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4397 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Vertrag mit dem Deutschen Reich über die Regelung der Fürsorge für alleinstehende Frauen.

(Vom 7, Juni 1943.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren !

Seit Jahren hat sich im Fürsorgeverkehr zwischen der Schweiz und Deutsehland die Praxis eingelebt, dass der Heimatstaat, um die Hoimschaffung seiner der Armenpflege des Gaststaates zur Last fallenden Angehörigen abzuwenden, die Bezahlung der Unterstüteungskosten ablösungsweise übernimmt, wenn infolge jahrelangen Aufenthaltes im Gaststaat und mancherlei Bindungen an diesen die Heimschaffung eine Härte wäre. Wo für den Gaststaat nicht besondere Gründe bestehen, auf der Heirnschaffung zu beharren, findet er sich mit der Ablösung der Fürsorgekosten durch den Heimatstaat ab. Seit längerer Zeit haben die deutschen Fürsorgebehörden die Unterstützungszahlungen nach der Schweiz eingestellt, wenn es sich um in der Schweiz lebende alleinstehende Frauen handelt, die das Schweizerbürgerrecht nur durch Heirat mit einem deutschen Staatsangehörigen verloren haben. Umgekehrt erklären die deutschen Behörden sich bereit, in Deutschland wohnende Schweizerinnen, die ursprünglich Deutsche waren, wie die eigenen Angehörigen unterstützen zu wollen. Diese Kategorie der Fürsorgebedürftigon sollte demnach angesichts der nicht bestreitbaren besonders engen Beziehungen zürn Gastland, das früher der Heimatstaat gewesen war, gesondert behandelt werden; sie wären vom Gaststaat unter Verzicht auf Heimschaffung selbst in Fürsorge zu nehmen, als wären sie noch seine Angehörigen.

Der dem Vorhaben innewohnende Gedanke wurde von uns als zweckmässig anerkannt, da die vorgesehene Behandlung es ausschliesst, dass ehemalige Schweizerinnen, die meist ihr ganzes Leben in unserem Lande zugebracht haben, nach. Deutschland heimgeschafft werden müssen. Die Kantone, ohne den Grundgedanken zu verwerfen, erhoben aber Bedenken, weil sie eine neue, in den einzelnen Kantonen und Gemeinden sich ungleich auswirkende finanzielle

495 Belastung befürchteten. Sie machten auch geltend, ohne zwingende bundcsrechtliche Normen die Gemeinden nicht zur dauernden Unterstützung von Personen, die rechtlich immerhin Ausländerinnen seien, verhalten zu können.

Nach einlässlicher Prüfung gelangten wir, da Deutschland auf der Weiterführung der neuen Praxis bestand, zur Überzeugung, dass es zur Behebung der internen Schwierigkeiten nötig sei, mit Deutschland eine staatsvertragliche Eegelung herbeizuführen und den Kantonen auch finanziell entgegenzukommen, wie es ähnlich bei den wiedereingebürgerten Schweizerinnen geschieht. De~ Bundesrat beschloss daher am 11. Juli 19-11, die Verhandlungen mit Deutschland weiterzuführen und sich den Kantonen gegenüber im Falle eines Erfolges zu verpflichten, in jedem einzelnen Fall von Unterstützung einer alleinstehenden früheren Schweizerin, die durch Heirat Deutsche geworden ist, die Hälfte der Unterstützungskosten wahrend eines Zeitraumes von längstens 10 Jahren zu übernehmen. Da viele der betroffenen Frauen ohnehin rückgebürgert werden können, wird die Zahl derjenigen, die Ausländerinnen bleiben,.

vermutlich nicht bedeutend sein und die Fürsorgelast des Bundes nur unerheblich beeinflussen.

Die Verhandlungen mit Deutschland führten am 19. März 1943 zur Unterzeichnung eines förmlichen Staatsvertrages über die Eegelung der Fürsorge für alleinstehende Frauen, Der Vertrag besteht avis S Artikeln.

Artikel l bestimmt, dass alleinstehende Frauen, welche die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltslandes durch Heirat mit einem Angehörigen des.

andern Landes verloren haben, im Aufenthaltsland, wenn nötig, wie die eigenen Angehörigen unterstützt werden sollen. Eine Ausweisung oder Heinischaffungwegen Bedürftigkeit darf nicht stattfinden. Ebensowenig soll vom andern Land Ersatz oder Ablösung der Unterstützungskosten beansprucht werden.

Als alleinstehend gelten Frauen, die verwitwet oder geschieden sind oder dauernd von ihrem Ehemann getrennt leben, und die ferner entweder kinderlos sind' oder nicht ständig mit ihren Kindern zusammenleben. Die Worte, «diedauernd von ihrem Ehemann getrennt leben», haben den Sinn, dass Frauen zu unterstützen sind, die gerichtlich getrennt sind oder, faktisch getrennt leben und vom Ehemann keine Unterstützung erhalten. Aus dem Vertrag ist ersichtlich, dass der Sonderbehandlung nur
wirklich alleinstehende Frauen unterliegen.

Artikel 2 erwähnt, dass die geltenden Fürsorgebestimmungen zwischen der Schweiz und Deutschland, die im schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrag vom 13. November 1909 enthalten sind, im übrigen unberührt bleiben und dass auch die Übung, wonach zur Abwendung der Heimschaffung der Heimatstaat die Fürsorgekosten selbst übernehmen kann, ausgenommen bei den alleinstehenden Frauen, keine Änderung erfährt.

Nach Artikel 3 soll der Vertrag ratifiziert werden. Er kann von beiden Teilen auf 6 Monate gekündigt werden.

Wir möchten noch erwähnen, dass der vorliegende Vertrag auf deutschen Wunsch hin als selbständiges Abkommen und nicht als Zusatzvertrag zum

496 Niederlassungsvertrag abgeschlossen wurde, weil letzterer bekanntlich im Jahre 1919 gekündigt worden und seither lediglich provisorisch in Geltung geblieben ist, Indem wir Ihnen hiemit den Vertrag vom 19. März 1943 unterbreiten, empfehlen wir Ihnen, ihm durch Annahme des mitfolgenden Beschlussesentwurfes die Genehmigung zu erteilen.

Bern, den 7. Juni 1948, Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Celio.

Der Bundeskanzler: G. Bovet.

(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffend

den Vertrag zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich über die Regelung der Fürsorge für alleinstehende Frauen.

Die Bundesversammlung der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 7. Juni 1943, beschliesst : Art. 1.

Der am 19. März 1948 abgeschlossene Vertrag zwischen der Schweiz und dem Deutschon Reich über die Regelung der Fürsorge für alleinstehende Frauen wird genehmigt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Vertrag zwischen

der Schweiz und dem Deutschen Reich über die Regelung der Fürsorge für alleinstehende Frauen.

Die Schweizerische Eidgenossenschaft und das Deutsche Eeich von dem Wunsche geleitet, die Fürsorge für alleinstehende Frauen zu regeln, haben beschlossen, hierüber einen Vertrag zu schliessen. Zu diesem Zweck haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt: der Schweizerische Bundesrat: Herrn Dr. Hans Frölicher, außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister beim Deutschen Eeich, der Deutsche Reichskanzler : Herrn Dr. Erich Albrecht, Gesandten und Ministerialdirigenten im Auswärtigen Amt.

Die Bevollmächtigten haben sich ihre Vollmachten mitgeteilt und sie in Ordnung befunden ; sie haben nachstehende Bestimmungen vereinbart : Artikel 1.

In der Schweiz oder im Deutschen Eeich lebende alleinstehende Frauen, welche die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltslandes durch Heirat mit einem Angehörigen des anderen Landes verloren haben, werden, wenn nötig, im Aufenthaltsland wie die eigenen Staatsangehörigen unterstützt.

Eine Ausweisung oder Heiinschafkung dieser Frauen wegen Bedürftigfeit findet nicht statt. Ebensowenig wird von den Behörden des anderen Landes Ersatz oder Ablösung der Unterstützungskosten beansprucht werden.

Alleinstehend im Sinne dieser Bestimmung sind Frauen, die verwitwet oder geschieden sind oder dauernd von ihrem Ehemann getrennt leben, und die ferner entweder kinderlos sind oder nicht ständig mit ihren Kindern zusammenleben.

Artikel 2.

Die zur Zeit im Verhältnis zwischen der Schweiz und dem Deutschen Eeich zur Anwendung kommenden Fürsorgebestimmungen bleiben im · übrigen unberührt. Auch die Übung, dass die Heimschaffung abgewendet werden kann, wenn der Heimatstaat die Fürsorgekosten selbst übernimmt, erfährt, abgesehen von den im Artikel l aufgeführten Fällen, keine Änderung.

Artikel 3.

Dieser Vertrag soll ratifiziert werden. Die Batifikationsurkunden sollen so bald als möglich in Bern ausgetauscht werden.

Der Vertrag tritt am Tage nach dem Austausch der Eatifikationsurkunden in Kraft. Er bleibt in Geltung bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Ablauf des Tages, an dem die Kündigung des einen vertragschliessenden Teils dem anderen Teil zugegangen ist.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

Ausgefertigt in doppelter Urschrift in Berlin am 19. März 1943.

gez. Frölicher. gez. Albrecht.

^BS~Bundesblatt. 95. Jahrg. Bd. 1.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Vertrag mit dem Deutschen Reich über die Regelung der Fürsorge für alleinstehende Frauen. (Vom 7. Juni 1943.)

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1943

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12

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4397

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10.06.1943

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