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ZQ 4459 III. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche.

(Dezembersesaion 1943.3 (Vom 23. November 1948.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten über nachstehende drei Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen, .

70. Auguste Bouchet, 1897, französischer Staatsangehöriger, Maschinenschlosser in Annecy (Frankreich), zurzeit in Haft in Genf, 71. Marcel Bouchet, 1892, französischer Staatsangehöriger, Landwirt in Chénex (Frankreich), zurzeit in Haft in Genf, 72. Marius Picco, 1921, französischer Staatsangehöriger, Landwirt in Cercier (Frankreich), zurzeit in Haft in Genf.

(Zollvergehen.)

Gemäss Bundesgesetz vom 1. Oktober 1925 über das Zollwesen sind bestraft worden: 70. August Bouchet, durch Strafverfügung der eidgenössischen Oberzolldirektion vom 31. August 1943 zu Bussen von Fr. 1258.84 und Fr. 925 verurteilt, unter Nachlass der Bussendrittel wegen vorbehaltloser Unterziehung, weil er im Sommer 1948 eine grösaere Menge Lebensrnittel eingeschmuggelt und gegen ein erhebliches Quantum Tabak eingetauscht hatte, das er dann widerrechtlich ausführte. Beide Bussen wurden am 18. September 1948 als uneinbringlich in zwei Haftstrafen von je 90 Tagen umgewandelt, unter Anrechnung von 22 Tagen Untersuchungshaft.

Für den Verurteilten, der heute schon mehr als 90 Tage Haft verbüsst hat, ersucht ein Kechtsaiiwalt um Begnadigung, wozu er im wesentlichen geltend macht, die Zollverwaltung habe durch die Ausfällung von zwei getrennten Bussen Art. 68 des Strafgesetzbuches verletzt, wonach der Bichter

1073 den Täter, der mehrere Bussen verwirkt, zu einer einzigen, seinem Verschulden angemessenen Busse verurteilen soll. Demzufolge verstosse die Strafverfügung der eidgenössischen Oberzolldirektion auch gegen Art. 49, Ziffer 8, des Strafgesetzbuches, wonach die Uinwandlungsstrafe die Dauer von drei Monaten nicht übersteigen darf und der Eichter die Umwandlung ausschliessen kann, wenn ihm der Verurteilte nachweist dass er schuldlos ausserstande ist, die Busse zu bezahlen.

Laut Art. 888 des Strafgesetzbuches finden dessen allgemeine Bestimmungen auf Taten, die in andern Bundesgesetzen mit Strafe bedroht sind, insoweit Anwendung, als diese Bundesgesetze nicht selbst Bestimmungen aufstellen. Das Bundesgesetz vom 1. Oktober 1925 über das Zollwesen enthält aber eine ganze Eeihe von Bestimmungen, die als allgemeiner Teil zum materiellen Zollstrafrecht gelten. In Art, 80 bis 86 werden die allgemeinen Grundsätze geregelt, die bei der Beurteilung von Zollvergehen zu beobachten sind. Art. 85 des Zollgesetzes bezieht sich insbesondere auf das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen. Es darf daher angenommen werden, dass das Zollgesetz über diese Frage selbst Bestimmungen aufstellt und Art. 68 des schweizerischen Strafgesetzbuches deshalb nicht anwendbar ist. Die Zollverwaltung hat in der vorliegenden Strafsache das Vorhandensein zweier Delikte (widerrechtliche Einfuhr von Lebensrnitteln und Ausfuhrschmuggel von andern Waren) erblickt, begangen in Eealkonkurrenz. Diese Art der Behandlung entspricht der bisher gehandhabten und auch seit dem Inkrafttreten des schweizerischen Strafgesetzbuches beibehaltenen Praxis, die von der Doktrin gutgeheissen wird (vgl. Blumenstein, Gruiidzüge des schweizerischen Zollrechts, S. 61). Zudem ist festzustellen, dass mehrere Bussen einzeln in Haft umzuwandeln sind, wobei jede einzelne Umwandmngsstrafe die Höchstdauer von drei Monaten erreichen darf (BGE 68, IV, 108). Bei der Umwandlung von Fiskalbussen kommt nicht Art. 49, Ziffer 3 StGB, zur Anwendung, sondern Art. 817, in Verbindung mit Art. 339 des Bundesgesetzes vom 15. Juni 1984 über die Bundesstrafrechtspflege (vgl. BGE 68, IV, 138). Die in der Eingabe enthaltene Argumentation ist deshalb irrig. Im übrigen ist es nicht Sache der Begnadigungsbehörde, die Eechtslage zu überprüfen. Zwingende Begnadigungsgründe liegen
nicht vor. Bouchet hat zusammen mit andern Landsleuten einen wohlorganisierten und zu Gewinnzwecken aufgezogenen Schmuggel eingerichtet und fortgesetzt betrieben. Unter Hinweis auf die Ausführungen der eidgenössischen Oberzolldirektion vom 18. und 19. November 1948 beantragen wir deshalb mit dieser Behörde Abweisung.

71. Marcel Bouchet, durch Strafverfügung der eidgenössischen Oberzolldirektion vom 16. September 1943 zu Bussen von Fr. 1240 und Fr. 1880 verurteilt, unter Nachlass der Bussendrittel, weil er zusammen mit seinem Bruder (vgl, Antrag Nr. 70) und andern Landsleuten an einem Ein- und Ausfuhrschmuggel beteiligt gewesen war. Beide Bussen wurden am 23. September 1948 als uneinbringlich in zwei Haftstrafen von je 90 Tagen umgewandelt, unter Anrechnung von 14 Tagen Untersuchungshaft.

1074 Für den Verurteilten ersucht ein Bechtsanwalt um Begnadigung, wozu er im wesentlichen dieselben Gründe wiederholt, die er in der Eingabe für Auguste Boucbet geltend macht.

Wir verweisen auf unsere Ausführungen im Falle Auguste Bouchet und beantragen mit der eidgenössiscben Oberzolldirektion, auf deren Mitberichte wir uns ebenfalls beziehen, das Gesuch abzuweisen.

72. Marius Picco, durch Strafverfügung der eidgenössischen Oberzolldirektion vom 31. August 1943 zu Bussen von Fr. 1258.84 und Fr. 925 verurteilt, unter Nachlass der Bussendrittel wegen vorbehaltloser Unterziehüng, wegen aktiver Teilnahme an dem von den Brüdern Boucbet und andern Landsleuten eingerichteten und betriebenen Schmuggeldienst. Beide Bussen wurden am 13. September 1948 als uneinbringlich in Haftstrafen von je 90 Tagen umgewandelt, unter Anrechnung von 22 Tagen Untersuchungshaft.

Picco ersucht um Begnadigung, wozu er ausführt, er sei die einzige Stütze seiner Familie. Während seiner Haft werde sein landwirtschaftlicher Betrieb vollständig vernachlässigt.

Obwohl die Gesuchsangaben laut Mitteilung der Zollkreisdirektion Genf den Tatsachen entsprechen, können wir kein Entgegenkommen befürworten.

Picco hat durch seine Machenschaften in schweren Zeiten mitgeholfen, dem französischen Markt grössere Mengen von wichtigen Lebensmitteln zu entziehen, um auf diese Weise leichter zu Geld zu kommen. Andererseits darf auch nicht übersehen werden, dass der erwähnte Einfuhrschmuggel geeignet war, in der Schweiz den Schwarzhandel und damit auch die Höchstpreisüberschreitungen zu begünstigen. Die von Picco getätigte widerrechtliche Ausfuhr schadet ebenfalls in hohem Masse der Versorgung unseres Landes mit Tabak. Aus diesen Gründen beantragen wir mit der eidgenössischen Oberzolldirektion grundsätzlich Abweisung.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 23. November 1948.

Im Namen des Schweiz, Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Celio.

Der Bundeskanzler: G. Boret.

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III. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche.

(Dezembersession 1943.) (Vom 23. November 1943.)

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