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Bundesblatt

84. Jahrgang.

Bern, den 1. Juni 1932.

Band I.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- and Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr ; 50 Eappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an Stämpfli £ Oie. in Bern.

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Ergänzungsbericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Postulat des Nationalrates über die Wiedergutmachung der von Schweizerbürgern im Weltkrieg erlittenen Kriegsschäden.

, (Vom 24. Mai 1932.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Seitdem wir am 30. September 1929 unsern Bericht über die Wiedergutmachungsansprüche der kriegsgeschädigten Auslandschweizer an Sie haben ergeben lassen, ist im Verlaufe der Beratungen der Nationalratskommission, die zur Behandlung des Berichts eingesetzt wurde, alles getan worden, was dazu dienen konnte, den vom Bundesrat in der Sache eingenommenen Standpunkt zu erläutern, Zweifelsfragen abzuklären und etwa noch sich bietende Möglichkeiten diplomatischer Interventionen zu benützen.

Kurz nach Erscheinen unseres Berichts war der britisch-französische Vertrag vom 2. August 1929 veröffentlicht worden, auf Grund dessen jeder der Vertragsstaaten, nämlich einerseits Frankreich, anderseits Grossbritannien und der Freistaat Irland, den auf seinem Gebiete von den Kriegsereignissen geschädigten Angehörigen des andern Vertragsstaates die gleichen Entschädigungen wie den eigenen Staatsangehörigen gewährt. Nach dem Abkommen mit Belgien vom 9. Oktober 1919 ist es die erste von Frankreich geschlossene Vereinbarung, nach welcher ausländische Kriegsgeschädigte in Frankreich den Einheimischen gleichgestellt werden, und es wurde deshalb von uns .der Anlass wahrgenommen, um durch die schweizerische Gesandtschaft in Paris gegenüber der französischen Regierung die Erwartung zum Ausdruck bringen zu lassen, dass nunmehr von ihr ein gleichartiges Abkommen auch mit der Schweiz getroffen werde (Note vom 5. November 1929; vgl. Anlage I).

Die Rückäusserung lautete dahin, dass im vorliegenden Falle kein einseitiges Entgegenkommen Frankreichs gegenüber Grossbritannien vorliege, sondern dass die französischen Leistungen an die britischen Kriegsgeschädigten durch Bundesblatt. 84. Jahrg. Bd. I.

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Konzessionen auf dem Gebiete der Kriegsschulden voll ausgeglichen würden (Note des französischen Ministeriums des Äussern vom 15. November 1929 r.

vgl. Anlage II).

Ungefähr zur gleichen Zeit nahm der Aussenminister der Niederlande in einer an die zweite niederländische Kammer gerichteten Denkschrift u. a. zur Kriegsschädenfrage Stellung. Er bemerkte dabei, dass die von der britischen Begierung an die Niederlande ausbezahlte Vergütung von l Million Gulden (zirka 2,os Millionen Franken) sich auf die Schäden beziehe, die holländischen.

Fischern im Jahre 1916 durch 'Verschleppung ihrer Schiffe in englische Häfen entstanden seien, dass aber andere Entschädigungen von Holland nicht hätten erlangt werden können. Von einem gemeinsamen Vorgehen der im Weltkriege neutralen Staaten lasse sich nichts erhoffen.

Am 20. November 1929 trat in Locamo die Kriegsschädenkommission des.

Nationalrates erstmals zusammen. Ungeachtet der vorerwähnten, den Ansprüchen unserer Kriegsgeschädigten durchaus ungünstigen Erklärungen von Seiten der französischen und der niederländischen Kegierung, wurde von mehreren Kommissionsmitgliedern die Auffassung vertreten, dass die Sachlage zu schwarz angesehen werde, indem erfreuliche Anzeichen einer Änderung der Mentalität auf dem Gebiete des internationalen Eechts vorhanden seien.

Das Gutachten des Herrn Professor Burckhardt sei allzu skeptisch eingestellt, und es wurde die Wünschbarkeit der Einholung eines weitern Gutachtens betont. Nachdem der Vertreter des Bundesrates einem solchen Vorgehen zugestimmt und empfohlen hatte, sich zu dem gedachten Zweck an Herrn Professor Eugène Borei in Genf zu wenden, wurde dieser von der Kommission mit der nochmaligen Untersuchung der zur Behandlung stehenden Kechtsfragen betraut.

Herr Professor Borei entledigte sich seiner Aufgabe in einem an den Kommissionspräsidenten gerichteten Kechtsgutachten vom 10. Mai 1930, das in wohlabgewogener Formulierung zu wesentlich gleichen Schlussergebnissen wiedas Burckhardtsche Gutachten gelangte (vgl. Anlage VI). Gewisse Abweichungen von letzterm beziehen sich im besondern auf die Anwendbarkeit der HaagerLandkriegsordnung, sowie auf die Möglichkeit der Anrufung der Niederlassungsverträge, zu der Herr Borei nicht Stellung nahm. Beinahe gleichzeitig erschien eine Schrift des französischen Bechtsgelehrten A. de
Lapradelle über die Beparationsansprüche der schweizerischen Kriegsgeschädigten, der vom Komiteeder schweizerischen Kriegsgeschädigten mit dieser Arbeit beauftragt worden war. Da die Ausführungen Lapradelles auch Angriffe gegen das Gutachten des.

Herrn Professor Burckhardt enthielten, wurde diesem Gelegenheit geboten,, zu jenen Stellung zu nehmen, was in einer Vernehmlassung vom 4. August.

1930 geschah (vgl. Anlage VII).

Als die nationalrätliche Kommission Ende August 1930 in St. Moritz, sich zur zweiten Sitzung vereinigte, lagen ihr neben den genannten Eecbtsschriften noch weitere Kundgebungen vor. Die Kommission bescbloss, einstweilen zu den strittigen Bechtsfragen nicht Stellung zu nehmen, erachtete es.

aber angesichts der Darlegungen Lapradelles doch als erwünscht, dass nament-

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lieb gegenüber Frankreich ein letzter Versuch unternommen und die Möglichkeit einer schiedsgerichtlichen Regelung abgeklärt werde.

Der Bundesrat wollte sich einem solchen Appell nicht verschliessen, obschon er die geringen Erfolgsaussichten einer neuen Demarche sich nicht verhehlen konnte. Er gab jedoch dem Politischen Departemente, mit Bücksicht auf die schwebenden Verhandlungen in der Zonenfrage, freie Hand in bezug auf die Wahl des geeigneten Zeitpunktes eines neuen Vorgehens. Da für die Geltendmachung der Forderungen der Kriegsgeschädigten gegenüber der französischen Eegierung namentlich der Auslegung des schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrages von 1882 Bedeutung zukam, unterzog das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement diese Frage nochmals einer gründlichen Untersuchung (vgl. Anlage VIII).

Mit dem Schritt in Paris wurde etwas zugewartet, da der Augenblick für einen Vorschlag auf schiedsgerichtliche Regelung angesichts der Zonenverhandlungen nicht sehr glücklich gewählt erscheinen konnte. Nachdem der Vorsteher des Politischen Departements mit dem französischen Aussenminister Briand anlässlich eines Aufenthaltes in Genf in der Frage Rücksprache genommen hatte, erfolgte die Demarche in Form einer persönlichen Unterredung des schweizerischen Gesandten mit dem Generalsekretär des Ministeriums des Auswärtigen, dem einmal mehr alle Gründe dargelegt wurden, die zugunsten der Ansprüche unserer Kriegsgeschädigten ins Feld geführt werden konnten. In einem gleichzeitig übergebenen Aide-Mémoire wurde auf verschiedene in der letzten Zeit eingetretene Tatsachen und Verhältnisse hingewiesen, die schon für sich das Verlangen nach einer Wiedererwägung der französischen Stellungnahme rechtfertigten. Am Schlüsse des Schriftstückes wurde die französische Regierung eingeladen, sich dazu zu äussern, ob sie sich gegebenenfalls mit einer gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Regelung der Streitfrage einverstanden erklären würde (vgl. Anlage III).

Die französische Regierung gab ihre durchaus ablehnende Antwort in einer einlässlich begründeten Note vom 6. November 1931 bekannt. Sie nimmt darin den Standpunkt ein, dass die von Frankreich ausgerichteten Entschädigungen als Vorschüsse auf die Reparationszahlungen Deutschlands zu betrachten seien, die Angehörigen neutraler Staaten schon deshalb
nicht zukommen könnten, weil Deutschland sich im Friedensvertrage von Versailles nur zur Schadloshaltung von Verlusten, die Angehörigen der alliierten und assoziierten Mächte entstanden seien, verpflichtet habe. Aus eigenen Mitteln den schweizerischen Geschädigten eine Vergütung zukommen -zu lassen, könne Frankreich nicht zugemutet werden, und die Bestimmungen des Niederlassungsvertrages seien auf die vorliegenden Verhältnisse nicht anwendbar. Es liege in deren Natur, wenn Frankreich auch nicht auf eine schiedsgerichtliche Erledigung der schweizerischen Ansprüche eintreten könne (vgl. Anlage IV).

Bei dieser Sachlage rnusste sich der Bundesrat neuerdings die Frage stellen, ob überhaupt noch eine Möglichkeit vorhanden sei, die schweizerischen Ersatzansprüche auf dem Wege einer internationalen Regelung einer Lösung

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entgegen zuführen. Vor allem steht wohl fest, dass weitere diplomatische Schritte, sei es bei Prankreich, sei es bei andern Staaten, ausser Betracht fallen ; denn dass auch nur eine der in Frage kommenden Eegierungen angesichts der wiederholt und eindeutig bekundeten Auffassungen auf ihren Standpunkt zurückkommen sollte, muss leider gänzlich ausgeschlossen erscheinen. Die Anrufung einer schiedsgerichtlichen Instanz gegenüber einzelnen Staaten kann ebenfalls nicht in Aussicht genommen werden, weil zum Teil der Schweiz die Beschreitung dieses Weges überhaupt versagt ist, zum Teil die materiellen Grundlagen für ihre Forderungen ungenügend wären, wie noch darzutun sein wird.

Es bleibt zu erwägen, ob nicht der Völkerbund auf Grund der Artikel 11 und 12 der Satzung mit den schweizerischen Ersatzforderungen aus Kriegsschäden befasst werden könnte, wie im Schosse der Kommission des Nationalrates angeregt worden ist. Ganz abgesehen von der Frage, ob es sich um einen Streitfall handelt, der einen Bruch zwischen den beiden Ländern herbeizuführen oder gar den Frieden zu gefährden geeignet ist, hätte ein solches Vorgehen zur Voraussetzung, dass die Ansprüche in rechtlicher Hinsicht so wenig anfechtbar wären, dass die Schweiz mit Überzeugung und Nachdruck ihre Sache durch alle politischen und rechtlichen Fährnisse verfechten könnte.

Um über letztern Punkt völlige Klarheit zu gewinnen und um jeglichem Vorwurf einer Unterlassung oder einseitigen Beurteilung zu entgehen, glaubte der Bundesrat die beste Lösung darin zu finden, dass über die Eechtsfragen, wie sie sich auf Grund unserer Akten und der ergangenen Gutachten und Bechtsschriften stellen, eine Meinungsäusserung von Seiten von Mitgliedern des Bundesgerichts eingeholt werde, die mit der komplizierten Materie des internationalen Rechts besonders vertraut sind. Der Bundesrat durfte sich glücklich schätzen, dass sich ihm in den Herren Bundesrichter Merz und Fazy zwei Männer zur Verfügung stellten, die sich über ihre Befähigung zu der ihnen übertragenen Arbeit in hohem Masse ausgewiesen haben und jede Gewähr für Unabhängigkeit und Zuverlässigkeit in der Beurteilung der gegenständlichen Eechtsfragen geben. Das Gutachten der Herren Merz und Fazy wurde am 12. Februar 1932 dem Bundesrate zugestellt. Es bestätigt in vollem Umfange die Schlussfolgerungen, zu denen
der Bundesrat in seinem Berichte vom 30. September 1929 gelangt ist. Die Frage, ob die Möglichkeit einer Weiterziehung der Angelegenheit an den Völkerbund vorliege, wird dem Bundesrate zur Entscheidung überlassen (vgl. Anlage IX).

Für den Bundesrat war bei seiner Entschliessung darüber, ob er in der Verfolgung der Geltendmachung der Ersatzansprüche der kriegsgeschädigten Auslandschweizer von allen irgendwie sieb bietenden Möglichkeiten zur Herbeiführung einer schiedsgerichtlichen Auseinandersetzung Gebrauch machen und äusserstenfalls mit einem Begehren an den Völkerbund gelangen sollte,

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die Erwägung ausschlaggebend, ob diese Ansprüche sich auf eine rechtlich einwandfreie und anerkannte Grundlage des internationalen Rechts zu stützen vermöchten oder nicht. Er durfte sich nicht mit der von den Kriegsgeschä^ digten vielfach vertretenen Ansicht begnügen, dass der von ihnen verfolgte Zweck seinem Wesen nach als gerecht und billig empfunden werden müsse, dass er somit dem wahren Rechte nicht widersprechen könne, auch wenn die zu seinen Gunsten vorgebrachten Gründe noch nicht allgemein anerkannt seien. Man hat in der Tat dem Bundesrate zugemutet, sich ohne Rücksicht auf rechtliche Bedenken in der Sache auf ein gerichtliches oder schiedsgerichtliches-Verfahren einzulassen, wie ein Anwalt sich nicht scheue, um der blossen Möglichkeit eines Erfolges willen das Risiko eines Prozesses zu übernehmen.

Wer so überlegt, verkennt vor allem, dass die Schweiz die Interessen ihrer kriegsgeschädigten Bürger nicht bloss als deren Anwalt, sondern als eigene Sache verfechten muss, mit andern Worten, dass sie die Entschädigungsansprüche gegenüber den fremden Staaten für sich als Staat stellen müsste.

Die Eidgenossenschaft würde als Klägerin auftreten, woraus aber auch folgt, dass sie als solche keine Gründe und Auffassungen vertreten könnte, zu denen sie nicht in voller Überzeugung zu stehen vermöchte oder von denen sie wüsste, dass sie während des Prozesses als unhaltbar aufgegeben werden müssten.

Es ist zu bedenken, dass im Verlauf eines Verfahrens vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof im Haag oder vor einer schiedsgerichtlichen Instanz alle rechtlichen und tatsächlichen Beweise einer ganz genauen Prüfung unterzogen werden, und man braucht sich nicht der geringsten Täuschung darüber hinzugeben, dass Aussicht bestehen würde, auch mit etwas fadenscheinigen Rechts argumenten oder blossen Billigkeitserwägungen durchzukommen.

Alle, die in dieser Hinsicht etwa noch Zweifel hegen sollten, müsste der Zonenprozess eines andern belehrt haben, indem hier in einer für die Schweiz, man darf wohl sagen als kaum anfechtbar scheinenden Rechtslage von ihr die grössten Anstrengungen unternommen werden müssen, um zur Anerkennung ihres Rechts zu gelangen. Es ist nun aber auch gesagt worden, dass wir uns schliesslich bei einem für uns negativen Prozessausgange dann damit beruhigen könnten, alles zugunsten der
Geltendmachung der Ansprüche unserer bedauernswerten Kriegsgeschädigten versucht zu haben. Wer so spricht, übersieht einmal, dass ein gerichtliches oder schiedsgerichtliches Verfahren sich nicht in einer sozusagen akademischen, bloss rein rechtlichen Erwägungen zugänglichen Sphäre abspielen würde. Jeder Prozess zwischen Staaten wie zwischen Privaten bringt vielmehr eine Spannung mit sich, welche die gesamten Beziehungen zwischen den beiden Parteien zu beeinflussen vermag. Vorab einem kleinen Staate.kann es zudem keineswegs gleichgültig sein, sich einer mehr oder weniger sichern Niederlage auszusetzen, die ihm für die Zukunft etwa bestehende Möglichkeiten von Interventionen vielleicht nehmen würde. Die unliebsamen Rückwirkungen hätte unter Umständen unser Land zu tragen, und der Bundesrat wäre bei einer solchen Handlungsweise von Leichtfertigkeit nicht wohl freizusprechen.

850 Es wird deshalb verständlich erscheinen, wenn bei dem Nachdrucke, mit dem eine schiedsgerichtliche Lösung gefordert worden ist und von gewisser Seite noch gefordert wird, vor allem andern auf die restlose Abklärung der zur Erörterung stehenden Rechtsfragen entscheidendes Gewicht gelegt wurde, und die etwas ungewöhnliche Zahl der eingeholten Gutachten findet in diesem Bestreben ihre begründete Erklärung.

Es wird auch auf jemanden, der in das internationale Recht nicht eingeweiht ist, gewiss nicht verfehlen, Eindruck hervorzurufen, wenn sowohl die zuständigen eidgenössischen Departemente wie die Herren Professor Burckhardt und Borei und die Herren Bundesricbter Merz und Fazy zu Ergebnissen gelangen, die in allen wesentlichen Punkten sich durchaus decken.

Und dieser Eindruck muss sich noch verstärken, wenn nachgewiesen werden kann, dass die dergestalt vertretene Rechtsauffassung nicht nur der Meinung der überwiegenden Mehrheit der Völkerrechtslehrer, sondern, was viel bedeutungsvoller ist, auch derjenigen der Staaten entspricht.

Es mag hier erwähnt werden, dass man zum Teil Anstoss daran genommen hat, dass die kritischen Untersuchungen über die Berechtigung der Schadenersatzansprüche unserer kriegsgeschädigten Landsleute der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden sind, wodurch die in Frage kommenden fremden Regierungen in den Besitz dieses für unsere Interessenverfechtung ungünstigen Materials gelangt seien. Solange noch eine leise Möglichkeit vorhanden war, zu einem auch nur teilweisen Erfolge für unsere Kriegsgeschädigten zu kommen, hat der Bundesrat es natürlich vermieden, in seinen Äusserungen näher auf die von ihm stets als unsicher empfundene Rechtslage einzugehen. Nachdem aber nach zehnjährigen, unablässigen Bemühungen, wie im Geschäftsberichte von 1928 betont wurde, die letzten Aussichten auf eine unsern Ansprüchen günstige Regelung geschwunden waren, von Seiten der Befürworter des Postulats Duft jedoch mit juristischen. Argumenten behauptet wurde, dass ein Weg zur Durchsetzung der Ansprüche gegeben sei und der Bundesrat zur erneuten Prüfung der Angelegenheit beauftragt wurde, da konnte und durfte er in seiner Antwort sich nicht damit begnügen, das blosse Ergebnis seiner Untersuchungen unter Verzicht auf jede einlässliche Begründung festzustellen, sondern er war es nicht nur dem Parlamente,
sondern auch dem grossen Kreise der Geschädigten schuldig, die Gründe anzugeben, die ihn zu seiner Stellungnahme veranlasst hatten. Er brauchte mit den Nachweisen für die Begründetheit seines Standpunktes um so weniger hinter dem Berge zu halten, als nach seiner Überzeugung durch die Veröffentlichung an der Sachlage nichts geändert worden ist und von der Preisgabe eines taktischen Vorteils angesichts der tatsächlichen Verhältnisse nicht die Rede sein kann.

Die Ergebnisse, die durch die bisherigen Untersuchungen erzielt worden sind, lassen sich wohl am besten dadurch veranschaulichen, dass die Forderungen der Kriegsgeschädigten, wie sie durch das Postulat Duft vertreten werden, den

851 Schlüssen gegenübergestellt werden, zu denen der Bundesrat und seine Eechtsberater gelangt sind. Wir dürfen dabei, um Wiederholungen zu vermeiden, auf unsern Bericht vom 30. September 1929 verweisen, dessen Ausführungen wir in vollem Umfang aufrechterhalten.

In der Begründung seiner am 19. Dezember 1928 eingereichten und späterhin in ein Postulat umgewandelten Motion war Herr Nationalrat Duft zu den Eechtsschlüssen gelangt, «1. dass trotz des Weltkrieges das gemeine Völkerrecht und das Eecht der internationalen Abkommen, welches die neutrale Person und das neutrale Privateigentum schützen, als ein positives Eecht, als ein unverrückbares Gut der Zivilisation, seine Gültigkeit besitzt und weiterdauert ; 2. dass kraft dieses Völkerrechtes der Neutrale, der seinen Pflichten nachkommt, durch kriegerische Gewaltmassnahmen an seiner Person und an seinem Eigentum nicht geschädigt werden darf und dass er, falls es doch geschieht, gegenüber dem verantwortlichen Staat Anrecht auf volle Entschädigung besitzt; 3. dass für Gewaltmassnahmen gegen neutrale Personen und für Beschlagnahmen neutraler Sachgüter derjenige Staat zur Wiedergutmachung verpflichtet ist, dem die handelnden und verantwortlichen Organe angehören; dass bei Zerstörungen neutralen Eigentums der Niederlassungsstaat für die erlittenen Schäden aufzukommen hat.» Auf Grund der vorgenommenen Untersuchungen lässt sich unser Standpunkt zu diesen Sätzen in endgültiger Weise wie folgt formulieren: Zu 1. Bei einer Berufung auf «das gemeine Völkerrecht» und «das Eecht der internationalen Abkommen» besteht die grosse Schwierigkeit darin, einwandfrei festzustellen, welches der Inhalt des angerufenen internationalen öffentlichen Eechts ist und inwieweit dieses allgemein anerkannte Geltung besitzt. Das gesamte in Eede stehende Eechtsgebiet setzt sich zusammen, einerseits aus geschriebenen Eechtssätzerj, wie sie in den Verträgen zwischen einzelnen oder zwischen einer Mehrheit von Staaten enthalten sind, und anderseits aus ungeschriebenen Eechtssätzen, die durch Übung oder Gewohnheit im Staatenverkehr allgemein anerkannt sind. Aber schon bei den geschriebenen Eechtsregeln fällt es nicht immer leicht anzugeben, welche auf den gegebenen Fall anwendbar erscheinen und ob diese in der strittigen Eechtsfrage auch Geltungskraft besitzen. (Hinsichtlich der Haager
Landkriegsordnung z. B.

vgl. Berieht S. 6 *) sowie die Erörterungen der Gutachten Burckhardt [S. 253) des Berichts], Borei [unten, S. 880 f.] und Merz/Fazy [unten, S. 923].)

Weit schwerer ist aber noch, eine Antwort in bezug auf Inhalt und Geltung der Eechtsregeln bei dem ungeschriebenen Gewohnheitsrechte der Staaten zu geben. Die Eechtssätze müssen im internationalen Staatenverkehr tatsächlich angewandt werden und als verbindlich anerkannt sein. Sofern z. B. einzelne ') BB1. 1929, III, 42.

) BB1. 1929, III, 61.

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852 Staaten auf dem Gebiet ihres Landesrechts gewisse Regeln zur Anwendung bringen, so ist damit natürlich noch in keiner Weise gesagt, dass diese nunmehr auch entsprechende Anwendung im Verhältnis zu andern Staaten bzw. zu deren Staatsangehörigen finden müssen. So kann naturgemäss der Erlass landesrechtlicher Vorschriften, nach welchen für die Kriegsschäden der eigenen Staatsangehörigen Vergütungen ausgerichtet werden, nicht eine entsprechende internationale Eechtsregel begründen, auch wenn solche interne Entschädigungsbestimmungen in einer ganzen Eeihe von Staaten erlassen worden sind.

Besonders betont werden muss, dass die Ansichten der Völkerrechtslehrer, mögen es ihrer viele oder wenige sein, kein Völkerrecht schaffen, sondern dass die Autoren nur als Zeugen und Gewährsmänner für das Bestehen oder Nichtbestehen von Völkerrechtssätzen anzusehen sind.

Auf wie wenig sicherm Boden z. B. die Behauptung steht, dass gemäss* einem «fundamentalen Grundsatze des internationalen Rechts» Privateigentum nicht ohne gerechte Entschädigung angetastet werden dürfe, lässt sich anhand von Tatsachen aus der neuesten Zeit dartun. Im November 1929, anlässlich der Beratungen in Paris über einen Weltniederlassungsvertrag, an denen nahezu 50 Staaten teilnahmen, hat der schweizerische Delegierte in einer Ausschussitzung mit allem Nachdruck verlangt, dass in den Vertrag eine Bestimmung aufgenommen werde, wonach den Ausländern eine gerechte Entschädigung für Requisitionen, Enteignungen oder ähnliche Leistungen stets auszurichten sei. Dieser Vorschlag ist mit sehr starkem Mehr verworfen worden, weil die Mehrheit nur die Behandlung zugestehen wollte, die jeder Staat seinen eigenen Staatsangehörigen freiwillig gewährt, wie mangelhaft diese auch vom Standpunkte des Rechts und der Gerechtigkeit sein mag (siehe Gutachten Borei [unten, S. 897 f.] und Bericht über die Internationale Konferenz betreffend Behandlung der Ausländer, I. Session, Paris, 5. November bis 5. De.zember 1929, Serie der Veröffentlichungen des Völkerbundes 1930, II, 5; vgl.

insbesondere die Erörterung auf S. 268 bis 275 und den Kommissionsbericht, S. 440 f.). In diesem Sinne sprach sich denn auch der Ausschuss für eine Gleichbehandlung mit den Inländern aus.

Dieses Beispiel ist nicht etwa als ein bedauerlicher Ausnahmefall zu betrachten, sondern hat in
der im Frühjahr 1930 stattgefundenen Haager Konferenz zur Kodifikation des Völkerrechts eine nicht minder bedeutsame Bestätigung erfahren. Es zeigten sich dort ausserordentliche Schwierigkeiten, die u. a. darin bestanden, den Umfang und die Modalitäten des Schadenersatzes festzustellen, den ein Staat bei Nichterfüllung der ihm obliegenden internationalen Verbindlichkeiten zu leisten habe, und die ferner in einer starken Abneigung zutage traten, den Staat für Schaden aus Unruhen und Bürgerkriegen -- geschweige denn für Kriegsschäden -- verantwortlich zu machen. In Anbetracht dieser Widerstände musste die Konferenz auf die in Aussicht genommene Regelung der Verantwortlichkeit der Staaten einstweilen überhaupt verzichten.

So wünschbar es auch wäre, dass die Auffassung, wie sie in der oben wiedergegebenen Motionsbegründung zum Ausdruck gelangt, der Wirklichkeit ent-

853 sprechen würde, so muss angesichts der zahheichenEnteignungen und Schädigungen zum Nachteil privaten Eigentums im Weltkriege, wie auch mit Eücksicht auf die eben berührte Einstellung der stark überwiegenden Mehrheit der Staaten nach dem Kriege die betrübende Feststellung gemacht werden, dass allgemein anerkannte Eechtssätze des internationalen Eechts über eine «gerechte» Schadloshaltung des Privateigentümers gegenüber staatlichen Eingriffen nicht vorhanden sind und dass die gegenwärtige Strömung einer Ausbildung der völkerrechtlichen Haftungsgrundsätze der Staaten so ungünstig wie möglich ist. Alles was an Einwänden dagegen vorgebracht wird, namentlich die Behauptung von einer neuen Einstellung und fortschrittlichen Entwicklung gewisser völkerrechtlicher Anschauungen, hat bestenfalls den Wert von Postulaten, darf aber in keiner Weise den Wert anerkannter Eechtsgrundsätze für sich beanspruchen. Es wäre nicht vernünftig, vor diesen Tatsachen die Augen zu verschliessen und ohne Eücksicht auf die wirkliche Sachlage vor einer Schiedsinstanz oder vor dem Forum des Völkerbundes sich auf die von uns vertretenen Anschauungen von Eecht und Billigkeit zu berufen. Denn es müsste mit Sicherheit damit gerechnet werden, dass das Ergebnis nicht anders ausfiele, als es in den zwei erwähnten Konferenzen von 1929 und 1930 geschehen ist und dass das Gegenteil des verfolgten Zweckes erreicht würde, indem sowohl den zu schützenden privaten Vermögenswerten wie dem Völkerrechte statt Nutzen nur Schaden erwüchse.

Zu 2 und 3. Je nach der Art der Schädigung des privaten Eigentums im Kriege muss wie folgt unterschieden werden: a. Hinsichtlich der sogenannten Liquidationsschäden besteht keine Meinungsverschiedenheit, sondern es herrscht übereinstimmend die Auffassung, dass Eingriffe staatlicher Organe gegenüber neutralen Vermögenswerten, die in unrichtiger oder zu weitgehender Anwendung von Bestimmungen der Friedens vertrage als feindliches Eigentum betrachtet und eingezogen worden sind, unzulässig erscheinen und dass für den Schaden, der aus solchen Massnahmen entsteht, grundsätzlich der Staat, dem die Urheber des Schadens angehören, Ersatz zu leisten hat. Dass angesichts der öfters vorliegenden Unmöglichkeit, mit den betreffenden Staaten in den fraglichen Fällen zu einer schiedsgerichtlichen Eegelung zu gelangen,
mehrfach die schweizerischen Ansprüche unbefriedigt bleiben, vermag dem Grundsatze nichts von seiner Geltung zu nehmen.

b. Eine feste Abgrenzung der Fälle, in denen eine Enteignung durch Eequisition erfolgen darf, gegenüber denjenigen, in welchen eine solche den geltenden Eechtssätzen des internationalen Eechts widersprechen würde, lässt sich nicht geben. Zwar sieht die Haager Landkriegsordnung vor, dasw Eequisitionen im besetzten feindlichen Gebiete nur für die Bedürfnisse des Besetzungsheeres gefordert werden können. Dagegen muss einmal davon ausgegangen werden, dass den Behörden des besetzenden Staates ein Eequisitionsrecht zustehen muss auch für die Bedürfnisse der zivilen Verwaltung; denn es

854 wäre nicht vernünftig anzunehmen, dass für. das besetzte Gebiet in dieser Beziehung keine Massnahmen zulässig sein sollten. Ferner ist die Geltungskraft der Haager Landkriegsordnung für die Dauer des Weltkrieges bekanntlich bestritten. Aber auch bei Anerkennung ihrer Gültigkeit und bei sinngemässer Anwendung der in ihr enthaltenen Eegeln können Eequisitionen als solche wohl in den seltensten Fällen als völkerrechtswidrig bezeichnet werden.

Es ist allgemein anerkannt, wie es im Gutachten Merz/Fazy (S. 825) heisst, dass für requiriertes Gut Entschädigung zu leisten ist, bestritten dagegen die Frage, welche Entschädigung geschuldet sei. Es besteht keine Eegeldesinternationalen Eechts, nach welcher eine Entschädigung geleistet werden müsste, die den Geschädigten instand setzen würde, einen gleichwertigen Gegenstand zu erwerben. Nach den allgemein a n e r k a n n t e n Eechtssätzen wird auch dem Ausländer nur zugestanden, dass ihm die gleiche Entschädigung gewährt wird wie dem Einheimischen.

Vom Standpunkte der aus dem Weltkriege herrührenden schweizerischen Ansprüche aus betrachtet ist endlich nicht zu übersehen, dass die völkerrechtlichen Auseinandersetzungen über die Eequisitionen der praktischen Bedeutung heute beinahe entbehren. Denn es muss hervorgehoben werden, dass von sämtlichen Eequisitionsfallen, die Schweizerbürger in dem ehemals vom deutschen' Heer besetzten Gebiete betreffen, nur mehr zwei nicht erledigt sind. Alle übrigen können, namentlich infolge formeller gegenüber der deutschen Eegierung eingegangener Verzichtserklärungen auf Geltendmachung weiterer Ansprüche, nicht mehr aufgegriffen werden. In den erwähnten zwei Fällen liegen Angebote ebenfalls vor, die im einen Falle zirka 87 %, im andern zirka 100 % des Schatzungswertes ausmachen, der allerdings niedriger ist als der vom, Eigentümer geltend gemachte Wert.

c. Die wichtigsten, im Mittelpunkte der Auseinandersetzungen stehenden Kriegsschäden sind diejenigen, die durch eigentliche Kampfhandlungen entstanden sind (Zerstörungsschäden). Soweit solche Schäden durch völkerrechtswidriges Verhalten der Kämpfenden hervorgerufen worden sind, ist unbestritten, dass für sie voller Ersatz zu leisten ist, und zwar ist ersatzpflichtig der Staat, dem der Eechtsbrecher angehört. Schwierig wird erfahrungsgemäss im Einzelfalle die Führung des
Nachweises über das tatsächliche Vorliegen einer Völkerrechtswidrigkeit sein. In diesem Zusammenhange sei bemerkt, dass die von Lapradélle aufgestellte Behauptung, die Verletzung der Neutralität Belgiens sei eine völkerrechtswidrige Handlung gewesen, die alle Taten der deutschen Truppen im Kriege gegen Belgien ohne weiteres zu völkerrechtswidrigen Akten stemple, gänzlich unhaltbar ist. Das Völkerrecht hat gewisse Tatbestände, wie Brandstiftung, Brunnenvergiftung usw. als für jede kriegführende Partei unstatthaft und andere Kriegshandlungen als zulässig erklärt, ohne Eücksicht auf den Entstehungsgrund eines Krieges. Eine gegenteilige Auffassung würde zu durchaus abwegigen Folgerungen führen, wie Burckhardt in seiner Vernehmlassung vom 4. August 1980 (S. 912) angedeutet hat (siehe auch Gutachten Merz/Fazy [S. 923 f.]).

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Die Erörterungen über die Frage der Ersetzung der nicht völkerrechtswidrigen Kriegsschäden haben für jeden Einsichtigen genügend Abklärung über die aufgeworfenen Eechtsfragen gebracht. So wird nicht mehr bestritten werden können, dass ein absoluter Schutz des neutralen Eigentums im Kriege nicht besteht und dass es keine völkerrechtliche Pflicht der kriegführenden Staaten gegenüber ihren eigenen Angehörigen gibt, den entstandenen Schaden zu ersetzen. Die Ergebnisse der Untersuchungen von Burckhardt, Borei und Merz/Fazy bestätigen nur, was schon vor ihnen die hervorragendsten Autoren des Völkerrechts, wie Grotius, Vattel, Morin, Calvo, Piédelièvre, Pillet, Bry, Bluntschli, Eivier, Pradier-Fodéré, Mérignhac, Fiore, Despagnet, Bonfils und andere lehrten und was der zuletzt Genannte in folgenden lapidaren Sätzen zusammengefasst hat («Traité de-droit international public», 8. Aufl., §1232): «Schäden aus Kriegshandlungen, Gewaltakten, Kämpfen, Bestürmungen, Beschiessungen, Verwüstungen, Brünsten, Plünderungen, Diebstählen durch Soldaten usw. Das Völkerrecht kann den Grundsatz eines Anspruches auf deren Wiedergutmachung nicht zulassen. Denn für den gewöhnlichen Bürger ist der Krieg ein Fall höherer Gewalt, ein unvermeidliches Übel, wie ein Hagelschlag, eine Überschwemmung. Er ist nicht das Opfer einer Ungerechtigkeit, sondern einer Geisel, wie Bluntschli sagt. Eechtlich genommen hat er keinen Anspruch auf Entschädigung. An wen auch sollten sich die durch Kriegshandlungen betroffenen Privatpersonen wenden, um eine Entschädigung zu verlangen ? An den Feind ? Aber wenn dieser die Eegeln des Kriegsrechts eingehalten hat, so hat er nur von seinen Eechten als Kriegführender Gebrauch gemacht, hat er diese Vorschriften jedoch missachtet, so ist er seinem Gegner und den andern Staaten gegenüber verantwortlich, nicht aber den Privatpersonen. Oder an die eigene Eegierung? Aber diese ist nicht gebalten, ihre Bürger für Fälle höherer Gewalt, zu entschädigen. Als Grundsatz muss somit die Unverantwortlichkeit der Staaten gelten. Aber ein Korrektiv kann aus Gründen der Menschlichkeit und des Mitleids gegeben sein. Die Eegierung der geschädigten Privatpersonen soll ihnen, sofern der Stand der Staatsfinanzen es zulässt, Hilfe bringen und die Verluste, die ihnen der Krieg zugefügt hat, wenigstens im wesentlichen wieder gut
machen.» Auch Professor de Lapradelle selbst ist übrigens grundsätzlich der gleichen Ansicht, denn er sagt ausdrücklich: «Wenn es dein Staat gefällt, den Krieg als höhere Gewalt anzusehen, so wollen wir es dabei bewenden lassen -- sagen wir also ja.» Das Völkerrecht kennt somit weder eine Pflicht zur Wiedergutmachung seitens des Gebietsstaates, d. h. des Staates, wo der Schaden entstanden ist, noch seitens des Urheberstaates, d. h. des Staates, dessen Wehrmacht den Schaden verursacht hat. Wenn die belgische und die französische Eegierung in ihren Noten, die wir unserm Berichte vom 30. September 1929 bzw. dem

856 vorliegenden Berichte beigegeben haben, den Bundesrat an die deutsche Eegierung verweisen, die in dem Friedensvertrage von Versailles die Haftbarkeit für die entstandenen Kriegsschäden übernommen habe, so muss der Bundesrat jeden Gedanken an eine solche Möglichkeit mit aller Entschiedenheit ablehnen. Was die Kriegführenden in den Friedensverträgen vereinbart haben, gibt für die Schweiz keinen Eechtstitel ab, und für jeden ernsthaft und vernünftig denkenden Bürger braucht nicht weiter erörtert zu werden, aus welchen Gründen die Eegierung eines neutralen Landes nicht eine der kriegführenden Parteien als Urheber des Krieges erklären und sie für die sämtlichen in diesem vorgekommenen Schäden verantwortlich machen könnte !

So bleibt im Grunde nur noch die Frage strittig, ob ein Staat, der die Kriegsschäden der eigenen Staatsangehörigen aus Erwägungen der Billigkeit und nationaler Solidarität vergütet, nicht gehalten sei, unter an sich ähnlichen Voraussetzungen Ausländer auf gleichem Fusse zu behandeln. Wenn auch in der Vergangenheit in gewissen Fällen (so z. B. in Frankreich nach dem Deutsch-Französischen Krieg) eine solche Gleichstellung erfolgt ist, so haben weder diese Fälle, noch die bis heute vorliegenden völkerrechtlichen Abmachungen zur Ausbildung einer verbindlichen internationalen Eechtsregel über die Pflicht zur Gleichbehandlung von Einheimischen und Fremden auf diesem Gebiete geführt.

Es lässt sich nicht sagen, dass für den Fall des Krieges die gleichen Grundsätze gelten müssen wie für den Fall eines Bürgerkrieges oder innerer Unruhen, dass nämlich der Staat gehalten sei, durch seine Organe den Einwohnern Sicherheit der Person und des Eigentums zu gewährleisten. Von einer Pflicht des Staates, im Krieg in bezug auf das auf seinem Gebiete befindliche Privateigentum eine höhere als die mögliche Sicherheit zu bieten, kann keine Eede sein; aber auch ein Wille des Staates, eine unmögliche Sicherheit zu gewährleisten, darf nicht angenommen werden. Eine gewisse Berechtigung haben die auf die Wirtschaftsgemeinschaft aller Landeseinwohner sich berufenden Argumente, die denn auch von uns geltend gemacht wurden. Wenn aber die Kriegsschädengesetze, wie z. B. das französische, den Grundsatz der Solidarität der Staatsangehörigen verkünden, so finden diese Gfesetze a priori eben nur auf die Einheimischen
Anwendung. Der Sta.at hat besondere Gründe, sich seiner eigenen Bürger anzunehmen. Er hat ihnen im Kriege noch ganz andere Opfer zugemutet als den auf seinem Gebiete wohnenden Angehörigen neutraler Staaten. Er ha.t am wirtschaftlichen Fortkommen seiner Bürger ein besonderes Interesse, schon mit ^Rücksicht auf die ihm obliegende Fürsorgepflicht (z. B. hinsichtlich der Armenfürsorge). Dass eine konstante Praxis in bezug auf Gleichstellung von Fremden und Einheimischen, was die Vergütung von Kriegsschäden anbelangt, nicht besteht, zeigt schon die Bemerkung Borels (S. 893) über die Beratungen der Haager Konferenz von 1907: Wenn auf diesem Gebiete die Frage einer Gleichbehandlung in der Konferenz aufgeworfen worden wäre, so ist keineswegs sicher, dass sie eine zustimmende Antwort erhalten hätte.

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Aber auch aus allgemeinen von den Kulturstaaten anerkannten Eechtsgrundsätzen (vgl. Ziff. 3 des Art. 38 des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes, sowie Anzilotti, Corso di diritto internazionale, Bd. l, S. 42/44, 58/59) lässt sich unseres Erachtens nicht ableiten, dass die Ausländer in bezug auf eine Entschädigung für Kriegsschäden den Inländern gleichgestellt seien.

Zudem ist zu beachten, dass der Ständige Internationale Gerichtshof in der Frage, ob eine ungeschriebene Völkerrechtsnorm anzunehmen sei, grösste Vorsicht walten lässt.

Es ist deshalb nur noch zu untersuchen, ob nicht gegenüber einzelnen der in Frage kommenden Staaten die Schweiz auf Grund von Sonderverträgen beanspruchen kann, dass ihre Bürger bei Ausrichtung von Entschädigungen durch den andern Vertragsstaat genau wie dessen Angehörige berücksichtigt werden.

D e u t s c h l a n d hat, wie schon im Berichte vom 30. September 1929 hervorgehoben wurde, in Art. 5 des schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrages vom 13. November 1909 die Verpflichtung übernommen, im Falle eines Krieges schweizerische und deutsche Staatsangehörige in Ansehung der Entschädigung gleich zu behandeln. Dies ist, wie anerkannt werden muss, sowohl bei Bequisitionen wie auch bei den übrigen Kriegsschäden im allgemeinen geschehen.

Belgien, Frankreich, Grossbritannien und Italien haben keine Verträge mit der Schweiz geschlossen, in denen eine ähnliche Klausel enthalten wäre. Die als Anlage VIII wiedergegebenen Ausführungen des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements lassen keinen Zweifel daran übrig, dass keine der Bestimmungen unserer Niederlassungsvertrage mit diesen Staaten als Grundlage für die Geltendmachung von Gleichbehandlungsansprüchen für Kriegsschadensvergütungen irgendwie in Betracht kommen könnte.

Es ist z. B. behauptet worden, dass Art. 5 des Niederlassungsvertrages mit Italien vom 22. Juli 1868 eine brauchbare Grundlage für eine Forderung auf Gleichbehandlung der schweizerischen Geschädigten in Italien mit den italienischen Kriegsgeschädigten abgeben würde. Nun sieht dieser Artikel vor, dass weder in Friedens- noch in Kriegszeiten auf das Eigentum eines Bürgers des einen der beiden Länder in dem Gebiete des andern irgendeine andere oder höhere Taxe, Gebühr, Auflage oder Abgabe gelegt oder davon gefordert werden darf,
als auf das gleiche Eigentum gelegt oder davon gefordert würde, wenn es einem Bürger des Landes oder einem Bürger der am meisten begünstigten Nation angehören würde. Wollte man sich auf diese Bestimmung stützen, so müsste man geltend machen, dass auch die Kriegsschäden eine Auflage seien, die der italienische Staat Einheimischen und Fremden zugemutet habe, die aber gegenüber den erstem, wenigstens teilweise, abgelöst worden sei, so dass sie nur mehr von den Ausländern getragen werden müsse, was eine Verletzung des erwähnten Artikels bedeute. Das Gesuchte einer solchen Auslegung ist in die Augen springend, und es wäre natürlich der Einwand zu gewärtigen, dass die in Frage stehende finanzielle Last nicht unter die in Art. 5 aufgezählten Leistungen falle und vom italienischen Staat nicht

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gefordert oder auferlegt worden sei. Jedenfalls würde Italien geltend machen können, dass bei Eingehung des Niederlassungsvertrages es nicht der Wille der Parteien gewesen sei, ihn auf die fraglichen freiwilligen Leistungen des -Staates auszudehnen, was die italienische Eegierung übrigens bereits in ihrer Note vom 20. Mai 1919 getan hat (s. Anlage V). Wie in der Vernehmlassung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements gesagt wird, darf bei Auslegung von Niederlassungsverträgen die "Vertragsbrücke keiner zu grossen Belastung ausgesetzt werden, wenn sie nicht zusammenbrechen soll.

Goethes ironischer Eat: Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr's nicht aus, so legt was unter! mag vielleicht von manchen juristischen Eatgebern befolgt Werden ; niemals aber wird sich eine ihrer Verantwortlichkeit bewusste 'Eegierung diesen Spruch als Eichtschnur dienen lassen.

Die vorstehend zusammengefassten Schlüsse, zu denen eine Prüfung der materiellen Eechtsgrundlagen geführt hat, gestatten nunmehr auch, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der Eidgenossenschaft in der Sache überhaupt noch irgendein Verfahren vor einer internationalen Instanz offen steht.

I. Die Einleitung eines schiedsgerichtlichen Verfahrens ist ausgeschlossen : a. gegenüber Deutschland, weil einmal in bezug auf die eigentlichen Kriegsschäden keine Fälle mehr hängig sind; ferner aber auch deswegen, weil bei den Entschädigungsansprüchen aus Eequisitionen wohl noch zwei Forderungen geltend gemacht werden, für die aber eine schiedsgerichtliche Eegelung in keinem Zeitpunkte jemals hätte verlangt werden können; fc. gegenüber Belgien, Frankreich und Grossbritannien vor allem, weil diese Staaten nicht geneigt sind, die schweizerischen Schadenersatzansprüche zum Gegenstand eines Schiedsverfahrens zu machen und hierzu nicht gezwungen werden können, sodann aber auch, weil die gegenüber diesen Staaten vorzubringenden Schadenersatzforderungen keine genügende Eechtsgrundlage besitzen, um mit Aussicht auf Erfolg in einem solchen Verfahren durchzudringen ; c. gegenüber Italien, weil im Verhältnisse zu diesem Staate zwar formell die Möglichkeit der Einleitung eines Vergleichs- und Gerichtsverfahrens besteht, für die Schweiz die materiell-rechtliche Grundlage einer Schadenersatzforderung aus Kriegsschäden aber nicht vorhanden ist. In der Ta.t
reichen für einen solchen Zweck die Bestimmungen unseres Niederlassungsvertrages mit Italien, die nach Ansicht des schweizerischen Kriegsschädenkomitees für die Geltendmachung der Gleichbehandlung mit den italienischen Kriegsgeschädigten herangezogen werden sollten, nicht aus, wie schon oben erwähnt wurde, so dass die unumgänglich erforderlichen Voraussetzungen für eine schiedsgerichtliche Eegelung nicht vorhanden sind;

859 d. gegenüber allen andern ehemals kriegführenden Staaten, soweit im Verhältnisse zu ihnen die hier behandelten grundsätzlichen Fragen sich überhaupt stellen.

II. Nach der Völkerbundssatzung kann ein Mitglied an den Völkerbundsrat oder an die Völkerbundsversammlung in einer Angelegenheit gelangen, die geeignet ist, die guten Beziehungen zu andern Staaten zu trüben und in der Folge den Frieden zu stören (Art. 11) oder den Bruch zwischen zwei Mitgliedstaaten herbeizuführen (Art. 12 und 15).

Auf Grund dieser Bestimmungen hat Finnland wegen einer aus Schiffsrequisitionen im Weltkriege herrührenden Schadenersatzforderung gegenüber der britischen Eegierung im vergangenen Jahr ein Begehren an den Völkerbundsrat gerichtet. Grossbritannien hat bestritten, dass in dem gegebenen Falle der Völkerbund zur Behandlung der Angelegenheit zuständig sei, und ein Entscheid des Eates ist noch nicht erfolgt.

Indessen hat am 30. Januar 1982 ein Ausschuss des Eates an diesen Bericht über die Angelegenheit erstattet und ist dabei u. a. zu folgenden sehr bemerkenswerten Schlüssen gelangt: «Der Ausschuss hat geprüft, welche Artikel im gegebenen Falle angerufen werden könnten. Nach seiner Ansicht wäre es mit Eücksicht auf alle Verumständungen des Falles nicht wohl zulässig, anzunehmen, dass der zwischen Finnland und Grossbritannien hängige Streitfall zu jenen gehört, die gemäss den Artikeln 12 und 15 der Satzung geeignet sind, einen Bruch herbeizuführen, auch wenn anerkannt wird, dass Bruch nicht notwendigerweise mit Krieg identisch sein muss. Anderseits erachtete der Ausschuss es als möglich, Absatz 2 des Artikels 11 heranzuziehen, der ein Einschreiten des Eates zulässt, wenn seine Aufmerksamkeit, in freundschaftlicher Weise, von einem Mitgliede des Bundes auf einen Umstand hingewiesen wird, der geeignet sein könnte, «den Frieden oder das gute Einvernehmen» von Staaten zu stören.

Der Artikel 11 gestattet dem Eate, jede Massnahme vorzuschlagen, die er den Umständen nach als angemessen erachten sollte.

Der Artikel 13 der Satzung erlegt den Mitgliedstaaten des Völkerbundes nicht die V e r p f l i c h t u n g a u f , alle ihre Streitigkeiten einem Schieds- oder gerichtlichen Verf a h r e n zu u n t e r w e r f e n , und demzufolge sind die Staaten auch nur dann gehalten, einem derartigen Verfahren zuzustimmen, wenn es
durch einen allgemeinen oder einen besondern Vertrag vorgesehen ist, oder wenn sie in einem gegebenen Fall übereinkommen, ein solches Verfahren einzuschlagen. Nun wird aber im vorliegenden Falle keine der streitenden Parteien durch eine von ihnen eingegangene Verbindlichkeit zu einem Gerichts- oder Schiedsverfahren verhalten. Nichts hindert hingegen den Eat, sich für die Herbeiführung einer Einigung zu verwenden. Der Ausschuss erachtet demnach die Zuständigkeit des Eates im Sinne von Artikel 11, Absatz 2, der Satzung als gegeben.»

860

Die grundsätzlichen Erörterungen, welche die Aussprache über diesen Bericht im Eate gezeitigt hat, verdienen hier besonders hervorgehoben zu werden. Das italienische Mitglied des Ausschusses schränkte die oben wiedergegebene Zuständigkeitserklärung dahin ein, dass der Eat selbstverständlich nur eine vermittelnde Tätigkeit zwischen den Parteien ausüben könnte.

Das britische Batsmitglied wandte sich entschieden gegen die Anwendung des Art. 11, Abs. 2, mit der Begründung, dass anscheinend mit dessen Anrufung versucht werden solle, auf einem Umwege die Angelegenheit einem Schiedsverfahren zu unterstellen. Nun könne aber ein Schiedsverfahren nur auf Grund von Art. 13 der Satzung anbegehrt werden, der indessen für die Mitgliedstaaten des Bundes nicht zwingend sei. Eine Klausel, durch die Art. 13 obligatorischen Charakter für die betreffenden Staaten erhalte, sei von einer grossen Anzahl Staaten angenommen worden. Darunter befinde sich auch Grossbritannien, das aber die Anwendung der Klausel für Streitigkeiten, die in die Zeit vor der Batifizierung der Klausel (5. Februar 1930) zurückreichen, ausdrücklich ausgeschlossen hat, und zwar aus folgenden Gründen. Im Laufe des Krieges habe sich die britische Regierung tiner ganzen Menge von Forderungen der verschiedensten Art gegenübergestellt gesehen, wie das vermutlich auch bei den andern kriegführenden Staaten der Fall gewesen sei. Um ein Wiederaufleben dieser Forderungen zu verhüten, habe die britische Eegierung die obligatorische Anwendung des Artikels 13 auf nach Eatifikation der Klausel entstehende Streitfälle beschränken müssen. Sie könne deshalb auch niemals die Unterstellung des gegenwärtigen Streitfalles unter ein Schiedsverfahren in Betracht ziehen.

Gemäss dem Vorschlage des britischen Eatsmitgliedes ist die Angelegenheit auf die Maisession vertagt worden *).

Das Vorgehen Finnlands hat die Befürworter des Postulates Duft in ihrer schon früher vertretenen Ansicht bestärkt, dass auch für die Schweiz die Möglichkeit vorliege, in der Kriegsschädenfrage einen ähnlichen Weg einzuschlagen wie Finnland. Diesem Gedanken liegt die Hoffnung zugrunde, der Eat werde entweder vom Internationalen Gerichtshof ein Gutachten in der Angelegenheit einverlangen, das einer Entscheidung des Gerichtshofes in der Frage gleichkäme, oder aber der Schritt der Schweiz werde
zur Folge haben, dass der Eat eine schiedsgerichtliche Lösung ermöglichen werde. Nun hat jedoch der Eat, wie oben erwähnt, ausdrücklich festgestellt, dass ein schiedsgerichtliches Verfahren auf Grund von Art. 13 nicht erzwungen werden könne. Ähnlich wie Grossbritannien haben auch Frankreich und andere Staaten die obligatorische Anwendbarkeit der Schiedsklausel auf Forderungen, die aus der Kriegszeit stammen, ausgeschlossen, und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen.

Es liegt deshalb nach den im britisch-finnischen Streitfalle britischerseits *) Der Völkerbundsrat hat in seiner Sitzung vom 18. Mai davon Kenntnis erhalten, dass sich beide Regierungen in direkten Verhandlungen und unter ausdrücklicher Wahrung ihres Standpunktes dahin verständigt haben, dass zunächst zwei Vorfragen abgeklärt werden sollen.

861 abgegebenen Erklärungen, sowie nach den Vorgängen in den beiden obenerwähnten Konferenzen des Völkerbundes in Paris und im Haag auf der Hand, welches die Haltung der Mehrheit der Eatsmitglieder gegenüber einem schweizerischen Begehren auf Berücksichtigung der schweizerischen Ersatzansprüche aus Kriegsschäden wäre. Die Schweiz könnte bei ihrem Vorhaben einzig auf die im Weltkriege neutral gebliebenen Staaten zählen, da von den ehemals kriegführenden Staaten wegen der grossen grundsätzlichen Bedeutung und der gewaltigen finanziellen Tragweite der Frage nicht erwartet werden kann, dass sie eine andere Auffassung vertreten würden, als sie Grossbritannien im oben erwähnten Falle gegenüber Finnland bekundet hat.

Es ist zudem nicht zu vergessen, dass zu jedem Beschluss im Rat, abgesehen von wenigen, hier nicht in Betracht kommenden Fällen, Einstimmigkeit notwendig ist. Wie kann nun nach Lage der Verhältnisse ernsthaft damit gerechnet werden, dass alle im Rate vertretenen Staaten, die sich bisher dem schweizerischen Begehren mit Hartnäckigkeit widersetzt haben, ihren Widerstand aufgeben und sich jetzt damit abfinden würden, dass die ganze Angelegenheit einer Schiedsinstanz oder dem internationalen Gerichtshofe zur Entscheidung überlassen werde. Soll für ein solches gänzlich aussichtsloses Unterfangen wertvolle Zeit und Kraft nutzlos geopfert werden und die Schweiz sich in internationale Auseinandersetzungen einlassen, dgren nachteilige Auswirkungen im voraus nicht zu übersehen sind ? Der Bundesrat, dem die Bundesverfassung die Wahrung der völkerrechtlichen Beziehungen der Schweiz übertragen hat, kann nach äusserst sorgfältiger Prüfung aller Umstände die Verantwortung für ein solches Vorgehen nicht übernehmen und wird es entschieden ablehnen, sich auf einen Weg drängen zu lassen, der nach seiner vollsten Überzeugung auch für unsere Kriegsgeschädigten zu nichts Gutem führen könnte.

Schon für einen Politiker und juristischen Fachmann ist es durchaus nicht leicht, in den schwierigen und verwickelten Rechtsfragen sich zurechtzufinden, die wir eben berührt haben, und da ist es verständlich, dass es gebildeten und ungebildeten Laien noch viel schwerer fallen muss, den richtigen Einblick in diese Probleme zu gewinnen. Weite Kreise lassen sich in solchen Fragen leicht von gefühlsmässigen Eindrücken leiten. Kühles Abwägen und vernünftiges Überlegen will ihnen oft als allzu grosse Vorsicht und Ängstlichkeit erscheinen.

Wer mag sie darum schelten, und wer kann es vor allem den Geschädigten selbst verübeln, wenn sie, wie das schweizerische Komitee von St. Quentin in einem Schreiben an die Kommission des Nationalrates es getan hat, voll Unmut ausrufen : «Wir kennen nicht das Recht, aber wir wissen, dass wir den Krieg über uns ergehen lassen mussten, dass wir gelitten haben und noch leiden, dass wir nichts getan haben, was eine Strafe verdiente und dass es nicht recht ist und nicht recht sein kann, dass das Land, das uns enteignete, uns sagt: ,,Ich will Euch entschädigen, aber in lächerlichem Gelde"; Bundesblatt.

84. Jahrg.

Bd. I.

63

862 dass das Land, wo -wir arbeiten und Steuern zahlen, uns sagt: ,,Ich kenne Euch nicht", und dass unser eigenes Land uns antwortet?: ,,Eure Not entspricht dem Becht", und dass schliesslich diejenigen, die den Krieg nur mittelbar verspürt haben, uns sagen : ,,Da ist leider nicht zu helfen, was können wir dafür?"» Wer vermag sich dem tiefen Eindruck dieser Klage zu entziehen, die allerdings in ihren schrankenlosen Vorwürfen ihrerseits ungerecht wird. Die durch direkte Kriegsereignisse Geschädigten übersehen vielleicht, dass sie nicht die einzigen unserer Mitbürger sind, die infolge des Krieges völlig unverschuldet Hab und Gut verloren haben. Wir erinnern an die unglücklichen Landsleute,, denen durch das Sowjetregime alles genominen wurde, sowie an die Leidensgenossen in Deutschland, Österreich und andern Staaten, denen durch die Entwertung der Landeswährung ihr oft mühsam erworbener Besitz ganz, oder' zum Teil vernichtet worden ist. Die Eidgenossenschaft hat allen,, die infolge dieser Ereignisse in Not geraten sind, im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel Unterstützungen gewährt, die bis heute die ansehnliche Höhe von rund 30 Millionen Pranken erreichen, welche Summe sich wie folgt verteilt : Schweizerische Hilfs- und K r e d i t o r e n g e n o s s e n schaft in Genf (Vorschüsse) Fr. 3,400,000.

Abteilung für Auswärtiges (1918--1931): Eubelwechsel » 1,765,000' Unterstützung von Schweizern in Sowjetrussland, Heimschaffungen, Empfangs- und Quarantäneauslagen . . . » 1,600,500Eidgenössisches Arbeitsamt (1919--1925):Unterstützung arbeitsfähiger Auslandschweizer » 3,822,173Eidgenössisches Ernährungsamt (1919--1922): Unterstützung von Schweizern im Ausland durch Naturalsendungen » 4,150,000 Innerpolitische Abteilung (1915--1925): Unterstützung heimgekehrter Auslandschweizer » 4 204,398 Polizeiabteilung (1921--1931): Unterstützung von Auslandschweizern im Ausland und (seit 1926) im Inland . . » 11,223,954 Total Fr. 30,166,025 In diesen Beträgen sind natürlich die von den Kantonen gezahlten Unterstützungen nicht inbegriffen. Der Bund gewährt auch weiterhin Beihilfen an die in Bedrängnis befindlichen Auslandschweizer, die in Notlagen, bei Arbeitsunfähigkeit und im Alter, durch diese Hilfsaktion angemessene Beiträge zum Lebensunterhalt bekommen, die z. B. für ein Ehepaar bis auf Fr. 300 monatlich
sich beziffern. Für das laufende Jahr (1932) beträgt der hierfür ausgesetzte Kredit Fr. 1,150,000.

Wenn unser Land weiter gehen und Vergütungen oder auch nur Vorschüsse an die eigentlichen Kriegsgeschädigten ausrichten wollte, deren Ver-

863

luste sich schätzungsweise noch auf rund 50 Millionen Franken belaufen dürften, so hätte es dabei kaum sein Bewenden ; sondern auch die in Eussland und andern Staaten durch Vermögensenteignungen -- wozu, in gewissen Fällen wenigstens, die Inflationsauswirkungen gehören -- geschädigten Schweizerbürger würden nicht ohne Grund verlangen, auf gleichem Fusse behandelt zu werden. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass einzig die schweizerischen Vermögenseinbussen in Eussland sich auf ungefähr eine Milliarde Franken belaufen, so bedarf es wohl keiner weitern Erklärungen, weshalb auch eine nur teilweise Entschädigung durch die Eidgenossenschaft ausgeschlossen erscheinen muss.

Ohne den gewaltigen Schäden Bechnung zu tragen, die Schweizer in der Fremde und in der Heimat durch den Weltkrieg erlitten haben, hat das Ausland häufig die Schweiz als ein Land betrachtet, das sich während des Krieges im Schutze seiner Neutralität bereichert habe. Man geht vielleicht nicht fehl, wenn man annimmt, dass diese Auffassung nicht in letzter Linie die negative Haltung der Eegierungen mitbestimmte, bei denen wir zugunsten der Ersatzansprüche unserer Kriegsgeschädigten eingetreten sind. Wenn unser Land trotz vielfacher und bedeutender natürlicher Schwierigkeiten, die grösser sind als in den meisten andern Staaten, bis heute seine wirtschaftliche Stellung zu behaupten vermochte, so ist ihm dies nicht von ungefähr in den Schoss gefallen, und es sollten die Opfer nicht vergessen werden, die es in den Kriegs- und Nachkriegsjahren,. auch zugunsten der kriegführenden Staaten, gebracht hat.

Es wird sich aber, hinsichtlich der Kriegsschäden, von denen seine Landeskinder betroffen wurden, damit abfinden müssen, dass es allein auf seine eigenen Kräfte angewiesen bleibt, die allerdings nicht ausreichen, um den Geschädigten die erforderlichen Mittel zum Wiederaufbau ihrer Existenz zur Verfügung zu stellen. Indessen soll auch in Zukunft nichts unterlassen werden, um nach Möglichkeit ihr bitteres Los zu mildern.

Einer betrüblichen Erscheinung muss zum Schlüsse noch gedacht werden, nämlich der völlig unangebrachten Angriffe, denen von Seiten des Komitees der schweizerischen Kriegsgeschädigten das Politische Departement und dessen Vorsteher ausgesetzt waren. Es mag der Verbitterung und Enttäuschung der Geschädigten vieles zugute gehalten
werden, aber auch sie können gewisse Unterschiebungen und Entstellungen nicht mehr als entschuldbar erscheinen lassen. Es ist hier nicht der Ort, auf die einzelnen Anschuldigungen, die anhand der Akten alle leicht widerlegbar sind, einzugehen; dochJegen wir Wert darauf, auch an dieser Stelle zu betonen, dass die in den Kriegs-und Nachkriegsjahren befolgte Politik in der Geltendmachung der Ansprüche der kriegsgeschädigten Ansiandschweizer, soweit sie nicht geradezu vom Bundesrate selbst ausgegangen ist, diesem in jeder wichtigen Entwicklungsphase bekannt war und von ihm gebilligt worden ist. Zudem haben die eidgenössischen Eäte anlässlich der Beratung zahlreicher Geschäftsberichte, Motionen, 'Postulate usw. sich vom Bundesrat Aufschlüsse über den von ihm in der Sache eingenommenen Standpunkt geben lassen und diesem jeweilen auch zugestimmt.

864 In dem Bewusstsein, alles in menschlichen Kräften Stehende für unsere von den Schrecken des Krieges betroffenen Landsleute getan zu haben, empfehlen -wir Ihnen, in Gutheissung der beiden Ihnen vorgelegten Berichte, das Postulat Duft als erledigt zu erklären.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 24. Mai 1932.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der V i z e p r ä s i d e n t :

Schulthess.

Der Bundeskanzler:

Kaeslin.

Verzeichnis der Anlagen.

Seite I. Note der Schweizerischen Gesandtschaft in Paris an. das Französische Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, vom 5. November 1929 . 865 II. Note des Französischen Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten an die Schweizerische Gesandtschaft in Paris, vom 15. November 1929 . . 867 III. Aide-Mémoire vom 10. September 1931, vom Schweizerischen Gesandten in Paris dem Generalsekretär des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten . übergeben ' . 868 IV. Note des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten an den Schweizerischen Gesandten in Paris, vom 6. November 1931 871 V. Note des Italienischen Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten an die Schweizerische Gesandtschaft in Rom, vom 20. Mai 1919 876 VI. Rechtsgutachten des Herrn Prof. Eugène Borei, vom 10. Mai 1930 . . 877 VII. Vernehmlassung des Herrn Prof. W. Burckhardt, vom 4. August 1930 . 901 VIII. Vernehmlassung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements über die Wiedergutmachungsansprüche kriegsgeschädigter Schweizer und die Niederlassungsverträge, vom 13. Dezember 1930 914 IX. Rechtsgutachten der Herren Bundesrichter Viktor Merz und Robert Fazy, vom 12. Februar 1932 922

865 Anlage I.

(Übersetzung.)

Note der Schweizerischen Gesandtschaft in Paris an das Französische Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten vom 5. November 1929.

Seit dem Erlasse des Gesetzes vom 17. April 1919 über die Wiedergutmachung der Kriegsschäden hat die Schweizerische Gesandtschaft zu verschiedenen Malen die Aufmerksamkeit des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten auf das Interesse hingelenkt, das der Bundesrat dem Abschluss eines Abkommens entgegenbringt, das den in Frankreich niedergelassenen Schweizern die Vorteile des vorerwähnten Gesetzes zu sichern geeignet wäre.

Durch Note vom 10. November 1920 hatte das Departement geantwortet, dass die Frage, um die es sich handle, Gegenstand einer eingehenden Prüfung seitens der Eegierung der Eepublik gebildet habe und dass auf Grund dieses Studiums es unmöglich erscheine, auf die Angehörigen einer fremden Macht irgendwelche ausserordentliche Bestimmungen zu erstrecken, die, gemäss einem Grundsatze der nationalen Solidarität, die vollständige Wiedergutmachung der von Franzosen auf französischem Gebiet erlittenen Kriegsschäden vorsehen.

Im Verlaufe der Unterredungen, die von selten des Herrn Dunant noch während längerer Zeit mit verschiedenen Vertretern des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten weitergepflogen worden sind, wurde ihm deutlich erklärt, 1. dass Frankreich entschlossen sei, mit keiner andern fremden Macht, Abmachungen zu treffen, die der Vereinbarung ähnlich wäre, durch die dieBelgier mit den Franzosen hinsichtlich der Wiedergutmachung der .Kriegsschäden gleichgestellt werden; 2. dass die Eegierung der Eepublik die Begehren und Vorschläge des Bundesrates in dieser Angelegenheit nicht entgegennehmen könne, ohne sich der Gefahr auszusetzen, dass andere Staaten die Vergünstigung, die schweizerischen Geschädigten gewährt würden, für sich in Anspruch nehmen und dass diese Aussichten den französischen Behörden die Notwendigkeit auferlegen, ihre bisherige ablehnende Antwort beizubehaltenDie vorstehend wiedergegebene Sachlage erscheint nun von Grund aus verändert durch die Vereinbarung vom 2. August 1929, die zwischen der Eegierung der Französischen Eepublik und den Eegierungen des Vereinigten Königreichs von Grossbritannien und Nordirland und des Freistaates Irland

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abgeschlossen worden ist und deren Wortlaut im «Journal Officiel» vorn S.Oktober 1929 veröffentlicht wurde.

Der Abschluss dieser Vereinbarung und die Genehmigung, die ihr durch Dekret des Herrn Präsidenten der Republik zuteil geworden ist, lassen erkennen, dass die französische Eegierung die oberwähnte Frage in ihrer Gesamtheit nunmehr ganz anders beurteilt, als sie es in der Note vom 10. November 1920 getan hat. Nachdem sie den Standpunkt aufgibt, den sie 1920 eingenommen und dessen allgemeinen Charakter die angeführte Note betont hatte, darf man annehmen, dass sie gleichfalls in der Hauptsache auf die Einwände verzichtet, die sie im Jahre 1920 und in den folgenden Jahren gegenüber den Vorschlägen des Bundesrates erhoben hatte.

Gemäss den Weisungen des letztern hat die Schweizerische Gesandtschaft die Ehre, die ausgezeichneten Dienste dés Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen, um darüber Aufschluss zu erhalten, ob die gegenwärtigen Umstände vom Pariser Kabinett nicht für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen als günstig angesehen werden, durch welche die Wiedergutmachung der von Schweizern in Prankreich erlittenen Kriegsschäden sichergestellt würde, mit Rücksicht darauf, dass die von Franzosen in der Schweiz erlittenen Schäden tatsächlich von den eidgenössischen Behörden vergütet worden sind und diese zur Begründung ihres Begehrens darauf hinzuweisen in der Lage sind, dass zahlreiche Gegenleistungen von Seiten der Schweiz bereits vorliegen.

867

Anlage n.

(Übersetzung.)

Note des Französischen Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten an die Schweizerische Gesandtschaft in Paris vom 15. November 1929.

In Beantwortung der Note der Schweizerischen Gesandtschaft vom 5. November 1929, unter dem Zeichen XV. G. 1/29, beehrt sich das Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten zur Kenntnis zu bringen, dass es ihm zu seinem grossen Bedauern unmöglich ist, von dem Standpunkt abzugehen, den es zu wiederholten Malen in der Frage der von schweizerischen Staatsangehörigen in Prankreich erlittenen Kriegsschäden zum Ausdruck gebracht hat.

Die französische Regierung hat den englischen Staatsangehörigen Ersatzleistungen für Kriegsschäden zugute kommen lassen, weil diese Frage im Verlaufe der Besprechungen zwischen Frankreich und Grossbritannien mit derjenigen der Kriegsschulden verknüpft worden war. Diese Wohltat ist somit ausserordentlicherweise und im Austausch gegen gewisse Zugeständnisse der britischen Begierung gewährt worden. Sie gehört zu einer gesamthaften Begelung, von der sie nicht losgelöst werden kann.

Die Schweizerische Gesandtschaft wird sicherlich dem Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten darin zustimmen, dass die Engländern in Frankreich zugefügten Schäden viel bedeutender sind, als die von Franzosen in England erlittenen und dass die französische Eegierung keinen Grund hatte, die mit einem solchen Zugeständnisse verbundenen Lasten auf sich zu nehmenwenn die englische Eegierung ihr nicht in der Frage der Kriegsschulden gleich, wertige Zugeständnisse gemacht hätte.

868 Anlage III.

(Übersetzung.)

Aide-Mémoire vom 10. September 1931, vom Schweizerischen Gesandten in Paris dem Generalsekretär des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten übergeben.

Die Lage der in Frankreich ansässigen Schweizer, die infolge des Krieges ihr Hab und Gut ganz oder teilweise verloren haben, ohne bisher von Seiten der kriegführenden Mächte für ihre Verluste entschädigt worden zu sein, hat in der schweizerischen Öffentlichkeit und im Schosse des Parlaments eine so starke Bewegung ausgelöst, dass das ganze Problem im Nationalrat aufgerollt und zur Diskussion gestellt wurde. Die Erörterungen über die Frage einer völkerrechtlichen Verantwortlichkeit für die Kriegsschäden haben gezeigt, dass der Standpunkt derjenigen, die den kriegführenden Staaten eine Ersatzpflicht auferlegen, einem so tiefwurzelnden Gefühl der Billigkeit entspringt und sich in so machtvoller Weise dem Volksgewissen aufdrängt, dass demgegenüber kritische Bedenken über die rechtliche Grundlage einer solchen Pflicht, sei es hinsichtlich der materiellen Begründetheit, sei es hinsichtlich des Vorgehens, nicht aufzukommen vermögen. In der Schweiz hat man nicht verstanden, dass die französische Kegierung den Begehren der schweizerischen Geschädigten keine günstige Aufnahme glaubte gewähren zu können.

In Frankreich selber ist die Bechtsstellung der kriegsgeschädigten ausländischen Staatsangehörigen ebenfalls in vermehrtem Masse Gegenstand der Aufmerksamkeit amtlicher und privater Kreise gewesen. Es darf in dieser Beziehung vor allem darauf hingewiesen werden, dass dem französisch-britischen Vertrage vom 2. August 1929, zufolge welchem nun auch den britischen Kriegsgeschädigten in Frankreich, nachdem dies schon bisher gegenüber den belgischen der Fall war, die Gleichbehandlung mit den Einheimischen zugestanden wird, eine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die dadurch kaum vermindert wird, dass die Gleichstellung an die Leistung finanzieller Kompensationen durch den britischen Staat geknüpft wird.

Anderseits darf vielleicht daran erinnert werden, dass durch die Wiederaufnahme der loi Accambray auch im französischen Parlament das .Interesse bekundet worden ist, das es dem Los jener Bewohner des französischen Bodens entgegenbringt, die zwar fremder Staatsangehörigkeit, aber durch die schweren, ihnen durch den Krieg auferlegten Opfer aufs engste mit der
französischen Bevölkerung verbunden sind. Überdies ist hier auf den Bericht aufmerksam zu machen, den Herr Marcel Sturmel im Namen der Kommission der befreiten Gebiete eingereicht hat, die mit der Prüfung des Eesolutionsantrages der Herren

869 Amidieu-du-Clos und Taton-Vassal beauftragt -wurde und der dahin ging, mit dem Grossherzogtum Luxemburg die gleichen Abmachungen zu treffen, die hinsichtlich der Wiedergutmachung der von Belgiern während des grossen Krieges in Frankreich erlittenen Schäden Anwendung finden. Der erwähnte Bericht hebt hervor, dass eine solche Massnahme für jene Luxemburger eine Genugtuung bilden würde, «die durch ihre Arbeit auf französischem Boden nicht nur zum Teil den Wohlstand unseres Landes und die wirtschaftlichen Wehrmittel unserer Grenzgebiete gefördert, sondern sehr oft auch in hohem Masse die moralischen und materiellen Verpflichtungen erfüllt haben, die wir unseren eigenen Staatsangehörigen auferlegen». Dieser Feststellung ist nichts beizufügen, und sie ist sicherlich nicht minder wahr hinsichtlich der auf französischem Boden ansässigen Schweizer, die ebenfalls und noch in bedeutungsvollerem Masse durch ihr Vermögen und ihre Arbeit zum Wohlstand und zur nationalen Sicherheit Frankreichs beigetragen haben.

Indem die Schadensmeldungen der Schweizer in Frankreich zugelassen und wie diejenigen der Franzosen gesichtet -wurden, schien die französische Eegierung bereit zu sein, die geschädigten Franzosen und Schweizer auf gleichem Fusse zu behandeln. Es steht ausser Zweifel, dass die durch diese Haltung anscheinend bekundeten Absichten bei den Beteiligten Hoffnungen geweckt haben, die in weitgehendem Masse die Erregung erklären, von der die schweizerischen Geschädigten erfasst worden sind, die sich auch auf die Bestimmungen des französisch-schweizerischen Niederlassungs-Vertrages vom 23. Februar 1882 berufen.

Endlich ist in letzter Zeit ein hervorragender Vertreter der französischen Eechtswissenschaft mit Nachdruck zugunsten der Ansprüche der geschädigten Ausländer, besonders der Schweizer, eingetreten. Herr Albert de Lapradelle, Professor für internationales Eecht an der Universität Paris, Directeur de l'Institut des Hautes Etudes Internationales, ehedem Eechtsberater des französischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, hat in einer Abhandlung, betitelt: «Die Schweizer und die Kriegsschäden», eindringlich und mit allem Gewicht, das ihm sein Ansehen auf dem Gebiete des internationalen Rechts verleiht, die Ansicht vertreten, dass den auf französischem Boden ansässigen kriegsgeschädigten Schweizerbürgern
das Eecht zustehe, bezüglich der vom französischen Staat ausgerichteten Vergütungen mit den Einheimischen auf dem gleichen Fusse behandelt zu werden. Der berühmte belgische Eechtsgelehrte Alberic Eolin, der die Frage in einer sehr beachteten Arbeit untersucht hat, gelangt ebenfalls zum Schluss, dass in Sachen der Entschädigungen für Kriegsschäden Ausländer und Einheimische auf gleiche Art und Weise behandelt werden sollten.

Hunderte von Schweizern, die seit vielen Jahren auf französischem Boden sesshaft sind und vom Kriege hart betroffen wurden, erwarten mit Bangen, dass die französische Eegierung durch diese Bewegung der öffentlichen Meinung, deren mächtige Stimme bei bekannten Meistern des internationalen Eechts Widerhall gefunden hat, sich überzeugen lassen werde.

870 Der Bundesrat ist demnach der festen Zuversieht, dass die Regierung der Eepublik sich mit der Wiederaufnahme der Prüfung der Streitfrage einverstanden erklären werde, und würde sich glücklich schätzen zu vernehmen, .dass diese Vorschläge günstige Aufnahme gefunden haben, womit der diplomatische Weg zu demnächst stattfindenden Verhandlungen geöffnet wäre.

Sollte diese Hoffnung wider Erwarten nicht in Erfüllung gehen, würde der Bundesrat Wert darauf legen zu erfahren, ob die französische Eegierung gegebenenfalls zu einer gerichtlichen oder schiedsrichterlichen Erledigung der Kriegsschädenfrage Hand bieten würde.

871 Anlage IV.

(Übersetzung.)

Note des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten an den Schweizerischen Gesandten in Paris vom 6. November 1931.

Herr Minister, Sie haben mir unter dem Datum des 10. September abbin ein Aide-Mémoire übergeben, enthaltend das Begehren, dass die Schweizer, die in Frankreich Opfer eines Kriegsschadens geworden sind, von der französischen Eegierung entschädigt werden.

Ich beehre mich, Ihnen meine frühern schriftlichen Mitteilungen in dieser Sache zu bestätigen und Ihnen zur Kenntnis zu bringen, dass die französische Eegierung zu ihrem grossen Bedauern nicht in der Lage ist, diesem Ansuchen stattzugeben.

Es trifft zweifelsohne zu, dass durch gesetzliche Bestimmungen in Frankreich das Recht unserer kriegsgeschädigten Staatsangehörigen auf Entschädigung anerkannt worden ist. Die Ausrichtung dieser Vergütungen wurde aber immer nur als Vorschuss angesehen, der von Deutschland gemäss Artikel 231 des Vertrages von Versailles zurückzuerstatten ist. Aus Gründen politischer und wirtschaftlicher Natur, auf die hier nicht näher einzutreten ist, die Ihnen aber bekannt sind, hat sich Frankreich wiederholt mit Kürzungen seiner Schuldforderung gegenüber Deutschland einverstanden erklärt. Diese Forderung war aber nichtsdestoweniger rechtlich begründet, und der aus tatsächlichen Erwägungen erfolgte Verzicht auf die Vollständigkeit der Zahlung vermochte dem unbestreitbaren Charakter dieser theoretischen Rechtsansprüche nichts anzuhaben.

Ganz anders würde es sich aber verhalten, wenn den Begehren der schweizerischen Regierung Folge gegeben würde. Indem der Artikel 231 des Vertrages von Versailles bestimmt, dass die alliierten und assoziierten Regierungen Deutschland für alle Verluste und Schäden verantwortlich erklärt haben, welche die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des Krieges erlitten haben, schliesst er folgerichtig die neutralen Staaten von der Wiedergutmachung aus. Diese Meinung vertritt übrigens in seiner Schrift auch Baron Alberic Roiin, trotzdem er sich zugunsten der schweizerischen Forderungen ausgesprochen hat.

Frankreich müsste demnach für die von Schweizern erlittenen Kriegsschäden aus eigenen Mitteln aufkommen, ohne dass dabei die Möglichkeit

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eines Eückgriffs auf Deutschland wie hinsichtlich seiner eigenen Forderungen vorhanden wäre. Sie werden sicherlich zugeben, dass die Sachlage also sehr verschieden ist.

Die Schrift des Herrn Geouffre de Lapradelle -- auf welche Sie sich in Ihrem Aide-Mémoire berufen und welche, wie hervorzuheben unnötig ist, nur eine persönliche Meinung zum Ausdruck bringt und jeglichen offiziellen Charakters entbehrt -- verweist auf die Auffassung der belgischen Eegierung, indem ihr vorbehaltlos beigepflichtet wird. Nach dieser käme Belgien keine Verantwortlichkeit bezüglich der von Schweizern erlittenen Kriegsschäden zu, «indem diese Schäden von dem gegen das Eecht und die Verträge verstossenden Angriff auf jenes Land herrühren». Aber ich bemerke, dass Frankreich für sich ein gleichwertiges Argument ins Feld zu führen vermag. Der oben zitierte Artikel 231 stellt fest, dass der Krieg von Deutschland und seinen Verbündeten aufgezwungen wurde. Nach dem Vertrag von Versailles muss demnach Frankreich nicht einstehen für Schäden, die Neutralen infolge eines Krieges erwachsen sind, den es zu seiner Verteidigung geführt hat und für den es weder rechtlich noch tatsächlich verantwortlich ist. Wenn Deutschland dadurch, dass es Belgien überfiel, die Verträge verletzt hat, so hat es das Eecht verletzt, indem es Frankreich überfiel, und sicherlich verdient das eine wie das andere sowohl in Ihren wie in meinen Augen die nämliche Bewertung.

Die Schweiz ist dem Frieden und der Gerechtigkeit zu sehr zugetan, um nicht die ganze Tragweite des angeführten Argumentes zu erfassen. Was würde wohl, wenn sie es nicht zuliesse, aus den jüngsten Theorien und Entscheidungen über «den nicht herausgeforderten Angriff»? Was namentlich würde schliesslich aus der in der Völkerbundssatzung demjenigen zugesicherten materiellen Hilfe, der das Opfer eines Angriffes geworden ist, wenn diese letzten Endes zur Verpflichtung dieses Überfallenen -- in dessen Lage sich 1914 Prankreich befand -- führen würde, nicht nur in Wirklichkeit für einen Teil seiner Schäden selber aufzukommen, sondern auch noch' diejenigen neutraler Staaten abzutragen?

Sie werden, wie zuzugeben iist, dagegen einwenden können, dass die Schweiz, die nicht Partei des Versailler Vertrages ist, dessen Bestimmungen nicht zu kennen braucht, obschon eine von den Vertretern von 28 'Staaten,
worunter auch der Angreifer sich befindet, festgestellte Verantwortung mindestens von einem gewissen internationalen Werte ist.

Wenn wir den Versailler Vertrag von der Erörterung ausschliessen, so haben wir uns bloss noch mit dem französisch-schweizerisch en Niederlassungsvertrag von 1882 zu befassen. Ungeachtet meines sehr weitgehenden guten Willens, ist es mir unmöglich anzuerkennen, dass dieser Vertrag den Schweizern die Möglichkeit eröffnet, den Bechtsgrundsatz der Entschädigung, der auf die Franzosen Anwendung gefunden hat, für sich in Anspruch zu nehmen.

Vor allem unterlasse ich es, gewisse wirklich übertriebene Vergleiche zu ziehen, wie beispielsweise denjenigen, den Herr Geouffre de Lapradelle sich auf Seite 50 seiner Schrift ohne Zögern zu eigen macht, wenn er erklärt, dass

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die. Entschädigung für Kriegsschäden der Entschädigung für Eigentumsenteignung, die im Niederlassungsvertrag deutlich vorgesehen sei, gleichgestellt werden müsse. Ich glaube nicht, dass Sie mehr als ich es tue bei solchen voreilig geäusserten Argumenten verweilen werden, die mehr dazu angetan wären, den schweizerischen Standpunkt zu schwächen als zu festigen.

Nach meiner Überzeugung lässt der französisch-schweizerische Niederlassungsvertrag alle aus einem Krieg entstandenen Verhältnisse unberücksichtigt.

Überdies sehen Artikel l und 3 dieses Vertrages vor, dass Franzosen und Schweizer im andern Land «bezüglich ihrer Person und ihres Eigentums» auf dem gleichen Fusse «aufgenommen und behandelt» werden wie die Einheimischen. Diese Worte würden in ihrer Bedeutung eine endlose Ausdehnung erfahren, wenn man aus ihnen lesen wollte, dass den schweizerischen Staatszugehörigen, angesichts der Folgen des ausserordentlichsten aller Kriege die gleichen Bechte wie den französischen zukommen sollten, die Angehörige eines kriegführenden Staates gewesen sind. Erstere müssten sogar vor den letzteren begünstigt erscheinen. Denn wie ich Ihnen weiter oben schon sagte, sind die unsern Staatsangehörigen ausbezahlten Entschädigungen stets nur als von Deutschland zurückzufordernde Vorschüsse angesehen worden, währenddem hinsichtlich der den Schweizern gewährten Ersatzleistungen die Möglichkeit einer Eückforderung nicht .gegeben wäre.

Ich kann deshalb nicht annehmen, dass der Niederlassungsvertrag in vorliegendem Fall Anwendung erleiden würde.

Übrigens möchte ich bei Ihnen nicht im entferntesten die Meinung aufkommen lassen, dass in dieser Kriegsschädenfrage die Schweiz -- ein Land, mit dem Frankreich immer die herzlichsten Beziehungen unterhalten hat und auch künftighin unterhalten will -- in weniger entgegenkommender Weise behandelt worden sei, als irgendein anderes Land, bei dem die gleichen oder ähnliche Voraussetzungen vorliegen.

In Ihrem Aide-Mémoire machen Sie aufmerksam auf die zwischen Frankreich und andern Mächten hinsichtlich der Kriegsschäden geschlossenen Abkommen. Sicherlich werden Sie zugeben, dass sich Belgien im Hinblick auf die Verletzung seiner Neutralität und der erlittenen beträchtlichen KriegsSchäden an einer Lage befunden hat, die eine besondere Behandlung rechte fertigt.

Die Schweiz ist um so
mehr in der Lage, dies zu verstehen, als sie, wie damals Belgien, ein dauernd neutrales Staatswesen ist, das, mit vollem Eecht, seine Neutralität ebenfalls sorgsam hütet.

Was England anbelangt, so hat dieses Land den Abschluss eines Abkommens über die Kriegsschäden als Vorbedingung für die Gewährung wichtiger Konzessionen in der Schuldenfrage gestellt. Auch in diesem Falle liegen somit wahrhaft ausserordentliche Verhältnisse vor.

Ich erwähne noch, dass nicht zu erwarten ist, dass Frankreich künftighin bezüglich der Kriegsschäden irgendein neues Abkommen schliessen wird.

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Zusammenfassend ist zu sagen, dass die französische Regierung aus den angeführten Gründen bedauert es ablehnen zu müssen, mit der schweizerischen Regierung zwecks Abschlusses eines Abkommens über die Kriegsschäden in Verhandlungen einzutreten.

Was ein eventuelles Schiedsverfahren anbelangt, beehre ich mich, Ihnen in Erinnerung zu bringen, dass die französische Regierung grundsätzlich jeder Rückwirkung eines eventuellen Abkommens zwischen der Schweiz und Frankreich über ein Schiedsverfahren abgeneigt ist. Bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge ist ein Schiedsverfahren in der Präge der Kriegsschäden jedenfalls als fakultativ anzusehen. Der französische Staat, der in der vorstehend erteilten Antwort hinsichtlich der grundsätzlichen Frage einer Vereinbarung in Ausübung seiner vollen Souveränität gehandelt hat, kann aus den gleichen Gründen, welche ihn veranlassen eine abschlägige Antwort zu erteilen, nicht Zuflucht zu einer schiedsgerichtlichen Erledigung nehmen.

Genehmigen Sie, Herr Minister, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.

Für den Minister der Auswärtigen Angelegenheiten und in dessen Auftrag: Der Französische Botschafter Generalsekretär : (gez.) Berthelot.

875 Anlage V.

·

(Übersetzung.)

Note des Italienischen Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten an die Schweizerische Gesandtschaft in Rom vom 20. Mai 1919.

Das königliche Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten beehrt sich, auf die Verbalnote der Schweizerischen Gesandtschaft Nr. 19. XII. B. l vom 3. Mai und auf die frühern Noten bezüglich der Frage der Wiedergutmachung der Kriegsschäden, die schweizerische Staatsangehörige in den ehemals vom Feinde besetzten Gebieten des Königreichs Italien erlitten haben, nachfolgende Antwort zu erteilen.

Die Schweizerische Gesandtschaft hat gemäss den von ihrer Eegierung erhaltenen Weisungen in den oben erwähnten Noten die Auffassung vertreten, dass die im Dekret Nr. 239 enthaltenen Bestimmungen über die Wiedergutmachung der durch den gegenwärtigen Krieg verursachten Schäden ohne weiteres auch auf die in. Italien niedergelassenen Schweizer hätten Anwendung finden sollen, indem gemäss Artikel l des zwischen Italien und der Schweiz am 22. Juli 1868 abgeschlossenen Niederlassungsvertrages die Schweizer in Italien sowohl hinsichtlich ihrer Person als auch ihres Eigentums auf dem gleichen Fusse und nach der gleichen Weise zu behandeln sind wie die Einheimischen. Demnach sei für die Schweiz eine Notwendigkeit nicht vorhanden, mit Italien in Verhandlungen einzutreten, um durch eine besondere Eegelung das Becht ihrer kriegsgeschädigten Landsleute auf die vom italienischen Staat seinen Bürgern gewährten Vergütungen festzustellen.

Nach eingehender Prüfung des soeben dargelegten schweizerischen Standpunktes bedauert das Ministerium, diesem nicht beipflichten zu können.

Den Bestimmungen des italienisch-schweizerischen Niederlassungsvertrages von 1868 kommt eine solche Tragweite nicht zu. Die im ersten Artikel des Vertrages den Italienern in der Schweiz und den Schweizern in Italien zugesicherte Gleichbehandlung verpflichtet die beiden Vertragsparteien lediglich dazu, auf ihrem Gebiete die Angehörigen der andern nicht mehr den Begrenzungen und Beschränkungen zu unterwerfen, die Ausländern gegenüber früher angewendet worden sind. Diese Gleichheit bezieht sich, bei an sich gleichen Verhältnissen, auf die Ausübung der von der geltenden Gesetzgebung gewährleisteten gemeinen, persönlichen und dinglichen Bechte, namentlich auf jene, welche die Freiheit, Eigentumsrechte innezuhaben, Handel oder jede Art von Beruf oder Gewerbe zu betreiben, zum Gegenstand haben: aber sie vermag nicht die Befugnis der beiden Vertragsmächte zu beschränken, in Ausnahme

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fällen, wenn es Gründe der nationalen Wohlfahrt und wesentlich politischer Natur erheischen, nur ihren Bürgern zugute kommende Massnahmen zu treffen.

Die königliche Eegierung könnte demzufolge die Ansicht nicht teilen, dass die Bestimmungen eines italienischen Spezialgesetzes, das unter ausserordentlichen Umständen und zu dem Zweck erlassen wurde, den sich in Not befindlichen italienischen Bürgern Hilfe zu bringen und den Wohlstand der von den Schrecken des Krieges verwüsteten italienischen Provinzen wieder herzustellen, schlechtweg auf die in Italien ansässigen Ausländer angewendet werden, nur weil diesen in einem Niederlassungsvertrag, in bestimmten und genau umschriebenen Fällen, die gleiche Behandlung wie den Italienern zuerkannt wird.

Der schweizerischen Begierung steht das Becht zu, sich unmittelbar an die verantwortlichen Begierungen zu wenden, deren Truppen im Kriege schweizerischen Staatsangehörigen Schaden zugefügt haben, und von ihnen dessen Wiedergutmachung zu verlangen.

Es bleibt zu erwähnen, dass das Dekret des königlichen Statthalters vom 16. November 1918 bezüglich Wiedergutmachung der durch den gegenwärtigen Krieg verursachten Schäden durch ein weiteres Dekret des Statthalters vom 27. Februar 1919, Nr. 239, abgeändert wurde, und dass Artikel 2 nicht vorsieht, dass Abkommen getroffen werden müssten, sondern lediglich, dass die Begierung, wenn sie es für angezeigt erachte, in dieser Hinsicht in Unterhandlungen treten könne.

877 Anlage VI.

(Übersetzung.)

Rechtsgutachten des Herrn Prof. Eugène Borei vom 10. Mai 1930.

Herr Nationalrat, I.

1. Im Namen der nationalrätlichen Kommission, die mit der Prüfung des Berichtes des Bundesrates über die Wiedergutmachung der Kriegsschäden betraut ist, haben Sie mich um die Abgabe eines Eechtsgutachtens über die Frage ersucht, ob und gegebenenfalls auf welche Weise nach den Grundsätzen des Völkerrechts die Staaten für die Kriegsschäden verantwortlich gemacht werden können.

Aus dem übrigen Inhalt Ihres Briefes sowie aus den gesamten Umständen geht klar hervor, dass die Frage, die es zu begutachten gilt, unmittelbar sich auf die Schäden bezieht, die unsere Landsleute infolge des Weltkrieges im Ausland erlitten haben. Ebenso soll zweifellos untersucht werden, welche Massnahmen die schweizerische Eegierung ergreifen könnte, um allenfalls die Ansprüche unserer Landsleute auf Wiedergutmachung dieser Schäden durchzusetzen.

Somit lässt sich das Problem auf die Frage zurückführen, ob -- und in welchen Fällen -- der Bundesrat nach Völkerrecht begründeterweise einen dahingehenden Anspruch erheben könnte und welche Eechtsbehelfe ihm dazu nach eben diesem Völkerrecht zur Verfügung stehen. Ist demnach die anzustellende Untersuchung sehr konkreter Natur, so lässt Ihr Brief doch anderseits keine Zweifel darüber bestehen, dass die nationalrätliche Kommission nicht so sehr ein auf den besondern Fall zugeschnittenes Gutachten als vielmehr einen durchaus sachlichen, von keiner noch so berechtigten Tendenz eingeengten Bescheid wünscht. An und für sich betrachtet, sind die von unsern Mitbürgern erhobenen Forderungen so berechtigt, ist die ihnen bereitete Lage so sehr dazu angetan, das freundeidgenössische Mitgefühl unseres ganzen Volkes wachzurufen, dass man nicht anders kann, als sich den dadurch veranlassten Sympathiekundgebungen anzuschliessen und den Stimmen beizupflichten, die sich zu ihren Gunsten erhoben haben. Aber die Frage, die sich hier stellt, ist die, wie in dieser Beziehung das positive Völkerrecht beschaffen sei, und ich glaube Ihrem Auftrag am besten dadurch nachzukommen, dass ich mich auf den Boden einer streng juristischen Betrachtung stelle.

2. Gerade in dieser Hinsicht ist die Aufgabe besonders schwierig, indem für das Völkerrecht heute noch ganz eigenartige Verhältnisse bestehen. Mangels Bundesblatt.

84. Jahrg.

Bd. I.

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eines überstaatlichen Gesetzgebers können seine Nonnen nur in den Bestimmungen zwischenstaatlicher Verträge und in genügend feststehendem und anerkanntem Gewohnheitsrecht gesucht werden. Andererseits ist das noch sehr unvollständige und unvollkommene Völkerrecht erst im Werden begriffen.

Es entwickelt sich nur ganz allmählich, unter anderm unter dem Einfluss der allgemeinen aus der universellen Kechtsüberzeugung entspringenden Anschauungen, die in den Werken der Bechtsgelehrten ihren Ausdruck finden und durch sie verbreitet werden. Der Doktrin kommt deshalb im Völkerrecht eine Bedeutung zu, die nicht verkannt werden kann; indessen muss man gerade hier darauf bedacht sein, festzustellen, was wirklich Geltung hat, um alle Meinungen auszuschalten, die, so richtig und begründet sie an und für sich auch sein mögen, trotz der Zahl und des Ansehens der sie vertretenden Autoren, gegenwärtig noch bloss als Postulate bewertet werden können, welche zwar der Bildung künftigen Hechtes dienen, dagegen nicht der Ausdruck des geltenden Hechtes sind. Die Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes im sogenannten Lotus-Eall zeugt von der Vorsicht, mit der diese hohe Behörde bei einer solchen Ausscheidung vorgeht; soll die vorliegende Arbeit dem Zweck entsprechen, zu dem sie verlangt worden ist, so muss sie sich vom gleichen Geiste leiten lassen.

8. In dieser Beziehung drängt sich noch eine Bemerkung auf: Dieses geltende positive Völkerrecht kann, namentlich im Verlauf eines Krieges, Verletzungen ausgesetzt sein, gegen die, in Ermangelung wirksamer Sanktionen, materielle Gegenwirkungen nicht möglich sind. Damit ist die Gefahr verbunden, dass derartige Verletzungen Zweifel darüber wachrufen könnten, ob die also missachteten Grundsätze noch zu Eecht bestünden, oder ob sie nicht durch eine Art Bückbildung umgestaltet worden seien. Ich für mein Teil zaudere nicht, mich zur Ansicht zu bekennen, dass einmal feststehende Bechtsregeln nicht in Brage gestellt werden können, bloss weil sie in einem gewissen Zeitpunkte nicht beobachtet wurden und dieser Missachtung keine angemessene Sanktion gefolgt ist.

4. Schliesslich brauche ich wohl kaum beizufügen, dass das vorliegende Gutachten keinen andern Anspruch erhebt, als den einer gewissenhaften sachlichen und gedrängten Äusserung zu den Fragen, auf die es sich bezieht.

II.

Die hier zu berücksichtigenden Kriegsschäden können sich beziehen: 1. auf die Bequisitionen, Beschlagnahmen oder andern ausserordentlichen Kriegsmassnahmen eines kriegführenden Staates auf seinem eigenen Gebiet; 2. auf die Bequisitionen oder Beschlagnahmen eines Kriegführenden auf feindlichem Gebiet; · 8. auf im Verlaufe der Feindseligkeiten zerstörtes Eigentum.

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III.

Requisitionen und andere ausserordentliche Eriegsmassnahmen eines kriegführenden Staates auf seinem eigenen Gebiete.

1. ^Requisitionen sind Handlungen, die der Staat auf Grund seiner Gebietshoheit vornimmt, der grundsätzlich alle Einwohner ohne Bücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit unterstehen. Einige unserer Niederlassungsverträge setzen zugunsten unserer Landsleute gewisse Ausnahmen fest, die im Bäumen, in dem sie zugestanden worden sind, beobachtet werden müssen ; ihre Missachtung würde einen Bechtsanspruch, wo nicht auf die Aufhebung der unrechtmässigen Bequisition, so doch auf vollständigen Ersatz zugunsten des Geschädigten begründen. Darüber hinaus untersteht aber der Fremde hinsichtlich der Bequisitionen den gleichen Begeln wie die Einheimischen. Es treffen ihn die nämlichen Bequisitionen, und er hat Anspruch auf den gleichen Ersatz wie sie.

Hier erhebt sich die Frage, ob ein Anspruch entstehe, wenn die Ansätze oder die Schätzungen ungenügend sind, gestützt auf die gemäss den geltenden Gesetzen und Verordnungen der Ersatz bestimmt und ausgerichtet wird.

Im allgemeinen kann der Ausländer gegenüber dem Einheimischen keine Vorzugsstellung beanspruchen; an eine weitergehende Forderung wäre nur dann zu denken, wenn die Entschädigung so ausgesprochen unzulänglich sein sollte, dass damit dem Ausländer gegenüber die Pflicht verletzt würde, welche die völkerrechtliche Doktrin allen Staaten aufzuerlegen geneigt ist, dahingehend, dass der Staat den Fremden, denen er auf seinem Gebiete Gastrecht gewährt, ein unverlierbares Mindestmass an Schutz und Gerechtigkeit zu gewährleisten hat, welches im übrigen auch immer die Behandlung sein mag, die er seinen eigenen Angehörigen angedeihen lässt1). Aber es handelt sich hier eher um ein -- allerdings mit immer grösserem Gewicht und Nachdruck vertretenes -- Postulat, als um eine Begel, die bereits positives Becht geworden wäre.

2. Die ausserordentlichen Massnahmen, die zum Zwecke des sogenannten Wirtschaftskrieges ergriffen worden sind, haben für unsere Landsleute in den kriegführenden Ländern beträchtliche Schädigungen im Gefolge gehabt.

Die Bemerkungen, zu denen sie Anlass geben, können wie folgt zusammengefasst werden: a. Gewisse Massnahmen müssen die Neutralen in kriegführenden Ländern, eben weil Krieg geführt wird, über sich ergehen lassen so
gut wie die Einheimischen und ohne darum von Bechts wegen auf eine Entschädigung Anspruch erheben zu können. Als Beispiele hierfür erwähne ich die Grenzsperre, das Verbot jeglicher Handelsbeziehungen mit den Bewohnern des feindlichen Gebietes usw.

1 ) Vgl. unter anderm das Jahrbuch des Instituts für internationales Recht, Lausanner Tagung, 1927, Band III, S. 108 ff., 118 und 119. Vgl. auch unten S. 898.

880

b. Hingegen hätten die Sequestrierungs- und Liquidationsmassnahmen keineswegs auch auf die Beeilte und das Privateigentum der Neutralen ausgedehnt werden sollen ; die Verletzungen dieses Grundsatzes, von denen Schweizer betroffen worden sind, begründen einen Anspruch aus Völkerrecht. In diesem Punkte verweise ich auf das ausgezeichnete Werk von Herrn Prof.

G. Sauser-Hall: «Les traités de paix et les droits privés des Neutres», 1924.

IV.

Aneignung von Privateigentum durch einen Kriegführenden auf feindlichem Gebiete.

Hier stellen sich mehrere Fragen, die nacheinander zu untersuchen sind.

1. Die einschlägige völkerrechtliche Begelung ist in der «Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges» enthalten, welche die Anlage zum zweiten Haager Abkommen vom 29. Juli 1899, sowie, mit Abänderungen in einigen Punkten, zum vierten Abkommen vom 18. Oktober 1907 bildet.

Beide Abkommen, sowohl das von 1907 als auch dasjenige von 1899, enthalten als Artikel 2 (in etwas voneinander abweichender Fassung) eine übereinstimmende Klausel, wonach die Bestimmungen der Landkriegsordnung nur zwischen den Vertragsmächten Anwendung finden und nur dann, wenn alle Kriegführenden auch am Abkommen beteiligt sind. Nun gehörten aber im Weltkriege zu den Kriegführenden einige Mächte, die das Abkommen von 1907 nicht ratifiziert hatten, und wenn sie auch alle bis auf eine dem Abkommen von 1899 angehörten, so machte doch diese eine, die Türkei, eine Ausnahme, woraus folgt, dass mit ihrem Eintritt in den Krieg die Voraussetzungen des Artikels 2 nicht mehr voll erfüllt waren. Aber es wäre ein Irrtum, annehmen zu wollen, deshalb hätten die Bestimmungen der Landkriegsordnung allen Wert verloren, und es scheint nicht, dass diese rein formalistische Betrachtungsweise tatsächlich allgemein geteilt worden wäre1). Denn die Landkriegsordnung von 1899/1907 hat das geltende Landkriegsrecht nicht erst geschaffen. Die Begeln, die sie aufstellt, haben wohl eher deklaratorische Bedeutung; sie erklären, was geltendes, von den Staaten anerkanntes Gewohnheitsrecht sei2), und wenn völkerrechtliche Grundsätze von einer so grossen Anzahl von Staaten in aller Form festgestellt worden sind, wie das für das Abkommen von 1899 der Fall war, -- ganz abgesehen von dem von 1907, -- so kann man wohl der Auffassung sein, dass sie das geltende Gewohnheitsrecht darstellen. Das war auch einer der Gründe, warum im Jahre 1874 1

) Sowohl während des Krieges wie auch nachher haben sich Autoren wie Liszt-Fleisehmann, Bonfils, Fauchille usw. in ihren Darstellungen des geltenden Rechts unbedenklich auf die Landkriegsordnung berufen. Vgl. auch Meurer: «Die völkerrechtliche Stellung der vom Feinde besetzten Gebiete», Tübingen 1915.

2 ) Daran erinnert namentlich Kunz: «Gaskrieg und Völkerrecht», Wien 1927.

Vgl. auch den Artikel desselben Verfassers in der Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. VI, S. 97 ff.

881 die Brüsseler Konferenz den von ihr ausgearbeiteten Entwurf als «Deklaration» bezeichnet hat, der dann im Haag in ein «Beglement» umgewandelt worden ist; und in der Präambel zum Haager Abkommen haben die Vertragsmächte klar zum Ausdruck gebracht, dass ihrer Auffassung nach die Landkriegsordnung eine noch unvollständige Festlegung der «Grundsätze des Völkerrechts» sei; diese Grundsätze aber wurden ausdrücklich als in Geltung bestehend anerkannt, «in der Erwartung, dass es später gelingen werde, ein vollständigeres Kriegsgesetzbuch zu erlassen».

Demnach kann man sagen, dass die Eegeln der Landkriegsordnung, zum mindesten in der Fassung von 1899, das im Krieg in Geltung gebliebene Gewohnheitsrecht darstellen. Das trifft ganz besonders zu für diejenigen Grundsätze, die die Landkriegsordnung im Artikel 28, Buchstabe g, sowie in den Artikeln 42 ff., betreffend die «militärische Gewalt auf besetztem feindlichen Gebiet» (1899 wie 1907) in der gleichen Formulierung wiedergibt. Es wäre somit eigentlich überflüssig darauf hinzuweisen, dass die gegenteilige Ansicht zu einem Schlüsse führt, durch den sie sich selber sofort widerlegt, indem nämlich ein Abkommen, das bezweckt, das Gewohnheitsrecht festzustellen und näher zu bestimmen, letzteres wieder wegwischen und austilgen könnte, einzig wegen des Umstandes, dass in einem Kriege auch nur einer der Kriegführenden das genannte Abkommen nicht ratifiziert hat. Tatsächlich ist die Landkriegsordnung, so mangelhaft dies auch geschah, in ihren wesentlichen Bestimmungen eingehalten worden, und die Autoren, welche die Verletzungen entschuldigen, denen sie ausgesetzt war, rufen -- wofür ein Beispiel weiter unten folgen wird -- zu diesem Zwecke eher den Notstand an, als dass sie sich hinter der Bemerkung verschanzen würden, die Landkriegsordnung als solche habe nicht Geltung besessen.

Im weitern Verfolge unserer Untersuchung können wir also das Gewohnheitsrecht, so wie es in der Haager Landkriegsordnung niedergelegt worden ist, als anwendbar betrachten. Ein Gleiches gilt meiner Ansicht nach für die im Artikel 3 des Abkommens von 1907 festgesetzte finanzielle Sanktion.

Der Grundsatz, dass aus der Verletzung des Völkerrechts der verantwortliche Staat schadenersatzpflichtig wird, war an sich keineswegs neu, als er in diesem Artikel auf den besondern Fall des Landkrieges
anwendbar erklärt wurde.

2. Hinsichtlich der Aneignung schweizerischen Privateigentums durch einen Kriegführenden im besetzten Gebiete kommen folgende Artikel der Landkriegsordnung ganz besonders in Betracht: «Artikel 46. Die Ehre und die Eechte der Familie, das Leben der Bürger, das Privateigentum, die religiösen Überzeugungen und die gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet werden.

Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden.» «Artikel 47. Die Plünderung ist ausdrücklich verboten.» «Artikel 48. Wenn die Kriegspartei in dem besetzten Gebiete die zugunsten des Staates bestehenden Steuern, Zölle und Abgaben erhebt, so soll sie es mög-

882 liehst nach Massgabe der für ihre Erhebung und Verteilung geltenden Vorschriften tun; es erwächst hiermit für sie die Verpflichtung, die Kosten der Verwaltung des besetzten Gebiets in demselben Umfange zu tragen, wie die gesetzmässige Regierung hierzu verpflichtet war.» «Artikel 49. Wenn der Besetzende ausser den im vorstehenden Artikel erwähnten Abgaben andere Auflagen in Geld in dem besetzten Gebiet erhebt, so darf dies nur zur Deckung der Bedürfnisse des Heeres oder der Verwaltung dieses Gebiets geschehen.» «Artikel 52. Naturalleistungen und Dienstleistungen können von Gemeinden oder Einwohnern nur für die Bedürfnisse des Besetzungsheeres gefordert werden. Sie müssen im Verhältnisse zu den Hilfsquellen des Landes stehen und dürfen für die Bevölkerung nicht die Verpflichtung enthalten, an Kriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland teilzunehmen.

Derartige Naturai- und Dienstleistungen können nur mit der Ermächtigung des Befehlshabers des besetzten Gebiets verlangt werden.

Naturalleistungen sind so viel als möglich bar zu bezahlen; andernfalls sind dafür Empfangsbescheinigungen auszustellen.» «Artikel 53. Das Besetzungsheer kann nur mit Beschlag belegen: das Bargeld und die Wertbestände des Staates, sowie die dem Staate zustehenden eintreibbaren Forderungen, die Waffenniederlagen, Beförderungsmittel, Vorratshäuser und Lebensmittelvoiräte, sowie überhaupt alles dem Staate gehörende bewegliche Eigentum, das geeignet erscheint, den Kriegsunternehmungen zu dienen.

Das Eisenbahnmaterial, die Landtelegraphen, die Fernsprechanlagen, die Dampfschiffe und andere Fahrzeuge -- soweit hier nicht die Vorschriften des Seerechts Platz greifen -- die Waffenniederlagen und überhaupt jede Art Kriegsmunition, auch dann, wenn all dies Gesellschaften oder Privatpersonen gehört, sind ebenfalls ihrer Natur nach Mittel, die den Kriegsunternehmungen dienen; sie müssen aber wieder zurückerstattet werden. Die Entschädigungsfrage wird bei Abschluss des Friedens geregelt.» In bezug auf alle diese Bestimmungen ist vorerst an die sehr richtige Bemerkung von Herrn Max Huber in seiner 1908 veröffentlichten eindringlichen Studie über «die Fortbildung des Völkerrechts durch die II. Friedenskonferenz im Haag» (Jahrbuch des öffentlichen Rechts, 1908, S. 571/572) zu erinnern. Hinsichtlich der Mittel zur Schädigung der feindlichen
Streitkräfte hat die Landkriegsordnung allgemein festgesetzt, was verboten sei, woraus der Sclüuss zu ziehen ist, dass was nicht untersagt ist als völkerrechtlich zulässig betrachtet werden darf, unter dem Vorbehalte jedoch des im Artikel 22 enthaltenen allgemeinen Grundsatzes, wonach die Kriegführenden «kein unbeschränktes Eecht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes» haben. Im III. Abschnitt dagegen, der die militärische Gewalt auf besetztem feindlichen Gebiet regelt, bestimmt die Landkriegsordnung allgemein, was die einfallende oder besetzende Macht zu tun berechtigt

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ist; die Vermutung spricht hier somit insofern gegen die besetzende Macht, als man grundsätzlich annehmen muss, dass das, wozu die Landkriegsordnung sie nicht ermächtigt, ihr auch nicht erlaubt sei.

Noch eine zweite Vorbemerkung drängt sich auf : Wiewohl der III. Abschnitt der Landkriegsordnung mit einem Artikel eingeleitet wird, der die Verhältnisse regelt, unter denen ein Gebiet vom Feinde besetzt gehalten wird, und obschon sich die Landkriegsordnung in der Folge des Ausdrucks «der Besetzende» bedient, so will das doch nicht besagen, dass die Bestimmungen dieses Abschnittes nicht schon Anwendung finden im Zeitpunkte des feindlichen Einfalles, bevor eine eigentliche Besetzung des Gebietes vorliegt. Nach der ausdrücklichen Feststellung im Bericht des Unterausschusses, der im Jahre 1899 die Eevision der Brüsseler Deklaration von 1874 vorbereitet und damit die von der ersten Friedenskonferenz angenommene Landkriegsordnung ausgearbeitet hat, gilt «für alle Artikel des III. Abschnittes die allgemeine Bemerkung, dass die dem Besetzenden in seiner Handlungsfähigkeit auferlegten Beschränkungen a fortiori auch gelten für den einfallenden Feind, schon bevor eine Besetzung im Sinne des Artikels 42 vorliegt» ... «Was die Erhebung von Zwangsauflagen, die Eequisition oder die Beschlagnahme von Material anbelangt, so versteht sich, dass dem Einfallenden in dieser Beziehung die gleiche Stellung zukommt wie dem Besetzenden 1).» (Conférence internationale de la Paix, Haag, 1899, Seite 63.) Dieser Äusserung kommt um so grösseres Gewicht zu, als die Konferenz gemäss dem Wortlaute des Protokolls ihrer fünften Sitzung «den Bericht im Sinn einer von der Vollversammlung ausgehenden authentischen Interpretation der angenommenen Artikel genehmigt hat» (ebenda, S. 42). Demnach umfasst im folgenden der Ausdruck «der Besetzende» auch den «Einfallenden».

Zum vornherein festzustellen bleibt noch, dass es nicht angezeigt erscheint, hinsichtlich der Militärbehörden, von denen die völkerrechtswidrigen Massnahmen ausgehen, unterscheiden zu wollen, zwischen dem Besetzungsheer und der Militärbehörde, der die Verwaltung des besetzten Gebietes obliegt.

Eine solche Unterscheidung lässt sich durch den Wortlaut der Landkriegsordnung nicht rechtfertigen, die ganz allgemein die «militärische Gewalt auf besetztem feindlichen Gebiet» im
Auge hat, und die, wo sie vom Besetzenden spricht, ebensowohl Anwendung findet auf die Verwaltungsbehörden, als auf die eigentlichen militärischen Befehlshaber. Man braucht nur die Artikel 48, 48 und 55 der Landkriegsordnung zu lesen, um sich davon zu überzeugen.

Somit wird in der hier folgenden Untersuchung nicht danach unterschieden, ob die Massnahmen, die sie zum Gegenstande hat, von Truppenführern verfügt worden sind oder von den an der Spitze der Eegierung oder Verwaltung des besetzten Gebietes stehenden Militärbehörden. Von den x

) Das anerkennt auch (ausdrücklich und als selbstverständlich bezüglich der Bequirierung und der Beschlagnahme von Privateigentum) Strupp in seinem Kommentar «Das internationale Landkriegsrecht», Frankfurt 1914, S. 98.

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einen wie von den andern rnuss angenommen werden, dass sie den von der Landkriegsordnung vertretenen Grundsätzen unterstehen.

3. Die Massnahmen, die hier in Betracht kommen, sind diejenigen, durch die sich der Besetzende entweder durch Kequisition auf Grund von Artikel 52 oder durch Beschlagnahme gemäss Artikel 53 der Landkriegsordnung Privateigentum angeeignet hat, das Schweizern im besetzten Gebiete gehörte.

Die eigentlichen Requisitionen haben Naturalleistungen zum Gegenstande, hinsichtlich deren Artikel 52 der Landkriegsordnung ausdrücklich bestimmt, dass sie von den Gemeinden oder Einwohnern nur für die B e d ü r f n i s s e des Besetzungsheeres gefordert werden können.

Soweit die Requisitionen in diesem Rahmen geblieben sind, waren sie vom Standpunkte des Völkerrechts aus zulässig. Schon in der Passung von 1899 hatte die Landkriegsordnung vorgeschrieben, dass Requisitionen,,wenn immer möglich, bar zu bezahlen oder wenigstens nur gegen Empfangsschein zu erheben seien. Dagegen hat sie davon abgesehen, dem Empfangsschein den Charakter eines eigentlichen Forderungstitels zu verleihen und ebensowenig hat sie bestimmt, wer daraus Schuldner würde. Der schweizerische Delegierte hatte, wie man im Konferenzberichte nachlesen kann, den Antrag gestellt, es solle «der Anspruch auf Einforderung der Zahlung oder der Rückvergütung auf Grund der Empfangsscheine in diesen Artikeln ausdrücklich vorgesehen werden. Der Unteraüsschuss war nicht der Auffassung, dass eine dahingehende Bestimmung in den Erklärungsentwurf aufzunehmen sei, denn sie gehört eher in das interne öffentliche Recht und wird zudem regelmässig den Gegenstand einer Klausel des Friedensvertrages bilden» (Konferenzakten S. 61, vgl. auch S. 143 f.).

Im Jahre 1907 hat man den letzten Absatz von Artikel 52 wie folgt ergänzt : ... «die Zahlung der geschuldeten Summen soll möglichst bald bewirkt werden».

Die russische Delegation, die diesen Zusatz, beantragt hatte, meinte damit die Zahlung durch den Besetzenden (Bericht des? General Giesl von Gieslingen, Actes et Documents de la IIe conférence de la Paix, 1907, Bd. I, S. 101). Genehmigt und formuliert worden ist nach dem nämlichen Bericht der Antrag aber «im Geiste des Artikels 52», von dem der Berichterstatter von 1899 sagte, «dass er den Grundsatz der Geldzahlung empfehle, ohne ihn aber zur
Rechtspflicht zu erheben».

Somit kann der Besetzende, der Requisitionen und Beschlagnahmen verfügt, nach positivem Völkerrecht, nicht schlechtweg als verpflichtet betrachtet werden, dafür Zahlung zu leisten. Alles was man sagen kann, ist das, dass in der Mehrzahl der europäischen Staaten die Landesgesetze und .-Verordnungen für diesen Pali eine Schadloshaltung vorsehen und dass sie vorschreiben, wie sie z.u bestimmen sei. Der Neutrale, dessen Eigentum in dem nach der Landkriegsordnung zulässigen Rahmen requiriert oder beschlagnahmt worden ist, hat grundsätzlich nur Anspruch darauf, dass ihm diese nationale

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Gesetzgebung zugute komme; das kann er auch dann verlangen, wenn die requirierende Behörde aus Nachlässigkeit oder unter dem Zwang der Verhältnisse ihm keinen Empfangsschein ausgestellt hat.

Wie ich gleich Gelegenheit haben werde, zu erörtern, hat die Konferenz von 1907 einen deutschen Antrag auf Befreiung der neutralen Personen von allen Requisitionen, Beschlagnahmen und Zwangsauflagen abgelehnt.

4. Die vorstehenden Ausführungen beziehen sich auf die nach der Landkriegsordnung zulässigen Requisitionen, d. h. auf die ausschliesslich nur für die Bedürfnisse des Besetzungsheeres angeforderten. Im Verlaufe des letzten Krieges haben die Zentralmächte, vor allem Deutschland, für die Bedürfnisse ihrer eigenen Volkswirtschaft in den von ihren Streitkräften besetzten Gebieten allgemeine und planmässige Requisitionen durchgeführt. Es ist unbestreitbar und offenkundig, dass diese Requisitionen, die von Artikel 52 der Landkriegsordnung gesetzten Beschränkungen überschritten haben.

Sie sind nicht einzig für die Bedürfnisse der Besetzungsarmee vorgenommen worden; insoweit sie über das hinausgingen, was der Artikel 52 erlaubt, bedeuteten sie einen Einbruch in das geltende Völkerrecht.

Allerdings hat man zur Rechtfertigung den Notstand angerufen, in den Deutschland durch die Wirtschaftsblockade gedrängt worden war *) ; aber wie man sich im allgemeinen auch zu dieser Einwendung stellen mag, so beseitigt sie doch die Tatsache selbst dieser Verletzung gegenüber dem geschädigten Eigentümer nicht. Denn einerseits wird, wie der vorerwähnte Bericht von Ì899 es ausdrücklich sagt, einzig «die Unterhaltung des Besetzungsheeres vom Völkerrecht als Notstand anerkannt. Es ist nicht mehr das etwas verschwommene Kriterium der «Kriegsnotwendigkeit» von Artikel 40 der Brüsseler Deklaration, mit dem man eigentlich das Land planmäsßig erschöpfen könnte».

(Actes de la conférence, 1899, S. 60.) Anderseits kann man diese Rechtfertigung nur gelten lassen in den engen Schranken dessen, was der Notstand erzwingt, und das vergessen Schriftsteller wie Cuno H o f e r , «Der S c h a d e n e r s a t z im L a n d k r i e g s r e c h t » , S. 70/71, die sich bloss auf den theoretischen und doktrinären Standpunkt der rechtfertigenden Wirkung des Notstandes stellen.

Angenommen auch, der Besetzende sei in der Zwangslage gewesen, sich die
von ihm requirierten Güter anzueignen, so war er doch nicht gezwungen, den Eigentümern eine angemessene Entschädigung vorzuenthalten, und da das Kriegsrecht diese Requisitionen nicht zu erlaubten machte, so kann man den kürzlich vom Ständigen Internationalen Gerichtshof in seiner Entscheidung Nr. 7 bestätigten Grundsatz auf sie anwenden, wonach die Aneignung von Privateigentum ohne genügende Entschädigung unvereinbar ist mit dem gemeinen Völkerrecht. Demnach bleibt die Requisition, auch wenn die Aneignung infolge des Notstandes an sich entschuldbar sein sollte, nicht minder 1 ) So unter anderm Liszt-Fleischmann, Völkerrecht, 12. Auflage, S. 497, der dabei offen anerkennt, dass es sich bei den hier in Bede stehenden Eequisitionen um eine «Überschreitung der von der Landkriegsordnung gezogenen Schranken handelt».

886

ausserhalb der von der Laridkriegsordnung gezogenen Grenzen; so wie sie aber nicht nach Eegel oder Gewohnheit zulässig war, so war auch die Vorenthaltung einer vollen Entschädigung ein Einbruch in das gemeine Völkerrecht, auf den sich der Notstand nicht erstreckte. Hieraus ist also, im Gegensatz zu den erlaubten Requisitionen, zu Lasten des Besetzenden und auf Grund der begangenen Verletzung die Eechtspflicht entsprungen, den verletzten Eigentümer in vollem U m f a n g e zu entschädigen. Diese Verpflichtung richtet sich nicht nach dem Landesrecht des Besetzenden, sondern nach dem Völkerrecht, und gestützt auf dieses hat der Berechtigte einen begründeten Anspruch auf Entschädigung des tatsächlichen Wertes der Sache im Zeitpunkte der Aneignung und des Wertes, den das Geld, mit dem er bezahlt wird, damals hatte.

Die Ausscheidung der normalen Eequisitionen von den übermässigen und damit unerlaubten ist eine Tatfrage und wäre als solche zu untersuchen und zu entscheiden.

5. Abgesehen von den eigentlichen Eequisitionen hat der Besetzende auch noch das im Artikel 53, Absatz 2, der Landkriegsordnung mit folgenden Worten anerkannte und umschriebene Eecht: «Alle Mittel, die zu Lande, zu Wasser und in der Luft zur Weitergabe von Nachrichten und zur Beförderung von Personen oder Sachen dienen, mit Ausnahme der durch das Seereeht geregelten Fälle, sowie die Waffenniederlagen und überhaupt jede Art. von Kriegsvorräten («et, en général, toute espèce de munitions de guerre») können, selbst wenn sie Privatpersonen gehören, mit Beschlag belegt werden («peuvent être saisis»). Sie müssen aber zurückgegeben werden; die Entschädigungen sind beim Friedensschluss zu regeln.» In diesem Artikel ,,kommt dem Ausdruck «saisis» offenbar eine zweifache Bedeutung zu.

' In erster Linie scheint der zweite Absatz nicht verbrauchbare Sachen, die nach Gebrauch zurückerstattet werden können, zu betreffen. Andere Sachen dagegen sind ihrer Natur nach verbrauchbar, und ihre Beschlagnahme schliesst notwendig eine Aneignung in sich. Für beide Fälle sieht die Landkriegsordnung Entschädigungen vor, die «beim Friedensschluss zu regeln» sind; aber ebensowenig wie auf dem Gebiete der Eequisitionen auferlegt sie dem Besetzenden aus diesem Grund ausdrücklich eine Eechtspflicht. Dagegen verdient die Stelle «et, en général, toute espèce de
munitions de guerre» einige Aufmerksamkeit. In den Werken deutscher Autoren wird dieser offizielle Ausdruck durch das Wort «KriegsVorräte» wiedergegeben, das dem französischen «approvisionnement de guerre» entspricht. Massgebend ist jedoch einzig der französische Wortlaut, und wenn man auch dem Ausdruck «munitions de guerre» die volle Bedeutung beilegt, die er haben kann, so ist man doch urn so weniger berechtigt, ihn extensiv zu interpretieren, als, wie oben bemerkt wurde, Artikel 53 viel eher restriktiv auszulegen ist. Fasst man den Artikel 53 als Ganzes ins Auge, so stellt man fest, dass er im-ersten Absatz, der sich auf das bewegliche Staatsvermögen bezieht, «alles Eigentum, das geeignet er-

887

scheint, den Kriegsunternehmungen zu dienen», umfasst und dass er sich, selbst was dieses anbelangt, der einschränkenden Wendung «Das ein Gebiet besetzende Heer kann nur mit Beschlag belegen...» bedient. Der zweite Absatz, dessen Anwendbarkeit sich auch auf das Privateigentum erstreckt, hält sich noch in viel engerem Eahmen. Die Vermögenswerte, die er erwähnt, sind einzeln und abschliessend aufgezählt, und allein schon die Tatsache, dass die Kategorie der «munitions de guerre» unmittelbar derjenigen der «dépôts d'armes» (Waffenniederlagen) folgt, zeigt, dass man damit sicher nur die eigentliche Kriegsmunition jeder Art gem'eint hat, wie man sie im gewöhnlichen Sprachgebrauch versteht. Es ist somit nicht möglich, die Anwendbarkeit des Artikels 53, Abs. 2, auf alles Privateigentum auszudehnen, das sich der Besetzende im Verlaufe des letzten Krieges unter dem Vorwand angeeignet hat, dass es unmittelbar oder nach irgendwelcher Verarbeitung für die Bedürfnisse der Kriegführung verwendbar sei. Wäre das die Absicht der Parteien gewesen, so hätten sie sich im zweiten Absatz des Artikels 58 der gleichen Wendung bedient wie im ersten Absatz und von allem Eigentum gesprochen, «das geeignet erscheint, den Kriegsunternehmungen zu dienen».

Da für den zweiten Absatz absichtlich eine andere Fassung gewählt worden ist, darf man nicht über den eigentlichen Sinn der dort verwendeten Ausdrücke hinausgehen. Auf Seite 496 seines «Völkerrechts», 12. Auflage, 1925, behauptet Liszt-Fleischmann, meiner Ansicht nach zu Unrecht, unter «toute espèce de munitions de guerre» seien alle Sachen zu verstehen, die unmittelbar oder nach Verarbeitung zur Kriegführung verwendet werden können, mit Einschluss der Eohstoffe zur Herstellung von Kriegsmaterial. Gleichzeitig erklärt dieser Verfasser die Anwendbarkeit von Artikel 58, Absatz 2, für ausgeschlossen nicht nur gegenüber Geld und Wertpapier, sondern auch gegenüber Nahrungs- und Futtermitteln, Kleidern und Kleiderstoffen und Eohstoffen für die Bedürfnisse der einheimischen Industrie; als Grund dafür führt er an, dass Artikel 52 die Eequisition ausdrücklich auf die Bedürfnisse des Besetzungsheeres beschränke. Damit erkennt dieser bedeutende Eechtsgelehrte, wie ich glaube mit Eecht, die unmittelbare Wechselbeziehung an, die zwischen Artikel 53, Absatz 2, und Artikel 52 besteht. Aber
sogar, wenn man annehmen wollte, dass Artikel 58, Absatz 2, im Gegensatz zu Artikel 52 das Eecht zur Beschlagnahme nicht auf die Bedürfnisse des Besetzungsheeres beschränke, so ist doch dieses Eecht auf jeden Fall streng begrenzt auf die in diesem Artikel 53, Absatz 2, erschöpfend aufgezählten Kategorien von Sachen, und jegliche Aneignung, die darüber hinausgeht, ist als eine mit den in der Landkriegsordnung niedergelegten völkerrechtlichen Grundsätzen in» Widerspruch stehende Massnahme zu betrachten. Das wird auf Seite 497 des zitierten Werkes ausdrücklich anerkannt, aber mit dem Notstande gerechtfertigt, in dem Deutschland sich befand; doch, was man auch allgemein, wie bereits bemerkt, von dieser Begründung halten mag, so beseitigt sie doch nicht den Anspruch des geschädigten Eigentümers auf angemessenen und vollständigen Ersatz.

888 6. In den Friedensverträgen haben die alliierten und assoziierten Mächte nicht unterlassen, sich zu Lasten der Zentralmächte und namentlich Deutschlands diese Entschädigungspflicht zu sichern; aber sie haben es nur für ihre eigenen Angehörigen getan. Zugunsten der Berechtigten neutraler Staatsangehörigkeit haben sie nichts bestimmt und damit auch nichts zugunsten der Schweizer. Ihnen gegenüber bleibt die Verpflichtung des Besetzenden fort bestehen,, und es ist nach den Grundsätzen des Völkerrechts nicht Sache des beteiligten'Privaten, es ist Sache der Eegierung des Staates, dem dieser angehört, dessen Eecht ?,u vertreten.

V.

Im Verlaufe der Feindseligkeiten zerstörtes Eigentum.

1. Nach Artikel 23 der Landkriegsordnung ist namentlich untersagt: ((g) die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums, es sei denn dass die Kriegsnotwendigkeit dies dringend verlangt.» In diesem Absätze regelt die Landkriegsordnung die Zerstörungen und Beschlagnahmen. Zum Unterschiede von denjenigen, auf die sich Artikel S3, Absatz 2, bezieht, können die hier in Frage stehenden Beschlagnahmen nur dem nämlichen Zwecke dienen und gleicher Art sein, wie die Zerstörungen; sie stehen in unmittelbarem Zusammenhange mit den eigentlichen Kriegsoperationen, sie gehören zur militärischen Aktion, zu dem, was die Landkriegsordnung die Feindseligkeiten als solche nennt.

Nach dem Wortlaute der Landkriegsordnung sind derartige Zerstörungen oder Beschlagnahmen nur zulässig, insoweit die Kriegsnotwendigkeit sie gebieterisch erheischt. Die Anlegung dieses Massstabes bietet aber sehr, grosse Schwierigkeiten. Was ist unter «gebieterischen Kriegsnotwendigkeiten» zu verstehen und wie weit erstrecken sich diese Notwendigkeiten? Herr Max Huber hat der Frage in der Zeitschrift für Völkerrecht, 1913, Bd. VII, S. 368 bis 373 scharfsinnige Bemerkungen gewidmet, die den Vorzug verdienen vor den je nach der Staatsangehörigkeit der Verfasser voneinander abweichenden und einander widersprechenden Beurteilungen, wie man sie in den seit dem Kriege erschienenen Werken findet. Eine rein juristische Untersuchung, wie sie hier vorgenommen wird, setzt voraus, dass es tatsächlich möglich sei, die im Verlaufe des Krieges vorgekommenen Zerstörungen zu scheiden in solche, die im Sinne von Artikel 23, Buchstabe g, als zulässig zu betrachten sind-und solche,
die diese Bedingung nicht erfüllen und gerade darum eine Völkerrechtsverletzung darstellen.

Was die Zerstörungen in einer Kampfhandlung anbelangt, so liegt die fast unüberwindliche praktische Schwierigkeit auf der Hand, welche der Aufgabe entgegenstünde, einerseits genau festzustellen, welche der kämpfenden Truppen den Schaden verursacht haben, und andererseits, ob im Augenblicke des Eintrittes des Schadens die Kriegsnotwendigkeiten letztern gebieterisch erheischten.

889

Nach beiden Sichtungen hin bietet dieses Unterfangen weniger Schwierigkeit, wenn es sich um Zerstörungen handelt, die ausserhalb jeder eigentlichen Kampf handlung von einem der Kriegführenden planmässig, z.B. bei einer Eückzugsbewegung, vorgenommen werden. In dieser Hinsicht verweise ich auf den der «Gebietsverwüstung (namentlich in Nordfrankreich) » gewidmeten sehr sachlichen Artikel des Wiener Dozenten Kunz im « W ö r t e r b u c h des Völkerrechts, von Strupp, 1924, Bd. I, S. 240 bis 242 (vgl. auch im nämlichen Wörterbucbe, Bd. III, S. 463 bis 467, den-Artikel «Feindseligkeiten im L a n d k r i e g » von Paul Guggenheim).

Auf die Zerstörungen, für die feststünde, dass sie nicht «durch die Kriegsnotwendigkeit dringend geboten» waren, treffen die oben (unter Ziffer- IV) angebrachten Bemerkungen und Schlussfolgerungen über die unrechtmässigen Requisitionen und Beschlagnahmen ebenfalls zu. Dem geschädigten Eigentümer kann ein Anspruch auf angemessene Wiedergutmachung durch den Kriegführenden, dessen Streitkräfte als Urheber ermittelt worden sind, nicht abgesprochen werden.

2. Um auf die infolge der militärischen Operationen und Kampfhandlungen im Krieg unvermeidlichen Zerstörungen zurückzukommen, so bietet das Völkerrecht gegen keinen der Kriegführenden als solchen eine Handhabe, sei es weil es unmöglich ist, zu ermitteln, wer den Schaden verursacht hat, sei es, weil nicht gesagt werden kann, dass es sich um keine durch die Kriegsnotwendigkeit dringend gebotene Zerstörung oder Beschlagnahme handle. Der Zukunft muss es vorbehalten bleiben, ob der Staat, der den Krieg erklärt, wenn dieser einmal vom positiven Völkerrecht tatsächlich verboten sein wird, für allen Schaden verantwortlich gemacht werden kann, der daraus entsteht. Im Jahre 1914 war der Krieg als solcher nicht widerrechtlich, und wie man sich auch zu der Kriegsschuldfrage stellen mag, so kann aus ihr jedenfalls an und für sich keine Eechtspflicht zur Wiedergutmachung der hier erörterten Schäden abgeleitet werden. Selbstverständlich können die Friedens vertrage durch ausdrückliche Bestimmungen eine solche Pflicht auferlegen, und das ist gegenüber den Zentralmächten zugunsten der alliierten und assoziierten Mächte geschehen. Aber den Angehörigen neutraler Staaten kommen diese Abmachungen nicht zugute, und insoweit es sich darum handelt,
einen auf ihre Person gegründeten völkerrechtlichen Anspruch geltend zu machen, kann sich dieser. Anspruch nicht auf die militärischen Handlungen stützen, welche die Kriegführenden im Bahmen der dringenden Kriegsnotwendigkeiten getroffen haben.

3. Zu prüfen ist noch, ob die neutralen Privatpersonen, deren Interessen in den Friedensverträgen vernachlässigt worden sind, ihren Anspruch auf billige Entschädigung für die erlittenen Verluste rechtlich nicht auch anders begründen könnten.

In Anbetracht des grossen Umfanges, den diese Schäden im letzten Krieg angenommen haben, musste die Frage die Meinungen natürlich stark beschäf-

890 tigen. Sie wendet sich an das öffentliche Gewissen und rührt zu sehr an den elementarsten Gerechtigkeitssinn, als dass sie nicht in zahlreichen Ländern Widerhall gefunden hätte; hier haben wiederum berufene Eechtsgelehrte der allgemeinen Überzeugung Ausdruck gegeben und ihre Stimme zugunsten der gerechtfertigten Beschwerden und der begründeten Ansprüche der neutralen Opfer erhoben, die man, wie eben gesagt, in den Friedensverträgen übergangen hatte. Da eine rechtliche Verpflichtung zu Lasten der Kriegführenden als solche fehlt, bejahen sie die allgemeine Bechtspflicht eines jeden Staates, für die auf seinem eigenen Gebiet eingetretenen Kriegsschäden aufzukommen. Eine eingehende Würdigung der dafür vorgebrachten Gründe würde den Eahmen einer Untersuchung über das geltende Völkerrecht überschreiten. Mag man nun immer die Pflicht des Gebietsstaates (auch wenn ihn gar kein Verschulden trifft) damit begründen, dass der Krieg eine der Lebensäusserungen der Staaten sei, mag man sie aus dem Grundsatze der Solidarität ableiten, aus einer Art Gesamt-versicherung zu seinen Lasten, sicher ist jedenfalls, dass es sich um sehr bemerkenswerte Kundgebungen dessen handelt, was ich die allgemeine Überzeugung genannt habe, dass aber die also befürworteten Ansprüche gegenwärtig ihre Begründung noch nicht im positiven Völkerrechte finden. Eine Pflicht des Gebietsstaates kann nach gegenwärtigem Hechte nur entstehen, wenn er selbst sie schafft, indem er sie durch eigene Willenskundgebung übernimmt, und nur soweit sie dadurch von ihm anerkannt wird. Deshalb handelt es sich zunächst um eine Frage des Landesrechts, aber es ist noch zu untersuchen, ob die Schadenersatzpflicht, wiewohl als landesrechtliche Pflicht begründet, nicht dennoch ohne Ansehung der Staatsangehörigkeit gegenüber der gesamten betroffenen Bevölkerung besteht, oder doch zum mindesten gegenüber den neutralen Bewohnern so gut wie gegenüber den Einheimischen. Um diese Frage in bejahendem Sinne lösen zu können, wäre erforderlich: entweder dass der Gebietsstaat diese Gleichstellung selber ausdrücklich oder stillschweigend herbeiführt; oder dass die Neutralen, wenn die Pflicht nur gegenüber den Einheimischen übernommen worden ist, auf Grund eines feststehenden völkerrechtlichen Grundsatzes oder einer Bestimmung des anwendbaren Niederlassungsvertrages sich
dennoch auf sie berufen können.

4. Eine kurze Prüfung der einschlägigen nationalen Gesetzgebungen, die für uns in Betracht fallen, führt zu folgenden Feststellungen 1) : Die in Deutschland auf Grund des Eeichsgesetzes über die Feststellung von Kriegsschäden im Eeichsgebiete vom 3. Juli 1916 bewilligten Entschädigungen haben nach Ansicht der Beichsregierung den Charakter von freiwilligen Leistungen, die gewährt werden, ohne dass das Beich sie als die Erfüllung einer Eechtspflicht anerkennen würde.

1

) Sauser-Hall: «La réparation des dommages de guerre et les neutres», Veröffentlichung der Schweizerischen Gesellschaft für internationales Recht, Nr. 18, S. 17 ff.

891 In Frankreich bestimmt das Gesetz vom 17. April 1919 über die Wiedergutmachung der Kriegsschäden im Artikel 2, dass «die in Frankreich und Algerien durch die Kriegsereignisse verursachten .gehörig ermittelten, unmittelbaren Sachschäden an Immobilien und Mobilien einen Anspruch begründen auf völlige Wiedergutmachung, unbeschadet des Eechts des französischen Staates, vom Feinde Bezahlung zu fordern». Liest man nur diesen Satz, so könnte man meinen, der dadurch unzweifelhaft geschaffene Anspruch auf Entschädigung werde als solcher, ganz allgemein, anerkannt. Aber die Tragweite des Gesetzes wird durch Artikel l eingeengt, der die Gleichheit und Solidarität aller Franzosen bezüglich der Kriegslasten proklamiert, und dann besonders durch Artikel 3, Absatz 4, wonach «das Becht auf Wiedergutmachung den Ausländern in Frankreich und den Naturalisierten, denen die französische Staatsangehörigkeit entzogen worden ist, nach Massgabe der Verträge zusteht, welche zwischen Frankreich und dem Lande, denen diese Ausländer oder Naturalisierten angehören oder angehört haben, etwa geschlossen würden».

Auf den gleichen Boden stellen sich der belgische Gesetzgeber (Gesetz vom 10. Mai 1919, Art. 8) und der italienische (Gesetzesdekret vom 27. März 1919, Art. 2, Abs. 2) ; auch sie machen das Becht der Ausländer auf eine Entschädigung vom Abschluss eines Vertrages mit dem Heimatstaat abhängig.

Derartige Verträge sind von Frankreich mit Belgien sowie mit dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und dem Freistaat Irland abgeschlossen worden.

5. Wir nehmen nach diesen Feststellungen die Untersuchung der beiden oben erwähnten Bedingungen wieder auf. Angesichts der Tatsache, dass Belgien, Frankreich und Italien eine Pflicht zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden gegenüber den Neutralen nicht übernommen haben, ist zunächst zu prüfen, ob diese Pflicht auf Grund des geltenden Völkerrechts nicht dennoch bestehe. Zugunsten dieser Auffassung beruft man sich auf die Doktrin, die in den Fällen, wo der Staat seine Angehörigen entschädigt, vorwiegend für die Gleichstellung der Ausländer mit den Einheimischen eingetreten ist (vgl.

unter anderm das Jahrbuch des «Institut de droit international», gekürzte Ausgabe, Bd. IV, S. 611 ff.). Man erinnert daran, dass Frankreich im Jahre 1871, ohne eine Pflicht zur Entrichtung von
Entschädigungen anzuerkennen, gleichwohl Schweizer wie Franzosen entschädigt hat. Man stützt sich namentlich auf die Erörterungen über den von Deutschland an der zweiten Friedenskonferenz eingebrachten Vorschlag betreffend die neutralen Angehörigen auf dem Gebiete der kriegführenden Staaten. Die daraus abgeleiteten Argumente sind sicherlich nicht ohne Wert, aber sie können nicht als Beweis des Vorhandenseins eines feststehenden Gewohnheitsrechts angesehen werden, wonach der Staat zum mindesten die Neutralen entschädigen müsste, weil er seine eigenen Angehörigen entschädigt. Die Verhandlungen an der Neuenburger Tagung des Institut de droit international im Jahre 1900, betrafen

892 die Verantwortlichkeit des Staates bei Aufruhr oder Bürgerkrieg. In einem solchen Falle wird angenommen, der durch seine gesetzmässige Regierung vertretene Staat behalte die Herrschaft auf seinem Gebiet und aus diesem Grunde liege ihm die völkerrechtliche Pflicht ob, die Ausländer auf seinem Gebiete zu schützen. Ganz anders ist die Lage im Kriegsfalle. Der Staat kämpft gegen eine aussenstehende Macht, die selber für ihre Handlungen innerhalb der Bestimmungen und Schranken des Völkerrechts verantwortlich ist. Sobald eine auswärtige Macht in einem Bürgerkriege die aufrührerische Partei anerkennt, erlischt denn auch ganz folgerichtig die Verantwortlichkeit der gesetzmässigen Eegierung gegenüber den Angehörigen jener Macht, für die von den anerkannten Aufständischen begangenen Handlungen.

Unter Vorbehalt des schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrages, auf den noch zurückzukommen sein wird, kann man dem Umstände, dass P'rankreich im Jahre 1871 auf seinem Gebiete den schweizerischen Bewohnern gleich wie den Franzosen Entschädigungen gewährt hat, nicht entscheidende Bedeutung beimessen. Die zulässigen Massnahmen eines Staates sind nur dann geeignet, zu seinen Lasten eine völkerrechtliche Verpflichtung zu begründen, wenn sie seinen Willen zum Ausdruck bringen, sich zu binden, wenn er sie als die Erfüllung einer Pflicht anerkennt. Eine freiwillige, spontane, zudem rechtmässige Handlung vermag keine internationale Verpflichtung gegenüber andern Mächten zu erzeugen.

Bedeutsamer sind die Haager Verhandlungen von 1907. Deutschland hatte in der Tat einen Vorschlag eingebracht, wonach die neutralen Staatsangehörigen auf dem Gebiete der kriegführenden Staaten von allen Massnahmen der letztern gegen ihre Person oder ihr Vermögen verschont bleiben sollten.

Wäre dieser Antrag angenommen worden, so hätte er zugunsten der Neutralen eine vertragliche Schutzpflicht geschaffen und damit einen Anspruch auf Wiedergutmachung der von ihnen erlittenen Schäden. Aber der deutsche Vorschlag ist abgelehnt worden, und der wesentliche Grund für diese Verwerfung ist von Herrn Léon Bourgeois vorgebracht worden, der zur Hauptsache folgendes ins Feld geführt hat: Im Kriegsfalle kann dem im Gebiet eines Kriegführenden wohnenden Neutralen nicht eine andere Stellung eingeräumt werden als dem Einheimischen, weder in seinen
Beziehungen zum Gebietsstaate, noch in denen zum eindringenden oder das Gebiet besetzt haltenden Feind. Im Verhältnis zum ersten ist er den nämlichen Gesetzen und Lasten unterworfen wie die eigenen Staatsangehörigen, bei denen er zu Gaste ist und deren Schicksal er teilt; und was den besetzenden Feind anbelangt, so sind die von ihm ergriffenen Massnahmen, wie Requisitionen usw., nur als solche denkbar, die er mit Rücksicht auf ein bestimmtes Gebiet und nicht mit Rücksicht auf bestimmte Personen anordnet (vgl. über diesen Punkt den Bericht des Obersten Borei, Actes et Documents de la deuxième Conférence de la Paix, Bd. I, S. 150 ff.; vgl. ebendort, S. 126 ff., S. 163).

893 Unzweifelhaft vertrat Herr Léon Bourgeois den Standpunkt der völligen ·Gleichbehandlung der neutralen Bewohner und der einheimischen Bevölkerung.

.Aber was die Wiedergutmachung für Kriegsschäden anbelangt, ist diese Gleichbehandlung nicht vereinbart worden, und man kann nicht sagen, sie sei als solche von der Konferenz festgesetzt worden. Es ist keineswegs sicher, dass ·die Konferenz die Frage, ob die Angleichung in dieser Beziehung von Eechts wegen eintreten solle, bejahend beantwortet hätte, wenn sie ihr vorgelegt worden wäre.

Somit kann .aus dem, was dargelegt worden ist, ein Beweis dafür nicht ent-.nommen werden, dass. gemäss dem in Kraft bestehenden Gewohnheitsrecht ·ein Staat, der seinen Angehörigen Entschädigungen für Kriegsverluste gewährt, schon allein darum auch verpflichtet sei, sie den auf seinem Gebiete .niedergelassenen Neutralen gleichfalls zugute kommen zu lassen.

6. Es ist nun noch zu prüfen, ob die Schweiz auf Grund der Niederlassungsverträge einen Kechtsanspruch darauf hat, dass ihre Angehörigen gleich behandelt werden wie die Staatsangehörigen in den Ländern, wo diesen Entschädigungen ausgerichtet werden.

a. Deutschland.

Der Artikel 5 des Niederlassungsvertrages vom 18. November 1909 be·.·stimmt : «Im Falle eines Krieges oder einer Enteignung zum öffentlichen Nutzen :sollen in Ansehung der Entschädigung die Angehörigen jedes vertragschlies;senden Teiles, die sich im Gebiete des andern niedergelassen haben oder auf.halten, den Landesangehörigen gleichgestellt werden.» Der Artikel ist durchaus allgemein gehalten. Er ist auf den Kriegsfall -anwendbar und stellt die Schweizer, was die Entschädigungen anbetrifft, 'Ohne Einschränkung und Ausnahme den Deutschen gleich; man darf daher mit gutem Grunde behaupten, dass der Niederlassungsvertrag das Deutsche Eeich auf Grund der vorgesehenen Gleichstellung verpflichtet, soweit es «eine Angehörigen aus irgendwelchem Eechtsgrunde für Kriegsverluste schadlos hält, dies auch den Schweizern gegenüber zu tun. Selbstverständlich ist, 'dass diese nichts verlangen können, was über die versprochene Gleichstellung ^hinausginge.

l>. Italien.

Nach Artikel l, Absatz 2, des Niederlassungs- und Konsularvertrages ·.zwischen der Schweiz und Italien, den ich an zweiter Stelle in Erörterung .^ziehen will, sind die Schweizer «in Italien hinsichtlich
ihrer Person und ihres .Eigentums auf dem nämlichen Fusse und auf die gleiche Weise» aufzunehmen und zu behandeln wie die Landesangehörigen. Allein auf diese sehr einfache Bestimmung folgen anschliessend im Artikel l und in den folgenden Artikeln «o zahlreiche, ausführliche und erschöpfende Einzelheiten, dass die Tragweite ·des Absatzes 2 durch sie notwendigerweise festgelegt wird und dass man anmehmen muss, durch die konkreten Beispiele habe man dartun wollen, inwieBuadesblatt. 84. Jahrg. Bd. I.

65

894 weit man die Gleichbehandlung zu vereinbaren gedacht habe. Angesichts; der Tatsache, dass eine so umfangreiche Aufzählung die Wiedergutmachung der Kriegsschäden übergeht, wird man schwerlich annehmen können, die Übereinkunft habe auch für diesen sehr besondern Fall die Gleichstellung der Schweizer mit den Italienern beabsichtigt.

Zu erörtern bleibt noch die Meistbegünstigungsklausel, die sich im Artikel" 10 vorfindet. Sie sichert den Schweizern von Rechts wegen den Genuss aller Vorteile zu, welche Italien einer andern Macht in bezug auf die Niederlassung: und die A u s ü b u n g gewerblicher B e r u f e irgendwie eingeräumt hat oder einräumen wird.

Es ist nicht wohl einzusehen, wie diese Bestimmung auf den von Italien zugunsten der Angehörigen eines andern Landes vertraglich zugestandenen Ersatz für Kriegsschäden ausgedehnt werden könnte. Die Tragweite des Artikels wird durch die Ausdrücke, d.eren man sich bedient hat, stark beschränkt,, und ein Zweifel drängt sich um so gebieterischer auf, als heute mehr denn jedie Staaten in ihrer Praxis daxu neigen, die gegenseitigen Zugeständnisse in den Niederlassungsvertragen und namentlich die MeistbegünstigungsklauseL sehr eng auszulegen.

c. Prankreich.

Gemäss dem Niederlassungsvertrag vom 23. Februar 1882 (Art. l und 2)1 sind die Schweizer in Frankreich in bezug auf ihre Person und ihr Eigentum auf dem nämlichen FUSS und auf die gleiche Weise aufzunehmen und zu behandeln, wie es die eigenen Staatsangehörigen sind oder sein werden. Dieser Vertrag zählt, zum Unterschiede von demjenigen mit Italien, nicht in allen Einzelheiten auf, welches der Inhalt dieser Bestimmung sei. Er begnügt sich, damit, bloss beispielshalber zu erwähnen, dass die Schweizer ab- und zugehen und sich in Frankreich zeitweilig aufhalten können ; ferner fügt er bei, dass jedeArt von Gewerbe und Handel den' Schweizern in gleicher Weise erlaubt sein Werde wie den eigenen Staatsangehörigen, und zwar ohne dass ihnen eine pekuniäre oder sonstige Mehrleistung überbunden werden darf. Ist es zulässig,, diese Gleichstellung auf die Ausrichtung der Entschädigungen auszudehnen, auf die das Gesetz den Franzosen einen Anspruch einräumt? Zahlreiche französische Juristen bejahen es, unter ihnen auch ein Professor von hohem.

Ansehen auf dem Gebiete des Völkerrechts, dessen Gutachten, wie man
mir versichert, binnen kurzem veröffentlicht werden wird, und es wäre sehr zu wünschen, dass ihnen Gehör geKchenkt würde. In dieser Beziehung kann man in der französischen öffentlichen Meinung eine Strömung feststellen, die unter' dem Einflüsse von sich aufdrängenden Billigkeitserwägungen darauf abzielt,, zum. mindesten bis zu einem gewissen Grade Schweizern die den Franzosen ausgerichteten Entschädigungen ebenfalls zuzugestehen. In Paris liegt seit sieben Jahren ein von Herrn Accambray eingebrachter Gesetzesantrag vor der Kammer, mit dem Zwecke, den nicht feindlichen Ausländern, die im Jahre 1914 in Frankreich niedergelassen waren und deren Söhne bei den Kampf-

895 truppen des französischen Heeres oder der alliierten Heeresverbände gedient haben, sowie denjenigen, denen ein. Sohn im Felde gefallen ist, das Gesetz vom 17. April 1919 ebenfalls zugute kommen zu lassen. Noch vor ganz kurzer Zeit ist beschlossen worden, diesen Antrag auf die Tagesordnung einer der nächsten Sitzungen zu setzen. Das ist heute der Stand der Dinge.

In völkerrechtlicher Beziehung bleibt die Frage, wie sie sich auf Grund der Artikel l und 2 des schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrages darstellt, noch offen, und man darf der Veröffentlichung der Schrift, auf die ich oben hingewiesen habe, mit Spannung entgegensehen. Was die Meistbegünstigungsklausel anbelangt, die sich im schweizerisch-französischen Vertrag ebenfalls vorfindet (Art. 6), so stimmt sie mit der im Vertrag mit Italien enthaltenen überein; ich kann mich daher auf das beziehen, was ich über diese letztere gesagt habe.

d, Belgien.

Der Niederlassungsvertrag mit diesem Lande vom 4. Juni 1887 lautet gleich wie der schweizerisch-französische, und die obigen Ausführungen treffen auch für ihn zu.

Sie haben mir Kenntnis gegeben vom Eechtsgutachten, das Freiherr Alberic Roiin, Ehrenvorsitzender des Institut de droit international, dem «Komitee für die Wiedergutmachung schweizerischer Kriegsschäden» erstattet hat. Nach der Ansicht des Herrn Eolin, der sich in der Völkerrechtswissenschaft mit Eecht eines grossen Ansehens erfreut, sind «die Ansprüche der neutralen Schweizer gegenüber den Staaten, die -- zu Eecht oder zu Unrecht -- ihre Verantwortlichkeit für diese Schäden gegenüber ihren eigenen Angehörigen anerkannt haben, somit unzweifelhaft und vollauf gerechtfertigt».

Was aber Belgien betrifft, so billigt Herr Eolin den abschlägigen Bescheid der belgischen Eegierung auf das Begehren der schweizerischen Gesandtschaft (Beilage zum Bericht des Bundesrates vom 30. September 1929, BB1.1929, Bd. III, S. 89 ff.). Wie die Eegierung, so hält auch er dafür, dass «der Vertrag auf den Kriegsfall nicht Anwendung findet», und er fügt bei: «Von allen in den Krieg verwickelten Mächten ist Belgien vielleicht die einzige, die so offenkundig auch nicht der Schatten einer Verantwortlichkeit trifft.» Diesen Erwägungen darf man mit dem obgenannten Komitee entgegenhalten, dass sie unzutreffend sind angesichts der völligen Übereinstimmung,
welche der schweizerisch-französische mit dem schweizerisch-belgischen Vertrag in jenen Bestimmungen aufweist, aus denen Herr Eolin das Eecht der Schweizer gegenüber Frankreich ableitet. Im Verhältnis zu beiden Ländern ist die rechtliche Stellung der Schweizer auf Grund dieser beiden Verträge genau dieselbe.

· VI.

Welches sind die Eechtsbehelfe, deren sich die Schweiz im völkerrechtlichen Verkehr bedienen kann, um die Eechte geltend zu machen und zur Anerkennung zu bringen, welche ihre Angehörigen befugtermassen beanspruchen können ?

896 1. Der einfachste, in jeder Beziehung geeignetste und auch der sicherste Weg wäre der, welcher es ermöglichen würde, die zu lösenden Fragen durch den Ständigen Internationalen Gerichtshof oder ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen.

In dieser Hinsicht ist die Lage heute folgende : a. Deutschland.

Das Schlussprotokoll zum schweizerisch-deutschen Schiedsvertrag von 1921 schliesst die Anwendbarkeit des Vertrages auf Streitigkeiten, die mit Ereignissen des Weltkrieges in unmittelbarem Zusammenhange stehen, ausdrücklich aus. Diese Einrede trifft auf alle oben erörterten Ansprüche unzweifelhaft zu.

Später, nämlich im Jahre 1927, ist die im Artikel 36, Absatz 2, des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes vorgesehene fakultative Bestimmung, die in dem von ihr festgesetzten Rahmen die obligatorische Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes anerkennt, vom Reich unterzeichnet worden.

Aber die Beitrittserklärung Deutschlands ist nicht ohne jeden Vorbehalt gegeben worden, wie es für diejenige der Schweiz schon bei der Schaffung des Gerichtshofes der Fall war, sondern sie wurde ausdrücklich beschränkt auf die «Streitigkeiten, die sich nach der Ratifikation der gegenwärtigen Erklärung in b'ezug auf Verhältnisse oder Tatsachen erheben sollten, die zeitlich «päter als diese R a t i f i k a t i o n liegen» 1 ).

Mit andern Worten: ebensowenig wie auf Grund des Vertrages von 1921 kann die Schweiz nach der Unterzeichnung der fakultativen Bestimmung durch Deutschland sich an den Ständigen Internationalen Gerichtshof wenden oder ein Schiedsverfahren einschlage a.

b. Belgien.

Die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes durch Belgien im Jahre 1925 ist ebenfalls ausdrücklich beschränkt auf die «Streitigkeiten, die sich nach der Ratifikation der gegenwärtigen Erklärung in bezug auf Verhältnisse oder Tatsachen erheben sollten, welche zeitlich später als diese Ratifikation liegen».

Ebenso bestimmt der Vergleichs-, Gerichts- und Schiedsvertrag zwischen der Schweiz und Belgien vom 5. Februar 1927, im Artikel 23, Absatz l, dass er nur zur Anwendung gelange «bei Streitigkeiten, die sich nach Austausch der Ratifikationsurkunden 2) erheben sollten und Verhältnisse und Tatsachen betreffen, die nach diesem Zeitpunkt entstanden sind».

Auch hier ist der Schweiz
das gerichtliche Verfahren verschlossen.

c. Frankreich.

Ebenso ist es gegenüber Frankreich. Der obligatorische Vergleichsund Schiedsvertrag vom 6. April 1925 enthält zwar die Klausel über den Ausx ) Die Ratifikation erfolgte am 17. Februar 1928.

a ) Am 12. November 1927.

897

schluss der Streitigkeiten aus frühern Tatsachen nicht, aber er ist vom französischen Senate noch nicht genehmigt worden.

Auch ist Frankreich heute am fakultativen Protokoll über die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes noch nicht beteiligt.

d. Italien.

Italien ist das einzige Land, dem gegenüber ein gerichtliches Verfahren gegenwärtig offen wäre.

Der Vergleichs- und Gerichtsvertrag, der am 20. September 1924 mit dieser Macht geschlossen worden ist, sieht nämlich für den Fall des Versagens eines vorgängigen Vergleichsverfahrens die gerichtliche Erledigung aller Streitigkeiten vor, welcher Art sie auch immer seien und ohne diejenigen auszunehmen, die in Tatsachen ihren Ursprung haben sollten, welche zeitlich vor der Unterschrift des Vertrages liegen würden.

2. Kann man in Ermangelung einer gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen Erledigung daran denken, beim Völkerbundsrate Schritte zu unternehmen?

In diesem Punkte kann ich nicht anders, als den Bemerkungen voll und ganz beizustimmen, mit denen der Bundesrat in seinem Bericht vom 80. September 1929 diese Frage verneint hat. Wie sehr die hier in Eede stehenden Ansprüche auch Beachtung verdienen, so könnten sie doch nicht gestützt auf Artikel 12 und 15 der Satzung vor dem Eat oder der Versammlung des Völkerbundes mit Aussicht auf Erfolg anhängig gemacht werden.

3. Somit bleiben nur noch die diplomatischen Mittel. Diese Seite der Frage fällt aus dem Eahmen eines blossen Eechtsgutachtens. Man möge mir aber erlauben, lediglich beispielshalber darauf hinzuweisen, wie sehr gegenwärtig der nationale, um nicht zu sagen nationalistische Geist die liberalen Anschauungen über die Behandlung der Ausländer und die gegenseitigen Zugeständnisse der Staaten zu ihren Gunsten ersetzt und verdrängt hat.

Um es zu beweisen und den Zwiespalt aufzuzeigen, der in dieser Beziehung zwischen Lehre und Wirklichkeit klafft, brauche ich nicht einmal daran zu erinnern, wie sehr die Niederlassungsverträge durch eine immer engere, und man darf wohl sagen, selbstsüchtigere Praxis beeinträchtigt und in ihrem Werte herabgemindert worden sind. Ich will nur in aller Kürze auf zwei Beispiele hinweisen, die den Gegenstand dieses Gutachtens nahe berühren.

Im November 1929, anlässlich der Beratungen im Schosse der Kommission
«A» der internationalen Konferenz über die Behandlung der Ausländer hat der schweizerische Delegierte verlangt, dass man den Ausländern hinsichtlich der Entschädigung für Eequisitionen, Enteignungen oder andere ähnliche Leistungen unter allen Umständen eine mit dem Völkerrecht in Einklang stehende Behandlung gewährleiste. Dieser Antrag ist verworfen worden, weil die Mehrheit nur die Behandlung zugestehen wollte, die jeder .Staat seinen

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eigenen Angehörigen freiwillig gewährt, wie mangelhaft sie auch vom Standpunkte des Eechts und der Gerechtigkeit aus sein mag.

Seither, im März 1930, ist im. Haag die internationale Konferenz zusammengetreten, die unter anderm eine internationale Vereinbarung über die Verantwortlichkeit der Staaten für die auf ihrem Gebiet den Ausländern oder ihrem Vermögen zugefügten Schäden ausarbeiten sollte.

In dieses wichtige Problem, dessen Lösung von einem Ausschuss hervorragender Sachverständiger vorbereitet worden war, liess sich die Frage der Wiedergutmachung der Kriegsschäden ganz zwanglos einfügen; das hatte denn auch der Bundesrat in seiner Antwort auf den vor dem Zusammentritt der Konferenz an die Eegierungen gerichteten Fragebogen getan. Über die Verantwortlichkeit des Staates für den «Schaden, der einem Ausländer oder seinem Vermögen durch die an einem Aufstand oder Aufruhr beteiligten Personen oder durch die Menge zugefügt wird, ... wenn die Kegierung ihren eigenen Angehörigen oder andern Ausländern die Wiedergutmachung des Schadens gewährt», drückt sieh unsere Begierung wie folgt aus: «Der Grundsatz, die Ausländer, zum mindesten die regelrecht niedergelassenen Ausländer, gleich zu behandeln wie die Inländer, sollte auf diesem Gebiete wie auf andern in den zwischenstaatlichen Beziehungen gutgeheissen und anerkannt werden. Er ist darum gerechtfertigt, weil den auf die Dauer im Lande niedergelassenen Aufsländern die gleichen fiskalischen Lasten auferlegt werden wie den Einheimischen und weil die Ausländer oft sogar in hervorragendem Masse zum allgemeinen Wohlstand des Aufenthaltslandes beitragen. Dazu muss aber beigefügt werden, dass Massnahmen, die gegenüber den Inländern in Übereinstimmung mit dem Landesrecht ergriffen werden, den Ausländern gegenüber nicht zur Anwendung gelangen dürften, wenn sie dem Völkerrechte widersprechen sollten. Denn die Verantwortlichkeit der Staaten bemisst sich nach dem Völkerrecht.» Und sie lässt nicht ausser acht, ausdrücklich beizufügen: «Der Grundsatz der Gleichbehandlung der In- und Ausländer sollte übrigens nicht auf die Schäden aus Aufruhr und Umsturz beschränkt werden, sondern auch Anwendung finden auf die eigentlichen Kriegsschäden. Es erscheint als billig, keinen Unterschied zu machen zu Ungunsten der Ausländer, die im allgemeinen wie die Einheimischen die
Heimsuchungen ihres Aufenthaltsstaates über sich haben ergehen lassen müssen.» Das Problem war somit mit aller Deutlichkeit aufgeworfen wordenMan hätte glauben sollen, es werde mit Wohlwollen und nach Billigkeit geprüft werden, und die Tragweite des damit unternommenen Werkes erklärt, warum das vorliegende Gutachten nicht eher verfasst worden ist. In diesem Punkte sind die Beratungen der Konferenz noch nicht in allen Einzelheiten veröffentlicht worden; aber man weiss bereits, dass ihr Ergebnis gänzlich negativ war, woraus wiederum erhellt, wie ungünstig die Verhältnisse gegenwärtig sind.

899

VII.

Die Schlussfolgerungen, zu denen das vorstehende Exposé führt, können folgendennassen zusammengefasst werden: 1. Für die auf dem Gebiet eines kriegführenden Staates erlittenen Schäden =aus Bequisitionen oder andern derartigen, vom Gebietsstaat auf Grund seiner Souveränität und seiner Gesetzgebung ergriffenen Massnahmen steht den Schweizern ein begründeter Anspruch nur insoweit zu, als sie nicht in gleicher "Weise behandelt wurden wie die Einheimischen oder als besondere Ausnahmen, ·die in dem auf sie anwendbaren Niederlassungsvertrage vereinbart waren, ihnen gegenüber nicht eingehalten worden sind.

Was die Massnahmen des Wirtschaftskrieges anbelangt, die unmittelbar ·gegenüber dem Vermögen von Schweizern angewendet worden sind, so sind ·diese letztern berechtigt, eine Entschädigung zu fordern, da derartige Massnahmen in offenkundigem Widerspruch stehen zum Völkerrecht.

2. In dem vom Feind eingenommenen oder besetzten Gebiet ist dieser ·den Schweizern gegenüber verantwortlich für Bequisitionen oder Beschlagnahmen, durch welche er sich über das in den Artikeln 52 und 53 der Haager ·Ordnung betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges erlaubte Mass hinaus Privateigentum angeeignet hat. In diesem Fall ist der verantwortliche Kriegführende (beim Einfall wie während der Besetzung) zu vollem Schadenersatz verpflichtet. Desgleichen haben die Schweizer Anspruch auf ·vollständige Entschädigung zu Lasten des verantwortlichen Kriegführenden iür die Zerstörung oder Beschlagnahme ihres Privateigentums, soweit die Kriegsnotwendigkeit diese nicht dringend erforderte.

3. Was die eigentlichen Kriegsschäden betrifft, so sind die Kriegführenden iür sie beim gegenwärtigen Stande des Völkerrechts nicht von Bechts wegen -verantwortlich.

4. Gegenüber dem Staate, der seinen Angehörigen Entschädigungen für ihre Kriegsschäden ausrichtet, steht den Schweizern auf Grund des Völkerrechts ·ein Anspruch nur zu, sofern ihnen dieses Becht in dem auf sie anwendbaren Niederlassungsvertrage zugesichert wird.

Das ist in Anbetracht des Artikels 5 des schweizerisch-deutschen Niederlassungsvertrages für Deutschland der Fall. Zweifelhaft ist, ob 'es auch gilt für Italien, wenn man die einschlägigen Artikel des Vertrages mit dieser Macht in Betracht zieht. Eher vertretbar dürften die Ansprüche unserer Landsleute mit
Bücksicht auf die allgemeinere Fassung unserer Verträge mit Frankreich und Belgien sein. Sie können sich auf die Meinung von Juristen dieser beiden Länder stützen.

5. Gegenüber Deutschland, Belgien und Frankreich ist der Bundesrat nicht in der Lage zu verlangen, dass die betreffenden Fragen und die durch sie zwischen den beteiligten Begierungen hervorgerufenen Meinungsverschieden-

900 i

h iten dem Ständigen Internationalen Gerichtshof oder einem Schiedsgerichtunterbreitet werden.

Im Verhältnis zu Italien stünde der Eechtsweg offen auf Grund des Vergleichs- und Gerichtsvertrages mit dieser Macht.

6. Die Ansprüche, auf die sich das vorliegende Gutachten bezieht, könnerb nicht mit Aussicht auf Erfolg vor den Eat oder die Versammlung des Völkerbundes gebracht werden.

Genf, den 10. Mai 1980.

(gez.) Eugène Borei..

901!

Anlage Vu.

Vernehmlassung des Herrn Prof. W. Burckhardt vom 4. August 1930.

Hochgeachteter Herr Bundesrat, Sie hatten die Freundlichkeit, mir mit Schreiben vom 5. Juli 1930 eine> Schrift von Herrn Professor Albert de Lapradelle, betitelt «Les Suisses et lesdommages de guerre», mitzuteilen, welche das Eecht der Schweiz auf Wiedergutmachung der durch ihre Angehörigen im Auslande erlittenen Kriegsschäden.

erörtert. Herr de Lapradelle bejaht dieses Eecht, während ich es in meinem.» Gutachten vom 5. Juni 1929 auf einige bestimmte Ansprüche beschränkt, hatte. Er kritisiert dieses Gutachten und sucht zu beweisen, dass es ohne Grund die Eechte preisgibt, welche das Völkerrecht der Schweiz zuerkennt..

Sie ersuchen mich, Herr Bundesrat, auf die Beweisführung des Herrn de Lapradelle zu antworten. Ich tue es nicht ohne Bedenken. Es war vorauszusehen, dass eine so schwierige Frage Diskussionen und entgegengesetzteAnsichten hervorrufen würde. Es werden sich vielleicht noch andere Ansichten, vernehmen lassen.

Es wird schwierig sein, die Vertreter der Völkerrechtswissenschaft zu, einer übereinstimmenden Ansicht zu bringen. Es stehen hier nicht nur einigeSpezialfragen des Kriegsrechtes zur Erörterung, sondern damit auch diegrundlegenden Probleme des Völkerrechts, und diese Probleme gehören zu, den schwierigsten und bestrittensten, so dass es im Eahmen eines kurzen.

Berichtes und in der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung steht, unmöglich, ist, sie gründlich zu erörtern. Da das aber nicht geschehen kann, gehen dieverschiedenen Parteien von widersprechenden Voraussetzungen aus und widerlegen sich nicht; die verantwortliche Behörde wird daher stets selbständig beurteilen müssen, wo das Eecht ist, und die verschiedenen Gesichtspunkte selbst abwägen müssen. Ich muss Sie deshalb aufmerksam machen,.

Herr Bundesrat, dass ich hier meine Gründe nicht vollständig darlegen .kann, die theoretischen Gründe nämlich, die zum Verständnis meiner Ansicht.notwendig sind. Ich bin genötigt, auf die Veröffentlichungen zu verweisen,, wo ich sie ausführlich dargelegt habe, und wenn ich das im folgenden tue,, so ist es nicht, um .mit Gelehrsamkeit zu prangen, sondern um verständlich, zu machen, dass, wenn hier nicht alles genügend begründet ist, das nur domi Mangel an Zeit und Platz und nicht dem Mangel an Gründen zuzuschreiben ist, und dass man meine Ansicht nur widerlegt haben wird, wenn man auch die=

·902 -Gründe widerlegt, die ich anderwärts vorgebracht habe, aber hier nicht wieder. holen kann. Trotz dieser Schwierigkeit möchte ich hier in einigen Punkten meine Auffassung. des Völkerrechtes darlegen, um die praktischen Polgen verständlich zu machen, die sich mir aus dieser Auffassung ergeben.

L Herr de Lapradelle berührt diese allgemeinen Fragen zuerst auf Seite 22, "wo er folgenden Satz meines Berichtes in französischer Übersetzung (S. 481) ·anführt : « . . . nous sommes arrivés à la conclusion que réparation peut être ·demandée pour les séquestres ordonnés derrière le front et pour les réquisitions en pays occupé, mais qu'ici aussi les conventions qui y ont trait ne peuvent »être invoquées en droit strict. » Ich hatte im deutschen Original gesagt : « . . . dass die darauf bezüglichen Abkommen formell nicht angerufen werden können»; nämlich deshalb nicht, hatte ich auf Seite 25 2) bemerkt, weil die Landkriegs~rechtsordnung formell nicht verbindlich sei (die Übersetzung hatte gesagt ·«au point de vue de la forme»), da nicht alle kriegführenden Staaten jene "Übereinkunft unterzeichnet hätten. Ich wollte damit sagen: «Die Übereinkunft als solche ist nicht anwendbar; es bleibt aber zu prüfen, ob die Grundsätze, welche sie enthält, sicher und billig genug sind, um trotzdem Geltung beanspruchen zu können.» Das ist die Frage, die ich mir fortwährend gestellt .habe im Laufe meines Berichtes. Wenn Grundsätze, die durch Verträge förmlich anerkannt worden sind und dadurch ausser Diskussion stehen, fehlen, welche andern Grundsätze können geltend gemacht werden ? (z. B. auf Seite 25, ·29, 32, 34, 37, 38, 39 8). Herr de Lapradelle ist daher nicht berechtigt, nach ·diesem Zitate fortzufahren: «Qu'est-ce donc «ce droit strict»? Un droit issu ·des traités. Les principes généraux du droit n'auraient donc pas de valeur.

Le droit des gens serait conventionnel ou ne serait pas: tel est le point de vue de M. Burckhardt.» Nein. Das ist nicht meine Ansicht; es ist .nur die Ansicht, die mir Herr de Lapradelle zuschreibt. (Auf Seite 385 meines J3ucb.es: «Die Organisation der Eechtsgemeinschaft», wo es heisst: «Alles .Recht geht von den Staaten aus», ist die Bede vom vertraglichen und positiven .Hecht.)

Meine Ansicht ist, dass es unter den Staaten kein anderes positives Becht .gibt als das der Verträge. Schon fühle ich aber, indem ich dies ausspreche, ·die Gefahr neuer Missverständnisse, und ich beeile mich deshalb beizufügen: Unter positivem Becht verstehe ich die Rechtsnormen, welche durch eine Autorität gesetzt worden sind und verbindlich sind, weil sie so gesetzt worden sind, -unabhängig von der Frage,
ob sie auch sachlich begründet und gerecht seien.

Das ist eine Bedeutung des Wortes positiv, die nicht unbekannt ist, obschon ·das Wort leider noch andere Bedeutungen hat, was leicht zu Missverständnissen ') .F. 1929, III, 76.

2 ) BB1. 1929, III, 61.

) BBI. 1929, III, 61, 65, 68, 70, 73, 74, 75.

3

903 Anlass gibt. Das «positive» Bechi eines Staates ist vor allem das Gesetz, d. h. die Eechtsnorm, welche die gesetzgebende Behörde aufgestellt hat und die aus diesem Grunde beobachtet werden muss ohne weitere Erörterung ihrer sachlichen Berechtigung. (Ähnlich nennt man «positiv» die Eeligion, welche ·durch eine anerkannte Autorität verkündet worden ist, im Gegensatz zur natürlichen oder Vernunftreligion, die auf einsehbaren Gründen beruhen soll.)

Die Autorität setzt die Norm; was sie derart gesetzt hat, muss als gerecht und sachlich begründet hingenommen werden ; es gilt ohne weiteres ; die Frage, ·was als gerecht und verbindlich zu gelten habe, ist damit entschieden. In diesem Sinn ist das internationale Vertragsrecht ein positives Eecht, und es ist nach meiner Ansicht das einzige positive Völkerrecht. Wenn zwei Staaten eine Ordnung vereinbart haben, ist sie für sie verbindlich, nicht deshalb, ·weil sie gerecht und billig ist, sondern weil die Staaten nun einmal so übereingekommen sind. Sie ist, sozusagen, das von den Staaten gesetzte Eecht und im logischen Sinne das unter ihnen geltende positive Eecht.

Wenn nun aber kein Vertrag besteht, gibt es trotzdem Eechtsnormen, und welche?

Das ist eine ebenso bestrittene wie schwierige Präge. Herr de Lapradelle scheint in Übereinstimmung mit Artikel 38 des Statuts des Ständigen Gerichtshofes anzunehmen, dass mangels Vertrages die Eegeln des internationalen Gewohnheitsrechtes anwendbar sind und mangels solcher Gewohnheit «die allgemeinen von den Kulturstaaten anerkannten Eechtsgrundsätze». Ich will hier nicht untersuchen, was das Statut mit der Aufzählung dieser Bechtsquellen hat sagen wollen, aus denen der Gerichtshof die Normen seiner Entscheidungen schöpfen soll (s. Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, 1929, S. 76 ff.).

Die Weisungen des Artikels 38 sind verbindlich für den Gerichtshof in der Entscheidung der ihm zufallenden Streitigkeiten (und in diesem Falle sind sie kraft Vertrages verbindlich); da aber der Gerichtshof meiner Ansicht nach hier nicht zuständig ist, ist auch jene Bestimmung, wie man sie immer auslegen möge, nicht anwendbar. Wir müssen unsern Weg also selbst suchen.

Meine Ansicht ist, dass mangels Vertrages die praktische Vernunft zu entscheiden hat, welche Verbindlichkeiten ausser den vertraglichen bestehen mögen ; womit ich
sagen möchte : in gewissen Fällen wird man mit gutem Grunde erklären können, dass mangels Vertrages keine Verbindlichkeit bestehe; z. B. zur Einsetzung eines Schiedsgerichtes, wenn kein Schiedsvertrag abgeschlossen worden ist. Es gibt aber viele andere Fälle, zu denen auch der vorliegende gehört; wo diese Feststellung keine Lösung wäre. Es fragt sich nun in unserm Falle, welcher Staat die Kriegsschäden zu tragen habe ; der Heimatstaat der Geschädigten oder der Staat ihres Wohnsitzes oder der Staat, der den Schaden zugefügt hat. Es gilt also, einen Entscheid zu treffen zwischen zwei sich widersprechenden Behauptungen, und wenn man darauf antwortet, es bestehe darüber kein Eecht, weil kein Vertrag anwendbar ist, hat man jene

904 Frage nicht gelöst. Daruni habe ich auch nicht diese Antwort gegeben. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, in dem kürzlich zwischen der Schweiz und Deutschland in der entstandenen Frage, ob ein Staat durch Bohrungen nächst der Grenze die Salzlager des andern Staates jenseits dieser Grenze angreifen darf, oder welche Einschränkungen er sich bei seinen Bohrungen aufzuerlegen hat ; auch hier wäre die Streitfrage nicht gelöst mit der negativen Feststellung, dass kein Vertragsrecht bestehe. Ich will hier diese Frage, wann mangels Vertrages andere Grundsätze anzuwenden seien und wann es mit der negativen Feststellung, dass kein Vertragsrecht besteht, sein Bewenden hat, nicht weiter verfolgen ; die Frage ist nahe verwandt mit der wohlbekannten Frage nach den Lücken des nationalen Gesetzes. Ich beschränke mich darauf hinzuweisen auf die beiden Parömien des französischen Eechtes, die beide gleich richtig, aber jede nur in ihrem Anwendungsgebiet richtig ist: 1. «La juge qui refusera de juger, sous prétexte du silence, de l'obscurité ou de l'insuffisance de la loi, pourra être poursuivi comme coupable de déni de justice» (Code civil français, Artikel 4), und 2. aus der Erklärung der Menschenrechte: «Tout ce qui n'est pas défendu par la loi ne peut être empêché, et nul ne peut être contraint de faire ce qu'elle n'ordonne pas» (vgl. B urckhardt, Die Lücken des Gesetzes, 1925, S. 7 und 19). Die Frage ist übrigens meines Wissens im Völkerrecht nie gründlich erörtert worden (vgl. z. B. Politis, La justice' internationale, 1924, S. 85).

In unserm Falle kann man sich also, wie ich meine, nicht damit begnügen festzustellen, dass es kein anwendbares Vertragsrecht gibt; man muss, in Anwendung anderer als vertraglicher Grundsätze, eine Lösung finden ; man inuss das «Gesetz», d. h. hier die Verträge, durch Grundsätze des nichtgeschriebenen Eechtes, die nicht vereinbart worden sind, ergänzen. Wo lassen sich diese Grundsätze finden?

Man verweist gewöhnlich in erster Linie auf das internationale Gewohnheitsrecht. Im Landesrecht wird meiner Ansicht nach das Gewohnheitsrecht gebildet durch die Praxis der zuständigen staatlichen Behörden (vgl. «Organisation», S. 230). Im Völkerrecht gibt es nun aber keine solchen eigentlich «zuständigen» Behörden, zuständig nämlich vermöge objektiven Eechtssatzes, weil die
Völkerrechtsordnung keine organisatorischen Vorschriften enthält noch enthalten kann. Die «Organe» des internationalen Rechtslebens sind zwischen bestimmten Staaten vereinbarte Organe und ihre Entscheidungen haben für andere Fälle als die gerade entschiedenen keine andere Autorität als die ihrer Gründe, wie ich es kurz in meinem Berichte auf Seite 381) und ausführlicher in meinem Buche über die Organisation der Bechtsgemeinschaft, S. 385, auseinandergesetzt habe. Mit andern Worten: aus der Tatsache, dass die Staaten oder die von ihnen eingesetzten Schiedsgerichte diesen oder jenen Eeehtssatz angewendet haben, folgt noch nicht,.dass dieser Eechtssatz in Zukunft verbindlich sei. Das wäre wiederum die Anerkennung ») BB1. 1929, III, 74.

905

eines positiven Bechtes, d. h. eines Eechtes, das vermöge eines autoritativen Ausspruehes verbindlich ist, wie es ist, und ohne weitere Prüfung seiner sachlichen Begründung. Ein solcher Eechtssatz ist vielmehr nur verbindlich, sofern und soweit er sich durch ausreichende Gründe rechtfertigen lässt, und der Staat oder das Schiedsgericht, welche in den Fall kommen, sich darüber aus zusprechen, müssen sich dieser Prüfung unterziehen ; sie müssen sich fragen : ist der bisher allgemein angewandte Eechtssatz wirklich gerecht, und namentlich, ist er heute noch gerecht unter den gegenwärtig gegebenen Umständen ? Könnte ich diesen Eechtssatz, wenn ich Gesetzgeber wäre, mit gutem Gewissen zum Gesetze machen für die gegenwärtige Zeit ? Die Feststellung, dass er von andern Staaten oder andern Schiedsgerichten, vielleicht unter anderen tatsächlichen Voraussetzungen, als richtig befunden worden ist, genügt nicht.

Man wird eben in solchem Falle, sagt man, die «allgemeinen Eechtsgrundsätze» befragen müssen. Allein auch das halte ich nicht für richtig. Wenn man von den allgemeinen Eechtsgrundsätzen spricht, die subsidiär anwendbar sein sollen, geht man von der Annahme aus, es bestünde ausser dem positiven, ·d. h. durch eine Autorität festgesetzten Eecht (hier dem Vertragsrecht) eine Art Idealkodex des Eechtes, in dem man die Eegeln finden könnte, deren man bedarf, um die Lücken des positiven Eechtes auszufüllen. Was ich an dieser Auffassung aussetze, ist nicht etwa der Gedanke, dass es ausser dem positiven Eecht (hier dem Vertragsrecht) keine andern Eechtssätze gebe, die ebenfalls au befolgen wären ; es ist vielmehr der · Gedanke, dass die.se Eechtssätze, die wir nicht entbehren können, ein für allemal gegeben wären und einen bestimmten unveränderlichen Inhalt hätten, dass es also genügen würde, sie.einmal geiunden zu haben, um nun für alle Zukunft unterrichtet zu sein und alle Streitigkeiten mit Sicherheit entscheiden zu können. Das wäre Naturrecht alten Stils.

Ich folge hier vielmehr der Ansicht Stammlers und meine, dass es keine Eechtssätze gibt, die gewissermassen an und für sich richtig wären und damit auch unveränderlich richtig blieben, weil jeder Eechtssatz nur in Hinsicht auf «ine gegebene Sachlage sich als richtig oder unrichtig ausweisen kann ; dieselbe Eegel ist, je nach der Sachlage, der sie als Norm
dienen soll, berechtigt oder nicht berechtigt. Bin Beispiel mag meine Ausführung erläutern. Man verlangt von einem Architekten, dass er in seinen Bauwerken dem ästhetischen Postulate ·des Schönen gerecht werde; allein, trotzdem der Sinn dieses Postulates immer ·derselbe ist, kann der Architekt, auch der vollkommene, den Plan des schönen Bauwerkes nicht ein für allemal festlegen. Wie er diesem Postulate gerecht werden will, kann er nur entscheiden, wenn er weiss, welchem Zweck das Bauwerk dienen soll, aus welchem Material es bestehen wird und in welcher Umgebung es zu errichten ist ; ohne diese Daten ist das von ihm zu lösende Problem ·noch gar nicht vollständig gestellt. Und ebenso kann sich der Gesetzgeber über die Berechtigung eines Bechtssatzes kein Urteil bilden, ohne die Sachlage au kennen, auf die er angewendet werden soll. Ist ihm diese Sachlage bekannt, so wird er allerdings die Berechtigung (d.h. die Gerechtigkeit) seines Eechtssatzes immer nach einer Idee beurteilen, die den Zufälligkeiten der Zeit ent-

906

hoben ist, eben der Idee der Gerechtigkeit, ähnlich wie der Architekt sich immer auf die Idee des Schönen beruft, um zu erklären, dass unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmter Umgebung sein Bauwerk schön ist. Man kann, also diese grundsätzliche Frage der Berechtigung eines gesetzgeberischen (wieeines architektonischen) Vorschlages nicht entscheiden, ohne die tatsächlichen.

Verumständungen zu kennen. Wenn diese Verumständungen bekannt sind, kann man die Frage allerdings auch nicht entscheiden ohne Berufung auf ein.

unbedingt geltendes Ideal. Man hat diese Auffassung etwas ungenau Naturrecht mit veränderlichem Inhalt genannt.

Auf unsern Fall angewendet ergibt diese Auffassung (sie berührt, wieman sieht, die schwierigsten Probleme der Eechtsphilosophie), dass, wenn, eine Frage, z. B. die Verpflichtung zur Wiedergutmachung von Kriegsschäden,, nicht vertraglich gelöst ist, man sich zu fragen hat, welche Norm entspricht der Gerechtigkeit, hier, unter den gegebenen Umständen, in unserm Beispiel unter der Annahme der modernen Kriegsführung ? Der Eichter, d. h. jeder,, der, darüber ein begründetes Urteil abgeben will, hat sich zu fragen, was ein.

gerechter Gesetzgeber anordnen würde, der eben unter diesen Verumständungen.

die Ordnung zu treffen hätte. Er kann sich diese schwierige Aufgabe nicht ersparen ; denn es ist der einzige Weg, 'eine wirklich gerechte und überzeugendeLösung zu finden. Er kann sich also nicht einfach auf die bisher von den Staaten.

oder sogar von den Schiedsgerichten befolgte Praxis berufen. Er wird diesePraxis zwar gewissenhaft prüfen und ihre Grunde abwägen. Gewiss; aber er kann sich der doppelten Mühe nicht entheben, selbst zu urteilen, ob die Staaten, oder die Gerichte richtig geurteilt haben, als sie ihre Entscheidungen fällten, und ob sich seither in den tatsächlichen Voraussetzungen nicht Veränderungen, eingestellt haben, welche vermöge desselben Gerechtigkeitsideals, zu einem a n d e r n Eechtssatze führen. Mit andern Worten: er muss sich die ganze Frage von neuem stellen und im Hinblick auf den Zustand der gegenwärtigen Zeit beantworten; er kann sich also auf keine Autorität stützen,., weder auf die der Gewohnheit noch auf die der Doktrin noch auf die vermeintlich allgemein gültiger Grundsätze. Er wird selbst die ausreichenden Gründeseiner Entscheidung darlegen
und infolgedessen diese Gründe selbst abwägen müssen. Das ist, was ich versucht hatte, auf den Seiten 37 ff. 1 ) meines Berichtes, auseinanderzusetzen.

Von dieser Auffassung bin ich ausgegangen bei der Prüfung der hier zu.

erörternden Fragen. Ich habe mich gefragt, welche Eechtssatze ein gerechter Gesetzgeber (wenn es im Völkerrecht einen Gesetzgeber gäbe) den Staaten, auferlegen könnte; welche Eechtsnormen heute als gerecht und vernünftig anzuerkennen wären. Um diese Frage zu beantworten, und das ist eine weitereEinwendung, die ich der herrschenden Lehre zu machen habe, genügt es nicht, allgemeine «Grundsätze» anzurufen, nämlich Postulate, die-ihrer allgemeinen.

') BB1. 1929, m, 73 ff.

907' Tendenz nach durchaus richtig und billigenswert sein mögen, die aber erst, ein fernes wünschenswertes Ziel bezeichnen und noch keinen B echt s satzergeben, der in sicherer und folgerichtiger Weise angewendet werden könnte..

Es ist z. B. sehr billigen swert, die wohlerworbenen Hechte zu schützen; aberder Grundsatz des Schutzes wohlerworbener Eechte bezeichnet erst eine sehr allgemeine Eichtlinie. Sobald man einen solchen Grundsatz auf konkreteFälle anwenden will, bemerkt man, dass er noch sehr weit entfernt ist von einem Bechtssatz. Er gibt nicht an, was jeder Bechtssatz, der vollständig sein will, angeben muss, nämlich unter welchen Voraussetzungen die Verpflichtung besteht, für wen (und gegebenenfalls zugunsten wessen) sie be.steht, und was sie enthält (z. B. ob sie besteht in der Unantastbarkeit des erworbenen Bechtes oder bloss in der Verpflichtung, den Wert des Bechteszu ersetzen, wenn es angetastet wird). Man kann sich über die sachliche Berechtigung eines «Grundsatzes» erst schlüssig machen, wenn man ihn auf' solche bestimmte Bechtssätze zurückgeführt hat; oder, besser gesagt, man kann sich nur über die sachliche Berechtigung von eigentlichen Bechtssätzen.

und nicht von allgemeinen Postulaten schlüssig machen.

Es ist deshalb überflüssig, zu erörtern, ob der « Grundsatz » der Unverletzbarkeit des Privateigentums im Kriege gelte; auch wenn man dies annimmt,.

weiss man noch nicht, was gelten soll, solange man nicht des nähern bestimmt hat: unter welchen Voraussetzungen das Privateigentum geachtet werden, soll, von wem es geachtet werden soll und was diese Verpflichtung enthält, (die Pflicht,. nicht zu verletzen, oder die Pflicht, den Schaden wieder gutzumachen, und wie). Wenn man Bechtsansprüche begründen will, muss man.

sie auf Bechtssätze zurückführen, die so bestimmt sind, dass sie ohne weiteres in einen von den Staaten zu unterschreibenden Vertrag aufgenommen werden, könnten und Antwort auf alle praktischen Fragen geben. Ein Postulat kann, man nicht im eigentlichen Sinn des Wortes anwenden; einen Bechtssatz muss.

man aber anwenden können. Solange man solche Bechtssätze nicht formuliert hat, hat man auf die gestellte Frage keine genügende Antwort gegeben.

Wir werden unseren Fall nach diesem Verfahren behandeln.

Vorerst aber möchte ich noch bemerken, wieweit nach dem Gesagten,
meine Auffassung von der entfernt ist, die mir mein Gegner zuschreibt. Offenbar ist er den Ausführungen des Herrn M. G. Chklaver in der Bévue de droit international, Bd. I, S. 422: «Les idées de M. Burckhardt», gefolgt; diese Ideen, sind aber keineswegs die meinigen. Herr de Lapradelle hätte sich davon überzeugen können, wenn er nur meinen Bericht aufmerksam gelesen hätte. Erhätte darin selbst feststellen können, dass ich das «alte Dogma» der Souveränität der Staaten nicht gutheisse und auch nicht den Primat des Landes- ' rechtes über das Völkerrecht (S. 30 der Schrift von Lapradelle).

Ich brauche kaum zu bemerken, dass ich allerdings auch nicht die Auffassung, die mein gelehrter Gegner auf Seiten 25 und folgende seiner Schrift vertritt, teilen kann. Ich vermag nicht die Lehre von den rechtssetzenden.

Verträgen anzuerkennen; ein Vertrag ist meines Erachtens ein Vertrag und.

·908 nie ein Gesetz; die angeblich rechtssetzenden Verträge (traités-lois) haben nie andere Wirkungen als gewöhnliche Verträge ; die Praxis hat nie anerkannt, dass ein Staat, der einem solchen Vertrag nicht beigetreten ist, daran gebunden ·wäre; es mag sein, dass der Inhalt des Vertrages für alle Staaten verbindlich ist, aber dann ist er es nicht, weil er im Vertrage steht und vermöge der historischen Tatsache des Vertragschlusses, sondern weil er richtig ist (vgl. «Organisation», S. 883). Die Verträge können allerdings Rechtssätze aufstellen, die schon zuvor und an und für sich verbindlich waren (dritte Art von Verträgen, wie sie Herr de Lapradelle Seite 26 unterscheidet) ; aber auch dann sind .solche Rechtssätze eben nicht verbindlich für andere Staaten, weil ein Vertrag sie aufgestellt hat, sondern weil sie schon vorher verbindlich waren, und verbindlich waren sie, weil sie richtig waren. Um zu wissen, ob ein solcher Rechtssatz für Nichtvertragsstaaten gegebenenfalls verbindlich ist, wird man also immer wieder prüfen müssen, ob er sachlich begründet und ob er immer noch sachlich begründet ist, wie oben ausgeführt. Wenn der Rechtssatz begründet ist, muss man ihn anwenden, auch wenn er in keinem Vertrage anerkannt worden ist (es sei denn, dass andere Verträge ihm förmlich widersprechen); wenn er nicht begründet ist, ist der Vertrag allein zu beachten, und wenn der Vertrag den Rechtssatz aufstellt, obschon er unbegründet ist, muss man ihn anwenden, wie er ist, eben weil vertraglich vereinbart.

Niemals aber stellt die Tatsache, dass ein Vertrag abgeschlossen worden ist, und wäre es auch unter der grossen Mehrheit der Staaten, einen ausreichenden Grund dar, um die vereinbarte Regel für andere Staaten und ausserhalb des Anwendungsgebietes des Vertrages verbindlich zu erklären. Man kann deshalb nach meiner Ansicht den Verträgen ausserhalb ihres Anwendungsgebietes nicht die Bedeutung beimessen, die ihnen Herr de Lapradelle beimisst..

(Selbstverständlich aber ist aus dem Umstände, dass ein Vertrag nicht anwendbar ist, nicht zu sehliessen, dass nun der dem vertraglichen entgegengesetzte Grundsatz zu gelten habe. Ich habe weder gesagt noch einfHessen lassen, dass der Satz des Artikels 3 der IV. Haager Übereinkunft, lediglich weil er vertraglich anerkannt sei, eine Ausnahme von der entgegengesetzten Regel bilde, wie es Herr de Lapradelle Seite 29 darstellt.)

II.

Wenn wir zu den besondern Fragen übergehen, können wir feststellen, dass über meine beiden ersten Thesen, die, welche den von Neutralen infolge wirtschaftlicher Massnahmen erlittenen Schaden betrifft, und die, welche den im besetzten Gebiet ausserhalb der eigentlichen Kriegsereignisse erlittenen Schaden betrifft, keine wesentliche Meinungsverschiedenheit besteht. Ich lasse deshalb diese beiden Eragen beiseite. Meinungsverschiedenheit besteht dagegen über die Wiedergutmachung des Schadens, der durch eigentliche Kriegsereignisse, durch erlaubte oder unerlaubte Kriegsführung entstanden ist. Ich nehme zunächst die unerlaubten Tatsachen.

909

Nichts scheint natürlicher und billiger als der Grundsatz, dass der kriegführende Staat den Schaden wieder gutmachen soll, den er unerlaubterweise zugefügt hat. Nichts wäre in der Tat wünschenswerter. Sobald man aber dieses Postulat in genaue Rechtssätze umgiessen will, begegnet man den grössten Schwierigkeiten. Ein Luftfahrzeug z. B. wirft Sprengstoffe auf feindliches Gebiet ab und zerstört eine einem Neutralen gehörende Fabrik. Angenommen, es wäre im Grundsatz entschieden, unter welchen Voraussetzungen das Zerstörungsschiessen erlaubt oder unerlaubt ist, was keineswegs leicht ist (s. Fauchille und Garner in der Eevue générale de droit international public, Bd. 24, S. 56, und Bd. 30, S. 372), da die Kriegstechnik über die Annahmen der Haager Konventionen (falls diese anwendbar wären) weit hinausgegangen ist, so bliebe noch zu entscheiden, ob der betreffende Staat nur haftet, wenn den Flieger ein Verschulden trifft, wann Verschulden vorliegt, wie das Verschulden und wie überhaupt die Tatsachen festzustellen sind. Es entstünde weiter die Frage, wie es sich verhält mit der Schadenersatzpflicht, wenn der betreffende Staat in Vergeltung eines ihm zugefügten Unrechtes gehandelt hat, und ob die Repressalien, die er ausübt, berechtigt und im Verhältnis zum erlittenen Unrecht sein müssen; ob, wenn sie dem Feinde gegenüber auf Kosten des Lebens seiner Soldaten ausgeübt werden dürfen, sie dann nicht mehr berechtigt sind, wenn sie zur Beschädigung neutralen Eigentums führen. Es dürfte nicht unbeachtet bleiben, dass die Schäden, die man so feststellen könnte, nur einen sehr kleinen Teil aller von den Neutralen erlittenen Schäden .ausmachen würden; aller der Schäden, die sie infolge der kriegerischen Umwälzungen erlitten haben; die sie ebenfalls ohne irgendein Verschulden des Verletzten erlitten haben. Mit andern Worten: es w.äre zu entscheiden, welche Kriegsschäden zu vergüten und welche nicht zu vergüten sind. Und schliesslich, warum sollte nicht-auch der Schaden vergütet werden, der nicht die unmittelbare Folge einer unerlaubten Kriegshandlung ist, aber die sichere Folge eines ungerechten Krieges ? Ich werde darauf noch zurückkommen; Herr de Lapradelle nimmt an, dass der Staat, der Urheber der unerlaubten Kriegshandlung ist, für den Schaden zu haften hat. In Anbetracht der praktischen Schwierigkeiten in der
Durchführung dieses Grundsatzes habe ich angenommen, dass der verletzte Staat sich an denjenigen zu halten hätte, auf dessen Gebiet der Schaden verursacht worden ist. Man kann nämlich den Urheberstaat nicht verantwortlich machen, ohne die Frage der Rechtswidrigkeit und des Verschuldens aufzuwerfen mit all den Schwierigkeiten, die ich soeben angedeutet habe. Dieser Umstand ist es offenbar, der die verletzten Staaten veranlasst hat, sich in der Praxis an den Gebietsstaat zu wenden und von ihm die Wiedergutmachung der Schäden zu verlangen, die ihren Angehörigen auf seinem Gebiete in ihrer Person und in ihrem Vermögen zugefügt worden sind, ohne zwischen erlaubter- und unerlaubterweise zugefügten Schäden zu unterscheiden. Das ist der einzig gangbare Weg. Es ist der Weg, der, wenn ich nicht irre, immer beschritten worden ist, insbesondere vom Bundesrate in den Fällen, in denen er seine Forderungen geltend gemacht hat (1871 Biinclesblatt. 84. Jahrg. Bd. I.

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910 und 1918). Die französische Begierung seheint dieser Auffassung auch gefolgt zu sein in der Übereinkunft, die sie am 2. August 1929 mit England geschlossen hat, wo sie Wiedergutmachung verspricht für die Schäden, die «auf den angegebenen Gebieten» eingetreten sind, nämlich auf dem Gebiete des Mutterlandes für Frankreich, und umgekehrt England für die Schäden auf dem Gebiete des Vereinigten Königreiches und Irlands.

Das alles habe ich in meinem ersten Berichte schon dargelegt, und ich sehe keinen Grund, meine Ansicht zu ändern.

Kann nun der Gebietsstaat verhalten werden, nach Billigkeit den Schaden zu vergüten, den Neutrale auf seinem Gebiete erlitten haben? Ich habe es in Abrede gestellt. Herr de Lapradelle hält mir die Antwort entgegen, die der Bund'esrat der Expertenkommission des Völkerbundes über die Verantwortlichkeit der Schäden erteilt hat und in der er unbedenklich vorgeschlagen habe, was ich verwerfe. Indessen trifft das nicht zu. Ich hatte unterschieden zwischen der unbedingten Verpflichtung eines kriegführenden Staates, die Kriegsschäden der Ausländer wieder gutzumachen, und der bedingten Verpflichtung dieser Staaten, ihnen diejenige Entschädigung zu gewähren, die er seinen eigenen Landesangehörigen gewährt. Von jener sprach ich, als ich bemerkte, kein Staat könnte sie übernehmen und der Bundesrat würde sie nicht vorschlagen; er hat es auch nicht getan. Was er vorschlug, war die Verpflichtung, den Ausländern die Gleichbehandlung mit den Landesangehörigen zu gewähren ; eine viel weniger weite und wohl der Erörterung werte Verpflichtung ; Deutschland hat sie durch den von mir erwähnten Vertrag von 1909 zugestanden.

Wenn man auf dem Wege einer allgemeinen Übereinkunft zu diesem Ergebnis gelangt, um so besser. Niemand wird sich mehr darüber freuen als ich. Ich vermag aber nicht zu behaupten, dass die Staaten schon jetzt kraft eines allgemeinen Grundsatzes, der offenbar nicht allgemein anerkannt ist, dazu verpflichtet wären, so sehr ich es wünschte; aus den in meinem ersten Gütachten dargelegten Gründen'(im gleichen Sinne übrigens Pierre de Solere ini Répertoire de droit international von de Lapradelle und Niboyet, Bd. V,.

1929, S. 624).

Herr de Lapradelle beruft sich auf das Gewohnheitsrecht und die Haager' Übereinkunft von 1907.

Was das Gewohnheitsrecht betrifft, so habe ich darauf
bereits geantwortet in meinem ersten Bericht (S. 38 ') und oben (S. 904) ; es scheint noch sehr unsicher zu sein, da doch keiner der kriegführenden Staaten, an die sich die Schweiz gewendet hat, sich dazu bekannt hat. Und was die Übereinkunft von 1907 betrifft, so beschränke ich mich darauf, auf die Meinung, die Herr Eugène Borei, der damalige Berichterstatter, darüber in seinem Gutachten vom 10. Mai 1930 über unsere Angelegenheit (S. 892 und 893) geäussert hat.

"Die Frage, ob die Schweiz nach den Niederlassungsverträgen die Gleichbehandlung ihrer Bürger mit den Angehörigen des andern Vertragsstaates.

') BEI. 1929, III, 74.

!)11 in bezug auf die Kriegsschäden verlangen könne, ist eine Frage der Auslegung.

Ich halte dafür, dass die Niederlassungsverträge, die doch in Friedenszeiten und vor allem zur Regelung der normalen Beziehungen der Friedenszeit geschlossen worden sind, nur mit Vorsicht auf die ganz verschiedenen, anormalen und unmöglich vorauszusehenden Beziehungen der Kriegszeit anwendbar sind. Das entspricht, scheint mir, besser dem Willen der Parteien. Es ist mir nicht unbekannt, dass gewisse Bestimmungen dieser Verträge, insbesondere des Vertrages von 1909 mit Deutschland und des Artikels 6 des Vertrages von 1855 mit England, sich ausdrücklich auf die Kriegszeit'beziehen. Über den ersten Vertrag, der unsern Fall im Auge hat, besteht keine Meinungsverschiedenheit; was den zweiten betrifft, der ausdrücklich nur von einem andern Fall spricht, so scheint mir aus den vorhin erwähnten Gründen richtiger, sich an diesen Fall zu halten und den Grundsatz der Gleichbehandlung nicht auf andere, nicht vorgesehene Fälle der Kriegszeit auszudehnen. Beweisen lässt sich unwiderleglich keine dieser Auslegungen ; was mich aber zu der meinigen geführt hat, das ist keineswegs die Auffassung, dass es keine andern Quellen des Völkerrechts gebe als das Landesrecht, wie es Herr de Lapradelle auf Seite 55 wiederholt, und ebensowenig die Auffassung, die seit 60 Jahren überholt sein soll, dass ein Staat für die Lücken seiner Gesetzgebung nicht verantwortlich wäre (dass letzteres nicht meine Auffassung ist, ergibt sich aus folgenden Schriften: Die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Staaten, Bern, 1924, S. 16; Die Organisation der Eechtsgemeinschaft, S. 438; ich habe sogar behauptet, der Staat sei für die Mängel seiner Verfassung verantwortlich). Zu meiner Auslegung der Niederlassungsverträge bin ich gelangt, weil diese Verträge das Eecht auf Entschädigung nicht vorsehen (mit Ausnahme desjenigen von 1909 mit Deutschland) und weil die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechtes es nicht begründen. Die Analogie der Expropriation scheint mir nicht zutreffend und auch nicht die des Bürgerkrieges (vgl. das Gutachten Borei, S. 891 und 892).

Herr de Lapradelle stellt unter besondere Grundsätze den Fall, wo ein Kriegführender das Gebiet eines immerwährend neutralen Staates verletzt hätte, und vertritt die Ansicht, dass hier der verletzende
Staat für den ganzen auf diesem Gebiete verursachten Schaden, auch für den von seinem Gegner verursachten, und zwar durch erlaubte wie unerlaubte Kriegsführung, verantwortlich wäre. Er gewährt also dem immerwährend neutralen Staate, wie es Belgien früher war und die Schweiz heute noch ist, eine bevorzugte Stellung.

Ich erwidere darauf zweierlei: 1. Soll die Verletzung des Gebietes eines immerwährend neutralen Staates eine besondere Verantwortlichkeit begründen, weil es die Verletzung einer Vertragspflicht oder weil es die Verletzung der N e u t r a l i t ä t ist?

Ich bin der Ansicht, dass jeder Vertrag, begründe er nun die Neutralität oder ein anderes Eechtsverhältnis, in gleicher Weise geachtet werden muss und dass, wenn ein Vertrag einen Staat verpflichtet, die Grenzen eines anderen zu achten, es ohne Bedeutung ist, ob dies ein Neutralitäts- oder ein Garantie-

912 oder ein Bündnisvertrag sei oder der Völkerbundsvertrag oder der KelloggPakt oder eine andere Vereinbarung. Ich bin dieser Ansicht, weil es im Völkerrecht nicht zwei Arten rechtlicher Verpflichtung gibt, von denen die einen heiliger wären als die andern, und ausserdem, weil es mir nicht der richtigen Auffassung von der Neutralität zu entsprechen scheint, eine derartige Unterscheidung zu machen. Der immerwährend neutrale Staat (das ist meine persönliche Ansicht) hat keine andern Rechte als jeder andere Staat und diejenigen, welche er aus besondern Verträgen ableiten mag; er verlangt auch keine Vorrechte; es liegt nicht in seinem wohlverstandenen Interesse, solche zu verlangen. Kein Staat hat selbstverständlich das Beeilt, das Gebiet des Neutralen ohne Herausforderung zu verletzen; aber hat er mehr Recht, das Gebiet eines andern friedlichen Staates zu verletzen, der ihn nicht herausfordert? Ich denke nicht. Der immerwährend neutrale Staat, der sich auf seine Unverletzbarkeit beruft, macht nur geltend, was jeder Staat geltend machen kann, der die Rechte der andern achtet.

2. Wenn man die Verpflichtung, die Kriegsschäden wieder gutzumachen, mit der Erwägung begründet, dass der Angreifer des immerwährend neutralen Staates damit seine internationalen Verpflichtungen verletzt habe, so gelangt man dazu, die Wiedergutmachungspflicht von der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des Krieges abhängig zu machen. Denn es ist klar, dass man dieselbe Erwägung anstellen kann für andere Angriffe, die in Verletzung anderer Verpflichtungen oder Versprechungen unternommen worden sind. Ich bestreite nicht die Billigkeit dieser Forderung; aber ist sie durchführbar? Hat nicht der Sieger immer Recht? Ist er es nicht, der dem Besiegten seine Bedingungen vorschreibt ? Und wenn er es getan und den Besiegten verpflichtet hat, den Schaden wieder gutzumachen, den er. der Sieger, erlitten bat, wird er zugeben können, dass ein anderer, ein Neutraler, seine eigene Verantwortlichkeit erörtere und dass ein Gericht sich auf die Untersuchung einlasse, welche von den beiden kriegführenden Parteien die Schuld am Kriege trage und gegenüber den Neutralen für die Kriegsschäden verantwortlich sei? Das wäre vielleicht gerecht, ich gebe es zu, aber solche Gerechtigkeit ist in unserer unvollkommenen Welt nicht erreichbar, und, ich wage noch
eine Voraussage: der Bundesrat wird dem Komitee, das die Kodifikation des Völkerrechtes vorbereitet, keinen solchen Vorsehlag machen.

Noch ein Wort über das Verfahren.

Herr de Lapradelle meint, dass vermöge des Grundsatzes, der im Eingang und im Artikel 13 des Völkerbundspaktes steht, die Mitglieder des Völkerbundes schon jetzt, auf Grund eines pactum de contrahendo also, verpflichtet wären, besondere Schiedsverträge abzuschliessen; sie seien, sagt er Seite 72, rechtlich verpflichtet, sich dem gerichtlichen Verfahren zu unterziehen. Aber um den Anspruch auf dieses Verfahren geltend zu machen, weiss Herr de Lapradelle auch keinen andern Weg als den Appell an die Vermittlung vor dem Völkerbundsrate. Nun könnte der Völkerbundsrat gewiss zum Zwecke der

913 Vermittlung die andern Staaten veranlassen, einen Schiedsvertrag einzugehen; aber diese Staaten sind dazu rechtlich nicht verpflichtet, wo nicht bereits bestehende Schiedsverträge anwendbar sind 1). Wozu bedürfte es der fortgesetzten Anstrengungen, um zu Schied s vertragen zu gelangen, wenn die rechtliche Verpflichtung, richtbare Streitigkeiten einer internationalen Gerichtsbarkeit zu unterbreiten, schon durch den Völkerbundsvertrag begründet wäre ?

Was die Anrufung des Völkerbundsrates betrifft, so ist das eine Frage politischen Ermessens, die ich dem Bundesrat überlasse.

Genehmigen Sie, Herr Bundesrat, die Versicherung meiner vollkommenen Hochachtung.

(gez.) Prof. W. Burckhardt.

l

) Vgl. die Äusserungen des Ständigen Internationalen Gerichtshofs im Avis consultatif Nr. 5, S. 27; im Urteil Nr. 8, S. 32 und in der Verfügung vom 6. Dezember 1930 betr. die Freizonen, S. 12--13. An der erstzitierten Stelle sagt der Gerichtshof: «Es ist ein feststehender Grundsatz des Völkerrechts, dassein Staat nicht verhalten werden kann, seine Streitigkeiten mit den andern Staaten der Vermittlung, der Schieclsgerichtsbarkeit oder irgendeinem Verfahren zur friedlichen Beilegung zu unterstellen, ohne seine Zustimmung.»

914 Anlago Vili.

Vernehmlassung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements Über die Wiedergutmachungsansprüche kriegsgeschädigter Schweizer und die Niederiassungsverträge vom 13. Dezember 1930.

Das Verhältnis der Niederlassungsverträge zum Krieg ist dadurch gekennzeichnet, dass einerseits diese Verträge durch Kriegsausbruch nicht ausser Kraft gesetzt werden, sofern nicht Kriegszustand zwischen den beiden Vertragsparteien entsteht, dass sie aber andererseits auf Kriegshandlungen und -Vorgänge nicht anwendbar sind, mit andern Worten : dass sie nur Eriedensrecht bedeuten. (Ausgenommen natürlich, wenn ausnahmsweise ein Vertrag ausdrückliche Bestimmungen für Kriegsverhältnisse enthält.)

Dass Krieg eines Vertragspartners mit einem Drittstaat den Niederlassungsvertrag nicht ausser Kraft setzt, darf als allgemein anerkannt gelten. Die schwere Belastungsprobe, die der Weltkrieg für diese Verträge bedeutete, haben sie im ganzen befriedigend bestanden. Dass aber andererseits die Verträge auf die eigentlichen Kriegshandlungen keine Anwendung finden, muss schon deshalb einlässlicher nachgewiesen werden, weil es von einigen der vorliegenden Gutachten entschieden bestritten wird.

Die Niederlassungsverträge sprechen durchgehend nicht vom Krieg als solchem, sie enthalten keine Bestimmungen darüber, wie sich der Vertrag zu den Kampfhandlungen verhalte. Was sie etwa regeln, bezieht sich nur indirekt auf den Krieg.und betrifft Verhältnisse «hinter der Front», wie Einquartierungen, Kequisitionen, Kriegsanleihen und dergleichen, nicht aber auf die militärischen Operationen und nicht auf das Verhalten eines Feindes im besetzten Gebiete. Ist dieses Stillschweigen dahin auszulegen, dass die Kriegshandlungen auf die Anwendung des Niederlassungsvertrages keinen Einfluss ausüben sollen, dass auch sie ihr unterliegen, sofern das nach dem übrigen Inhalt des Vertrages in Betracht kommen kann -- oder umgekehrt dahin, dass der Vertrag für sie nicht gelte ? Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Stellung die Vertragsparteien eingenommen hätten, wenn in den Verhandlungen die Kriegsfrage aufgerollt worden wäre. Sie hätten gesagt und würden auch heute noch sagen, dass für den Krieg und im Kriege Kriegsrecht gelte und dass die Niederlassungsverträge dem Friedensrecht angehören. Schon der Gedanke, dass ein Staat im Niederlassungsvertrag eine Haftbarkeit dafür übernehmen sollte, dass die Angehörigen des andern in seinem Gebiete nicht durch Kriegshandlungen ge-

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schädigt werden, ist schlechthin undiskutabel, wäre es auch dann, wenn zwei Staaten sich entschliessen könnten, die Möglichkeit zu besprechen, dass einer von ihnen den Feind im Lande haben könnte. Eine solche Haftbarkeit übernimmt ein Staat nicht einmal gegenüber seinen eigenen Angehörigen ; wie sollte er das tun können gegenüber Ausländern, wie sollte er diese derart besser stellen können als seine eigenen Söhne, die im Kriege ihr Leben für ihn einzusetzen haben? -- Die Antwort ist so selbstverständlich, dass eben deshalb die Frage bei Vertragsunterhandlungen gar nie gestellt wird. Selbst als in Paris 1929 einige hundert Vertreter eines halben Hunderts von Staaten während einer fünf Wochen dauernden Konferenz über den Abschluss eines internationalen Kollektiv-Niederlassungsvertrages berieten, wurde diese Frage nicht einmal angeschnitten, trotzdem im übrigen nicht die kleinste Einzelheit unerörtert blieb.

Wollte die Schweiz die Niederlassungsverträge dahin auslegen, dass sie eine Haftung für Kriegsschäden enthielten, dann müsste sie diese Auslegung selbstverständlich auch gegen sich selbst gelten lassen. Man müsste demnach behaupten, den Ausländern sei in diesen Verträgen ein Ersatzanspruch für Kriegsschäden gegen den Staat (Bund oder Kanton?) zuerkannt worden, der auf alle Fälle den Schweizern nicht zukommt, und man müsste annehmen, in diesem Sinne seien die Verträge vom Parlament ratifiziert worden. -- Diese Auslegung der Niederlassungsverträge wäre rechtlich unhaltbar, weil man damit einen Vertragswillen unterstellen würde, den beim Vertragsabschluss kein Staat hatte, -- die Schweiz nicht ausgeschlossen -- und den auch heute noch ke;n Staat hat. Sie wäre politisch verkehrt, weil unsere Vertragspartner sie mit der Kündigung der Verträge beantworten müssten, und sie wäre moralisch anfechtbar, weil die Grundlage aller Staatsverträge, das Vertrauen in deren loyale Handhabung, untergraben würde, wenn der Vertragspartner bei angeblichen Zugeständnissen von solcher Tragweite befasst werden wollte, die er offenkundig niemals gewollt und auch nie ausgesprochen hat.

Einzelne Vertreter der Anschauung, dass der Staat aus Niederlassungsvertrag für Kriegsschäden hafte, gehen nun allerdings so weit, zu behaupten, eine solche Haftbarkeit bestehe wenigstens gegenüber den eigenen Angehörigen eines Staates. Wenn
diese durch Kriegshandlungen auf seinem Gebiete Schaden erleiden, d.ann sei dies auf mangelhaftes Funktionieren derjenigen öffentlichen Dienste zurückzuführen, denen die Abwendung solchen Schadens obliege, nämlich der Diplomatie und des Militärs. Danach wäre wohl der Staat für die Folgen aller Übel schadenersatzpflichtig, deren Bekämpfung er sich zur Aufgabe macht, sofern ihm die Lösung dieser Aufgabe nicht restlos gelänge. Diese These widerlegt sich schon durch ihre Konsequenzen, zu denen z. B. gehören würde, dass der Staat auch für alle Verbrechen schadenersatzpflichtig wäre, deren Verhütung doch zweifellos ebenfalls zu seinen Aufgaben gehört. --Der Staat ist aber keine Versicherungsgesellschaft.

Ferner ist behauptet worden, gerade Frankreich habe eine solche Entschädigungspflicht für Kriegsschäden anerkannt, indem es im Eeparations-

916 gesetz vom 17. Aprii 1919 den geschädigten Franzosen einen Rechtsanspruch auf Entschädigung zuerkannt habe. Das ist jedoch ein handgreiflicher Fehlschluss. Das Reparationsgesetz organisiert die Wiedergutmachung in Rechtsform, es schafft Rechtsansprüche, aber nichts spricht dafür, dass diese Ansprüche als schon vor dem Erlass des Gesetzes bestehend angesehen werden könnten und dass Frankreich das Gesetz erlassen hätte, um einer Rechtspflicht zu genügen.

Nur von einer moralischen Pflicht Frankreichs zum Erlass des Gesetzes könnte vielleicht gesprochen werden, einer Pflicht, die von den Besiegten ausbedungenen Reparationen auch wirklich den Geschädigten zukommen zu lassen.

Wir halten die These von der Haftbarkeit des Staates für Kriegsschäden «wegen Versagens öffentlicher Dienste» für schon unter Juristen in ernster Diskussion kaum vertretbar, schon gar nicht wäre sie es aber in einer Diskussion unter Staaten. Es wäre ein Unding, einem Staat, der in einem ausserordentlich gefäiirlichen und langwierigen Kriege seine letzte Kraft eingesetzt hat, mit der Theorie nähertreten zu wollen, die Kriegsschäden seien letzten Endes eben doch eine Folge des Versagens seiner Diplomatie und seines Militärs.

Auch wenn man davon absehen wollte, dass die Niederlassungsverträge als Friedensrecht nicht in das Kriegsrecht übergreifen, welchem die Wiedergutmachung von Kriegsschäden untersteht, dann könnten Ansprüche auf solche Wiedergutmachung doch immer nur aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz dieser Verträge abgeleitet werden. Allerdings ist das Anwendungsgebiet dieses Grundsatzes nicht durchaus eindeutig abgesteckt, -- worüber noch zu reden sein wird --, aber so viel ist klar und unbestritten, dass der Staat sich mit der Gleichbehandlung nur für sein eigenes Handeln und Verhalten bindet, nicht aber hinsichtlich von Faktoren, die von seinem Willen ganz unabhängig sind. Im vom Feinde besetzten Gebiet kommt weder ein Gleich- noch ein Ungleichbehandeln des Eigentümerstaates in Frage, und unser Vertragspartner ist dafür nicht verantwortlich, dass auch der Feind unsere Angehörigen gleichbehandle; natürlich wäre uns auch gar nicht'damit gedient, wenn sie als Neutrale gleich den Angehörigen eines feindlichen Staates behandelt würden.

Ebenso ist unser Vertragspartner nicht dafür verantwortlich, dass sein Feind bei
Kampfhandlungen auf seinem Gebiete unsere Angehörigen gleichbehandle.

Ein Anspruch auf Gleichbehandlung und auf Entschädigung wegen Ungleichbehandlung wäre demnach nur dann denkbar, wenn es sich um Kampfhandlungen unseres Vertragspartners handeln würde. Praktisch käme ein solcher jedoch kaum in Betracht. Schon der Nachweis dafür, dass der Schaden auf Kampfhandlungen unseres Vertragspartners und nicht auf solche seines Feindes zurückzuführen sei, wird stets sehr schwer und oft gar nicht möglich sein.

Ausserdem ist es aber in der Regel' nicht möglich, im Kampfe überhaupt Unterschiede zwischen den eigenen Angehörigen und denjenigen des andern Vertragsstaates zu machen. Der unerlässliche Nachweis, dass ein aus den Kampfhandlungen entstandener Schaden auf solche unseres Vertragspartners zurückgehe und auf ungünstigerer Behandlung als derjenigen der eigenen Angehörigen beruhe, wird kaum je zu erbringen sein. Praktisch wäre den Geschädigten

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also auch dann nicht geholfen, wenn der Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung finden könnte.

Man hat diese Schwierigkeit zu beseitigen versucht mit der Behauptung, die Niederlassungsverträge enthielten eine abstrakte Eigentumsgarantie.

Allerdings bedeutet es eine gewisse Garantie für das Eigentum, wenn Gleichbehandlung der Person und des Eigentums zugesichert wird, wie die Niederlassungsverträge es tun. Diese Garantie geht aber nicht weiter als der Gleichbehandlungsanspruch, das Eigentum wird in gleicher Weise gesichert wie dasjenige der eigenen Angehörigen des Vertragspartners. Im Grunde deckt sich die Behauptung einer absoluten Eigentumsgarantie mit der schon oben zurückgewiesenen Behauptung, der Vertragsstaat übernehme eine Haftbarkeit für Kriegsschäden, trotzdem eine solche seinen eigenen Angehörigen gegenüber nicht besteht.

Das bisher Gesagte kann dahin zusammengefasst werden, dass die Niederlassungsverträge als Eriedensrecht auf Kriegsschäden (Zerstörungsschäden und im besetzten Gebiet erlittene Schäden) nicht anwendbar sind, dass aber, noch wenn es anders wäre, ein Wiedergutmachungsanspruch nur bei Verletzung der Gleichbehandlung in Erage käme. -- Der Vollständigkeit halber sei noch beigefügt, dass ein Vertragsstaat ausserhalb seines Gebietes, d.h. wenn er im Gebiete eines andern Staates kämpft oder sich dort festsetzt, nicht an den Niederlassungsvertrag gebunden ist, weil dieser nur für sein Staatsgebiet gilt.

Ein Staat kann seine Angehörigen für Kriegsfolgen entschädigen, trotzdem eine Eechtspflicht hierzu nicht besteht, -- wie Frankreich dies durch sein Beparationsgesetz getan hat. Dann stellt sich die Eechtsfrage, ob auf dieseLeistungen der Grundsatz der Gleichbehandlung anzuwenden sei.

Hier ist zunächst die mehrfach vorgebrachte Behauptung zurückzuweisen, die Frage sei schon dadurch entschieden, dass Frankreich nach dem Kriege von 1870/71 den Anspruch auf Gleichbebandlung anerkannt habe. Es hat allerdings auch den Schweizern gewisse Entschädigungen zukommen lassen, aber unter ausdrücklicher Ablehnung jeder Eechtspflicht, so dass im Gegenteil festzustellen ist, dass Frankreich die Gleichbehandlung für Separationen stets bestritten hat.

Ob mit Eecht oder Unrecht, bleibt im folgenden zu prüfen.

Der Niederlassungsvertrag mit Frankreich fordert Gleichbehandlung (sur le même pied et de
la même manière) hinsichtlich der Person und des Eigentums (relativement à leurs personnes et à leurs propriétés). Da wohl alle Eechte und Pflichten irgendwie mit der Person und dem Eigentum zusammenhängen, besagt das bei wörtlicher Auslegung, dass die Schweizer in Frankreich so zu behandeln seien, als ob sie Franzosen wären und umgekehrt. Auch die politischen Eechte, auch die militärischen Eechte und Pflichten berühren die Person nicht weniger nahe als irgendwelche andere und wären darum von der Gleichbehandlung nicht auszuschliessen. Natürlich denkt niemand

918 hieran, die Praxis hat vielmehr stets und überall nicht nur die politischen und militärischen Eechte und Pflichten von der Gleichbehandlung ausgenommen, sondern auch weitere Ausnahmen von erheblicher Tragweite gemacht. Man könnte bei dieser Sachlage daran denken, dass die Gleichbehandlung nur den Schutz der Person und des Eigentums im Auge habe. Da diese Auslegung aber unter allen Umständen zu eng wäre, muss die richtige Abgrenzung irgendwie zwischen ihr und wörtlicher Auslegung liegen.

Klar ist auf alle Fälle, dass die Gleichbehandlung eine Formel bedeutet, deren Tragweite nicht für jeden Einzelfall aus dem Wortlaut erschlossen werden kann. Warum wurde diese juristisch ungenügende Formel gewählt und nicht eine Umschreibung mit klarer Abgrenzung der beiderseitigen Eechte und Pflichten ? Weil die letztere sich unfehlbar in einer weitschweifigen Kasuistik verlieren müsste, die doch kaum je erschöpfend sein könnte. Die Probe auf diese schon längst gemachte Erfahrung hat wiederum die Pariserkonferenz von 1929 zum Abschluss eines «WeltniederlassungsVertrages» ergeben. Zum grössten Teil weil man dort gewissenhaft und juristisch einwandfrei umschreiben wollte, ist der Vertragsentwurf dieser Konferenz so kompliziert und verklausuliert herausgekommen, dass er Niemanden recht zu befriedigen vermag. -- Es ist hier nicht der Ort, zu xmtersuchen, welches die beste Lösung des Dilemmas wäre, dass konkrete Fassung weitschweifig und kompliziert wird, ohne vollständig zu sein, abstrakte Fassung aber niemals alle Konsequenzen absehen lässt, die allenfalls gezogen werden könnten. Die bestehenden Niederlassungsverträge bilden eine kennzeichnende Reihe solcher Lösungsversuche. Der "Vertrag mit Frankreich ist einer von denen, wo am bewusstesten die Lösung in einer Formel gesucht wurde, der ohne weiteres anzusehen ist, dass sie nicht wortwörtlich gelten kann. Die Gefahr der Abstraktion verliert sich, wenn diese auf die Spitze getrieben wird, weil nun allseitig klar wird, dass von einem Ziehen aller Konsequenzen nicht mehr die Eede sein kann. Die Auslegung wird, könnte man sagen, zur Sache des Vertrauens, dass man beidseitig ebenso darauf verzichten werde, das Letzte aus der Formel herausholen zu wollen, wie darauf, ihre Anwendung ungebührend und sinnwidrig einzuengen. Man muss sich daher beidseitig bewusst bleiben,
dass die Vertragsbrücke nur eine begrenzte Belastung verträgt, bei deren Überschreitung sie zusammenbrechen würde.

Es könnte nun scheinen, als ob die Auslegung und Handhabung einer so dehnbaren Formel im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten bieten müsse.

Zuweilen, wenn auch nicht allzuoft, ist dies auch wirklich der Fall, im ganzen bestehen aber feste Grundsätze, die zwar auch nicht mit aller Schärfe umschrieben sind, aber doch allgemein anerkannt werden. Man kann sagen, der Grundsatz der Gleichbehandlung gelte dort nicht, wo, nach allgemeiner Anschauung, die Staatsangehörigkeit im Vordergrund steht. So ist es selbstverständlich bei den politischen und militärischen Eechten, so ist es aber auch -- und das ist ausschlaggebend für die uns hier beschäftigende Frage -- auf dem Gebiete der öffentlichen Armenfürsorge und vielfach überhaupt,

919 soweit der Wohlfahrtsstaat sich in sozialer Fürsorge betätigt. Dass die Gleichbehandlung im Gebiete der Armenfürsorge nur dann gilt,wenn sie ausdrücklich vereinbart wurde, ist allseits unbestritten. Wäre es anders im Verhältnis mit Frankreich, dann wäre es ganz überflüssig gewesen, nach dem Abschluss des Niederlassungsvertrages noch im gleichen Jahre die Übereinkunft betreffend unentgeltliche Verpflegung der Geisteskranken und verlassenen Kinder abzuschliessen, die demnächst durch ein umfassenderes Fürsorgeabkommen ersetzt werden soll. Gewiss wäre eine weitherzigere Auffassung denkbar, nach welcher die öffentliche Armenfürsorge nicht als eine nationale Angelegenheit zu gelten hätte, von welcher die Ausländer trotz vereinbarter Gleichbehandlung ausgeschlossen sind, das ändert aber nichts daran, dass alle Niederlassungsverträge hier die Gleichbehandlung ausschliessen, sofern nicht, wie in demjenigen « mit Deutschland und Österreich, ausdrücklich das Gegenteil ausgesprochen ist. Auch der Entwurf der mehrfach erwähnten Pariserkonferenz sieht übrigens nicht Gleichbehandlung in der öffentlichen Armenfürsorge vor.

Bei Anwendung des Gesagten auf das französische Eeparationsgesetz und seine Leistungen muss vor allem betont werden, dass diese nicht losgelöst von ihrem Entstehungsgrund behandelt werden dürfen. Es gibt allerdings Leistungen, auch solche finanzieller Natur, die der Vertragsstaat der Gleichbehandlung nicht entziehen darf. So z. B. Entschädigung für unverschuldete Haft, für Enteignung, und andere. Andererseits dürfen, wie gesagt, viele Leistungen, besonders solche mit Fürsorgecharakter, den eigenen Angehörigen vorbehalten werden. Ob das eine oder das andere der Fall sei, hängt gerade vom Wesen und Zweck der Leistung ab, insbesondere davon, ob diese einen vorwiegend nationalen Charakter trage. Die Leistungen des französischen Reparationsgesetzes hängen nun auf alle Fälle ungleich enger mit der Staatsangehörigkeit zusammen, als diejenigen der öffentlichen Armenfürsorge, sie sind sogar eine ausgesprochen nationale Angelegenheit. Sie bedeuten die Wiedergutmachung von Kriegsschäden, Schäden, die sich aus der Selbstbehauptung des Staates ergeben haben ; sie sind die Frucht des Sieges, an dessen Erkämpfung die Angehörigen der neutralen Staaten nicht teilgenommen haben, und sie beruhen auf einem
Friedens vertrag, der Beparationen nur für die Angehörigen der Siegerstaaten, unter Ausschluss der Neutralen, ausbedungen hat.

Es ist allerdings auch die Frage aufgeworfen worden, ob Frankreich nicht verpflichtet gewesen wäre, kraft des Gleichbehandlungsgrundsatzes, bei seinem Begehren um Reparationen auch die Schweizer einzubeziehen. Die Auslegung des Niederlassungsvertrages in diesem Sinne wäre aber geradezu unloyal, denn es ist klar, dass die Parteien sich nicht darüber haben binden wollen, wie sie sich im Falle eines Friedensschlusses mit einem Drittstaat zu verhalten haben.

Versucht worden ist auch, den Anspruch auf Beteiligung an den Reparationsleistungen Frankreichs auf die Meistbegünstigungsklausel zu stützen.

Art. 6 des schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrages sieht Meistbegünstigung vor für jeden Vorteil bezüglich der Niederlassung und der Aus-

920 Übung der industriellen Berufsarten (en ce qui concerne l'établissement et l'exercice des professions industrielles). Diese beiden Ausdrücke haben mit Person und Eigentum in der Gleichbehandlungsformel das gemein, dass sie einer sehr weitgehenden Auslegung fähig sind, und einzelne Juristen haben denn auch gefolgert, Art. 6 unterstelle schlechthin den ganzen Vertragsinhalt der Meistbegünstigung. Zweifellos bedeuten aber die Worte: en ce qui concerne l'établissement et l'exercice des professions industrielles eine Begrenzung des Anwendungsgebietes der Meistbegünstigung, die also nicht für überhaupt alles, sondern nur für diese beiden Gebiete vereinbart ist. Nun kann man allerdings sagen, dass es für die Berufsausübung nicht ohne Bedeutung sei. wenn der Franzose für Kriegsschäden entschädigt wird, der Schweizer aber nicht; das gilt jedoch auch für jeden andern Vorteil, den der eine vor dem andern voraus hat. Nicht behaupten kann man aber, das französische Eeparationsgesetz habe Vorteile in der Ausübung der industriellen Berufsarten zum Gegenstand und Frankreich schulde daher für diese die Meistbegünstigung.

Das einzige der für die Beteiligung der Schweizer an den Reparationsleistungen Frankreichs vorgebrachten Argumente, dem einige wenigstens moralische Berechtigung zukommt, ist leider ohne rechtliche Bedeutung..

Es besteht im Hinweis darauf, dass auch die neutralen Ausländer zum wirtschaftlichen Wohlergehen des Staates einen bedeutsamen Beitrag leisten,, in Kriegs- wie in Friedenszeiten, dass die volkswirtschaftliche Verbundenheit auf Gedeih und Verderb eine gegenseitige ist und dass für den Ausgang eines Krieges die volkswirtschaftlichen Leistungen neben den militärischen eine wichtige Eolle spielen. Dass an den letztern die neutralen Schweizer nicht, beteiligt waren, ändert nichts daran, dass wenigstens teilweiser Mitgenuss an den Beparationsleistungen der Billigkeit entsprechen würde. Einen auf den Niederlassungsvertrag gestützten Rechtsanspruch vermag dies aber nicht zu begründen.

Scklussfolgerungen.

Die Niederlassungsverträge werden durch Krieg nicht ausser Kraft gesetzt, sofern nicht die Vertragsstaaten miteinander Krieg führen. Als vom Kriegsrecht zu unterscheidendes Friedensrecht finden sie nach dem Parteiwillen nicht Anwendung- auf kriegerische Operationen und vom Feinde besetzte Gebiete.

·-- Noch wenn dem aber nicht so wäre, könnte die Gleichbehandlung für Kriegsschäden nur angerufen werden, wenn eine Ungleichbehandlung durch den andern Vertragsstaat nachgewiesen wäre.

Das französische Reparationsgesetz bedeutet ein freiwilliges und ausgesprochen nationales Hilfswerk. Eine Eechtspflicht des französischen Staates zum Erlass dieses Gesetzes bestand nicht. Der Niederlassungsvertrag kann überhaupt nicht angerufen werden, weil es sich um die Wiedergutmachung von Kriegsschäden handelt, die nach ihrem Entstehungsgrund dem Kriegsrecht

921 angehören. Die Gleichbehandlungsklausel fände keine Anwendung, weil eine Fürsorgeleistung von ausgesprochen nationalem Charakter vorliegt. Auch die Meistbegünstigungsklausel fällt ausser Betracht, weil sie sich nur auf Niederlassung und Ausübung der industriellen Berufsarten bezieht.

Für die einzelnen Gruppen von Kriegsschäden ergibt sich folgendes : Schäden, welche die unmittelbare Folge von Kampfhandlungen sind (Zerstörungsschäden) : Der Niederlassungsvertrag ist nicht anwendbar, weil er nur Friedensrecht enthält. Auch wenn es anders wäre, könnten nur solche Schäden geltend gemacht werden, welche sich aus einer erwiesenen Ungleichbehandlung durch den andern Vertragsstaat und seine Organe ergeben.

Schädigungen im besetzten Gebiet: Der Vertrag kann nicht angerufen ·werden, weil er nicht Kriegsrecht enthält. Wäre es anders, dann würde der Gleichbehandlungsgrundsatz versagen, weil keine Behandlung durch den andern Vertragsstaat oder seine Organe vorliegt. Der Niederlassungsvertrag mit dem besetzenden Staat findet nicht Anwendung, weil diese auf sein Gebiet beschränkt ist.

Andere Schädigungen, die allerdings von den vorgenannten beiden Gruppen nicht immer sicher unterschieden werden können, sind der Wirkung des Niederlassungsvertrages nicht entzogen.

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Anlage IX.

Rechtsgutachten der Herren Bundesrichter Viktor Merz und Robert Fazy vom 12. Februar 1932*).

Herr Bundespräsident, Die Unterzeichneten beehren sich, Ihnen zuhanden des Bundesrates hiermit ihre Ansicht über die ihnen unterbreiteten Fragen kund zu geben, ob die Ansprüche der durch die Kriegsereignisse geschädigten Schweizer. bürger in rechtlicher Hinsicht sich ausreichend begründen lassen und ob die Eidgenossenschaft tatsächlich in der Lage wäre, die Entschädigungsforderungen im Wege der Anrufung einer internationalen Instanz geltend zu machen.

Im Hinblick auf die ausführlichen Erörterungen, zu denen diese Prägen Anlass gegeben haben, glauben -wir uns bei der Begründung unserer Ansicht kurz fassen und gelegentlich auf bereits Gesagtes verweisen zu dürfen. Wir bemerken immerbin, dass wir alle Gutachten und Berichte, die über die Frage der Wiedergutmachung der Kriegsschäden der Auslandschweizer erstattet worden sind, beachtet haben.

Den Gegenstand der Begutachtung bilden die Schädigungen, die die Auslandschweizer infolge des Krieges an ihrem Vermögen erlitten haben, und die Frage stellt sich dahin, ob und welche Ansprüche der Schweiz gegenüber den auswärtigen Staaten deshalb zustehen, weil sie die von den geschädigten Schweizern erhobenen Ansprüche ganz oder dem Betrage nach abgelehnt oder nicht genügend befriedigt haben.

Ein solcher Anspruch der Schweiz kann nur damit begründet werden, dass eine völkerrechtliche Eechtsregel den auswärtigen Staat zu einem andern Verhalten verpflichtete. Als völkerrechtlich verbindliche Eechtsregeln können nur gelten: a. Ein geschriebener Eechtssatz in einem zwei- oder mehrseitigen Vertrag oder, b. ein ungeschriebener, durch Doktrin und Praxis allgemein anerkannter Eechtssatz 2). Nur, wenn ein solcher Eechtssatz verletzt ist, ist die Verantwortlichkeit des fremden Staates begründet.

Um mit Aussicht auf Erfolg einen Anspruch wegen Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung vor einer internationalen Instanz zu vertreten, mnss danach die Schweiz in der Lage sein, darzutun, dass von einem andern Staat entweder eine bindende, ausdrückliche Vertragsbestimmung missachtet oder eine aus einem Vertrag durch Auslegung sich ergebende Verpflichtung ') Die im Rechtsgutachten angeführten beiden Sentences arbitrales des 31 juillet 1928 et 30 juin 1930, entre l'Allemagne et
le Portugal, konnten mit Rücksicht auf ihren 2Umfang hier nicht abgedruckt werden.

) Wir ziehen die gewählten Ausdrücke andern, wie positives oder formelles Recht vor, weil letztere nicht einen bestimmten Sinn haben und Anlass zu Missverständnissen geben können und gegeben haben.

923 verletzt oder ein ungeschriebener, aber allgemein anerkannter Bechtssatz nicht befolgt wurde. Im ersten Falle ist die Völkerrechtswidrigkeit klar. Im zweiten Falle muss der klagende Staat überzeugende Gründe für seine Interpretation anführen und im dritten Falle muss er das Vorhandensein einer allgemeinen Übung beweisen können. Solange ein nicht geschriebener Eechtssatz ernstlich umstritten ist, kann ihm nur die Bedeutung eines Postulates beigemessen werden.

Die Pf lichten,'die einem Staate den Angehörigen eines fremden Staates gegenüber hinsichtlich der Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden obliegen, sind nicht durch eine allgemeine, internationale Ordnung festgelegt.

Der Versuch, die Frage der Verantwortlichkeit der Staaten für Schaden, der Fremden an Person und Eigentum auf ihrem Gebiet entstanden ist, zu kodifizieren, der in einer internationalen Konferenz im Haag im Jahre 1930 unternommen wurde, hat zu keinem Ergebnis geführt. Dagegen kann sich die Schweiz auf einzelne Bestimmungen von Staatsverträgen berufen, die sie mit den in Betracht fallenden Staaten abgeschlossen hat. Ferner wird von ihr in gewissen Beziehungen -das 4. Haager Abkommen von 1907 betreffend die Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, wenn nicht als geschriebenes Eecht, so doch, wenigstens gegenüber den kontinentalen Staaten, als allgemein anerkannter Eechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 des Statuts des Haager internationalen Gerichtshofs mit Aussicht auf Anerkennung angerufen werden können. Es wird ferner darauf abgestellt werden dürfen, da.ss das Privateigentum Fremder von den Staaten, in denen sie niedergelassen sind oder sich aufhalten oder Vermögen besitzen, geschützt ist im Sinne des Entscheides Nr. 7 des Haager internationalen Gerichtshofes (s. Arrêt N° 7 du 25 mai 1926, Affaire relative à certains intérêts allemands en Haute Silésie polonaise, insbesondere S. 22). Es sind danach, allgemein gesprochen, solche Eingriffe in das Privateigentum unzulässig, die sich gegen die Fremden als solche richten und durch die sie ohne sachliche Gründe, unter sonst gleichen Verhältnissen, schlechter gestellt wären, als die Einheimischen.

Es sei ferner, was den Inhalt des aus der Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung sich, ergeben den Anspruchs aus Vermögensschädigung anlangt, bemerkt: In der Eegel
beschränkt sich die Verantwortlichkeit des Staates auf den Ersatz des unmittelbar durch völkerrechtswidriges Verhalten entstandenen Schadens (so im Entscheid über den Alabamastreit, vgl. dazu Hauriou in der Eevue Générale de droit international public, Tome 81, p. 203 ss.).

Immerhin ist eine Tendenz vorha.nden, die Ersatzpflicht auf den voraussehbaren mittelbaren Schaden auszudehnen. (So der erste beigelegte Schiedsspruch im Streit zwischen Portugal und dem Deutschen Eeich vom 81. Juli 1928, S. 33 ff.) Anderseits kann nur ein Verhalten, das, für sich selber bet r a c h t e t , völkerrechtswidrig ist, Grund zu einer Verantwortlichkeitsklage geben; und es kann eine solche Klage nicht auf eine Völkerrechtswidrigkeit' gestützt werden, die nicht selber den Schaden verursacht bat. So kann ein Anspruch auf Ersatz der Schädigungen, die Schweizer durch die Kriegführung

924

in Belgien erlitten haben, nicht mit der Verletzung der belgischen Neutralität begründet werden (s. den beigelegten zweiten Schiedsspruch im Streite zwischen Portugal und dem Deutschen Reich vom 30. Juni 1930, S. 10) 1). Ebensowenig ginge es an, dass die Schweiz sich für die Verantwortlichkeit der unterlegenen Staaten auf Art. 231 des Friedensvertrages von Versailles und die entsprechenden Bestimmungen der andern Friedens vertrage beriefe. Die dort enthaltene Anerkennung einer Verantwortlichkeit ist nur den Siegerstaaten gegenüber abgegeben worden und war nur ihnen gegenüber abzugeben. Sie soll zudem nur eine rechtliche Grundlage für die Auferlegung der im Anschluss daran aufgestellten Eeparationspflicht abgeben, die sich auch nur auf die Schäden ·der Angehörigen der Siegerstaaten bezieht.

Der Krieg ist eine unter Anwendung von Gewalt gegen Personen und Sachen vor sich gehende Auseinandersetzung zwischen Staaten. Jeder kriegführende Staat fordert von seinen Angehörigen den Einsatz der Person und Opfer an Gut, und die Schädigung des Gegners durch Vernichtung oder Unschädlichmachung seiner Kräfte gehört zum Wesen des Krieges. Personen und Sachen, die in den Bereich der Kriegshandlungen kommen, sind den Wirkungen der Gewalt ausgesetzt, und deren Anwendung kann vor Leben und Eigentum als subjektiven Rechten nicht Halt machen. Eingriffe in die persönliche Integrität und Freiheit und in das Vermögen sind daher nicht von vornherein ·unerlaubt. Sie sind es, generell gesprochen, nur, insoweit eine objektive Regel sie verbietet. Daneben' mag im einzelnen Falle ein Eingriff als unerlaubt erscheinen, wenn er als völlig zweck- und grundlos und deshalb als ungerecht erscheint. Doch kann die Betrachtung solcher Sonderfälle nicht Gegenstand unseres Gutachtens sein.

Wenn auf Grund dieser allgemeinen Betrachtungen geprüft wird, ob wegen ·der Behandlung der kriegsgeschädigten Schweizer im Ausland der Schweiz ein völkerrechtlicher Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens zustehe und ob und in welchem Umfange ein solcher Anspruch vertretbar sei, so sind die Schädigungen nach den Ursachen auseinanderzuhalten, und zwar sind zu unterscheiden : Kriegsleistungen und -lasten einerseits und Kriegsschäden im engern Sinne anderseits.

Die Kriegsleistungen und -lasten.

Dazu gehören die Anforderungen, die an die Einzelnen
zum Zwecke der Kriegsführung in bezug auf ihr Vermögen gestellt werden, oder Lasten, die ihnen im Interesse der Kriegsführung auferlegt werden. Sie erfolgen in der Form von Requisitionen, Beschlagnahmen und Liquidationen.

Requisitionen neutralen Gutes, die von einem kriegführenden Staate auf seinem Gebiet nach Massgabe der eigenen Gesetzgebung vorgenommen x ) Belgien ist, nachdem es sich gegen die Invasion zur Wehre gesetzt hatte' kriegführender Staat geworden; s. Roiin. Le Droit moderne de la guerre, Bd. Ili' S. 121 f.

·925 ·werden, sind an sich nicht völkerrechtswidrig. Für Requisitionen im besetzten ' feindlichen Gebiet stellt die Bestimmung in Artikel 52 des 4. Haager Abkommens betreffend die Ordnung über die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges hinsichtlich des Umfangs des Eequisitionsrechts die Schranke auf, dass Naturai- und Dienstleistungen von Einwohnern nur für die Bedürfnisse des Besetzungsbeeres gefordert werden können. Diese Beschränkung ist aber unter den Verhältnissen, wie sie der Weltkrieg mit sich brachte, nicht wörtlich zu nehmen. Zunächst ist unter dem Besetzungsheer bei der Ausdehnung, die der Weltkrieg genommen hat, das Heer der besetzenden Macht überhaupt zu verstehen. Sodann gesellte sich bei der Art, wie der Weltkrieg geführt wurde, überall zu der eigentlichen Kriegführung eine mit Zwangsrechten ausgestattete Kriegswirtschaft, die ihr diente. Auch für die Bedürfnisse dieser Kriegswirtschaft durften daher Zwangsleistungen gefordert werden. Bei abgeschnürten Ländern greift die Kriegswirtschaft in das gesamte wirtschaftliche Leben des Landes ein, und sie wird hier namentlich auch die Sorge für die notwendigen Bedürfnisse der Bevölkerung übernehmen müssen. Eequisitionen an Sachen, an denen diese Mangel leidet, sind daher auch im besetzten Gebiet nur unerlaubt, wenn dadurch der Bevölkerung des letztern selber das Nötige entzogen würde.

Es ist allgemein anerkannt, dass für requiriertes Gut Entschädigung zu leisten ist, bestritten dagegen die Frage, welche Entschädigung geschuldet sei.

Eine feste Eegel, die auf internationale Gültigkeit Anspruch erbeben könnte, besteht hierüber nicht. In dieser Beziehung kann nun jedenfalls davon keine Bede sein, dass die sogenannte «valeur de remplacement» geschuldet werde, d. h. der Betrag, der den Geschädigten instandsetzen würde, einen gleichwertigen Gegenstand zu erwerben. .Das mag für unberechtigte Eingriffe gelten, ist aber für berechtigte abzulehnen. Für diese wird vielmehr Ersatz geschuldet nach dem innern Wert des entzogenen Gegenstandes im Zeitpunkte der Eequisition. So haben mehrere der gemischten internationalen Schiedsgerichte auf Grund von Art. 297, lit. e, des Friedensvertrages von Versailles bzw. der entsprechenden Bestimmungen der andern Friedensverträge entschieden. Zudem lässt diese Bestimmung jenen Gerichten freie Hand in der Bestimmung
der Entschädigung, so dass sie auch die Billigkeit berücksichtigen können, was sonst einem internationalen Schiedsgericht nur auf Grund einer ausdrücklichen diesbezüglichen Klausel im Schiedsvertrag zusteht. Mehr Beachtung verdienen daher Entscheide von Schiedsrichtern, die nach § 4 der Anlage zu Abschnitt IV des Teiles X des Vertrages von Versailles bestellt worden sind. Die Stellung dieser Schiedsrichter ist umschrieben in,dem Entscheid über den Anstand zwischen Deutschland und Eumänien1), der am 27. September 1928 gefällt und insbesondere auch von Deutschland anerkannt wurde (Zeitschrift für ausländisches öffentliches Eecht und Völker*) Vgl. auch die beigelegte Sentence du 31 juillet 1928 entre l'Allemagne et le Portugal, S. 8.

Bundeiblatt. 84. Jahrg. Bd. I.

67

926 recht Bd. I, S. 87 ff.): Diese müssen sich an das Völkerrecht halten ; und danacbi ist nur eine solche Entschädigung geschuldet, die der Requisition den Charakter der völkerrechtlichen Rechtswidrigkeit nimmt, was dar.n der Fall ist, wenn den Fremden die gleiche Entschädigung geleistet wird, wie den eigenen Staatsangehörigen *). Auch die Berufung auf den Schutz des Privateigentums hilft hier nicht weiter. Für die Festsetzung der Entschädigung kann nur das im Zeitpunkt der Vornahme der Requisition geltende interne Eecht des Staates 2) in Betracht fallen, für den requiriert wird ; die Angehörigen neutraler Staaten, haben aber Anspruch darauf, in dieser Beziehung den Einheimischen gleichgehalten zu werden, da ein sachlicher Grund für eine andere Behandlung nicht erkennbar ist. Für die Frage, wann und wie die Entschädigung zu zahlen ist, kann aus dem gleichen Grunde Gleichbehandlung der Schweizer mit den Angehörigen, des requirierenden Staates beansprucht werden. Daneben kann sich die Schweiz hinsichtlich der Requisition in besetztem feindlichen Gebiet weiter auf die Vorschrift von Art. 52 des 4. Haager Abkommens von 1907 berufen, wonach die Naturalleistungen so viel wie möglich bar zu bezahlen sind und die Zahlung der geschuldeten Summen möglichst bald bewirkt werden soll. Diese Regel dürfte wohl auch für die Requisitionen im eigenen Gebiet des requirierenden Staates Geltung beanspruchen, weil aus dem Anspruch auf Schutz des privaten Eigentums fliessend. Wann danach die Zahlung bewirkt werden kann, hängt von allgemeinen und besondem Tatumständen ab und.

ist nicht einheitlich zu bestimmen. Wenn aber eine unzulässige Verzögerung in der Zahlung der Entschädigung anzunehmen ist, so hat dafür der Schuldnerstaat aufzukommen, etwa durch Leistung eines Zinses. Als Zahlungsmittel kommt zunächst das Geld des requirierenden Staates in Betracht. Wie es sich bei .der Entwertung dieses Zahlungmittels verhält, ist an sich eine Frage des Schuldrechts, und allgemein anerkannte internationale Regeln bestehen darüber nicht.

Dagegen lässt sich aus der völkerrechtlichen Pflicht, für Requisitionen Entschädigung zu leisten und die Zahlung möglichst bald zu bewirken, der Anspruch herleiten, dass die Schuld nicht mit einem völlig wertlos gewordenen Zahlungsmittel abgegolten werde und dass für die Entwertung desselben
während der Zeit, da der Schuldner in der Zahlungspflicht säumig war, dieser je nach den Umständen ganz oder teilweise einzustehen habe. Es ist übrigens ein Gebot ausgleichender Gerechtigkeit, dass bei Geldschulden der Gläubiger nicht die ganze Gefahr der Entwertung der Währung trage; der Anteil des Schuldners ist vom Gesetzgeber oder vom Richter nach Grund und Art der Schuld und unter Berücksichtigung aller Umstände zu bestimmen, wobei auch in Betracht fällt, wann die Schuld zu zahlen war. Ob die angebotenen Entschädigungen *) In den angeführten Urteilen wurde zwar der Goldwert des Gutes zur Zeit der Requisition zugesprochen, jedoch nur weil Deutschland sich mit dieser Art der Zahlung einverstanden erklärt hatte -- der Vorbehalt einer Abfindung nach den Regeln des internen Rechtes wurde in der Sentence du 30 juin 1930, entre l'Allemagne2 et le Portugal, S. 9, ausdrücklich gemacht.

) Z.B.. bei .Requisitionen von Deutschland in den ersten Kriegsjahren das Deutsche Kriegsleistungsgesetz vom 13. Juni 1873.

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927 dem Masse nach diesen Anforderungen entsprechen, setzt eine Prüfung der einzelnen Fälle voraus, die uns nicht, möglich ist.

Beschlagnahmen und Liquidationen neutralen Gutes sind hinsichtlich der Zulässigkeit und der Folgen den Eequisitionen gleichzustellen.

Die Beschränkung, die für Beschlagnahmen im besetzten Gebiet in Art. 53 des 4. Haager Abkommens von 1907 bezüglich der Gegenstände derselben aufgestellt ist, ist, wie bei Art. 52, nicht wörtlich auszulegen, sondern in dem Sinne, dass die Beschlagnahmen durch Bedürfnisse der Kriegführung gerechtfertigt sein und dass für den Schaden Ersatz geleistet werden.muss, wie für andere durch die Kriegsnotwendigkeit gedeckten Eingriffe. Beschlagnahmen und Liquidationen neutralen Gutes, die nicht durch die Zwecke der Krieg^ führung gerechtfertigt sind, sind völkerrechtswidrig und begründen einen Anspruch auf Wiedergutmachung; es ist insbesondere unzulässig, dass der Neutrale in dieser Beziehung wie der Angehörige eines feindlichen Staates behandelt wird. Dabei können namentlich Schwierigkeiten entstehen in bezug auf die Nationalität des Betroffenen. Für die Lösung derselben bestehen aber keine allgemein gültigen internationalrechtlichen Eegeln 1).

Die Kriegsschäden.

Dazu gehören alle diejenigen Vermögensschäden, die durch Kriegshandlungen der Kriegführenden entstanden sind und nicht unter die Kriegsleistungen und -lasten fallen. Soweit solche Kriegshandlungen durch völkerrechtliche Bestimmungen, z.B. Art. 46 i. f. und Art. 47 der im 4. Haager Abkommen enthaltenen Ordnung untersagt sind, ist für die dadurch bewirkte Schädigung von dem Staat, dessen Organe sie verursacht haben, Ersatz zu leisten 2). : *) Wir fügen hier über die Hauptfragen unsere Ansicht an: Als massgebender Zeitpunkt für die Bestimmung der Nationalität ist der Zeitpunkt der Requisition oder Beschlagnahme zu betrachten. Ein Schweizer, der auch das Bürgerrecht eines kriegführenden Staates besitzt, kann sich diesem Staate gegenüber nicht auf sein schweizerisches Bürgerrecht berufen. Die Nationalität von Gesellschaften und juristischen Personen bestimmt sich nach ihrem Sitz, ausser wenn dieser ein fiktiver ist.

2 ) Bei Seeschäden mag es davon abhängen, ob die neutrale Ware auf feindlichem oder neutralem Schiffe befördert wurde: Im ersten Falle würde eine an sich völkerrechtswidrige
Zerstörung von Schiff und Ware nicht ohne weiteres einen völkerrechtlichen Anspruch des Wareneigentümers begründen. Es müsste vielmehr im einzelnen Fall untersucht werden, ob die Behandlung des feindlichen Schiffes nicht etwa als Repressalie völkerrechtlich zulässig war. Neutralen Schiffen gegenüber dagegen können sich die kriegführenden Staaten auf das Repressalienrecht nicht berufen, und der völkerrechtliche Anspruch wäre grundsätzlich gegeben, auch nach ergangenem negativem "Urteil eines Prisengerichtes, insofern dieses Urteil selbst als völkerrechtswidrig bezeichnet werden könnte, was im einzelnen Fall zu prüfen wäre. Wir verweisen bezüglich dieser Seerechtsfragen auf deren eingehende Behandlung in den beiden beigelegten Schiedsgerichtsurteilen zwischen Deutschland und Portugal, und zwar auf die «Sentence du 31 juillet 1928», S. 24/25, betreffend die Theorie der Repressalien, und auf die «Sentence du 30 juin 1930», S. 24--29, betreffend die Rechtskraft der Prisenurteile und völkerrechtswidriges Prisenurteil, S. 35--39 -- betreffend Neutrale und Repressalienrecht -- S. 50 -- Vernichtimg neutraler Ware auf feindlichem Schiff.

928

Anders verhält es sich mit den Schäden, die durch völkerrechtlich zulässige oder nicht verbotene Kriegshandlungen entstanden sind.

Für die auf solche Weise den Auslandschweizern entstandenen Schäden kann vorerst der Urheberstaat nicht verantwortlich gemacht werden, und zwar weder der Staat, dessen militärische Organe den Schaden verursacht haben, noch der Staat, der in den Friedensverträgen als Urheber der Schäden erklärt wurde. Für einen Anspruch an den Urheberstaat im erateren Sinne fehlt jegliche völkerrechtliche Grundlage. Der Annahme einer solchen stände auch die Unsicherheit und teilweise Unmöglichkeit der Feststellung der tatsächlichen Unterlagen entgegen. Und auf die den besiegten Staaten in den Friedensverträgen auferlegte Eeparationspflicht kann sich die Schweiz schon dem Wortlaute der Bestimmungen nach nicht berufen. Diese Verpflichtung ist eine Folge der Niederlage und eine Frucht des Sieges und ist von den Siegern den Unterlegenen auferlegt worden. Ein Staat, der nicht mitgesiegt hat, kann sich weder für sich noch für seine Angehörigen auf diese Eeparationspflicht berufen.

Noch weniger kann davon die Eede sein, dass die Siegerstaaten verpflichtet gewesen wären, die Kriegsschäden der Neutralen in die Eeparationspflicht einzubeziehen.

So kann es sich nur fragen, ob der Staat, auf dessen Gebiet die Schädigung eingetreten ist, verpflichtet sei, dafür aufzukommen. Diese örtliche Beziehung allein aber genügt schon deshalb nicht zur Begründung einer Schadenersatzpflicht, weil es von äussern, durch die Machtverhältnisse und die Wechselfälle des Krieges sowie den Zufall bestimmte Verhältnisse abhängt, wo und welche Kriegsschäden entstehen. Zur Frage selber aber ist zu sagen: Ein eigener Eechtsanspruch auf Entschädigung steht den eigenen Angehörigen des Staates, auf dessen Gebiet der Schaden entstanden ist, nui zu, wenn und soweit das interne Eecht ihn gewährt. Ein allgemein geltender Eechtssatz dieses Inhalts ist nicht nachzuweisen. Der Sache nach handelt es sich auch da, wo der Gebietsstaat solche Entschädigungen gewährt, nicht um die Befriedigung von .Ansprüchen, die mit der Schädigun entstanden wären, sondern um die Wiedergutmachung solcher Schäden, und ein Eechtsanspruch für die Einzelnen entsteht erst dann und soweit, als der Staat einen solchen durch Aufstellung einer Eechtsregel
begründet. Man stützt sich für die Annahme einer von vorneherein bestehenden Entschädigungspflicht auf die Verbundenheit der Staatsangehörigen und eine daraus sich ergebende Pflicht der Gesamtheit, für Opfer, die ihm der Einzelne bringt, einzustehen. Aber bei den Kriegsschäden handelt es sich nicht um ein solches Opfer, sondern um ein Unheil, das über den Geschädigten hereingebrochen ist; die staatliche Verbundenheit mag wohl die Gemeinschaft veranlassen, den dadurch Betroffenen mit Mitteln der Gesamtheit zu Hilfe zu kommen, aber damit erfüllt sie nicht eine Schuld gegenüber den Geschädigten, sonde n eine staatliche Aufgabe, für die als Gründe die Interessen ana Wiederaufbau und die Fürsorge für notleidende Angehörige angeführt werden können. Der Annahme eines Eechtsanspruches steht weiter entgegen, dass für die Bestimmung desselben hinsichtlich des

929 Kreises der Berechtigten und des Umfanges des Anspruches eine Eechtsregel fehlt. In der Tat muss bei der Gestaltung einer solchen wesentlich auf die Hilfsmittel des Gemeinwesens abgestellt werden, das durch den Krieg stets geschwächt sein wird, und dessen Angehörige fast alle mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen worden sind, und es kommen dabei hauptsächlich volkswirtschaftliche Erwägungen in Betracht. Die Funktion der Entschädigung besteht darin, gewisse Schäden, die durch den Krieg verursacht werden, schon während des Krieges oder nach Beendigung desselben in bestimmtem Umfange gutzumachen, und nicht darin, Rechtsansprüche, die aus den Schädigungen entstanden sind, zu befriedigen. So nimmt auch Otto Mayer, der die Opfer. théorie besonders ausgebildet hat, die Kriegsschäden von der Ersatzpflicht aus (s. deutsches Verwaltungsrecht Bd. II, S. 567). Und so hat das Schweizerische Bundesgericht es abgelehnt, aus jener Theorie eine allgemeine Entschädigungspflicht der. Eidgenossenschaf t für Schäden herzuleiten, die anlässlich innerer Unruhen durch seine militärischen Organe verursacht worden sind, und es hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Eidgenossenschaft für sogenannte Tumultschäden nur auf Grund eines geschriebenen Kechtssatzes aufzukommen habe, was erst recht für Kriegsschäden gelten muss (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 22. April 1923, i. S. Hunziker c. Eidgenossenschaft; BGE 47 II, S. 510ff., Erw. 4 und 5). Diese Auffassung ist beanstandet worden, und man hat eine Entschädigungspflicht der Eidgenossenschaft für solche Schäden aus der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, Art. 4 der Bundesverfassung, herzuleiten versucht. Dabei musste aber zugegeben werden, dass damit eine sichere Grundlage für die Voraussetzungen und den Umfang des Anspruchs nicht gegeben ist. Und ferner ist zu beachten, dass die Schlüsse, die aus Art. 4 BV gezogen werden mögen, nur für das Herrschaftsgebiet dieser Bestimmung, also nicht völkerrechtlich, gelten.

Beruht sonach die Leistung von Entschädigungen für Kriegsschäden durch den Staat, auf dessen Gebiet sie entstanden sind, nicht auf einem .allgemein anerkannten, eine Entschädigungspflicht begründenden Eechtssatz, sondern auf seiner freien Entschliessung, so kann von einer völkerrechtlichen Eegel, die den Gebietsstaat zum Ersatz solcher Schäden
den Angehörigen dritter Staaten gegenüber verpflichten würde, auch nicht die Eede sein. Mit der Schutzpflicht für Personen und Eigentum, auf die die Fremden Anspruch haben, vermag ein solcher Anspruch keineswegs begründet zu werden. Ein Staat kann nicht gehalten sein, Fremde vor den Einwirkungen und Folgen eines Krieges, der auf seinem Gebiete geführt wird, in weitergehendem Masse zu schützen, als er sein Gebiet und seine Angehörigen zu schützen in der Lage ist.

So kann sich nur fragen, ob der Gebietsstaat, wenn er seine Angehörigen entschädigt, gehalten sei, die Fremden in dieser Beziehung gleich zu behandeln.

Ein geschriebener Eechtssatz dieses Inhalts besteht nicht. Dagegen sind in gewissem Umfang tatsächlich früher in gewissen Fällen von den Staaten, die ihren Angehörigen für Kriegsschäden Ersatz leisteten, auch Fremde entschädigt worden, die zu ihrem Gebiete in nähern Beziehungen standen, durch

930 Niederlassung, Aufenthalt usw.; auch im Weltkrieg hat die Schweiz Fremden, die an ihrem Eigentum auf Schweizergebiet geschädigt wurden, Ersatz geleistet. Aber auf einer überstaatlichen Verpflichtung beruhen diese Vorgänge nicht. Und sie vermögen eine solche nicht nachzuweisen. Wir beziehen uns hierfür, wie auch für das, was in dieser Beziehung aus den Verhandlungen der Haager Friedenskonferenz von 1907 gefolgert werden kann, auf das Gutachten Borei, Ziff. 5 (S. 891 ff,). Wir fügen dem bei, dass das vom Institut du droit international im Jahre 1900 angenommene Reglement über die Verantwortlichkeit des Staates für Putsch- und ähnliche Schäden, die Fremden auf seinem Gebiet entstanden sind, eine Ersatzpflicht nur unter bestimmten Voraussetzungen vorsieht (s. dasselbe im Annuaire de l'Institut de droit international 18 S. 254). Von diesen kann höchstens lit. d beigezogen werden, wonach Fremde 'zu entschädigen sind, «lorsque l'obligation du dédommagement est fondée en vertu des principes généraux du droit de la guerre», mit welcher Verweisung nichts gewonnen ist.

So fragt es sich nur noch, ob der Schweiz gegenüber die kriegführenden Staaten in einer besondern Verpflichtung standen, den durch den Krieg auf ihrem Gebiet geschädigten Schweizern für die erlittenen Schäden Ersatz zu leisten.. Und zwar stellt sich die Frage nach der gegenwärtigen Sachlage so, ob die fremden Staaten dadurch, dass sie die Entschädigungspflicht in ihren Gesetzen darüber auf ihre Angehörigen beschränkten, eine der Schweiz gegenüber bestehende Verpflichtung verletzten, so dass dieße den Anspruch erheben ·könnte, dass ihre geschädigten Angehörigen in die Kriegsschädenbereinigung einbezogen werden.

Ein derartiger Anspruch kann nun aber nur Deutschland gegenüber im Umfang und nach Massgabe von Art. 5 des Vertrages vom 18. November 1909 geltend gemacht werden. Was dagegen die mit andern kriegführenden Staaten abgeschlossenen Niederlassungsverträge betrifft, so kann daraus eine Verpflichtung des Staates, die Schweizer, die in fremden Staaten sich aufhalten, wenn sie dort durch den Krieg zu Schaden gekommen sind, in gleicher Weise schadlos zu halten, wie die eigenen Angehörigen, nicht hergeleitet werden.

Wir verweisen hier zunächst auf den Bericht des Eidgenössischen Justizund Polizeidepartements, der die Frage, besonders in
bezug auf den schweizerisch-französischen Niederlassungsvertrag, in erschöpfender und unseres Erachtens zutreffender Weise behandelt, und fügen nur bei : Da keiner der in Betracht fallenden Staaten, mit Ausnahme von Deutschland, der Schweiz gegenüber ausdrücklich eine Verpflichtung übernommen hat, die Schweizer bei der Behandlung -der Kriegsschäden gleichzuhalten wie die eigenen Staatsangehörigen, könnte sich ein solcher Anspruch nur auf eine ausdehnende Auslegung der Bestimmungen der Niederlassungsve:rträge stützen. Eine solche hätte jedoch nur dann Aussicht anerkannt zu werden, wenn sie mit durchschlagenden, die Gegengründe überwiegenden Gründen vertreten werden könnte. Nun ist schon im Friedenszustand die Gleichbehandlung der Fremden, die im Inland niedergelassen sind oder sich daselbst aufhalten, keineswegs

931 eine durchgreifende, selbst wo sie vertraglich zugesichert ist, und die Zugehörigkeit zu einem ausländischen Staate ist in vielen Beziehungen entscheidend für die Frage der Behandlung der Ausländer, nicht nur auf dem Gebiete des Privatrechts, wo für die Frage des Standes und für andere familienrechtliche Fragen immer mehr auf die nationale Zugehörigkeit abgestellt ^wird, sondern auch auf dem Gebiet des öffentlichen Eechts, so der sozialen und der Armenfürsorge. Im Kriege sodann ist die persönliche Zugehörigkeit zu einem staatlichen Verband entscheidend für Rechte und Pflichten des Einzelnen; den Krieg fuhren die durch die Nationalität zusammengeschlossenen ßtaatsverbände, und die neutralen Staaten stehen nicht nur als solche in besonderer Stellung, sondern es werden auch ihre Angehörigen im Krieg als zu diesen gehörig betrachtet, und sie nehmen darin ebenfalls eine besondere, in ·der Hauptsache gegenüber den Angehörigen der kriegführenden Staaten bevorzugte Stellung ein. Die Bereinigung der Kriegsschäden ist eine Folge des Krieges, und deshalb ist es auch da die nationale Zusammengehörigkeit, die die Gemeinschaft schafft, welche eine Ausgleichs- oder Entschädigungspflicht zu begründen vermag. Dem Anspruch eines am Krieg nicht beteiligten Staates darauf, dass seine Angehörigen in dieser Beziehung gleich behandelt werden, wie die eigenen Staatsangehörigen, kann daher mit Grund die Nichtzugehörigkeit zu jener die Ausgleichs- und Entschädigungspflicht begründenden Gemeinschaft entgegengehalten werden. Dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Zugehörigkeit steht der Einwand entgegen, dass trotz dieser die Angegehörigen neutraler Staaten persönlich vom Kriege nicht in gleicher Weise berührt werden wie die Angehörigen des eigenen Staates, und dass sie auch der Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Vermögens, abgesehen von den unbeweglichen Werten, die im Kriegsgebiet liegen, weniger ausgesetzt sind oder leichter sich entziehen können. Das unbewegliche Gut aber ist auch nur als Bestandteil des Vermögens desjenigen geschützt, dem es gehört, und auch dessen Schädigung durch Kriegshandlüngen kann wohl als eine die Person in ihrem Vermögen treffende angesehen werden. Wollte die Ausgleichs- und Entsehädigungspflicht aus dem Gedanken der Wiedergutmachung entstandener Sachschäden hergeleitet werden, so wäre auch
für die Beschädigung von Eigentum, das den Angehörigen feindlicher Staaten gehört, Ersatz zu leisten ; wenn das nicht verlangt werden kann, so beruht es eben auch nur auf der persönlichen Zugehörigkeit zu einem fremden Staat. Gewiss können für den andern Standpunkt Gründe der Billigkeit angeführt werden. Aber gegenüber den Gründen, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen, vermögen sie einen Rechtsanspruch auf Gleichbehandlung nicht zu stützen.

Wir gelangen zu folgenden Schlüssen: 1. Die Schweiz kann mit Aussicht auf Erfolg beanspruchen: a. dass für den unmittelbaren Vermögensschaden, der ihren Angehörigen durch unerlaubte Kriegshandlungen oder auch durch unzulässige Eingriffe staatlicher Organe entstanden ist, von dem Staate, dem die Urheber des Schadens angehören, Ersatz geleistet werde;

~ ^5932 b. dass ihre Angehörigen für die durch Zwecke de* Kriegführung gerechtfertigte Inanspruchnahme ihres Eigentums nach Massgabe der internen Gesetzgebung des Staates, dem sie diente, von diesem entschädigt und dass bei Bestimmung der Ersatzleistung die Säumnis des Schuldners in der Zahlung berücksieht werde; c. das's das Deutsche Eeich auch für eigentliche Kriegsschäden ihre Angehörigen, die daselbst niedergelassen waren oder si°h aufhielten, in gleicher Weise entschädige, wie die Angehörigen des eigenen Landes.

2. Dagegen kann die Schweiz mit Aussicht auf Erfolg den andern kriegführenden Staaten gegenüber weder einen selbständigen Anspruch darauf erheben, dass ihren Angehörigen für die eigentlichen Kriegsschäden Ersatz zu leisten sei, noch beanspruchen, dass dieselben den Angehörigen des Gebietsstaates in bezug auf den Ersatz dieser Schäden gleichgestellt werden.

Wir fügen bei: Soweit Angehörige der Schweiz für ihre Entschädigungs ansprüche vom Schuldnerstaat abgefunden wurden, kann sie nur beanspruchen,.

dass dieser ihnen die Möglichkeit, auf die Abfindungen zurückzukommen oder Nachleistungen zu verlangen, in gleicher Weise und in gleichem Umfange gewähre, wie den eigenen Angehörigen.

Das Verfahren.

Eine einseitige Anrufung des Haager Gerichtshofes ist nur Italien gegenüber möglich, wofür auf die bereits vorliegenden Gutachten zu verweisen ist.

Den andern Staaten gegenüber können die streitigen Fragen nur in beidseitigem Einverständnis zu schiedsgerichtlicher Erledigung gebracht werden.

Darüber, ob und wie der Völkerbund mit solchen Ansprüchen befasst werden könnte, möchten wir uns nicht aussprechen, da wir zu wenig Einblick in die Funktionen des -Völkerbundes und die daherige Übung besitzen.

Soweit die Ansprüche der geschädigten Schweizerbürger völkerrechtlich begründet sind, können sie weiterhin auf diplomatischem Wege vertreten werden, und es wird, wenn sie nicht anerkannt werden oder wenn über einzelne Fragen oder Fälle eine Übereinstimmung nicht erreicht wird, unter Umständen die schiedsgerichtliche Erledigung ins Auge zu fassen sein, wozu es freilich, ausser gegenüber Italien, einer besondern Vereinbarung mit dem beteiligten Staate bedürfte.

Genehmigen Sie, Herr Bundespräsident, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.

(gez.) V. Merz.

(gez.) Robert Fazy.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Ergänzungsbericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Postulat des Nationalrates über die Wiedergutmachung der von Schweizerbürgern im Weltkrieg erlittenen Kriegsschäden , (Vom 24. Mai 1932.)

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