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Kreisschreiben des

Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend das berufliche und hauswirtschaftliche Bildungswesen.

(Vom 16. Juli 1932.)

Getreue, liebe Eidgenossen!

Seit Monaten leiden "wir unter dem Druck der Krisis; die Arbeitslosigkeit lastot schwer auf dem Lande und erfordert grosse Opfer. Die finanzielle Lage des Bundes verschlimmert sich. Auf der einen Seite gehen die Einnahmen zurück und anderseits werden an den Bund immer grössere Ansprüche gerichtet.

Wollen wir nicht wieder in eine Defizitperiode hineingeraten, so heisst es, sich nach den vorhandenen Mitteln richten und alle Ausgaben, die nicht unbedingt erforderlich sind, vermeiden.

Unter den Ausgaben des Bundes, die sich in den letzten Jahren wesentlich erhöht haben, sind die Aufwendungen für die berufliche und hauswirtschaftliche Ausbildung zu nennen. Sah der Voranschlag für das Jahr 1927 an Ausgaben Er. 6,859,600 vor, so hat sich die Summe in fünf Jahren, d. h. im Voranschlag 1982, auf Er. 10,502,000 erhöht. Es ergibt dies eine Steigerung um 53%.

Wir können uns nun des Eindruckes nicht verwehren, dass an manchen Orten ohne Schädigung der beruflichen und hauswirtschaftlichen Ausbildung Einsparungen erzielt werden könnten; wir glauben, dass an einzelnen Orten, auch in normalen Zeiten, ein Abbau der bestehenden Einrichtungen sich rechtfertigen wurde. Wir mochten, um ein Beispiel herauszugreifen, nur auf das Anwachsen der vielen Handelsschulen hinweisen, obschon seit Jahren ein Überangebot an kaufmännischen Arbeitskräften festzustellen war. Heute hat sich die Lage derart verschärft, dass auch die Absolventen der drei- und vierklassigen Handelsschulen nur noch teilweise in ihrem Berufe unterkommen können. Ahnliche Verhältnisse zeigen sich auch in andern Berufen. Der Streit um den Sitz einer Anstalt hat schon wiederholt zur Errichtung von zwei Konkurrenzanstalten geführt, für die kein wirkliches Bedürfnis nachgewiesen werden konnte. Nicht der Andrang zu den Fachschulen darf in erster Linie für den Ausbau bestehender oder die Errichtung neuer Anstalten massgebend sein, sondern der Bedarf nach den in diesen Anstalten ausgebildeten Arbeits-

299 kräften auf dem Arbeitsmarkte. Bei starkem Zudrang ist eine sorgfältigere Auswahl unter den Angemeldeten zu treffen. Nur dann schränken wir die Überproduktion von Arbeitskräften in einzelnen Berufen ein und führen den nachwuchsarmen Berufen solche zu. In allen Krisen erleben wir es, dass wir viele Arbeitslose unterstützen müssen, während anderseits fremden Arbeitskräften Einreisebewilligung erteilt werden muss, weil unsere Leute den gestellten Anforderungen nicht genügen.

Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit wird angewiesen werden, den Bestimmungen des Art. 6 der Verordnung vom 7. Juni 1928 zu den Bundesbeschlüssen betreffend die gewerbliche und industrielle Berufsbildung, betreffend die Förderung der kommerziellen Bildung und betreffend die hauswirtschaftliche und berufliche Bildung des weiblichen Geschlechts oder den entsprechenden Vollzugsvorschriften zum Bundesgesetz über die berufliche Ausbildung volle Aufmerksamkeit zu schenken. Demnach ist vor der Zusicherung des Bundesbeitrages zu prüfen, ob die Weiterführung bestehender oder die Errichtung neuer Anstalten einem wirklichen Bedürfnis entspricht und ob nicht durch zweckentsprechende Organisation, wie Verschmelzung benachbarter oder gleichartiger Anstalten erhebliche Einsparungen erzielt "werden können, ohne dass dadurch der beruflichen Ausbildung der Schuler Abbrach getan wird.

Namentlich bitten wir Sie aber, dafür zu sorgen, dass der Betrieb der einzelnen Anstalten ökonomisch und rationell gestaltet wird. Es besteht kein Zweifel, dass vielerorts noch Einsparungen möglich sind und zwar sowohl was den eigentlichen Unterricht als namentlich auch die Anschaffungen betrifft.

Diese Einsparungen müssen erheblich sein; sie sind nicht nur durch die finanzielle Lage des Bundes bedingt, sondern Hegen auch im Interesse der Kantone und der Gemeinden selbst.

Wir müssen überdies für das kommende Jahr eine Eeduktion des Subventionssatzes vorsehen. Der Umfang dieser Kürzung hangt wesentlich von den Einsparungen ab, die die einzelnen Schulen und Kurse vornehmen. Je mehr die einzelnen Betriebe einsparen und dementsprechend von selbst eine Beduktion des Bundesbeitrages eintritt, um so weniger braucht der Bundesrat den Subventionssatz herabzusetzen. In den letzten Jahren wurde ein Höchstsatz von 40%, für die kaufmännischen Vereinsschulen 50%,
in Aussicht genommen, wobei diese Höchstsatze nur den Schulen zugestanden werden konnten, deren Verhältnisse es rechtfertigten. Im Jahre 1931 betrug der mittlere Subventionssatz 35,s %, und im laufenden Jahre berechnet sich dieser auf 86,9 %· Eür das Jahr 1933 kann mit einem Höchstsatz von 36%, für die kaufmännischen Vereinsschulen von 45%, gerechnet werden; wir behalten uns aber vor, bei der Aufstellung des Voranschlages für das Jahr 1988 noch tiefer zu gehen, wenn die eingereichten Schulbudgets die notwendigen Einsparungen vermissen lassen oder wenn die Schulen allgemein die genannten Höchstsätze beanspruchen sollten. Dem Bundesamt wird die Weisung erteilt, bei den Anstalten mit Ganztagsunterricht für den Bundesbeitrag nur die Lehrstellen

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der Fächer zu berücksichtigen, die der beruflichen Ausbildung dienen. Für den Bundesbeitrag fallen gleichzeitig ausser Betracht neu errichtete Parallelklassen an Anstalten, die ihre Schüler für Berufe vorbereiten, für die auf dem Arbeitsmarkt ein Überangebot an Arbeitskräften besteht ; wii nennen hier ausdrücklich die Handelsschulen.

Wir bitten Sie dringend, den Anstalten Ihres Kantons unser Kreisschreiben zur Kenntnis zu bringen und sie in ihrem eigenen Interesse aufzufordern, den bestehenden Verhältnissen Rechnung zu tragen, bevor weitere Massnahmen ergriffen werden müssen. Wii bitten SÌQ ferner nochmals, die Organisation der Schulen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und alle Masanahmen zu ergreifen, die eine Einsparung ohne wesentliche Nachteile für die berufliche Ausbildung unserer Jugend bringen können.

Durch dieses Kreisschreiben fällt nun die alljährliche Mitteilung unseres Volkswirtschaftsdepartementes betreffend die Einsendung der Voranschläge dahin. Wir ersuchen Sie daher, die Budgets der Schulen und Kurse für das Schuljahr 1938, bzw. 1932/33 dem Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit bis zum 81. Juli 1982 einzureichen. Bei der gleichen Amtsstelle können di& benötigten Budgetformulare, sowie auch weitere Exemplare dieses Kreisschreibens bezogen werden.

Wir benützen den Anlass, Sie getreue, hebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

Bern, den 16. Juli 1932.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident : Motta.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

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Kreisschreiben des Bundesrates an die Kantonsregierungen betreffend das berufliche und hauswirtschaftliche Bildungswesen. (Vom 16. Juli 1932.)

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20.07.1932

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