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Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 18. März 1901 zur Fortsetzung der ordentlichen Wintersession zusammengetreten.

Neugewählte Mitglieder : Nationalrat : Herr C h o q u a r d , Joseph, von Löwenburg, in Pruntrut.

,, Suter Rudolf, von und in Zofingen Ständerat : Herr S i m o n , Henri, von Ste. Croix, in Grandson.

Im N a t i o n a l r a t eröffnete Herr Präsident F. Bühlmann die Session mit folgenden Worten : Meine Herren!

In den letzten Tagen der Dezembersession des Rates hat sich unser Kollege Herr Nationalrat Casimir F o l l e t ô t e den Keim zu der heftigen Krankheit geholt, die den so rüstigen und kräftigen Mann in wenig Tagen dahingerafft hat. Am 19. Dezember war er noch in unserer Sitzung anwesend und schon am 23. Dezember früh ist das feurige, trotz des hohen Alters stets jung gebliebene Herz stillgestanden ! Geboren im Jahr 1833 in Pruntrut, besuchte Folietete die Schulen seiner Vaterstadt, studierte dann in München, Paris, Bern die Rechte und war seit 1857 ununterbrochen einer der gesuchtesten Anwälte des Jura. Während vollen 34 Jahren vertrat er seinen Heimatbezirk im Großen Rate des Kantons Bern, und es ist bezeichnend für seine Gewissenhaftigkeit, daß er während dieser langen Zeit in keiner einzigen Sitzung des Rates gefehlt hat. Überzeugter Katholik und unbestrittener Führer

287 der katholischen Partei des Jura, verfocht' er stets, namentlich" während den stürmischen Zeiten der 70er Jahre, mit all dem Feuer seines lebhaften Temperamentes, mit dem außergewöhn-lichen. oratorischen Geschick eines durch und durch gebildeten Juristen und mit der Zähigkeit und Energie eines von seiner religiösen Überzeugung durchdrungenen Mannes die katholische Sache und war wohl während des Kulturkampfes eine der mar^; kantesten Persönlichkeiten im politischen und religiösen Leben seines Heimatkantons und der Schweiz. Seit 10 Jahren vertrat er den Nordkreis des bernischen Jura im Nationalrate, auch hier sein reiches Wissen und seine Erfahrung in den Dienst des Landes stellend. Nicht minder bedeutend steht Folietete als Geschichtsforscher da. Er gehörte zu denjenigen Historikern, deren Zahl leider immer kleiner wird, die mit außerordentlichem Fleiß und großem Geschick neue unbekannte Thatsachen aus der Geschichte ihres engern Vaterlandes in den Archiven auszugraben verstehen, und er hat die Resultate seiner daherigen Forschungen in einer großen Zahl von Publikationen seinen Mitbürgern zugänglich ge-1 macht. So verliert das Land in ihm einen Mann, dessen Mannes^ mut und Überzeugungstreue, dessen außergewöhnlicher Thätigkeit unser Volk, auch seine politischen Gegner, ihre hohe Achtung und Anerkennung nicht versagen können.

Mitten aus nicht weniger fruchtbarer Thätigkeit in seinem Berufe und in seinen mannigfachen öffentlichen Stellungen ist am 9. Februar eben so plötzlich ein anderes, ein gutes Dutzend Jahre jüngeres Mitglied unserer Behörde, Herr Nationalrat Erwin K u r z , vom unerbittlichen Tod abgerufen worden. Im Jahre 1846 als Sohn eines jener deutschen Flüchtlinge geboren, von denen so mancher unserm Lande hervorragende Dienste geleistet hat, widmete sich der junge strebsame Mann nach Absolvierung der Schulanstalten Aaraus ebenfalls dem juristischen Studium auf den Universitäten Zürich und Leipzig und eröffnete Anfang der 70er Jahre in Aarau ein Advokaturbureau, das bald eines der geschätztesten und angesehensten des Landes wurde. Bald erwarben dem im Kanton Zürich eingebürgerten Manne sein durchdringender Verstand, sein offener Blick und sein lauterer Charakter das, volle Zutrauen seiner aargauischen Mitbürger, und so wurde er schon im Jahre 1876 in den Großen Rat des Kantons Aargau
berufen, dessen Mitglied er seither ohne Unterbruch geblieben ist, und den er auch im Jahre 1886 präsidiert hat. Seine hervorragende Thätigkeit in dieser Behörde, sein großes oratorisches Geschick und seine Überzeugungstreue veranlaßten 1882 seine

288 Wahl in den Nationalrat als Vertreter des Kreises Zofingen-Kulm.

Wie es auch hier ihm gelang, sich schnell großen Einfluß und allgemeine Anerkennung zu verschaffen, beweist seine schon nach sechs Jahren erfolgte Wahl zum Präsidenten unseres Rates. Wir sind alle Zeugen seiner erfolgreichen Thätigkeit in unserer Mitte gewesen. Ein geborner Parlamentarier, auch in verworrenen und schwierigen Fragen stets sicher das Wesentliche erfassend und in knappem, klarem, überzeugendem Worte darstellend, daneben mit aller Treue und Energie seinen demokratischen Überzeugungen Ausdruck gebend, gehörte er zu den einflußreichsten und tüchtigsten Mitgliedern des Rates. Mit dem neuen Bunde geworden und aufgewachsen, war die Stärkung, das Gedeihen und die gesunde Fortentwicklung desselben sein stetes Ziel ; mit aller Kraft seines reichen Geistes hat er stets an der Förderung des Wohles des Volkes, an der Hebung der Schwachen, am Siege des Wahren und Gerechten gearbeitet. Viele von uns haben an ihm einen treuen, herzlichen Freund und Genossen, der Rat eines seiner hervorragendsten Mitglieder und das ganze Land einen wackern, charakterfesten Eidgenossen verloren.

Im S t ä n d e r a t hielt Herr Präsident Leumann bei der Eröffnung folgende Ansprache: Meine Serren Ständeräte!

Leider kann ich auch die heute beginnende Session des Ständerates nicht eröffnen, ohne wiederum einiger Mitglieder der Räte zu gedenken, die der ordentlichen Wintersession der Bundesversammlung noch beiwohnten, heute aber nicht mehr unter den Lebenden sind. Unmittelbar nach Schluß der Session und kurz nach seiner Rückkehr in die Heimat starb am 23. Dezember in Pruntrut Herr Nationalrat Casimir Folietete. Geboren ebendaselbst im Jahr 1833, besuchte er die Schulen seines Heimatortes und zeigte damals schon ganz besondere Neigung und Begabung für historische Studien, denen er auch in späteren Jahren, neben seinen Berufsgeschäften, mit Eifer oblag und in welchem Fache er auch eine bedeutende publizistische Thätigkeit entfaltete.

Nachdem er auf den Universitäten von München, Paris und Bern Jurisprudenz studiert hatte, kehrte er 1857 in seine Vaterstadt zurück und etablierte sich dort als Advokat. Ausgestattet mit reichem Wissen und hervorragender Beredsamkeit, gelang es

289 ihm rasch, zu einer guten Stellung zu gelangen und auch in der Politik eine bedeutende Rolle zu spielen. Seit 1866 bis zu seinem Tode war er Mitglied des Großen Rates des Kantons Bern, und es wird als ein Zeichen seines regen Pflichtgefühls angeführt, daß er in dieser langen, mehr als dreißigjährigen Periode bei keiner Session dieser Behörde gefehlt habe. Auch im Nationalrat, dem er seit 10 Jahren angehörte, war er ein eifriges Mitglied, und nur schwer konnte er sich entschließen, als er im Dezember in Bern erkrankte, seinen Posten einige Tage vor Schluß der Session zu verlassen. Diese Eigenschaft der eifrigen und rückhaltlosen Hingebung an das, was -- nach seiner Überzeugung -- gut und recht war, kennzeichnete auch seine ganze politische Thätigkeit, und wohl begreiflich ist die Trauer seiner Gesinnungsgenossen, der katholisch-konservativen Partei des bernischen Jura, die in ihm einen ihrer hervorragendsten und begabtesten Führer verloren haben.

Wenn der Tod dieses egchon im Greisenalter stehenden Mitgliedes des Nationalrates weniger überraschen konnte, um so mehr war es hingegen der Fall bei einem seiner Kollegen, der noch in voller Manneskraft und anscheinend ungetrübter Gesundheit der Dezembersession beigewohnt hatte, des Herrn Nationalrat E. Kurz in Aarau, der ganz unerwartet am Abend des 8. Februar einem Schlaganfall erlag. Geboren 1846 in Aarau, als Sohn des Gymnasialprofessors und bekannten Litterarhistorikers Heinrich Kurz, genoß er eine treffliche Erziehung im Elternhaus, und nachdem er die Schulen seiner Vaterstadt durchlaufen und 1865 die Maturitätsprüfung mit vorzüglichem Erfolgbestanden hatte, widmete er sich dem Studium der Rechte auf den Universitäten von Zürich und Leipzig. Schon 1868, also im jugendlichen Alter von 22 Jahren, erwarb er das aargauische Fürsprecherpatent und war von 1869--75 Sekretär der Justizdirektion. Kurze Zeit bekleidete er nachher noch das Amt des Stadtschreibers von Aarau und errichtete dann ein Advokaturbureau, das er zuerst zusammen mit einem Studienkameraden, von 1890 an jedoch allein führte. Von seiner Berufsthätigkeit wird gesagt: ,,Er war und galt mit Recht als ein beredter und schlagfertiger Anwalt, der eifrig und getreu die ihm übertragenen Geschäfte zu besorgen pflegte."· Das hinderte ihn jedoch keineswegs, auch an den öffentlichen Angelegenheiten
mit regem Interesse teilzunehmen. Im Jahr 1876 wurde er in den Großen Rat gewählt, den er 1886 präsidierte. Ganz besonders hervorragend war seine Thätigkeit bei den Beratungen des VerfassungsBundesblatt. 53. Jahrg. Bd. II.

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290 rates in den Jahren 1883 -- 85, an denen er als warmer Verfechter der neuen demokratischen Ideen lebhaften Anteil nahm.

Ebenso war er ein eifriger Militär. Der Infanterie angehörend, stieg er in dieser Waffe bis zum Oberstlieutenant und Kommandant des XX. Infanterieregimentes und trat dann als Oberst in den Justizstab über. Im Jahr 1882 erfolgte seine Wahl in den Nationalrat, dem er bis zu seinem Tode angehörte. Schnell wußte er sich auch dort Anerkennung zu verschaffen, und schon im Jahr 1887 wurde ihm die Ehre zu teil, den Präsidentensluhl des Nationalrates zu besteigen. Herr Nationalrat Kurz gehörte der freisinnig-dem okatischen Partei an und war von Haus aus und seiner ganzen Veranlagung nach ein überzeugungstreuer Demokrat; nebelhaften socialistischen Theorien hingegen konnte sein nüchterner, praktischer Sinn keinen Geschmack abgewinnen.

In dem kleinen, körperlich unscheinbaren Mann wohnte ein starker, klarer und energischer Geist, dem die Gabe, seine Überzeugung zu verfechten, in hervorragendem Grade zu Gebote stand. Ein Blatt seines Heimatkantons kennzeichnet ihn mit den Worten: ,,Er hatte einen beredten Mund, loyale Gesinnung und ein warmschlagendes Herz für das Wohl unseres Volkes.a Meine Herren Ständeräte,!

Ich lade Sie ein, sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Sitzen zu erheben !

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