu tragen, in dessen Heer sie gedient haben.

Artikel 74.

Ein heimgesandter Kriegsgefangener darf nicht zum aktiven Militärdienste verwendet werden.

327

Zweiter Abschnitt.

Die Freilassung und Heimschaffung nach Beendigung der Feindseligkeiten.

Artikel 75.

Scbliessen dio Kriegführenden einen Waffenstillstandsvertrag, so haben sie in diesen grundsätzlich Bestimmungen über die Heimschaffung der Kriegsgefangenen aufzunehmen. Wenn solche Bestimmungen in den Veitrag nicht aufgenommen werden konnten, sollen die Kriegführenden gleichwohl so bald als möglich zu diesem Zwecke miteinander in Veibindung treten. Auf alle Fälle hat die Heimschaffung der Kriegsgefangenen binnen kürzester Frist nach Friedensschluss zu erfolgen.

Indessen können Kriegsgefangene, die wegen eines Verbrechens oder Vergehens des gemeinen Bechts strafgerichtlich vorfolgt werden, bis zur Beendigung des Verfahrens und gegebenenfalls bis zur Verbüssung der Strafe zurückgehalten werden. Das gleiche gilt für die wegen eines Verbrechens oder Vergehens des gemeinen Eechts Verurteilten.

Nach Vereinbarung unter den Kriegführenden können Kommissionen eingesetzt werden, um nach dem Verbleib verstreuter Kriegsgefangener zu forschen und für ihre Heimschaffung zu sorgen.

Fünfter Titel.

Todesfälle von Gefangenen.

Artikel 76.

Die Testamente der Kriegsgefangenen werden unter den gleichen Bedingungen wie die der Militärpersonen des eigenen Heeres zugelassen und errichtet werden.

Das gleiche gilt für die Beurkundung der Todesfälle, Die Kriegführenden werden dafür sorgen, dass die in der Gefangenschaft verstorbenen Kriegsgefangenen in würdiger Weise bestattet, ihre Gräber mit allen nötigen Angaben versehen, geachtet und angemessen unterhalten werden.

Sechster Titel.

Hilfs- und Auskunftstellen für die Kriegsgefangenen.

Artikel 77.

Bei Beginn der Feindseligkeiten sind von jeder kriegführenden Macht sowie von den neutralen Mächten, die Kriegsteilnehmer bei sich aufgenommen haben, amtliche Auskunftstellen über die auf ihrem Gebiete befindlichen Kriegsgefangenen zu errichten.

328 Jede kriegführende Macht hat ihrer AuskunftstoJlo in möglichst kurzer Frist jede durch ihre Streitkräfte bewirkte Gefangennahme mitzuteilen. Hierbei sind alle verfugbaren Angaben über die Persönlichkeit der Gefangenen zu machen, die eine schnelle Benachrichtigung der in Betracht kommenden Angehörigen ermöglichen; ferner ist mitzuteilen, wohin die Angehörigen den Gefangenen schreiben können.

Die Auskunftstelle soll dieso Angaben einerseits durch Vermittlung der Schutzmächte, andererseits durch die in Artikel 79 Vorgesehene Zentralauskunftsslelle schleunigst den in Betracht kommenden Mächten übermitteln.

Die mit der Beantwortung aller die Kriegsgefangenen betreffenden Anfragen beauftragte Auskunftstelle erhält von den verschiedenen zuständigen Dienststellen alle Angaben, welche Unterbringung und Verlegungen, Freilassungen auf Ehrenwort, Heimsendungen, Entweichungen aus der Gefangenschaft, Lazarettaufenthalte und Todesfalle betreffen, sowie alle sonstigen Nachrichten, die zur Aufstellung und Fortfuhrung eines PersonalblaH os für jeden Kriegsgefangenen nötig sind.

Die Auskunftstelle soll auf diesem Personalblatte, soweit angängig und vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 5, eintragen lassen : die Matrikel nummer, Name und Vornamen, Geburtstag und -ort, Dienstgrad und Truppenteil des Betreffenden, Vorname dea Vaters und Name der Mutter, die hei einem Unfall zu benachrichtigende Person, Verwundungen, Ort und Tag der Gefangennahme, der Interniorung, Verletzungen, Tod sowie alle sonstigen wichtigen Kennzeichen.

Den in Betracht kommenden Mächten sind wöchentlich Listen mit allen neuen Angaben zu übersenden, welche die Identifizierung jedes Kriegsgefangenen erleichtern.

Die Personalblàttcr der Kriegsgefangenen sind nach Friedensschluss der Macht zuzustellen, der sie Dienst geleistet haben.

Die Auskunftstelle ist ferner verpflichtet, alle Gegenstande des persönlichen Gebrauchs, Wertsachen, Briefschaften, Soldbucher, Erkennungszeichen usw., die von heimgesandten, auf Ehrenwort freigelassenen, entwichenen oder verstorbenen Kriegsgefangenen zurückgelassen worden sind, zu gammeln und den in Betracht kommenden Ländern zuzustellen.

Artikel 78.

Die nach ihrer Landesgesetzgebung ordnungsgemäss errichteten Hilfsgesellschaften für Kriegsgefangene, die als Vermittler für das Wohlfahrtswerk dienen,
und ihre gehörig beglaubigten Beauftragten sollen von Seiten der Kriegfuhrenden innerhalb der Grenzen der militärischen Notwendigkeiten jede Erleichterung z.ur wirksamen Erfüllung ihrer humanitären Aufgabe, erhalten.

Den Vertretern dieser Gesellschaften kann auf Grund einer ihnen persönlich von der Militärbehörde erteilten Erlaubnis und gegen die schriftliche Verpflichtung, sich allen von dieser etwa verfugten Ordnungs- und Polizeimass-

329 nahmen zu fügen, gestattet werden, in den Lagern sowie in den Bastorten der hcirngesandten Kriegsgefangenen Liebesgaben zu verteilen.

Artikel 79.

Eine Zentralauskunftstello über die Kriegsgefangenen soll auf neutralem Gebiet eingerichtet werden. Das Internationale Komitee vom Boten Kreuz wird, wenn es von ihm als nötig erachtet wird, den in Betracht kommenden Mächten die Einrichtung einer derartigen Auskunftstelle vorschlagen.

Diese Auskunftstelle hat alle dio Gefangenen betreffenden Nachrichten, die sie auf amtlichen oder privaten Wegen erhalten kann, zu sammeln und so schnell wie möglich dem Heimatstaate der Gefangenen oder der Macht, der sie Dienste geleistet haben, zuzustellen.

Vorstehende Bestimmungen dürfen nicht so ausgelegt werden, als sollten sie die menschenfreundliche Tätigkeit des Internationalen Komitees vom Boten Kreuz einschränken.

Artikel 80.

Die Auskunftstellen gemessen neben Gebührenfreiheit für Postsendungen auch alle in Artikel 38 vorgesehenen Befreiungen.

Siebenter Titel.

Die Anwendung des Abkommens auf bestimmte Kategorien von Zivilpersonen.

Artikel 81.

Personen, die den Streitkräften folgen, ohne ihnen unmittelbar anzugehören, wie Kriegskorrespondenten, Zeitungsberichterstatter, Marketender und Lieferanten haben, wenn sie in die Hand des Feindes geraten und diesem ihre Festhaltung zweckmässig erscheint, das Becht auf Behandlung als Kriegsgefangene, vorausgesetzt, dass sie sich im Besitz eines Ausweises der Militärbehörde der Streitkräfte befinden, die sie begleiteten.

Achter Titel.

Die Ausführung des Abkommens.

Erster Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

Artikel 82.

Die Bestimmungen dieses Abkommens müssen von den Hohen Vertragsparteien unter allen Umständen geachtet werden.

330

Falls in Kriegszeiten einer der Kriegführenden nicht Vertragspartei ist, bleiben die Bestimmungen dieses Abkommens gleichwohl für die kriegführenden Vertragsparteien verbindlich.

Artikel 88.

Die Hohen Vertragsparteien behalten sich das Recht vor, über alle auf die Kriegsgefangenen bezüglichen Prägen, für die ihnen noch eine besondere Begehmg angezeigt erscheinen sollte, besondere Vereinbarungen abzuschliessen.

Die Kriegsgefangenen bleiben bis zur Durchführung ihrer Heinischaffung im Genüsse dieser Vereinbarungen, vorbehaltlich anderer ausdrücklicher Bestimmungen in den genannten oder in spateren Vereinbarungen, ebenso vorbehaltlieh noch günstigerer Massnabmen, welche die eine oder die andere der kriegführenden Mächte hinsichtlich der Kriegsgefangenen, die sich in ihrer Gewalt befinden, trifft.

Um die Ausführung der Bestimmungen dieses Abkommens seitens der Parteien zu sichern und den Abschluss der oben vorgesehenen besonderen Abkommen zu erleichtern, können die Kriegführenden bei Beginn der Feindseligkeiten Zusammenkünfte von Vertretern der beiderseitigen mit den Kriegsgefangenenangelegenheiten betrauten Behörden zulassen.

Artikel 84.

Der Wortlaut dieses Abkommens und der im vorstehenden Artikel vorgesehenen besonderen Abkommen soll möglichst in der Muttersprache der Kriegsgefangenen an Stellen angeschlagen werden, wo alle Kriegsgefangenen Einsicht nehmen können.

Der Wortlaut dieser Abkommen soll den Kriegsgefangenen, denen es unmöglich ist, von dem Anschlage Kenntnis zu nehmen, auf ihr Verlangen mitgeteilt werden.

Artikel 85.

Die Hohen Vertragsparteien werden sich durch Vermittlung des Schweizerischen Bundesrates die amtlichen Übersetzungen dieses Abkommens, ebenso wie die Gesetze und Verordnungen mitteilen, zu denen sie sich veranlasst sehen sollten, um die Ausführung dieses Abkommens sicherzustellen.

Zweiter Abschnitt.

Die Einrichtung der Kontrolle.

Artikel 86.

Die Hohen Vertragsparteien erkennen an, dass die ordnungsmässige Anwendung dieses Abkommens eine Gewähr findet in der Möglichkeit der Mitarbeit der mit der Wahrnehmung der Interessen der Kriegführenden betrauten Schutzmächte; zu diesem Zwecke können die Schutzmächte auch ausserhalb ihres diplomatischen Personals unter ihren eigenen Staatsangehörigen oder

331 unter den Angehörigen anderer neutraler Staaten Delegierte bestimmen.

Pur diese Delegierten muss die Zustimmung des Kriegführenden eingeholt werden, bei dem sie ihre Aufgabe ausüben sollen.

Die Vertreter der Schutzmacht und ihre zugelassenen Delegierten sind ermächtigt, sich ohne Ausnahme an alle örtlichkeiten zu begeben, wo Kriegsgefangene untergebracht sind. Sie haben Zugang zu allen Bäumen, die mit Kriegsgefangenen belegt sind, und können sich mit diesen, im allgemeinen ohne Zeugen, persönlich oder durch Vermittlung von Dolmetschern unterhalten.

Die Kriegführenden haben den Vertretern und den zugelassenen Delegierten der Schutzmacht ihre Aufgabe in möglichst weitem Ausmasse zu erleichtern. Die Militärbehörden sollen von ihrem Besuche benachrichtigt werden.

Die Kriegführenden können sich darüber verständigen, dass Landsleute der Kriegsgefangenen zur Teilnahme an den Inspektionsreisen zugelassen werden.

Artikel 87.

Im Falle von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kriegführenden über die Anwendung der Bestimmungen dieses Abkommens sollen die Schutzmächte, soweit als möglich, ihre guten Dienste zwecks Regelung des Streitpunktes zur Verfügung stellen.

Zu diesem Zwecke kann jede der Schutzmächte den beteiligten Kriegführenden insbesondere eine Zusammenkunft von Vertretern der letzteren, gegebenenfalls auf neutralem, passend gewähltem Gebiete, vorschlagen. Die Kriegführenden sind verpflichtet, den Vorschlägen, die ihnen in diesem Sinne gemacht werden, Folge zu leisten. Die Sohutzmacht kann gegebenenfalls bei den an der Sache beteiligten Mächten die Zustimmung zur Teilnahme an dieser Zusammenkunft für eine Persönlichkeit eines neutralen Staates oder für eine von dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz abgeordnete Persönlichkeit nachsuchen.

Artikel 88.

Die vorstehenden Bestimmungen sollen der menschenfreundlichen Tätigkeit keinen Abbruch tun, die das Internationale Komitee vom Boten Kreuz zum Schutze der Kriegsgefangenen unter Zustimmung der beteiligten Kriegführenden ausübt.

Dritter Abschnitt!

Seh lussbestimmungen.

Artikel 89.

In den Beziehungen zwischen den Mächten, die durch das Haager Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs, sei es das Abkommen vom 29. Juli 1899 oder das Abkommen vom 18. Oktober 1907, gebunden sind und die an dem vorliegenden Abkommen teilnehmen, ergänzt

332 dieses letztere das zweite Kapitel der dem genannten Haager Abkommen beigefugten Ordnung.

Artikel 90.

Dieses Abkommen, welches das Datum des heutigen Tages tragen soll, kann bis zum 1. Februar 1930 im Namen aller Länder unterzeichnet werden, die auf der am 1. Juli 1929 in Genf eröffneten Konferenz vertreten waren.

Artikel 91.

Dieses Abkommen soll sobald als möglich ratifiziert werden.

Die Eatifikationsurkunden sollen in Bern hinterlegt werden.

Über die Hinterlegung einer jeden Eatifikationsurkunde soll ein Protokoll aufgenommen werden; von diesem soll eine beglaubigte Abschrift durch den Schweizerischen Bundcsrat den Eegierungen aller Lander mitgeteilt werden, in deren Namen das Abkommen unterzeichnet oder der Beitritt erklärt worden ist.

Artikel 92.

Dieses Abkommen tritt sechs Monate nach Hinterlegung von mindestens zwei Ratifikationsurkunden in Kraft.

Spaterhin tritt es für jede Hohe Vertragspartei sechs Monate nach Hinterlegung ihrer Eatifikationsurkunde in Kraft.

Artikel 93.

Vom Zeitpunkte seines Inkrafttretens an steht dieses Abkommen jedem Lande zum Beitritt offen, in dessen Namen dieses Abkommen nicht unterzeichnet worden i&t, Artikel 94.

Der Beitritt wird dem Schweizerischen Bundesrat schriftlich mitgeteilt und wird sechs Monate nach dem Zeitpunkte wirksam, an dem ihm dio Mitteilung zugegangen ist.

Der Schweizerische Bundesrat teilt die Beitrittserklärungen den Eegierungen aller Lander mit, in deren Namen das Abkommen unterzeichnet oder der Beitritt erklart worden ist.

Artikel 95.

Der Kriegszustand gibt den -von den kriegführenden Machten voi oder nach dem Beginne der Feindseligkeiten hinterlegten Eatifikationen und mitgeteilten Beitrittserklärungen sofortige "Wirksamkeit. Die Eatifikationen oder Beitrittserklärungen von Machten, die sich im Kriegszustande befinden, werden durch den Schweizerischen Bundesrat auf dem schnellsten Wege mitgeteilt, Artikel 96.

Jede Hohe Vertragspartei kann dieses Abkommen kundigen. Die Kündigung wird erst ein Jahr nach der schriftlich an den Schweizerischen Bundesrat

333

erfolgten Anzeige wirksam werden. Der Bundesrat wird diese Anzeige den Regierungen aller Hohen Vertragsparteien mitteilen.

Die Kündigung gilt nur für die Hohe Vertragspartei, die sie angezeigt hat.

Überdies wird diese Kündigung nicht wirksam im Laufe eines Krieges, in den die kündigende Macht verwickelt ist. In einem solchen Falle bleibt dieses Abkommen über die einjährige Frist hinaus bis zum Friedensschluss und jedenfalls bis zur Beendigung der Heimschaffung der Kriegsgefangenen wirksam.

Artikel 97.

Eine beglaubigte Abschrift dieses Abkommens wird im Archiv des Völkerbundes durch Vermittlung des Schweizerischen Bundesrats hinterlegt werden.

In gleicher Weise werden die an den Schweizerischen Bundesrat gerichteten Ratifikationen, Beitrittserklärungen und Kündigungen von diesem dem Völkerbund mitgeteilt werden.

Zu Urkund dessen haben die oben genannten Bevollmächtigten dieses Abkommen unterzeichnet.

Geschehen in Genf, am siebenundzwanzigsten Juli neunzehnhundertneunundzwanzig, in einer einzigen Ausfertigung, die im Archiv der Schweizerischen Eidgenossenschaft hinterlegt bleibt und von der beglaubigte Abschriften den Regierungen aller zur Konferenz eingeladenen Länder übergeben werden.

Für Deutschland: Edmund Rhomberg Für die Vereinigten Staaten von Amerika: Eliot Wadsworth Hugh R.Wilson Für Österreich: · T -, Leitmaier

Für Grossbritannien und Nordirland alTeileUe des Britischen Reichs, die nicht seihständige Mitglieder des Völkerbundes sind: Horace Eumbold

sowie für

m a. Riddelli W. A. Riddell Für Australien: Claud Eussell

Für Belgien: Dr. Demolder J. de Euelle

- Für Neuseeland: Claud Eussell

Für Bolivien: A. Cortadellas

Für Südafrika: Eric H. Louw

Für Brasilien:

Für den Freistaat Irland:

Raul do Rio-Branco

Sean Lester

Bundesblatt. 82. Jahrg. Bd. 11.

25

334

Für Indien:

Für Frankreich:

Claud Russell

H. de Marcilly J. du Sault

Für Bulgarien:

D. Mitoff Stephan N. Laftchieff

Für Griechenland t R. Raphaël S. Veniselos

Für Chile:

1

Für Ungarn:

Crino Novoa - D. Pulgar

Paul de Hevesy

Für China:

Für Italien:

C. Y. Iisiao

Giovanni Giraolo

Für Kolumbien:

Für Japan:

Francisco José Urrutia Für Kuba:

Isaburo Yoshida S. Shimomura S. Miura

Garlos de Armenteros Carlos Bianco

Für Lettland:

Für Dänemark:

Charles Duzmans Dr. Oskar Voit

Harald Scavenius Gustav Rasmussen

Für Luxemburg i

Ch. G. Vermaire Für die Dominikanische Republik:

Oh. Ackermann

Für Mexiko:

Fr. C astillo Nâjera Für Ägypten:

Mohammed Abdel Moneim Eiad H. W. M. Simaika

Für Nikaragua:

A, Sottile

Für Spanien:

Für Norwegen:

Ad Referendum Mauricio Lopez Roberts y Terry, Marqués de la Torrehermosa

J. Irgens Jens Meinich

Für Estland:

Dr. Leesment

Für die Niederlande: W. Doude van Troostwijk Dr. Kehl J. Harberts

Für Finnland:

Für Persien:

A. E. Martola

Anouchirevan Sepahbodi

335

Für Polen: Józof G. Pracki W. Jerzy Babecki Für Portugal: Vas co de Quevedo.

F. de Calheiros E. Menezes.

Für Rumänien: M. B. Boeresco.

Oberst E. Vertejano.

Für das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen: I. Choumenkovitch.

Für Siam: Varnvaidya.

Für Schweden: K. I. Westman.

Für die Schweiz: Paul Dinichert.

Hauser.

Zublin.

de U Harpe.

Schindler.

Für die Tschechoslowakei: Zd. Fierlinger.

Für die Türkei: Hassan.

M. Nusret.

Dr. Akil Moukhtar.

Dr. Abdulkadir.

Für Uruguay: Alfredo de Castro.

Für Venezuela: C. Parra-Pérez.

I. M. Hurtado-Macbado.

336

Anlage zum Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen vom 27. Juli 1929.

Muster -Vereinbarung betreifend

die unmittelbare Ileimsendung der Kriegsgefangenen und ihre Unterbringung in neutralem Lande ans gesundheitlichen Gründen.

I. Leitende Gesichtspunkte für die unmittelbare Heimsendung und für die Unterbringung in neutralem Lande.

A. Leitende Gesichtspunkte für die unmittelbare Heimsendung.

Es werden unmittelbar h e i m g e s a n d t : 1. Kranke und Verwundete, deren Wiederherstellung nach arztlicher Voraussicht innerhalb Jahresfrist nicht erwartet werden kann, wenn ihr Zustand Behandlung erfordert und ihre geistige oder körperliche Leistungsfähigkeit in erheblichem Masse beeinträchtigt erscheint; 2. unheilbare Kranke und Verwundete, deren geistige oder körperliche Leistungsfähigkeit in erheblichem Masse beeinträchtigt erscheint; S. geheilte Kranke und Verwundete, deren geistige oder körperliche Leistungsfähigkeit in erheblichem Masse beeinträchtigt erscheint.

B. Leitende Gesichtspunkte für die Unterbringung in neutralem Lande.

Untergebracht werden: 1. Kranke und Verwundete, deren Heilung innerhalb Jahresfrist zu erwarten ist, wenn diese Heilung durch die in neutralem Lande zur Verfügung stehenden Mittel schneller und sicherer erscheint als bei Portdauer der eigentlichen Kriegsgefangenschaft; 2. Kriegsgefangene, die in ihrer körperlichen oder geistigen Gesundheit durch die Portdauer der Kriegsgefangenschaft nach ärztlichem Ermessen ernsthaft gefährdet erscheinen, dagegen voraussichtlich durch die Unterbringung in neutralem Lande dieser Gefährdung entzogen werden können.

C. Leitende Gesichtspunkte für die Heimsendung der in neutralem Lande Untergebrachten.

Heimgesandt werden die in neutralem Lande untergebrachten Kriegsgefangenen, die nachstehenden Kategorien angehören:

337 1, solche, deren Zustand sich so erweist oder gestaltet, dass sie in die Kategorien der aus Gesundheitsrücksichten Ileimzusendenden fallen; 2, Geheilte, deren geistige oder körperliche Leistungsfälligkeit in erheblichen!

Masse beeinträchtigt erscheint.

II. Besondere Gesichtspunkte für die unmittelbare Heimsendung und für die Unterbringung in neutralem Lande.

A. Besondere Gesichtspunkte für die Heimsendung.

Es werden heinigesandt: 1. alle Kriegsgefangenen mit folgenden tatsächlichen oder funktioneilen auf organischen Verletzungen beruhenden Veränderungen: Gliederverlust, Lähmungen, Gelenkveränderungen und dergleichen, sofern der Schaden mindestens einen FUSS oder eine Hand betrifft oder dem Verlust einer Hand oder eines Fusses gleichkommt; 2. Alle v e r w u n d e t e n oder verletzten Kriegsgefangenen, deren Zustand ein Siechtum bedeutet, dessen Heilung nach ärztlichem Ermessen innerhalb Jahresfrist nicht zu erwarten ist; 8. alle K r a n k e n , deren Zustand ein Siechtum bedeutet, dessen Heilung nach ärztlichem Ermessen innerhalb Jahresfrist nicht zu ererwarten ist.

In diese Kategorie fallen insbesondere: a. fortgeschrittene Tuberkulose irgendwelcher Organe, welche nach ärztlichem Ermessen durch eine Kur in neutralem Lande nicht mehr geheilt oder wenigstens erheblich gebessert werden kann; b. Nichttuberkulose Erkrankungen, voraussichtlich unheilbarer Natur, der Atmungsorgane (so vor allem hochgradiges Emphysem mit oder ohne Bronchitis, Bronchiectasien,- schweres Asthma, Gasvergiftung usw.); c. schwere chronische Erkrankungen der Zirkulationsorgane (so Herzklappenfehler mit Neigung zu Kompensationsstörungen, schwere Herzmuskel-, Herzbeutel- und Gefässerkrankungen, insbesondere inoperable Aneurysmen groeser Gefässe usw.); d. schwere chronische Erkrankungen der Verdauungsorgane ; e. schwere chronische Erkrankungen der Harn- und Geschlechtsorgane, so vor allem alle Fälle von nachgewiesener chronischer Nephritis mit vollem Symptomenbild und insbesondere bei bereits vorhandenen Veränderungen von Herz und Gefässen, chronische Pyelitis und Cystitis usw.; /. schwere chronische Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems, so vor allem schwere Neurasthenie und Hysterie, alle Fälle von sicher nachgewiesener Epilepsie, schwerer Basedow usw. ; g. Blindheit beider oder Blindheit eines Auges, wenn die Sehschärfe des anderen nicht auf l zu korrigieren ist; Verminderung der Seh-

338

scharfe, wenn diese nicht auf wenigstens einem Auge auf % zu korrigieren ist; andere in diese Kategorie fallende Augenerkrankungen (Glaucom, Iritis, Chorioiditis usw.) ; h. totale Taubheit auf beiden Ohren oder totale Taubheit auf einem Ohr, wenn auf dem anderen die gewöhnliche" Sprechstimme auf l Meter nicht mehr gehört wird; i, alle unzweifelhaften Fälle geistiger Störungen: fc. schwere Fälle chronischer Metall- und anderer Vergiftungen (Blei, Quecksilber, Morphium, Kokain, Alkohol, Gase usw.) ; l. chronische Erkrankungen der Fortbewcgungsorgane (Arthritis deformans, Gicht, Rheumatismus mit klinisch nachweisbaren Organveränderungen), wenn die Erkrankungen schwer sind; w. alle bösartigen Neubildungen, sofern sie nicht durch verhältnismässig leichte operative Eingriff e ohne Lebensgefahr beseitigt werden können ; n. alle Fälle von Malaria mit nachweisbaren Organveränderungen (chronische erhebliche Vergrösserung von Leber oder Milz, Kachexie usw.) ; o. schwere chronische Hautkrankheiten, sofern ihre Art nicht die Unterbringung in neutralem Lande ärztlich angezeigt erscheinen lässt; p. alle schweren Krankheiten, die auf Fehlen der Vitamine in der Nahrung beruhen (Béribéri, Pellagra, chronischer Skorbut).

B. Besondere Gesichtspunkte für die Unterbringung in neutralem Lande.

Die Kriegsgefangenen müssen in neutralem Lande untergebracht werden, wenn sie nachstehende Krankheiten haben: 1. alle Formen von Tuberkulose irgendwelcher Organe, die nach den bestehenden ärztlichen Erfahrungen durch die in neutralem Lande zur Verfügung stehenden Hillsmittel (Hochgebirge, Sanatoriumsbehandlung usw.) der Heilung oder wenigstens erheblichen Besserung zugeführt werden können; - 2. alle Formen von behandlungsbedürftigen Erkrankungen der Atmungs-, Zirkulation«-, Verdauungs-, Urogenital-, Nerven-, Sinnes-, Fortbewegungs- und Hautorgane, jedoch unter der Bedingung, dass diese Krankheitsersoheinungen nicht unter die für die unmittelbare Heimsendung bestimmten Kategorien fallen oder zu voraussichtlich glatt in Heilung übergehenden eigentlichen akuten Krankheiten gehören. Gemeint sind in diesem Absätze solche Krankheiten, bei denen die Anwendung der in neutralem Lande verfügbaren Heilfaktoren wesentlich bessere Aussichten zur Heilung des Patienten bietet, als die Behandlung in der Gefangenschaft.

Insbesondere sind die
durch die Kriegsereignisse oder die Gefangen- schaft selbst verursachten oder ausgelösten nervösen Störungen in Berücksichtigung zu ziehen, wie die sogenannten Stacheldraht- oder Gefangenschaftspsychosen und dergleichen.

339

Alle derartigen, gehörig festgestellten Fälle sollen zur Unterbringung in neutralem Lande führen, soweit sie nicht wegen ihrer Schwere oder ihres konstitutionellen Charakters die unmittelbare Heimschaffung begründen.

Bei Fällen von sogenannter Stacheldraht- oder Gefangenschaftspsychose oder Neurose, welche nach dreimonatigem Aufenthalt in neutralem Lande nicht geheilt sind oder sich nicht sichtlich auf dem Wege zur endgültigen Heilung befinden, rauss Heimsendung erfolgen; 8. alle Verwundungen, Verletzungen oder deren Folgen, die in neutralem Lande bessere Aussichten auf Heilung haben, als in der Gefangenschaft, soweit sie nicht die unmittelbare Heimschaffung begründen oder nicht unerheblich sind; 4. alle Fälle von gehörig festgestellter Malaria ohne klinisch nachweisbare Organveränderungen (chronische Leber- und Milzschwellung, Kachexie usw.), wenn für deren endgültige Heilung der Aufenthalt in neutralem Lande besonders günstige Aussicht bietet; 5. alle Fälle von Vergiftungen (insbesondere durch Gase, Metalle, Alkaloide), für welche die Heilungsaussichten in neutralem Lande besonders günstig sind.

Von der Unterbringung in neutralem Lande sind ausgeschlossen : . 1. alle gehörig festgestellten Geisteskrankheiten; 2. alle als unheilbar geltenden organischen und funktioneilen Nervenkrankheiten.

(Diese beiden Kategorien gehören zu denjenigen, die zur unmittelbaren Heimsendung berechtigen.)

8. schwerer chronischer Alkoholismus; 4. alle ansteckenden Krankheiten im Stadium der Übertragbarkeit. (Die akuten Infektionskrankheiten, Lues I und II, Trachom, Lepra usw.)

III. Allgemeine Bemerkungen.

Die oben festgesetzten Bedingungen sollen im allgemeinen in möglichst weitherziger Weise ausgelegt und angewendet werden.

Diese Weitherzigkeit der Auslegung soll insbesondere bei den durch die Kriegsereignisse oder die Gefangenschaft selbst hervorgerufenen oder ausgelösten neurotischen und psyohopathischen Zuständen (Gefangenschaftspsychose) sowie für die Tuberkulose in allen Stadien angewendet werden.

Es ist selbstverständlich möglich, dass den Lagerärzten und gemischten Ärztekommissionen eine Menge Fälle vorgeführt werden, die unter den in Ziffer H angeführten Beispielen nicht erwähnt sind oder die sich diesen Beispielen nicht anpassen lassen. Die Beispiele sind daher nur afe besonders typisch

340 angeführt worden; von einer analogen Aufstellung chirurgischer Beispiele ist deshalb Abstand genommen worden, weil, abgesehen von den ohne weiteres klaren Fällen, wie Amputierte und dergleichen, besondere Typen schwer aufzustellen sind; die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Aufstellung dieser besondern Typen sich in der Praxis als nachteilig erweist.

Alle Fälle, welche in die angeführten Beispiele nicht genau hineinpassen, sind sinngemäss nach den aufgestellten leitenden Gesichtspunkten zu beurteilen.

341 Übersetzung.

Beilage 3.

Schlussakte vom 27. Juli 1929.

Die vom Schweizerischen Bundesrat zum Zwecke der Eevision der Genfer Übereinkunft zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde vom 6. Juli 1906 und zur Ausarbeitung einer KriegsgefangenenOrdnung einberufene Konferenz hat auf Grund zweier, von der X. und der XI. Internationalen Eotkreuzkonferenz behandelten und genehmigten Abkommensentwürfe vom 1. bis zum 27. Juli 1929 in Genf beraten.

Die folgenden Länder haben an der Konferenz teilgenommen, für welche die nachgenannten Delegierten bezeichnet worden waren: (Es folgen die Namen der Delegierten der hier aufgezählten Länder: Deutschland, Vereinigte Staaten von Amerika, Österreich, Belgien, Bolivien, Brasilien, Grossbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland, Südafrika, Freistaat Irland, Indien, Bulgarien, Chile, China, Kolumbien, Kuba, Dänemark, Dominikanische Eepublik, Ägypten, Spanien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Italien, Japan, Lettland, Luxemburg, Mexiko, Nikaragua, Norwegen, Niederlande, Persien, Polen, Portugal, Eumänien, Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, Siam, Schweden, Schweiz, Tschechoslowakei, Türkei, Uruguay, Venezuela.)

Den Vorsitz an der Konferenz hat Herr Paul Diniohert, bevollmächtigter Minister, schweizerischer Delegierter, geführt.

Die Konferenz hat zwei Kommissionen eingesetzt. Die Erste Kommission, die mit der Eevision der Genfer Übereinkunft betraut war, leitete Herr Minister Paul Dinichert, die Zweite, der die Ausarbeitung einer Kriegsgefangenenordnung oblag, Herr Minister Harald Scavenius. Die Zweite Kommission hat sich in zwei Unterausschüsse geteilt; in dem einen hatte Herr Minister Hugh E. Wilson, Delegierter der Vereinigten Staaten von Amerika, den Vorsitz inné, im andern der Sehr Ehrenwerte Sir Horace Eumbold, Delegierter Grossbritanniens.

Die Konferenz hat zwei Abkommen angenommen, die das Datum des heutigen Tages tragen und den Bevollmächtigten zur Unterschrift vorgelegt werden sollen: das Genfer Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde und das Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen.

Ausserdem hat die Konferenz folgende Wünsche und Ansichten bekundet :

342 I. Die Konferenz gibt dem Wunsche Ausdruck, dass geprüft werden möge, ob nicht zugunsten der in die Gewalt des Feindes gefallenen Schwerverwundeten und Schwerkranken neue Garantien geschaffen werden konnten, und zwar bis zum Ende ihrer Hospitalisierung.

II. Die Konferenz hält angesichts einer Anfrage des Souveränen Bitterordens vom Hospital des hl. Johannes von Jerusalem, Malteserorden genannt, dafür, dass die im Genfer Abkommen festgesetzten Bestimmungen, welche die Stellung der Hilfsgesellschaften bei den Heeren im Felde regelt, auf die nationalen Organisationen dieses Ordens anwendbar sind.

Ein Gleiches gilt für das Grosspriorat des hl. Johannes von Jerusalem in England, die Orden des hl. Johannes (Johanniter) sowie des hl. Georg in Deutschland und die gleichartigen, sich mit der Krankenpflege befassenden Orden in allen Landern.

III. Die Konferenz spricht den Wunsch aus, dass die an den Genfer Übereinkünften beteiligten Lander in naher Zukunft zu einer Konferenz zusammentreten möchten, um mit aller erforderlichen Ausführlichkeit die Verwendung der Sanitätsluftfahrt in Kriegszeiten zu regeln.

IV. Die Konferenz spricht den Wunsch aus, dass die Prüfung und die Einführung eines für alle Sanitätspersonen ohne militärische Uniform bestimmten Identitätsausweises nach einheitlichem Muster an die internationale Kommission zur Standardisierung des Sanitätsmaterials, mit Sitz in Genf, gewiesen werde.

V. Die Konferenz, welche die Bedeutung der den nationalen Botkreuzgesellschaften und den freiwilligen Hilfsgesellschaften in ihrem Werke der Solidarität unter den Völkern zufallenden Aufgabe anerkennt, erachtet es für ausserordentlich wünschenswert, dass ihnen für die Ausübung ihrer Tätigkeit in Friedenszeiten, namentlich was ihre Einrichtung, den Verkehr ihres Personals und den Transport ihres Materials sowie ihre Hilfswerke anbelangt, alle Erleichterungen und Befreiungen im vollsten, nach den nationalen Gesetzgebungen überhaupt zulässigen Umfange gewährt werden.

VI. Die Konferenz, die sich die einmütigen Entschliessungen ihrer beiden Kommissionen zu eigen macht, gibt dem Wunsche Ausdruck, dass eingehende Untersuchungen unternommen werden möchten im Hinblick auf den Abschluss eines internationalen Abkommens über die Eechtsstellung und den Schutz der feindlichen Zivilpersonen, die sich auf dem Gebiet
eines Kriegführenden oder auf einem von ihm besetzten Gebiete befinden.

Zu Urkund dessen haben die Delegierten die vorliegende Schlussakte unterzeichnet.

Geschehen in Genf, am siebenundzwanzigsten Juli neunzehnhundertneunundzwanzig, in einer einzigen Ausfertigung, die im Archiv der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu hinterlegen ist und von der beglaubigte Abschriften allen an der Konferenz vertretenen Ländern übergeben werden.

343

Für Deutschland:

Für Südafrika:

Edmund Ehomberg Wilhelm Mackeben Erich Albrecht

Eric H. Louw

Für die Vereinigten Staaten von Amerika: Eliot Wadsworth Hugh R. Wilson Joseph E. Baker Allen W. Gullion John P. Fletcher John B. Anderson Frank L. Pleadwell Pierrepont Moffat

Für Österreich: Leitmaier Für Belgien; Dr. Demolder J. de Ruelle

Für Bolivien: .

A. Cortadellas Für Brasilien: Raul do Rio-Branco

Für Grossbritannien und Nordirland sowie für alle Teile des Britischen Reichs, die nicht selbständige Mitglieder des Völkerbandes sind: Horace Rumbold.

G. R. Warner

Für Kanada: W. A. Riddell Georges P. Vanier For Australien: Claud Russell

Für Neuseeland: Claud Russell

Für den Freistaat Irland: Sean Lester Für Indien: J. G. McKenna

Für Bulgarien: D. Mikoff Stephan N. Laftchieff

Für Chile: Gmo Novoa D. Pulgar Für China: G. Y. Hsiao Für Kolumbien: Francisco José ürrutia Für Kuba: Carlos de Armenteros Carlos Bianco Für Dänemark: Harald Scavenius Gustav Rasmussen Für die Dominikanische Republik: Gh. Ackermann Für Ägypten: Mohammed Abdel Moneim Riad H. W. M. Simaika Für Spanien: Ad Referendum Mauricio Lopez Roberts y Terry, Marqués de la Torrehermosa Fernando Ga. Loygorri Antonio Jimenez Arrieta Manuel Ruiz JESUS Harri

344

Für Estland: Dr. Leesment Für Finnland: A. E. Martela Für Frankreich: H. de Marcilly J, du ISault Für Griechenland: E. Baphael S. Veniselos Für Ungarn: Paul de Hevesy Dr. Klein Sândor Eberhard Für Italien: Giovanni Ciraolo G. Eaineri Biscia Prof. Arcangelo Ilvento Emih'o Giglioli T.-Gol. M. Peruzzi Antonio Basile Guido Vinci-GiglucciFür Japan: Isaburo Yoshida S. Shimomura.

Seizo MiuraFür Lettland: Charles Duzmans Dr. Oskar Voit

Für Norwegen: J. Irgens Jens Meinich Für die Niederlande: Bei der Unterzeichnung dieser Schlussakte macht die niederländische Delegation folgenden Vorbehalt: Die niederländischen Dienstvorschriften gehen dahin, dass in Kriegs- oder Mobilisationszeiten alle freiwilligen Hilfsorganisationen in den Niederlanden der Leitung der niederländischen Kotkreuzvereinigung unterstellt sind.

W. Doude van Troostwijk Dr. Diebl J. Harberts Für Persien: Anouchirevan Sepahbodi Für Polen: Jozef G. Pracki "W. Jerzy Babecki Für Portugal: Vasco de Quevedo P. de Oalheiros o Menezes Für Rumänien: M. B. Boeresco Oberst E. Vertejano

Für Mexiko: Fr. Castillo Nâjera

Für das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen: I. Ghoumenkovitch Dr. J. M. EouviditchDr. Tched. Djourdjévitch

Für Nikaragua: A. Sottile

Für Siam: Varnvaidya

Für Luxemburg: Ch, G. Vermaire

345 Für Schweden: K. I. Westman Für die Schweiz: Paul Dimchert Hauser Dublin de la Harpe Schindler Für die Tschechoslowakei: Zd. Fierlinger Dr. Reisser

Für die Türkei: Hassan ^ Akifïoukhtar Dr Abduikadir Für Uruguay: Alfredo de Castro

Für Venezuela: C. Parra-Pérez I. M. Hurtado-Machado

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Genehmigung der beiden am 27. Juli 1929 in Genf geschlossenen Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde und über die Behandlung der Kriegsgefan...

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